Cover

Caren Benedikt

Die Kerzenzieherin

Roman

Serial Teil 2

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Caren Benedikt

Caren Benedikt, geboren 1971, wuchs in einer norddeutschen Kleinstadt auf. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten und arbeitete danach als freie Journalistin. Heute lebt sie gemeinsam mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in einem kleinen Ort bei Bremen. www.caren-benedikt.de

Impressum

© 2014 der eBook-Ausgabe by Knaur eBook.

Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt

Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

© 2013 der deutschsprachigen Ausgabe bei

Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –

nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Redaktion: Dr. Heike Fischer

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: SuperStock; DEA / A. DAGLI ORTI / Getty Images

 

ISBN 978-3-426-42747-7

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6. Kapitel

Ruppert fluchte leise. Dieses verdammte Drecksstück konnte doch gar nicht so weit gekommen sein. In jedem noch so kleinen Kaff, durch das sie gekommen waren, hatten sie haltgemacht und gefragt, ob irgendjemand die Flüchtige gesehen hatte. Doch niemand wollte sie gesehen haben. Wie weit sollten sie sich denn noch von Hattingen entfernen, um dieser Kebse Herr zu werden? Den einzig brauchbaren Hinweis hatten sie in Ladbergen erhalten und sich danach sofort zur Hütte des Krüppels und seines Bruders aufgemacht. Aber den beiden hatte sie es wohl so gut besorgt, dass keiner von ihnen den Mund aufgemacht hatte. Anders war nicht zu erklären, dass die Brüder selbst noch unter Folter abgestritten hatten, sie zu kennen. Doch die Aussagen des Wirts und auch einiger anderer in der Schenke waren eindeutig gewesen. Dieses Miststück, das ihm das Gesicht verbrannt und ihn auf einem Auge hatte erblinden lassen, war bei den Bürstenmachern untergekommen und lebte dort schon seit mehreren Wochen. Daran bestand für Ruppert kein Zweifel. Das Weib des Wirts hatte gesehen, wie sie aus der Hütte geschlichen war und die Nachteimer entleert hatte, kaum nachdem sich der eine Bruder, der mit den gesunden Beinen, zum Holzsammeln aufgemacht hatte. Sogar angesprochen hatte sie die junge Frau mit dem Muttermal über der Lippe und den hellblauen Augen. Sogleich hatte das Wirtsweib erkannt, dass etwas an dem Mädchen anders gewesen war. Denn das Tuch auf seinem Kopf war weit nach hinten gerutscht, und sie kannte sonst keine jungen Weiber, die sich ihre Haare freiwillig abschnitten. Als sie sich hierüber in der Wirtschaft gewundert hatte, so berichtete der Wirt, hätte ein Durchreisender gesagt, dass die Nonnen im Kloster das normalerweise so machten, bevor sie sich züchtig den Schleier über das Haupt legten. Auch ihm, Ruppert, waren die kurzen Haarstoppel aufgefallen, als Ellin ihn in der Schmiede aufgesucht hatte. Sie musste es sein, dessen war er sich sicher. Doch in welche Richtung sie nach ihrem Aufenthalt bei den Brüdern gegangen war, das wusste nur der Herrgott allein.

Mürrisch starrte er auf die Mähne seines Gauls hinab. Nieselregen hatte eingesetzt, und schon bald klebten ihm die Kleider nass auf der Haut. Fast wäre sein Pferd gestürzt, als es sich in einer Kuhle auf dem matschigen Pfad vertrat. Schnell musste er reagieren, um nicht abgeworfen zu werden. Brutal stieß er dem Tier seine Hacken in die Flanken und riss gleichzeitig am Zügel, damit es ihm nicht ausbrach und losstürmte.

»Verdammter Gaul!«, schnauzte er los.

»Wir sollten Rast machen«, brachte einer seiner Begleiter schlecht gelaunt hervor. »Die Pferde brauchen eine kleine Erholung, und ich frier mir im Sattel noch den Arsch ab.«

Ruppert wollte ihn schon anherrschen, besann sich dann aber eines Besseren. Sie waren gut vorangekommen, und selbst wenn sie dieses Drecksstück bisher noch nicht gefunden hatten, konnte es ihnen doch unmöglich entkommen. Deswegen wollte er auch keine Uneinigkeit oder Missstimmung in ihrer kleinen Gruppe aufkommen lassen.

»Gut, dann kehren wir im nächsten Wirtshaus ein.«

Schweigend ritten sie weiter, bis sie Selete erreichten. Zu dem Nieselregen hatte sich noch ein stetiger Wind gesellt, der ihnen die Nässeschwaden in regelmäßigen Abständen heftig entgegentrieb.

»Verdammtes Dreckswetter.« Ruppert ließ sich vom Pferd gleiten, als sie das Gasthaus erreichten. Ein Junge, nicht älter als zehn Jahre, streckte seinen Kopf zur Tür heraus und kam auf die Fremden zu.

»Braucht Ihr Unterstand für die Pferde? Zwanzig Pfennige pro Gaul, bei allen sechsen müsst Ihr nur einen Gulden bezahlen.« Der Bengel postierte sich neben Ruppert und wollte schon nach den Zügeln greifen.

»Neunzig Pfennige, und gib ihnen großzügig zu fressen. Und dass du mir jeden Gaul mit Stroh trockenreibst.«

Der Kleine hielt die Hand auf und wartete darauf, dass ihm Ruppert die Münzen hineinzählte.

»Neunzig«, bestätigte er. »Ich führe diesen hier gleich hinüber. Die anderen macht am Gestänge fest. Ich hole sie dann.«

Ruppert nickte, während seine Kumpane die Zügel ihrer Pferde um die Stange legten. Dann betraten die sechs das Wirtshaus. Es waren kaum Gäste darin. Lediglich im hinteren Bereich saßen zwei Männer, die sich bei einem Humpen Bier unterhielten.

»Wirt! Würzwein für uns alle, und tisch uns auch etwas zu essen auf.«

»Seid gegrüßt und setzt Euch! Der Würzwein ist schon heiß. Und Euer Essen kommt sogleich. Ich gebe meinem Weib Bescheid.«

Ruppert und seine Männer gingen zu einem der Tische hinüber, setzten sich auf die Bank und streckten ihre Beine aus. Nur einen Augenblick später kam der Wirt und stellte sechs dampfende Becher vor ihnen ab. »Hier, das wird Euch wärmen. Mein Weib mischt einige geheime Zutaten hinein. Einen besseren Würzwein werdet Ihr nirgendwo bekommen.« Kurz sah er Ruppert ins Gesicht und erschrak, wollte sich aber nichts anmerken lassen. Seinem Gegenüber war es dennoch nicht entgangen.

»Na, hoffentlich ist es kein Gift, was deine Alte uns da einschenkt.«

»Pah!«, machte der Wirt. »Wenn Euch das Gebräu aus den Schuhen kippt, seid Ihr selbst schuld. Bisher hat es noch jedem geschmeckt.«

»Ich wollt nur einen Scherz machen«, setzte Ruppert versöhnlich hinzu und nahm einen Schluck. »Wirklich, dein Weib weiß genau, was es da tut. Sag ihr, dass ich noch nie einen köstlicheren Würzwein getrunken habe.«

Das Gesicht des Wirts hellte sich auf. »Ich werde es ihr ausrichten, Herr.«

»Und noch was, Wirt.« Ruppert hielt ihn am Arm zurück.

»Ja?«

»Wir suchen nach einem Weib.«

»Wer tut das nicht?«, scherzte der Wirt.

Ruppert grinste schief. »Aber bei uns verhält es sich ein bisschen anders. Es kann sein, dass sie durch euer Dorf gekommen ist.«

Er beschrieb dem Wirt Ellins Aussehen und fragte dann abschließend: »Hast du sie gesehen?«

Der Wirt kratzte sich am Kopf. »So eine war hier nicht. Aber ich werde noch mein Weib fragen, ob sie etwas weiß. Ich zumindest hab so eine nicht gesehen.«

Er entfernte sich vom Tisch und ging in einen Nebenraum, in dem offenbar gekocht wurde. Denn nach einem kurzen Moment kam er mit einem reich beladenen Brett wieder an den Tisch. »Hier, Euer Essen. Und ich hab mein Weib nach der jungen Frau gefragt.« Er schüttelte langsam den Kopf. »So eine war nicht hier. Nun lasst es Euch schmecken.« Damit wandte er sich um und ging.

Ruppert sah seine Begleiter an. »Verdammt noch mal, wo steckt das Drecksstück nur?«

»Vielleicht haben wir die Brüder völlig umsonst kaltgemacht, und es war eine ganz andere, die bei ihnen untergekommen ist. Oder es ist überhaupt keine bei ihnen gewesen, und die Dörfler haben sich die Geschichte nur ausgedacht, um uns zufriedenzustellen. Dann könnte sie überall sein«, sagte Klaas, ein Vertrauter Graf Friedrichs, der auch auf Burg Isenberg lebte.

»Ich habe deinem Herrn versprochen, dass ich das Miststück finden werde, und Gott ist mein Zeuge, dass ich dieses Versprechen auch halten werde.« Ein gefährlicher Unterton schwang in Rupperts Stimme mit.

»Ich weiß, dass du das vorhast.« Klaas zog eine Augenbraue nach oben. »Nicht umsonst hören wir auf das Kommando eines einfachen Schmieds.«

»Komm mir bloß nicht damit«, schnauzte Ruppert. »Ich steh keinem von euch in irgendwas nach. Und wenn ich Graf Friedrich dieses verfluchte Teufelsweib mit herausgetrennter Zunge erst einmal vor die Füße geworfen habe und sie nie wieder jemandem berichten kann, was sie gehört hat, werden wir ja sehen, wer ihm nähersteht.«

»Wenn du dich da mal nicht täuschst. Lorentz, Georg, Thomas, Erhard und ich sind wie Brüder für Friedrich. Glaubst du denn wirklich, dass du mit uns unterwegs wärst, wenn du sie nicht als Einziger von uns gesehen hättest? Pah!« Klaas spuckte auf den Boden.

Ruppert musste sich zusammennehmen, um ihm nicht über den Tisch hinweg an den Hals zu gehen.

Klaas sah ihm fest in die Augen und beugte sich noch weiter vor. »Ich weiß genau, was du jetzt am liebsten tun würdest.« Er zischte leise. »Und ich rate dir gut, besser davon abzusehen. Du bist irre und nicht ganz richtig im Kopf. Vielleicht war’s in der Schmiede ein bisschen zu heiß, so dass dein Hirn mit der Zeit verkocht ist. Wir fünf«, er deutete auf die anderen Männer am Tisch, »kennen uns schon seit Ewigkeiten und haben gelernt, einander zu vertrauen. Dir jedoch traut keiner von uns. Also überleg dir genau, was du tust. Am Ende könnten wir dir die Zunge heraustrennen und dich Friedrich vor die Füße werfen. Wer weiß?« Klaas lehnte sich zurück und nahm einen tiefen Zug aus seinem Krug.

In Ruppert brodelte es, doch er wollte es den anderen nicht zeigen. In den letzten Tagen hatte er gemeint, von ihnen als Anführer akzeptiert worden zu sein. Jetzt musste er jedoch erkennen, dass sie nur so lange still hielten, wie sie meinten, dass er ihnen von Nutzen war. Das würden diese Kerle noch bereuen.

»Ich glaube schon, dass das Weib bei den Brüdern Unterschlupf gefunden hat«, brachte nun Erhard das Gespräch wieder auf Ellin. »Habt ihr denn nicht gesehen, dass es in ihrer Kate drei Schlafplätze gab? Irgendjemand war dort noch vor kurzem zu Gast. Ich glaube daher, dass wir ihr auf den Fersen sind.«

»Aber hätten wir sie dann nicht schon längst einholen müssen?«, zweifelte Klaas.

Die anderen stimmten ihm murmelnd und kopfnickend zu.

»Was, wenn sie sich abseits der Wege durch die Wälder schlägt?«, warf Ruppert ein.

»Dann kommt sie noch langsamer voran«, meinte Klaas und rieb sich das Kinn. »Oder sie hat von diesen Brüdern ein Pferd bekommen.«

»Ich hab im Stall nachgesehen«, sagte Ruppert. »Da war nur ein Ochse, für ein weiteres Tier war da kein Platz mehr. Die hatten kein Pferd.«

»Und wenn wir längst an ihr vorbeigezogen sind?« Georg sah in die Runde.

Ruppert schlug sich mit der flachen Hand gegen den Kopf. »Natürlich. Das muss es sein. Während sie sich durch die Wälder schlug, haben wir sie auf den Pferden überholt. Wenn sie weiter auf dem alten Handelsweg unterwegs ist, müssen wir nur warten, bis sie uns wie ein Vögelchen ins Nest geht.«

»Da könnte was dran sein«, meinte Klaas. »Wirt!«, rief er dann laut und winkte ihn an ihren Tisch. »Bring uns noch mehr von diesem Würzwein. Und wir brauchen Quartiere für die Nacht.«

»Ich habe oben noch zwei Zimmer frei, die kann ich euch geben. Ihr müsst nur zusehen, dass ihr alle dort Platz findet.«

»Das wird schon gehen«, entgegnete Klaas.

»Aber das Geld gebt ihr mir vorher. Wärt nicht die Ersten, die am nächsten Morgen das Bezahlen vergessen und sich in aller Früh davonmachen.«

»Von uns wirst du deine Münzen schon kriegen«, entgegnete Ruppert mürrisch.

Klaas stand auf und drückte dem Wirt sechs Gulden in die Hand. »Hier hast du dein Geld. Das ist mehr als genug. Aber jetzt wollen wir saufen und eine warme Unterkunft.«

Der Wirt nickte. Doch obwohl er seine Bezahlung nun bekommen hatte, war ihm nicht ganz wohl bei dem Gedanken, diese Kerle die ganze Nacht unter seinem Dach beherbergen zu müssen. Sie gehörten zu der Sorte, die Ärger machten. Und so ließ er die Münzen in seiner Tasche verschwinden und hoffte, am Ende nicht doch noch derjenige zu sein, der draufzahlte.

 

Es war bereits Mittag, als Ellin sich erlaubte, eine Rast einzulegen. Soeben hatte sie eine Anhöhe passiert und genoss nun einen weiten Blick auf das umliegende Land. Sowohl Wegelagerer als auch anderes Pack waren von hier aus frühzeitig zu erkennen, wenngleich sie wusste, dass ihr dies im Ernstfall kaum etwas nützen würde. Den gesamten Weg über hatte sie sich Gedanken gemacht, was sie tun würde, sobald sie auf Friedrichs Leute stieße. Einer von ihnen war Ruppert, der Schmied, dessen war sie sich sicher. Mathes hatte berichtet, dass die linke Gesichtshälfte des Häschers, der ihn auf der Straße angesprochen hatte, mit schweren Wunden versehrt gewesen war. Dass er sich, von Rachegelüsten getrieben, auf die Suche nach ihr gemacht hatte, schien ihr daher sonnenklar. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass sie die Einzige war, die Friedrich mit ihrer Aussage an den Galgen oder, schlimmer noch, gar aufs Rad bringen konnte.

Die Bienen auf dem Karren summten nun lauter als zu Beginn. Doch sie wusste zu wenig über die Tiere, als dass sie hätte sagen können, was der Grund dafür war. Wahrscheinlich war es das Beste, den Bienenstock möglichst rasch zu verkaufen, bevor die Bienen, nur weil sie falsch mit ihnen umging, starben. Bisher jedoch war sie noch keiner Menschenseele begegnet, mit der sie ein solches Geschäft hätte verhandeln können. Es regnete seit Stunden unaufhörlich auf sie nieder. Bei einem solchen Wetter verließ kaum jemand seine Hütte, wenn er nicht unbedingt musste. Vielleicht wäre es besser gewesen, die Bienen an ihrem Platz zu lassen. Doch dazu war es nun zu spät. Also beschloss sie, die Kiste weiterhin fest verschlossen auf dem Karren zu lassen und das Beste zu hoffen.