»In Freiheit mit Blumen, Büchern und dem Mond – wer könnte da nicht glücklich sein?«

Oscar Wilde

Durch den Garten flanieren, mal hier eine Blüte bestaunen, mal dorthin schnuppern; Ausschau halten, nach alldem, was da kreucht und fleucht; in der Nachmittagssonne im Schatten eines Baumes sitzen und die Gedanken schweifen lassen; oder den Jahreszeiten und dem Wetter trotzen und das Gärtnern zur Passion machen – der Garten ist ein Ort ungeahnter Möglichkeiten, Momente des Glücks zu erleben.

Die Vielfalt dieses Gartenglücks findet sich in all den wunderbaren Geschichten und Gedichten wieder, zu denen Autorinnen und Autoren immer wieder inspiriert werden. Die schönsten von Eva Demski, Rainer Maria Rilke, Robert Walser, Johannes Roth, Susanne Wiborg, Paula Almqvist u.v.a. sind in diesem Band versammelt – und bescheren ein einzigartiges Garten-Lesevergnügen.

Gartenglück

DIE SCHÖNSTEN
GESCHICHTEN

INSEL VERLAG

Die Rechtschreibung der Beiträge folgt dem Original und wurde für diesen Band nicht vereinheitlicht.

Umschlagfoto: Paul Viant/Getty Images

eBook Insel Verlag Berlin 2015

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 4375.

© der deutschen Ausgabe Insel Verlag Berlin 2015

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Umschlaggestaltung: hißmann, heilmann, hamburg

eISBN 978-3-458-74144-2

www.insel-verlag.de

INHALT

Rainer Maria Rilke, Lied

Eva Demski, Mein Garten

Hermann Hesse, Wie ein Märchen aus der Kindheit

Robert Walser, Das Veilchen

Susanne Wiborg, Wenn alles wächst …

Marie Luise Kaschnitz, Der alte Garten

Julia Strauß, Einpflanzen!

Tom Hodgkinson, Säe aus

Robert Walser, Gärten

Paula Almqvist, Vom Gartenleben

Luzie Krolow, Mai

Bertolt Brecht, Der Blumengarten

Susanne Wiborg, Das perfekte Rascheln

Frances Hodgson Burnett, Der geheime Garten

Rainer Maria Rilke, Kindheit

Paula Almqvist, Mit Blumen reden

Karl Čapek, Von der Kunst des Gärtnerns

Johann Wolfgang Goethe, Sizilische Gärten

Hermann Hesse, Düfte

Peter Sager, Warum ist Heligan so sexy?

Julia Strauß, Balkon!

Paula Almqvist, Frauensünden

Marie Luise Kaschnitz, Augustgarten

Gabriella Pape, Farbenspiele

Johannes Roth, Die Seele des Gartens ist der Kompost

Elsemarie Maletzke, Die Chaosgärtnerin

Max Frisch, Man sitzt in den Gärten

Oscar Wilde, Der eigensüchtige Riese

Johannes Roth, Was macht der Gärtner im Winter

Literaturnachweise

Gartenglück

»Blüten und Bücher, die großen Seelentröster.«

Emily Dickinson

Rainer Maria Rilke

LIED

Der Garten vor den Fenstern

ist nur ein Bild in Grün

für einen unbegrenztern,

darin wir beide blühn.

Was seine Sinne segnet,

auf denen Winter war:

das sonnt und sinnt und regnet

auch über unserm Jahr.

Der Garten hat Gebräuche,

ähnlich wie ich und du:

zwei steigende Gesträuche

blühen einander zu.

Eva Demski

MEIN GARTEN

»Il faut cultiver notre jardin.«

Voltaire

Sie haben recht, lieber Voltaire. Die Empfehlung, mit der Sie seit ein paar hundert Jahren Leser und Leserinnen aus Ihrem Candide entlassen, ist immer noch die beste: Bestellt euren Garten! Ich weiß: Wer Ihnen folgt, wird glücklich. An manchen Tagen auch unglücklich, sehr unglücklich sogar, aber niemals hoffnungslos. Wenn einem nämlich der Tod im Garten begegnet, findet man zuverlässig ein paar Meter weiter neues Leben, mit dem man nicht gerechnet hat.

Zum Beispiel, wenn man den von Wühlmäusen entwurzelten Perückenstrauch aus dem Boden gezogen hat, widerstandslos, ein armer welker Leichnam, hört man angesichts einer Krötenlilie, die sich – wer weiß woher – daneben angesiedelt hat, sofort auf zu hadern. Erst jetzt kommt sie zur Geltung. Ohne den Mordfall hatten wir sie glatt übersehen.

Bestellen wir also unseren Garten. Der meine ist, wie Karl Valentin gesagt hat, nicht groß, aber hoch. Gut, hoch ist jeder Garten, wenn er aber auch sehr groß ist, kommt man nicht zum In-die-Luft-Schauen. Ich mache also zwanzig Schritte nach Südwesten, dann zweiundzwanzig nach rechts, dann wieder zwanzig nach Nordosten, und in weniger als einer Minute konnte mein ganzes Latifundium mit dem steinernen Wasserbecken in der Mitte umschritten sein. Ist es aber nicht, weil es eine Menge zu sehen gibt, zum Beispiel die bunten Fische mit ihren schwarzen Jungen. Man muß zupfen, abknipsen, hochbinden, rausreißen, ins Haus rennen und das Pflanzenbestimmungsbuch suchen, die blühende Glyzinie bewundern, die mir, ihrer Besitzerin, allerdings ihr kahles Untergestell zeigt, während der erste Stock gratis in einer Blüten- und Duftwolke sitzt.

So werden aus winzigen Dimensionen unendliche, jeden Tag andere. Das wird es sein, was Valentin mit »hoch« meint. Und was es zu kultivieren gilt. Bestellen, wie die meisten Übersetzungen sagen, scheint mir in dem Zusammenhang doch arg bäurisch zu klingen. Hört sich nach Maisfeld und Milchquote an.

Die ersten Gärten, die ich als Kind kennenlernte, mußten nützlich und nahrungsspendend sein, auch die sehr kleinen. Blumen spielten kaum eine Rolle, was zur Folge hatte, daß die wenigen, die neben Gemüse, Kartoffeln und den unvermeidlichen Stachelbeeren geduldet wurden, wie verrückt gediehen. Noch heute kann man die Nachkommen jener Bauernblumen in Bayern bewundern, riesenwüchsige Herbstastern, unbezähmbare Massen von Ringelblumen und Wicken, Dahlien wie Löwenköpfe. Sie lehren uns, daß nicht unbedingt Sorgfalt und Liebe zu gärtnerischen Erfolgen führen. Desinteresse und Grobheit, das wird einen lebenslang erbittern, läßt sogar zickige Pflanzen erstaunlich üppig gedeihen. Es ist empörend, wie so oft in der Liebe: Man reißt sich ein Bein aus, aber das geliebte Objekt schmeißt sich einem gleichgültigen Niemand an den Hals.

Rittersporn: ein Synonym für vergebliches Werben. In struppigen Bauerngärten habe ich Mengen davon gesehen, meterlange Blütenfackeln in allen Blautönen von fast Weiß bis fast Schwarz, in Wolken von Bienen und Schmetterlingen gehüllt. Der Boden – nicht geharkt, weder gedüngt noch gemulcht, noch gegossen – war bedeckt von Blüten, ein verschwenderischer blauer Teppich, Rittersporn wirkt noch im Vergehen triumphierend. Jedenfalls da, wo er sein möchte. Wo er nicht sein möchte, kommt er gar nicht erst aus der Erde. In meinem Garten schlafen Generationen von Rittersporn entweder unerweckt im Boden, oder sie sind in den Mägen von Wühlmäusen und Schnecken gelandet. Ich glaube an die erste Möglichkeit und versäume in keinem Frühjahr, an all den Stellen, wo ich ihm ein Heim hatte bereiten wollen, nach Blättchen zu suchen. Es sind nie welche da, wohl aber die Hoffnung, dieses unausrottbare Gartengewächs. Die kennt jeder aus dem eigenen Garten. Ob Rittersporn, Seidenmohn oder eine Malmaison-Rose: Eines Tages werden sie für uns wachsen. Ganz freiwillig. Auch wenn wir bisher nicht einmal einen ordentlichen Kopf Salat großziehen konnten.

Verrückte Hoffnung: Um sie zu züchten, braucht man unbedingt einen Garten. Eine Fensterbank. Irgendeine Ecke mit Erde drin, sie braucht wenig, um sich festzukrallen.

Von der Fensterbank aus versorgte Anna K., meine sudetendeutsche Großmutter, ihre vielköpfige Familie mit Tomaten, Kohlrabi und Schnittlauch. Im Wohnzimmer herrschte deshalb eine grüne Dämmerung, was niemanden störte, denn es wurde nur an hohen Feiertagen genutzt. Danach kam das Wirtschaftswunder, möglicherweise hat es mit einem Garten auf der Fensterbank begonnen.

In meinem Garten steht ein Stachelbeerbäumchen. Als Reminiszenz. Eigentlich esse ich sie nicht besonders gern, ein Garten aber, aus dem gar nichts Eßbares kommt, scheint mir irgendwie leichtfertig. Seit drei Jahren kriegt der Baum im Frühjahr eine Menge Beeren, die fallen dann eine nach der anderen ab, bis auf drei oder vier, die zu einmaliger Größe und Köstlichkeit heranwachsen. Ich esse die Ernte ganz allein, langsam und bewußt.

Eßbares aus dem Garten unterliegt Moden, man kann heutzutage mit thailändischen Spaghettibohnen oder rotem bosniakischen Rucola gesellschaftlich punkten. Auch tauchen bei Leuten, von denen man das nie gedacht hätte, plötzlich Gänseblümchenblüten und Kapuzinerkresse auf der Vorspeise auf, was hübsch aussieht und für kulinarische Fortschrittlichkeit spricht. Selbstgezogenen Lauch oder eigene Karotten als glamourös zu preisen käme niemandem in den Sinn. Dabei ist beides schwieriger als Gänseblümchen.

Rechts vorne in meinem Garten stehen Töpfe mit Kräutern, ein Weg, Nützlichkeit und mediterrane Leichtigkeit vorzutäuschen. Und das ist unser Kräutereckchen, dieser Satz fehlt bei keiner Gartenbesichtigung, auch wenn man die Hausherrin verdächtigt, daß sie vor kurzem noch mit Pampasgras angegeben hat. Jetzt müssen es sechs Sorten Salbei sein, verschiedenfarbig. Die eine riecht absolut köstlich nach Blutwurst. Wir fragen zähneknirschend nach der Bezugsquelle, nur um den erwarteten Satz »Ich mache Ihnen gern einen Ableger« zu kassieren.

Ableger können Liebesbeweis oder Demütigung bedeuten, Hochnäsigkeit oder Dankbarkeit und manchmal schiere Verzweiflung, gepaart mit ein wenig Schadenfreude. Wenn man nämlich einer terroristisch gesonnenen Pflanze nicht mehr Herr wird und den Eroberer als Ableger in andere Gärten einschleust, auf daß die in Kürze genauso kolonisiert werden.

Sogar im Kräutereck wohnen Terroristen. Sauerampfer zum Beispiel oder Liebstöckel. Auch die wohlriechende und gesunde Zitronenmelisse hat die Neigung, sich ganzer Gärten zu bemächtigen. Nachdem man sich wie im Blutrausch reißend und rupfend gegen sie gewehrt hat, riecht man noch lange ganz wunderbar, was einem wiederum ein schlechtes Gewissen verursacht. Sie nimmt es einem aber nicht übel und taucht im nächsten Jahr an den gleichen und noch einem Dutzend neuen Stellen wieder auf. Auch die Pimpinelle, die ihren Auftritt hauptsächlich in der Grünen Soße hat, neigt zu Platzwechsel und Riesenwuchs. Sie blüht ganz hübsch, man kann sie also anstelle von Gänseblümchen über die Hors d’œuvres streuen.

Das waren ein paar von den Wichtigtuern in der Kräuterabteilung, vor denen gewarnt werden muß. Es sei denn, man liebt Übertreiber, das gibt’s ja.

Die Scheuen dagegen scheinen sich vor dem erntenden Messer oder der Schere förmlich zu verkriechen. Basilikum friert leicht, Schnittlauch kriegt mit der Zeit dünne Halme, Salbei holzige Stengel. Petersilie kann sich nicht entscheiden, ob sie viel oder wenig Wasser will, Kerbel neigt zur Gelbsucht. Borretsch mit diesen unwahrscheinlich blauen Blüten und den kratzigen Blättern ist bei einigen Gärtnern ungestüm wüchsig, bei mir ziert er sich. Und lädt haufenweise Läuse in allen Farben ein, bei ihm zu speisen. Dill? Den sollte man ins Rosenbeet pflanzen, das macht sich wunderbar, viel feiner und verrückter als Schleierkraut. Rosen mit Schleierkraut dazwischen sehen leicht aus wie Muttertagsfleurop. In meinem Rosenbeet hat er nicht wachsen wollen, dafür der Giersch, den kann man auch essen. Das ist aber auch schon das einzig Positive, was man über Giersch sagen kann.

Welche Kräuter fehlen noch? Kresse, die kann man auf Löschpapier oder Kosmetikwatte ziehen. Die als Vorspeisendekoration schon erwähnte Kapuzinerkresse, eine der allerhübschesten Schlampen unter den Blumen, ist anders. Vielleicht hat sie mal gehört, daß ich sie so nenne. Jedenfalls wächst sie – andernorts das bare, prachtvolle Unkraut – bei mir nicht, nirgendwo. Nicht am trockenen Beetrand, nicht im Topf, weder Sonne noch Schatten vermögen sie hervorzulocken. Manchmal taucht eine meterlange, traurige Ranke mit einer einzigen fahlen Blüte auf. Die macht sie, um mir zu zeigen: Ich habe gekeimt. Ich habe aber keine Lust, bei Ihnen zu wachsen.

Von der Kräuterkolonie aus geht es in wenigen Schritten in ein Antike simulierendes Eck mit Steintisch und Steinbänken. Beides hatte ich vor wenigen Jahren in einem Katalog als Sonderangebot entdeckt, mir ein Herz gefaßt, gekauft, aufstellen lassen (was für eine Prozedur sich hinter diesen wenigen Worten verbirgt, tut hier nichts zur Sache) – und dann Wind, Wetter und der Energie des Alterns vertraut. Damit hat man ja Erfahrung und wird auch von Steinernem nicht enttäuscht. Moos hat sich angesiedelt, vielfarbige Flechten, geheimnisvolle Kalkstrukturen und Narben sind dazugekommen, die kleinen Löwen am Tischfuß schauen wie hundertjährige drein – kurz: In meinem bescheidenen Stadtgarten ist in wenigen Jahren ein Stück altes Rom entstanden, nicht echter als in einer Pizzeria, aber viel glaubwürdiger. Nun war kein Halten mehr, und anstatt wie sonst an den Replikenlagern am Straßenrand voll Abscheu vorbeizufahren – Der Dornauszieher in allen Größen! Mehr Säulen als auf der Akropolis, wetterfestes Material! –, bin ich hineingegangen.

Früher habe ich alles Kopierte, jede Art von Nachgemachtem verachtet. Echt alt oder gar nicht. Plötzlich, nach dem Versuch mit Tisch und Bänken, traute ich meinem Garten zu, alles in ein Original verwandeln zu können. Es genügt ein hübscher Platz, etwas Moos, eine Kletterrose. Und dann muß nur ein wenig Zeit vergehen. Der Garten nutzt seine Jahreszeiten, und irgendwann hat er uns ganz unmerklich ein Original geschenkt. Kitsch? Ein Löwenbrünnchen macht noch keine Villa d’Este, das wissen wir. Die wollen wir ja auch nicht. Nur einen Hauch davon, eine Erinnerung – ein Stückchen Anmaßung und ein handtuchgroßes Fürstentum.

Mein Steintisch steht auf einem gepflasterten Platz, wenigstens die Pflasterziegel sind alt. Aus ihren Ritzen (ausgerechnet da – wenn ich sie an eine in meinen Augen geeignete Stelle gepflanzt hätte, wäre ich von ihr ausgelacht worden) wächst eine pfirsichblättrige Glockenblume. In den ersten Jahren ist sie mit dem Kopf unter der Tischplatte angestoßen und mußte sich krumm machen. Jetzt hat sie ihre Wuchshöhe angepaßt und ebenso kurze Kinder in anderen Ritzen angesiedelt, zartlila, weiß und einzigartig schön.

Sie können ganz unterschiedlich aussehen, die Gartenfürstentümer, Disneyland oder Kyoto, Western Ranch oder Provence: Es steht einem nicht zu, sich über die Requisiten zu amüsieren, die andere Gartenbesitzer glücklich machen. Oder über deren Besessenheiten.

Ich traf eine Frau, die ich fast zehn Jahre nicht gesehen hatte. Sie beantwortete meine Frage, wie es ihr gehe, mit den Worten: Mein Bambus blüht! Das war nach so langer Zeit die wichtigste Mitteilung: Sie würde aus ihrem verbissen asiatischen Fürstentum alle Bambusse mitsamt den Mordswurzeln rausschmeißen müssen. Wenn der Bambus nämlich blüht, stirbt er. Man sollte sich überlegen, ob man sich so was antun will.

Ich habe mich in meiner römisch verkleideten Gartenecke schon ziemlich lang aufgehalten, wobei ich die Töpfe mit Zitrone, Olive, Myrte, Akelei und allerlei anderen Bewohnern noch gar nicht erwähnt habe. Aktuell sind es sechsundzwanzig mit der Tendenz, mehr zu werden. Geschenke, Frust- und Mitleidskäufe, manchmal Begeisterung mit einem völligen Mangel an Sachkenntnis gepaart – oder auch Sturheit. Zitruspflanzen wollen nicht bei mir? Sie müssen! All das führt zur Explosion der Töpfezahl. Im Herbst werden wir uns dann verfluchen, aber noch ist der Herbst weit weg.

Jeder Garten hat eine dunkle Seite, schattig, trocken – weil hohe Bäume alles Wasser wegtrinken – oder wegen einer häßlichen Aussicht ungeliebt. Meistens gibt es da auch schreckliche Bewohner, wilde Brombeeren, die sich mit allen Mitteln gegen das Ausreißen wehren und durch die dicksten Handschuhe blutige Wunden schlagen, oder tausend zähe Buchenschößlinge, die einem bei ihrer Vernichtung das widerwärtige Gefühl geben, soeben einem schönen Baum die Zukunft genommen zu haben. Baumschößlinge rauszureißen ist notwendig – schließlich fehlt für einen Wald der Platz –, aber unangenehm. Wie reizend sieht es aus, wenn die vom Eichhörnchen vergrabene Walnuß sich teilt und einen grünen Sproß entläßt. Das Entzücken verblaßt, wenn in Blumentöpfen, unter Bäumen, auf der Wiese und überhaupt an allen erdenklichen Stellen des Gartens geteilte Walnüsse auftauchen, ein Versprechen für künftige Walnußhaine – ab in den Kompost. Da wachsen sie dann munter weiter, bis man sich erbarmt und sie in einen Kübel setzt, in dem sie dann prompt eingehen.

Allerdings kann man das eine oder andere aus einem richtigen Wald anzusiedeln versuchen, und wenn man Glück hat, wird aus der Schmuddelecke eine geheimnisvolle, jedes Jahr von neuem überraschende Freude. Zum Beispiel Buschwindröschen, Waldveilchen, Nieswurz oder Maiglöckchen. Die verwildern schön, mögen düstere Gegenden und wollen nur in Ruhe gelassen werden. Der eine oder andere Farn, auch Funkien – aber nicht die mit den bräsigen Blättern, die wie übergroßer Salat aussehen –, sie werden sich alle jedes Jahr anders verteilen, und manchmal kackt ein Vögelchen Walderdbeersamen hin: Dann hat man auch wieder was Eßbares.

Er hat mich mehr als einmal gerettet, der Garten: die Dinge zurechtgerückt, mich zum Lachen gebracht, wenn mir zum Heulen war. Er bereitet mir Niederlagen, aber er tröstet mich, wenn die Welt mir welche bereitet. Er erlaubt das Kindischsein und verschenkt, wenn etwas sehr weh tut, ein unerwartetes Blümchen. Er zwingt einen zur Verantwortung und treibt einem sinnloses Grübeln aus: Wichtig ist jetzt nicht die globale Erwärmung, sagt er, sondern: Giesen. Mich. Jetzt.

In harten Krisen ist er unschätzbar, egal, wie groß er ist. Es geht, wie gesagt, um seine Höhe. Ich weiß, wovon ich rede.

Dennoch müssen wir ihn manchmal verlassen, wir wollen ja kein Leberecht Hühnchen sein, jene etwas ärmliche Figur von Heinrich Seidel, die mit einer einzigen Nuß Festmähler feierte und nie über den Zaun geschaut hat.

Goethe hat schon recht: Bringet mich wieder nach Hause! was hat ein Gärtner zu reisen? Der Garten nimmt Abwesenheiten übel und liebt den Gärtner am meisten, der nie wegfährt. Aber er verzeiht auch schnell, vor allem, wenn man ihm was mitbringt, da ist er wie ein Kind. Das eine Mitbringsel liebt er wie verrückt und kann sich gar nicht trennen, das nächste macht er sofort kaputt.

Vita Sackville-Wests Kulturbeutel, in dem sie für ihren heimischen Garten in aller Welt Pflanzengeschenke sammelte – man kann auch sagen: klaute –, sei uns Verpflichtung. Wo immer du auf der Welt sein magst, im Orient oder Okzident: Denk an deinen Garten. An sein bescheidenes Wassertümpelchen, wenn dich toskanische Fontänen umrauschen, an seine paar Meter Buchsumrandungen und die fünf Kugeln, wenn du die buchsernen Riesenfabeltiere asiatischer Parks bewunderst.

Denk an deinen Garten. Und bring ihm unbedingt etwas mit!

Hermann Hesse

WIE EIN MÄRCHEN AUS DER KINDHEIT

Wie schön war die nächtliche Gartenwildnis drüben! Wie konnte man sich in so etwas so schnell verlieben, genau so wie in eine Frau! Ich war in den Garten verliebt, ich wünschte ihn mir, sehnte mich in ihn hinüber. Wie lang hatte ich keinen Garten mehr gehabt! Wie lang hatte ich in Eisenbahnwagen und Hotelzimmern gelebt!

Es war noch früh, vielleicht neun Uhr, aber das Städtchen schien schon zu schlafen. Ich mochte nicht länger so stehen, ich lief weg, die Treppe hinab und aus dem Hause, über einen kleinen Platz, wo ein Brunnen floß, durch eine Gasse, durch andere Gassen, alle still und tot, und nun hatte ich in die Gasse gefunden, auf die ich vorher hinunter wollte, wo der Garten lag. Vielleicht hatte die Mauer ein Tor, ich wollte suchen.