James Fenimore Cooper


Die Prärie

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Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-945667-91-0


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Vierunddreißigstes Kapitel



Mich dünkt, ich hört' ne Stimm'.

Shakespeare


Die Wasser waren in ihrer Höhe und das Boot flog der schnellen Flut hinunter wie ein Vogel. Die Fahrt war glücklich und schnell. In weniger als einem Drittel der Zeit, die zu derselben Reise aber zu Land, nötig gewesen, ward sie, begünstigt von diesen schnellen Flüssen, zurückgelegt. Aus einem Strom in den andern eingehend, ganz wie die Adern des menschlichen Leibes mit den größeren Lebenscanälen communiciren, traten sie bald in die große Arterie der westlichen Wasser ein, und landeten glücklich an der Tür des Vaters der Inez.

Die Freude des Don Augustin und die Verlegenheit des würdigen Paters Ignatius kann man sich leicht denken. Der Erstere weinte und sagte dem Himmel Dank, der Letztere dankte und weinte nicht. Die milden Provinzleute waren zu glücklich, um Fragen über die Art einer so erfreulichen Wiederbringung zu tun, und durch eine Art allgemeiner Übereinkunft ward es bald eine angenommene Meinung, Middletons Braut sei von einem Schelm geraubt, und durch menschliche Anstrengung ihren Freunden wiedergegeben worden. Freilich gab es in Hinsicht dieses Glaubens einige Skeptiker, aber dann erfreuten sie sich ihrer Zweifel im Geheim, mit jener Art hoher, heimlicher Lust, die ein Geiziger empfindet, wenn er auf seine wachsenden aber nutzlosen Haufen hinstarrt.

Um dem würdigen Priester einige Beschäftigung zu geben, machte Middleton ihn zum Werkzeug der Vermählung Pauls mit Ellen. Der Erstere gab seine Zustimmung zu der Zeremonie, weil er fand, daß alle seine Freunde großes Gewicht darauf legten, aber bald nachher führte er seine Braut in die Ebenen von Kentucky unter dem Vorwand, mehreren Gliedern von der Familie Hover die gewöhnlichen Besuche zu machen. Während er hier war, nahm er Gelegenheit, die Vermählung gehörig durch einen Friedensrichter von seiner Bekanntschaft bestätigen zu lassen, da er in dessen Geschicklichkeit, die Ehekette fest zu schmieden, größeres Vertrauen setzte, als in die aller Geistlichen innerhalb der Ringmauern Roms. Ellen, die sich bewußt zu sein schien, daß einige außerordentliche Vorkehrungen nötig sein möchten, um einen so herumschweifenden Geist, wie ihren Gemahl, in den gehörigen Eheschranken zu halten, machte keine Schwierigkeit wegen dieser doppelten Banden, Und so waren beide Teile befriedigt.

Die locale Wichtigkeit, welche Middleton durch seine Verbindung mit der Tochter eines so begüterten Eigentümers wie Don Augustin und durch seine persönlichen Verdienste erlangt hatte, zogen die Aufmerksamkeit der Regierung auf ihn. Er wurde bald in verschiedenen Stellungen von Verantwortlichkeit und Vertrauen gebraucht, und dies trug dazu bei, seinen Charakter in der öffentlichen Achtung zu heben, und ihm Mittel zu Empfehlungen zu geben. Der Bienenjäger war unter den Ersten, auf die er seine Gunst ausdehnen wollte; es war gar nicht schwer, passende Stellen für Pauls Geschicklichkeit in dem Staate zu finden, der erst drei und zwanzig Jahre in diesen Gegenden bestand. Die Bemühungen Middletons und der Inez für ihren Gemahl wurden warm und scharfsinnig von Ellen unterstützt, und es gelang ihnen, mit der Zeit eine große, wohltätige Veränderung in seinem Charakter hervorzubringen. Er wurde bald Landbesitzer, dann ein glücklicher Bebauer des Bodens und kurz nachher ein Stadtbeamter, Durch das allmählige Fortschreiten, das man oft in der Republik so sonderbar von einer entsprechenden Zunahme in Wissenschaft und Selbstachtung begleitet sieht, ging er Schritt für Schritt, bis sein Weib den mütterlichen Trost hatte, ihre Kinder weit über die Gefahr hinaus gestellt zu sehen, wieder in den Zustand zurückkehren zu müssen, aus dem ihre Eltern sich hervorgearbeitet hatten. Paul ist wirklich in diesem Augenblick Mitglied der niederen Gerechtigkeitspflege des Staates, wo er so lange gelebt hatte, und er ist selbst bekannt durch seine Reden, die darauf ausgehen, diesen beratenden Körper in eine gute Laune zu versetzen, und welche, da sie auf große praktische Kenntnis gegründet sind, wie sie für den Zustand des Landes passend ist, noch ein Verdienst haben, das vielen spitzfindigeren und feingesponnenen Theorien abgeht, die man täglich in ähnlichen Versammlungen von den Lippen gewisser Instinctartiger Politiker kommen hört. Aber alle diese herrlichen Früchte waren das Ergebnis vieler Sorgfalt und langer Zeit. Middleton, der mit einem, seiner verschiedenen Erziehung angemesseneren Ansehen einen Sitz in einem weit höheren Collegium der gesetzgebenden Gewalt einnimmt, ist die Quelle, aus der wir die meisten, zur Verfassung unserer Sage nötigen Nachrichten geschöpft haben. Außer dem, was er von Paul erzählt hat, und was sein eigenes fortwährendes Glück betraf, hat er auch eine kurze Erzählung von dem, was bei einem folgenden Besuch der Steppen vorging, gegeben, mit der, da wir sie für einen passenden Schluß zu dem Vorhergehenden halten, wir unsere gegenwärtige Arbeit schließen wollen.

Im Herbst des Jahrs, das auf jenes folgte, in das die vorhergehenden Begebenheiten fielen, fand der junge Mann, noch in dem Militärdienst des Landes, sich an den Wassern des Missouri an einem Punkt, der nicht weit von den Pawnee-Städten entfernt war. Frei von jeder unmittelbaren Anforderung der Pflicht, und eifrigst zu dem Schritt von Paul angetrieben, der in seiner Compagnie stand, entschloß er sich, Pferde zu nehmen, und das Land zu durchschreiten, um den Parteiführer zu besuchen, und sich nach dem Schicksal seines Freundes, des Streifschützen, zu erkundigen. Da sein Gefolge seinem Amt und Rang angemessen war, ging die Reise mit den gewöhnlichen Entbehrungen und Mühseligkeiten vor sich, die mit einem Zug in einer Wüste verbunden sind, aber ohne alle jene Gefahren und Besorgnisse, die seinen früheren Weg durch dieselben Gegenden ausgezeichnet hatten. Als er in der gehörigen Nähe war, schickte er einen indianischen Boten ab, der zu einem befreundeten Stamm gehörte, um seine und seiner Begleitung Ankunft anzusagen, während er seine Reise bedächtig fortsetzte, damit die Nachricht, wie es gewöhnlich war, seiner Ankunft vorausginge. Zum Erstaunen der Wanderer blieb ihre Botschaft unbeantwortet. Eine Stunde ging nach der andern vorüber, eine Meile ward nach der andern zurückgelegt, ohne daß sie weder ein Zeichen einer ehrenvollen Aufnahme, oder auch nur die einfacheren Versicherungen eines freundlichen Willkommens brachten. Endlich stieg die Cavalcade, an deren Spitze Middleton und Paul ritt, von der Hochebene herab, auf der sie lang hingezogen, und langte auf einem üppigen Grunde an, der sie auf gleiche Höhe mit dem Dorf der Wölfe brachte. Die Sonne begann zu sinken, und eine Schichte goldenen Lichts war über die ruhige Ebene hingegossen, und lieh auch ihrer Oberfläche jene glorreichen Tinten und Farben, welche, wie die menschliche Einbildungskraft so gern sich vorspiegelt, den Reiz noch weit imponirender Auftritte ausmachen. Die Grüne des Jahrs blieb noch, und Herden von Pferden und Maultieren grasten friedlich in der weiten natürlichen Weide, unter der Obhut wachsamer Pawnee-Knaben. Paul deutete unter ihnen die wohlbekannte Gestalt des Asinus heraus; schlank, fett, und, wie es schien, schwelgend in der Fülle seiner Zufriedenheit, stand er mit zurückgeschlagenen Ohren und geschlossenen Augenliedern da, dem Anschein nach sinnend über die herrliche Beschaffenheit seines gegenwärtigen, gemächlichen Genusses.

Der Weg führte die Gesellschaft nicht weit von einem jener wachsamen Burschen vorbei, denen ein so wichtiger Auftrag wie der, den Hauptreichtum des Stammes zu bewachen übergeben worden war. Er hörte das Trampeln der Pferde, und warf sein Auge seitwärts, aber statt Neugier oder Unruhe zu verraten, wandte er seinen Blick sogleich wieder nach der vorigen Richtung, nach der Stelle, wo, wie man wußte, das Dorf stand.

"Das Alles ist etwas sonderbar," murmelte Middleton, halb beleidigt über das, was er nicht nur für eine Unaufmerksamkeit gegen seinen Rang, sondern auch persönlich gegen sich selbst für eine Unhöflichkeit ansah; "jener Junge hat von unserer Ankunft gehört, sonst würde er nicht verfehlen, sie seinem Stamme anzusagen, und doch beehrt er uns kaum mit einem Blick. Seht nach Euren Waffen, Leute, es möchte nötig werden, diese Wilden unsere Stärke fühlen zu lassen."

"Darin, Capitain, glaub' ich, irrt Ihr Euch," entgegnete Paul, wenn man überhaupt Ehrlichkeit auf den Steppen findet, so trefft Ihr sie in Eurem alten Freund Hartherz; auch darf ein Indianer nicht nach den Regeln eines Weißen beurteilt werden. Seht! wir sind nicht ganz vernachlässigt, da kommt endlich ein Haufen uns entgegen, obgleich er sich ein wenig schlecht ausnimmt nach Zahl und Äußerem."

Paul hatte in Beidem Recht. Eine Gruppe Reiter sah man endlich um eine kleine Anhöhe herumschwenken und über die Ebene gerade auf sie zukommen. Ihr Marsch war langsam und würdevoll. Als sie nahe kamen, gewahrte man den Führer der Wölfe an ihrer Spitze; das Gefolge bestand aus einem Dutzend jüngerer Krieger des Stammes. Sie waren alle unbewaffnet und trugen auch nichts an sich von jenen Zierraten und Federn, welche eben so sehr als Zeichen von Achtung gegen den Gast betrachtet werden, den ein Indianer empfängt, als Beweis seines eigenen Rangs und seiner Wichtigkeit.

Die Zusammenkunft war freundlich, wiewohl etwas zurückhaltend auf beiden Seiten. Middleton, nicht wenig eifersüchtig auf seine eigene Ehre, als auf das Ansehen seiner Regierung, argwöhnte einigen ungebührlichen Einfluß von Seiten der Agenten der Canada, und da er entschlossen war, das Ansehen aufrecht zu erhalten, dessen Repräsentant er war, fühlte er sich genötigt, eine Hoheit anzunehmen, die ihm wirklich gar nicht natürlich war. Es war nicht so leicht, die Beweggründe der Pawnee zu durchschauen. Ruhig, würdevoll und doch gar nicht abstoßend, gaben sie ein Beispiel von Höflichkeit, mit Zurückhaltung verbunden, das mancher Diplomat des gebildetsten Hofs vergebens nachzuahmen sich bestrebt haben würde.

Auf diese Weise setzten beide Teile ihren Weg nach der Stadt fort. Middleton hatte während des übrigen Teils des Ritts Zeit, bei sich all die möglichen Ursachen zu überlegen, die sein Scharfsinn dieser sonderbaren Aufnahme unterlegen konnte. Obgleich er von einem regelmäßigen Dolmetscher begleitet war, machten die Häuptlinge doch ihre gegenseitigen Grüße auf eine Art, die seine Dienste unnötig machte. Zwanzigmal warf der Capitain seinen Blick auf seinen früheren Freund, und bemühte sich in seinen strengen Zügen zu lesen; aber alle Anstrengung und Vermutung zeigte sich gleich fruchtlos. Hartherzens Auge war fest, beständig und etwas ängstlich, aber in Hinsicht jeder andern Bewegung undurchdringlich. Er sprach weder selbst, noch schien er seinen Besuch zum Sprechen einladen zu wollen; Middleton mußte daher die ruhigen Manieren seiner Gefährten annehmen und wegen Aufklärung den Ausgang abwarten.

Als sie in die Stadt traten, sah man alle Einwohner sich auf einem freien Platz versammeln, wo sie mit der gewöhnlichen Rücksicht auf Alter und Rang sich ordneten. Das Ganze bildete einen weiten Kreis, in dessen Mitte vielleicht ein Dutzend der vorzüglichsten Häuptlinge waren. Hartherz bewegte, als er sich näherte, die Hand, und da die Masse sich öffnete, ritt er von seinen Gefährten begleitet, durch. Hier stiegen sie ab, und nachdem die Tiere zur Seite geführt worden, fanden die Fremdlinge sich von Tausenden ernster, gefaßter aber bekümmerter Gesichter umgeben.

Middleton sah in wachsender Besorgnis um sich, denn kein Geschrei, kein Sang, kein Ruf bewillkommte ihn unter einem Volk, von dem er noch vor Kurzem sich mit so viel Betrübnis getrennt hatte. Seine Unruhe, um nicht Furcht zu sagen, wurde von seinem ganzen Gefolge geteilt. Entschlossenheit und ernstes Denken fing an, an die Stelle der Angst, in Aller Augen zu treten, während jeder schweigend nach seiner Waffe griff, und sich versicherte, daß sie im Stande sei, ihn sogleich und verzweifelt zu verteidigen. Aber kein entsprechendes Zeichen von Feindseligkeit zeigte sich von Seiten der Wirte. Hartherz winkte Middleton und Paul zu folgen und führte sie nach einem Trupp von Gestalten, die den Mittelpunkt des Kreises einnahmen. Hier fanden die Besuchenden den Schlüssel von all den Bewegungen, die ihnen so viel Grund zu Besorgnissen gegeben hatten.

Der Streifschütz saß auf einem rohen Sitz, der mit gesuchter Sorgfalt gemacht worden war, um seine Gestalt in einer aufrechten, ruhigen Lage zu erhalten. Der erste Blick sagte seinen früheren Freunden, daß der Alte endlich gerufen worden, der Natur die letzte Schuld zu bezahlen. Sein Auge war starr und dem Anschein nach eben so leer an Licht als an Ausdruck; seine Züge waren etwas mehr verfallen, und schärfer markirt als vorher. Aber das war auch alle Veränderung, so weit sie das Äußere betraf. Sein nahendes Ende konnte keiner eigentlichen Krankheit zugeschrieben werden, sondern war eine allmähliche, milde Abnahme seiner Kräfte gewesen. Leben zögerte zwar noch in seinem Bau, aber es war, als wäre es zu Zeiten ganz bereit zu entfliehen, und dann wollte es wiederscheinen, als ob die sinkende Gestalt sich nochmals belebe, als wolle das Leben nicht gerne den Besitz einer Wohnung aufgeben, die nie durch Laster untergraben und durch Krankheit erschüttert worden. Es hatte keiner großen Einbildungskraft bedurft, um sich vorzustellen, der Geist flattere um die ruhigen Lippen des alten Waldmannes, und widerstrebe aus einer Hülle zu wandern, die ihm so lange eine ehrliche und unbescholtene Wohnung abgegeben.

Sein Leib saß so, daß das Licht der sinkenden Sonne voll auf die feierlichen Züge fiel. Sein Haupt war entblößt, die langen, dünnen Locken von Grau flatterten leicht in der Abendluft. Seine Büchse lag auf seinem Knie, und die andern Bedürfnisse der Jagd waren zur Seite, im Bereich seiner Hand. Zwischen seinen Füßen lag die Gestalt eines Hundes, den Kopf auf den Boden gestreckt, als schlummre er, und so vollkommen ruhig und natürlich war seine Lage, daß ein zweiter Blick nötig war, um Middleton zu sagen, er sehe nur Hektor's Haut, die durch indianischen Zartsinn und Geschicklichkeit auf eine Weise ausgestopft worden, daß sie das Tier leibhaftig darstellte. Sein eigner Hund spielte in einiger Entfernung mit dem Kind der Tachechana und des Mahtoree. Die Mutter selbst stand zur Seite, und hielt in ihrem Armen einen zweiten Sprößling, der sich keiner geringeren Abkunft rühmen konnte, als die war, worauf ein Sohn von Hartherz Anspruch machte. Le Balafré saß nahe dem, sterbenden Streifschützen, und trug jedes Zeichen an sich, daß die Stunde seines "eigenen Abscheidens auch nicht mehr weit entfernt war. Die Übrigen derer unmittelbar im Centrum, waren bejahrte Männer, die sich augenscheinlich in die Nähe begeben, um die Art zu beobachten, wie ein gerechter und furchtloser Krieger sich zur größten seiner Reisen anschicken möchte.

Der Alte erntete die Früchte eines Lebens, das so ausgezeichnet gewesen durch Mäßigung und Tätigkeit, in einem stillen, ruhigen Tod. Seine Kraft hatte sich bis zuletzt gewissermaßen gehärtet. Der Verfall, wenn einer da war, ging schnell aber frei von Schmerz vor sich. Er hatte, mit dem Stamm im Frühling gejagt, ja selbst durch einen Teil des Sommers, als seine Glieder plötzlich den gewohnten Dienst zu leisten versagten. Eine gleichförmige Schwäche nahm Besitz von allen seinen Kräften, und die Pawnee glaubten, sie würden auf diese unerwartete Art einen Weisen und Ratgeber verlieren, den sie zu lieben und zu achten angefangen hatten. Aber, wie wir schon gesagt, der unsterbliche Inwohner schien ungern seine Hülle zu verlassen. Die Lampe des Lebens flickerte ohne zu verlöschen. Am Morgen des Tags, an dem Middleton ankam, war ein allgemeines Wiederaufleben der Kräfte in dem ganzen Menschen. Seine Zunge hörte man wieder in heilsamen Grundsätzen, und sein Auge erkannte von Zeit zu Zeit die Gestalten seiner Freunde. Es zeigte sich nur als einen kurzen und letzten Verkehr mit der Welt von Seiten eines Mannes, den man schon, was Geistesgemeinschaft betraf, für immer abgeschieden geglaubt hatte.

Als er seine Gäste vor den Sterbenden gestellt, lehnte Hartherz nach einer Pause, die eben so sehr der Kummer als die Schicklichkeit nötig machte, sich ein wenig vorwärts und fragte:

"Hört mein Vater die Worte seines Sohns?"

"Sprecht!" entgegnete der Streifschütz in einem Ton, der aus der innersten Brust hervorkam, aber ergreifend hörbar ward durch die totengleiche Stille, die an dem Ort herrschte. "Ich bin im Begriff abzuscheiden aus dem Dorf der Wölfe und werde bald über dem Bereich Eurer Stimme sein."

"Möge der weise Häuptling keine Sorge haben für seine Reise," fuhr Hartherz mit einer ernsten Besorgnis fort, die ihn für einen Augenblick vergessen ließ, daß Andere warteten, um seinen angenommenen Vater anzureden; "hundert Wölfe sollen seinen Pfad reinigen von Dornen."

"Pawnee, ich sterbe, wie ich gelebt, ein Christ," begann der Streifschütz mit einer Kraft in seiner Stimme, die dieselbe erstaunende Wirkung hatte, wie eine Trompete, wenn ihr Ton plötzlich und frei in der Luft sich erhebt, nachdem er lange von der Ferne gedämpft gehört worden; "wie ich in's Leben trat, will ich es verlassen. Pferde und Waffen sind nicht vonnöten, um vor dem großen Geist meines Volkes zu stehen; er kennt meine Farbe und nach meinen Gaben wird er meine Taten richten."

"Mein Vater wird meinen jungen Leuten sagen, wie viele Mingo er erschlagen, und welche Taten der Kraft und Gerechtigkeit er getan, daß sie lernen mögen, wie ihn nachzuahmen."

"Eine ruhmredige Zunge ist im Himmel eines Weißen nicht zu hören," entgegnete feierlich der Alte. "Was ich getan, Er hat's gesehen; Seine Augen waren immer offen. Was wohl getan worden, dessen wird Er gedenken; wo ich gefehlt, da wird Er nicht zu strafen vergessen, obwohl es geschehen wird mit Gnade. Nein, mein Sohn, ein Blaßgesicht wird sein eignes Lob nicht singen und hoffen können, es würde angenehm sein vor Gott."

Ein wenig verlegen, schritt der junge Häuptling bescheiden zurück und machte den Neuangekommenen Platz, heranzutreten. Middleton nahm eine der abgemagerten Hände des Streifschützen, und bemüht, seine Sprache zu beherrschen, gelang es ihm endlich, von seiner Gegenwart ihn in Kenntnis zu setzen. Der Alte hörte, wie wenn die Gedanken schon über einen ganz verschiedenen Gegenstand brüteten; aber als der Andere ihm endlich hatte verständlich gemacht, daß er zugegen sei, da ging ein Ausdruck freudigen Wiedererkennens über seine verfallenen Züge.

"Ich hoffe, Ihr habt nicht so bald die vergessen, um die Ihr Euch so hoch verdient gemacht," schloß Middleton; "es betrübte mich, wenn ich denken müßte, ich sei so leicht in Eurem Gedächtnis vorübergegangen."

"Wenig, was ich je gesehen, ist vergessen;" entgegnete der Streifschütz; "ich bin am Ende vieler mühevollen Tage, aber es ist keiner unter ihnen allen, den ich übersehen möchte. Ich erinnere mich Eurer mit Eurem ganzen Gefolge; ja und auch Eures Großvaters, der vor Euch kam. Ich bin froh, daß Ihr zurückgekommen auf diese Ebenen, denn ich brauchte Jemanden, der Englisch spricht, weil man wenig sich verlassen kann auf die Handelsleute dieser Gegenden. Wollt Ihr, Junge, einem alten, sterbenden Mann eine Gunst erweisen?"

"Sprecht," sagte Middleton; "es soll geschehen."

"Es ist eine weite Reise, um solche Kleinigkeiten zu überschicken," entgegnete der Alte, der mit kleinen Unterbrechungen sprach, je nachdem es Kraft und Atem ihm erlaubte. "Eine weite, beschwerliche Reise ist es; aber Güte und Freundschaft darf nicht so leicht vergessen werden. Es ist eine Colonie unter den Otsego-Hügeln ... "

"Ich kenne den Ort," fiel Middleton ein, als er bemerkte, daß der Sterbende mit wachsender Beschwerde sprach; "sagt nur, was Ihr von mir verlangt."

"Nimm denn diese Büchse, den Ranzen und das Horn und, schick' sie zu dem Manne, dessen Name auf der Platte eingegraben ist. Ein Kaufmann schnitt die Buchstaben mit seinem Messer ein; denn es ist schon lange, seit ich ihm solch ein Pfand meiner Liebe zu schicken gedachte." "Es soll geschehen. Könntet Ihr noch Etwas wünschen?"

"Wenig mehr hab' ich zu geben. Meine Fallen geb' ich meinem indianischen Sohn; denn ehrlich und freundlich hat er Treue gehalten. Möge er vor mich kommen."

Middleton bedeutete dem Häuptling, was der Streifschütz gesagt, und überließ ihm seine Stelle.

"Pawnee" fuhr der Alte fort und änderte immer seine Sprache nach der Person, zu der er sprach, und nicht selten auch nach den Ideen, die er ausdrückte; "es ist bei meinem Volk Sitte, daß der Vater seinem Sohn den Segen gibt, ehe er für immer die Augen schließt. Diesen Segen geb' ich Euch, nehmt ihn; denn die Bitten eines Christen werden nie den Pfad eines gerechten Kriegers nach den gesegneten Gefilden weder länger noch schwieriger machen. Möge der Gott des Weißen auf Eure Taten mit gnädigem Auge sehen, und Ihr nie eine Handlung begehen, die sein Antlitz von Euch wegwenden würde. Ich weiß nicht, ob wir uns je wieder treffen. Es gibt viele Überlieferungen über den Ort der guten Geister. Nicht ich, alt und erfahren, wie ich bin, kann meine Meinung gegen die einer Nation aufstellen. Ihr glaubt an die gesegneten Gefilde, und ich vertraue auf das, was meine Väter gesagt. Wenn Beides wahr ist, wird unser Scheiden auf ewig sein; aber wenn es sich zeigen sollte, daß derselbe Sinn in den verschiedenen Worten liegt, werden wir noch zusammen stehen, Pawnee, vor dem Antlitz Euers Wahcondahs, der dann kein Anderer sein wird, als mein Gott. Viel kann zu Gunsten beider Religionen gesagt werden; denn jede scheint ihrem Volk angepaßt, und ohne Zweifel sollte es so sein. Ich fürchte, ich hab' nicht immer die Gaben meiner Farbe benutzt, da ich es etwas peinlich finde, für immer den Gebrauch der Büchse und die Lust der Jagd aufzugeben. Aber dann ist es mein Fehler, Seiner konnte es ja nicht sein. Ei, Hektor," fuhr er fort, lehnte sich etwas vor und fühlte nach den Ohren des Hundes; "unser Scheiden ist endlich gekommen, Hund, und es wird ein langer Lauf sein. Du bist ein ehrlicher, ein kühner und ein treuer Hund gewesen. Pawnee, Ihr könnt den Hund auf meinem Grab nicht schlachten; denn wo eines Christen Hund fällt, da liegt er für immer; aber Ihr könnt gütig gegen ihn, wenn ich fort bin, für die Liebe sein, die Ihr gegen seinen Herrn hattet."

"Meines Vaters Worte sind in meinen Ohren," entgegnete der junge Führer und nickte ernst und ehrerbietig seine Bejahung.

"Hörst du, was der Häuptling versprochen, Hund?" fragte der Streifschütz und tat, als wolle er die Aufmerksamkeit der unempfindlichen Hülle aufregen. Als er keinen erwiedernden Blick empfing, noch ein freundliches Winseln hörte, fühlte der Alte nach dessen Mund und bemühte sich, seine Hand zwischen die kalten Lippen zu bringen. Da drang sich ihm die Wahrheit auf, obwohl er noch gar nicht die ganze Täuschung begriff. Zurücksinkend, hing er den Kopf, als fühle er einen harten, unerwarteten Stoß. Diese augenblickliche Vergessenheit benutzten zwei junge Indianer und brachten die Haut mit demselben Zartsinn weg, der sie veranlaßt hatte, den frommen Betrug zu versuchen.

"Der Hund ist tot!" lispelte der Streifschütz nach einer Pause von einigen Minuten. "Der Hund hat seine Zeit, wie der Mensch; und gut hat er seine Tage gebraucht! Capitain," fuhr er fort und wollte Middleton winken, "ich bin froh, daß Ihr gekommen; denn obgleich gütig und wohlgesinnt nach den Gaben ihrer Farbe, sind diese Indianer doch nicht die Leute, um das Haupt eines Weißen in's Grab zu legen. Ich habe auch an diesen Hund zu meinen Füßen gedacht; es geht nicht für einen Christen, zu glauben, daß er seinen Hund wieder finden werde; aber es kann wenig schaden, wenn, was von einem so treuen Diener noch übrig ist, nahe zu den Gebeinen seines Herrn gesetzt wird."

"Gar nicht; es soll geschehen, wie Ihr wünscht."

"Es freut mich, daß Ihr darüber mit mir einstimmt. Um nun Arbeit zu sparen, legt den Alten zu meinen Füßen, oder auch Seite an Seite. Ein Jäger braucht sich nie zu schämen, in Gesellschaft seines Hundes gesehen zu werden."

"Ich übernehme die Erfüllung Eures Wunsches."

Dann machte der Alte eine lange und, wie es schien, sinnende Pause. Zu Zeiten erhob er sein Auge, als wolle er nochmals Middleton anreden; aber ein angebornes Gefühl schien immer seine Worte zu ersticken. Der andre, der sein Zögern beobachtete, fragte auf die ermutigendste Weise, ob er noch Etwas zu wünschen hätte.

"Ich bin ohne Verwandte in der weiten Welt!" antwortete der Streifschütz; "wenn ich abgeschieden bin, wird mein Geschlecht zu Ende sein. Wir sind nie Häuptlinge gewesen, aber ehrlich und nützlich nach unserer Weise; so, hoffe ich, haben wir uns immer gezeigt. Mein Vater liegt begraben nahe der See, und die Gebeine seines Sohns werden bleichen auf den Steppen."

"Nennt den Ort, und Eure Hülle soll ruhen an der Seite Euers Vaters," fiel Middleton ein.

"Nicht so, Capitain. Laßt mich schlafen, wo ich gelebt, jenseits des Lärms der Kolonien. Doch seh' ich nicht, warum das Grab eines ehrlichen Mannes versteckt sein sollte, wie eine Rothaut in ihrem Dickicht. Ich bezahlte einen Mann in den Ansiedlungen, um einen Grabstein zu hauen auf meines Vaters Ruheplatz. Er kostete zwölf Biberhäute, und geschickt und schön war er eingegraben! Damals sagte er allen Vorübergehenden, daß der Leib eines solchen Christen darunter läge, und er sprach von dessen Lebensart, Jahren und Ehrlichkeit. Als wir mit den Franzosen in dem alten Krieg fertig waren, machte ich eine Reise zur Stelle, um zu sehen, daß Alles recht geschehen; und es freut mich zu sagen, der Werkmann hatte sein Wort nicht vergessen."

"Und solch einen Stein möchtet Ihr auf Euer Grab?"

"Ich! nein, nein; ich habe keinen Sohn außer Hartherz, und wenig versteht ein Indianer von Sitten und Gebräuchen der Weißen. Außerdem bin ich sein Schuldner schon, da ich so wenig getan, seit ich in seinem Stamme gelebt. Die Büchse wäre vielleicht so viel wert; aber dann weiß ich, es wird dem Jungen Vergnügen machen, das Gewehr in seiner Halle aufzuhängen; denn viel sind der Rehe und Vögel, die er damit hat töten sehen. Nein, nein, das Gewehr muß dem gesandt werden, dessen Name auf dem Schloß steht."

"Aber da ist Einer, der gerne seine Liebe Euch durch Erfüllung Eures Wunsches beweisen möchte; er, der Euch nicht nur seine eigne Befreiung aus so vielen Gefahren verdankt, sondern auch eine schwere Schuld der Dankbarkeit von seinen Vorfahren ererbt. Der Stein soll auf Euer Grab kommen."

Der Alte reckte seine hagere Hand aus und drückte ihm dankbar die seinige.

"Ich dachte, Ihr würdet es tun; aber ich zögerte mit der Bitte," sagte er, "da Ihr nicht mein Verwandter seid. Setzt keine ruhmredige Worte darauf, sondern nur den Namen, das Alter und die Zeit des Todes und Etwas aus dem heiligen Buch; nichts weiter. Mein Name wird dann nicht ganz auf Erden verloren sein; ich brauch' nicht mehr."

Middleton nickte ihm seine Einwilligung, und dann folgte eine Pause, die nur von unzusammenhängenden Sentenzen des Sterbenden unterbrochen wurde. Er schien jetzt seine Rechnung mit der Welt abgeschlossen zu haben und nur auf den endlichen Befehl, sie zu verlassen, zu warten. Middleton und Hartherz stellten sich an seinen Sitz gegen einander über und bewachten mit trauernder Sorgfalt die Veränderungen seines Gesichts. Zwei Stunden lang ereignete sich nichts Bemerkenswertes. Der Ausdruck seines verfallenen, von der Zeit zerstörten Antlitzes war ruhig und würdig. Manchmal sprach er und brachte kurze Reden ratend vor, oder tat einfache Fragen nach denen, an deren Schicksal er noch freundlichen Anteil nahm. Während dieser ganzen feierlichen, ängstlichen Zeit wahrte jeder Einzelne des Stamms seine Stelle mit der größten Selbstüberwindung. Wenn der Greis sprach, neigte Jeder sein Ohr und schien über die Weisheit seiner Worte nachzudenken.

Als die Lebensflamme immer mehr verlosch, wurde seine Stimme gebrochen, und es gab Augenblicke, wo die Umstehenden zweifelten, ob er noch zu den Lebenden gehörte. Middleton, der jeden Ausdruck seines vom Wetter gepeitschten Gesichts mit dem Anteil eines scharfen Beobachters der Menschennatur bewachte, welcher noch durch die Zärtlichkeit seiner persönlichen Hochschätzung besänftigt wurde, glaubte, er könne das Arbeiten der Seele in den festen Gesichtszügen lesen. Vielleicht war, was der aufgeklärte Soldat für die Täuschung seiner Einbildungskraft nahm, wirklich geschehen, denn wer ist je aus der unbekannten Welt zurückgekehrt, um zu sagen, durch welche Formen und Weisen er eingeführt ward in ihr hohes Gebiet. Ohne erklären zu wollen, was immer ein Geheimnis bleiben muß, erzählen wir einfach was vorging.

Der Streifschütz war fast eine Stunde regungslos geblieben. Seine Augen allein hatten sich bald geöffnet, bald geschlossen. Wenn geöffnet, schien sein Blick auf die Wolken gerichtet, welche um den westlichen Horizont hingen, und die glänzenden Farben zurückstrahlten, und Form und Lieblichkeit der glorreichen Tinten eines amerikanischen Sonnenuntergangs darboten. Die Stunde, die ruhige Schöne der Jahreszeit, die Umgebung. Alles vereinte sich, die Zuschauer mit hoher Ehrfurcht zu erfüllen. Endlich, während er über die sonderbare Lage nachdachte, worin er sich befand, fühlte Middleton die Hand, die er hielt, seine mit unglaublicher Kraft drücken, und der Alte, gestützt von beiden Seiten durch seine Freunde, stand aufrecht da. Einen Augenblick sah er um sich, als wolle er Alle zum Hören auffordern (es war der Rest menschlicher Gebrechlichkeit) und dann rief er mit einer hohen, militärischen Haltung, und einer Stimme, die überall in der zahlreichen Versammlung gehört werden mochte, das nachdrucksvolle Wort: "Hier."

Eine so gänzlich unerwartete Bewegung und das Ansehen von Hoheit und Demut, die so auffallend in des Streifschützen Miene sich mischten, zusammen mit der klaren und ungewöhnlich starken Stimme, machte die Anwesenden für einen Augenblick verwirrt. Als Middleton und Hartherz, von denen jeder unwillkührlich die Hand ausgereckt, um den Greis zu stützen, sich wieder nach ihm umwandten, fanden sie, daß der Gegenstand ihrer Teilnahme für immer über ihr Bedürfnis erhoben worden. Sie legten traurig die Leiche auf ihren Sitz, und Le Balafré erhob sich, dem Stamm das Ende des Auftritts zu verkünden. Die Worte des greisen Indianers schienen der Widerhall aus jener unsichtbaren Welt, zu der sich des ehrlichen Streifschützen Geist so eben hinaufgeschwungen.

"Ein so kräftiger, gerechter, weiser Krieger hat den Pfad eingeschlagen, der ihn führen wird zu den gesegneten Gefilden seines Volks!" sagte er; "als Wahcondah's Stimme ihm rief, war er fertig zur Antwort. Geht, meine Kinder, gedenkt des gerechten Häuptlings der Blaßgesichter, und reinigt euren Weg von Dornen."

Das Grab grub man unter einer edlen Eiche; es ward bis auf diese Stunde sorgfältig von den Wolfs-Pawnee bewacht, und wird dem Reisenden und Handelsmann oft als der Ort gezeigt, wo ein gerechter Weißer schläft. Bald lag ein Stein darauf, und einfach war, wie der Greis gewollt, die Inschrift. Middleton hatte nur hinzugesetzt:

"Möge keine rohe Hand je seine Asche betrüben."

 

 

Inhalt




Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Sechundzwanzigstes Kapitel

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Achundzwanzigstes Kapitel

Neunundzwanzigstes Kapitel

Dreißigstes Kapitel

Einunddreißigstes Kapitel

Zweiunddreißigstes Kapitel

Dreiunddreißigstes Kapitel

Vierunddreißigstes Kapitel

 

 

Erstes Kapitel



Ich bitt' dich, Schäfer, können gute Worte, Geld
In dieser Einöd' uns ein Unterkommen schaffen,
O führ' uns, daß wir ruh'n und etwas essen.

So wie es euch gefällt


Viel ward zur Zeit gesprochen und geschrieben, ob es ratsam sei, die weitläufigen Landschaften von Louisiana mit dem schon unermeßlichen und nur halbbeherrschten Gebiet der Vereinigten Staaten zu verbinden. Als jedoch die Hitze des Streits nachgelassen, und eigennützige Betrachtungen freieren Ansichten Raum gegeben, wurde die Weisheit der Maßregel allgemein anerkannt. Es ward bald auch dem geringsten Scharfsinn einleuchtend, daß während die Natur unserer Ausdehnung nach Westen durch Wüsten Schranken gesetzt, diese Maßregel uns zu Herrn eines fruchtbaren Landstrichs gemacht hatte, welcher bei den täglichen Umwälzungen leicht Eigentum einer eifersüchtigen Nation hätte werden können. Sie gab uns die ausschließliche Herrschaft über den inländischen Verkehr, und brachte die zahllosen Stämme, welche an unsern Grenzen lagerten, in gänzliche Abhängigkeit von uns; sie einigte widerstreitende Rechte und schwichtigte manche Furcht des Staats; sie öffnete tausend Wege dem Binnenhandel und der Schifffahrt auf dem stillen Meer; und wenn je Zeit oder Notwendigkeit eine friedliche Teilung dieses ungeheueren Reichs erheischen sollte, sichert sie uns einen Nachbar, der Sprache, der Religion, Verfassung und man darf es hoffen, denselben Sinn für Staatsrechtspflege mit uns gemein hätte.

Obgleich der Kauf schon 1803 gemacht worden, kam doch der Frühling des folgenden Jahrs heran, ehe die Amtsbedächtigkeit des Spaniers, der diese Provinz für seinen Herrn in Europa verwaltete, die Autorität und Besitznahme der neuen Eigentümer anerkannte. Aber den Formen der Übergabe war nicht sobald Genüge geschehen, und die neue Herrschaft anerkannt, als Schwärme des rastlosen Volks, das sich immer an den Grenzen der amerikanischen Staatengesellschaft herumtreibt, sich in das Dickicht stürzten, welches das rechte Ufer des Mississippi umsäumte, mit derselben sorglosen Kühnheit, die schon so viele von ihnen, in ihrer mühsamen Wanderung von den atlantischen Staaten nach den Ostküsten des "Vaters der Ströme" geleitet hatte.

Zeit konnte allein die zahlreichen und begüterten Kolonisten der unteren Provinz mit ihren neuen Landsleuten verschmelzen; aber die spärlichere und ärmere Bevölkerung oben ward fast alsbald in dem Strudel bei der Flut drängender Wanderung mit fortgerissen. Dieser Einfall von Osten war ein neuer und plötzlicher Ausbruch eines Volkes, das vorübergehenden Zwang geduldet, nachdem es sich vorher durch Siege unwiderstehlich gemacht. Die Mühen und Unglücksfälle bei ihren früheren Unternehmungen waren vergessen, als diese endlosen und unerforschten Landschaften, mit all ihren wirklichen oder eingebildeten Vorteilen ihrem unternehmenden Geiste offen hingelegt wurden. Die Folgen waren so, wie sie leicht hätten vorausgesehen werden können, als ein so verführerisches Anerbieten einer Völkerschaft vorgehalten ward, die in Abenteuern auferzogen, in Mühseligkeiten aufgewachsen war.

Tausende von denen, die schon lange das, was damals "die neuen Staaten" genannt ward, bewohnt hatten, brachen auf, entrissen sich dem Genuß ihrer schwer erlangten Ruhe und zeigten sich an der Spitze langer Reihen von Abkömmlingen, die die Wildnis von Ohio und Kentucky geboren und auferzogen hatte, zogen tiefer in's Land, suchten, was ohne dichterische Ausschmückung ihre natürliche und angemessenere Atmosphäre genannt werden kann. Der ausgezeichnete und entschlossene Waldmann, der zuerst die Wildnisse des letzten Staates durchdrang, war unter ihnen. Diesen unerschrockenen, ehrwürdigen Stammvater sah man jetzt seinen letzten Rückzug machen, den "endlosen Strom" zwischen sich und die Menge setzen, die sein Erfolg um ihn gesammelt und nach Wiedererlangung eines Glückes streben, das, durch menschliche Einrichtungen eingeengt, für ihn wertlos war.

Bei dem Aussuchen solcher Abenteuer werden die Wanderer entweder von ihren früheren Gewohnheiten beherrscht oder von ihren geheimen Wünschen betört. Einige wenige, von den Luftgebilden der Hoffnung geleitet, und gierig nach schnell zu erlangendem Reichtum, durchwühlten die Minen des jungen Landes, aber bei weitem der größere Teil der Ausgewanderten begnügte sich damit, sich an den Ufern der großen Wasser anzusiedeln, zufrieden mit der reichen Ausbeute, welche der dankbare angeschwemmte Boden der Ströme auch dem lässigsten Anbau nie verweigert. Auf diese Weise bildeten sich wie durch einen Zauber schnell Gemeinden, und die meisten von denen, welche Zeugen des Ankaufs des leeren Landes gewesen, sahen noch einen volkreichen, unabhängigen Staat sich bilden, abgesondert sich darstellen und seine Aufnahme in die Konföderation mit gleichen politischen Rechten bewerkstelligen.

Die Vorfälle und Auftritte, welche mit unserer gegenwärtigen Erzählung verknüpft sind, ereigneten sich in den ersten Zeiten der Unternehmungen, welche zu einem so schnellen und großen Ergebnis geführt haben.

Die Ernte des ersten Jahres unseres Besitzes war längst vorüber, und die falben Blätter weniger zerstreut stehender Bäume zeigten schon die Farben und Schattierungen des Herbstes, als eine Reihe von Wagen aus dem Bette eines trockenen Baches hervorkam, um über die wellenförmige Oberfläche einer höckerigen Steppe ihren Zug fortzusetzen. Die Fuhrwerke, mit Hausgerät und Werkzeugen des Ackerbaus beladen, die wenigen langsam sich fortschleppenden Schafe und Kühe, welche den Nachzug bildeten; das struppige Aussehen, die sorglose Miene der Männer, welche an der Seite ihrer saumseligen Gespanne hinschlenderten, alles dies zusammengenommen zeigte, daß eine Bande Auswanderer auf dem Weg nach dem Eldorado ihrer Wünsche begriffen sei. Ganz dem gewöhnlichen Verfahren ihrer Kaste zuwider, hatte diese Rotte den fruchtbaren Boden des Unterlandes verlassen und durch Mittel, die nur solchen Abenteurern bekannt sind, ihren Weg durch Abgründe und Gießbäche, über tiefe Moräste und brennende Wüsten zu einer Gegend gefunden, die sich weit über die Grenzen menschlicher Wohnungen erhebt. Vor ihnen breiteten sich die weiten Ebenen aus, welche mit so wenig Abwechselung bis zum Fuß der Felsgebirge fortlausen, und viele traurige Meilen hinter ihnen schäumten die stürmischen, wilden Wasser des La Plata.

Die Erscheinung eines solchen Zugs in diesen nackten, einsamen Gründen ward dadurch noch auffallender, daß die Landschaft ringsum so wenig darbot, was die Lust eines unternehmenden Geistes reizen, und, wo möglich, noch weniger, was den Hoffnungen eines gewöhnlichen Auswanderers schmeicheln konnte. Die magern Gräser der Steppe sprachen nicht zu Gunsten eines harten, widerspenstigen Bodens, über welchen die Räder der Fuhrwerke so leicht hinrollten, als ob sie auf planer Heerstraße führen; weder Wagen noch Tiere ließen eine tiefere Spur hinter sich, als daß sie das welke, verbrannte Gras leicht zeichneten, das vom Vieh manchmal abgerissen, aber eben so oft wieder weggeworfen ward, zu saueres Futter, als daß selbst ihr Hunger es ihnen hätte genießbar machen können.

Welches aber immer das letzte Ziel dieser Abenteurer sein mochte, oder die verborgenen Ursachen ihrer scheinbaren Ruhe in einer so entfernten, verlassenen Lage, kein Zeichen von Furcht oder Kummer verriet Gesicht und Haltung auch nur eines einzigen von ihnen, Weiber und Kinder mit einbegriffen waren ihrer über zwanzig.

Etwas voran, an der Spitze des Ganzen zog ein Mann, der nach Haltung und Äußerem der Führer der Schar schien; er war schlank, von der Sonne verbrannt; über das mittlere Alter hinaus; sein stumpfes Ansehen, sein ausdrucksloses Gesicht zeigte eher alles andere als Reue über das Vergangene, aber Angst wegen der Zukunft. Sein Bau schien schlaff und hinfällig, war aber derb und ungewöhnlich stark! doch für Augenblicke nur, wenn ein unbedeutendes Hindernis sich ihrem Zug entgegenstellte, entwickelte seine Gestalt, welche sonst so schmächtig und nervlos schien, etwas von der Kraft, die in seinem Organismus verborgen lag, wie die schlummernde, unbehilfliche, aber furchtbare Stärke im Belehnten. Die unteren Züge seines Gesichts waren roh, breit und unbezeichnend, die oberen, oder die edleren Teile, welche Ausdruck der Seele sein sollen, niedrig, zurücktretend und gemein.

Die Kleidung dieses Mannes bestand aus den groben Stücken eines Landmanns und den ledernen Bekleidungen, welche Sitte sowohl als Brauchbarkeit einem, auf solchen Zügen begriffenen Wanderer gewissermaßen nötig gemacht hatte. Über diesen Anzug war übelgewählter Schmuck, ohne Geschmack reichlich angehängt. Statt des gewöhnlichen hirschledernen Gürtels trug er um den Leib eine verblichene seidene Schärpe, von den schillerndsten Farben; der hörnerne Griff eines Messers war verschwenderisch mit Silberplättchen belegt, der Pelz an seiner Mütze so fein und zart, daß eine Königin darnach hätte verlangen mögen; die Knöpfe seines groben, schmutzigen, wollenen Rocks waren von dem kostbaren Metall aus Mexiko; der Schaft seiner Flinte bestand aus schönem Mahagony, das durch eben solches Metall zusammengehalten und vereinigt ward. Zierrat und anderer Tand hing an drei wertlosen Uhren an verschiedenen Stellen an ihm herab. Außer dem Ranzen und Gewehr, welche, mit der wohlgefüllten Tasche und Pulverbüchse, sorgfältig verwahrt, um den Rücken geschlungen waren, hatte er nachlässig eine scharfe, blanke Holzart um die Schulter geworfen und trug das Gewicht des Ganzen mit soviel anscheinender Leichtigkeit, als ob er, die Glieder frei, ohne die geringste Last sich bewege.

Wenig hinter ihm kam ein Trupp junger Leute, von fast ganz gleicher Kleidung, die sich unter einander und ihrem Führer ähnlich genug waren, um sie für Kinder einer Familie zu halten. Konnte auch der jüngste von ihnen nicht weit über die Periode hinaus sein, welche im strengen Gesetzesstyl die Zeit des Verstandes genannt wird, so hatte er sich doch schon in so weit der Vorfahren würdig gezeigt, daß er seine anstrebende Figur bis zur Musterhöhe seines Stammes hinaufgebracht. Ein oder zwei andere waren noch unter ihnen, von etwas verschiedener Gestalt, deren Beschreibung jedoch dem Lauf der Erzählung aufbehalten werden muß.

Unter dem weiblichen Teil des Zuges fanden sich nur zwei, welche erwachsen waren, obgleich verschiedene weißgelockte, olivenfarbige Gesichtchen, die Augen voll Neugier und Leben, aus dem vordersten Wagen von Zeit zu Zeit hervortauchten. Die ältere von den zwei Erwachsenen war die bräunliche, alternde Mutter der meisten von ihnen, die jüngere ein lebhaftes, tätiges Mädchen von achtzehn Jahren, das nach Gestalt, Kleidung und Miene einem um mehrere Stufen höherem Stande als alle ihre übrigen sichtbaren Gefährten anzugehören schien. Das zweite Fuhrwerk war mit einem Tuch so sorgfältig überspannt, daß es auch dem schärfsten Blick seinen Inhalt verbarg. Die übrigen Wagen waren nur mit solchen Gerätschaften und Effekten beladen, wie sie der zu besitzen pflegt, der in jedem Augenblick, ohne Rücksicht auf Jahreszeit und Entfernung, seinen Aufenthalt zu wechseln bereit ist.

Es fand sich wohl in diesem Zug und im Äußern der Wanderer schon etwas, was man nicht täglich auf den Heerstraßen unseres veränderlichen und unsteten Landes zu sehen Gelegenheit hat. Aber der einsame und ganz eigene Schauplatz, auf dem sie so unerwartet auftraten, gab ihnen einen grellen Anstrich von Wildheit und Abenteuerlichkeit.

In den kleinen Tälern, welche bei der geregelten Bildung des Landes auf jeder Meile ihres Zuges sich zeigten, ward die Aussicht auf zwei Seiten von den allmächtig sich erhebenden unbedeutenden Anhöhen begrenzt, wovon die Art Steppen, die wir oben erwähnt, ihren Namen haben, während von den andern Seiten die Aussicht über lange, enge, dürre Fernen sich verbreitete, welche nur kärglich durch eine armselige Bekleidung mit einer struppigen, wiewohl manchmal üppigen Vegetation, sich aufzuputzen strebten. Von den Gipfeln dieser Anhöhen mochte das Auge nach allen Seiten sich richten, es ermüdete bei der Einförmigkeit und betrübenden Traurigkeit der Landschaft. Die Erde war dem Ozean nicht unähnlich, wenn seine rastlosen Wasser sich nur noch mit Mühe auftürmen, nachdem die Kraft und Wut des Sturmes angefangen sich zu mindern. Hier dieselbe wellenförmige, geregelte Fläche, dieselbe Abwesenheit aller fremdartigen Gegenstände, dieselbe grenzenlose Aussicht. In der Tat so auffallend war die Ähnlichkeit zwischen Wasser und Land, daß, mag auch der Geologe bei einer so einfachen Lehre lächeln, ein Dichter notwendig hätte auf den Gedanken kommen müssen, die Bildung des einen sei nur durch die aufgehobene Herrschaft des andern vor sich gegangen. Hier und da ragte ein hoher Baum hervor und breitete seine nackten Äste aus, wie ein einsames Schiff; ja, um die Täuschung noch zu erhöhen, erschienen weit in der äußersten Entfernung zwei bis drei kreisförmige Dickichte, die im nebelichten Horizont wie Eilande im Schooße der Wasser schwammen. Man braucht den kundigen Leser nicht erst zu erinnern, daß die Einförmigkeit der Fläche, und der niedrige Standpunkt der Schauenden die Entfernungen vergrößerten, aber da immer noch Anhöhe auf Anhöhe erschien, Eiland auf Eiland sich zeigte, war dies eine entmutigende Gewissheit, daß lange und scheinbar grenzenlose Landstriche noch zurückzulegen seien, ehe die Wünsche auch der bescheidensten Landbauer verwirklicht werden könnten.

Noch setzte der Führer der Auswanderer, nur von der Sonne geleitet, seinen Weg standhaft fort, wandte entschlossen den Wohnungen der Bildung den Rücken, und verwickelte sich mit jedem Schritt immer tiefer, wenn nicht ohne Rückkehr, in die Wohnungen der barbarischen, wilden Besitzer des Landes. Als aber der Tag sich immer mehr zu seinem Ende neigte, ward sein Gemüt, das vielleicht unfähig war, weiter zu berechnen und vorauszusehen, als was der Augenblick erheischte, in etwas durch die Sorge beunruhigt, wie er für die Bedürfnisse der kommenden Stunden der Finsternis Rat schaffe.

Als er die Spitze einer Anhöhe, die etwas ansehnlicher als die gewöhnlichen war, erreicht hatte, stand er einen Augenblick, und warf die Blicke halb sehnsüchtig noch allen Seiten, um nach den wohlbekannten Zeichen zu spähen, welche eine Stelle verraten könnten, wo die drei großen Erfordernisse, Wasser, Holz und Futter anzutreffen wären.

Es schien, als wenn dies Forschen fruchtlos gewesen, denn nach einigen Augenblicken kalter, gleichgültiger Untersuchung stieg seine hohe Gestalt die Anhöhe hinab, eben so lässig, wie ein überfüttertes Tier dem Drucke nach unten nachgibt.

Seinem Beispiel folgten schweigend, die hinter ihm gingen, aber erst nachdem sie mehr Aufmerksamkeit, wenn nicht Besorgnis, bei der kurzen Untersuchung verraten, die jeder nach der Reihe anstellte, als er diesen Punkt der Aussicht erreicht. Es war jetzt aus dem langsamen Fortbewegen der Tiere und Menschen deutlich zu vermuten, daß die Zeit der nötigen Ruhe nicht mehr ferne sei. Die verwickelten Gräser des unteren Landes boten Schwierigkeiten dar, welche Ermüdung gefährlich zu machen begann. Die Peitsche war mehrmals nötig geworden, die zögernden Gespanne zum Ziehen anzutreiben. In diesem Augenblick, wo mit Ausnahme der Hauptperson allgemeine Ermüdung sich der Reisenden bemächtigt hatte, und jedes Auge, wie durch einen Trieb, sehnsuchtsvoll vorwärts gerichtet war, ward der ganze Trupp durch ein eben so plötzliches als unerwartetes Ereigniß zum Stehen gebracht.

Die Sonne war hinter dem Gipfel des nächsten Hügels hinabgesunken, und ließ auf ihrer Spur, wie sie pflegt, einen hellglänzenden Streifen zurück. In der Mitte dieser Lichtflut erschien eine menschliche Gestalt, so deutlich auf den goldnen Grund hingegossen, als ob man sie mit der Hand erreichen könnte. Die Gestalt war colossal, die Stellung nachdenkend, traurig; und der Ort, den sie einnahm, gerade auf dem Weg der Reisenden. Aber eingehüllt in ihr glänzendes Lichtgewand, machte sie es unmöglich, mehr über die Verhältnisse der Glieder, über ihren Ausdruck zu entdecken.