Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Das vorliegende Handbuch zu den Tempeln der Griechen ist als Nachschlagewerk ebenso zu gebrauchen wie als Reiseführer. Es verdankt seine Entstehung und konzeptionelle Eigenart dem Interesse an der Geschichte und Kultur der griechischen Antike und der Vorbereitung und Durchführung von Studienreisen – mit Gruppen und privat – in die entsprechenden Gebiete. Es möchte, anders als es üblicherweise in der Fach- und Reiseliteratur geschieht, einen wesentlichen Bereich griechischer Geschichte, Kultur und Religion dem interessierten Leser und Reisenden nahebringen. Denn in ihren Tempeln ist die Welt der Griechen in ihrem schöpferischen Geist, ihrer künstlerisch gestaltenden Kraft sowie ihrer religiösen Vielgestaltigkeit beispielhaft präsent und vermag auch heute noch mittels der vor Ort und in Museen zugänglichen Zeugnisse eine einzigartige Faszination auszuüben.

Dieses Handbuch hofft seinen besonderen Platz in dem auch für sein Thema schier unüberschaubaren und sehr vielgestaltigen Literaturangebot zu finden. Neben den Standardwerken zur Geschichte und Architektur des griechischen Tempelbaus stehen die Darstellungen der Griechischen Kunst- und Kulturgeschichte, umfassende oder auf Teilgebiete beschränkte Lexika, auf einzelne Orte, Regionen oder Epochen konzentrierte Spezialuntersuchungen, dazu Grabungsberichte über nahezu alle Tempelorte. Auch die sehr verschiedenartigen Reiseführer bieten im Rahmen ihrer viel weiteren Aufgabenstellung mitunter wertvolle Informationen zu den Tempeln der Griechen.

Was in dieser Vielfältigkeit der literarischen Genres fehlt, ist ein Handbuch, das übersichtlich, möglichst vollständig und in sinnvoller Vernetzung der historischen, mythologischen, kult- und baugeschichtlichen Fragestellungen in die faszinierende Welt der griechischen Tempel einführt. In dieses, hier vorgelegte Handbuch sind viele Erträge anderer Werke eingegangen und nach einem Konzept verarbeitet, dem folgende Leitgedanken zugrunde liegen: detaillierte Einzelbeschreibung, Übersichtlichkeit der Darstellung, Aufweis der zum Verständnis des einzelnen Tempels erforderlichen Zusammenhänge, leichte Benutzbarkeit auf der Reise, besonders auch vor Ort.

Daraus ergibt sich ein festes Darstellungsschema: Auf Kurzinformationen über die topographischen Gegebenheiten sowie die geschichtliche und kultische Bedeutung der einzelnen Stätten samt ihrem mythologischen Hintergrund folgen – für die einzelnen Bau-, Um- oder Neubauphasen eines Tempels gesonderte – Angaben zum Fundament, zur Ringhalle (Peristase), zum Kernbau, seiner Gliederung und Ausschmückung sowie zur baugeschichtlichen Bedeutung.

Dem Konzept entspricht die Zielsetzung dieses Handbuchs: Es soll für den am griechischen Tempelbau interessierten und daher zur weiteren Erschließung von Kultur, Religion und Geschichte der Griechen bereiten Leser eine hilfreiche Einführung und ein gutes Kompendium sein, für den Reisenden zudem eine anregende Hilfe bei seinen Vor- und Nachbereitungen und ein zuverlässiger Begleiter vor Ort. Dass herkömmliche Einführungen und Reiseführer dieser Zielsetzung kaum gerecht werden können, ergibt schon ein flüchtiger Überblick: Sie sind meist im Format zu groß oder im Gewicht zu schwer, im Seitenumfang zu lang oder im Inhaltlichen zu lückenhaft, in der thematischen Darbietung zu wenig übersichtlich oder in der Beschränkung auf Teilaspekte thematisch zu eng. Sie sind zudem – selbst in den Standardwerken zur Geschichte und Architektur des griechischen Tempelbaus – in der Auswahl (sehr) viel enger als dieses Handbuch, das somit das Thema in einer beispiellosen Vollständigkeit behandelt.

Das 2001 in abschließender 5. Auflage vorgelegte Buch von Gottfried Gruben: Griechische Tempel und Heiligtümer ist seit langem das unbestritten maßgebliche Standardwerk zum griechischen Tempelbau; das wird auch vorerst so bleiben, und auch das vorliegende Handbuch ändert daran nichts. Aber da es einen über die Architektur und die Baugeschichte mit den sich in ihr spiegelnden Wandlungen der Geistesund Kulturgeschichte hinausgreifenden Ansatz hat, versucht es eine sinnvolle und hilfreiche Ergänzung zu sein.

Dieses Handbuch erschien erstmals 1992. Seither hat sich die Zahl der von mir geplanten, durchgeführten und geleiteten Studienreisen in fast alle Länder des Mittelmeerraums und insbesondere der griechischen Antike beträchtlich erhöht. Die archäologische Arbeit an vielen vertrauten, aber auch einigen neu ins Blickfeld getretenen Orten hat eine intensive Fortsetzung erfahren. Zahlreiche neue Werke, die direkt dem Tempelbau gewidmet sind oder in größerem Rahmen diesem Thema eine besondere Aufmerksamkeit zollen, sind erschienen. Dies alles und mein Wunsch, die in der Erstauflage gemachten Fehler zu verbessern, die dortigen Ausführungen stellenweise zu verbreitern und zu vertiefen und durch notwendige Ergänzungen zu aktualisieren, lassen mich hiermit eine 2., verbesserte und erweiterte Auflage vorlegen.

Die Skala der beschriebenen Tempel reicht von solchen, die auch heute noch einen geschlossenen Gesamteindruck vermitteln wie der Hephaistos-Tempel in Athen, der Hera II-Tempel (sog. Poseidon-Tempel) in Paestum, der Tempel F (sog. Concordia-Tempel) in Agrigent oder der Tempel in Segesta über andere, in wesentlichen Teilen ähnlich gut erhaltene bzw. aus Fundstücken wieder aufgerichtete bis hin zu dürftigen Fundamentspuren, die selbst nach der Ergänzung durch Bau- und Schmuckelemente, die vor Ort gefunden wurden, so dürftig bleiben, dass eine wissenschaftliche Rekonstruktion des Tempels oft nur sehr hypothetisch und lückenhaft gelingt. Unter diesem Vorbehalt steht daher auch eine Reihe von Beschreibungen in diesem Handbuch. Dass sich zudem im Laufe der Zeit durch neue Ausgrabungen oder eine Neubewertung von schon bekannten Fundstücken das Bild manches Tempels gewandelt hat, wird hier und da vermerkt.

Den Eindruck, dass selbst unter diesen Voraussetzungen die Grenze zwischen erwähnten und nicht erwähnten Tempeln im Einzelfall willkürlich erscheinen mag, teilt die vorliegende Auswahl mit jeder anderen. Dass es eine Auswahl bleibt, belegen archäologische Spuren und erst recht literarische Zeugnisse.

Auf vielen meiner Reisen hat mich meine liebe Frau Christel begleitet. Sie hat deshalb am Entstehen dieses Buches regen Anteil genommen, vor allem aber durch ihre computertechnischen Hilfen seine Fertigstellung wesentlich gefördert. Dafür sage ich ihr herzlichen Dank!

Witten, im Oktober 2013 Rainer Schmitt

Die Entstehung des griechischen Tempels

„Die Entstehung des griechischen Tempels zählt nach wie vor zu den ungelösten Rätseln der Forschung“ (Knell)1. Der folgende kurze Überblick hat nicht die Absicht, dieses Urteil des Fachmanns zu widerlegen. Er möchte lediglich einige Faktoren und Entwicklungen benennen, die in der Vor- und Frühgeschichte des griechischen Tempels eine wesentliche Rolle spielten und zur Erhellung seiner Entstehung beizutragen vermögen.

Lange bevor es, in wie primitiver Form auch immer, Tempel gab, gab es kultische Verehrung göttlicher Wesen: an Quellen (z.B. in Delphi, im Ptoion bei Karditsa, in Selinus, Didyma und Klaros), in Hainen (z.B. in Olympia und Klaros), in Bäumen (z.B. in Dodona), in Grotten (z.B. in Brauron, Lindos, Aigina und Akragas) und unter freiem Himmel auf Bergen (z.B. auf dem Lykaion-Berg in Arkadien). Die Griechen haben solche meist schon vorgriechischen Kulte vielerorts – im Mutterland und auf den Inseln ebenso wie in Magna Graecia und Ionien – übernommen und mit der Verehrung ihrer Gottheiten verbunden.

Diese Gottheiten waren gegenwärtig in ihren Kultbildern, ursprünglich einfachen, oft aus Holz geformten Idolen (sog. Xoana), an deren Stelle später prunkvolle, teils kolossale Statuen aus Marmor, Bronze, gelegentlich auch Gold und Elfenbein traten. Wo sie waren, war der heilige Ort. Zum Schutz solcher Idole bedurfte es eines Baldachins, eines bescheidenen Raums (Naiskos), dessen Existenz vor der Errichtung großer Tempel vielfach belegt ist (z.B. in Samos, Ephesos und Didyma). Zunächst aus Holz, Lehm und Stroh, später in der Kombination aus Stein-/Lehmmauerwerk (oft durch Holzpfosten verstärkt) und Holzgebälk errichtet, war der Tempel aus kultischer Notwendigkeit räumlich eng verbunden mit einem Altar, an dem sich der Gottesdienst vollzog. Lange bevor es vom Naiskos zum Bau eines repräsentativen Gotteshauses, eines Tempels, kam, gab es Altäre unter freiem Himmel, so dass die Geschichte der Altäre in manchen Heiligtümern weit vor der Geschichte der dortigen Tempel beginnt (z.B. in Olympia, Samos, Ephesos, in den Heiligtümern der Chthonischen Gottheiten in Akragas und Selinus, aber auch in Sparta, Delos, Sardes und vielen Heiligtümern in Kreta). Auch im Zentralheiligtum des Panionischen Bundes bei Priene stand zunächst nur ein Altar, ein Tempel wurde erst in der Mitte des 6. Jh. errichtet.

Die Bedeutung des Tempels hat sich im Laufe der Entwicklung gewandelt. Das hängt mit seiner bau- und kultgeschichtlichen Anknüpfung an das Megaron der mykenischen Palastarchitektur zusammen, das Versammlungs- und Kultort des Königs und seiner Herrschaften war. Darauf wird gleich noch ausführlicher zurückzukommen sein. Vom „Herd“- oder „Versammlungstempel“, in dem das Opfer und das gemeinsame Mahl der Kultteilnehmer stattfanden, ging die Entwicklung hin zum Wohnort der Gottheit(en) im Sinn der Behausung des Kultbildes, das ihre Gegenwart repräsentierte. Zu ihm hatten nur die zur Ausübung des Kultes privilegierten Personen, die Priester, Zugang; der Gottesdienst der Kultteilnehmer fand am Altar statt, der vor dem Eingang des Tempels stand. Allerdings belegen bauliche Besonderheiten einiger Tempel in Sizilien und Unteritalien (und gelegentlich auch Ionien) gegenüber denen im Mutterland, dass kultische Aktionen wie z.B. Prozessionen auch in den Säulenumgängen, in der Cella und vielleicht sogar auf das Dach stattfanden.

Die Idee des Tempels als eines Wohnortes der verehrten Gottheit(en) muss durch den Aspekt des Schatzhauses erweitert werden, war doch der Tempel nicht allein Standort des Gottesbildes, sondern auch Aufbewahrungsort wertvoller Weihegaben, wie jüngst die Auffindung eines unberührten Adytons im Heiligtum der Kykladeninsel Kythnos wieder eindrucksvoll vor Augen geführt hat. Dass mit dem Tempel oft auch die Funktion einer Bank verbunden war, belegen wieder Inschriften, die bei den Ausgrabungen in Kalapodi gefunden wurden.

Da der Tempel als Gottes Haus verstanden wurde, konnte seine äußere Gestalt zunächst an die Formen der profanen Wohnbauten anknüpfen. Diese Formen waren vielfältig und existierten lange Zeit nebeneinander – für beide Bereiche: den profanen wie den kultischen, wobei es für die Frühzeit oft schwierig ist, zwischen Profan- und Sakralbauten eindeutig zu unterscheiden.

Eine häufig vorgefundene Form ist die des apsidialen oder haarnadelförmigen Baus, gelegentlich mit nach außen leicht gekrümmten Längsseiten. Profanbauten dieses Typs sind aus dem 10. – 8. Jh. aus Alt-Smyrna, Klazomenai, Milet, Antissa auf Lesbos, Lefkandi und Eretria auf Euböa, Lathouresa in Attika, Nichoria in Messenien, aus der Unterstadt von Mykene, Thermos und Iolkos nördlich von Volos bekannt. Besonders herausragend und für die griechische Tempelbaugeschichte bedeutsam ist hier das Heroon von Lefkandi, Grab oder Wohnhaus eines Fürsten, um 950 in einer älteren Nekropole errichtet. Es hat eine Länge von ca. 45m und ist aus ungebrannten Lehmziegeln über einem Steinsockel errichtet. Mit einer Apsis im Westen, vorgezogenen Mauerzungen (Anten) im Eingangsbereich und einer Unterteilung in Vorraum und fünffach unterteilten Hauptraum scheint es Elemente des archaischen Tempelbaus vorwegzunehmen. Vor allem sehen viele Forscher in der auf den Langseiten und der Rückseite den Bau umgebenden, eng stehenden Säulenstellung (Holzpfosten, die das Dach tragen [so auch beim Südtempel V in Kalapodi aus dem 9. Jh.!]) eine Vorform, gar den Ursprung der Peristase in der großen Monumentalarchitektur der Folgezeit. Sollte es sich bei diesem Bauwerk wirklich um ein Fürstengrab handeln, gäbe es einen interessanten Hinweis auf die Verbindung des Tempelbaus mit dem Totenkult; eine solche Verbindung ist ja auch denkbar bei der Bauform der Tholos (s.u.) und allgemein belegt für die Entstehung einiger Heiligtümer wie Olympia, Nemea oder Isthmia.

Die haarnadelförmige Struktur mit Apsis ist in der frühen Sakralarchitektur bezeugt durch einen Kultbau im Heiligtum von Mende (11. Jh.), das Kulthaus in Antissa (10.7. Jh., Grundriss ca. 5,50 x 17,25m), das in seiner kultischen Funktion inzwischen umstrittene Megaron B (10.Jh., Grundriss ca. 7,50 x 11m) als Nachfolgebau eines aus mykenischer Zeit stammenden Megaron A in Thermos, den spätgeometrischen Apollon-Tempel (und den etwas älteren Apsisbau A?) in Eretria auf Euböa, ferner den Apsidialtempel in Solygeia bei Korinth (Grundriss ca. 7 x 26m), den Athena-Tempel in Gonnoi in Thessalien (Grundriss ca. 6,50 x 11,50m), den Hera-Akraia-Tempel I in Perachora, zwei kleine Vorgängerbauten des Athena-Alea-Tempels I in Tegea (Ende 8.–Anfang 7. Jh.) und den Apsidialtempel in Spathari in Arkananien (I aus dem 8./7. Jh., nach Osten orientiert, Grundmaße ca. 6,65 x 8m; II Mitte 6.Jh., Bau auf 1-stufiger Krepis mit den Grundmaßen 10,56 x 17,25m, gegliedert in Pronaos, Cella und Adyton). Ebenfalls noch aus spätarchaischer Zeit stammen zwei Tempel dieser Form aus dem Hafengebiet von Emporio auf Chios (6. und 5. Jh.) und der Tempel des Apollon Patroos auf der Agora in Athen (Mitte 6. Jh.). Ein plastisches Beispiel bietet schließlich ein Tonmodell eines prostylen Tempelhauses aus der 1.

Hälfte des 8. Jh., das im Hera-Akraia-Heiligtum von Perachora als Votivgabe gefunden wurde und im Archäologischen Nationalmuseum Athen aufbewahrt wird. Außer diesem Modell sind noch Fragmente von mindestens drei weiteren von demselben Fundort bekannt.

Eine andere Form des profanen Wohnbaus ist die mit der Apsidialform entwicklungsgeschichtlich zusammengehörende Ovalform, die wiederum in Alt-Smyrna in Form eines kleinen strohgedeckten Baus bezeugt ist, bei dem es sich um eines der ältesten durch Ausgrabungen zu Tage geförderten Bauwerke der griechischen Welt handelt (10./9. Jh.) und das noch im 8. Jh. Nachfolger fand. Ähnlich alte Beispiele sind in stattlicher Anzahl aus Eretria, aber auch aus Milet und aus einem Gebiet westlich der späteren Agora von Athen bekannt. Wohnbauten in ovaler, apsidialer und runder Form sind auch an zahlreichen Orten der griechischen Kolonisation im Westen gefunden worden.

In der Form des Rundbaus ist ein Tempelhaus in Gasi auf Kreta bekannt. Bauglieder eines Rundbaus, der sog. „Alten Tholos“ (erbaut 590/80), sind in den Fundamenten des Schatzhauses der Sikyonier im Apollon-Heiligtum in Delphi verbaut. Älter ist noch eine Tholos aus Lathouresa in Attika (7. Jh.), die als Ort gemeinsamer Opfermahle interpretiert wird. Diese Bauform leitet sich wohl vom mykenischen Kuppelgrab her, das auch mit dem Heroenkult in Verbindung stand. Sie wird ebenfalls plastisch veranschaulicht durch ein Tonmodell eines Tempels aus Archanes auf Kreta (9. Jh.) und hat Vorläufer bereits in frühminoischer Zeit.

Eine weitere: die Trapezform, ist bezeugt durch einen Tempel bei Koressia auf Kea (Keos) und den Hera-Tempel I auf Delos.

Zusätzlich zu den bereits erwähnten Hausmodellen geben noch andere einen lebendigen Eindruck von der Mannigfaltigkeit der Grundrisse und der bisweilen polychromen Ausschmückung derfrühen griechischen Sakralarchitektur:

- Terrakottaprostylos aus dem Heraion von Argos, eine Votivgabe aus dem Ende des 8. Jh. (jetzt im Archäologischen Nationalmuseum Athen)

- Sandstein-Naiskos aus Metapont aus dem 6./5. Jh. (im Archäologischen Provinzialmuseum Potenza)

- Keramikmodell eines Megaronheiligtums vom Monte Sabucina nordöstlich von Caltanissetta (Ende 6. Jh., im Museo Civico in Caltanissetta)

Weitere Modelle sind bekannt aus dem Heraion von Samos (8. und 7. Jh.), aus Medma in Südwestkalabrien, Sparta, Aetos auf Ithaka, Lemnos und Larisa am Hermos. Die Gesamtzahl derartiger Votivmodelle aus dem griechischen Bereich beläuft sich inzwischen auf mehr als 50.

Alle erwähnten Grundrissformen wurden seit der 2. Hälfte des 8. Jh. – im Zuge einer „Renaissance der mykenischen Zeit“ – dominiert und sehr konsequent ersetzt durch den Rechteckbau, der baulich und kultisch an das mykenische Herrenhaus, das Megaron, anknüpfte und dieses zum (wichtigsten) Ausgangspunkt und zur Standardform des griechischen Tempels werden ließ. „Von der Wiederbelebung des in mykenischer Zeit dominierenden Megaron führt ein direkter Weg zum Parthenon“, dem Athena-Tempel auf der Akropolis in Athen (Hoepfner)2. Auch im profanen Wohnbau war diese Form seit geometrischer Zeit weit verbreitet, wie z.B. Funde in Alt-Smyrna, Erythrai und Emporio auf Chios zeigen. Für den Sakralbau ist ihr Vorkommen in den mykenischen Burgen von Tiryns und Mykene sowie in frühen Tempeln auf Kreta von wegweisender Bedeutung.

Das Megaron als freistehender, länglich-rechteckiger Baukörper mit der Betonung der Eingangsseite ist seit der Mitte des 3. Jtsd. in der Küstenregion Westkleinasiens bekannt und wird gelegentlich als Herrschersitz interpretiert. In der Kykladen- und besonders der minoischen Palastkultur wurde es in die additive, unsystematisch und verwirrend wirkende Raumanordnung größerer Baukomplexe eingefügt. Erst in der mykenischen, die minoische Baukultur transformierenden Architektur kehrt es als „Kern und Gipfelpunkt der ganzen Burg“ (Gruben)3 zu seiner ursprünglichen Bestimmung zurück: Es wird aus der konglomeralen Baustruktur herausgelöst und als freistehender, autarker Baukörper architektonisch strukturiert.

Wie das mykenische Megaron der Versammlungsort des Königs mit seinen Herrschaften zum gemeinsamen Mahl war, so funktionierte nun dieser Bau mit zentralem Herd (Eschara) und Sitzbänken an den Wänden als Herd- oder Versammlungstempel für die Kultteilnehmer zum Opfer und Mahl, wie die Tempel aus dem 7. Jh. in Dreros, Gortyn und Rhizenia/Prinias in ihrer Transformation der minoischmykenischen Vorgabe eindrucksvoll belegen (siehe II-6 KRETA).

In Tiryns kann man sehen, wie in spätgeometrischer Zeit (8. Jh., erneuert in der 2. Hälfte des 7. Jh.) ein der Hera geweihter Tempel in den Grundriss und das trümmerhafte Mauerwerk des mykenischen Megaron auf der Oberburg eingefügt wurde (Grundriss des langgestreckten Antenbaus 6,90 x 20,90m mit einer Mittelsäule zwischen den Anten und einer 3-Säulen-Reihe in der Längsachse des Naos). Von diesem Hera-Tempel aus wurde die Verehrung der Göttin nach Argos gebracht. Inschriftlich sind in Tiryns seit früharchaischer Zeit auch die Athena- und Zeusverehrung bezeugt; von einem Tempel dieser Zeit stammen ein Kapitell und Fragmente der farbig ornamentierten Terrakottaverkleidung einer Dachrinne.

Der langgestreckte Hera-(oder Athena-?)Tempel in Mykene wurde in der 2. Hälfte des 7. Jh. nördlich des Megarons auf etwas höherem Niveau des Burgberges errichtet. Metopenfragmente dieses Tempels, der bis in die hellenistische Zeit mehrere Nachfolger hatte, sind aufbewahrt im Archäologischen Nationalmuseum Athen.

Vom ersten Athena-Tempel auf der Akropolis in Athen, der auf den Trümmern des mykenischen Königspalastes entstand, wurden wenige Reste im Alten Athena-Polias-Tempel verbaut. Unter dem Telesterion in Eleusis wurden mehrere Vorgängerbauten entdeckt, deren frühester, ein kleines Megaron, bis ins 14. Jh. zurückgeht. Dieser Bau wurde auch in nachmykenischer Zeit für kultische Zwecke verwendet und um 600 durch einen Tempel ersetzt.

Rechteckbauten in der Tradition des mykenischen Herdhauses sind weiterhin aus dem Hera-Limenaia-Heiligtum in Perachora, dem Apollon- und Artemis-Heiligtum in Kalapodi, dem Dionysos-Heiligtum in Yria/Naxos und aus dem Artemis-Heiligtum in Ephesos (Tempel B I) bekannt. Aus dem Zentrum der geometrischen Siedlung an der Stelle des heutigen Zagora im Südwesten der Kykladeninsel Andros, einer der besterhaltenen griechischen Siedlungen jener frühen Zeit, ist ein in seinen Außenmaßen ca. 7,60 x 10,40m großer Kultbau bekannt, der in einen schmalen Pronaos (mit 2 Säulen) und eine Cella gegliedert war, in deren Mitte 4 Säulen um einen – bereits schon älteren – Altar gestellt waren (8. Jh.).

Die Weichen zur Ausbildung der griechischen Tempelbauarchitektur wurden im Übergang von der geometrischen zur archaischen Zeit gestellt. Mit dem Siegeslauf des langgestreckten Rechteckbaus – zunächst in der Form des Megaron oder Antenbaus, später dann in der Form des (monumentalen) Ringhallentempels (Peripteros) – gelangte die griechische Architektur zu ihrer bestimmenden Bauform, wobei allerdings bis in die hellenistische Zeit die Megaron- und Antenbauform neben und gebietsweise (Magna Graecia!) in der Spätzeit wieder anstelle des Peripteros existiert hat.

Die Gründe für diesen weitreichenden Wandel der Sakralarchitektur sehen einige Forscher in gesellschaftlichen und kulturellen Wandlungen, wie sie mit dem Übergang wesentlicher Privilegien des Geburtsadels auf größere Kreise des Volkes verbunden waren: u.a. der Wandel der Kampftaktik und Bewaffnung; wirtschaftliche Umstrukturierungen; Aufkommen einer monumentalen anthropomorphen Plastik im Bereich der Heiligtümer; gesellschaftliche Öffnung des bisher vom Adel im Heiligtum geübten Kultes, mit der sich auch die Form- und Funktionsunterschiede zwischen Megaron und Peripteros erklären lassen. Vollzog sich der Kult bisher an der zentralen Eschara im Megaron, so wurde er nun an den Altar vor dem Tempel verlegt. Hier versammelte sich jetzt die Kultgemeinde zum Opfer und zu kultischen Mahlzeiten; der Tempel verlor seine Funktion als Versammlungsort, er wurde zum Wohn- und Schatzhaus der Gottheit(en).

Als Initiatoren und Auftraggeber von Tempelbaumaßnahmen traten politische Gremien und Heiligtumsverwaltungen, aber auch Einzelpersönlichkeiten hervor.

Auf vielfache Art und Weise haben die Griechen ihre Tempel als exponiertes Gottes-Haus (im Griechischen hieron, „das Heilige, [zu] Gott Gehörende“ genannt) aus dem Bereich des Profanen herausgehoben:

Der Bereich des Heiligtums mit einem (oder mehreren) Tempel(n) wurde durch eine (niedrige) Umgrenzungsmauer aus dem Bereich der profanen Wohn- und Lebenswelt ausgegrenzt und mit dieser häufig durch eine heilige (Prozessions-)Straße (via sacra) verbunden.

Der Tempel war nicht mehr Teil eines komplexen Gebäudeensembles, sondern war freistehend an einem isolierten Standort.

Vom Normalniveau war er durch einen in der Regel mehrstufigen, die Standfläche des Tempels tragenden Unterbau (Krepis) emporgehoben.

In die gleiche Richtung sakral-baulicher Hervorhebung geht das heilige Maß von 100 Fuß für den langgestreckten Baukörper (sog. Hekatompedos), wobei 1 Fuß je nach metrologischem System zwischen 27 und 35cm schwanken konnte. Solche Hekatompedoi sind z.B. die Apollon-Tempel I und II in Eretria, der Artemis-Tempel B in Ephesos, der Hera-Tempel I in Samos, der Apollon- und Artemis-Tempel in Ano Mazaraki, der Poseidon-Tempel I in Isthmia und der Apollon-Tempel C in Thermos (alle 8. und 7. Jh.).

Auch die Gliederung des Baukörpers mit der Betonung der Eingangsseite durch vorgezogene Seitenwände (Anten) mit eingestellten Säulen oder eine eigene säulengestützte Vorhalle diente der Auszeichnung als herausgehobenes sakrales Bauwerk ebenso wie die Erweiterung des Innenraums als Standort des Kultbildes durch eingestellte (Stütz-)Säulen(reihen). In der Regel war der Tempel nach Osten orientiert, damit die Strahlen der aufgehenden Sonne auf das Gottesbild im Innern des Tempels fallen und die Cella erhellen konnten. Zusätzliches Licht drang häufig durch Fenster in die Cella ein, die beiderseits des Eingangs angebracht waren, und bei einzelnen Tempeln auch durch das Dach, das mit dünnen Marmorziegeln (statt der üblichen Terrakottaziegel) gedeckt war: so in kykladischen Heiligtümern wie dem Oikos der Naxier auf Delos sowie dem Demeter-Tempel in Sangri und dem Dionysos-Tempel IV von Yria, beide auf Naxos, aber auch in hochklassischen Tempeln wie dem Zeus-Tempel in Olympia und dem Parthenon auf der Athener Akropolis. Als „Erfinder“ dieser dünnen Marmordachziegel gilt, nicht überraschend im Blick auf die dortigen hervorragenden Marmorvorkommen und berühmten Werkstätten, ein Künstler von den Kykladen: Byzes von Naxos (1. Hälfte 6. Jh.).

Natürlich musste ein solches Bauwerk auch durch wertvolle Baumaterialien (im besten Falle bester Marmor für den gesamten Bau!) und seine aufwändige Ausschmückung hervorgehoben werden, die sich insbesondere in der Gestaltung der (ionischen und später auch der korinthischen) Säulen und des (polychromen) figürlichen (Skulpturen-)Schmucks im Giebeldreieck, auf den Friesen und im Dachbereich niederschlug. Polychromie im Metopenschmuck findet sich erstmals im Tempel C/Thermos (630/20) und Älteren Aphaia-Tempel/Aigina (um 580). Aus dem 7. Jh. stammen auch erste, wenn auch geringe Spuren einer Ausschmückung des Cellainneren durch Wandmalereien (Süd-Tempel VII in Kalapodi und Poseidon-Tempel I in Isthmia); sie bezeugen eine Aufnahme und Fortsetzung minoischer und mykenischer Tradition im griechischen Tempelbau.

Vor allem auf ihrer Außenseite waren die griechischen Tempel vielfarbig bemalt. Gegenstand der Bemalung mit den Grundfarben Blau, Rot, Gelb (und Schwarz) waren insbesondere die nichttragenden Teile wie die Skulpturen am Fries und Giebel, die Triglyphen und die Sima sowie Zierelemente an Säulen und Gebälk; bei Säulen, Architrav und Geison blieb es dagegen beim naturfarbenen Baumaterial bzw. bei der weißen Stuckverkleidung.

Mit dem Streben nach Schönheit, Ästhetik und Harmonie waren seit dem 6. Jh. zunehmend mancherlei optische Verfeinerungen bzw. Korrekturen (sog. „Optical Refinements“) in der Architektur des Tempels wie die Kurvatur, Entasis, Inklination und Eckkontraktion verbunden (siehe „Fachausdrücke“). Ihre Umsetzung erforderte ein hohes Maß an technischer Präzision und künstlerischer Meisterschaft.

Über diese Details hinaus spiegelten die Maße des Gesamtbauwerks und seiner einzelnen Teile insgesamt eine bewusst gestaltete Ordnung und harmonische Einheit, die von den Griechen Eurhythmie genannt wurde. Dabei spielten das zugrundegelegte Baumaß und die Größenverhältnisse der einzelnen Bauteile zueinander eine entscheidende Rolle. Als Baumaß – im Sinn einer Basiseinheit für den Entwurfs- und Realisierungsprozess des Bauwerks – fand in der Regel der griechische Fuß Verwendung, der je nach dem in einzelnen Teilen Griechenlands unterschiedlichen metrologischen System zwischen 27 und 35cm lang sein konnte. Neben diesem Fuß Maß und unabhängig von ihm gab es relative Maßeinheiten (griech. Embater, lat. Modulus), nach deren Vorgabe ein Bauwerk geplant und realisiert wurde. Als solche Einheit diente vor allem der halbe oder volle Basisdurchmesser des Säulenschafts; alle übrigen Abmessungen des Bauwerks waren auf ihn bezogen, stellten also ein X-Faches dieses Maßes dar. Die Gesamtabmessungen und die Abmessungen der Einzelteile wie auch die Proportionen als Verhältniswert der Teilmaße ließen sich von ihm ableiten, der ganze Bau konnte dadurch auf einen einfachen Zahlennenner gebracht werden.

Das hervorstechendste Merkmal des griechischen Tempels ist gewiss der Säulenkranz, der ihn umgibt: die Peristase. Man hat sie „neues Symbol der Würde des Tempels“ genannt (Gruben)4, sie ist folgerichtig nur ihm vorbehalten. Sie war nicht von Anfang an mit der Architektur eines Tempels verbunden. Umsomehr hat man die Frage nach ihrem Ursprung und nach äußeren Einflüssen gestellt. Dabei hat man an die freistehende Stoa als Versammlungsort der Kultteilnehmer und Aufbewahrungsort für die Votivgaben gedacht und an die Säulenhalle im Hera-Heiligtum in Samos aus dem 7. Jh. als ältestes Beispiel erinnert. Aber auch Einflüsse der orientalischen Idee des Baldachins für das Kultbild oder die monumentale Säulenhallen-Architektur in Ägypten sind als Anreger bedacht worden. Nicht übersehen darf man auch die ohne Annahme fremder Einflüsse verständliche Verwendung des Säulenkranzes im Heroon von Lefkandi als Stütze für das Dach und Schutz für die wetteranfälligen Wände, der zugleich dem Bau eine besondere, repräsentative Würde verlieh.

Die Frage nach dem ältesten Peripteros in der griechischen Tempelbauarchitektur ist seit langem umstritten. Die früher in dieser Kategorie mitgenannten Apollon-Tempel B und C in Thermos, Hera-Tempel I in Samos und Apollon-Tempel II in Eretria begegnen inzwischen starken Bedenken. So kommen als älteste Beispiele derzeit vor allem der Artemis-Tempel B in Ephesos aus der Mitte des 8. Jh., der Apollon und Artemis geweihte Tempel in Ano Mazaraki auf dem Panachaika-Gebirge östlich von Patras aus der Zeit 750-650 und der Hera-Tempel II in Samos in Frage.

Der Tempel in Ephesos war von einem Kranz von 4 x 8 Holzsäulen umgeben und stellte den Kern der sukzessive ausgebauten Heiligtumsanlage dar. In ihm wird, soweit wir wissen, erstmals einem megaronartigen Versammlungstempel eine Peristase zugefügt. Der Tempel in Mazaraki war ein 7,50 x 27,90m großer Kultbau (Hekatompedos) mit einer prostylen Front, die durch 5 im Halbkreis angeordnete Porosbasen angedeutet wurde, und einer von der Cella durch eine Wand abgetrennten Apsis; er erhielt entlang der Längsseiten und um die Apsis eine Peristase von mindestens 41 auf quadratischen Steinplatten und in unregelmäßigen Abständen stehenden Holzsäulen, die dem gesamten Bauwerk die Maße 11 x 34,40m gab. Der Hera-Tempel II in Samos (Anfang/Mitte 7. Jh.) hatte eine Peristase von 6 x 18 Holzsäulen auf einem 11,70 x 37,70m großen Stylobat und eine 4-Säulen-Vorhalle auf der Eingangsseite im Osten.

Diese frühen peripteralen Sakralbauten des 8. und 7. Jh. lassen sich überzeugend als innergriechische (autochthone) Entwicklung erklären und machen die Annahme externer, insbesondere ägyptischer Vorbilder, gar Ursprünge nicht nur unnötig, sondern auch historisch unwahrscheinlich, da intensivere Kontakte zwischen Griechenland und Ägypten erst seit der Mitte des 7. Jh. nachweisbar sind. Ohne die Annahme ägyptischer Vorbilder und Einflüsse kommt man freilich kaum aus im Blick auf die ionische Monumentalarchitektur und –plastik, deren Anfänge eben in dieser Mitte des 7. Jh. liegen (siehe II-10 SAMOS und den Exkurs in II-7 NAXOS).

Weisen die langgestreckte schmale Cella, die weitgestellten schlanken Säulen, die Antenverkleidung und Dekorelemente (Mutuli mit den Guttae, Triglyphen, Taenia mit Regulae und Guttae) der ältesten Peripteroi auf ursprüngliche Holz- und Terrakottaarchitektur hin, so kann man seit der Mitte des 7. Jh. z.B. am Poseidon-Tempel I in Isthmia (2. Viertel 7. Jh.), Hera-Tempel I in Argos (Mitte 7. Jh.), Apollon-Tempel C in Thermos (um 630/20) sowie am Hera-Tempel in Olympia und Athena-Tempel I in Tegea (beide um 600) den Übergang von der Holz- und kombinierten Holz-Stein-Architektur zur reinen Steinarchitektur erkennen. Diese Entwicklung war geleitet vom Streben nach Monumentalität und Dauerhaftigkeit des Gotteshauses, die die Erhabenheit und Unsterblichkeit der Gottheiten symbolisieren sollten, und hat im 1. Drittel des 6. Jh. mit dem Artemis-Tempel in Korkyra, dem Apollon- und dem Artemis-Tempel in Kalapodi, dem Aphaia-Tempel II auf Aigina, dem Poseidon-Tempel in Taras (Tarent) und dem Apollon-Tempel in Syrakus die ältesten reinen Steinperipteroi hervorgebracht.

Mit dem Übergang von der Holz-Stein- zur reinen Steinarchitektur erfolgte auch die Ausbildung von regionalen Besonderheiten und die volle Ausprägung und Fortentwicklung der für die Zukunft kanonischen Tempelbauordnungen: der dorischen, deren Heimat die Peloponnes mit ihren bedeutenden frühen Kulturzentren Argos, Isthmia, Korinth, Olympia und der reichen Tempelbautradition Arkadiens war, und der hinsichtlich Grundriss, Formen und Ausschmückung wesentlich flexibleren und sich rasch in monumentalen Formen herausbildenden ionischen, die im ostionischen Bereich ihren Ausgangs- und Mittelpunkt in Samos, Ephesos und Milet hatte und sich auf den Kykladen zu einer Sonderform entwickelte.

Die dorische und ionische Tempelbauordnung

Dorische Ordnung

dargestellt am Jüngeren Aphaia-Tempel/Aigina (500/480):

a Euthynterie b Stylobat c Krepis d Säulenschaft e Joch (Achsabstand) f Interkolumnium (Zwischenraum) g Anuli h Echinus i Abacus j Kapitell k Architrav 1 Taenia (mit Regulae und Guttae) m Triglyphon (Triglyphen und Metopen) n Mutuli mit Guttae, dazwischen Viae o Geison p Tympanon q Schräggeison r Sima s Löwenkopfwasserspeier t Akroter

Ionische Ordnung

dargestellt am Athena-Tempel/Priene (ab 340):

a Plinthe b Spira c Torus d Basis e Säulenschaft g/f Voluten - dazwischen Eierstab und Perlstab h Abacus mit lesbischem Kyma i Architrav (mit 3 Faszien) k Eierstab und Perlstab 1 Zahnschnitt m Eierstab und Perlstab n Geison o Sima mit Löwenkopfwasserspeiern und Pflanzenornamenten

Fachbegriffe zum griechischen Tempelbau

Abakus

rechteckige Deckplatte des Kapitells

Adyton

Allerheiligstes des Tempels, nur dem/den Priester/n zugänglich

Akanthus

Pflanzenblatt mit gezacktem Rand, verwendet bei Akroteren, an Kapitellen und in Gebälk- und Dachverzierungen

Akroter(ion)

freistehende plastische Verzierung (Lebewesen, Pflanzen, Scheiben) auf dem Scheitel und den Ecken des Giebels

Amphiprostylos

Tempel mit Säulenstellung vor beiden Fronten

Antefix

verzierter Randziegel am Dach

Anten (in antis)

aus den Naoslängsseiten vorspringende Mauerstücke mit pfeilerartigem Abschluss an der/den Schmalseite/n, wodurch eine Vorhalle gebildet wird (mit Säulen zwischen den Anten)

Antentempel

Tempel mit Anten an der Eingangsfront (und somit einem Pronaos)

Anthemion

siehe „Lotos-Palmettenfries“

Anulus (pl. anuli)

bei dorischen Säulen am Hals umlaufende (meist 3) Ringprofile

Apsis (apsidial)

halbkreisförmiger Raum (halbkreisförmig)

Architrav

auch Epistyl: unterste Balkenschicht des Gebälks, auf den Säulenkapitellen ruhend; in der dorischen Ordnung schmucklos glatt, in der ionischen Ordnung mit 2 (oder 3) Faszien

Astragal

siehe „Perlstab“

Balustrade

Geländer oder Brüstung mit kleinen Säulen

Basis

Sockel/Fußglied der ionischen und korinthischen Säule:

a) attische Basis: (Plinthe) – Torus – Trochilus – Torus

b) kleinasiatische bzw. ephesische Basis: Plinthe – Spira - Torus

c) samische Basis: Spira – Torus

Blattkehle

mit Blattmustern gefüllte Kehlung zwischen Echinus und Säulenschaft

Blattstab

siehe „Ionisches Kyma“

Bothros

Grube für Spenden an chthonische Gottheiten

Bukranion

Relieffries mit Stierschädeln, die durch Girlanden verbunden sind

Cella

Hauptraum des Tempels, häufig Raum für das Kultbild

Columna caelata

mit Skulpturenschmuck (über der Basis) ausgestattete Säule

Dachziegel

verschiedene Arten der Dachdeckung:

a) lakonisch: konkave Ziegel mit halbkreisförmigen Deckziegeln über den seitlichen Fugen

b)sizilianisch: flache Ziegel mit halbkreisförmigen Deckziegeln

c) korinthisch: flache Ziegel mit scharfkantigen, dachförmigen Deckziegeln

Dipteros

Tempel mit doppelter umlaufender Säulenstellung (Peristase)

Doppelantentempel

Tempel mit Anten (und damit Vorhallen) an beiden Fronten

Echinus

polsterförmiges Glied des Säulenkapitells

Eckkontraktion

Verringerung der Säulenabstände an den Ecken zur Lösung des Triglyphenkonflikts beim dorischen Tempel

Eierstab

siehe „Blattstab“, „Ionisches Kyma“

Empore

Galerie im Obergeschoss

Enneastylos

Tempel mit 9 Ringhallensäulen an der/den Frontseite/n

Entasis

Schwellung („Spannung“) der Säulen

Euthynterie

oberste Fundamentschicht (sog. Ausgleichsschicht des Fundaments), auf der die Krepis aufbaut

Epistyl

siehe „Architrav“

Eschara

Opferaltar, Kultherd, Feuerstelle

Faszien

beim ionischen Architrav treppenförmig vorspringende und parallel laufende Horizontalleisten

First

Schnittstelle der Dach- und Giebelflächen

Flechtband

Ornament aus (2) miteinander verflochtenen Zierbändern

Fresko (pl. Fresken)

Wandmalerei(en)

Fries

Schmuckstreifen (skulptiert oder gemalt) an Kapitellen, Gebälk- und Dachteilen sowie Wänden des Tempels

Geison

vorkragendes Gesims (sog. Kranzgesims), mit dem der Dachaufbau beginnt

Guttae

zylindrische Stifte („Tropfen“) unter der Regula am dorischen Tempel

Hekatompedos

100 Fuß langer Tempel

Heroon

Sakralbau, der der göttlichen Verehrung eines Sterblichen (Heros) dient

Hypäthralbau

„unter freiem Himmel“, d.h. nicht überdachter Tempelraum

Hypotrachelion

oberer Abschluss des Säulenschafts, der durch Anuli (bei der dorischen Säule) bzw. durch einen Ornamentfries (bei der ionischen Säule) angezeigt wird

Inklination

Neigung der Naoswände und Säulen zur Gebäudemitte

Interkolumnium

Zwischenraum zwischen 2 Säulen

Joch

Abstand zwischen den Säulenachsen

Kannelure(n)

senkrecht verlaufende konkave Vertiefung(en) des Säulenschafts, bei dorischen Säulen durch scharfe Grate, bei ionischen durch stabartige Stege getrennt

Kapitell

oberer Abschluss der Säule, bei dorischen Säulen aus Echinus und Abakus, bei ionischen aus Echinus, Voluten und flachem Abakus bestehend. Sonderformen:

a) äolisches Kapitell

b) korinthisches Kapitell

Kolonnade

Säulen(um)gang

Kore (Karyatide)

Säule oder Relief in Form einer Mädchengestalt

Krepis

(meist mehrstufige) Standfläche („Sohle“) des Tempels

Krypta

(halb-)unterirdischer Kultraum unter der Tempelcella

Kurvatur

zur Mitte des Stufenbaus leicht ansteigende Krümmung, die sich in die Wände und das Gebälk fortsetzen kann

Kyma(tion)

Zierfries in 3 Hauptformen:

a) dorisches Kyma: überfallende Nase mit aufgemalten, zungenförmig stilisierten Blättern

b) ionisches Kyma (auch Blattstab oder Eierstab): gewölbtes Profil mit einander abwechselnden (meist plastischen) eiförmigen, erhaben umrandeten Blättern und lanzettförmigen Spitzen

c) lesbisches Kyma: gewölbtes Profil mit einander abwechselnden, doppelt geschwungenen, herzförmigen Blättern und lanzettförmigen Spitzen

Lotos-Palmettenfries

auch Anthemion: Zierleiste am Kapitell, Säulenschaft, Gebälk und Dach des ionischen Tempels, bestehend aus Palmetten und Lotosblüten über Rankenketten

Mäanderband

Zierband aus eckig gebrochenen Linien (benannt nach dem windungsreichen Fluss Mäander in West-Kleinasien)

Megaron

Sakralbau von rechteckigem, hausähnlichem Grundriss ohne Säulenumgang

Metope(n)

zwischen den Triglyphen liegende glatte, bemalte oder skulptierte Platte(n) an dorischen Tempeln

Monolith (monolithisch)

aus einem Stück gearbeitete Säule (oder anderes Bauglied)

Monopteros

baldachinartiger Säulenbau ohne Cella

Mutulus (pl. Mutuli)

flache, rechteckige Platte(n) an der Unterseite des Geison am dorischen Tempel, jeweils über Triglyphen und Metopen und mit Guttae besetzt

Naos (pl. Naoi)

Kernbau des Tempels, aus Pronaos, Cella und häufig auch (Adyton und/oder) Opisthodom bestehend

Naiskos (pl. Naiskoi)

kleiner säulenloser Tempel

Oikos (pl. Oikoi)

„Haus“, speziell hausförmiger, rings geschlossener Sakralbau

Omphalos

„Nabel“: Bezeichnung für halboval geformten Stein, der in Delphi als der Mittelpunkt der Welt galt

Opisthodom

rückwärtig an die Cella anschließende Halle, gebildet durch die Anten, das Gegenstück zum Pronaos an der Eingangsfront („das Hinterwärtige“)

Orthostat(en)

hochkant stehende/r Quader, besonders als unterste Schicht des dorischen Tempelmauerwerks

Peribolos

Einfriedung eines Heiligtumsbezirks

Peripteros

Tempel, der auf allen 4 Seiten von einer Säulenstellung umgeben ist (Ringhallentempel, Peripteraltempel)

Perlstab

auch Astragal: Wechsel von (plastischen oder aufgemalten) Kugeln und linsenförmigen Scheiben in halbrundem Profil

Pilaster

aus der Wand heraustretende Halb- oder Dreiviertelsäule

Plinthe

rechteckige Standplatte für die Säule(nbasis)

Polychromie (polychrom)

Vielfarbigkeit (vielfarbig)

Pronaos

Vorhalle der Tempelcella, gebildet durch die Anten (entsprechend dem Opisthodom an der Rückfront)

Prostylos (prostyl)

Tempel mit Säulenstellung vor der Eingangsfront

Pseudodipteros

Dipteros ohne die innere Säulenstellung

Pteron (pl. Ptera)

Raum zwischen Kernbau und Säulenkranz

Relief

siehe “Skulptur”

Regula (pl. Regulae)

in der dorischen Ordnung des Tempels niedrige Leiste(n) unter der Taenia, jeweils unter den Triglyphen, versehen mit (6) Guttae

Rosette

rosenförmiges Dekorelement, bei dem die Blütenblätter im Kreis angeordnet sind

Rundstab

im Profil halbrundes, stabförmiges Ornament

Schräggeison

beiderseits über dem Giebel liegendes vorkragendes Gesims

Sekos

hofartiger, unbedeckter Kultraum (anstelle einer überdachten Cella)

Sima

über dem Geison bzw. dem Schräggeison angebrachter, meist ornamentierter Dachrand zum Auffangen und Ableiten des Regenwassers; der Ableitung dienten Wasserspeier, häufig in Löwenkopfform

Skulptur(en)

plastisches, aus festem Material herausgearbeitetes Bildwerk (an Giebel, Metopen, Fries und Säulen)

Spira

doppelter Trochilus (besonderes Formelement der ephesischen und samischen Säulenbasis)

Stereobat

unterste Schicht (Gründung) des Fundaments

Stylobat

oberste Stufe des Stufenunterbaus des Tempels und so Standfläche der Säulen

Taenia

vorspringende Horizontalleiste über dem Architrav beim dorischen Tempel

Telesterion

geschlossener Raum, in dem Mysterien vollzogen werden

Temenos (pl. Temene)

umgrenzter Bezirk eines Heiligtums (das „Abgetrennte“)

Terracotta

gebrannte Tonware, häufig bemalt

Tetraprostylos

Tempel mit 4säuliger Vorhalle

Tholos

Rundbau

Toichobat

Standfläche der Mauer

Torus

Basisteil der ionischen und korinthischen Säule mit vorgewölbtem (konvexem) Seitenprofil (Wulst)

Traufleiste

siehe „Sima“

Triglyphen

„Dreischlitz“: Platten mit 3 vertikal verlaufenden Stäben, die durch parallel laufende Einkerbungen plastisch hervorgehoben werden, am dorischen Tempel

Triglyphon

Fries mit regelmäßig abwechselnden Triglyphen und Metopen am dorischen Tempel

Tripteros

Tempel mit dreifachem Säulenumlauf

Trochilus

auch Skotia: Basisteil der ionischen und korinthischen Säulen mit eingekehltem (konkavem) Steinprofil (Hohlkehle)

Tympanon

Giebelfeld

Via (pl. Viae)

Zwischenraum zwischen den Mutuli in der dorischen Tempelbauordnung

Volute(n)

schnecken- bzw. spiralenförmiges (plastisches oder gemaltes) Formelement des ionischen Kapitells

Xoanon (pl. Xoana)

hölzernes, meist altertümliches Kultbild

Zahnschnitt

auch Geisipodes: skulptierter Zierfries an ionischen Tempeln (meist) zwischen Architrav und Geison, aus einer Abfolge enggestaffelter, abwechselnd vor- und zurückspringender Rechteckelemente bestehend

Kulturepochen Griechenlands