Alfred Döblin
Jagende Rosse
Roman
FISCHER E-Books
Mit einem Nachwort von Sascha Michel
Covergestaltung: bilekjaeger
Coverabbildung: Antoine Degas, ›Bäume am Rand einer Straße‹, ca. 1898
Erschienen bei FISCHER E-Books
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2014
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-402917-7
Den Manen Hölderlins in Liebe und Verehrung gewidmet
Glänzende Augen.
Junges Träumen.
Der Wind geht über Land und Gärten, rührt an die Gräser vor mir, summt auf, legt sich, lau und herbe. Mein Sinn spielt und hascht sich mit ihm; die Gedanken schweifen mir, jagen, vergehen, sind wieder da.
Bläst wieder auf, leis, – du, o du –.
– Die Äste wiegen sich; ja, wie ich in die Luft starre! So heraus gedrängt bin ich aus mir, hin zu – ? – Wohin nur? Vergessen und verloren bin ich.
Da lieg ich im kalten Grase und belausche den Sonnenschein und will ihn heimlich etwas fragen, – ich bin doch anders zu ihm als sonst, – fremder, so viel ferner.
Ich klammere mich auch abends an das Mondlicht und hege verträumt und atmend an der Erde: sie küssen mich nicht mehr, meine Schwestern und Brüder, meine Gespielen, sie lieben mich nicht mehr, und ich blicke sie doch an so verwandelt und lockend, denn es grüßt sie zart aufblühend, überschwenglich, süß und schmerzlich etwas in mir und grüßt sie.
Ach, leise sind die Träume, die ich habe. Mich dünkt, daß ich von manchem um mir scheiden müsse.
Die weißen Wolken oben ziehen und schimmern zu mir herunter; – ist wohl ein Zauber, ein Zauber in der Luft, der bethört alles.
Es ist doch ein Wandel über mich gekommen; ja, so wund, so wund, so aufgerissen und aufgesprungen bin ich. Wonach drängt und tastet mein Herz, daß mir angst wird, wenn es dunkel anschwillt und sich weitet, nicht lassen kann? Wie in ein Märchen bin ich verloren. Die Menschen scheinen mir so matt, tot und traurig; ich sah sie nie so an. Und ich, – nun sind wohl zwei in mir, – ich taumle: bald lache ich und möchte doch schluchzen, und weiß nicht, was es ist. Was ist mit mir geschehen?
Ich träume nicht leise; das ist kein Träumen mehr: das sind doch nasse Thränen hier an meinen Händen: ein Narr und irr bin ich. Die Vögel kommen zurück, sie ziehen in ihr Nest; und mit Bitternis muß ich ihnen nachsehen, weil sie so sicher ihres Wegs ziehen und fliegen.
Traumvoll, in Thränen lallend.
Ach, wo bin ich? Wohin treibe ich?
Krank, krank bin ich, – und einsam. –
Wie es Herr über mich wird.
Bald zwitschert es in mir auf, bald singt es, daß ich zittre und mich dehne vor Überdrang und Schmerz; – vor Schmerz oder wie ich es nennen soll. Es wechselt und mischt sich in mir leise, wie lauer, herber Wind.
Mich lockt etwas und ruft mich. Es quält mich und läßt mir nimmer Ruhe.
Genug. –
– Ich bin müde, ich will schlafen. Und träumen, oh, wie gestern Nacht. –
Mit einem Stein auf der Brust habe ich dagelegen, die Augen weit aufgerissen. Um Hilfe will ich rufen und ich kann nicht die Lippen bewegen und niemand hilft.
Gerungen und gewunden in heller Angst.
Der Stein drückt auf die Brust, und da schreit es, heult wahnsinnig wie ein Tier.
Der Schweiß trieft von der Stirn; es bäumt sich. Und dann hat es noch gekämpft; die Arme sind heruntergesunken. Still, und der Stein drückt langsam die Brust ein, daß das Blut aus dem Munde bricht. Ja, alles lastet auf mir. Geöffnet und aufgebrochen bin ich ganz, und da flattert mein Sehnen hilflos in der Luft und ich starre in den weißen Sonnenschein.
Einsam bin ich. Heiß stürzende Thränen.
Ich frage nicht; was ist mit mir geschehen, sind das meine Hände, mein Haar, mein Kopf; ich staune nicht, daß ich mir fremd geworden bin; ich weiß nur, daß mich Schauer überkommen und daß sie mich fortreißen werden –, wohin?! –
Ich kann nimmer liegen.
Es hat draußen gewittert.
In mir geht ein Sturm auf; Schauer auf Schauer.
Ich muß die Angst abwerfen.
Hinaus.
Oh in die weite Mitternacht hinaus.
– Königstochter, jüngste, mach mir auf! –
Hastige, leise Tritte durchs Gras. Es bleibt stehen, es hastet weiter.
Die weißen Wolken ziehen an dem blauen Nachthimmel still vorüber: hell ist die Frühlingsnacht.
An einer Birke steht es und hält sich fest und legt den Kopf an die Rinde; schaut mit leuchtenden Augen auf den Mondschein. –
Es läßt den Baum los und stolpert weiter: Dann wirft es sich still in das Gras. – Der Wind kichert und weint durch das grüne Gras.
Lange –.
Streicht wie eine Hand über den Waldboden. – Es richtet sich im Gras langsam auf; ein verträumtes, klares, stilles Gesicht.
Horcht auf verlorene Töne nah und fern.
– Faß mich, – noch nicht, haha! –
Der Frühlingsmondschein blüht klar und innig auf der Wiese. Tiefblau und weit ist der Nachthimmel.
Das Haar bewegt sich im Wind. –
Es setzt sich auf einen starken Baumknorren in der hellen Frühlingsnacht.
Die Nüstern zittern, als ob sie etwas in der Tiefe der Nacht witterten.
Die Lippen lächeln glücklich und wild halboffen.
– Aus dem Munde kommt ein gurrendes, leises Lachen.
Es atmet auf, reckt sich, die Arme weiten sich.
Frühling!
Frühling!!
Frühling, Geliebter!!!
Ein Schwindel faßt mich bei den Locken, ein Schrei bricht aus meiner Brust. Selig, unselig, reckend, dehnend.
Du hast mich gesegnet, du hast mich gequält. Nebel gehen über das Land: das sind die Riesen, die Frühlingsriesen; die schreiten mit schweren Schritten in weißen Nebeln über das Land, bücken sich, reißen Erde auf, heben zum Licht. Ich will fliegen wie die Schwalben im Frühling, ich! Sie kreisen im Morgenlicht um mein Haus: bald geht die Sonne auf.
So tief und traumhaft will es mir über das Herz gehen.
So selig ist mir zu Mut, so trunken, brünstig, begehrend und verlangend, – frei lachend und lallend und sehnendheiß und hoch.
Mir ist wie einer Birke, wie einer sprießenden Birke draußen im Walde, die neigt und wiegt sich, als ob ein Gott in ihr erwacht und sich dehnt. Die hab ich wachsen gehört.
Sie surren auf, all die jungen, girrenden Säfte, quellen, überströmen, rütteln an das Herz der jungen Birke; erst verhalten, dann schmetternd und jauchzend, – da brechen die lustigen Frühlingstriebe auf und schlagen aus, wollen die Sonne locken.
Wie sie rufen: wach auf, wach auf –! Es ruft und singt und girrt in mir, webend, schwellend, pochend: Komm mir, komm mir, Sonne. Mein Herz verlangt dir und aller Weite und Höhe nach, – strecke die Arme aus nach dir; du mußt, mußt mir kommen; hörst du, du mußt mir kommen. –
Langsam ist ein Gewitter in mir aufgezogen. Ein Gewitter trage ich in mir, das will niedergehen.
Es weitet sich alles um mich und blüht.
Ich sehe: eine neues Verlangen ist unter den Schauern in mir aufgegangen.
Daß ich Mensch bin, fühle ich, und verstehe es, und schauere darunter.
Oh weiter, weiter.
Oh Lust und Weite. Ungeduldig hebt es sich auf, auffliegen will ich. Wie ich ihm mit Sinn und Atem entgegenlechze; Lust will meine Glieder umspülen.
Du Hohes, Süßes, – Schmerzliches.
Ach was rührt mich leise?
Still hält mich eine Hand fest; es bittet etwas so dringend und klammert sich an meinen Leib. In der Stille, im Traume spricht mich heimlich eine Stimme an, daß ich all das Neue vergessen, verwerfen möchte und die Zähne zusammen beiße und die Augen fest schließe.
Ich habe wohl Angst um mich und Sehnsucht nach meiner Paradiesesstille und meinem Dunkel. Und ein Grauen steigt mir, und Entsetzen vor diesem Drängen und Quellen auf –.
Wie reiß ich mich los?
Ach hätte ich jagende Rosse, die mich forttrügen von aller Angst zu dir –; fort, fort von hier.
Und wenn es mich graut vor dir, so will ich dich; ich will dich haben, oh Weite und Sonne, Menschenleben, – so geb ich mich dir hin, ganz.
Ich habe dich gesucht; dir bin ich geweiht; ich will es, ich will es.
Zerrissen das Gitter; abbrech ich nun alle Brücken, damit ich frei stehe.
Ich bin nicht mehr ohne dich; du wirst mich von mir erlösen – mit deinem letzten Grauen.
Dein letztes Grauen, – sieh, mein Herzblut schreit nach dir; mir ist bang nach dir, oh du.
Ach, nimm mich hin!
Verschling mich!
Das wogt und braust und brandet.
Rauschen und Gischen; Sausen, Murmeln und Flüstern; Flüstern, Rauschen, Brausen, Aufbranden. Sie schlagen bis an den Himmel hinauf und hinein, sie lecken an den lichten Sternen, die Wellen.
Ihre grünweißen Kämme umschlingen Menschen mit starken Armen, mit lohenden Augen, zerrissen und zerwühlt das Antlitz in zuckendem Bangen, Bangen.
Es wehen goldene Weiberhaare; quellende Glieder, sich dehnend und sehnend; Gelächter aus sonnigen Gesichtern und heißes Schluchzen. Dazwischen Ächzen und Brüllen aus qualvoll verschnürten Kehlen. Verschleierte Qual und bitter verzerrte Münder.
Und überall Röcheln, Zanken und Zucken, Angst brechende Blicke.
Die Wellen fluten an, schwellen, höher, höher. Jetzt heult es auf, schlägt auf, – sieh, sieh, es greift mit der Rechten nach dem funkelnden Sterne, umfaßt ihn schon –. Unten Donner, Brüllen.
Das Leben singt um mir mit tausend Lippen.
Es duftet um mich mit Würze, Mandeln und Leidenschaft. Und wie eine Riesenorgel klingt mir das Leben. All das zu atmen, zu trinken, bis zum Grund auszulechzen.
Die Sehne gespannt; und wenn sie auch bricht, was tut das? Ein Mehr ist besser als ein Weniger; Sterben, das Springen und Tönen der Sehne ist besser als zehn Sehnen, heil und lose. Brich aus, mein Blut, vertropf dich nicht! Ach, eine Riesenmauer, aufgetürmt bis an den Mittag der Sonne, bis zum Äußersten, Letzten und dann ein Block von oben und zerschmettert die Stirne; – ach daß es keine Götter giebt, uns zu verderben.
Blumen und Kränze umschlingen mich. Ach, der Duft und die Wonne.
Liegen Kränze auf meinem Haar?
Honig liegt auf meiner Zunge.
Ich bin kein brausendes Gewitter; ein milder Balsamregen bin ich, und mein Herz ist voll und trunken von purpurner Lust und Wein. Lust will sich durch meine Adern gießen.
Ach laßt mich singen das hohe Lied der Lust. Ein süßes Gedüft ist mein Blut und Sinnen, ein Opfer mein Lachen und heimliches Träumen, herzlich dir willkommen. Mein üppiger Mut und blühendes Frohlocken ist eine blutigrote Rose in deinem Haar. Und ich will dein Geliebter sein.
Ich sehe dich lächeln.
Was strahlt die Sonne über das Land?
Wie ich sie liebe.
Sieh die Himmelskönigin, die liebe Frau, sie hat sich mit blauer Seide geschmückt. Ihr Brüstlein, die Sonne, scheint aus der blauen Seide hervor: damit tränkt sie die Erde und den Tag.
Ströme von Wonne wälzen sich ausgeschüttet und dröhnend über die Erde.
Blumen, Musik und Tanz.
Mein helles Auge sieht über die Erde hin, über Menschen, Wälder und Äcker. Wohin ich schaue: reckende Arme.
Oh Himmel und Lust und Leben.
Meine Locken wallen leise. Meine Stimme bricht verhalten aus der Brust.
Leben, ein Tollen und Lachen, ein Aufbrechen aller roten Wunden.
Ein himmlisches, schmerzlichsüßes Verbluten.
Ein Mensch bin ich; das machte mich einmal glücklich, und jetzt bin ich trübe.
Gar zu eng ist der Becher, aus dem ich trinke. Nur ein Mensch bin ich.
Könnte ich dahin, wohin mein Verlangen drängt, ach könnte ich hin zu den Quellen dringen, mich drängen zu den Lippen, von denen alles Leben fließt, Zauber und Träume und Wunder, Glück und Sehnsucht, die brünstige Gewalt, und mag sie mich auch, wenn sie will, gleich fortnehmen. Dann möchte ich gesättigt werden; von den Lippen möchte ich allen Honig saugen. Ausdürsten will ich alle Brüste und Quellen; die Sonne, der Mond und die Sterne, die sollen leuchten in meiner Brust.
Die Menschen wandern und treiben ihr Geschäft, die einen froh, die andern unglücklich; mit Hast und Leere leben sie; sie arbeiten sich müde und traurig und streichen sich vor dem Sterben verwundert die Stirne, selbst fragend und auf eine Frage lauschend. Denn ein Rätsel ist die Sonne und Erde; keiner hörte die Fragen sein Leben lang, die sie stellen und – selber sind; den Menschen scheint vieles zu klar. Mehr Dunkel für diese Menschen.
Ich spüre, ich bin nicht wie sie.
Was ist mir das Leben, wenn ich nicht nach dem Höchsten, Lockenden greifen kann?
Die Arme strecken und in Lust vergehen.
Von dem blauen Himmelsgewölbe strömt alle Lust und Kraft, fragen, singen, rasen alle Rätsel.
Schwing dich, meine Sehnsucht.
Eine Leiter will ich ansetzen, den Nacken an das Gewölbe gelegt, aufgereckt, daß die blaue Himmelsdecke zerbricht und jubelnd hineingestiegen in den ewigen Reigentanz.
Die Leiter, ach wo finde ich die Leiter? Die Leiter zu meinem Ziel? Ach, ich will nicht nur träumen von der Himmelsleiter. Mein waches Leben drängt doch so inbrünstig, still und feiervoll hinauf, wie eine qualenlose, heilige Flamme.
Flamme will doch zu Flamme: Flamme muß doch zu Flamme. –
Hoch und still leuchtet der Tag.
Aus blauen Himmelsfernen schwimmt Leid über meine Brust. Ich liege auf duftenden Blumen, ich wiege mich auf schwellenden Ähren.
Ein Palast schimmert oben mit Springbrunnen und hohen Palmen, und glänzt herunter.
Weh wird mir.
Die Strahlen spielen goldigrot um mein Haar und Haupt und sind ganz ausgebreitet über mich.
Dort hinten neigt sich die Sonne; die Wiesen und Seen leuchten. Nach dem Bronn des Lebens verlangt es mich von ganzem Herzen und ganzer Seele.
Die Strahlen spielen goldigrot um mein Haar und Haupt. –
– Es kommt doch strahlend auf mich zu, in purpurnem Lichtglanze.
Sieh –.
Auf weißem Rosse, die Arme weit ausgebreitet und die Haare flattern wild im Wind, reitet es, jagt es; ja es naht mir, – du meine wetternde Lust, du mein singender Schmerz. Ein süßer Heiland kommt auf die Erde.
Ah, – mit meinen Armen umschling ich dich und halte dich, hosiannah.
Deine Augen flammen Tod; dich lieb ich.
Wie deine weichen Brüste sich an mich drängen; deine glühenden Lippen, – o gieb. Daß du zu mir kamst!
Bist eine Erinnye, ich glaubs; singst so sinnbetörend, sinnverwirrend: Mir brichst du das Herz nicht.
Lausch: ein Brausen und Lachen in der Luft; das ist Hochzeitsmusik.
Schling ich und winde ich um unsre Nacken dein Haar, so sind wir eins. Laß uns Arm um Arm geschlungen auf unser Schloß jagen. Wenn ich dir sagen, dir jauchzen und schluchzen könnte, wie mir ist.
Sie brechen auf, die roten Herzblutwunden der Sonne, in Purpurströmen wallen wir auf, – ein Königsmantel liegt auf dir und mir. Ich höre Fanfaren.
Der lichtüberflutete, strahlende Himmel; still ists in unsern Seelen.
Engel, mit Gliedern sich goldig dehnend in Trunkenheit, mit Wangen zart wie die Morgenröte, die Augen voller Strahlen, sie blasen in Drommeten.
Die Sonne versinkt.
Die Sonne versinkt.
Das Licht will verlöschen.
Ich seh dich nicht mehr und unser Schloß nicht mehr; aber ich fühle, du bist bei mir.
Ruhig wird meine Seele. Sie schwingt sich träumend in Dämmer und Dunkel.
Geheimnisvoll und köstlich weht die Nacht. Wie die Blumen auf den Feldern duften. Der Nachtwind streicht durch die Luft, über Gräser und Blumen, lispelnd.
Blauschwarze Nacht ruht auf allem; atmet; löset still das weiche, süße Haar.
Die Flur regt sich wohl im Glück der Nacht, schlummertrunken, traumvoll und gurgelt ein tiefes Lachen und schaut mit ruhig klaren Augen auf zu dem Glanze, in die weite, segnende Offenbarung.
Die Blüten entfalten sich im Dunkeln; ich spür es, wie sie linde und aller Heimlichkeit vergessen sich öffnen.
Tiefes Duften, lustvoll und stark erhebt und senkt sich; nach blauer Ferne quillt diese Flut, – nach der still auch mich verlangt. –