Karl May


Winnetou III

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Klassiker als ebook bei RUTHeBooks, 2015


ISBN: 978-3-95923-004-9


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Kapitel 8 - Das Testament des Apachen



Winnetou tot! Diese beiden Worte sind genügend, um die Stimmung zu bezeichnen, in welcher ich mich damals befand. Es war, als ob ich mich von seinem Grabe gar nicht trennen könnte. Ich saß in den ersten Tagen schweigend bei demselben und sah dem regen Treiben der Menschen zu, welche an der neuen Niederlassung arbeiteten. Ich sage, ich sah zu, aber eigentlich sah ich nichts. Ich hörte ihre Stimmen, und dennoch hörte ich nichts. Ich war geistesabwesend. Mein Seelenzustand glich demjenigen eines Mannes, der einen Hieb auf den Kopf erhalten hat und, nur halb betäubt, alles wie von weitem hört und alles wie durch eine mattgeschliffene Glasscheibe sieht. Es war ein wahres Glück, daß die Roten unsere Spur nicht gefunden hatten und also unseren jetzigen Aufenthalt nicht entdeckten! Ich war jetzt nicht der Mann, es mit ihnen aufzunehmen. Oder wäre es doch vielleicht möglich, daß mich eine solche Gefahr aus meiner Selbstverlorenheit aufgerüttelt hätte? Vielleicht!

Die guten Leute gaben sich Mühe, mir Interesse für ihr Tun und Treiben abzugewinnen, aber der Erfolg trat nur langsam ein. Es verging eine halbe Woche, ehe ich mich aufraffte und ihnen bei der Arbeit half. Die wohltätige Wirkung davon ließ nicht auf sich warten; man mußte mir zwar jedes Wort abgewinnen, doch stellte sich die alte Tatkraft wieder ein, und ich war bald Derjenige, nach dessen Rat und Ansicht sich die Andern richteten.

Das währte zwei Wochen, dann sagte ich mir, daß ich nicht länger bleiben dürfe. Das Testament des Freundes zog mich fort, nach dem Nugget-tsil, wo wir Intschu tschuna und seine schöne Tochter begraben hatten. Auch war es meine Pflicht, nach dem Rio Pecos zu reiten und die Apachen von dem Tode des berühmtesten und besten ihrer Häuptlinge zu unterrichten. Zwar wußte ich, wie schnell die Kunde von einem solchen Ereignisse über die Prärie zu laufen pflegt, sie konnte schon vor mir dort eintreffen, aber ich mußte doch selbst hin, weil ich als der Augenzeuge der traurigen Begebenheit der sicherste Berichterstatter war. Die Ansiedler brauchten mich nicht notwendig, und wenn sie ja einen geübten Westmann nötig hätten, so durften sie sich an Walker wenden, welcher entschlossen war, einige Zeit bei ihnen zu bleiben. Es gab einen herzlichen Abschied von den braven Leuten, und dann trat ich den weiten Ritt auf meinem Schwarzschimmel an, der sich gut ausgeruht hatte.

Ein Anderer an meiner Stelle wäre wohl bemüht gewesen, auf seinem Wege möglichst viele Punkte zu berühren, wo es Menschen gab; ich tat das Gegenteil und mied dergleichen Orte; ich wollte niemand sehen, wollte allein mit meiner Trauer sein.

Dieser Wunsch wurde mir bis zum Beaver-Creck des Nordkanadian erfüllt, wo ich ein sehr gefährliches Zusammentreffen mit To-kei-chun, dem Häuptling der Comanchen, hatte, dem wir damals so glücklich entgangen waren. Während wir uns im Norden mit den Sioux herumgeschlagen hatten, war im Süden von den Comanchen wieder einmal das Kriegsbeil ausgegraben worden, und To-kei-chun hatte sich mit siebzig Kriegern nach dem ihnen heiligen Makik-Natun aufgemacht, um bei den dort befindlichen Häuptlingsgräbern den Kriegstanz aufzuführen und die "Medizin" zu befragen. Dabei waren ihm mehrere Weiße in die Hände gefallen, die an dem Marterpfahle sterben sollten; es gelang mir aber, sie ihm zu entreißen. Dieses Erlebnis jedoch übergehe ich hier, weil es in keiner Beziehung zu Winnetou steht, und werde es bei einer späteren Gelegenheit erzählen. Ich brachte diese Weißen bis an die Grenze von Neu Mexiko, wo sie sich in Sicherheit befanden, und hätte von dort aus eigentlich direkt nach dem Rio Pecos gekonnt; aber das Testament Winnetous war mir zu wichtig, als daß ich über dasselbe noch länger hätte in Ungewißheit sein mögen, und so richtete ich meinen Ritt nach Südosten, um zunächst den Nugget-tsil aufzusuchen.

Dieser Weg war gefährlich, denn er führte mich durch das Gebiet der feindlichen Comanchen und dasjenige der Kiowas, vor denen ich mich erst recht nicht sehen lassen durfte. Ich traf auch auf verschiedene Fährten und Spuren, nahm mich aber außerordentlich in acht und kam glücklich und unbemerkt bis in die Nähe des Gualpaflusses. Dort stieß ich auf Hufeindrücke, die genau die Richtung hatten, welche die meinige war. Ich wollte mich von Roten nicht sehen lassen und mit Weißen nicht abgeben, hätte also von dieser Fährte abweichen sollen. Aber da wäre ich zu einem Umwege gezwungen gewesen, und es war ja auch wichtig, zu erfahren, ob hier Indianer oder Bleichgesichter geritten waren. Darum folgte ich der Spur, welche vielleicht eine Stunde alt sein mochte.

Bald sah ich, daß es drei Reiter gewesen waren, und dann kam ich an eine Stelle, wo sie kurze Zeit angehalten hatten. Einer von ihnen war abgestiegen, um wahrscheinlich einen gelockerten Riemen fester anzuziehen. Der Eindruck seiner Füße verriet mir, daß er Stiefel anhatte, also ein Weißer war, und weil ich keine Veranlassung hatte, anzunehmen, daß ein Weißer jetzt und hier sich in Gesellschaft von zwei Indianern befinde, lautete der einfache Schluß, daß ich drei Bleichgesichter vor mir hatte.

Es fiel mir nicht ein, ihretwegen von meiner Richtung abzuweichen, und ich ritt auf ihrer Fährte weiter. Ich war ja, falls ich auch mit ihnen zusammentraf, nicht gezwungen, bei ihnen zu bleiben. Sie waren langsam geritten, und so kam es, daß ich sie nach zwei Stunden vor mir sah. Zu gleicher Zeit erblickte ich auch die Hügel, zwischen denen sich der Fluß hier abwärts schlängelte.

Es war gegen Abend, und ich hatte die Absicht gehabt, am Flusse zu nachtlagern; es war wohl nicht nötig, diese Absicht wegen der drei Fremden aufzugeben. Sehr wahrscheinlich hatten sie dasselbe vor; aber ich war ja nicht gezwungen, ihnen Gesellschaft zu leisten. Kurz nachdem sie in dem Gesträuch, welches die Hügel bedeckte, verschwunden waren, erreichte ich dasselbe auch, und als ich an den Fluß gelangte, waren sie grad damit beschäftigt, ihre Pferde abzuschirren. Sie schienen recht gut beritten und ebenso bewaffnet zu sein, aber ihr Aussehen war nicht sehr vertrauenerweckend.

Sie erschraken, als sie mich so plötzlich sahen, beruhigten sich aber schnell, erwiderten meinen Gruß und kamen, als ich in einiger Entfernung von ihnen anhielt und nicht vollends zu ihnen hinritt, zu mir heran.

"Mann, habt Ihr uns erschreckt!" sagte der Eine von ihnen.

"Habt ihr ein böses Gewissen, daß euch mein Anblick solchen Schreck einjagt?" fragte ich.

"Pshaw! Wir schlafen auf unsern Gewissen; also müssen sie gut sein, denn ein böses Gewissen ist kein sanftes Ruhekissen, wie Ihr wissen werdet. Aber der Westen ist eine gefährliche Gegend, und wenn so plötzlich ein Fremder vor einem auftaucht, möchte man am liebsten mit der Hand gleich nach dem Messer greifen. Dürfen wir fragen, woher Ihr kommt?"

"Vom Beaver-Fork herüber."

"Und wo wollt Ihr hin?"

"Nach dem Rio Pecos."

"Da habt Ihr weiter als wir. Wir wollen nur nach den Mugworthills."

Das erregte meine Aufmerksamkeit, denn die Mugworthills waren ganz dieselbe Berggruppe, welche von Winnetou und seinem Vater Nugget-tsil genannt worden war. Was wollten diese drei Männer dort? Auch ich wollte hin. Sollte ich mich ihnen anschließen? Da war es nötig, zu erfahren, welche Absicht sie hinführte. Darum fragte ich:

"Mugworthills? Was ist das für eine Gegend?"

"Eine sehr schöne. Es steht sehr viel wilder Beifuß dort, und Beifuß heißt auch Mugwort; daher der Name. Aber es ist nicht nur Beifuß dort zu finden, sondern etwas noch ganz Anderes."

"Was?"

"Hm! Wenn Ihr das wüßtet! Werde mich aber hüten, es zu sagen! Würdet wohl gleich mit nach den Mugworthills wollen!"

"Plappermaul!" fuhr ihn der Zweite an. "Rede doch nicht so dumm daher!"

"Pshaw! Woran man gern denkt, das hat man auf der Zunge. Was seid Ihr denn eigentlich, Fremder?"

Es läßt sich denken, daß das, was er jetzt gesagt hatte, mich frappierte. Er sprach wirklich von dem Nugget-tsil; ich selbst hatte damals den Beifuß gesehen, welcher massenhaft dort wuchs. Seine Worte klangen so geheimnisvoll; ich beschloß, bei diesen Leuten hier zu bleiben, ihnen aber nicht zu sagen, wer ich war. Ich erteilte ihm also die Auskunft:

"Bin Fallensteller, wenn Ihr nichts dagegen habt."

"Habe gar nichts einzuwenden. Und Euer Name? Oder wollt Ihr ihn verschweigen?"

"Kann ihn frei und allen Leuten nennen. Ich heiße Jones."

"Seltener Name, außerordentlich selten!" lachte er. "Ob wir ihn uns wohl merken können? Wo habt Ihr denn Eure Fallen?"

"Die sind mir von den Comanchen genommen worden, mit der ganzen Jagdbeute von zwei Monaten."

"Das ist Pech!"

"Ja, großes Pech. Bin aber doch froh, daß sie mich nicht selbst auch erwischt haben.,"

" Glaube es. Diese Kerls verschonen keinen Weißen, zumal in der jetzigen Zeit."

"Sind die Kiowas nicht ebenso schlimm?"

"Ja."

"Und dennoch wagt ihr euch in ihr Gebiet?"

"Bei uns ist's etwas Anderes; wir sind sicher bei ihnen. Haben gute Empfehlungen, sehr gute. Mr. Santer ist der Freund ihres Häuptlings Tangua."

Santer! Man kann sich denken, daß mich dieser Name förmlich elektrisierte. Ich hatte Mühe, meine Überraschung unter einer gleichgültigen Miene zu verbergen. Diese Leute kannten Santer. Nun stand es fest, daß ich mich ihnen anschließen würde. Ein anderer Santer als der, der uns wiederholt entkommen war, konnte nicht gemeint sein, denn er war ja der Freund des Häuptlings Tangua genannt worden.

"Ist dieser Santer ein so einflußreicher Mann?" erkundigte ich mich.

"Will es meinen! Wenigstens bei den Kiowas. Aber sagt, wollt Ihr nicht absteigen? Der Abend ist nahe, und Ihr wollt doch am Flusse übernachten, wo es Wasser und auch Futter für Euer Pferd gibt?"

"Hm! Ich kenne euch nicht, und ihr selbst sagtet vorhin, daß man vorsichtig sein müsse."

"Sehen wir aus wie schlechte Kerls?"

"Nein; aber ihr habt mich zwar ausgefragt, aber mir noch nicht gesagt, wer ihr seid."

"Das könnt Ihr sogleich erfahren. Wir sind Westmänner und treiben bald dieses und bald jenes. Man nährt sich, wie man kann. Ich heiße Gates; hier neben mir steht Mr. Clay, und der Dritte da ist Mr. Summer. Seid Ihr nun zufrieden?"

" Yes."

"So steigt endlich ab, oder reitet weiter, ganz wie Ihr wollt."

"Wenn ihr erlaubt, werde ich bei euch bleiben; es ist in dieser Gegend immer besser, wenn mehrere beisammen sind."

"Well. Bei uns seid Ihr sicher aufgehoben. Der Name Santer schützt uns Alle."

"Was ist dieser Santer eigentlich für ein Gentleman?" erkundigte ich mich, indem ich abstieg und mein Pferd anhobbelte.

"Ein Gentleman mm wahren Sinne des Wortes. Wir werden ihm viel zu verdanken haben, wenn es wirklich so kommt, wie er uns gesagt und versprochen hat."

"Kennt ihr ihn schon lange?"

"Nein. Wir haben ihn erst vor einiger Zeit zum ersten Male gesehen und getroffen."

"Wo?"

"In Fort Arkansas. Aber warum fragt Ihr so nach ihm? Ist er Euch bekannt?"

"Würde ich mich nach ihm erkundigen, wenn er mir bekannt wäre, Mr. Gates?"

"Hm, das ist richtig!"

"Ihr sagtet, sein Name gebe euch Sicherheit, und da ich bei euch bin, befinde ich mich, sozusagen, auch unter seinem Schutze. Da muß ich mich doch für ihn interessieren. Nicht?"

"Yes. Setzt Euch nun zu uns her, und macht es Euch bequem! Habt Ihr zu essen?"

"Ein Stück Fleisch."

"Wir haben mehr. Wenn Ihr nicht genug habt, könnt Ihr noch von uns bekommen."

Erst hatte ich diese Drei für Landstreicher angesehen; nun, da ich sie beobachten konnte, war ich mehr und mehr geneigt, sie für ehrliche Leute zu halten, das heißt, was man im Westen, wo es einen andern Maßstab gibt, noch so knapp ehrlich nennt. Wir schöpften uns an einer klaren Stelle des Flusses Wasser und aßen unser Fleisch. Dabei betrachteten sie mich von oben bis unten. Dann meinte Gates, der überhaupt für sie das Wort zu führen schien:

"Also um Eure Fallen und Felle seid Ihr gekommen? Das ist bedauerlich. Wie wollt Ihr Euch nun nähren?"

"Zunächst von der Jagd."

"Sind Eure Gewehre gut? Ihr habt nicht nur eins, sondern sogar zwei, wie ich sehe."

"Sie sind leidlich. Diese alte Donnerbüchse schießt mit Kugeln und für Schrot habe ich das kleine Gewehr."

Ich hatte den Stutzen im selbstgefertigten Überzuge stecken. Hätte ich die beiden Namen Henrystutzen und Bärentöter gesagt, so hätten sie sofort gewußt, wer ich war.

"Da seid Ihr ein sonderbarer Heiliger. Ihr schleppt zwei Gewehre mit Euch, das eine für Kugeln, das andere für Schrot. Man nimmt doch ein Doppelgewehr, ein Lauf für Schrot und der andere für die Kugel!"

"Ist richtig; bin aber einmal an dieses alte Schießzeug gewöhnt."

"Und was habt Ihr da unten am Rio Pecos vor, Mr. Jones?"

"Nichts Besonderes. Es soll dort leichteres Jagen sein als hier."

"Wenn Ihr meint, daß die Apachen Euch dort jagen lassen, so hat man Euch gut berichtet. Glaubt doch diesen Unsinn nicht! Hier habt Ihr nur die Fallen und Felle verloren; dort aber könnt Ihr leicht um Euren eigenen Pelz kommen. Müßt Ihr denn partout hin?"

"Nein, das gar nicht."

"So kommt mit uns!"

"Mit euch?" stellte ich mich erstaunt.

"Ja."

"Nach den Mugworthills?"

"Ja."

"Was soll ich dort?"

"Hm! Ich weiß nicht, ob ich es Euch sagen darf. Was meint ihr dazu, Clay und Summer?"

Die beiden Genannten sahen einander fragend an, und dann erklärte Clay:

"Die Sache ist zweifelhaft. Mr. Santer hat uns verboten, davon zu sprechen, und doch auch gesagt, daß er gern mehr passende Männer dazu nehmen möchte. Mach, was du willst."

"Well," nickte Gates. "Wenn Mr. Santer noch Andere engagiert, können wir ihm auch einen mitbringen. Ihr seid also jetzt an nichts gebunden, Mr. Jones?"

"Nein," antwortete ich.

"Und habt Zeit?"

"So viel ich will."

"Würdet Ihr Euch an einer Sache beteiligen, welche Geld, viel Geld einbringen kann?"

"Warum nicht. Geld verdient jeder gern, und wenn es viel oder gar sehr viel ist, so sehe ich nicht ein, warum ich nicht mitmachen soll. Nur muß ich natürlich wissen, um was es sich handelt."

"Selbstverständlich! Es ist eigentlich ein Geheimnis, aber Ihr gefallt mir; Ihr habt ein so ehrliches, treuherziges Gesicht und würdet uns gewiß nicht übervorteilen und betrügen."

"Na, ein ehrlicher Kerl bin ich freilich; das könnt ihr glauben."

"Ich glaube es. Also, wir wollen nach dem Mugwortberge, um dort Nuggets zu suchen."

"Nuggets!" rief ich aus. "Gibt's dort welche?"

"Schreit nicht so sehr! Nicht wahr, das packt Euch an? Ja, es gibt dort welche."

"Von wem wißt ihr das?"

"Eben von Mr. Santer."

"Hat er sie gesehen?"

"Nein, denn da würde er sich hüten, uns dazu zu nehmen, sondern das Nest für sich allein behalten."

"Also nicht gesehen? Er vermutet es nur? Hm!"

"Es ist keine Vermutung, sondern Gewißheit, daß es dort welche gibt. Er kennt auch den ungefähren Ort, aber nicht die genaue Stelle."

"Das wäre sonderbar!"

"Ja, sonderbar, aber dennoch wahr und richtig. Ich werde es Euch genau so erklären, wie er es uns erzählt hat. Habt Ihr einmal von einem gewissen Winnetou gehört?"

"Dem Häuptling der Apachen? Ja."

"Ist Euch auch ein gewisser Old Shatterhand bekannt?"

"Habe mir auch von ihm erzählen lassen."

"Die sind dicke Freunde miteinander und früher einmal an den Mugworthills gewesen. Der Vater von Winnetou war auch dabei und auch noch andere Rote und Weiße. Mr. Santer hat sie belauscht und dabei gehört, daß Winnetou mit seinem Vater nach den Bergen wolle, um Nuggets zu holen. Wenn man sie nur so holen kann, wann und wie es einem beliebt, so müssen sie doch in Masse zu haben sein. Gebt Ihr das zu?"

"Ja."

"Nun hört weiter! Mr. Santer hat sich auf die Lauer gestellt, um den beiden Apachen zu folgen und den Ort zu entdecken. Das kann man ihm auch gar nicht verdenken, wie Ihr einsehen werdet, denn was wollen diese roten Kerls mit dem Golde, welches sie gar nicht brauchen können? Sie haben kein Geschick dazu."

"Ist es ihm gelungen?"

"Leider nicht ganz. Er ist ihnen nachgegangen; sie hatten auch die Schwester Winnetous mit. Er hat sich nach ihren Spuren richten müssen, und dabei versäumt man immer Zeit. Als er in die Nähe der Stelle gekommen ist, sind sie schon fertig und auf der Rückkehr gewesen. Eine ärgerliche Geschichte!"

"Gar nicht ärgerlich!"

"Nicht? Wieso?"

"Er brauchte sie nur ruhig an sich vorüberzulassen und dann auf ihren Spuren weiterzugehen; diese hätten ihn zu den Nuggets geführt."

"Alle Wetter! Das ist wahr! Ihr seid kein übler Kerl, wie ich da höre, und könnt uns wohl von Nutzen sein. Aber leider ist es anders gekommen. Er hat geglaubt, und zwar mit Recht geglaubt, daß sie Nuggets bei sich hatten, und auf sie geschossen, um ihnen dieses Gold abzunehmen."

"Traf er gut? Waren sie tot?"

"Der Alte und das Mädchen, ja; ihre Gräber befinden sich dort. Er hätte auch Winnetou eine Kugel gegeben, hat aber fliehen müssen, weil Old Shatterhand plötzlich dazugekommen ist. Dieser hat ihn mit weißen und roten Kerlen verfolgt und bis zu den Kiowas getrieben, mit deren Häuptling er dann Freund geworden ist. Später ist er nach den Mugworthills zurückgekehrt, mehrere Male, ja viele Male, und hat sich fast die Augen ausgesucht, aber nie etwas gefunden. Jetzt nun hat er den guten Gedanken gehabt, Leute zu engagieren, die ihm suchen helfen sollen. Mehrere sehen ja mehr als einer. Diese Leute sind wir drei, und wenn Ihr wollt, könnt Ihr mit uns reiten."

"Habt Ihr denn Hoffnung auf Erfolg?"

"Große sogar. Die Roten sind so schnell von dem Fundorte zurückgekehrt, daß er gar nicht weit von der Stelle liegen kann, wo Mr. Santer auf sie getroffen ist. Es ist also nur eine kurze Strecke abzusuchen, und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn wir das Gold nicht entdeckten. Wir haben ja Zeit genug dazu. Wir können Wochen und Monate lang suchen, denn kein Mensch treibt uns fort. Was denkt Ihr von der Sache?"

"Hm! Eigentlich gefällt sie mir nicht."

"Warum?"

"Es klebt Blut daran."

"Seid nicht so dumm! Haben wir oder habt Ihr es vergossen? Trifft uns oder Euch die Schuld? Nicht die Spur! Was liegt an zwei Roten, die erschossen worden sind? Sie werden doch alle ausgerottet und ausgelöscht! Was geschehen ist, das geht uns nichts an. Wir suchen das Gold; wir finden es und leben dann wie Astor und wie andere Millionäre."

Da hörte ich ja gleich, was für Leute ich vor mir hatte. Sie gehörten wohl nicht zu dem Abschaume, der mir schon so oft begegnet war, aber das Leben eines Indianers stand bei ihnen auch in keinem höheren Werte als dasjenige eines wilden, jagdbaren Tieres, welches jeder niederschießen kann. Sie waren noch nicht alt und handelten auch nicht wie erfahrene, vorsichtige Männer, sonst hätten sie sich nicht so schnell auf mein ehrliches Gesicht hin herbeigelassen, mich, den ihnen völlig unbekannten Menschen, in ihr Geheimnis einzuweihen und mir gar die Kameradschaft anzubieten.

Ich brauche wohl nicht zu sagen, wie überrascht ich von diesem Zusammentreffen und wie hochwillkommen mir dasselbe war. Santer wieder in Sicht! Dieses mal sollte er mir gewiß nicht wieder entwischen! Ich ließ mir aber nichts merken, neigte den Kopf wie im Zweifel herüber und hinüber und sagte dann:

"Die Nuggets hätte ich wohl gern; aber ich denke, wir bekämen sie gar nicht, auch wenn wir sie fänden."

"Was für ein Gedanke! Wenn wir sie finden, haben wir sie ja!"

"Aber wie lange?"

"So lange es uns gefällt. Es wird doch keinem von uns einfallen, sie wegzuwerfen!"

"Aber sie werden uns genommen!"

"Von wem?"

"Von Santer."

"Ah! Ihr seid wohl nicht recht klug?"

"Kennt lhr ihn?"

"In dieser Hinsicht, ja."

"Und habt ihn doch erst vor kurzem kennen gelernt!"

"Er ist ein ehrlicher Kerl. Wer ihn anschaut, kann unmöglich an seiner guten Moralität zweifeln. Und außerdem wurde er von Allen gelobt, bei denen wir im Fort nach ihm fragten."

"Wo ist er jetzt?"

"Er hat sich gestern von uns getrennt, um, während wir direkt nach den Mugworthills gehen, nach dem Salt-Fork des Red River zu reiten, an welchem das Dorf des Kiowahäuptlings Tangua liegt."

"Was will er dort?"

"Tangua eine sehr wichtige und ihm höchst willkommene Botschaft bringen, nämlich die, daß Winnetou gestorben ist."

"Wie? Winnetou ist tot?"

"Ja. Er ist von den Sioux erschossen worden. Er war der Todfeind Tanguas; also wird dieser vor Freude außer sich sein. Darum wich Mr. Santer von unserm Wege ab, um ihm diese Nachricht zu bringen. An den Mugworthills treffen wir wieder mit ihm zusammen. Er ist ein ehrenwerter Gentleman, der uns reich machen will, und wird Euch sicher gleich gefallen, sobald Ihr ihn seht."

"Wollen es hoffen, aber auch vorsichtig sein!"

"Gegen ihn?"

"Ja."

"Ich sage Euch, daß es nicht den geringsten Grund gibt, ihm zu mißtrauen."

"Und ich sage euch, daß ich zwar entschlossen bin, mich euch anzuschließen, aber dann die Augen offen halten werde. Wer um einiger Nuggets willen, die sie bei sich hatten, zwei Menschen erschießt, welche ihm nichts taten, dem ist es wahrlich zuzutrauen, daß er, wenn wir das Gold gefunden haben, auch uns ermordet, um es für sich allein zu behalten."

"Mr. Jones, was ... was ... denkt ...!"

Er sprach den Satz nicht aus und starrte mich erschrocken an. Auch Clay und Summer machten ganz bestürzte Gesichter.

"Ja," fuhr ich fort, "es ist nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, daß er euch in der festen Absicht engagiert hat, euch erst mit suchen zu lassen und dann, wenn der Schatz gefunden worden ist, auf die Seite zu räumen!"

"Ihr scheint zu phantasieren!"

"Fällt mir nicht ein! Wenn ihr euch die Sache richtig und ohne Voreingenommenheit für Santer überlegt, so ist es gar nicht anders möglich, als daß ihr zu meiner Ansicht kommen, meine Vermutung teilen müßt. Denkt euch zunächst einen Menschen, welcher der Freund von Tangua ist, den man als den größten und unversöhnlichsten Hasser aller Bleichgesichter kennt! Wie kann er zu dieser Freundschaft des Roten gekommen sein?"

"Weiß es nicht."

"Man braucht es nicht zu wissen, denn man kann es sich denken; es ist sehr leicht."

"Nun, was denkt Ihr Euch, Mr. Jones?"

"Wer ein Freund des Feindes aller Weißen ist, muß diesem wohl bewiesen haben, daß er sich auch nichts aus dem Leben eines Weißen macht, und man hat also alle Veranlassung, höchst vorsichtig gegen ihn zu sein. Habe ich da recht oder nicht?"

"Es klingt wenigstens so, daß es sich hören läßt. Habt Ihr noch anderes vorzubringen?"

"Ja, das, was ich schon einmal gesagt habe."

"Daß er die zwei Roten erschossen hat?"

"Ja."

"Da wißt Ihr, daß ich ihm das gar nicht übelnehme. Das ist in meinen Augen gar kein Grund, ihm zu mißtrauen und ihn für einen schlechten Kerl zu halten."

"Fühlt Ihr denn nicht, daß Ihr Euch da selbst ein schlechtes Zeugnis gebt?"

"Nein. Die Indianer sind alle Halunken, welche ausgerottet werden müssen!"

"Sie sind Menschen, welche auch ihre Rechte besitzen, die wir achten müssen!"

"Ihr sprecht da außerordentlich human. Aber selbst wenn Ihr recht hättet, könnte ich nicht einsehen, warum der Tod von zwei Roten gar so etwas Unverzeihliches sein soll."

"Nicht ...?"

"Nein. Man muß alles von der praktischen Seite nehmen. Vielleicht habt Ihr so viel Einsicht, zuzugeben, daß die Roten dem Untergange geweiht sind?"

"Leider kann ich das nicht bestreiten."

"Nun, wenn sie alle vom Erdboden verschwinden müssen und unrettbar verloren sind, so ist es sehr gleichgültig, ob zwei von ihnen einige Tage eher zugrunde gehen, als es ihnen eigentlich bestimmt gewesen ist. Das ist der praktische Standpunkt, auf welchem ich stehe. Von diesem aus ist Derjenige, der ihren Tod herbeigeführt hat, kein Mörder, sondern er hat dem Schicksal nur ein wenig vorgegriffen."

"Eine sonderbare Sache, diese praktische Moral! Seht Ihr das nicht ein?"

"Vielleicht ja. Aber es könnte Euch nicht schaden, wenn Ihr sie Euch auch aneignen wolltet."

"Well, so will ich mich einmal auf diesen Euren Standpunkt stellen. Meint Ihr, daß Mr. Santer nicht auch von diesem aus zu verdammen ist?"

"Gewiß nicht."

"O doch! Also, daß er den Häuptling der Apachen und seine Tochter überhaupt erschossen hat, soll keine Sünde sein; ich will einmal so tun, als ob diese Ansicht auch die meinige sei; aber nun kommt die höchst praktische Frage: Warum hat er sie erschossen?"

"Nur um den Ort zu erfahren, an welchem sie ihr Gold versteckt hatten."

"Nein, deswegen nicht!"

"Nicht? Weshalb denn?"

"Um den Ort zu erfahren, brauchte er ihnen das Leben nicht zu nehmen. Wenn er sie ruhig gehen ließ und nach ihrer Entfernung untersuchte, wo sie gewesen waren, hätte er den Ort wahrscheinlich gefunden. Er hat Euch ja gesagt, daß sie sehr rasch zurückgekehrt seien. Bei der Schnelligkeit und Eile, mit welcher sie verfahren sind, haben sie sich wohl kaum die Zeit genommen, ihre Spuren so sorgfältig auszulöschen, daß sie nicht mehr zu erkennen waren. Sie hatten auch keine Veranlassung dazu, gar so vorsichtig zu sein, denn sie glaubten, sich ganz allein auf den Mugworthills zu befinden. Ihre Fährte hätte ihn gewiß an den betreffenden Ort geführt. Das habe ich schon einmal erwähnt."

"Ändert aber nichts an der Sache. Wenigstens weiß ich nicht, wie Ihr denken könnt, meine Ansicht damit umzuwerfen, Mr. Jones."

"Werdet es gleich hören, Mr. Gates. Er hat die Beiden nicht erschossen, um das Versteck zu entdecken, sondern um die Nuggets zu bekommen, die sie geholt, und also bei sich hatten."

"Meinetwegen! Ist ganz dasselbe!"

"Ja, für ihn und die Erschossenen ist das ganz gleich, aber für uns wohl nicht."

"Warum nicht?"

"Was meint Ihr wohl, wieviel Gold in dem Versteck gewesen ist? Wenig?"

"Viel, sehr viel jedenfalls! Ich kann es zwar nicht beweisen, aber es ist leicht zu denken."

"Ich kann es beweisen."

"Ihr?" fragte er verwundert.

"Ja. Man braucht nur ein wenig nachzudenken. Auch wenn man die Mugworthills nicht kennt, kann man annehmen, daß in jener Gegend kein natürlicher Fundort des Goldes vorhanden ist; es muß hingeschafft worden sein. Und wenn Indianer sich einmal die große Mühe geben, ein solches Depot anzulegen, so tun sie dies gewiß nicht um einer Wenigkeit willen."

"Nein; das ist richtig."

"Also es hat viel, sehr viel Gold dort gelegen. Was Winnetou und sein Vater sich dort geholt hatten, war nur ein kleiner Teil davon. Nicht?"

"Gebe das auch zu."

"Und wegen einer solchen Lappalie hat Mr. Santer zwei Menschen erschossen!"

"Hm, ja; aber es war praktisch. Er wollte auch diesen kleinen Betrag noch haben."

"Merkt Ihr denn noch nicht, was ich sagen will? Diese Praktik, welche Ihr so entschuldigt, kann für uns außerordentlich gefährlich werden."

"Gefährlich? Wieso?"

"Nehmt doch an: Wir gehen hin und finden den ganzen Schatz; dann ..."

"Dann wird er sofort geteilt!" fiel er mir schnell in die Rede.

"Ja, er wird geteilt. Wieviel meint Ihr wohl, daß jeder von uns bekommen wird?"

"Wer kann das sagen! Da müßte man doch wissen, wieviel überhaupt dort liegt."

"Auch dann könntet Ihr nicht wissen, wieviel jeder bekommt, denn Mr. Santer wird den Löwenanteil beanspruchen und uns nur soviel zusprechen, wie ihm gut dünkt."

"Nein, das tut er nicht; da irrt Ihr Euch!"

"Gewiß nicht."

"O doch. Es wird sehr ehrlich geteilt, denn Keiner soll mehr bekommen als der Andere."

"Auch Santer nicht?"

"Auch er nicht."

"Hat er das selbst gesagt?"

"Ja. Er hat es nicht nur versprochen, sondern uns sogar die Hand darauf gegeben."

"Da ist er euch wohl recht nobel vorgekommen?"

"Natürlich! Er ist der anständigste und nobelste Mensch, den man sich denken kann."

"Und ihr seid die drei kindlichsten Gemüter, die mir jemals begegnet sind!"

"Wieso?"

"Daß ihr diesem seinem Versprechen Glauben schenkt."

"Warum sollen wir das nicht?"

"Soll ich euch das wirklich erst erklären?"

"Jawohl!"

"Nun, Einer, der um weniger Nuggets willen zwei Menschen erschießt, ist gewiß so goldgierig, daß es ihm gar nicht einfallen kann, in dieser Weise mit euch zu teilen."

"Es waren ja nur zwei Rote!"

"Aber doch Menschen, die ihm nichts getan hatten! Wenn es Weiße gewesen wären, hätte er sich eben sowenig bedacht, sie aus dem Wege zu schaffen."

"Hm!" brummte er ungläubig.

"Ich behaupte es! Ich behaupte sogar noch mehr. Er hat euch versprochen, daß ihr grad so viel bekommen sollt, wie er bekommt, und da denke ..."

"Da denke ich, daß er sein Wort halten und es uns geben wird," fiel er ein.

"Möglich, daß er es uns gibt, denn er weiß ja, daß er es wieder bekommt."

"Weil er es uns nimmt?"

"Ja. Der Teil, welcher auf jeden von uns entfällt, ist jedenfalls hundertmal und noch mehrmal größer als der Betrag, welchen Intschu tschuna und Winnetou bei sich hatten. Hat er sie aus reiner Goldgier erschossen, so wollte ich darauf schwören, daß wir von dem Augenblicke an, an welchem wir das Gold erhalten, unseres Lebens keine Minute mehr sicher sind."

"Abwarten, Mr. Jones!"

"Ich werde es allerdings abwarten."

"Es ist ein großer Unterschied, ob man auf Indianer oder auf Weiße schießt!"

"Für einen Menschen aber nicht, den das Goldfieber ergriffen hat; das mögt ihr glauben."

"Hm! Selbst wenn Ihr im allgemeinen recht hättet, in diesem Falle aber nicht. Mr. Santer ist ein Gentleman in jedem Sinne des Wortes!"

"Es sollte mich freuen, wenn ihr euch nicht irrtet!"

"Ich gehe jede Wette mit Euch ein, Mr. Jones. Seht Euch Mr. Santer nur erst an, so wird Euch Euer Auge sofort sagen, daß er volles Vertrauen verdient."

"Well! Bin also höchst neugierig auf den Augenblick, an welchem ich ihn zu sehen bekomme."

"Ihr seid voller Zweifel und Verdacht wie der Wassertümpel voller Quappen und Frösche. Wenn Ihr wirklich glaubt, daß Euch Gefahr drohe, so ist es doch sehr leicht, derselben auszuweichen!"

"Indem ich nicht mit nach den Mugworthills gehe?"

"Ja. Es steht Euch doch frei, Euch anzuschließen. Ich weiß überhaupt noch nicht, ob es Mr. Santer lieb sein wird, wenn wir Euch mitbringen. Ich glaubte, Euch einen Gefallen zu tun."

Er sagte das in einem beinahe abweisenden Tone; er nahm es mir übel, daß ich ihm in Beziehung auf Santers Person keinen Glauben schenkte. Darum antwortete ich ihm:

"Es ist mir ja auch ein Gefallen, für den ich Euch herzlich dankbar bin."

"So zeigt Eure Dankbarkeit in anderer Weise als dadurch, daß Ihr einen Gentleman verleumdet, den Ihr noch gar nicht einmal gesehen habt! Wollen uns nicht länger streiten, sondern diese Sachen fallen und auf sich beruhen lassen!"

Damit war dieser Gegenstand beendet, und wir sprachen von andern Dingen, wobei es mir gelang, den schlechten Eindruck, den ich mit meinem Mißtrauen hervorgebracht hatte, wieder zu verscheuchen.

Wie sicher hätten sie mir recht gegeben, wenn es mir möglich gewesen wäre, mich ihnen mitzuteilen! Aber das durfte ich nicht wagen. Sie waren unerfahrene, vertrauensselige Menschen, von denen ich annehmen mußte, daß sie mir, falls ich sie ins Vertrauen zog, mehr Schaden als Nutzen bringen würden.

Später legten wir uns zur Ruhe. Ich hielt den Ort, an dem wir uns befanden, für sicher, suchte aber trotzdem die Umgebung vorher sorgfältig ab, und da ich nichts Verdachterweckendes entdeckte, so unterließ ich es, den Vorschlag zu machen, abwechselnd zu wachen. Sie aber waren so harmlos, gar nicht auf so einen Gedanken zu kommen.

Am andern Morgen brachen wir vereint nach den Mugworthills auf, ohne daß sie ahnten, daß diese Gegend auch mein Ziel gewesen war.

Der Tag verging mir unter immerwährender innerer Unruhe und Besorgnis. Sie fühlten sich sicher; sie glaubten, bei einer Begegnung mit den Kiowas nur den Namen Santer nennen zu dürfen, um als Freunde behandelt zu werden, während ich überzeugt war, daß diese Roten mich sofort erkennen würden. Meine drei Gefährten hielten darum jede Vorsichtsmaßregel für überflüssig, und ich durfte ihnen nicht widersprechen, wenn ich nicht ihr Mißtrauen erwecken oder mir wenigstens ihren Unwillen zuziehen wollte. Glücklicherweise bekamen wir während des ganzen Tages keinen Menschen zu sehen.

Am Abend lagerten wir auf der offenen Prärie. Sie hätten gern ein Feuer angezündet, doch gab es kein Material dazu, worüber ich im Stillen sehr erfreut war. Es gab überhaupt keinen Grund, ein Feuer anzumachen, denn es war nicht kalt, und etwas zu braten hatten wir nicht. Am andern Morgen hatten wir, ehe wir den Ritt fortsetzten, das letzte Dürrfleisch zu essen, und nun waren wir auf die Jagd angewiesen. In Beziehung hierauf machte mir Gates die mich im Stillen belustigende Bemerkung:

"Ihr seid Fallensteller aber nicht Jäger, Mr. Jones. Ihr habt zwar gesagt, daß Ihr schießen könnt, aber es wird auch danach sein. Könnt Ihr einen Präriehasen treffen, der hundert Schritte von Euch vorüberkommt?"

"Hundert Schritte?" antwortete ich. "Hm, das ist wohl etwas weit! Nicht?"

"Dachte es! Ihr würdet ihn nicht treffen. Überhaupt tragt Ihr die alte, schwere Donnerbüchse ganz vergeblich mit Euch herum. Mit einem solchen Dinge kann man wohl einen Kirchturm niederschießen, aber kein Kleinwild erlegen. Das braucht Euch aber keine Schmerzen zu machen, denn wir werden für Euch sorgen."

"Ihr trefft wohl besser als ich?"

"Das könnt Ihr Euch denken! Wir sind Präriejäger, echte Westmänner, verstanden!"

"Das ist nicht genug; das reicht nicht aus."

"So? Was fehlt denn noch?"

"Das Wild. Ihr könnt noch so fertig sein im Schießen, wenn es kein Wild hier gibt, so werden wir doch hungern müssen."

"Da habt keine Sorge! Wir finden welches."

"Hier auf der Savanne? Da gibt es doch nur Antilopen, die uns nicht so nahe an sich lassen, daß wir zum Schusse kommen."

"Wie klug Ihr redet! Habt allerdings so ziemlich das Richtige getroffen. Aber an den Mugworthills finden wir Wald und also auch Wild. Mr. Santer hat es gesagt."

"Wann kommen wir hin?"

"Gegen Mittag vielleicht, wenn wir richtig geritten sind, was ich doch hoffe."

Keiner wußte besser als ich, daß wir sehr richtig ritten und den Nugget-tsil noch vor Mittag erreichen mußten. Ich machte ja eigentlich den Führer, ohne daß sie es bemerkten. Sie ritten mit mir, nicht ich mit ihnen.

Noch hatte die Sonne nicht den höchsten Punkt ihres Tagesbogens erreicht, so sahen wir im Süden die bewaldeten Höhen, zu denen wir wollten, aus der Ebene aufsteigen.

"Ob das die Mugworthills sind?" fragte Clay.

"Sie sind's," antwortete Gates, "Mr. Santer hat uns doch sehr genau beschrieben, was für einen Anblick sie bieten, wenn man von Norden her zu ihnen kommt. Und was wir da vor uns sehen, das stimmt mit der Beschreibung. In einer halben Stunde werden wir uns am Ziele befinden."

"Noch nicht," widersprach Summer.

"Wieso?"

"Du hast vergessen, daß die Mugworthills an ihrer nördlichen Seite für Reiter unzugänglich sind; man kann da nicht passieren."

"Das weiß ich wohl; ich meinte nur, daß wir in einer halben Stunde dort sein werden. Dann umreiten wir die Hills, bis wir auf der Südseite an das Tal kommen, weiches zwischen sie hineinführt."

Ich hörte, daß Santer ihnen das Terrain sehr gut beschrieben hatte. Um zu erfahren, wie weit diese Genauigkeit ging, erkundigte ich mich:

"In diesem Tale will er wohl mit euch zusammentreffen, Mr. Gates?"

"Nein, sondern oben auf der Höhe."

"Wir sollen mit den Pferden hinauf?"

"Ja."

" Gibt es einen Weg?"

"Eigentlich nicht, aber ein Wasserbett. Reiten kann man da freilich nicht, sondern man muß steigen und die Pferde nach sich führen."

"Wozu das? Ist es denn notwendig, da hinaufzuklettern? Kann man denn nicht unten bleiben?"

"Nein, denn der Ort, an welchem wir suchen müssen, liegt da oben."

"So sollte man wenigstens die Pferde unten lassen. Das wäre jedenfalls besser."

"Unsinn! Man hört, daß Ihr nur Fallensteller seid. Es vergehen vielleicht Wochen, ehe wir da oben finden, was wir suchen. Können wir die Pferde so lange unten im Tale lassen? Es müßte stets jemand bei ihnen sein, der sie bewacht; oben aber haben wir sie in unserer Nähe und brauchen also keinen besondern Wächter für sie. Seht Ihr das nicht ein?"

"Doch! Wer die Örtlichkeit nicht kennt, der kann wohl einmal eine solche Frage stellen."

"Übrigens ist es da oben interessant, denn, wie ich Euch schon gesagt habe, befinden sich dort die Gräber des Apachenhäuptlings und seiner Tochter."

"Und bei diesen Gräbern lagern wir?"

"Ja."

"Auch des Nachts?"

Ich hatte den triftigsten Grund zu dieser Frage. Ich mußte an dem Grabmale Intschu tschunas in die Erde graben, um zu Winnetous Testament zu kommen; da brauchte ich keine Zeugen. Und nun hörte ich, daß wir dort lagern würden. Das war äußerst unangenehm. Vielleicht ließen sich meine drei Gefährten durch die sehr natürliche Scheu, welche gewöhnliche Leute vor Begräbnisstellen zu haben pflegen, bestimmen, wenigstens des Nachts die Nähe der beiden Gräber zu meiden. Und selbst wenn dies geschah, war es unzulänglich für mich. Des Nachts konnte ich nicht sehen und also leicht einen Fehler begehen. Und selbst wenn dies nicht geschah, so war es in der Finsternis unmöglich, das Loch, welches ich zu graben hatte, dann so zuzufüllen, daß man früh keine Spur davon entdecken konnte.

"Auch des Nachts?" wiederholte Gates meine Frage. "Warum wollt Ihr das wissen?"

"Hm! Des Nachts an Gräbern zu schlafen, das ist nicht jedermanns Sache."

"Ah, Ihr fürchtet Euch?"

"Das nicht!"

"O doch! Hört ihr es, Clay und Summer? Mr. Jones fürchtet sich vor den Toten! Er hat Angst vor den beiden Roten! Er denkt, sie gehen um und springen ihm auf den Rücken, hahahahahaha!"

Er lachte aus vollem Halse, und die Beiden stimmten ein. Ich schwieg dazu; ich mußte sie bei dem Glauben lassen, daß ich furchtsam sei, sonst hätten sie meinen Fragen Gründe untergelegt, auf die ich sie nicht bringen wollte. Dann fuhr er in ironisch beruhigendem Tone fort:

"Ihr seid also abergläubisch, Sir? Das ist eine große Albernheit. Die Toten kommen nicht wieder, und grad diese Zwei werden sich hüten, die ewigen Jagdgründe zu verlassen, wo sie bei Hirsch- und Büffelbraten in dulci jubilo leben. Und wenn sie Euch ja erscheinen sollten, was freilich nicht ganz ausgeschlossen ist, so braucht Ihr nur uns zu Hilfe zu rufen; wir jagen sie fort."

"Würde schon selbst mit ihnen fertig werden, Mr. Gates. Wenn ich mich auch nicht grad fürchte, so halte ich es doch nicht für nötig, an Gräbern zu schlafen, wenn man sich ebensogut wo anders niederlegen kann."

Während dieses Wortwechsels waren wir den Höhen so nahe gekommen, daß wir westlich einbiegen mußten, um sie von dieser Seite zu umreiten. An ihrer Südseite angekommen, bogen wir wieder links ein und kamen an das Tal, welches hineinführte und dem wir folgten. Später öffnete sich die früher mehrfach erwähnte Seitenschlucht, die wir emporritten, bis sie sich teilte. Da stiegen wir ab und kletterten, die Pferde nachführend, in dem felsigen Gerinne empor bis zu der scharfkantigen Höhe, über welche man hinüber mußte.

Ich war der letzte, mit Absicht natürlich; Gates stieg voran. Er blieb einige Male halten, um über die Beschreibung nachzudenken, die Santer ihm von der Örtlichkeit gegeben hatte, und traf dann stets das Richtige; er besaß ein gutes Gedächtnis. Dann ging es jenseits hinab und grad durch den Wald, bis die Bäume auseinandertraten. Da hielt Gates die Schritte an und rief aus:

"Richtig getroffen, ganz richtig! Da stehen die beiden Gräber. Seht ihr sie? Wir sind an Ort und Stelle. Nun braucht bloß Mr. Santer noch zu kommen."

Ja, wir waren da! Da stand das Grabmal Intschu tschunas, des einstigen Häuptlings der Apachen, der mit einem mehrfachen Steinmantel umgebene Erdhaufen, in dessen Innern er ruhte, auf seinem Pferde, mit seinen Waffen, außer der Silberbüchse, und seiner Medizin. Und daneben befand sich die Steinpyramide mit dem aus ihrer Spitze ragenden Gipfel des Baumes, an dessen Stamme sitzend Nscho-tschi den letzten Schlummer schlief. Ich war mit Winnetou während unserer Streifzüge einige Male hier gewesen, um das Andenken der beiden geliebten Toten zu ehren, und kam nun ohne ihn, der inzwischen auch von mir geschieden war. Er hatte den ihm so teuren Ort auch ohne mich besucht, wenn ich mich in andern Ländern befand. Welche Gedanken mochten da hinter seiner Stirn gewohnt, welche Gefühle sein Herz bewegt haben! Santer und Rache! Dieser Mann und dieses Verlangen nach Wiedervergeltung hatten einst sein ganzes Innere eingenommen. Auch später noch?

Es war ihm nicht gelungen, des Täters in der Weise habhaft zu werden, daß er ihn bestrafen konnte. Jetzt stand ich hier und erwartete den Mörder. War ich nicht der wohlberechtigte Erbe meines Freundes, der Erbe seiner Rache? Hatte nicht der heiße Wunsch nach Vergeltung auch in mir gelebt? War es nicht eine Versündigung gegen ihn und die beiden Toten, wenn ich Santer hier in meine Hand bekam und seiner schonte? Aber da hörte ich im Geiste seine letzten Worte: "Schar-Iih, ich glaube an den Heiland. Winnetou ist ein Christ. Lebe wohl!" Leider klang auch eine andere Stimme an mein Ohr, die Stimme Gates', welche mir zurief:

"Was steht Ihr denn da und starrt die beiden Erdhaufen an! Sehr Ihr vielleicht die Geister schon, vor denen Ihr Euch ängstiget? Wenn das beim hellen Tag geschieht, wie soll das erst am Abend und in der Nacht werden!"

Ich antwortete nicht, führte mein Pferd auf die Lichtung, sattelte und zäumte es ab, gab es frei und machte mich dann, meiner Gewohnheit gemäß, daran, die Umgebung abzusuchen. Als ich zurückkehrte, hatten die drei Gefährten es sich bequem gemacht. Sie saßen an dem Grabmal des Häuptlings, grad an der Stelle, wo ich graben wollte.

"Wo lauft Ihr denn herum?" fragte Gates. "Habt wohl schon nach Nuggets gesucht? Das laßt bleiben! Es wird nur gemeinschaftlich gesucht, damit nicht Einer die Stelle finden und sie den Andern verheimlichen kann."

Dieser Ton behagte mir nicht. Sie wußten zwar nicht, wer ich war, aber in solcher Weise durfte ich doch nicht mit mir sprechen lassen; darum antwortete ich mit derjenigen Schärfe, deren ich mich, ohne zu beleidigen, bedienen zu können glaubte:

"Fragt Ihr nur aus Neugierde, Sir, oder weil Ihr glaubt, mich kommandieren zu dürfen? Für beide Fälle mache ich

Euch darauf aufmerksam, daß ich die Jahre hinter mir habe, in denen man sich schulmeistern läßt."

"Schulmeistern? Mr. Jones, was wollt Ihr damit sagen?"

"Daß ich mich für einen selbständigen Menschen halte."

"Das seid Ihr eben nicht. Von dem Augenblicke an, wo Ihr Euch uns angeschlossen habt, seid Ihr Mitglied unserer Gesellschaft geworden, und kein Glied eines Ganzen kann sich selbständig nennen."

"Braucht sich aber auch nicht dominieren zu lassen!"

"Doch! Einen muß es geben, nach welchem sich die Andern zu richten haben."

"Haltet Ihr Euch für diesen Einen?"

"Ja."

"So befindet Ihr Euch im Irrtume. Wenn es unter uns Einen geben soll, auf den die Andern zu hören haben, so kann das nur Santer sein."

"Der ist nicht da. Unterdessen vertrete ich seine Stelle."

"Aber nicht in Beziehung auf mich. Ihr dürft nicht vergessen, daß Santer mich noch gar nicht engagiert hat; ich bin also noch nicht Mitglied eurer Gesellschaft."

"So laßt auch das Spüren hier herum! Ihr habt kein Recht dazu, wenn Ihr glaubt, noch nicht zu uns zu gehören."

"Darüber wollen wir uns nicht streiten, Sir. Ich darf wohl gehen, wohin ich will! Ich habe mich entfernt, um nachzusehen, ob wir hier sicher sind. Wenn ihr wirklich so tüchtige Westmänner seid, wie ihr sagt, so müßt ihr wissen, daß man nie im Walde lagert, ohne zu wissen, ob man allein da ist oder nicht. Weil ihr das unterlassen habt, habe ich es getan und damit eigentlich eure Anerkennung verdient, nicht aber den Ton, den Ihr Euch gegen mich erlaubt."

"Ach! Nach Spuren habt Ihr gesucht?"

"Ja."

"Versteht Ihr denn, die zu finden?"

"Wahrscheinlich!"

"Ich dachte, Ihr suchtet schon nach Nuggets!"

"So dumm bin ich nicht!"

"Warum wäre das dumm?"

"Weiß ich, nach welcher Seite, in welcher Richtung man

von hier aus zu suchen hat? Das weiß nur Santer, vorausgesetzt, daß es wirklich Gold hier gibt, was ich aber sehr bezweifle."

"Ja, Ihr scheint aus lauter Verdacht, Mißtrauen und Zweifel zusammengesetzt zu sein. Es wäre wirklich besser gewesen, wir hätten Euch gelassen, wo Ihr waret."

"Meint Ihr? Vielleicht wäre ich der Einzige, welcher das Gold zu finden wüßte, wenn es hier läge. Es ist aber fort."

"Fort? Wer sagt das?"

"Ich."

"Warum? Wie könnt Ihr wissen, daß es nicht mehr hier liegt?"

"Der gesunde Menschenverstand sagt es mir. Es ist wirklich zu verwundern, daß ihr, die erfahrenen Westmänner, nicht längst darauf gekommen seid!"

"Sprecht nicht in Rätseln! Redet lieber deutlich! Es hat Gold hier gelegen!"

"Das gebe ich zu."

"Wer soll es fortgeschafft haben?"

"Winnetou."

"Ach! Wie kommt Ihr auf diese Idee?"

"Ich möchte lieber fragen, wie es möglich ist, daß ihr nicht auf sie gekommen seid. Nach dem, was ich von Winnetou weiß, war er nicht nur der tapferste, sondern auch der klügste, der listigste Indianer, den es gab."

"Das wißt nicht nur Ihr, sondern das weiß jedermann."

"So habt die Güte, einmal nachzudenken! Winnetou ging hierher, um Gold zu holen; er wurde überfallen und erkannte als kluger Mann sofort, daß seinem Geheimnisse nachgespürt worden war. Er mußte annehmen, daß Santer, welcher ihm entkam, später zurückkehren werde, um zu suchen. Was hättet Ihr an seiner Stelle getan, Mr. Gates? Das Gold etwa hier liegen lassen?"

"Alle Teufel!" stieß der Gefragte hervor.

"Nun, so antwortet doch!"

"Das ist allerdings ein Gedanke, aber ein ganz armseliger, miserabler Gedanke!"

"Wenn Ihr Winnetou für einen Idioten gehalten habt, so sucht hier immerhin nach Nuggets; aber werft nicht etwa mir vor, daß ich hinter eurem Rücken danach suche! Eine solche Dummheit laß ich mir nicht nachsagen."

"Ihr glaubt also, daß nichts zu finden ist?"

"Ich bin überzeugt davon."

"Warum aber seid Ihr da mit hierhergeritten?"

Da ich ihm die Wahrheit nicht sagen konnte, antwortete ich:

"Weil mir der Gedanke, den ich euch jetzt mitgeteilt habe, eben jetzt erst gekommen ist."

"Ach, also waret Ihr bis jetzt ebenso dumm wie wir! Ich will zugeben, daß Eure Ansicht etwas für sich hat; aber es läßt sich ebenso viel und auch noch mehr dagegen sagen."

"Was?"

"Ich bringe nur den einen Punkt: Das Versteck war so gut, daß Winnetou nicht zu befürchten brauchte, daß man es entdecken könne. Ist das etwa nicht möglich?"

"Doch!"

"Schön! Ich könnte noch Anderes gegen Euch vorbringen, will aber darauf verzichten. Warten wir, bis Mr. Santer kommt, was er dazu sagen wird."

"Wann glaubt Ihr, daß er hier sein kann?"

"Heut noch nicht, aber morgen."

"Morgen? Das ist unmöglich. Ich kenne zufälligerweise den Saltfork, wohin er ist. Wenn er sich sehr sputet, kann er frühestens übermorgen abends hier eintreffen. Womit verbringen wir bis dahin die Zeit?"

"Mit der Jagd. Wir brauchen Fleisch."

"Hm! Meint ihr, daß auch ich mit jagen soll?"

Ich sprach diese Frage mit voller Absicht aus; sie sollten gehen und mich allein hier lassen. Leider hatte ich nicht den gewünschten Erfolg, denn er antwortete:

"Ihr würdet uns wahrscheinlich alles verderben. Wir brauchen Euch nicht. Ich gehe mit Clay und denke, daß wir etwas schießen werden. Ihr könnt mit Summer hier bleiben."

Die beiden Genannten nahmen ihre Gewehre und entfernten sich. Verfolgte Gates etwa im stillen die Politik, mich nicht ohne Aufsicht hier zu lassen? Da hätte er mich aber doch wohl für pfiffiger halten müssen, als er mich zu halten schien.

Wenn er glaubte, daß ich ihm die Jagd verderben könne, so dachte er sehr gering von mir, ohne aber einzusehen, welcher Fehler das von ihm war. Er sprach das Wort Fallensteller stets im Tone der Mißachtung aus und war also unerfahren genug, gar nicht zu wissen, daß grad ein Fallensteller es zu gar nichts bringen kann, wenn er nicht ein tüchtiger Schütze, überhaupt ein tüchtiger Westmann ist.

Er lief mit Clay den ganzen Nachmittag im Walde herum, und der ganze Erfolg war, daß sie gegen Abend glücklich ein armes Häschen brachten, an dem sich vier Personen sättigen sollten. Am nächsten Morgen ging er mit Summer fort; ihre ganze Jagdbeute bestand in einigen Wildtauben, die so alt waren, daß sie kaum gegessen werden konnten.

"Wir haben Pech, riesenhaftes Pech," entschuldigte er sich. "Kein Wild läßt sich sehen!"

"Wenn man das viele Pech, welches ihr habt, braten und verzehren könnte, so wollte ich es loben," antwortete ich. "Diese Tauben haben jedenfalls schon zu Methusalems Zeiten gelebt; es ist jammerschade, daß sie so jung sterben mußten!"

"Wollt Ihr Euch über mich lustig machen, Sir?"