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Ways to God

Eine Geschichte für Firmlinge

Karin Waldl

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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2017 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Telefon: 08382/9090344

Lektorat: Melanie Wittmann

Cover und Illustrationen: Karin Waldl

ISBN: 978-3-86196-684-5 – Taschenbuch

ISBN: 978-3-86196-990-7 – E-Book

Alle Rechte vorbehalten.

Erstauflage 2017

Herstellung: Redaktions- und Literaturbüro MTM www.literaturredaktion.de

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Inhalt

Kapitel 1: Aller Anfang ist schwer

Kapitel 2: Gut, dass es mich gibt

Kapitel 3: Vater, ich komme jetzt zu dir

Kapitel 4: Jesus lebt in meinem Haus

Kapitel 5: Die Begeisterung in unserem Herzen

Kapitel 6: Meine Freunde gehören zu mir

Kapitel 7: Verzeihen ist nicht leicht

Kapitel 8: Lass die Party steigen

Kapitel 9: Momente und Freunde fürs Leben

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Widmung

Dieses Buch widme ich meiner Nichte Paula und meinen Neffen Dominik und Manuel.

Ihr seid wunderbar, ein Segen Gottes, eine Bereicherung unserer Familie und

einzigartige Wegbegleiter meiner drei Kinder Anna, Eva und David.

*

Kapitel 1

Aller Anfang ist schwer

Manchmal frage ich mich wirklich, was all das soll.

Da lief einmal alles rund im Leben. Die Schule war einigermaßen erträglich, die Lehrer waren akzeptabel und die Freunde die besten Kumpels, die man sich vorstellen konnte. Nicht einmal meine Eltern waren sonderlich stressig zu der Zeit. Sie ließen mich grundsätzlich in Ruhe und ich konnte meine Freizeit nach meinen Wünschen gestalten, wenn ich einigermaßen gut mitkam in der Schule.

Ich genoss dieses unbeschwerte Leben.

Und auf einmal wurde alles anders, einfach so. Von einem Tag auf den anderen hatte sich alles gedreht. Mein altes Leben war Vergangenheit. Und alle wünschten mir eine gute Zukunft, keiner hatte eine Ahnung, dass ich darauf gar keine Lust hatte. Ich fühlte mich beschissen.

Aber ich glaube, ihr wisst gar nicht, wovon ich rede. Deshalb fange ich einfach von vorne an und erzähle alles der Reihe nach. Mein Name ist Fabian und ich bin 14 Jahre alt. Mein Leben fand bis vor Kurzem in einem kleinen Ort statt, ungefähr eine Stunde vom Stadtrand Berlins entfernt. Ich wohnte mit meinen Eltern und meinem nervigen kleinen Bruder Niklas, der erst 10 Jahre alt ist, in einem Einfamilienhaus. Wir hatten einen Garten mit einem Pool, an dem ich im Sommer gerne mit meinen Freunden abhing, wenn meine Mum und mein Dad nicht da waren.

Und das kam oft vor, denn mein Papa ist ein angesehener Arzt. Er hat sich als Chirurg auf das Entfernen von Gehirntumoren spezialisiert. Auch wenn die Leute es komisch finden, dass meine Mama Krankenschwester ist, stört mich das nicht. Ich finde die Kombination eher genial.

Mein Bruder ging noch zur Grundschule, während ich in die Nachbarstadt mit dem Bus gondelte, um dort zur Schule zu gehen. Was meiner Meinung nach viel besser war, weil es dort ein Einkaufszentrum gab, durch das ich mit meinen Freunden ziehen konnte. Wir hatten meistens ziemlich viel Spaß.

Wie gesagt, es war ein entspanntes Leben. Sofern ich meine Pflichten erfüllte, blieben meine Eltern ruhig und ließen mich meiner Wege gehen. Aber sie konnten auch kaum anders, denn sie waren fast den ganzen Tag bei der Arbeit. Frühmorgens machten sich beide mit dem Zug auf nach Berlin und kamen spätabends wieder heim. Und so vertrauten sie mir, dass ich keine Dummheiten machte, und bis auf ein paar Kleinigkeiten, die Jungen in meinem Alter eben so verbocken, hielt ich mich auch an dieses Abkommen. Schließlich wollte ich keinen Stress und weiterhin Zeit mit meinen Kumpels verbringen, denn das bedeutete mir alles.

Da hatte es mein Bruder schon härter, denn er war noch zu jung und musste die Nachmittage in der Tagesbetreuung der Schule verbringen. Manchmal war es schon von Vorteil der Ältere zu sein. Man konnte im Großen und Ganzen sagen, dass das Leben überaus schön war zu dieser Zeit.

Doch dann kam dieser eine alles verändernde Tag, der eigentlich super begann. Es war ein Freitag, die Herbstferien standen vor der Tür. Mit mir ging ein Mädchen in die Klasse, dessen Name Sandra war. Ich hatte schon lange ein Auge auf sie geworfen. Sie hatte wunderschöne, lange dunkelbraune Haare. Und ihre grünen Augen waren der Hammer. Genau an diesem Tag wollte ich es wissen. Ich zog eine meiner Shows in der Pause ab, die meine Mitschüler als Kabarett bezeichneten. Doch dieses Mal nahm ich mutig Sandra an der Hand, um eine Parodie über ein Ehepaar vorspielen zu können. Die anderen brüllten vor Lachen, als ich zur Pointe meines schauspielerisch vorgeführten Witzes kam. Aber ich war noch nicht fertig. Ich setzte alles auf eine Karte und zog Sandra nah zu mir. Ohne Vorwarnung küsste ich sie auf den Mund. Innerlich jubelte ich, als ich merkte, dass sie meinen Kuss erwiderte. Die in meinen Gedanken erwartete Ohrfeige blieb aus.

Doch das Verhalten meines Publikums hatte sich verändert. Sie waren verstummt, es war fast unheimlich still. Es dauerte allerdings nicht lange, bis die Mädchen kicherten und die Jungen anerkennend nickten. Aber das Schönste war das bezaubernde Lächeln, das mir Sandra nun schenkte.

Als ich nach der Schule heimging, hatte ich noch immer das wunderbare Gefühl dieses Kusses auf den Lippen. Das war unvergleichlich. Nach den Herbstferien würde ich sie fragen, ob sie mit mir gehen wolle. Das nahm ich mir felsenfest vor. Dass es nie dazu kommen würde, damit hatte ich im Traum nicht gerechnet. Zu Hause erwartete mich nämlich der Familienrat, einberufen von meinen Eltern. Und das war nie ein gutes Zeichen.

Wir setzten uns ins Wohnzimmer. Mein Dad war sichtlich angespannt und meine Mum kämpfte mit den Tränen. Niklas bemerkte die eigenartige Stimmung ebenfalls, denn er sah meine Eltern irritiert an. Was sollte das bloß? Die Antwort folgte sogleich.

„Nach den Herbstferien geht ihr in eine andere Schule“, erhob mein Vater seine tiefe Stimme.

„Soll das ein Scherz sein? Wenn ja, dann ist er echt nicht lustig“, konterte ich grinsend. Aber irgendwie lachte keiner mit. Und plötzlich beschlich mich Panik.

„Fabian, ich meine das ernst“, sagte Dad mit Nachdruck.

„Was ist los?“, fragte ich unsicher.

„Wir haben unsere Arbeit verloren“, erklärte Mum zittrig.

„Beide?“, rutschte es mir vorwurfsvoll heraus.

„Ja, das Krankenhaus wurde von einem Gutachter als baufällig eingestuft. Und da die Kosten der Sanierungsarbeiten in Millionenhöhe steigen würden, haben sie die Klinik einfach geschlossen“, seufzte Papa.

Niklas schaute verwundert drein, er schien nicht ganz zu begreifen, was das zu bedeuten hatte.

„Euer Vater muss seine Forschung zur effektiven Entfernung von Gehirntumoren weiterführen. Und dazu braucht er ein geeignetes Krankenhaus. Leider war in Deutschland keine Stelle zu finden. Wir müssen nach Österreich ziehen“, redete meine Mutter weiter.

Das war eindeutig zu viel. Ich sprang hoch und protestierte lautstark. Auch mein Bruder hatte es jetzt gecheckt. Er wollte genauso wenig weg und verstärkte aufgeregt meinen Aufstand.

„Ruhe!“, schrie Dad aufgebracht.

Mum fuhr fort: „Die Ergebnisse der Forschung eures Vaters können viele Menschenleben retten. Das ist wichtiger als unser Wohnort. Außerdem brauche ich auch einen Job. Und in Graz kann ich auf der Intensivstation anfangen.“

„Graz?“, fragte ich bitter schluckend nach und ließ mich wieder auf die Couch fallen. Mein Leben zog gerade in Bildern an mir vorbei, denn es war nun eindeutig zu Ende. Ich musste alles zurücklassen. Und ich konnte nichts dagegen tun. Tränen der Wut stiegen mir in die Augen. „Ich kann hier nicht weg“, sagte ich in letzter Verzweiflung.

Mein Papa schaute mich lange an, ehe er erwiderte: „Es tut mir leid. Deine Mama und ich würden auch gerne bleiben, aber es geht nicht anders. Wir haben zwei Wochen, um alles einzupacken und uns von unseren Freunden zu verabschieden. Genau in zwei Wochen, am Freitag, werden wir uns auf den Weg machen. Und am darauffolgenden Montag werdet ihr in Graz das erste Mal zur Schule gehen. Das habe ich schon arrangiert.“

Der nächste Schlag ins Gesicht. Die Endgültigkeit dieser Aussage war klar. Jeder Widerstand war zwecklos.

„Wie weit ist Graz weg von hier?“, wollte mein Bruder wissen.

„Ungefähr 900 Kilometer“, antwortete Mum.

Niklas blieb der Mund offen stehen und er fing an zu weinen.

„Warum tut ihr uns das an?“, presste ich vorwurfsvoll hervor.

Dad überlegte kurz, ehe er antwortete. „Fabian, ich verstehe, dass dir das wie der Weltuntergang vorkommen muss. Du musst alle deine Freunde zurücklassen. Aber du bist ein intelligenter und offener Jugendlicher. Ich bin mir sicher, du findest neue Freunde in Österreich. Es wäre besser, du akzeptierst es, um die Zeit mit deinen Freunden hier noch nutzen zu können und das Neue in Graz möglichst rasch anzunehmen. Diesen Rat gebe ich dir, mein Sohn. Und bedenke bitte, dass wir Geld zum Leben brauchen, was ohne Jobs sehr schwierig zu bekommen ist. Halten wir als Familie zusammen, dann schaffen wir das auch. Bitte.“

„Okay“, beschloss ich halbherzig das Gespräch. Er hatte wahrscheinlich recht. Ich sollte den Neuanfang nutzen, denn es blieb mir sowieso nichts anderes übrig.

Wohlwollend drückte ich meinen heulenden Bruder an mich. Wahrscheinlich war es für ihn noch schwieriger. Ich als sein großer Bruder sollte mit gutem Beispiel vorangehen.

Als ich schließlich vor meiner neuen Klasse stand, starrten mich alle wie einen Fremdkörper an. Ich sollte mich vorstellen, aber es war so unangenehm, hier zu sein. Wieder stieg Panik in mir auf, dass die Jugendlichen, die ich vor mir hatte, einem Neuen bestimmt das Leben schwermachten oder ihn einfach ignorierten. Beides war eine Horrorvorstellung für mich.

Es dauerte eine Weile, ehe ich den Mund aufmachen konnte: „Ich bin Fabian Neumann. Ich komme aus der Nähe von Berlin.“

„Ein Deutscher, das hat uns gerade noch gefehlt“, schrie ein pickeliger, kleingewachsener Junge vorlaut.

Innerlich kochte die Angst in mir hoch. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht, dass manchen Österreichern ein Deutscher ein Dorn im Auge sein könnte. Mich persönlich interessierte das nicht, woher jemand kam. Für mich zählte nur, wie er sich mir gegenüber benahm. Aber jetzt war ich der Ausländer und ich hoffte, dass es hier Jugendliche gab, die genauso dachten wie ich.

„Lukas, du bist ein Trottel. Es ist doch egal, dass er aus Deutschland kommt. Solange er nicht so dämlich wie du ist, gehört er zu uns“, blaffte ein Mädchen den Kerl an.

Ein Stein fiel mir vom Herzen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sofort jemand Partei für mich ergreifen würde.

Nun mischte sich der Lehrer ein. „Lukas, ich bin enttäuscht. Ich dachte, du stehst für Toleranz, und dann ist es ein Problem, wenn einer aus einem anderen Land kommt? Als hätten wir sonst keine Probleme! Und Sabine, es freut mich zwar, dass du Fabian in Schutz nimmst, aber du solltest deine Wortwahl bedenken. Es ist nicht besser, jemanden als Trottel oder dämlich zu bezeichnen. Ich wünsche mir einen respektvollen Umgang miteinander. Und ich möchte, dass ihr Fabian eine Chance gebt. Für ihn ist alles neu, er kennt hier niemanden. Deshalb braucht er eure Unterstützung. Alles klar?“

„Ja, Herr Binder“, tönte es gelangweilt durch das Klassenzimmer.