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ÜBER DIE AUTOREN

Gerhard Polt, geboren am 7. Mai 1942 in München, studierte in Göteborg und München Skandinavistik. Seit 1975 brilliert er als Kabarettist, Schauspieler, Poet und Philosoph auf deutschen und internationalen Bühnen. 2001 wurde er mit dem Bayerischen Staatspreis für Literatur (»Jean-Paul-Preis«) ausgezeichnet. Sein gesamtes Werk erscheint bei Kein & Aber.

Herlinde Koelbl zählt zu den renommiertesten deutschen Fotografen. Sie arbeitete für Magazine und Zeitungen wie Stern, Die Zeit und The New York Times. Ihre Bilder werden in zahlreichen internationalen Galerien und Museen ausgestellt. Die Künstlerin hat über ein Dutzend Fotobücher publiziert und wurde für ihr Schaffen bereits mehrfach ausgezeichnet. Sie lebt in München.

ÜBER DAS BUCH

Gerhard Polt erzählt – davon, wie komisch es sein kann, auf sich selber reinzufallen; warum für ihn das Pong nicht immer gleich nach dem Ping kommen muss; worin die Großartigkeit besteht, dass sich deutsche Rentner einen Kanarienvogel halten; was alles nach der Pause kommt; wieso er nichts verendgültigen mag und inwiefern der Mensch ein Gefäß ist, wo was rein muss, am besten ein Schweinsbraten. Und während er uns dies im Gespräch mit der bekannten Interviewerin Herlinde Koelbl erzählt, schafft er es nicht nur, dass wir seinen außergewöhnlichen Blick auf die Dinge teilen, zugleich macht er uns den Menschen begreiflich, insbesondere den Menschen Gerhard Polt. Für den es etwas Schönes ist, einen Apfel zu schälen; der sein Glück lange im Bootsverleih sah, inzwischen aber am liebsten zu unser aller Begeisterung im Mikrokosmos fischt und der heute sagt, dass mehr gar nicht geht.

INHALTSVERZEICHNIS

Annäherung an Gerhard Polt

Älterwerden

Berufseinstieg

Humor

Kindheit

Genuss & Zufriedenheit

Figuren

Sprache & Stimme

Geschichten über Geschichte

Gesellschaft & Alleinsein

Behaust

Glauben

Kinderbande

Zufall

Politik

Themen

Film

Mediengesellschaft

Körperlichkeit

Langsamkeit

Fehler

Verschwundenes

ANNÄHERUNG AN GERHARD POLT

»Ein Mensch, der lebt, verdient keine Biografie. Eine Biografie ist etwas für jemanden, der tot ist«, sagt Gerhard Polt. Nun, es ist keine Biografie geworden, sondern eine Annäherung an seine Gedanken und an seine Lebensphilosophie, die er auch auf der Bühne vertritt.

Wie ist er denn so privat? Diese Frage wird immer wieder gestellt. Ja, wie ist er denn?

Ich kenne Gerhard schon seit vielen Jahren, aber kennen ist bei ihm zu viel gesagt. Immer freundlich und gelassen erzählt er selten von sich persönlich, sondern in mäandernder Weise von der Welt, von dem, was ihn umtreibt. Für dieses Buch zu seinem Siebzigsten bat mich sein Verleger, der Person Gerhard Polt anhand mehrerer Gespräche ein wenig genauer auf den Grund zu gehen, und so begannen unsere Begegnungen.

Wir trafen uns in München beim Essen, beim Spazierengehen und verbrachten ein Wochenende in Klausur in Fischbachau. Ich recherchierte bei seinen langjährigen Freunden und seiner Frau, ich hörte noch Unbekanntes über ihn und seine Familie und fühlte mich so gut gerüstet, mit ihm zusammen seine Vergangenheit, seine Gedanken, seinen sezierenden Blick und seinen Humor zu ergründen.

Nachdem wir uns aneinander gewöhnt hatten und besonders Gerhard an das Ausgefragtwerden, entstand eine erstaunlich spielerische und tänzerische Art des Gesprächs. Er hypnotisierte mit Wortspielen, umgarnte mit Witz und lockte mit philosophischen Diskursen. Wichtig war, ihm Raum und Zeit zu lassen für seinen Erzählfluss und dabei über all seinen spannenden Betrachtungen nicht zu vergessen, was man eigentlich von ihm hatte wissen wollen.

Wie er seinen Gedanken in Worten Gestalt verleiht, sowohl humorvoll als auch hintergründig, das ist es, was für mich Gerhard Polt ausmacht. Viele seiner Antworten sind die eines Philosophen, der unermüdlich alles reflektiert und immer wieder hinterfragt.

Herlinde Koelbl

ÄLTERWERDEN

Du wirst ja jetzt siebzig, Gerhard. Da werden verstärkt diese Fragen kommen, Herr Polt, …

 … wann gehen Sie in Pension? Ja, ja.

Und was denkst du darüber?

Also, die Fragestellung ist unmenschlich. Die ist einfach blöd. Überleg mal, es hätte auf dem Theatersektor keinen Holtzmann und keinen Boysen gegeben, die bestimmte Rollen nur deshalb so gut spielen können, weil sie ein entsprechendes Alter haben. Will man da sagen, wenn einer fünfzig ist, muss er weg vom Theater, oder wie? Bei einem Lufthansa-Piloten sehe ich ein, dass er das physisch irgendwann nicht mehr machen kann. Aber warum ein Schauspieler mit sechzig in Pension gehen soll – oder ein Maler oder ein Fotograf oder ein Schriftsteller – das ist die nackte Dummheit und Unverschämtheit. Da müsste man sagen: Sie, der Sie diese Frage stellen, schade, dass Sie nicht schon in Pension sind und noch die Möglichkeit haben, so einen Blödsinn zu fragen. Ich habe mal zu einem gesagt: Hätte der Picasso mit fünfundfünfzig in Frühpension gehen sollen?

Das ist interessant! Als ich das einmal gefragt wurde, habe ich ebenfalls gesagt: Hätten Sie das Picasso auch gefragt?

Wirklich? Das ist doch ganz klar, dass Menschen weitermachen, solange sie das gesundheitlich können und geistig noch ticken. Wenn der Picasso noch zehn Jahre gelebt hätte, hätte er zehn Jahre weitergemalt. Und er wäre auch nicht am Ziel gewesen, verstehst du, weil das ultimative Ziel gibt es in dem Sinn nicht.

Aber wenn es kein übergeordnetes Ziel gibt, woran orientierst du dich dann? Wo strebst du hin?

Na weißt du, ein Läufer kann sich vornehmen: Ich möchte jetzt unter neun Sekunden laufen. Wenn er dieses Ziel hätte, dann wäre ihm klar, als Läufer kann er ein anderes Ziel nie mehr haben. Das ist bei Menschen, die etwas Ähnliches machen wie ich, ganz anders, weil es das Ziel nicht gibt. Es kommt immer ein nächstes. Wir haben ja den Spruch »Der Weg ist das Ziel«. Du kannst nur versuchen zu sagen: Das, was ich jetzt mache, mache ich möglichst gut und vielleicht wieder anders im Vergleich zu dem, was ich schon gemacht habe.

Und danach zeichnet sich das nächste Ziel ab. So wie sich mit jedem Schritt der Horizont stetig verschiebt. Wie weit blickst du jetzt gerade?

Beruflich? Ich möchte einen Film machen, mit einem Thema, an dem ich schon seit langer Zeit dran bin, zusammen mit einem Freund von mir. Ja, der Horizont … der Horizont ist auch insofern interessant: Wenn ich schaue, dann sehe ich natürlich erst mal, was ich sehen will. Doch auf einmal bemerke ich, dass mich irgendwas irritiert. Und um das, was mich irritiert, sehen zu können, muss ich wieder anders fokussieren. Ich muss wieder zurückgehen und einen anderen Platz einnehmen, um mir die Geschichte, die ich im Kopf habe, noch mal klar zu machen: Was will ich sagen, wem sage ich’s und wie sage ich’s? Das heißt, ich bin in Bewegung, verstehst? Ich bin wie ein Fotograf, der immer schaut: da ist Schatten, jetzt gehe ich noch zwei Meter zurück, jetzt gehe ich wieder vor, um den richtigen Standpunkt zu finden. Und das schafft mir den Horizont. Der Horizont ist also nicht ganz stabil und keine lange Einstellung, sondern das sind kürzere Ausschnitte.

Wo ist dieser Horizont zurzeit?

Weiß ich nicht. Das müsste ich jetzt wieder zu definieren versuchen, und ich definiere ungern. Definieren heißt zu Ende denken, und das ist mir bis heute nicht gelungen. Wenn ich es definiere, habe ich es verendgültigt, und das will ich nicht. Weil ich mir und anderen Leuten immer die Chance geben will, etwas noch mal aufzugreifen.

Und wenn du auf deinen bisherigen Horizont zurückblickst – du hast jetzt siebzig Jahre Horizonte …

Schon, aber ich habe sie nicht parat. Da stellt sich die klassische philosophische Frage: Das, was ich habe, besitze ich das auch? Und manchmal hast du es nur im Moment. So wie beim Wortschatz. Wenn du sprichst, hast du einen aktiven Wortschatz und einen passiven. Und manchmal merkst du überhaupt erst, wozu du fähig bist, wenn du dazu stimuliert wirst, auch beim Sprechen. Ich merke das, wenn ich länger in einer Fremdsprache rede, und auf einmal kommen mir wieder Wörter, die ich schon längst vergraben hatte, dann sind sie da, nur durch die Situation. Manche Schauspieler lernen einen Text, indem sie ihn auswendig lernen. Mir fällt er situativ wieder ein. Sobald ich weiß, wo ich stehe, weiß ich, was ich sagen soll.

Aber zurückschauen kannst du doch jederzeit, auch ohne konkrete erinnernde Situation.

Zurückschauen tust du automatisch, durch den Freundeskreis oder durch bestimmte Begebenheiten, die du jeden Tag hast.

Dann kannst du doch auch sagen, das und das sind jetzt meine Erfahrungen, die mich die Vergangenheit gelehrt hat.

Na ja, so denke ich nicht. Wenn ich daran denken würde oder müsste, wäre ich schon unsicher, verstehst du? Was hat mich das und das gelehrt? Das weiß ich nicht, und es ist mir, ehrlich gesagt, auch ziemlich wurscht. Das Vage, im Grunde dieses »Nichts Genaues weiß man nicht« – das ist ein Lebensgefühl, das mir entspricht, und auf dem baue ich auch.

Trotzdem gewinnt man ja im Laufe der Zeit Erkenntnisse. Kannst du sagen, welche deiner Erkenntnisse dir wichtiger geworden sind?

Sicherlich das Wissen, dass ich das machen kann, was ich machen möchte. Zusammen mit Menschen, mit denen ich ein gutes Verhältnis habe, Ideen zu teilen und sich gegenseitig bereichern. Das ist wunderbar und trägt mich. Wenn es mir vergönnt ist, weiter auf eine Bühne zu gehen, mit diesen Leuten aufzutreten und weiter darstellungswürdige Geschichten zu finden – was ich mit Sicherheit werde – dann ist das für mich wunderbar. Das ist sowohl Trost als auch Beruhigung als auch Aufforderung, sogar fast Verpflichtung. Weil ich mir sage: Warum soll ich das nicht machen? Ich kriege ja auch Briefe von Leuten, die sich freuen. Das ist wie bei einem guten Kaufmann, zu dem die Kunden schon jahrelang kommen und sagen: »Wir freuen uns, dass wir mal wieder bei Ihnen sind, was haben Sie Schönes im Angebot?« Der Kunde möchte etwas haben, was er schon kennt, aber er möchte auch was Neues haben. Also muss ich mir auch was Neues einfallen lassen, um dem Kunden zu entsprechen. Der Kunde verlangt es.

Wenn du zurückschaust und dann in die Gegenwart – welche Vorteile hat das Älterwerden?

Ich weiß nicht, ob es überhaupt einen Vorteil oder Nachteil hat. Ich kann da nichts Prinzipielles sehen, Älterwerden ist einfach ein Prozess, der findet halt statt. Siehst ja, alles wird älter: ein Grashalm, eine Katze, sogar der Kaffee, auch das Bier kann ranzig werden. Das läuft ja für jeden Menschen individuell sehr anders. Manche Leute zwickts und zwackts, und andere zwackts nicht, die haben das Glück, dass sie physisch gesund sind.

Der Joachim Fuchsberger hat sein Buch ja Altwerden ist nichts für Feiglinge genannt …

Pass auf! Altwerden oder Älterwerden, das ist ein Unterschied. Für einen Schauspieler ist das natürlich klar, ein jugendlicher Liebhaber ist er nur eine Zeit lang. Er kann froh sein, wenn er älter wird und ein anderes Gesicht kriegt, dann kann er als irgendein Held wieder auftauchen oder als späterer Liebhaber. Für bestimmte Rollen braucht er eine andere Körperlichkeit oder ein bestimmtes Gesicht – umso besser, wenn er sich das nicht beim Visagisten holen muss, sondern wenn ihm das Leben dieses Gesicht gibt.

Oder natürlich: Er kann bedauern, dass er nicht mehr den jugendlichen Liebhaber geben kann. Wie ist es denn für dich mit dem Älterwerden und dem Altwerden? Du wirst ja nur älter, du bist ja nicht alt.

Na ja, wenn du verschrumpelst, wenn du verknöcherst, zum Fossil wirst – das ist sicherlich kein unbedingt nur erfreulicher Tatbestand. Aber es ist die Frage, mit welcher Gelassenheit du es angehst. Wir hätten wahrscheinlich einen Großteil der griechischen Philosophen nicht, wenn das kein Thema gewesen wäre: Wie gehe ich damit um, älter zu werden, und was bieten mir das Altwerden und das Altsein?

Ja, genau diese Frage stelle ich dir.

Ich lese zurzeit Briefe an Lucilius von Seneca, das sind zwei solche Schwarten. Das gehts unter anderem ums Altwerden. Interessant – vor zweitausend Jahren war das auch ein Thema. Aber ich glaube nicht, dass es endgültig gelöst wurde. Und ich löse es auch nicht, es ist nicht zu lösen. Mit dem Thema Altwerden oder Älterwerden kann man sowohl alt werden als auch alt ausschauen. Es endet, indem du stirbst, dann ist auch das Altwerden vorbei. Was anderes wüsste ich nicht.

Manche Menschen fühlen eine Wehmut im Älterwerden. Man kann das auf zwei Ebenen empfinden: Einerseits ist es ein Abschied, andererseits kannst du Wehmut haben, weil du zu wenig gelebt hast.

Ja, und drum trinken sie auch einen guten Wein. Vorher haben sie einen billigen gesoffen. Das hat natürlich mit den Finanzen zu tun. Also, ich glaube, dass es immer gut ist, wenn Menschen sich selber nicht so wichtig nehmen. Natürlich nimmt man es ernst, wenn man Schmerzen hat oder der Alterungsprozess einen körperlich wirklich behindert. Aber sonst bist du gut beraten, wenn du eine gewisse Gelassenheit hast, und dich nicht drum kümmerst. Der berühmte Ausdruck »ein unwürdiger Greis«, der hat immer was … Also, würdig zu sein, sich sozusagen nicht greisenhaft zu verhalten, das hat mir als Kind schon gefallen. Wenn ich gehört habe: »Das ist ein alter Kindskopf«, habe ich das immer als positiv gesehen. Erfreulicher als: »So ein alter Tatterer.«

Du sagtest einmal: »Ich resigniere, aber vital.«

Ja, dabei bleibe ich. Das ist so, wie ich’s sag. Ich glaube, Resignation hat tatsächlich mit dem Alterungsprozess zu tun, mit dem Begreifen, dass du auf bestimmte Dinge gar keinen Einfluss hast. Ich habe lange gedacht, ich könnte erleben, dass bestimmte Dinge nicht passieren, ich habe gehofft, ich würde Zeuge von bestimmten Verbesserungen: im Gesellschaftlichen, im Architektonischen, auf vielen Sektoren. Aber wenn du siehst, dass alle diese Prozesse Zeit brauchen, und du bist keine Schildkröte, du wirst nicht dreihundert Jahre alt, und dir gehen manche Dinge zu langsam, dann musst du das einfach akzeptieren. Das ist eine Art Resignieren. Das ist jetzt nicht Weisheit, sondern ein Akzeptieren von … ja, dass halt das Unbedingte in ein etwas Bedingteres abwandert. Davon werde ich mich aber nicht total deprimieren lassen, kann ich ja nicht.

Welche Wünsche hast du noch?

Ich hoffe, dass ich gesund bleibe, und dass ich auf die Bühne gehen kann. Und dass auch meine Umgebung gesund ist, alle ein angenehmes Leben mit mir führen, und dass ich sie häufig sehen kann. Dass es ihnen gut geht. Weil wenns ihnen gut geht, gehts mir auch gut. Das ist es.

BERUFSEINSTIEG

Nachdem du aus Schweden nach München zurückgekehrt bist, hast du als Bohemien vor dich hin studiert. Aber bald hat deine Bühnenkarriere begonnen. Wie hast du diesen Übergang empfunden?

Die Phase, als ich in Schweden war, die war für mich interessant, in vieler Hinsicht – aber mit Sicherheit hat sie mit dem, was ich heute mache, überhaupt nichts zu tun. Der Mensch, der dir heute gegenübersitzt, Herlinde, der hat erst begonnen, als ich in diesen Beruf reingekommen bin. Also nicht wie eine Schlange, die sich ein paar Mal häutet. Weißt, das war für mich keine Wiedergeburt, sondern eine Geburt. Sozusagen die Geburt einer anderen Existenz. Das war die entscheidende Weichenstellung für mein Leben. Natürlich war ich auch einmal drei Tage alt und war ein Kind und dann in der Volksschule und so – aber das spielt keine Rolle. Entscheidend war für mich wirklich dieser Vorgang, dass ich Leute kennengelernt habe wie den Müller, die Biermösl oder die Schneeberger, den Hube oder später den Hildebrandt.

Den Christian Müller, den kennst du ja schon von Kindheit an, der wohnte damals auch in der Amalienstraße.

Ja, und der Witz war eben diese Zufälligkeit, dass der Regie in der Falkenberg-Schule gelernt hat, und die Schneeberger war da Schauspielerin. Und also diese Begegnungen haben schon eine große Rolle gespielt, genauso wie die mit dem Kolbe.

Erzähl mal, wie hat das alles begonnen?

Also, ich kannte den Kolbe, der war beim Hanser Verlag. Die haben damals schon die Schweden gehabt, den Lars Gustafsson und, ich glaube, auch den Tranströmer und so. Der Kolbe war da Lektor, später Kulturreferent, aber der kannte den Orff, der kannte den Celibidache, verstehst du, solche Leute habe ich kennengelernt. Nicht, dass die lauter Freunde geworden sind, aber ich habe … Das ist eine Welt, die sich öffnet. Und das war interessant. Da wurde mir langsam bewusst, dass Schauspielen oder Vortragen, dass das schon mehr sein kann als ein Hobby, und wenn du das gescheit machen willst, muss dir klar sein: Was willst du erzählen, warum willst du es erzählen und wie erzählst du es?

Und was war das Erste, was du als Vortragender gemacht hast?

Die ersten Sachen, die ich gemacht habe, waren die Hörspiele mit dem Jürgen Geers. Der war erst in München beim BR und ging später nach Frankfurt. Da haben wir ein Hörspiel gemacht, das hieß Als wenn man ein Dachs wär in seinem Bau. Der Geers ist heute noch in Frankfurt, der hat mit seiner Frau auch den Hörspielpreis der Kriegsblinden bekommen, also das ist ein sehr profunder Hörspielmann. Mit dem habe ich das damals gemacht. Und dann kam das Stück mit dem Müller und der Schneeberger.

Da haben Gisela Schneeberger und Christian Müller zusammen die Kleine Nachtrevue gegeben, und der Jochen Busse ist ausgefallen …

 … und ich bin eingesprungen. Weil die Schneeberger fand, ich sei lustig und ich soll doch mitspielen.

Damals hat ja Michael Skasa – war das in der Süddeutschen? – jedenfalls hat er geschrieben: »Ein Talent, das noch entdeckt werden soll«. Und du bist ja auch entdeckt worden.

Ich bin entdeckt worden, so wie die amerikanischen Indianer beim Kolumbus gesagt haben: »Hurra, wir sind entdeckt!«

Na, denen gings aber nicht so gut, wie es dir nachher ging!

Da hast schon recht, ja, mir gings Gott sei Dank besser … Und mit solchen Kontakten geht es dann immer schneller, weil wenn du in einem Metier Leute kennenlernst, lernst du auch schnell noch weitere Leute kennen. Und darunter sind halt einige, die dich inspirieren, die dich ermuntern, vielleicht das und das zu machen oder zu überlegen … Im Laufe meines Lebens habe ich übrigens erfahren, dass ich sehr viel mehr Entdecker habe, als mir bewusst war.

Gab es neben den Entdeckern auch Antreiber für dich, wie der Christian Müller.

Was heißt Antreiber? Dass ich mir wie ein Ochse …? Also, richtig ist schon, dass der Christian ein Mensch ist, der sich und andere begeistern kann, und diese Begeisterungsfähigkeit hat mich schon ermuntert, gar keine Frage. Auch die Begeisterung überhaupt von allen, die um mich herum waren, auch vom Hube. Du musst überlegen, ich war der Naivste in dieser ganzen Clique, die wollten ja alle so was werden: Die Schneeberger wollte Schauspielerin werden, der Hube wollte Schauspieler sein und Kabarettist, der Hildebrandt wars eh schon lange – und ich war der Naive. Ich wollte das ja nicht werden, verstehst du, das war ja nicht so, dass ich gesagt habe, ich muss jetzt unbedingt … sondern ich bin da reingerutscht. Sonst hätte ich wahrscheinlich auch nicht beim Hube diese Gastrolle übernommen, wo ich einfach nur stumm esse. Wenn ich von vornherein schon Feuer und Flamme fürs Schauspiel gewesen wäre oder: …   weißt, da setzt man sich nicht hin und isst.

Aber du musst schon gemerkt haben, dass da etwas in dir entflammt.

Natürlich habe ich gemerkt, dass das eine interessante Welt ist. Aber ich habe eben eine Zeit lang gebraucht, bis ich kapiert habe, was diese Welt sein kann. Ich trat zögernd hinein. Als der Kolbe mit Begeisterung gesagt hat: »Mensch, ist ja toll, was du da erzählst, da musst du ein Hörspiel machen, hast du noch nie ein Hörspiel gemacht? Machen wir doch ein Hörspiel!« Verstehst du, diese Begeisterung, die habe ich nicht gehabt, ich bin nicht gleich in die Luft gesprungen: »Hurra, ich mache jetzt ein Hörspiel!« Ich hab gesagt: »Na gut, dann probieren wir’s halt.« Und dann hatte ich immer das Glück mit Leuten, die mich auch geschoben haben. Also … ja, da hast du schon recht, Herlinde. Von alleine hätte ich’s nicht gemacht, ohne diese Cicerones, die mich da eingeführt haben.

Und wenn du es wirklich nicht gemacht hättest? Eigentlich wolltest du damals nicht unbedingt ein Bühnenmensch werden, sagst du. Was wolltest du denn werden, Gerhard?

Das ist eine gute Frage. Ich wollte eigentlich nichts Konkretes werden, sondern … jetzt klingts ironisch, aber ich wollte wahrscheinlich wirklich nur ein Bootsverleiher sein.

Ein Bootsverleiher?

Das war für mich immer ein schönes Beispiel einer Existenz, die mir gefällt. Natürlich sage ich das ein bisschen ironisch, aber ein ruhiges, ein bestimmtes Leben zu führen, wo du lesen kannst, wo du eine gewisse Unabhängigkeit und Freiheit hast, wo du selbstständig bist, wo dich keiner zwickt, wo du nicht in der Früh aufstehen musst … sondern du bist, wie die Italiener sagen, »un padroncino« – dein kleiner Herr für dich selber. Und das ist der Bootsverleiher. Das ist Autarkie. Man hat ein Boot, und es kommt jemand und fragt: »Kann ich mal da raus?« Und man sagt: »Gern.« Dann schiebt man ihn raus und kann weiterlesen. Das ist was Schönes. Bootsverleiher habe ich nie geschafft. Du kannst also sagen, ich bin ein gescheiterter Bootsverleiher.

Aber irgendwann mal war klar, dass du kein Bootsverleiher wirst, sondern auf die Bühne gehst. Was hattest du da für ein Ziel?

Gar keins. Weil ein Ziel wäre ja was Konkretes. Es gibt kein Ziel und kein Ende, sondern immer nur die nächste Geschichte. Das ist auch heute noch so: Ich habe doch kein Ziel, kein Lebensziel, verstehst du? Keine ultimative Geschichte, die ich erzählen muss. Es gibt nur immer die Erzählung, von der ich weiß, dass sie lohnend ist zu erzählen, und dass ich sie gut erzählen soll.

Und wie man sie gut erzählt, das hast du ja gelernt bei deinen Wegbegleitern. Was haben die dir mitgegeben?

Grundsätzlich, dass es Leute gibt, die das, was sie an Informationen haben, in einer besonderen Weise reflektieren. Was man aus Informationen alles machen kann, das war mir nicht klar. Verstehst? Das ist wie in der modernen Malerei. Du stehst da und schaust, und eigentlich stehst du vor dem Nichts, du verstehst gar nichts. Du brauchst Interpreten. Der erklärt dir das Ding, und auf einmal stehst du da und siehst das Bild vollkommen neu. Du siehst ein statisches Bild mehrdimensional, du siehst, dass es sich bewegt und seinen bestimmten Hintergrund hat. Oder wenn ein Kunsthistoriker dir ein Bild erklärt, und du bist: Boah! Und genauso waren auch diese Begegnungen für mich immer ausschlaggebend für das, was ich heute an Vorstellungen oder Urteilen habe zu bestimmten Dingen. Ich kann mir mich selber gar nicht vorstellen ohne die Begegnung mit diesen vielen, vielen Menschen, weil sie mein Denken, mein Empfinden, mein Auge, mein Ohr wirklich geschärft haben. Sonst wäre ich heute nicht das, was ich jetzt mache.

Bestimmt hat auch jeder deiner Wegbegleiter etwas anderes dazu beigetragen, oder? Was hat dir zum Beispiel Dieter Hildebrandt gegeben?