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Inhaltsverzeichnis

Vorwort
Kapitel 1 - Ruhm und Glanz um welchen Preis?
Frauen und die Musik
Fanny Mendelssohn (1805–1847)
Clara Schumann (1819–1896)
Claire Waldoff (1884–1957)
Kapitel 2 - Die Blauen Reiterinnen
Frauen und die Malerei
Marianne von Werefkin (1860–1938) - Gabriele Münter (1877–1962)
Kapitel 3 - Neues wagen
Frauen und die Wissenschaft
Maria Sibylla Merian (1647–1717)
Henriette Goldschmidt (1825–1920)
Mileva Einstein-Marić (1875–1948)
Anna Freud (1895–1982)
Kapitel 4 - Freiheit, Gleichheit, Menschlichkeit
Frauen und die Politik
Maria Theresia (1717–1780) - Marie Christine (1742–1798)
Lola Montez (1818–1861)
Lina Morgenstern (1830–1909)
Annette Kolb (1870–1967)
Kapitel 5 - Verbannt den Hanswurst von der Bühne!
Frauen und das Theater
Caroline Neuber (1697–1760)
Therese Giehse (1898–1975) - Erika Mann (1905–1969)
Helene Weigel (1900–1971)
Kapitel 6 - Ums Überleben schreiben
Frauen und die Literatur
Rahel Varnhagen (1771–1833)
Bettine von Arnim (1785–1859)
Else Lasker-Schüler (1869–1945)
Hilde Spiel (1911–1990)
Kapitel 7 - Ich stelle mein Licht nicht unter den Scheffel
Frauen und die Literatur
Katharina Elisabeth Goethe (1731–1808)
Gudula Rothschild (1753–1849)
Kapitel 8 - Ich will wirken in dieser Zeit
Frauen und ihre Söhne
Bertha von Suttner (1843–1914) - Adelheid Popp (1869–1939)
Käthe Kollwitz (1867–1945)
Grete Weil (1906–1999) - Sophie Scholl (1921–1943)
Anne Frank (1929–1945)
Bildnachweis
Copyright

Bildnachweis

Bild 1: Fanny Mendelssohn, Foto privat

Bild 2: Clara und Robert Schumann, Lithographie von Eduard Kaiser, 1847, Foto: AKG Archiv für Kunst und Geschichte, Berlin

Bild 3: Claire Waldoff, Landesbildstelle Berlin

Bild 4: Marianne von Werefkin, Fotoarchiv Fäthke-Born, Wiesbaden

Bild 5: Gabriele Münter, Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München

Bild 6: Maria Sibylla Merian, AKG Archiv für Kunst und Geschichte, Berlin

Bild 30: Henriette Goldschmidt, Louise-Otto-Peters-Archiv, Leipzig

Bild 7: Mileva Einstein-Marić, Verlag Paul Haupt, Bern

Bild 8: Anna Freud, AKG Archiv für Kunst und Geschichte, Berlin

Bild 9: Kaiserin Maria Theresia, AKG Archiv für Kunst und Geschichte, Berlin

Bild 10: Erzherzogin Marie Christine, AKG Archiv für Kunst und Geschichte, Berlin

Bild 11: Lola Montez, Münchner Stadtbibliothek/Monacensia-Abteilung

Bild 12: Lina Morgenstern, Bildarchiv Gerstenberg, Wietze

Bild 13: Annette Kolb, Münchner Stadtbibliothek/Monacensia-Abteilung

Bild 14: Caroline Neuber, genannt die Neuberin, Holzstich 19. Jahrhundert, nach zeitgenössischem Bildnis, AKG Archiv für Kunst und Geschichte, Berlin

Bild 15: Therese Giehse, Foto: Hildegard Steinmetz

Bild 16: Erika Mann, edition spangenberg, München

Bild 17: Helene Weigel, Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin

Bild 18: Rahel Varnhagen, Foto privat

Bild 19: Bettine von Arnim, Gemälde von Achim von Arnim, Museum Schloß Wiepersdorf

Bild 20: Else Lasker-Schüler, Foto privat

Bild 21: Hilde Spiel, Foto: Sabina Samitz

Bild 22: Katharina Elisabeth Goethe, Foto: Ursula Edelmann, Freier Deutscher Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum

Bild 23: Gudula Rothschild, Stadtarchiv Frankfurt am Main

Bild 24: Bertha von Suttner, AKG Archiv für Kunst und Geschichte, Berlin

Bild 25: Adelheid Popp, Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek

Bild 26: Käthe Kollwitz, Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin

Bild 27: Grete Weil, Kai von Holleben/Süddeutscher Verlag/ Bilderdienst, München

Bild 28: Sophie Scholl, Süddeutscher Verlag/Bilderdienst, München

Bild 29: Anne Frank, Anne Frank House/Anne Frank Stichting, Amsterdam

Ist Komponieren Männersache?

Fanny Mendelssohn

1805–1847

 

 

Im Großen Brockhaus (1971) ist dem Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy eine ganze Spalte gewidmet, samt Bild und Werkverzeichnis. Die ebenfalls komponierende Schwester Fanny wird nur in einem Nebensatz als »musikalisch begabt« und Gattin des märkischen Malers Wilhelm Hensel erwähnt. Kein Wort von ihren Kompositionen, einem immerhin beachtlichen Œuvre, kein Wort auch davon, daß Bruder Felix sechs ihrer Lieder seinem eigenen Werk einverleibte. Meyers Konversationslexikon von 1895 war da schon gerechter und registriert Fanny als »begabte Komponistin, deren Arbeiten teils unter ihres Bruders, teils (nach ihrem Tode) unter ihrem eigenen Namen erschienen sind«. Auch auf ihr »Trio für Klavier, Violine und Violoncell« wird hingewiesen. Während die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz die Komponistin mit einer Ausstellung zum 125. Todestag ehrte, ist sie in der umfassenden, seit 1947 erscheinenden Enzyklopädie »Die Musik in Geschichte und Gegenwart« gar nicht vertreten. – Reichte ihre musikalische Begabung doch nicht aus, sie an der Seite ihres Bruders unter die namhaften Komponisten einzureihen? Hätten dann aber die von ihr komponierten, von Felix unter op. 8 und op. 9 vereinnahmten Lieder nicht durch geringere Qualität herausstechen müssen? – Es bleiben Fragen.

Eva Weissweiler, die Fannys aufschlußreiche Briefe und ihr »Italienisches Tagebuch« herausgebracht hat, glaubt, den Grund für Fannys geringen Bekanntheitsgrad – neben der allgemein üblichen Unterschätzung weiblicher Komponisten – bei der Familie Mendelssohn-Bartholdy auszumachen: Eine professionelle Komponistin im Hause hätte dem als Wunderkind geltenden Felix den Rang ablaufen können, es mußte deshalb alles vermieden werden, was seinen Ruhm beeinträchtigte. Außerdem hatten die Mendelssohns schon einmal Ärger mit einem unbotmäßig emanzipatorischen Frauenzimmer gehabt, mit Dorothea Mendelssohn, die ihren Mann verließ, um Friedrich Schlegel zu heiraten, und mit ihm auch noch zum katholischen Glauben übertrat.

Felix Mendelssohn selbst hat das Komponieren seiner Schwester in keiner Weise gefördert, ja, alles darangesetzt, ihr den Weg in die Öffentlichkeit zu verbauen. Das beeinträchtigte aber das herzliche, geradezu innige Verhältnis der Geschwister nicht, in das auch die jüngere Schwester Rebecka und der Bruder Paul einbezogen wurden. Von klein auf erlebten sie diese enge, nach außen abgeschirmte Familiengemeinschaft, die begünstigt wurde durch den Entschluß der Eltern, die Geschwister statt in einer allgemeinen Schule zu Hause durch ausgesuchte Privatlehrer unterrichten zu lassen. So erhielten Fanny und der vier Jahre jüngere Felix nicht nur eine sorgfältige musikalische Früherziehung, sondern auch eine fundierte Unterweisung in Mathematik und Sprachen, in Zeichnen und Tanz, wie dies in jüdischliberalen Häusern üblich war.

Daß der Vater Abraham Mendelssohn, der sein Hamburger Bankhaus unter der Napoleonischen Besatzung hatte aufgeben müssen und mit seiner Familie nach Berlin übergesiedelt war, seine vier Kinder 1816 in der Neuen Kirche evangelisch taufen ließ, geschah wohl mehr, um ihnen eine erfolgreiche Zukunft nicht zu verbauen. Hieß es doch in einem Votum des preußischen Finanzministeriums aus demselben Jahr: »Der Übertritt der Juden zur christlichen Religion muß erleichtert werden, und mit dem sind alle staatsbürgerlichen Rechte verknüpft. Solange der Jude aber Jude bleibt, kann er keine Stellung im Staate einnehmen.« – Sechs Jahre später trat auch der Vater zum Christentum über und nahm den Familiennamen Bartholdy an – ein Schritt, den die Kinder später als opportunistisch auslegten und der ausgeprägt jüdischen Familientradition nicht würdig fanden. Mutter Lea war eine Enkelin Daniel Itzigs, des Bankiers Friedrichs des Großen, und gleichzeitig Oberlandesältesten der preußischen Juden. Nicht weniger imponierend der Großvater väterlicherseits, der Philosoph und Kaufmann Moses Mendelssohn, ein Freund Lessings und der Toleranz, dessen Haus Treffpunkt der Berliner Künstler und Intellektuellen war.

Mit diesen Vorbildern vor Augen wuchsen die Kinder auf. Fanny und Felix erhielten gemeinsam Klavierunterricht bei Ludwig Berger, einem strengen Lehrmeister, der ihnen so viel abforderte, daß für Spiel und Zerstreuung keine Zeit blieb. Alle vier Geschwister sangen außerdem in der Chorschule der Berliner Singakademie mit, hier wurde Fannys Liebe zur Musik Bachs und Händels geweckt. Komposition lernten Fanny und Felix bei Carl Friedrich Zelter, dem Brieffreund Goethes, der allerdings nur ein mäßiger Pädagoge war. So beklagte denn Fanny später immer wieder ihre mangelhafte kompositorische Ausbildung. Während die Eltern in Bruder Felix alle Hoffnungen setzten und er sich bei besten Lehrern auch im Ausland weiterbilden konnte, nützten ihr die »Bachschen Fugenfinger«, die der Mutter früh auffielen, wenig. Daß sie die meisten Beethoven-Sonaten und Bachschen Klavierwerke auswendig spielte und im Alter von zwölf Jahren das ganze »Wohltemperierte Klavier« beherrschte, zählte nicht. Sie war ein Mädchen und sollte sich nach dem Willen des Vaters zu ihrem »eigentlichen Beruf, zum einzigen Beruf eines Weibes, zur Hausfrau bilden«. Nicht daß Vater Abraham ihr das Klavierspiel und auch das Komponieren verboten hätte, aber es durfte stets »nur eine Zierde, niemals Grundbaß« ihres Tuns sein.

Für Fanny aber, die schon mit vierzehn ihr erstes Lied komponiert hat, ist die Musik mehr als eine Zierde. Immer weitere Lieder entstehen nach Texten klassischer und romantischer Autoren – Goethe bedankt sich bei »dem lieben Kinde« für ein vertontes Gedicht mit den Versen »Wenn ich mir in stiller Seele/ Singe leise Lieder vor...«. Die junge Komponistin wagt sich nun auch an Stücke für Violine und Violoncello, zwei Klaviersonaten und ein Klavierquartett. Den wachsenden Erfolg ihres Bruders nimmt sie stolz und ohne Neid zur Kenntnis, kopiert zu Hause seine Noten, während er auf Konzerttournee ist, und berichtet ihm in langen Briefen nach Paris oder London von Familienalltag und Freizeitvergnügen  – wozu auch das Baden in der Spree gehört –, vom Musikleben Berlins und den von ihr eingerichteten »Sonntagsmusiken«. Sie finden im elterlichen Haus, dem Palais von der Recke in der Leipziger Straße 3, statt. Fanny spielt Zeitgenössisches, das sie nicht selten als matt und lahm empfindet und »im Durchspielen fast verschimmelte«, aber dann erholt sie sich bei den Motetten ihres geliebten Meisters. Sie kenne keinen eindringlicheren Prediger als den alten Bach, schreibt sie, »wenn er so in einer Arie die Kanzel besteigt und sein Thema nicht eher wieder verläßt, bis er seine Gemeinde durch und durch erschüttert oder erbaut und überzeugt hat«. Schon 1829 hatte sie sich zu der Wiederentdeckung und Aufführung der Matthäus-Passion durch ihren Bruder begeistert geäußert: »Wie alle Sänger schon von den ersten Proben ergriffen waren und mit ganzer Seele an das Werk gingen, wie sich die Liebe und Lust bei jeder Probe steigerte und wie jedes neu hinzutretende Element, Sologesang, dann Orchester, immer von Neuem entzückte und erstaunte, wie herrlich Felix einstudierte und die Proben von einem Ende zum Andern auswendig akkompagnierte, das sind lauter unvergeßliche Momente.«

Trotz ihrer grenzenlosen Bewunderung für den Bruder entwickelt Fanny auch ein waches und zunehmend kritischeres Bewußtsein für die Schwachstellen seiner Kompositionen. Sie lebt in seinen Werken wie in ihren eigenen; so schreibt sie ihm am 17.2.1835 nach Düsseldorf, sie fände in seinen kleinen geistlichen Musiken eine Art von Gewohnheit, die sie »nicht gern Manier nennen möchte«, etwas Übereinfaches, aber nicht Natürliches. Im selben Brief mißt sie ihre eigene Kompositionstätigkeit mit nüchterner Selbsterkenntnis an der des Bruders: »Ich habe nachgedacht, wie ich eigentlich gar nicht excentrische oder hypersentimentale Person zu der weichlichen Schreibart komme? Ich glaube, es kommt daher, daß wir gerade mit Beethovens letzter Zeit jung waren, u. dessen Art u. Weise, wie billig, sehr in uns aufgenommen haben, u. die ist doch gar zu rührend u. eindringlich. Du hast das durchgelebt u. durchgeschrieben, u. ich bin drin stecken geblieben, aber ohne die Kraft, durch die Weichheit allein bestehn kann u. soll ... Es ist nicht sowohl die Schreibart, an der es fehlt, als ein gewisses Lebensprinzip, u. diesem Mangel zufolge sterben meine längern Sachen in ihrer Jugend an Altersschwäche, es fehlt mir die Kraft, die Gedanken gehörig festzuhalten, ihnen die nötige Consistenz zu geben. Daher gelingen mir am besten Lieder, wozu nur allenfalls ein hübscher Einfall ohne viel Kraft der Durchführung gehört.«

Nicht mangelnde Begabung zeigt sich in dieser selbstkritischen Beobachtung und dem Bekenntnis zur »kleinen Form«, sondern Unerfahrenheit und Unsicherheit. Typisch ein Schreiben Fannys an einen Freund und Musikverleger, der sie um eine Komposition gebeten hatte: »Hierbei erfolgt das Musikstück ... Verzeihen und rügen Sie alle darin vorkommenden weiblichen u. dilettantischen Pferdefüße, ein Dilettant ist schon ein schreckliches Geschöpf, ein weiblicher Autor ein noch schrecklicheres, wenn aber Beides sich in einer Person vereinige, wird natürlich das allerschrecklichste Wesen entstehn.« – Eine Demut, die fast schon kokett klingt, wenn man Umfang und Vielseitigkeit Fannys bisheriger Kompositionen betrachtet, die aber verständlich wird, wenn man bedenkt, wie wenig davon publiziert werden konnte. Erst kurz vor ihrem Tod gelingt es Fanny, einen Teil ihrer Lieder beim Berliner Musikverlag Bote & Bock zu veröffentlichen. Und wie leicht hätte sich Felix, inzwischen Leiter des Gewandhauses und des Konservatoriums in Leipzig, für sie einsetzen können!

Sie nimmt ihm die Zurückhaltung nicht übel. Sie nimmt ihm nichts übel, liebt ihn, so wie er ist, von Kindheit an, und daran ändert ihre Ehe mit dem zum königlichen Hofmaler avancierten Künstler Wilhelm Hensel nichts, den sie auch aufrichtig liebt. Kurz vor ihrer Heirat bekennt sie Felix, sie sei »glücklicher als ich je es zu werden dachte, denn ich träumte und fürchtete, eine solche Verbindung würde mich von Dir loßreißen, oder doch entfernen, u. es ist, wo möglich, gerade das Gegenteil ...« Selbst an ihrem Hochzeitsmorgen, dem 3. Oktober 1829, sind ihre Gedanken bei Felix in London, und sie beteuert ihm in einem Brief ihre immerwährende Verbundenheit: »... ich werde Dir morgen, und in jedem Moment meines Lebens dasselbe wiederholen können, und glaube nicht, Hensel damit Unrecht zu thun.« Auch die Musik solle in ihrer Ehe nicht zu kurz kommen, versichert sie Felix: »Habe ich nun erst ein gutes Stück im Ehestande gemacht, dann bin ich durch, und ich glaube an ein ferneres Fortschreiten.«

Zum Komponieren bleibt ihr nun allerdings wenig Zeit. Die Gartenwohnung im elterlichen Palais muß eingerichtet werden, der Sohn Sebastian wird nach einer schwierigen Schwangerschaft geboren, später folgen zwei Fehlgeburten. Aber statt seiner Schwester Mut zu machen, schreibt ihr Felix vorwurfsvoll: »Wenn ich mein Kind zu päppeln hätte, so wollte ich keine Partitur schreiben ... Aber im Ernst, das Kind ist noch kein halbes Jahr alt, und Du willst schon andere Ideen haben als Sebastian?« – Sie hat andere Ideen. Geradezu euphorisch wagt sie sich nun auch an große Werke. Während ihr Mann in seinem Atelier malt und seine Schüler unterrichtet, schreibt sie einen Reigen für achtstimmigen Chor a cappella, eine Orchesterouvertüre, die Kantate »Hiob« und ein biblisches Oratorium. All diese Werke kommen bei den »Sonntagsmusiken« im elterlichen Palais unter ihrer Leitung zur Aufführung. Eine Notlösung zwar – Ersatz für öffentliche Konzerte –, aber keine schlechte, Bettine von Arnim und Heinrich Heine, Franz Liszt und Clara Schumann sitzen im Publikum, und die Komponistin Johanna Kinkel bescheinigt Fanny nicht nur die Qualität der Kompositionen, sondern vor allem eine ungewöhnliche Intensität des Dirigierens.

1839 bricht Fanny gemeinsam mit Mann und Sohn für ein Jahr nach Italien auf, ins Land der Sehnsucht deutscher Künstler und ihrer eigenen Kinderträume. Doch sie fällt angesichts der antiken Ruinen und üppigen Vatikankirchen nicht in die übliche romantische Schwärmerei, davor bewahrt sie ihr nüchterner Verstand und das Heimweh nach dem ordentlichen Berlin. Trotzdem löst sie sich unter dem Einfluß französischer Freunde, ihres Verehrers Charles Gounod vor allem, langsam von ihren preußischen Wertvorstellungen, genießt die freiere Luft und Ungezwungenheit des Umgangs und die Komplimente, die man ihr und ihrem Werk macht. Von dieser Wertschätzung läßt sie sich auch nach ihrer Rückkehr ins herbstlich trübe, politisch unruhige Berlin weiter beflügeln. Im eigenwilligen Zyklus »Das Jahr« schlägt sich Erinnerung an römische Lieblingsplätze und mediterrane Landschaft nieder, während das Italienjahr bei ihrem Mann keine Spuren hinterläßt. Er bleibt der königstreue Preuße mit konservativer Kunstauffassung, den Fontane in den »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« so trefflich charakterisiert als »eine Verquickung von Derbheit und Schönheit, von Gamaschentum und Faltenwurf, von preußischem Militarismus und klassischem Idealismus ... die Seele griechisch, der Geist altenfritzisch, der Charakter märkisch«.

Fanny hat sich damit abgefunden, daß von Hensel und seinem Kreis keine Impulse ausgehen, sie lebt die letzten Jahre zurückgezogen in der Leipziger Straße und komponiert noch einige Arbeiten für Klavier. Am 14. Mai 1846 erleidet sie während der Probe zu einer Sonntagsmusik einen Gehirnschlag.

41 Jahre alt ist sie nur geworden. Mit ihrem plötzlichen Tod fällt das Familiengefüge auseinander, erst jetzt wird allen bewußt, wie sehr sie Mittelpunkt, Herz war. Wilhelm Hensel ist zu keiner Arbeit mehr fähig, vernachlässigt seinen Sohn und macht Schulden. Felix, vom Verlust der Schwester tief verstört, stirbt wenige Monate später und wird neben ihr auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof bestattet. Er hinterließ ein schwermütiges Streichquartett in f-Moll für Fanny, der er in einem Brief an seinen Schwager Wilhelm späte Abbitte leistet:

»Du hast meine Schwester sehr glücklich gemacht, ihr ganzes Leben hindurch, so wie sie es verdiente. Das danke ich Dir heut, und so lange ich atme, und wohl noch darüber hinaus – nicht mit bloßen Worten, sondern mit bitterer Reue darüber, daß ich nicht mehr für ihr Glück getan habe, daß ich sie nicht mehr gesehen, nicht mehr bei ihr gewesen bin ... vielleicht können wir hier auf Erden, und dann immer mehr, derer würdig werden, die das beste Herz und den besten Geist hatte, den wir je gekannt und geliebt haben.«

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