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Markus Peters

Gesundmacher Herz

Wie es uns steuert, verbindet und heilt
Der geniale Impulsgeber für Körper und Seele

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VAK Verlags GmbH
Kirchzarten bei Freiburg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

VAK Verlags GmbH

Stand 2014

 

 

 

Gewidmet meinen Kindern
Arnim, Hannah und Jannis

Vorbemerkung des Verlags

Dieses Buch dient der Information über Möglichkeiten der Gesundheitsvorsorge und Selbsthilfe. Wer sie anwendet, tut dies in eigener Verantwortung. Autor und Verlag beabsichtigen nicht, Diagnosen zu stellen und Therapieempfehlungen zu geben. Die Informationen in diesem Buch sind nicht als Ersatz für professionelle medizinische Behandlung bei gesundheitlichen Beschwerden zu verstehen.

Inhalt

Einleitendes Essay

Das Herz – ein Paradigmenwechsel beginnt

Kapitel 1

Das Verständnis vom Herz im Wandel der Zeit

Kapitel 2

Das Herz – Vermittler in Sachen Gefühle!

Kapitel 3

Harmonie und Balance –bestimmend für die vegetative Gesundheit

Kapitel 4

„Alles schwingt“ – Chronobiologie und Chronomedizin Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Maximilian Moser

Kapitel 5

Harmonie lässt sich trainieren –das Vegetativum in Balance

Kapitel 6

Die Kraft des Herzens – Gefühle wirken

Kapitel 7

Typisch Mensch: Leben gegen die natürlichen Rhythmen

Kapitel 8

Verzeihen, Beten, Meditieren …

Kapitel 9

Erstaunliche Zusammenhänge: Herz – Erde – Sonne

Kapitel 10

Grundlagen wirksamer Therapie: Vegetativum und chronische Entzündungen

Kapitel 11

Bluthochdruck und Herzerkrankungen – seelische Verletzungen nicht übersehen!

Kapitel 12

Burn-out – vor allem eine Frage der Lebensperspektive

Kapitel 13

Krebs – immer eine Schicksalsfrage

Kapitel 14

Auf dem Weg zu einer neuen Herzlehre!

Ausblick

Zum guten Schluss …

Nützliche Adressen und Internetseiten

Über den Autor

Einleitendes Essay

Das Herz – ein Paradigmenwechsel beginnt

Das Herz ist eine Pumpe! Auf den Seiten dieses Buches werden Sie viele – meist durch „harte“ Forschungsergebnisse abgesicherte – Argumente finden, warum diese Aussage, für sich genommen, hinterfragt werden sollte. Trotzdem ist es nicht einfach so, dass mit diesem Buch eine alte, überholte „Wahrheit“ komplett gegen eine andere, neuere ausgetauscht werden soll. Ganz und gar nicht: Es ist aus meiner Sicht sogar ein großes Problem, dass in den (Natur-) Wissenschaften – und insbesondere in der Medizin –, allzu oft so getan wird, als seien die jeweils aktuellsten Erkenntnisse plötzlich die eine, einzige und von nun an allein noch zu beachtende „Wahrheit“. Dabei übersieht man jedoch häufig, dass die Wahrheit von heute der Irrtum von morgen ist.

Was ich damit meine, möchte ich buchstäblich an einem „Weltbild“ erklären: An dem Bild oder vielmehr den Bildern, die sich die Menschen in den letzten zwei, drei Jahrtausenden von ihrer Welt gemacht haben.

Mit dem Beginn der Neuzeit setzte sich allmählich der Gedanke durch, dass die Erde wohl doch keine Scheibe sei, sondern eine Kugel: Seefahrer brachen in das unbekannte Nirgendwo der Weltmeere auf und entdeckten unter Entbehrung, Lebensgefahr und mancher Täuschung neue Kontinente. In dieser Phase der Entdecker dachte auch Nikolaus Kopernikus über die Stellung der Erde im Weltall neu nach und griff eine Idee auf, die schon im antiken Griechenland einmal gedacht worden war: Die Erde ist ein Planet (ein „Wanderer“), wie die anderen „Wandelsterne“ auch, und sie kreist um die Sonne – und nicht etwa die Sonne um die Erde. Damit löste Kopernikus das alte, sogenannte geozentrische Weltbild durch ein heliozentrisches ab.

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Zunächst allerdings hatte sich viele Jahrhunderte lang das hier abgebildete – unter anderen von Aristoteles im Detail ausgearbeitete – geozentrische Weltbild gehalten, nicht zuletzt auch deshalb, weil es der antiken Ansicht über das Verhältnis von Mensch, Erde und Kosmos, wir können auch sagen: Menschen und Götter, entsprach.

Vor allem ein Phänomen aber ließ sich mit diesem einfachen Weltbild nicht in Einklang bringen: Gelegentlich scheinen die Planeten – aus Gründen, die zu erklären, hier zu weit führen würde –, auf ihrer Bahn um die Erde herum plötzlich wieder ein Stück zurückzulaufen. Mit dem Versuch, auch dieses merkwürdige Verhalten durch eine Theorie zu belegen, wurden für jeden einzelnen Planeten verschiedene gegeneinander bewegliche „Sphären“ angenommen. Da mit der Zeit aber immer weitere Zusatzkonstrukte notwendig wurden, um die Stellung der Planeten berechnen zu können, wurde dieses Weltbild immer komplizierter. Mit anderen Worten: Es wurde zunächst versucht, die alte Theorie durch Zusatzerklärungen zu „retten“, ehe Kopernikus dann ein neues Modell in die Diskussion brachte.

Schon bald allerdings stellte sich heraus, dass auch das Modell des Kopernikus keine befriedigenden Ergebnisse zu bringen vermochte, weil Kopernikus noch an dem Gedanken einer exakten Kreisbewegung, von den alten Griechen als unumstößliche Bedingung formuliert, festgehalten hatte. Erst Kepler löste sich in einem mühsamen Forschungsprozess über Jahre von diesem Axiom (einer „gesetzten Bedingung“) und erkannte, dass die Planeten sich auf elliptischen und nicht auf kreisförmigen Bahnen um die Sonne bewegen.

Ehe Kepler jedoch sein Werk vollenden konnte, trat zunächst Tycho Brahe mit einem sehr interessanten Weltmodell hervor. Er entwickelte eine vollkommen neue Idee des Sonnensystems, in der sowohl geo- als auch heliozentrische Aspekte enthalten waren.

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In diesem Modell des Tycho Brahe kreisen zwar Sonne und Mond um die Erde, die Planeten jedoch kreisen um die Sonne. Durch diesen „Trick“ konnte Tycho Brahe auch ungewöhnliche Planeten-Erde-Konstellationen erklären.

Um dieses Modell zu entwickeln, hatte Tycho Brahe durch sorgfältige Himmelsbeobachtungen eine bis dahin nie dagewesene Menge an Daten zusammengetragen, die er übrigens – wenn auch unfreiwillig – an Johannes Kepler weitergab, der sie dann für die Weiterentwicklung des von Kopernikus vorgedachten Weltbilds nutzte. Damit wurde das im Prinzip auch heute noch geltende „heliozentrische“ Modell zunehmend im Bewusstsein der Welt verankert.

Trotzdem ist das alte geozentrische Weltbild auch heute nicht etwa falsch. Selbst für das Weltbild nach Tycho Brahe sprechen immer noch bestimmte Aspekte. Warum ist das so?

Nun, ob ein Weltbild „stimmt“, hängt immer davon ab, welchen Nutzen es für die Lösung einer bestimmten Aufgabe zu erbringen vermag. Der Mensch, der in der Nacht auf dem Rücken liegt, die Sternbilder identifizieren und wissen möchte, wann und wo welcher Planet zu sehen sein wird, der wird immer „Geozentriker“ sein. Wollte er die Planetenstellungen vom Standpunkt der Sonne aus einschätzen, würde diese einfache Aufgabe unnötig verkompliziert. Und dieser Gedanke lässt sich verallgemeinern: Jedes Weltbild hat seine Richtigkeit, je nachdem welche Frage wir beantwortet haben möchten. Oder anders formuliert:

Das eine, einzig wahre Weltbild gibt es schlicht nicht!

Was will uns all das nun für das Thema dieses Buchs sagen? Die Antwort lautet: Es gibt auf alles in dieser Welt unterschiedliche Sichtweisen – und jede Sichtweise hat ihre Berechtigung. Es ist ja auch nicht so, dass durch das Auftauchen neuer Erkenntnisse alle alten Erkenntnisse umgehend ihren Wert verlören. Und wenn man nur ein einfaches Problem zu lösen hat, dann wird dafür ein einfaches (wenn auch nicht in allen Einzelheiten „wahres“) Erklärungsmodell oft nützlicher sein, als ein zwar aktuelles, aber schlicht zu komplexes Modell – so wie jeder von uns eben zum „Geozentriker“ wird, wenn er ein bestimmtes Sternbild sucht oder am Stand der Sonne die Tageszeit abschätzen möchte.

Auch wenn ich in diesem Buch also neue – bislang in der gängigen Medizin noch nicht allgemein wahrgenommene – Forschungsergebnisse vorstelle und mit Erkenntnissen aus zahlreichen anderen Wissenschaftsbereichen verbinde, dann meine ich nicht etwa, damit nun die „eine einzige Wahrheit“ über das Herz zu präsentieren. Obwohl ich natürlich fest davon überzeugt bin, dass es für die Herzmedizin mehr als nützlich wäre, sich (fachübergreifend) neuen Erkenntnissen zu öffnen! Denn wenn ich als Arzt nicht nur weiß, sondern wirklich verstanden und erfahren habe, dass das Herz über eine eigene Intelligenz verfügt und in höchst realer Weise das Zentrum unseres Gefühlslebens ist, dann wird mir das eine völlig neue Sicht auf viele Zusammenhänge in unserer Welt ermöglichen. Wenn es aber darum geht, durch eine Ultraschalluntersuchung des Herzens (Echokardiografie) herauszufinden, wie ein Herz konkret arbeitet und wie seine Herzklappen funktionieren, dann wird der engere, aber eben auch einfachere Blick auf das „Herz als Pumpe“ vielleicht der angemessenere sein. Ebenso wird es sein, wenn es zum Beispiel gilt, ein Kunstherz zu konstruieren oder eine Herztransplantation durchzuführen.

Generell lässt sich also sagen: Für bestimmte Untersuchungen oder um die exakte Wirksamkeit bestimmter Medikamente einschätzen zu können, mag das „alte“ Bild vom Herzen genügen. Sobald ich aber nach Therapieansätzen suche, die über das rein Körperliche hinausgehen, muss sich der Blick weiten und auch Zusammenhänge einbeziehen wie die zwischen Stress und Gefühlen, ja, sogar von Meditation, Gebet und Verzeihenkönnen. Schaue ich als Arzt hingegen allein auf das Herz mit seiner ohne Zweifel beeindruckenden „Mechanik“, dann werde ich vielleicht auch dann zum Beispiel eine Bypass-Operation als einzige Therapiemöglichkeit erkennen können, selbst wenn mir klar sein sollte, dass ich damit die eigentlichen Ursachen der Herzerkrankung nicht beseitigen kann.

Noch spannender ist es aus ärztlicher Sicht aber, dass ich durch eine erweiterte Kenntnis des Herzens und seiner vielfältigen Aufgaben und Fähigkeiten, neue Therapiemöglichkeiten sogar bei Krankheiten, die scheinbar mit dem Herzen gar nichts zu tun haben, zu sehen vermag (wie Krebserkrankungen). Ein gutes Beispiel dafür ist der Gastbeitrag von Prof. Dr. Maximilian Moser vom Human Research Institute, führend in der noch recht neuen Wissenschaft der Chronobiologie, der als einer renommiertesten Forscher zum Bereich Herzfrequenz-Variabilität in Kapitel 4 spannende Parallelen zwischen den Funktionen des menschlichen Herzens und musikalischen Phänomenen zieht.

Um es kurz zu sagen: Ziel dieses Buches ist es nicht etwa, bewährte Methoden der Kardiologie zu widerlegen oder beiseitezuschieben, sondern darüber hinausgehend den Blick zu öffnen für die vielfältigen und faszinierenden Möglichkeiten, die die neuesten Forschungsergebnisse gerade auch aus anderen Fachgebieten offerieren.

Und damit eröffnet sich gleichsam nebenbei auch eine völlig neue Sicht auf die Welt, zum Beispiel die, dass das Herz in eine Welt hineinwirkt, in der Raum und Zeit keine Bedeutung mehr haben, bei der sich die Trennung zwischen Ich und Welt auflöst: Wir sind durch das Herz mit dieser Welt verbunden und zwar auf eine sehr unmittelbare Weise.

Der fachkundige Leser wird immer wieder an verschiedenen Stellen im Buch kritische Anmerkungen machen können und vielleicht Studien vorzuweisen wissen, die zu anderen Ergebnissen und Schlussfolgerungen kommen, als den hier vorgestellten. Hierzu möchte ich Folgendes anmerken: Wie wir aus der Quantenphysik wissen (und wie ich es in diesem Buch auch ansatzweise ausführen werde), hat der Beobachter auf das zu beobachtende Objekt einen unmittelbaren Einfluss. Es gibt – das ist eine wichtige Erkenntnis der Quantenphysik – keine wirklich letztgültige, „objektive“ Wissenschaft. Jede Sicht auf die Welt ist durch den Betrachter und sein Erkenntnisinteresse geprägt, wie wir oben andeutungsweise schon gesehen haben.

Auch sind die Grundlagen dessen, was hier dargestellt wird, bei Weitem noch nicht abschließend erforscht, sodass es zuweilen auch einander widersprechende Interpretationen einzelner Sachverhalte geben kann.

Ferner kommt hinzu, dass die hier vorgestellten Ergebnisse zum Teil noch sehr neu sind (zumindest aus Sicht des Mediziners), und dass in den nächsten Jahren viele weitere Erfahrungen und Forschungsergebnisse hinzukommen werden. Der darin begründeten Unzulänglichkeit dieses Buches bin ich mir durchaus bewusst, stand ich doch auch immer wieder vor der Frage, wo eine Grenze zu ziehen wäre bei der Darstellung umgreifender Zusammenhänge. Es geht mir in diesem Buch um einen ersten, neuen Entwurf einer künftigen Herzlehre – auch wenn es in Einzelheiten ganz sicher noch Korrektur- und Diskussionsbedarf gibt.

Letztlich könnte jedes der folgenden Kapitel ein eigenes Buch sein! Deshalb will auch dieses Buch weiter wachsen – und zwar mit Ihrer Hilfe! Gerne dürfen Sie mich auf Fehler, Unzulänglichkeiten, auf Ergänzungen und auf Ihre (gerne persönlichen) Erfahrungen aufmerksam machen. Beziehen sich diese Einwände oder Anregungen auf konkrete Arbeiten anderer forschender Menschen, so bitte ich um die Zusendung der entsprechenden Veröffentlichungen oder Quellenangaben.

Entsprechend sind natürlich auch die Literaturhinweise am Ende der meisten Kapitel keineswegs erschöpfend, sondern stellen nur eine Auswahl möglicher weiterführender Bücher dar!

Zur weiteren Entwicklung der hier vorgestellten Zusammenhänge gibt es auch eine Website im Internet, wo Sie sich über aktuelle Fragen, neue Erkenntnisse und auch über Vorträge und Ähnliches informieren können: www.gesundmacher-herz.de

In diesem Buch sind immer wieder auch praktische Übungen und Hinweise enthalten, die hier allerdings nur angerissen werden können. Während Übungen meist eines gemeinsamen Tuns bedürfen, muss ein Buch doch immer im Abstrakten bleiben. Auf der Website werde ich, soweit meine zeitlichen Kapazitäten dies zulassen, meine Vorträge und Seminare ankündigen; gerade in den Seminaren wird es dann auch um praktische und meditative Übungen gehen. Aber unabhängig davon sollte es Ihnen eine „Herzensangelegenheit“ sein, sich selbst übend auf den Weg zu machen, um die inneren Seiten Ihres Herzens besser kennenzulernen.

Auch das muss noch gesagt werden: Das vorliegende Buch kann, will und darf einen Besuch beim Arzt nicht ersetzen; es darf auch nicht dazu verführen, eigenmächtig Medikamente abzusetzen oder dergleichen. Für solche Schritte bedarf es stets der fachkundigen Begleitung durch einen erfahrenen Arzt oder Heilpraktiker!

Kapitel 1

Das Verständnis vom Herz im Wandel der Zeit

Das Herz als Pumpe anzusehen, ist eine Entwicklung der Neuzeit, geprägt vom abendländischen Geist der Aufklärung. In vielen anderen Kulturen werden mit dem Herzen völlig andere Konzepte verbunden! Sich dies einmal klarzumachen, ist schon deshalb sinnvoll, um so die übliche Anmaßung der westlichen Wissenschaftswelt zu hinterfragen. Dass deren Ansichten in unserer Kultur als die einzig wahren angesehen werden, sagt noch gar nichts aus. Zumal als „Instrument“ der Wahrheitsfindung hier allein ein streng naturwissenschaftliches Vorgehen zugelassen ist – paradoxerweise verbunden mit dem Anspruch der einzig wahren Gültigkeit. Im Grunde handelt es sich dabei um die moderne Form eines geistigen Kolonialismus.

Nun würde es zu weit führen, hier einen Überblick über eine Kulturgeschichte des Herzens zu geben. Und das ist auch nicht nötig, da es ein solches Buch bereits gibt.1 Aber einige wenige Gedanken zur Geschichte der Herzlehre sollen hier doch vorgetragen werden:

Die wohl älteste religiöse Kultur, die auch – obwohl so gut wie unbekannt – heute noch ausgeübt wird, ist der Sufismus, der ursprünglich im Zweistromland, also im Gebiet des heutigen Irak und Iran, praktiziert wurde. Durch die Begründung des Islam durch Mohammed (ca. 570 – 632) wurde der Sufismus dann ein Teil der mystischen islamischen Lehre, auch wenn dies nicht mit den Intentionen der Sufis einhergehen muss – etwa unter dem Aspekt, dass dem Sufismus jeglicher weltliche Machtanspruch wesensfremd ist.

Das Herz nimmt im Sufismus eine zentrale Position ein, da es das Organ ist, mit dessen Hilfe die Rückbesinnung2 auf Gott möglich ist. Durch eine mystische Versenkung in die Weisheit des Herzens wird geistige Erkenntnis möglich und ein Weg zu Gott geebnet. Der Sufist geht deshalb einen radikalen Übungsweg, der ein Leben lang andauert, um über die Herzenskräfte eine unmittelbar göttliche Verbindung herzustellen. Auf diesem Grundgedanken basierend entstand im Laufe der Jahrtausende eine regelrechte sufistische Herzenswissenschaft.

In der alten ägyptischen Kultur hingegen war es erstrebenswert, ein „Herz aus Stein“ zu haben – was aber, ganz anders als in unserem Sprachgebrauch, für ein „festes Herz“ stand. Dieses feste Herz nahm im spirituellen Leben der alten Ägypter eine zentrale Rolle ein, während das Gehirn als unwesentlich galt. Das zeigte sich auch beim Einbalsamieren, das ein wichtiger Schritt war, um ein Weiterexistieren nach dem Tode zu sichern: Bei der Einbalsamierung wurden alle Organe aus dem Leichnam entfernt und in separaten Gefäßen aufbewahrt – nur das Herz wurde wieder zurückgelegt. Warum?

„Als zentrales inneres Organ ist das Herz sowohl Ursache als auch Zeuge von allem, was der Mensch je in seinem Leben Gutes und Böses getan hat. Es weiß alles, denn es besitzt ein Gedächtnis, die Intelligenz. Deswegen wird es nach dem Tode für den Verstorbenen Zeugnis ablegen. Am jüngsten Tag ist das Herz der Gefährte des Toten, es wird an seiner Seite für ihn aussagen – nicht gegen ihn. Dabei wird es (in Form eines Herzenssteines oder -käfers) auf eine Waage gelegt und gegen das Symbol der Rechtsgöttin Maat ausgewogen. Ergibt sich dabei ein Gleichgewicht, so wird der Tote auch im Jenseits in harmonischem Gleichgewicht leben. In dieser kritischen Situation war ein Steinherz natürlich von großem Nutzen … Das harte Herz war ein Symbol der Selbstbeherrschung und besonnenen Verhaltens.“3

Auch im christlichen Glauben spielt das Herz (so etwa in der Theologie des Thomas von Aquin) eine zentrale Rolle als das Organ, das allein in der Lage ist, das von Gott Mitgeteilte glaubwürdig zu empfangen und anzunehmen, auch wenn es in den Worten und Taten anderer Menschen gleichsam verborgen ist. Anders als im Sufismus ist das dafür benötigte „offene“ Herz aber nicht das Ergebnis eines asketischen Schulungswegs, sondern zunächst ein göttliches Gnadengeschenk.

Nach diesen wenigen aphoristischen Ausführungen folgen wir abschließend noch einmal den Worten von Høystad:

„Trotz aller Unterschiede in Form und Funktion scheint das Bild des Herzens in allen hier (in seinem Buch, M. P.) untersuchten Kulturen einen gemeinsamen Ursprung zu haben: ein empfindsames und warmes, offenes und flexibles Herz, das auf die Dinge reagiert, die in und um den Menschen geschehen. Alle diese Erfahrungen haben dem Herzen typische metaphorische Funktionen gegeben, die offenbar überall gelten. Vor allem vermittelt das Herz die grundlegenden menschlichen Emotionen, Liebe und Mitgefühl, Leidenschaft und Leid. Es ist seine Funktion, sich sinnlich spürbar zu regen, wenn der Mensch und seine Integrität gekränkt werden. Dies hat dazu geführt, dass das Herz selbst als einsichtsvoll und bewusst gilt und nicht nur als Symptom oder Symbol der Einsicht oder des Bewusstseins. Diese ethische Funktion des Herzens erklärt, warum es in vielen Kulturen zum Sitz der Seele und des Gewissens gemacht wurde.“4

Zu Beginn dieses Kapitels war von der anmaßenden Haltung der abendländischen Kultur die Rede, die häufig unreflektiert mit ihrem reduktionistischen Bild vom Herzen als einer Pumpe meint, die einzig wahre Herzlehre gefunden zu haben. Ein Ziel dieses Buches ist es, anhand aktueller naturwissenschaftlicher Forschungsergebnisse der letzten Jahre zu zeigen, dass „die Alten“ mit ihren hier angerissenen Ansichten gar nicht so falsch lagen! Folgen Sie mir also zu den spannenden neuen Entwicklungen, die sich rund um das Thema Herz in der letzten Zeit eröffnet haben und die unsere so sicher scheinenden Ansichten infrage stellen werden!

Zum Weiterlesen und Vertiefen

Fuchs, Thomas: Die Mechanisierung des Herzens: Harvey und Descartes, Suhrkamp 1992

Høystad, Ole Martin: Kulturgeschichte des Herzens, Böhlau Verlag 2006

Sheldrake, R.: Der Wissenschaftswahn, O. W. Barth 2012

Kapitel 2

Das Herz –Vermittler in Sachen Gefühle!

Das reine Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt.

Blaise Pascal

Selbstverständlich achten und hören wir auf das, was unser Herz uns mitzuteilen hat. Unser Herz „klopft bis zum Hals“, der Herzschlag „dröhnt in unseren Ohren“, das Herz „rast“ bisweilen und manchmal „stolpert“ es sogar und löst Angst aus. All das spüren wir und wir verstehen auch die darin liegende Botschaft.

Es sind aber nicht nur diese besonderen Situationen, in denen das Herz uns etwas über uns und unsere Befindlichkeit mitzuteilen hat – das Herz „spricht“ unablässig. Diese besondere Sprache ist jedoch nicht ohne Weiteres zu entschlüsseln. Interessanterweise sind wir – jedenfalls hier in der westlichen Welt – überhaupt erst in der Lage, die Sprache unseres Herzens zu verstehen, seit uns die moderne Informationstechnik dabei helfen kann. Und das liegt daran, dass die Auskünfte, die das Herz zu geben hat, in seinem Rhythmus verborgen sind.

Fühlt man den eigenen Puls, so wird man – im Normalfall – den Eindruck haben, als sei dieser vollkommen regelmäßig. Misst man ihn aber ganz genau aus, kann man feststellen, dass die Zeiträume zwischen den Herzschlägen doch unterschiedlich lang sind. Wobei sich diese Abweichungen lediglich im Millisekundenbereich bewegen, also nur mit sehr genauen Messinstrumenten überhaupt zu erfassen sind.

Moderne Messtechnik zusammen mit computergestützten Auswertungsverfahren bietet diese Möglichkeit. Schauen wir uns deshalb einmal genauer an, wie die „Kurve“ eigentlich aussieht, die Ergebnis eines Elektrokardiogramms (EKG) ist:

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Diese Abbildung zeigt die unterschiedlichen Phasen des Herzschlags, wie sie durch ein EKG gemessen und aufgezeichnet werden. Die genaue zeitliche Dauer eines Herzschlags lässt sich am exaktesten durch den Abstand zwischen den scharfen Zacken (den sogenannten R-Zacken) ermitteln, die gleichsam den Höhepunkt eines jeden Herzschlags darstellen.

Mit dem Alltagsverstand betrachtet, könnte nun angenommen werden, dass ein möglichst gleicher Abstand zwischen den R-Zacken (eine exakt getaktete Herzfrequenz also) der Idealfall und jede Abweichung ein Übel sei. Tatsächlich jedoch ist der Zeitraum zwischen den R-Zacken immer unterschiedlich lang – und das ist auch gut so, wie wir später noch sehen werden.

Zunächst aber geht es darum, diese feinen Unterschiede in der Frequenz des Herzschlags so präzise wie möglich zu ermitteln – was dann etwa so aussehen könnte:

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Da die Werte der Abweichungen sehr klein und deshalb für Berechnungen etwas umständlich zu handhaben sind, behilft man sich mit einem kleinen Trick: Die genaue Zeit zwischen einem und dem nächsten R-Zacken (zum Beispiel 0,811 Sekunden) wird umgerechnet auf die vertrautere Größe Herzschlag/Minute (das ergibt in diesem Fall = 74 Schläge/Minute).

Würde das Herz also beispielsweise immer genau mit der Frequenz des Abschnitts A in der obigen Abbildung schlagen (= 0,789 Sekunden), so ergäbe das einen regelmäßigen Puls von 76 Schlägen / Minute. Die Frequenz des Abschnitts B (0,769 Sekunden) entspräche hingegen einem Puls von 78 Schlägen/Minute und so weiter:

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Und weil – wie oben zu sehen ist –, die Frequenzen des Herzschlags eben nicht gleichmäßig, sondern „variabel“ sind, wird dieses Phänomen „Herzfrequenz-Variabilität“5 genannt – ein Begriff, der in diesem Buch noch sehr häufig auftauchen wird.

Die bei der Messung der Herzfrequenz-Variabilität entstehende Zahlenreihe (in unserem Beispiel also 76,78,80,74 usw.) kann nun in Form einer Kurve einfach dargestellt werden. Das Bild, das dabei entsteht, kann allerdings höchst unterschiedlich aussehen – und spiegelt direkt und gut verständlich wider, in welcher emotionalen Verfassung sich eine Versuchsperson oder ein Patient befindet.

Es kann deshalb gesagt werden: Die Herzfrequenz-Variabilität ist immer dann ein Signal für einen positiven Gemütszustand, wenn sich die Zeitabweichungen zwischen den R-Zacken eines EKG in einem annähernd regelmäßigen, sinusförmigen Rhythmus wiederholen.

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Negative Gefühlszustände (wie Ärger) führen zu einer uneinheitlichen, unharmonischen, unrhythmischen und scharf gezackten Kurve.

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Positive Gefühlszustände hingegen (wie Wertschätzung) zeigen einen eher regelmäßigharmonischen, gleichsam „schwingenden“ Verlauf.

Herzfrequenz-Variabilität und Geburtshilfe

In der Geburtshilfe ist die Herzfrequenz-Variabilität des ungeborenen Kindes ein wichtiges Indiz für seine Gesundheit. Eine Reduzierung der Herzfrequenz-Variabilität (also eine Tendenz hin zu einem exakt getakteten Herzschlag) bedeutet Gefahr für das Kind und führt unter Umständen zu der Entscheidung, die Entbindung sofort – zum Beispiel durch einen Kaiserschnitt – durchzuführen.

Dabei ist die Herzfrequenz-Variabilität beim ungeborenen Kind sehr viel ausgeprägter als später im Kindes- oder gar im Erwachsenenalter. Allgemein nimmt die Variabilität der Herzfrequenz mit jedem Lebensjahr weiter ab. Das erklärt auch, warum eine Abnahme der Herzfrequenz-Variabilität im Mutterleib als Anzeichen einer unmittelbaren Lebensgefahr für das Kind gesehen wird.

Die „Sprache des Herzens“ ist somit – der Informationstechnik sei Dank – zumindest ansatzweise entschlüsselt. Damit aber tatsächlich von einer Sprache die Rede sein kann, muss der Sprechende – in unserem Fall also das Herz – aus sich heraus etwas mitzuteilen haben, also über so etwas wie eine eigene „Intelligenz“ verfügen. Das allerdings widerspricht dem Bild, das wir traditionellerweise vom Herzen haben. Das Herz ist doch – so haben wir es alle gelernt – nur ein pumpender Muskel, der eine zwar beeindruckende Kraft- und Ausdauerleistung vollbringt, ansonsten aber eher „dumm“ ist. Gesteuert wird die Herztätigkeit, das erscheint uns immer noch selbstverständlich, allein durch das Gehirn.

Tatsächlich aber ist dem ganz und gar nicht so: Neurowissenschaftler wissen vielmehr schon seit einer ganzen Weile, dass das Herz ein eigenes unabhängiges Nervensystem aufweist, das große Ähnlichkeit mit dem Nervensystem des Gehirns hat. Das Herz besitzt – so wissen wir heute – mindestens 40 000 Nervenzellen (Neuronen). Das entspricht immerhin der Menge von Neuronen, über die auch verschiedene Funktionskerne des Gehirns (zum Beispiel der für das Riechen zuständige Hirnbereich) verfügen. Damit ist die Voraussetzung für einen „gleichberechtigten“ Informationsaustausch zwischen dem Nervensystem des Gehirns und dem des Herzens gegeben.

Wobei die Erkenntnis, dass es eine Verbindung zwischen den Nervensystemen des Gehirns und denen des Herzens gibt, ebenfalls nicht neu ist. Allerdings nahm man noch bis in die 1970er-Jahre hinein an, dass diese Verbindung nur deshalb gebraucht werde, damit das Herz die „Befehle“ des Gehirns verstehen und umsetzen könne.

Erst um 1975 herum stellten die Physiologen John und Beatrice Lacey fest, dass die Nervenverbindung zwischen Gehirn und Herz alles andere als eine Einbahnstraße ist.6 Es stimmt zwar, dass das Gehirn „Anordnungen“ an das Herz schickt. Die Laceys entdeckten aber, dass das Herz scheinbar auch so etwas wie einen eigenen Willen hat. Die Nervenzellen des Herzens (wenn man so will: das herzeigene Gehirn) senden also nicht nur Daten an das Gehirn, sondern sie beeinflussen es auch in durchaus entscheidender Weise: