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Fürstenkinder
– 13 –

Der Erbe von Schloss Kreuth

Ein kleiner Junge im Mittelpunkt erregender Geschehnisse

Viola Marquardt

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74096-878-6

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Im sogenannten kleinen Speisesaal saßen die Möllns beim ersten Frühstück.

Gräfin Juliane, Graf Hubertus, ihr Sohn, und die Gräfin Alma, ihre Tochter, sowie deren Gatte, Graf Severin Paumgartten.

Der kleine Speisesaal war, wie fast alle Räume des Schlosses Kreuth, von düsterer Vornehmheit. Die dunkel getäfelten Wände, die schweren alten Sessel mit ihren unbequem geschnitzten Lehnen, der holländische Kronleuchter aus nachgedunkeltem Kupfer und die in düsteren Farben gehaltenen Ölgemälde, die Stilleben und Jagdszenen darstellten – alles schien darauf abgestimmt, den in diesem Raume Speisenden den Appetit zu verderben.

Die Fenster waren zu hoch, aber es fiel durch sie nur eine grünliche Dämmerung hinein, da Gräfin Juliane sich nicht entschließen konnte, die riesigen alten Ulmen schlagen zu lassen, die Licht und Luft von dem Schlosse fernhielten. Die Möllns aßen wenig und wechselten nur wenige halblaute Worte miteinander. Es war, als läge ein Druck über den hochgewachsenen Gestalten, deren Familienähnlichkeit verblüffend stark hervortrat – sogar bei Graf Severin, der zwar ein Paumgartten, aber immerhin ein Vetter zweiten Grades seiner Frau war.

Gräfin Juliane war vierundsechzig Jahre alt, eine große, knochige, ziemlich reizlose Frau. Das kühn vorspringende Möllnsche Profil stand nur den männlichen Abkömmlingen gut –, die Mädchen und Frauen kamen dadurch entschieden schlechter weg.

Gräfin Alma war ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Da waren die gleiche etwas hohe Stirn, die gleichen starken Brauen, die gleichen großen Augen von kaltem Graugrün, die gleiche prägnante Nase und der gleiche schmallippige Mund. Nur war das Haar der alten Gräfin bereits stark von Grau durchzogen, das der jungen hingegen von dem typisch Möllnschen Dunkelbraun, das bei künstlichem Licht für Schwarz gehalten werden konnte.

War die Gräfin Alma eine zwar imposante, aber keineswegs betörende Erscheinung, so konnte Graf Hubertus, der ihr ähnelte, als auffallend schöner oder doch interessanter Mann gelten. Nur der kalte, hochmütig-verschlossene Ausdruck, der auf seinen Zügen lag und ihn um vieles älter machte, ließ ihn wenig sympathisch erscheinen.

Paumgartten, der einzige bei Tisch, der es sich schmecken ließ, war ebenfalls ein stattlicher Mann. Er trug sich sehr elegant, beinahe stutzerhaft, und stach dadurch von seinem Vetter und Schwager Hubertus ab, der in seiner abgewetzten Wildlederjoppe keineswegs geeignet schien, ein Modevorbild abzugeben.

Gräfin Juliane und Gräfin Alma trugen übrigens Trauer.

Ein weißhaariger, vom Alter gebeugter Diener erschien und begann, lautlos das Geschirr abzuräumen.

Als er den Raum verlassen hatte, brach Paumgartten das Schweigen.

»Und wozu hast du dich entschlossen, Schwiegermama?« fragte er, mit einem Briefe spielend, der die ganze Zeit über anscheinend unbeachtet auf dem Tisch gelegen hatte.

Gräfin Julianes Lippen wurden noch schmaler, als sie es schon von Natur aus waren. Man merkte, daß sie ihre ganze Beherrschung brauchte, um ihrer Erregung nicht freien Lauf zu lassen. Ihre großen, aber schön geformten, sehr weißen Hände schlossen und öffneten sich krampfhaft. »Hubertus wird noch heute an diese –, an Raouls Witwe schreiben und sie auffordern, mit ihrem Sohn nach Kreuth zu kommen!« antwortete sie hart.

»Mama!« Gräfin Alma fuhr entsetzt hoch. »Das kann nicht dein Ernst sein! Du willst diese –, diese Abenteurerin, diese ehemalige Schauspielerin in die Familie aufnehmen?«

»Ich wollte, ich wäre nicht dazu genötigt!« gab die Gräfin Juliane scheinbar ruhig zurück. »Wie die Dinge liegen, bleibt uns ja doch nichts anderes übrig, wenn wir nicht einen noch ärgeren Eklat heraufbeschwören wollen. Raoul –«, hier lief ein Zucken um ihren herben Mund –, »ist tot. Und da er so – unbedacht war, diese Ehe einzugehen, trägt seine Witwe den Namen Mölln, und sein Sohn wird, wenn Hubertus’ Ehescheu anhält, einmal der Erbe von Kreuth sein. Das sind Tatsachen, die, so unangenehm sie uns auch berühren mögen, doch nicht aus der Welt zu schaffen sind.«

»Erbschleicherin!« fauchte Gräfin Alma.

»Erlaube –, das doch wohl gerade nicht!« ließ sich ihr Gatte vernehmen.

Graf Severin liebte es zuweilen, die Möllns mit seinen freien Ansichten – oder was er dafür hielt – zu schockieren. Er malte und hielt sich für einen Künstler, obgleich er in Wahrheit nur ein höchst mittelmäßiger Dilettant war. Und zu einem Künstler gehörten nun einmal freiere Ansichten.

»Ich muß sagen, daß mir die Kleine sogar irgendwie imponiert!« fuhr er fort, obwohl sich das Antlitz seiner Frau auf bedrohliche Weise verdunkelt hatte. »Ihr Brief ist – wie soll ich sagen? – recht couragiert. Sie erbittet die Erlaubnis, zur Bühne zurückkehren zu dürfen, um für ihren eigenen und den Unterhalt ihres Kindes aufzukommen. Der gute Raoul scheint sie in einer ziemlich bedrängten Lage zurückgelassen zu haben. Trotzdem bittet sie um nichts –«

»– sondern zieht es vor, uns zu erpressen!« unterbrach ihn Alma scharf. »Was ist es anderes als eine Erpressung, wenn sie droht, zur Bühne zurückzukehren? Sie weiß natürlich ganz genau, daß wir Möllns das nicht dulden werden –, nicht dulden können! Oh, die Person ist schlau, sehr schlau! Mit ihrem Sohn hält sie den Trumpf in der Hand und wird sich nicht scheuen, ihn gegebenenfalls auszuspielen!«

Rote Flecken brannten auf Gräfin Almas Wangen. Daß ihre Ehe kinderlos geblieben war, hatte sie noch nie als so tiefe Schmach empfunden wie gerade heute. Da Hubertus darauf beharrte, unvermählt zu bleiben, wäre es an ihr gewesen, Schloß Kreuth den Erben zu schenken –, auch wenn dieser Erbe nicht den Namen Mölln geführt hätte. Aber sie war der Familie, war Kreuth den Erben schuldig geblieben. Diese kleine Schauspielerin, Raouls unerwünschte und von den Möllns niemals anerkannte Frau, hatte ihn geboren.

Und nun sollte sie das Zeugnis ihrer Niederlage täglich vor Augen haben?

»Mama!« wandte sie sich tief erregt an die alte Gräfin. »Du kannst nicht von uns verlangen, daß wir uns mit dieser –, dieser Frau an einen Tisch setzen! Begreifst du nicht, daß ein solcher Schritt, wie du ihn zu tun beabsichtigst, praktisch einer Anerkennung gleichkommt, Raouls Heirat anzuerkennen, und nun –«

»Damals lebte Raoul noch.« Ein kaum merkbares Beben ging über die wie aus Stein gemeißelten Züge der alten Frau. »Ich hoffte, er werde sich eines Tages auf seine Pflicht besinnen – auf das, was er dem Namen Mölln schuldig ist. Ich hätte mein halbes Vermögen geopfert, um diese – seine Frau damit abzufinden.« Die starke weiße Hand glitt über die gefurchte Stirn. »Das alles ist nun hinfällig geworden. Mein ältester Sohn ist tot. Aber er hat seinerseits einen Sohn hinterlassen. ›Begreifst du nicht?‹ sagst du. Mir scheint, daß du es bist, die nicht begreift, nicht begreifen will. Seit eh und je hat immer der älteste Sohn und nach ihm der Sohn des ältesten Sohnes Schloß Kreuth übernommen. Ich denke nicht daran, an diesem Hausgesetz zu rütteln.«

»Du hast Raoul immer lieber gehabt als uns, obwohl er dir nichts als Sorgen gemacht hat!« rief Alma in anklagendem Ton und wandte sich, gleichsam eine Unterstützung, zumindest aber eine Bekräftigung heischend, an ihren Bruder Hubertus, der die ganze Zeit wie unbeteiligt dabeigesessen hatte.

Auch jetzt schwieg er. In seinem scharfgeschnittenen Gesicht zuckte kein Muskel.

Dieses starre Schweigen brachte Gräfin Alma noch mehr auf. »Ja, sitz’ nur da, als ob dich das alles nichts anginge!« rief sie vorwurfsvoll. »Du wirst schon sehen, wohin es führt, wenn Mama tatsächlich ihren Entschluß ausführt! Ein Kind wird dir deinen Anspruch auf Kreuth vor der Nase wegschnappen – das Kind einer kleinen Schauspielerin! Eines Tages –«

Hubertus hatte seine Serviette weggelegt und sich abrupt erhoben.

Nach einer angedeuteten Verbeugung in die Richtung seiner Mutter verließ er raschen Schrittes den Saal.

Graf Severin sah ihm unter halbgesenkten Lidern nach. Eigentlich konnte er den undurchsichtigen Schwager, bei dem man nie wußte, wie man mit ihm dran war, nicht leiden. Aber jetzt war nicht der geeignete Zeitpunkt, dieser Abneigung nachzugehen. Die Famile – dies war Graf Severins Ansicht – mußte jetzt zusammenhalten wie ein Mann. Nur so konnte man des unerwünschten Eindringlings Herr werden.

Er verzog den Mund zu einem etwas gezwungenen Lächeln. »Ärgere dich nicht, Alma. Überlaß die Entscheidung deiner Mutter. Sie wird, wie immer, auch hierin das Richtige treffen!« fügte er geschmeidig hinzu.

Aber Gräfin Juliane tat ihrem Schwiegersohn nicht den Gefallen, sich für die geleistete Schützenhilfe dankbar zu zeigen. Sie warf Alma einen kalten Blick zu. »Ich tue, was ich für richtig halte. Sentimentalitäten sind hier völlig fehl am Platz. Ich schreibe noch heute an diese Frau und fordere sie auf, hierher zu kommen.«

Wenn Gräfin Juliane sich dieses Tones bediente, war jeder weitere Widerspruch zwecklos. Alma wußte das. Darum unternahm sie auch keinen Versuch mehr, die Mutter umzustimmen, sondern beschränkte sich darauf, dem Gatten einen schmerzlichen Blick zuzuwerfen. »Hubertus hätte sich auch an der Debatte beteiligen können!« murmelte sie, während sie sich erhob. »Aber von ihm eine menschliche Regung zu verlangen, wäre ja absurd. Er ist ein Egoist reinsten Wassers. Freilich sollte er gerade deswegen… Aber bei ihm weiß man ja nie…«

Währenddessen lehnte der also Apostrophierte draußen und sah mit finster zusammengezogenen Brauen über die Landschaft hin, ohne etwas von deren Lieblichkeit wahrzunehmen. Aber die Gedanken und Erinnerungsbilder, die ihn bedrängten, waren auch alles andere als lieblich.

Immer der Zweite. Immer im Schatten des hübschen, liebenswürdigen, charmanten Bruders, der nichts zu können, nichts zu leisten braucht, weil er ja doch alle Lehrer in seinen Bann zieht – kraft seines bezwingenden

Charmes, den er so zielbewußt einzusetzen weiß. Man selbst ist zwar Vorzugsschüler, wird auch pflichtschuldigst gelobt –, aber die Herzen fliegen dem Nichtsnutz von Bruder zu, immer und überall…

»Ein Pferd, Hubertus? Hm, du bist noch etwas jung –, vorläufig tut es das Pony auch –, im nächsten Jahr sprechen wir wieder darüber…«

Aber schon nach wenigen Monaten wird wieder darüber gesprochen – anläßlich von Raouls vierzehnten Geburtstag. Der dreizehnjährige Hubertus ist zu jung für ein richtiges Reitpferd, der vierzehnjährige Raoul nicht –, obwohl er mit Pferden überhaupt nicht umzugehen weiß, sich nur für Autos mit starken Motoren interessiert.

Autos, wie ihn eines davon zweiundzwanzig Jahre danach vom Leben zum Tode befördern wird…

Graf Hubertus schloß sekundenlang die graugrünen Augen, derer kalter Ausdruck für gewöhnlich nicht für ihren Besitzer sprach.

Das Pferd war ein hübscher Brauner gewesen, temperamentvoll und feingliedrig. Nach genau sechs Monaten hatte es erschossen werden müssen, weil Raoul das untrainierte Tier über ein Hindernis gehetzt hatte, dem es nicht gewachsen war. Noch heute sah Hubertus den anklagenden Blick der Pferdeaugen vor sich.

Er hatte seinem Bruder nie vergeben. Er vergab ihm auch heute nicht, wenige Tage nach Raouls Tod. Und er wußte, daß er nie dazu imstande sein würde.

Raoul war tot, aber er, Hubertus, war trotzdem der Zweite und würde es bleiben. Denn ihnen allen zum Trotz hatte Raoul darauf bestanden, diese kleine, bürgerliche Schauspielerin zu heiraten und ein Kind mit ihr zu haben.

Ein Kind, einen Sohn –, den Erben von Kreuth.

Er, Hubertus, würde das Erbe bloß verwalten dürfen, um es dereinst in die Hände dieses Knaben zu legen, der den Namen der Möllns führte, ohne ihnen ebenbürtig zu sein.

Der Enkel des Grafen Mölln…

*

Währenddessen saß die, um welche die Gedanken aller Möllns kreisten, in ihrem bescheidenen Hotelzimmer außerhalb Monte Carlos und hielt ihr Kind auf dem Schoß. Weniger, um es zu beschützen, als um aus seiner Nähe einen gewissen Trost zu schöpfen. Ist es doch beinahe ebenso oft das Kind, das der Mutter eine Stütze ist, wie umgekehrt…

Maleen Mölln trug nicht Trauer. Nicht aus Pietätlosigkeit, sondern ganz einfach darum, weil ihre erschöpften finanziellen Mittel ihr die Anschaffung von Trauerkleidung nicht gestatteten. Zur Beerdigung hatte sie sich von dem freundlichen Stubenmädchen ihres Hotels eine schwarze Bluse geliehen.

Wenn die Möllns auf Schloß Kreuth das gewußt hätten!

Der kleine Julian, dem es auf dem mütterlichen Schoß langweilig wurde, strebte energisch aus Maleens Armen. Er war überhaupt ein energisches

Bürschchen –, ein echter Mölln, mit seinen klugen hellen Augen und dem dichten dunklen Haar, das ihm lockig in die Stirn fiel. Nur den Mund hatte er von der Mutter –, diese weichen, zärtlich geschwungenen Linien waren kein Möllnsches Erbteil.

»Mutti, was wird die Oma schreiben?« wollte er wissen.

Maleen seufzte. »Ich weiß es nicht, Julian. Ich denke, sie wird nichts dagegen haben, daß ich wieder Theater spiele. Hoffentlich finde ich bald ein Engagement…«

»Spielst du gern?« fragte Julian mit leuchtenden Augen. »Wirst du die Prinzessin spielen, Mutti? Und darf ich zusehen, wie du spielst?«

Einige Kinder-Nachmittagsvorstellungen, die Julian mit seinen Eltern hatte besuchen dürfen, hatten auf den lebhaften Jungen mit dem empfänglichen Gemüt einen tiefen Eindruck gemacht. Er für sein Teil hätte nichts dagegen gehabt, wenn Maleen sich jener glitzernden Welt zugewandt hätte, in der es so wunderbar und märchenhaft zuging.

Anders Maleen. Ihr graute vor dieser Welt, in die sie sich einst verirrt hatte, ohne für sie geschaffen zu sein. Sie war keine gute Schauspielerin und wußte es. Über ein bescheidenes Mittelmaß würde sie nie hinausgelangen. Sie war schüchtern, leicht zu verletzen, viel zu ernsthaft und schwerblütig. Mit ihrem Talent war es auch nicht weit her. Ihre kleinen Erfolge hatte sie nur ihrem netten Äußeren zu verdanken gehabt, diesem schmalen blonden Typ, der beim Publikum fast immer gut ankommt.

Für die paar Zofen- und Backfischrollen hatte es gerade gereicht. Von dem wohlwollenden Kritiken ermutigt, war ihr daraufhin das Hannele in ›Hanneles Himmelfahrt‹ anvertraut worden. In dieser ersten und letzten Hauptrolle hatte sie versagt, kläglich versagt.