Maxim Gorki: Kinder der Sonne

 

 

Maxim Gorki

Kinder der Sonne

Drama in vier Aufzügen

 

 

 

Maxim Gorki: Kinder der Sonne. Drama in vier Aufzügen

 

Übersetzt von Alexander von Huhn

 

Neuausgabe.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Ilja Repin, Gorki liest aus seinem Drama Kinder der Sonne, 1905

 

ISBN 978-3-7437-0076-5

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-86199-514-2 (Broschiert)

ISBN 978-3-86199-515-9 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Uraufführung: Petersburger Kommissarshewskaja-Theater, 1905. Hier in der Übersetzung von Alexander von Huhn, Berlin, Bühnen- u. Buch-Verl. russ. Autoren J. Ladyschnikow, 1906.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Personen

Páwel Fjódorowitsch Protássow

 

Lísa, dessen Schwester

 

Jeléna Nikolájewna, Protássows Gattin

 

Dimítrij Sergéjewitsch Wágin

 

Bóris Nikolájewitsch Tschepurnói

 

Melánija, dessen Schwester

 

Nasár Awdéjewitsch

 

Míscha, dessen Sohn

 

Jegór, Schlosser

 

Awdótja, dessen Frau

 

Jákow Tróschin

 

Antónowna, Protassows und Lisas frühere Kinderfrau

 

Fíma,

Lúscha, Dienstmädchen

 

Román, Portier

 

Ein Arzt

 

Erster Aufzug

Ein altes, herrschaftliches Haus; großes, halbdunkles Zimmer. Links in der Wand ein Fenster und eine Tür, die auf eine Veranda führt. In der Ecke zur linken Seite des Zimmers führt eine Treppe in das obere Stockwerk, wo Lisa wohnt. Im Hintergrunde sieht man durch einen Türbogen in das Speisezimmer. Aus der rechten Ecke des Zimmers mündet eine Tür in das Zimmer Jelenas. Bücherschränke, schwere, altertümliche Möbel, auf den Tischen Bücher in wertvollen Ausgaben. Auf einem der Bücherschränke eine weiße Büste. Am Fenster links ein großer runder Tisch, vor dem Protassow sitzt, in einer Broschüre blättert und dabei auf eine kleine Spirituslampe blickt, über der irgendeine Flüssigkeit kocht. Auf der Terrasse unter dem Fenster macht sich Roman zu schaffen, wobei er dumpf und eintönig ein Lied singt. Durch diesen Gesang fühlt sich Protassow belästigt.

 

PROTASSOW. Hören Sie mal, Portier!

ROMAN durchs Fenster. Was soll's?

PROTASSOW. Wie wäre es, wenn sie fortgingen ... ja?

ROMAN. Wohin?

PROTASSOW. Na, überhaupt ... Sie stören mich ...

ROMAN. Der Wirt hat's befohlen ... Du mußt das ausbessern, hat er gesagt.

ANTONOWNA tritt aus dem Speisezimmer heraus. Der Schmutzfink ... hierher mußt du damit kommen?

PROTASSOW. Schweig, Alte!

ANTONOWNA. Hast wohl nicht Platz genug in deinen Zimmern?

PROTASSOW. Bitte, geh nicht hinein; ich hab dort alles vollgedampft.

ANTONOWNA. Und hier machst du alles voll Kohlendunst ... Laß mich wenigstens die Tür öffnen.

PROTASSOW eifrig. Nicht nötig, nicht nötig! Ach du ... Alte! ... Ich habe dich doch nicht darum gebeten ... Sag du dem Portier, daß er fortgehen soll ... er brummt immer so vor sich hin.

ANTONOWNA zum Fenster hin. Was treibst du dich hier herum? Mach, daß du fortkommst!

ROMAN. Warum? ... Der Wirt hat's befohlen ...

ANTONOWNA. Schon gut, kannst es auch später machen ...

ROMAN. Na, meinetwegen ... Entfernt sich brummend.

ANTONOWNA mürrisch. Ersticken wirst du noch eines schönen Tages! ... Und dabei heißt es, wir haben die Cholera hier ... Du willst ein Generalssohn sein, und womit beschäftigst du dich! Nur unangenehme Gerüche verbreitest du!

PROTASSOW. Warte nur, Alte! ... Ich werde auch noch einmal General! ...

ANTONOWNA. Du? – Du kommst noch mal auf die Landstraße. Das ganze Haus hast du mit deiner Chemie und deiner Physiognomik verstänkert.

PROTASSOW. Nicht mit der Physiognomik, sondern mit der Physik ... Im übrigen laß mich gefälligst in Ruhe ...

ANTONOWNA. Da ... Jegor ist gekommen ...

PROTASSOW. Ruf ihn her ...

ANTONOWNA. Väterchen, sprich du doch mit dem Lumpen und frage ihn, was er anstellt. Warum er gestern seine Frau bis aufs Blut geprügelt hat?

PROTASSOW. Gut ... ich werde mit ihm sprechen ... Lisa steigt, ohne gehört zu werden, die Treppe herab, bleibt vor dem Schrank stehen und öffnet ihn geräuschlos.

ANTONOWNA. Sag ihm: Du Jegor, du kriegst es mit mir zu tun, wenn ...

PROTASSOW. Ich werde ihm schon bange machen, da kannst du ganz unbesorgt sein, aber jetzt geh! ...

ANTONOWNA. Streng muß man sein. Du sprichst mit allen diesen Leuten, als wären sie Herrschaften ...

PROTASSOW. Genug, Alte! ... Ist Jelena zu Hause?

ANTONOWNA. Noch nicht. Sie ist nach dem Frühstück zu Wagin gegangen und hat sich nicht wieder sehen lassen ... Paß mal auf, du wirst noch deine Frau verträumen ...

PROTASSOW. Laß diese dummen Redensarten, Alte, sonst werd ich böse.

LISA. Alte, du störst Pawel bei der Arbeit ...

PROTASSOW. Ach, du bist hier; nun, was gibt's?

LISA. Nichts ...

ANTONOWNA. Lisonjka, du mußt jetzt deine Milch trinken.

LISA. Ich weiß es ...

ANTONOWNA. Was Jelena Nikolajewna betrifft, so muß ich doch sagen, ich an ihrer Stelle hätte längst mit einem anderen angebändelt ... Die Frau wird von dir vernachlässigt, das ist ganz klar ... Den Brei hast du gegessen, die Schale wirfst du nun fort ... Kinder sind auch keine da, wie soll eine Frau noch Freude am Leben haben?! Nun, daß sie und ...

PROTASSOW. Alte! ... Ich fange an, böse zu werden ... Hinaus! So ein ... Waschweib!

ANTONOWNA. Nun, nun! Nur nicht gleich so wild ... vergiß den Jegor nicht! Entfernt sich. Lisonjka, die Milch steht im Speisezimmer ... Hast du deine Tropfen genommen?

LISA. Ja, ja!

ANTONOWNA. Nun gut ... Geht ins Speisezimmer.

PROTASSOW ihr nachblickend. Merkwürdige Alte! Unsterblich wie die Dummheit ... und ebenso lästig ... Wie steht's mit deiner Gesundheit, Lisa?

LISA. Gut.

PROTASSOW. Das ist ja herrlich! Trällernd. Das ist herrlich ... das ist schön ...

LISA. Weißt du, recht hat die Alte doch.

PROTASSOW. Das bezweifle ich. Die Alten haben selten recht ... Die Wahrheit ist bei den Kindern ... Sieh mal, Lisa, hier habe ich gewöhnliche Hefe ...

LISA. Die Alte hat recht, wenn sie sagt, daß du dich zu wenig um Jelena kümmerst ...

PROTASSOW betrübt, milde. Wie ihr mich immer stört, du und die alte! Ist Jelena denn stumm? Sie könnte es mir doch selbst sagen ... wenn ich irgendwie ... wenn ich irgendwie ... wenn irgendwas ... nicht so ist, wie es sein sollte ... und ... überhaupt ... aber sie schweigt ja! ... Um was handelt es sich? Was ist los? Aus dem Speisezimmer tritt Jegor ins Zimmer. Er ist ein wenig angetrunken. Ah, da ist ja Jegor. Guten Tag, Jegor!

JEGOR. Wünsch Ihnen gute Gesundheit!

PROTASSOW. Ich will Ihnen sagen, um was es sich handelt, Jegor. Es muß ein kleiner Tiegel angefertigt werden ... mit einem starken, kegelförmigen Deckel. Oben muß eine kreisförmige Öffnung angebracht werden, aus der eine Röhre emporsteigt ... verstehen Sie?

JEGOR. Ich verstehe. Das kann man schon machen.

PROTASSOW. Ich habe hier eine Zeichnung ... wo ist sie gleich? Kommen Sie, bitte, mal her ... Geht mit Jegor ins Speisezimmer. An der Verandatür klopft Tschepurnoi. Lisa öffnet die Tür.

TSCHEPURNOI. Ah, zu Hause? Guten Tag!

LISA. Guten Tag ...

TSCHEPURNOI rümpft die Nase. Auch der Kollege ist zu Hause, wie ich an diesem Geruch merke ...

LISA. Woher kommen sie?

TSCHEPURNOI. Ich komme von der Praxis. Dem Hündchen der Frau des Kameralhofdirektors hat das Dienstmädchen das Schwänzchen zwischen die Tür geklemmt, und so habe ich denn den Hundeschwanz verbinden müssen, Dafür habe ich drei Goldfüchse erhalten, hier sind sie! Ich wollte Ihnen schon Bonbons kaufen, aber es fiel mir ein: vielleicht ist es nicht ganz schicklich, Ihnen Süßigkeiten für Hundegeld zu kaufen, und – da ließ ich's bleiben.

LISA. Und Sie haben recht daran getan ... Nehmen Sie Platz ...

TSCHEPURNOI. Übrigens herrscht hier ein Geruch – von sehr zweifelhafter Annehmlichkeit. Es kocht schon, Kollege!

PROTASSOW im Hereintreten. Es braucht ja gar nicht zu kochen! Was ist denn das?! Warum habt ihr mir's nicht gesagt, meine Herrschaften?

TSCHEPURNOI. Ich habe ja gesagt, daß es kocht ...

PROTASSOW betrübt. Aber verstehen Sie mich doch: es liegt mir durchaus nichts daran, daß es kocht! Jegor kommt heraus.

LISA. Wer hat denn das gewußt, Pawel? ...

PROTASSOW brummend. Ach ... Teufel noch mal ... Jetzt muß ich von vorne anfangen.

JEGOR. Pawel Fjodorowitsch, geben Sie ein Rubelchen ...

PROTASSOW. Einen Rubel? Aber gleich! Sucht in allen Taschen. Lisa, hast du nichts bei dir?

LISA. Nein, Antonowna hat Geld ...

TSCHEPURNOI. Ich habe auch welches ... Hier sind drei!

PROTASSOW. Drei Rubel? Bitte, geben Sie her ... Hier, Jegor, sind drei – na, stimmt's?

JEGOR. Gut ... Wir werden schon abrechnen ... Danke ... Empfehle mich ...

LISA. Pawel, die Alte hat dich gebeten ... ihm zu sagen ... Hast du vergessen?

PROTASSOW. Was – zu sagen? Ach ... ja! Hm ... ja! Jegor ... Bitte, nehmen Sie Platz! Sehen Sie ... vielleicht sagst du es, Lisa? ... Lisa schüttelt den Kopf. Sehen Sie, Jegor ... ich muß Ihnen sagen ... das heißt, Antonowna bat mich ... es zu tun. Es handelt sich darum, daß Sie ... angeblich Ihre Frau prügeln. Entschuldigen Sie, Jegor ...

JEGOR steht auf. Ich prügle sie –

PROTASSOW. So? Aber, sehen sie, das ist doch nicht gut ... Ich versichere Sie!

JEGOR drohend. Soll auch nicht gut sein.

PROTASSOW. Verstehen sie mich? Warum prügeln sie Ihre Frau? Das ist bestialisch, Jegor ... Das müssen sie lassen ... Sie sind ein Mensch, Sie sind ein mit Vernunft begabtes Wesen. Sie sind das herrlichste, das erhabenste Wesen auf Erden ...

JEGOR. Ich?

PROTASSOW. Nun, ja!

JEGOR. Herr! Haben Sie sie auch gefragt, warum ich sie geprügelt habe?

PROTASSOW. Nun – begreifen Sie doch: man darf nicht prügeln! Ein Mensch darf den andern nicht schlagen ... das ist doch ganz klar, Jegor!

JEGOR lachend. Ich bin geprügelt worden ... und nicht zu knapp ... Und wenn ich von meiner Frau sprechen soll ... ja, die ist überhaupt kein Mensch, das ist ein Teufel ...

PROTASSOW. Was für ein Unsinn! Was heißt das »Teufel«?

JEGOR nachdrücklich. Empfehle mich! Und meine Frau, die prügle ich weiter ... bis sie so ist, wie das Gras vor dem Wind, so lange bekommt sie ihre Schläge! Geht ins Speisezimmer.

PROTASSOW. So hören sie doch, Jegor! Sie haben selbst gesagt ... fort ist er! Scheint es übelgenommen zu haben ... Wie dumm das war ... Diese Antonowna richtet immer etwas an ... Wie albern! Geht betrübt hinter die Portiere.

TSCHEPURNOI. Der Kollege hat sehr überzeugend gesprochen!

LISA. Der gute Pawel! ... Er ist immer so komisch!

TSCHEPURNOI. Wissen sie, ich hätte diesem Jegor mit dem Stock eins aufs Maul geschlagen!

LISA. Boris Nikolajewitsch!

TSCHEPURNOI. Nun was –? Ah, entschuldigen Sie, ich war etwas kräftig in meinen ausdrücken. Übrigens urteilt er einigermaßen logisch: man hat ihn geprügelt, und daraus schließt er, daß auch er prügeln darf! Ich ziehe daraus die weitere Schlußfolgerung: er sollte noch geprügelt werden ...

LISA. Ich bitte Sie ... Wie können Sie so reden, warum?

TSCHEPURNOI. Auf der Basis dieser Logik ist die ganze Kriminaljustiz aufgebaut!

LISA. Sie wissen, wie widerwärtig mir jede Roheit ist ... wie ich sie fürchte, und immer wieder, als ob sie es darauf abgesehen hätten, mich zu reizen, kommen sie mir so! Na, warten Sie ... Dieser Schlosser erweckt in mir ein Gefühl der Furcht. Er ist so ... finster ... und diese riesigen, gekränkten Augen ... Mir ist immer, als hätte ich sie schon gesehen ... damals, dort, in der Menge ...

TSCHEPURNOI. Ach, denken Sie nicht daran! Nicht an ihn!

LISA. Kann man denn so etwas vergessen?

TSCHEPURNOI. Was nutzt es denn, darüber zu reden?

LISA. Dort, wo Blut vergossen wurde, wachsen keine Blumen mehr.

TSCHEPURNOI. Und wie wachsen sie!

LISA steht auf und geht auf und ab. Dort wächst nur der Haß ... Wenn ich etwas Rohes höre, etwas Gehässiges, wenn ich etwas Rotes erblicke, erwacht in mir jenes dumpfe Grauen, und ich sehe sie gleich wieder vor mir, diese schwarze, vertierte Menge, diese blutbefleckten Gesichter und die roten Blutlachen im Sand ...

TSCHEPURNOI. Sie werden sich so lange in die Aufregung hineinreden, bis Sie einen Anfall bekommen ...

LISA. Und zu meinen Füßen der junge Mensch mit dem eingeschlagenen Schädel ... er versucht fortzukriechen, von seinen Wangen und vom Halse strömt das Blut, er hebt das Haupt zum Himmel ... ich sehe sein brechendes Auge, den offenen Mund und die mit Blut befleckten Zähne ... sein Kopf fällt mit dem Gesicht auf den Sand, mit dem Gesicht ...

TSCHEPURNOI tritt an sie heran. Um Gottes Willen! Was fange ich nur mit Ihnen an?

LISA. Erfüllt Sie das nicht mit Entsetzen?

TSCHEPURNOI. Kommen Sie ... wir wollen in den Garten gehen.

LISA. Nein, sagen Sie ... sagen Sie mir: Haben Sie für mein Entsetzen kein Verständnis?

TSCHEPURNOI. Natürlich. Ich verstehe es ... fühle es!

LISA. Nein ... das ist nicht wahr! Verständen Sie mich, so wäre mir leichter ums Herz. Ich möchte diese Last von meiner Seele wälzen, aber – ich finde keine andere Seele, die sie mit mir auch nur teilen wollte, die mich versteht ... Nein, keine!

TSCHEPURNOI. Meine Liebe! Teuerste! Lassen Sie das! Gehen wir in den Garten ... was das hier für ein Geruch ist! Als ob man einen alten Gummischuh in Fastenöl gebraten hätte ...

LISA. Ja ... der Geruch ... mir wird ganz schwindlig ...

ANTONOWNA tritt aus dem Speisezimmer. Lisonjka, es ist Zeit, die Tropfen einzunehmen, und du hast die Milch noch nicht getrunken!

LISA ins Speisezimmer gehend. Gleich ...

TSCHEPURNOI. Nun, wie geht's, Antonowna?

ANTONOWNA den Tisch aufräumend. Nun ... es macht sich ... ich kann nicht klagen.

TSCHEPURNOI. Das ist ja schön! Und wie steht's mit der Gesundheit?

ANTONOWNA. Gott sei Dank ...

TSCHEPURNOI. Schade. Sonst hätte ich Sie kuriert.

ANTONOWNA. Kurieren sie lieber Hunde ... Ich bin kein Hündchen ... Lisa tritt ein.

TSCHEPURNOI. Und ich möchte doch so gern einen guten Menschen kurieren ...

LISA. Wollen wir gehen? ... Tritt durch die Tür auf die Veranda. Protassow mit einer Retorte in der Hand.

PROTASSOW. Alte, kochendes Wasser!

ANTONOWNA. Ich hab kein kochendes Wasser ...

PROTASSOW. nun, ich bitte dich recht sehr!

ANTONOWNA. Warte – das Wasser im Samowar wird gleich kochen ... Hast du mit Jegor gesprochen?

PROTASSOW. Ja, ja ...

ANTONOWNA. Hast du ihm ordentlich zugesetzt?

PROTASSOW. Sehr! Weißt du, er hat vor angst förmlich gezittert: Ich habe ihm gesagt: »Weißt du, guter Freund, ich schicke dich ...«

ANTONOWNA. Zum Polizeimeister.

PROTASSOW energisch werdend. Nein, nein ... nun einerlei! Aber zum Gericht ... zum Friedensrichter ...

ANTONOWNA. Besser wär's gewesen, ihn mit dem Polizeimeister zu schrecken ... Nun, und er?

PROTASSOW. Und er ... weißt du, was er mir geantwortet hat? »Herr«, hat er gesagt, »du bist ein Narr!«

ANTONOWNA ungläubig. Was du sagst?

PROTASSOW. Ja, gewiß. »Ein Narr sind Sie«, hat er gesagt ... »Stecken sie Ihre Nase nicht in Dinge, die Sie nichts angehen«, hat er gesagt ...

ANTONOWNA. Das hat er gesagt? Ist das möglich, Väterchen?

PROTASSOW. Nein, nein, siehst du, Alte –! Das hat nicht er, das habe ich mir gesagt ... Er hat es gedacht, und ich habe es ausgesprochen ...

ANTONOWNA. Ach, dich soll ... Will beleidigt fortgehen.

PROTASSOW. Bring du mir selbst kochendes Wasser ... Fima, diese Zierpuppe, bleibt überall hängen, entweder mit den Ärmeln ... oder ... mit den Röcken.

ANTONOWNA. Ihre Fima hat, wie es scheint, mit dem Sohn des Wirts angebändelt ...

PROTASSOW. Du bist wohl neidisch auf sie?

ANTONOWNA. Püh! Du bist doch der Herr im Hause, du mußt ihr sagen, daß sich sowas für ein junges Mädchen nicht schickt!

PROTASSOW. Na, Alte, laß gut sein! Allerdings, wenn es nach dir ginge, müßte ich den ganzen Tag herumlaufen und allen Leuten sagen, was gut und was nicht gut ist ... Merk es dir: Das ist nicht meines Amtes!

ANTONOWNA. Wozu hast du denn dann studiert? Zu welchem Zweck? Melanija durch die Tür, die nach der Terrasse führt.

PROTASSOW. Nun geh! – Was seh ich – Melanija Nikolajewna!

MELANIJA. Guten Tag, Pawel Fjodorowitsch!

ANTONOWNA. Wer hat denn die Tür nicht geschlossen? Schließt die Tür.

MELANIJA. Sie sehen ja so zufrieden aus!

PROTASSOW. Ich freue mich, daß Sie gekommen sind ... sonst hätte mich die Alte noch zu Tode genörgelt. Und dann ist mir heute eine interessante Arbeit gelungen ...

MELANIJA. Ja? Wie mich das freut! Ich wünschte so sehr, daß Sie berühmt werden ...

ANTONOWNA mürrisch abgehend. In der Stadt sprechen sie schon alle von ihm ... Er ist schon berühmt ...

MELANIJA. Ich hoffe, Sie werden noch einmal so eine Art Pastähr werden ...

PROTASSOW. Hm – darauf kommt es nicht an. Es heißt aber Pasteur ... Ist das mein Buch, das Sie da haben? Haben sie es gelesen? Nicht wahr, das ist interessanter als ein Roman?

MELANIJA. Gewiß! Aber diese Zeichen ...

PROTASSOW. Die Formeln?

MELANIJA. Von Formeln verstehe ich nichts!

PROTASSOW. Die muß man ein wenig lernen ... Jetzt werde ich Ihnen eine Physiologie der Pflanzen zum Lesen geben ... Vor allem aber und mit größter Aufmerksamkeit vertiefen sie sich in das Studium der Chemie! Studieren Sie Chemie und wieder Chemie! Wissen Sie, das ist eine ganz außerordentliche wissenschaftliche Disziplin! Sie ist, im Verhältnis zu anderen Wissenschaften, noch verhältnismäßig wenig entwickelt, aber schon jetzt erscheint sie mir wie das Auge, das alles sieht. Ihr scharfer, kühler Blick dringt sowohl in die Sonnenmasse und in das Dunkel des Erdkörpers wie in die fernsten unsichtbaren Tiefen unseres Herzens, Melanija seufzt, in das geheimnisvolle Wachstum des Steines, in das stumme Leben des Baumes. Die Chemie überblickt alles, und während sie überall Harmonie entdeckt, forscht sie hartnäckig nach dem Ursprung des Lebens ... und sie wird ihn finden, wird ihn finden! Wenn die Chemie erst dahin gelangt sein wird, die Geheimnisse der Zusammensetzung der Materie zu ergründen, wird sie imstande sein, ein lebendes Wesen in einer Retorte herzustellen.