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Jagdverhalten des Hundes

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Unerwünschtes Jagdverhalten gehört zu den häufigsten Problemen, von denen Menschen im Umgang mit ihren Hunden berichten.

Bei Weitem betrifft das nicht nur die Halter von Rassen, die im jagdlichen Gebrauch stehen wie Weimaraner, Deutsch Drahthaar, Deutsch Kurzhaar oder Dackel. Ebenso viele Halter von Hütehunden wie dem Australian Shepherd, Windhunden wie dem Podenco, aber auch der typischen Begleithunde wie Havaneser und Dalmatiner berichten darüber, dass ihre Hunde beim passenden Jagdobjekt kaum noch zu halten sind. Hier hilft dann meist kein Rufen oder Schimpfen mehr. Hat der Hund die wilde Jagd erst einmal begonnen, ist er oft nicht mehr zu halten. Erst wenn das Jagdobjekt geschnappt wurde oder aber fliehen konnte, kommt der Vierbeiner mit glücklichem Gesichtsausdruck und heraushängender Zunge zu seinem Menschen zurück.

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Auch „Gesellschaftshunde“ können Jagdverhalten zeigen. Meist ist es aber nicht so stark ausgeprägt.

Ein Verhalten mit Sinn?
Warum Hunde jagen

Jagdverhalten wird vom Haushund nur selten gezeigt, um Nahrung zu erwerben. Unsere Hunde leben in der Regel gut versorgt im menschlichen Haushalt. Sie bekommen jeden Tag ihr Futter, meistens ohne dafür etwas leisten zu müssen. Und dennoch gibt es so viele Hunde, die nicht widerstehen können, dem weglaufenden Hasen hinterherzujagen oder auch mit Begeisterung Vögel zu verfolgen. Wohl wissend, dass diese zuletzt Genannten eigentlich kaum erreichbar für den Hund sind, da der Vogel, kurz bevor der Hund ankommt, einfach auffliegt und entkommt. An dieser Stelle muss man sich die Frage stellen, welche Gründe es dafür gibt?

VERERBUNG ODER UMWELT?

Jegliches Verhalten des Hundes wird zu einem gewissen Prozentsatz immer durch die Genetik bestimmt, also durch die Gene, die ein Hund von seiner Mutter bzw. seinem Vater erhalten hat. Doch Vererbung allein kann Verhalten nicht bestimmen, darüber ist man sich in der Wissenschaft mittlerweile einig. Immer auch spielt der Einfluss der Umwelt, in der der Hund lebt, für die Ausprägung von Verhalten eine Rolle.

Diese Theorie gilt natürlich auch in Bezug auf das Jagdverhalten des Hundes. Wenn Jagdverhalten also grundsätzlich genetisch begründet ist, dann sollte man sich zunächst einmal anschauen, wie es beim Urvater des Hundes, dem Wolf, eigentlich aussieht.

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Der Australian Cattle Dog-Rüde Ponto schleicht an Martin Rütters Beute, einen Ball, an.

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Als Ponto nahe genug an Martin und den Ball herangekommen ist, setzt er zum Sprung an.

DER WOLF – STAMMVATER DES HUNDES

Vergleicht man das Jagdverhalten von Hunden und Wölfen, findet man sehr schnell, gerade in Bezug auf Jagdobjekte, gravierende Unterschiede. Die Jagd z. B. auf Vögel wird von Wölfen in der Regel nur im jugendlichen Alter gezeigt. Die spielerische Jagd auf Objekte ist ebenfalls ein typisches Verhalten junger Wölfe. Hier wird spielerisch geübt, was man später als erwachsener Wolf einmal benötigt. Spielverhalten wird von den Jungwölfen gezeigt, um zu lernen. Zum einen wird hierdurch die motorische Geschicklichkeit trainiert, Handlungen werden verfeinert. Zum anderen probiert der junge Wolf aber auch aus, welche Jagdobjekte sinnvoll sind, sich lohnen, und welche nicht. Er macht sehr schnell die Erfahrung, dass Vögel in der Regel keine lohnenden Jagdobjekte darstellen, da sie für den Wolf unerreichbar sind. Durch die ernsthafte Jagd auf einen Vogel würde Energie verwendet, die durch das Fangen und Verspeisen von Beute nicht ausgeglichen werden kann. Erwachsene Wölfe rennen somit Vögeln nicht mehr hinterher, vielmehr beobachten Wolfsforscher, wie regelrecht symbiotische Lebensgemeinschaften z. B. zwischen Wölfen und Raben existieren.

HUNDE SIND KEINE WÖLFE

Hunde unterscheiden sich also gravierend in der Ausprägung des Jagdverhaltens von ihren Verwandten, den Wölfen. Der Hund verhält sich auch im Erwachsenenalter in der Regel so, wie sich nur ein junger Wolf verhalten würde. Er jagt spielerisch hinter allem her, was ihm vor die Nase kommt, es steht kein existentieller Sinn dahinter. Hunde haben sich damit deutlich im Bereich des Jagdverhaltens in Bezug auf die Verhaltensentwicklung von Wölfen entfernt, die Domestikation zeigt ihre Wirkung gerade in diesem Bereich. Damit wird auch deutlich, dass man Wölfe und Hunde niemals eins zu eins vergleichen kann. Natürlich kann für das Verständnis und für ein Training von Hunden ein Vergleich mit dem Wolf durchaus hilfreich sein. Dennoch sollte man sich hüten, ausschließlich aufgrund von wölfischem Verhalten auf hündisches Verhalten zu schließen und daraus Trainingsansätze zu entwickeln.

JAGEN ALS SELBSTBELOHNENDES VERHALTEN

Was ist nun aber der Grund dafür, dass viele Hunde einer Jagd nicht widerstehen können? Der Hund empfindet schon das Verfolgen von Beute als angenehm und belohnend. Ob die Beute dabei letztendlich gefangen wird oder aber fliehen kann, spielt keine Rolle. Jagen an sich ist somit ein Verhalten, das für den Hund selbstbelohnenden Charakter hat.

Diese Ursache führt auch dazu, dass viele Hunde geradezu nach Situationen suchen, in denen sie dieses Verhalten wieder ausführen können. Ebenso erklärt es, warum ein jagender Hund nur schwer von diesem Verhalten abgebracht werden kann, wenn er einmal damit begonnen hat. Er hat seine Belohnung sozusagen schon erhalten, er ist gerade mittendrin!

Jagen macht Hunden einfach Spaß. Dieser Ansicht war z. B. auch der Kynologe Erik Zimen, der in einem Gespräch mit Martin Rütter Folgendes zu diesem Thema sagte: „Ach Martin, so eine kleine Hatz ab und zu macht doch einfach Spaß und sollte schon sein!“ (Zimen im Gespräch mit Martin Rütter, 1994)

SOLL MAN JAGDVERHALTEN UNTERBINDEN?

Der Ausspruch von Erik Zimen führt noch zu einem weiteren Aspekt. Wenn Jagdverhalten nun also ein durch die Genetik fest verankerter Teil des hündischen Verhaltens ist, muss man sich fragen, welche Auswirkungen es auf den Hund hat, wenn man ihm dieses Ausleben seiner genetisch bedingten Bedürfnisse verbieten würde.

Für einen Hund mit großer jagdlicher Motivation stellt es eine starke Unterdrückung seiner Wesenszüge dar, wenn man ihm keine Möglichkeit zum Ausleben dieses Verhaltens gibt. Als Folge davon entwickelt sich dann oft fehlgeleitetes Jagdverhalten wie das Jagen von Joggern, Fahrrädern oder sogar Autos.

Der Hund sucht irgendeine Befriedigung für das in ihm vorhandene Bedürfnis der Jagd und wendet es auf jedes Objekt an, das irgendwie als Beuteobjekt in sein Schema passt. Im Falle des Fahrrad jagenden Hundes ist es das schnelle Flüchten der Beute, das die Jagdsequenz auslöst.

Es gibt also erwiesenermaßen physiologisch messbare neuronale Unterschiede zwischen Jagd und Aggression, dennoch ist beides ein aggressiver Zustand. Bei der jagdlichen Sequenz ist es allerdings eher ein funktionaler Akt ohne große emotionale Beteiligung, bei der sozialen Aggression findet man dagegen auch eine emotionale Beteiligung, der Hund kann richtiggehend „wütend“ sein. Ein Unterschied zeigt sich auch in der Art des Verletzens, beim Jagdverhalten werden in der Regel gezielte Bisse zum Töten des Beutetiers eingesetzt. Bei der sozialen Aggression findet man eher ungezielte Bisse.

Eine weitere mögliche Konsequenz, die bei der Unterdrückung von Verhalten entstehen kann, sind psychische Störungen wie autoaggressives Verhalten. Der Hund löst die durch die nicht befriedigten Bedürfnisse aufgetretenen Spannungen, indem er sich z. B. selbst verletzt. Meistens werden dabei die Pfoten beknabbert, oder aber die Rute ununterbrochen gejagt. Dies kann so weit führen, dass der Hund sich Pfoten oder Rute regelrecht blutig beißt.

Damit ist klar: Einen Hund vom Jagen abzuhalten, kann nicht artgerecht sein. Es führt in der Regel zu weiteren schwerwiegenden Verhaltensproblemen und kann daher nicht als Lösung des Problems angesehen werden. Wir sollten uns immer bemühen, Hunde so artgerecht wie möglich zu halten. Doch wer hat heutzutage noch die Möglichkeit, seinen Hund den ganzen Tag nach Lust und Laune durch die Natur streifen zu lassen, damit er seine Bedürfnisse nach dem Auffinden von Spuren und dem Verfolgen von Beute ausleben kann? Der Lebensraum ist heute sehr beengt, viel befahrene Straßen durchziehen die Landschaft, und natürlich ist auch die Natur mittlerweile so stark beansprucht, dass die Wildtiere vor unnötigen Störungen geschützt werden müssen.

Der Freiraum, den Halter mit Hunden nutzen können, wird immer kleiner, oft noch erschwert durch Zeiten von komplettem Leinenzwang, der einen Freilauf unmöglich macht. Was liegt da zunächst näher als der Gedanke, Jagdverhalten gar nicht erst entstehen zu lassen?

WICHTIG

Jagd hat nichts mit Aggression zu tun!

In diesen Zusammenhang gehört z. B. der jagdlich orientierte Angriff eines Hundes auf den Menschen. Obwohl ein solcher Angriff schlimm ist, unterscheidet er sich doch grundsätzlich von einem aggressiv motivierten Angriff eines Hundes. Untersuchungen haben ergeben, dass die neuronalen Steuerungen beim Jagdverhalten grundsätzlich anders sind als bei aggressivem Verhalten. „Nun rechnet man heute das Beutefangverhalten i. A. zwar nicht zum Aggressionsverhalten, seine neuronale Steuerung ist eine andere, mit Beutetieren wird nicht aggressiv kommuniziert, die Handlungsketten sind deutlich verschieden.“ (Feddersen-Petersen, 2005, S. 437)

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Gerade der Jack Russel Terrier wird als Kleinhund oft nicht genügend ausgelastet und sucht sich dann andere Jagdobjekte wie Jogger oder Radfahrer.

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Martin Rütter beim entspannten Spaziergang mit seiner Australian Shepherd-Mischlingshündin Emma.

Verhaltensentwicklung:
Früh übt sich ...

Der Welpe wird taub und blind geboren, er ist noch komplett von der Mutterhündin abhängig. Damit ist klar, dass in dieser Zeit vom Welpen offensichtlich noch kein Jagdverhalten gezeigt werden kann. Doch wann werden die ersten Elemente des Jagdverhaltens gezeigt? Bis der Hund dem Hasen hinterherläuft, dauert es in der Regel noch einige Zeit.

JAGDVERHALTEN BEIM WELPEN

Beobachtet man das Verhalten von Welpen, stellt man schnell fest, dass schon Welpen Jagdspiele mit Ersatzbeuteobjekten wie Spielzeugen zeigen oder das Fixieren, Anschleichen und Hetzen mit ihren Wurfgeschwistern als Beuteersatz üben. Schon ab dem Alter von 4 – 5 Wochen sieht man gerade im gemeinsamen Spiel der Welpen deutlich, dass diese bereits in dieser Phase, der Prägephase, spielerisch jagdliche Verhaltenssequenzen üben.

Noch deutlicher wird das Jagdverhalten in der folgenden Sozialisierungsphase zwischen der 8. und 16. Woche. In dieser Zeit kann man häufig Welpen beobachten, die spielerisch einem Blatt hinterherjagen, die einen Stofffetzen „totschütteln“ oder einen Ball mit einem Sprung „erschlagen“. Der Unterschied zum späteren Jagdverhalten besteht einzig und allein in der Ernsthaftigkeit des Verhaltens. In dieser Zeit wird spielerisch geübt, was man später einmal im Leben braucht.

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Der zehn Wochen alte Dalmatinerwelpe Janeiro beim ausgelassenen Spiel mit einem Blatt. Welpen lassen sich schnell von einem herumfliegenden Blatt zu einem Jagdspiel verleiten.

MERKMALE VON SPIELVERHALTEN

Echtes Spiel ist durch verschiedene Merkmale gekennzeichnet. Es fehlt der Ernstbezug, es gibt keine Endhandlung. Wenn ein Welpe also z. B. einen jagdlichen Angriff mit Anschleichen, Fixieren und Verfolgen auf eines seiner Geschwister startet, ist für alle klar, dass diese Handlung nicht ernst gemeint ist, am Ende also kein Packen und Töten der „Beute“ erfolgt.

Deutlich wird dies durch die sogenannten Spielsignale. Hierzu gehört neben einer übertriebenen Körperhaltung auch eine extreme Mimik, das Spielgesicht. Hunde reißen dafür das Maul weit auf, so dass man ihr gesamtes Gebiss sehen kann. Es zeigt dem anderen Hund deutlich: „Sieh her, hier sind meine Waffen, ich beabsichtige aber nicht, sie einzusetzen.“ Die übertriebene Körperhaltung zeigt sich gerade beim Jagdspiel von erwachsenen Hunden. Der verfolgte Hund flüchtet nicht im Jagdgalopp, einer Bewegungsform mit weiten Sprüngen mit großem Raumgriff und gestreckter Wirbelsäule. Vielmehr wirft er die Beine hoch in die Luft und baut Sprünge sowie Drehungen mit ein. Die Opferrolle wird durch eine extrem in einem starken Bogen eingezogene Rute verdeutlicht. Diese unterscheidet sich klar von der eng eingezogenen Rute eines Hundes, der Angst hat und tatsächlich verfolgt wird. So ist für alle Beteiligten klar: Hier wird nur gespielt!

 

Der Spielverlauf ist durch Wiederholungen gekennzeichnet, es werden Verhaltensweisen aus den verschiedenen Verhaltensbereichen aneinandergefügt. So kann also der Welpe das Anschleichen direkt nach dem Ende der Verfolgungsjagd erneut durchführen, er kann dann aber auch eine vollkommen andere Handlung zeigen, indem er z. B. das Geschwisterchen in die Beine beißt und damit ein Beißspiel startet.

Zudem ist Spiel nicht einseitig, es gibt immer wieder einmal einen Rollenwechsel. Der Rollenwechsel ermöglicht es einem in einer Beziehung dominanten Hund eine eher rangniedrige Rolle einzunehmen, und umgekehrt kann der Rangniedrige spielerisch auch einmal über dem Ranghöheren stehen. Dadurch entstehen keine Probleme für die weitere Beziehung und die entwickelte Rangordnung bzw. Beziehungsebene, denn für alle Spielpartner ist klar: „Das ist alles nur ein Spiel.“ So könnte beim Spiel mit den Welpen durchaus auch die Mutterhündin die Rolle des Gejagten, des Opfers, übernehmen und sich von ihren Welpen verfolgen lassen.

Sollte allerdings Gefahr im Verzug sein, ist jedes Spiel sofort beendet. Spiel findet also immer nur dann statt, wenn alle Beteiligten sich sicher fühlen, die Situation entspannt ist.

WICHTIG

Kennzeichen von Spiel

Kein Ernstbezug

Keine Endhandlung

Wiederholungen

Immer neu kombinierte Handlungen

Rollenwechsel

Übertriebenes Ausdrucksverhalten

Entspannte Lebenssituation

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Beim Spiel der Labrador Retriever-Welpen geht es hoch her. Spielerisch werden hier Sequenzen des Jagdverhaltens eingeübt.

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Die 11 Wochen alte Golden Retriever-Hündin Wilma tobt wild mit der erwachsenen Golden-Hündin Berle.

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Berle lässt sich ganz auf das Spiel ein, sie spielt die Unterlegene und lässt Wilma obenauf sein.

JAGD ALS NATÜRLICHER BESTANDTEIL DES VERHALTENSREPERTOIRES

Diese ersten Sequenzen des Jagdverhaltens braucht ein Welpe nicht von der Mutterhündin zu erlernen, sie sind genetisch fixiert und reifen in der Verhaltensentwicklung des Welpen zum genetisch festgelegten Zeitpunkt heran. Sie werden dann im Spiel mit Objekten und den Geschwistern sowie der Mutter verfeinert und vollständig ausgebildet.

Die Entwicklung des Jagdverhaltens ist also vollkommen natürlich und ohne grundlegende Eingriffe in die Entwicklung der Welpen nicht zu verhindern. Denn dies wäre nur dann möglich, wenn man den Welpen ohne jegliche Reize wie Spielzeug, aber auch Blätter, Sonnenstrahlen etc. aufwachsen lassen würde. Zudem dürfte er keinen Kontakt mit seinen Geschwistern und der Mutterhündin haben, denn gerade im Spiel miteinander wird jagdliches Verhalten geübt.

Doch welche Verhaltensprobleme sich dann entwickeln würden, ist durch die sogenannten Kaspar-Hauser-Versuche längst bekannt. Hier wurden in der Verhaltensbiologie Versuche durchgeführt, Tiere möglichst ohne Umwelterfahrungen und Kontakt zu Artgenossen und anderen Tieren aufzuziehen. Man wollte damit den Nachweis führen, dass die vom Tier gezeigten Verhaltensweisen im Erbgut verankert sein müssen. Am bekanntesten sind hier die Versuche von Harry Harlow (1905 – 1981) mit Rhesusaffen. Die vollkommen isoliert aufgewachsenen Versuchsaffen waren später so verhaltensgestört, dass sie oft selbst nicht mehr in der Lage waren, Junge aufzuziehen.

Ein soziales Lebewesen wie den Hund in den wichtigsten Entwicklungsphasen seines Lebens, der Welpenzeit, isoliert zu halten, führt daher erwiesenermaßen zu schwerwiegenden Entwicklungsproblemen. Der Hund kann weder lernen, wie man sich in einer Gruppe verhält, noch erlernt er die Anwendung und das Verständnis der arteigenen Kommunikation. Zudem weiß er nicht, wie er mit Außenreizen umgehen soll, er wird vor jedem neuen Reiz Angst zeigen. Diese Problematik kennt man auch von Welpen, die aus Welpenproduktionsstätten kommen, wo sie ohne jegliche Reize in einem Stall oder Kellerraum aufwachsen. Die Aufnahme eines solchen Hundes ist eine große Herausforderung für die neuen Halter, denn dieser Welpe muss behutsam an die Anforderungen des Lebens herangeführt werden. Wird der Welpe mit 8 Wochen vermittelt, kann er durch entsprechende Prägung und Sozialisation noch genügend lernen, um ein halbwegs normales Leben zu führen. Wird der Hund jedoch erst im Junghundealter oder als erwachsener Hund vermittelt, wird er sein Leben lang große Probleme haben, sich in der menschlichen Zivilisation zurechtzufinden.

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Der sechs Wochen alte Labrador zeigt schon perfektes Jagdverhalten. Er schleicht an die Beute „Ball“ an, um sie danach mit einem Sprung zu packen.

WAS NICHT VORHANDEN IST, KANN SICH AUCH NICHT ENTWICKELN

Viele Menschen haben Angst, dass sie ihren Hund durch ein falsches Training erst recht zu einem Jäger machen. Diese Angst ist jedoch vollkommen unbegründet. Jagdliche Veranlagung muss vorhanden sein, sonst kann sich diese nicht zeigen und entwickeln. Deutlich wird dies, wenn man die Verhaltensunterschiede der einzelnen Rassen in Bezug auf das Jagdverhalten vergleicht. So zeigen Vorstehhunde z. B. ausgeprägt das sogenannte Vorstehen. Sie verharren dabei mit einer erhobenen Vorderpfote, sobald sie Wild gewittert haben. Dieses Verhalten ist genetisch bedingt. Kein Labrador Retriever, der zu der Rassegruppe der Apportierhunde (to retrieve = herbeibringen) gehört, würde mit noch so viel Training beginnen vorzustehen, denn dieses Verhalten ist in seinem Verhaltensrepertoire nicht vorgesehen. Natürlich könnte man ihm mit viel Geduld beibringen, beim Aufspüren von Wild stehen zu bleiben, jedoch hätte dieses Verhalten kaum die Ausprägung, die ein Vorstehhund dabei zeigt. Der Labrador würde vielleicht stehen bleiben, jedoch ohne angewinkelte Vorderpfote. Der Blick geht dann auch eher ständig zwischen Beute und Mensch hin und her, denn dem Retriever ist die Zusammenarbeit mit dem Menschen besonders wichtig. Er würde wahrscheinlich eher nicht ausdauernd, ohne den Kopf abzuwenden, die Beute fixieren. Gefördert werden kann also immer nur das, was auch in den Anlagen des Hundes vorhanden ist.

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Die Deutsch-Drahthaar-Mischlingshündin Nana zeigt beim Anschleichen auf Beute häufig ein ausgeprägtes Vorstehen. Dieses Verhalten musste sie nicht lernen, es ist genetisch in ihrem Verhaltensrepertoire angelegt.

JAGDVERHALTEN BEIM JUNGHUND

Kritisch wird es in der Junghundezeit. In dieser Phase lernt der junge Hund, welche Jagdobjekte sich lohnen und wie ernsthafte Jagd erfolgreich umgesetzt werden kann. Dies muss er in der Natur auch, denn sonst könnte er nicht überleben. Das junge Rudelmitglied wird nun von den Erwachsenen zur Jagd mitgenommen, denn Jagdverhalten hat durchaus auch eine soziale Komponente. Der Jungspund muss lernen, wie man sich in der Gruppe verhält, damit die Jagd erfolgreich ist, damit die Gruppe überleben kann.

Genetisch fixierte Verhaltenselemente müssen sich also auch entwickeln, um perfektioniert zu werden. Diese Entwicklung geschieht durch Lernvorgänge:

  • Lernen durch Versuch und Irrtum (try and error): Der Junghund, der zufällig eine Maus erwischt, auf die er gesprungen ist, macht die Erfahrung, dass sich dieses Verhalten lohnt. Er wird es daher in Zukunft öfter zeigen und immer weiter perfektionieren.

  • Lernen durch Beobachtung: Durch Beobachten und Nachahmen der Althunde lernen die Junghunde, wie man ein Beutetier stellt oder reißt.

GEZIELTE PRÄGUNG AUF EINE BEUTE

Das Vorstehen des Vorstehhundes oder das Fixieren des Hütehundes sind somit zwar genetisch fixierte Verhaltenselemente, aber die Objekte, auf die diese Elemente gerichtet sind, müssen vom Hund erst erlernt werden.

Diese Voraussetzung sollte man sich bei der Erziehung seines Hundes zunutze machen. Verhindert man, dass der Junghund in seiner Entwicklung zum erwachsenen Hund z. B. einem Hasen hinterherläuft, indem man ihn in dieser Phase auf Spaziergängen an der Schleppleine laufen lässt, macht er nicht die Erfahrung, wie viel Spaß die Verfolgung dieser Beute machen kann. Parallel dazu darf er z. B. einen Futterbeutel oder ein Felldummy jagen, indem gezielt Jagdspiele mit ihm mit vom Menschen vorgegebener Beute durchgeführt werden.

Gerade in dieser Phase sind Erlebnisse einschneidend, denn der Hund hat aufgrund seines Alters noch nicht viele Erfahrungen gemacht. Ist nun eine der ersten jagdlichen Erfahrungen der Spaß, hinter einem Hasen herzulaufen, wird sich dieses Erlebnis regelrecht im Gedächtnis des Hundes einbrennen. Er speichert sie als lohnende Handlung ab und wird nun immer wieder im Lauf seines Lebens versuchen, dieses Glücksgefühl, das er bei der Durchführung der Handlung empfunden hat, wiederherzustellen. Hat der Hund aber in der Junghundezeit viele anregende Reize in Bezug auf das Jagdverhalten mit seinem Menschen erfahren, indem er z. B. eine spannende Beute apportieren durfte, einem Gegenstand hinterherhetzen oder aber auch eine Spur verfolgen durfte, bestehen bereits viele positive Erfahrungen hinsichtlich des Auslebens von Jagdverhalten. Wenn der Hund nun im Alter von zwei oder drei Jahren doch einmal einem Hasen hinterherläuft, wird dieses Erlebnis nicht so einschneidend für ihn sein. Es wird ein Erlebnis mit guten Gefühlen unter vielen anderen Erlebnissen sein, so dass die Gefahr, dass der Hund nun andauernd versucht, erneut den Hasen zu jagen, viel geringer ist.

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