Hilja und der Weihnachtszauber

Ich glaube an den Weihnachtsmann

»Türchen auf«, rufe ich und rase die Treppe runter.

Taimi ist mir dicht auf den Fersen, sodass sie an der Küchentür fast in mich hineinrennt.

Hinter dem Esstisch ist über Nacht eine lange Reihe Adventskalender aufgetaucht.

»Guten Morgen«, sagt Mama, während sie den Tisch deckt.

»Eins, zwei, vier – VIELE Kalender«, zählt Taimi begeistert.

An der Wand hängen drei Reihen mit bunt verzierten Papiertüten, denn Mama hat für jedes Kind, also für Taimi, Aino und mich, einen eigenen Adventskalender gebastelt. Opa hat wie jedes Jahr einen Pfadfinder-Kalender mit Bildern für alle zusammen besorgt, und unsere Tante aus der Stadt hat uns Kindern Schoko-Adventskalender geschickt.

»Kreisch doch nicht so«, schnaubt Aino, die sich zum Frühstück Obst klein schneidet.

»Und du sollst nicht immer so rummeckern«, gebe ich zurück.

Aus dem Tütchenkalender von Mama ziehe ich zwei Puzzlestücke. Sie sehen aus, als würden sie zu einer Landkarte gehören, aber so genau kann man das noch nicht wissen.

Papa kommt gähnend in die Küche.

»Jetzt müsst ihr langsam anfangen, euch zu benehmen, denn die Wichtel …« Papa zeigt zum Fenster.

»Wie viele Tage hat das Jahr?«, frage ich dazwischen.

»365«, sagt Aino wie aus der Pistole geschossen.

Ich nehme den Taschenrechner aus der obersten Kommodenschublade, tippe ein bisschen darauf herum und lächele zufrieden.

»Es gibt also 341 Tage im Jahr, an denen man machen darf, was man will.«

»Na ja, so ist es nun auch wieder nicht«, sagt Mama und gießt sich Milch in den Kaffee.

»Die Wichtel erfahren alles, was das ganze Jahr über passiert«, behauptet Aino. Sie will uns bestimmt bloß Angst einjagen.

»Das sagt die Richtige«, knurre ich.

Aino hat schon seit dem Ende der Herbstferien schlechte Laune, deswegen hoffe ich wirklich, dass die Wichtel auch dann ein Auge auf die Menschen haben, wenn gerade nicht Weihnachtszeit ist.

Taimi streicht Himbeermarmelade auf ihr Toastbrot und sieht dabei sehr nachdenklich aus.

»Was machen die Wichtel eigentlich, wenn nicht Weihnachten ist?«, fragt sie.

»Wahrscheinlich schlafen«, überlege ich laut. »So wie Bären ihren Winterschlaf machen.«

Mama hat eine andere Erklärung: »Sie bearbeiten die Weihnachtspost der Kinder und kümmern sich um die Geschenke.«

Ich zucke so stark zusammen, dass ich fast vom Stuhl falle.

Jetzt ist aber allerhöchste Eisenbahn, denn wenn unsere Wunschzettel nicht rechtzeitig ankommen, liegen unter dem Weihnachtsbaum bestimmt wieder nur weiche Päckchen. Über die freut sich zwar Mama, aber ich kann damit überhaupt nichts anfangen.

»Der ganze Weihnachtskram ist doch eine einzige große Werbeveranstaltung für einen Limo-Konzern«, sagt Aino schnippisch und steht von ihrem Platz auf.

Mama wirft ihr einen besonderen Blick zu.

»Gar nicht!«, rufe ich.

»Also, ich glaube an den Weihnachtsmann«, meint Papa.

»Ich auch!«, bekräftigt Taimi.

»Dürfen wir nach der Schule das Kinderzimmer schmücken?«, frage ich.

»Natürlich«, sagt Mama und verspricht, die Weihnachtsdekoration vom Dachboden zu holen.

 

Dann bittet er uns, ihm zu helfen, auch draußen die Weihnachtsbeleuchtung anzubringen.

»Hängt alles auf, was ihr findet!«, ruft Mama aus der Tür ihres Friseursalons.

Mama mag unsere düsteren finnischen Winter auf dem Land nicht, aber sie kommt ja auch ursprünglich aus der Stadt, und da ist es immer hell.

Ich habe mal ein Foto von der Erde im Dunkeln gesehen, von oben konnte man erkennen, wo überall Licht an war. Die Küsten sahen aus wie leuchtende Perlenschnüre, und überall wo Städte waren, war es ganz hell. Wir wohnen da, wo es nur schwarz ist, aber ich habe im Dunkeln keine Angst, weil ich eine nagelneue Taschenlampe im Rucksack habe.

Taimi und ich halten den Karton mit der Lichterkette fest, die Papa jetzt um die kleine Fichte im Vorgarten legt. Als Nächstes steckt er an den Seiten der Auffahrt Lichtspieße in die Erde.

»Die leuchten mit Sonnenenergie«, sagt er begeistert.

»Zum Aufladen wird es schon reichen«, sagt Papa. Er glaubt eben einfach alles.

Dann lassen Taimi und ich ihn im Schuppen alleine nach den Laternen für die Außentreppe suchen und laufen schnell wieder ins Haus, denn der Brief an den Weihnachtsmann kann nun wirklich nicht mehr warten.

Ich entscheide mich für mintgrünes Briefpapier und spitze einen Bleistift an.

»LIEBSTER WEIHNACHTSMANN«, buchstabiere ich sorgfältig.

»Der Weihnachtsmann ist nicht mein Liebster«, grinst Taimi.

»Man muss schon ein bisschen höflich sein, damit die Wünsche in Erfüllung gehen«, sage ich.

Dann mache ich eine Liste mit all meinen Wünschen: einen Eishockeyschläger, neue Filzstifte, Superheldenfiguren und irre viele Süßigkeiten. Taimi sagt mir, was ich für sie aufschreiben soll, denn sie geht noch nicht zur Schule. Stupsi kann auch nicht

Taimi sieht mir ganz genau zu, wie ich das Blatt falte und in den Briefumschlag stecke und wie ich dann die Adresse vom Weihnachtsmann draufschreibe.

»Was ist denn?«, frage ich, als Taimi plötzlich ganz still ist.

»Große wissen mehr als Kleine«, sagt sie schließlich.

»Stimmt«, gebe ich zu.

»Was, wenn Aino recht hat?«, überlegt sie laut.

»Du meinst, wegen Weihnachten?«

Sie nickt.

Ich lehne mich zu ihr rüber.

»Weißt du was?«, flüstere ich. »Kleine haben dafür wachere Augen.«

»Und wie hilft uns das weiter?«, fragt sie verwundert.

»Wir sehen Dinge, die andere nicht sehen«, sage ich. »Weihnachtswichtel, Elfen und so was alles.«

»Hast du schon mal einen Wichtel gesehen?«

»Das heißt, Wichtel gibt es vielleicht gar nicht?« Taimi lässt nicht locker.

Wir Schulkinder wissen natürlich, wie es wirklich ist, aber Taimi sieht so traurig aus, dass ich beschließe, sie aufzuheitern. Deswegen, und um Aino zu ärgern, nehme ich mir vor, zu beweisen, dass es Weihnachtswichtel wirklich gibt. Für den Weihnachtsmann kann ich allerdings nicht garantieren.

»Weihnachten hat seinen eigenen Zauber«, versichere ich Taimi. »Ich werde es dir zeigen.«

Taimis Augen glänzen vor Aufregung, und ich hoffe, dass ich mein Versprechen halten kann. Die Operation Weihnachtszauber beginnt! Ich muss mir nur noch überlegen, wo und wie ich damit anfangen soll.

Keinen Fisch, bitte

Am vierten Dezember ist in dem Bildkalender von den Pfadfindern ein Schneemann hinter dem Türchen, aber unser Garten draußen ist grau, und es rieselt nicht einmal eine einsame Schneeflocke vom Himmel. Nur die Bäume bibbern im kalten Wind.

Auch Mama ist schon genervt, weil der Herbst sich so lange hinzieht und sie so oft die Fußböden wischen muss. Der Dreck will einfach nicht vor der Tür bleiben, auch wenn man ihn noch so oft ermahnt.

Heute ist Mama allerdings gar nicht genervt, denn Papa und Mama haben eine Pärchen-Verabredung.

»Wenn ich groß bin, ziehe ich zur Verabredung ein glitzerndes Abendkleid an«, sagt Taimi mit verträumtem Gesicht und bewundert sich selbst im Flurspiegel.

»In der Ehe braucht man keine Abendkleider«, sagt sie knapp.

»Von mir aus kannst du dich jeden Tag in Schale werfen«, sagt Papa schnell. »Ich hab nichts dagegen.«

»Ach, danke«, sagt Mama und lacht.

»Bei meiner Verabredung will ich Fallschirm springen«, verkünde ich. »Oder Bungee-Jumping machen.«

»Na, ihr habt ja Pläne«, sagt Papa lächelnd.

Da klingelt es, und wir lassen die Regenmantel-Omi rein, die uns bespaßen soll, während Mama und Papa irgendwo knutschen und Aino beim Training ist.

»Vergiss deine Hausaufgaben nicht, Hilja«, sagt Mama und wendet sich dann an die Regenmantel-Omi: »Im Kühlschrank sind Pfannkuchen für zwischendurch.«

»Jetzt geht endlich«, sage ich und schiebe Mama und Papa Richtung Haustür.

»Bis später!«, rufen die beiden.

Dann setzen sie sich ins Auto und fahren los. Wir

»Was wollen wir machen?«, fragt die Regenmantel-Omi.

»Lasst uns Eisbären spielen!«, schlage ich vor.

Wir verwandeln das Wohnzimmer in den Nordpol. Unter dem Couchtisch ist das Bärennest. Der Fußboden ist das Eismeer, und man darf nicht darauftreten, sonst geht man unter. Taimi verteilt im Meer kleine Fische aus Holz, die wir mit magnetischen Angelruten fangen. Die Eisbären toben auf dem Teppich, spielen Verstecken und wollen, dass die Regenmantel-Omi sie sucht.

Aino hat mal erzählt, dass die Eisschollen schmelzen und die Eisbären deswegen bald kein Zuhause mehr haben. Auch die Eisbären Taimi und Hilja müssen sich jetzt ein neues Zuhause suchen, in dem es genug zu essen gibt und wo es richtig schön kalt ist.

Auf allen vieren erkunden sie das ganze Erdgeschoss und schnüffeln in allen Ecken, bis sie den Weg zur Regenmantel-Omi in die Küche finden.

»Aber keinen Fisch, bitte«, sagt Taimi.

Mamas Pfannkuchen schmecken den Eisbären. Sie essen viele, denn bis zum Abendessen ist es noch lange hin.