Otto F. Kernberg

Behandlung schwerer Persönlichkeitsstörungen

Bewältigung der Aggression und Befreiung der Erotik

Übersetzung von Elisabeth Vorspohl

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

First Published in the United States by the American Psychiatric Association, Washington DC, USA. Copyright © 2018. All rights reserved.

First Published in Germany by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH.

J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH is the exclusive publisher of Treatment of Severe Personality Disorders: Resolution of Aggression and Recovery of Eroticism, First Edition, (Copyright © 2018), authored by Otto F. Kernberg, M. D., in German for distribution Worldwide.

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Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe

Schattauer

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Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

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Cover: Bettina Herrmann, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von © shutterstock/Photographee.eu

Gesetzt von Eberl & Kœsel Studio GmbH, Krugzell

Gedruckt und gebunden von Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg

Projektmanagement: Dr. Nadja Urbani

ISBN 978-3-608-40020-5

E-Book: ISBN 978-3-608-12058-5

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20469-8

Für Kay, mit all meiner Liebe

Einführung

Dieses Buch ist eine Übersicht der Arbeit, die ich den neurobiologischen und psychodynamischen Determinanten der Struktur, der Entwicklung und des Funktionierens der normalen Persönlichkeit und der Persönlichkeitsstörungen in den vergangenen Jahren gewidmet habe. Es aktualisiert die Forschungsergebnisse des Personality Disorders Institute of the Weill Cornell Medical College Department of Psychiatry, denen neben empirischen Studien und klinischen Untersuchungen über schwere Persönlichkeitsstörungen auch unsere Erfahrungen mit der Effektivität der Übertragungsfokussierten Psychotherapie (TFP) zugrunde liegen, einer psychodynamischen Behandlung, die wir speziell für diese Störungen an unserem Institut entwickelt haben. Ich konzentriere mich in diesem Buch insbesondere auf eine Gruppe grundlegender Techniken, die sämtlichen psychoanalytisch fundierten Behandlungen gemeinsam sind, und arbeite die jeweilen Unterscheidungsmerkmale der verschiedenen psychodynamischen Therapieverfahren heraus. Dieses Material ist in Teil I und Teil II enthalten.

Teil III des Buches ist einer auf den aktuellen Stand gebrachten Übersicht der schweren narzisstischen Pathologie gewidmet. Teil IV untersucht die Psychopathologie der Erotik und die Probleme im Liebesleben von Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen. Der abschließende Teil V behandelt allgemeine wesentliche Fragen, die mit der Bewältigung der Herausforderungen des Lebens dieser Patienten zusammenhängen sowie mit der Fähigkeit zu trauern und ihren Auswirkungen. Gegenstand des letzten Kapitels sind Grundvoraussetzungen, die in der Ausbildung psychodynamischer Psychotherapeuten erfüllt sein müssen, damit sie der anspruchsvollen und komplexen Arbeit auf diesem Gebiet gerecht werden können.

Im Folgenden fasse ich den Inhalt der einzelnen Buchkapitel kurz zusammen.

Im 1. Kapitel von Teil I, »Persönlichkeitsstörungen«, untersuche ich ein modernes Konzept der Persönlichkeit, das sowohl den genetischen und konstitutionellen Determinanten ihres Funktionierens Rechnung trägt, das in den Schicksalen der Organisation des zentralen Nervensystems Ausdruck findet, als auch dem Einfluss intrapsychischer Entwicklungen, die eine zweite Ebene der strukturellen Determinanten dieses Funktionierens bilden. Kurzum, dieses Kapitel ist ein Versuch, genetische und neurobiologische Einflüsse auf die Organisation und das Funktionieren der Persönlichkeit mit psychodynamischen und Umwelteinflüssen zusammenzuführen.

Im 2. Kapitel diskutiere ich die heutige Klassifikation der Persönlichkeitsstörungen durch die American Psychiatric Association. Ich erläutere die Konsequenzen der unterschiedlichen Blickwinkel und Diskussionen, die darüber geführt wurden und unter deren Einfluss sowohl die traditionelle Klassifikation des DSM-III und DSM-IV entstand als auch die neue Klassifikation des DSM-5, für die ein neuer Kenntnisstand maßgeblich war. Sie wird dem heutigen Verständnis der Persönlichkeitsstruktur in höherem Maße gerecht und illustriert zugleich die Konflikte zwischen wissenschaftlichen und politischen Erwägungen, die sich der Klassifikation der Persönlichkeitsstörungen als hinderlich erwiesen haben.

Das 3. Kapitel beschreibt detailliert unser heutiges Wissen über die Vernetzungen von neurobiologischen Strukturen und Neurotransmittern mit den psychodynamischen Determinanten der Organisation unserer Psyche und deren komplexe Interaktion.

Zusammen bieten diese drei Kapitel eine aktualisierte Übersicht unserer Kenntnisse über das Funktionieren der Persönlichkeit, die Beziehung zwischen Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörungen und die Entwicklungsaspekte der Entstehung schwerer Persönlichkeitsstörungen.

Teil II des Buches, »Das Spektrum psychoanalytischer Psychotherapien«, beschäftigt sich mit psychodynamischen Psychotherapien und den modernen Weiterentwicklungen und einschlägigen Kontroversen. Das 4. Kapitel beschreibt vier grundlegende psychoanalytische Techniken, die als gemeinsame Basis der Standardpsychoanalyse und der von ihr hergeleiteten psychoanalytischen Psychotherapien betrachtet werden, nämlich Deutung, Übertragungsanalyse, technische Neutralität und Verwendung der Gegenübertragung.

Das 5. Kapitel illustriert, wie die zentrale Technik der Deutung in der TFP schwerer Persönlichkeitsstörungen eingesetzt wird. Es zeigt anhand eines klinischen Falls, dass Patienten mit schwerer Persönlichkeitsstörung entgegen früheren Annahmen von der Deutung als wichtigem technischen Instrument profitieren können.

Im 6. Kapitel fächere ich das gesamte Spektrum der psychodynamischen Techniken auf, die die Anwendung der im 4. Kapitel beschriebenen Grundtechniken konstituieren. Zusammen geben das 4. und das 6. Kapitel eine vollständige Übersicht des psychotherapeutischen Behandlungsinstrumentariums, das der Psychoanalyse und allen psychoanalytischen Psychotherapien gemeinsam ist.

Eine kurze, zusammenfassende Darstellung der TFP, die auch die jüngsten klinischen und Forschungsergebnisse berücksichtigt, folgt im 7. Kapitel. Diese psychodynamische Psychotherapie für schwere Persönlichkeitsstörungen wurde vom Personality Disorders Institute entwickelt. Das Kapitel beschreibt zudem die Anwendung der vier wesentlichen psychoanalytischen Techniken – Deutung, Übertragungsanalyse, technische Neutralität und Verwendung der Gegenübertragung – in der TFP.

Das 8. und letzte Kapitel dieses Teils ist einer modernen supportiven psychodynamischen Psychotherapie gewidmet und vervollständig somit das gesamte Spektrum, das von der Psychoanalyse an einem Pol bis zur stützenden Psychotherapie am anderen reicht.

In Teil III des Buches, »Narzisstische Pathologie«, geht es um die schwere narzisstische Pathologie, ihre Diagnose, Prognose und Behandlung. Das 9. Kapitel enthält eine Übersicht der klinischen Syndrome und entsprechenden Behandlungsmöglichkeiten der narzisstischen Persönlichkeitsstörung und beschreibt die rasanten Entwicklungen, die sich in den vergangenen Jahren auf diesem Gebiet vollzogen haben. Diese klinischen Funde und Forschungsergebnisse haben zur Klärung der stark variierenden Schweregrade und erheblichen Unterschiede der klinischen Manifestationen einer für die narzisstische Persönlichkeitsstörung spezifischen Organisation, der differenziellen prognostischen Kriterien und der therapeutischen Techniken beigetragen.

Das 10. Kapitel beschreibt die spezifischen Verzerrungen der verbalen Kommunikation im therapeutischen Austausch mit narzisstischen Patienten, die sich im Prozess ihres freien Assoziierens widerspiegeln.

Im Mittelpunkt des 11. Kapitels steht die Differenzialdiagnose des antisozialen Verhaltens als wichtigster Indikator einer nur eingeschränkten Behandelbarkeit von Patienten mit narzisstischer Pathologie. Das Kapitel klärt auch die noch immer umstrittene Art der Beziehung zwischen der narzisstischen Pathologie in einem allgemeinen Sinn und der spezifischen antisozialen Persönlichkeitsstörung, der schwersten Form des pathologischen Narzissmus. Diese Differenzialdiagnose sollte für alle Angehörige der psychischen Gesundheitsversorgung, die mit der narzisstischen Psychopathologie arbeiten, von größtem Interesse sein.

Teil IV des Buches, »Erotik in der Übertragung«, ist der Diagnose und Behandlung der Sexualpathologie sowie den Schicksalen des Liebeslebens von Menschen mit schwerer Persönlichkeitsstörung gewidmet. Das 12. Kapitel untersucht den diagnostischen Prozess der Evaluierung von Schwierigkeiten im Liebes- und Sexualleben von Menschen mit Persönlichkeitsstörungen sowie die entsprechenden Gegenübertragungsentwicklungen des Therapeuten. Dieses Kapitel illustriert auch typische sexuelle Konflikte auf der Ebene der neurotischen Persönlichkeitsorganisation bei weniger schweren Persönlichkeitsstörungen.

Das 13. Kapitel fokussiert speziell auf die erotische Übertragung und Gegenübertragung bei Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsorganisation. Es ist der Versuch einer umfassenden Übersicht der verschiedenen Symptome und interpersonalen Probleme, die sich aus schweren sexuellen Hemmungen und Einschränkungen der Fähigkeit dieser Patienten herleiten, verbindliche enge Beziehungen zu führen.

Teil V des Buches, »Verleugnung der Realität, Trauer und die Ausbildung von Psychotherapeuten«, thematisiert spezifische Probleme, die als gravierende Konsequenzen schwerer Persönlichkeitsstörungen auftreten. Das 14. Kapitel konzentriert sich auf die Verleugnung der Realität als wichtiges, existenzielles Problem der betroffenen Patienten, auf die entscheidende Aufgabe des Therapeuten, seine Aufmerksamkeit für blinde Selbstdestruktivität zu schärfen, und die Notwendigkeit, die Folgen der Realitätsverleugnung abzuklären und zu bearbeiten. Diese Problematik taucht als maßgebliche Schwierigkeit in psychotherapeutischen Langzeitbehandlungen dieser Patienten auf. Ihre Bewältigung kann den Weg zu bereichernden neuen Lebenserfahrungen und Erfolgen bahnen.

Im 16. Kapitel geht es um das Konzept einer idealen Ausbildungseinrichtung, in der die psychodynamische Psychotherapie gelehrt und weiterentwickelt werden kann. Psychoanalytische Institute dienen als Beispiel, um zu zeigen, welche charakteristischen Merkmale eine solche Einrichtung aufweisen könnte. Das Kapitel ist zugleich auch eine Kritik an der heutigen psychoanalytischen Ausbildung und beschreibt, wie die Weiterentwicklung und Lehre der psychodynamischen Psychotherapie als Aufgabe psychoanalytischer Institute optimal gestaltet werden könnten.

Dieses Buch ist also ein Versuch, eine integrierte und aktualisierte Übersicht unserer Kenntnisse über Persönlichkeitsstörungen sowie ihre neurobiologischen und psychodynamischen Determinanten zu geben. Es beschreibt und diskutiert darüber hinaus eine spezifische psychodynamische Psychotherapie, die auf die Bewältigung der eigentlichen Psychopathologie dieser Störungen, nämlich das Syndrom der Identitätsdiffusion, und ihres Einflusses auf das emotionale Wohlergehen und Beziehungen zu wichtigen anderen Menschen zielt. Zwei spezifische Aspekte der schweren Persönlichkeitsstörungen werden hier detailliert untersucht: die Beschaffenheit der narzisstischen Pathologie und ihre Behandlung sowie die traditionell vernachlässigte, aber maßgebliche Bedeutung der Exploration und therapeutischen Behandlung des verarmten Liebeslebens von Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen, insbesondere solchen mit signifikanter narzisstischer Pathologie. Dieses Buch wird, so hoffe ich, für alle Kliniker von Nutzen sein, die diesen Patienten zu helfen versuchen.

Dank

In den vergangenen Jahren haben Dr. Betty Joseph und Dr. André Green, deren beider Tod für das heutige psychoanalytische Denken ein großer Verlust ist, meine Untersuchungen der psychoanalytischen Theorie und Technik tiefgreifend beeinflusst. Zu weiteren europäischen Kollegen, deren Arbeit mich inspiriert hat, zählen in Großbritannien Drs. Anne-Marie Sandler und Joseph Sandler, beide verstorben, sowie Dr. Ronald Britton; in Deutschland haben Dr. Peter Buchheim, Dr. Horst Kächele(verstorben), Dr. Irmhild Kothe-Meyer (verstorben), Dr. Rainer Krause, Dr. Ernst Lürssen (verstorben) sowie Drs. Gerhard Roth, Almuth Sellschopp und Peter Zagermann mein Denken über die Grenzen zwischen heutiger psychiatrischer und psychotherapeutischer Arbeit einerseits und Psychoanalyse andererseits beeinflusst. Für ähnliche Einflüsse und Erfahrungen danke ich Drs. Anna Maria Nicolò und Paolo Migone in Italien und Dr. Miguel Angel Gonzalez Torres in Spanien. In den USA durfte ich viele wissenschaftliche und persönliche Gespräche mit Dr. Martin Bergmann (verstorben), Dr. Harold Blum, Dr. Robert Michels, Dr. Robert Wallerstein (verstorben), Dr. Robert Tyson und Dr. Robert Pyles führen. Auf meine Überlegungen zur psychoanalytischen Ausbildung haben Drs. Cláudio Eizirik und Elias Mallet da Rocha Barros in Brasilien, Drs. Sara Zac de Filc und Isidoro Berenstein in Argentinien sowie César Garza Guerrero in Mexiko tiefgreifenden Einfluss ausgeübt.