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Die heilende Kraft des Johanniskrauts

Inhaltsstoffe, Wirkung, Anwendung

Ingrid Pfendtner

Impressum

E-Book-Ausgabe 2015

© 2015 Open Publishing Rights GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Covergestaltung: Talos Media Services, Hamburg

Titelbild: http://pixabay.com/de/bl%C3%BCte-johanniskraut-374512/

ISBN 978-3-95912-016-6

Vorwort

Die große Heilkundlerin und Mystikerin des Mittelalters – Hildegard von Bingen (1098 - 1179) – schrieb in der Physika, dem naturwissenschaftlich-medizinischen Teil ihres Lebenswerkes, über das Johanniskraut: „Die Pflanze ist kalt und ein gutes Viehfutter, zu Arzneien ist sie nicht zu gebrauchen.“ Doch hier irrte die Äbtissin. Seit der Antike ist das Johanniskraut bekannt für seine Heilwirkung und hochgeschätzt. Hypericum perforatum – so der wissenschaftliche Name – ist nicht nur eine der schönsten Pflanzen unserer heimischen Flora, sondern sie taugt sehr wohl zur Heilung vielfältiger Beschwerden. Griechische und römische Autoren beschrieben Anwendungen und huldigten dem Kraut.

Im Mittelalter herrschte Aberglaube vor, Legenden rankten um das Kraut, das gar vor dem Zorn des Teufels schützen sollte. Paracelsus schwärmte: „Seine Tugend kann gar nicht beschreiben werden, wie groß ist eigentlich ist und gemacht werden kann.“ Ein Teil der unzähligen Mythen und Legenden spiegelt sich wieder in den volkstümlichen Namen: Blutkraut, Hexenkraut, Teufelsflucht, Christi Kreuzblut und viele andere mehr.

In unserem Jahrhundert wurde Johanniskraut in die offiziellen Arzneibücher aufgenommen. Die moderne Arzneipflanzenforschung konnte die Heilwirkungen des Krauts bestätigten und Ärzte, Therapeuten und Pharmazeuten erkannten die Heilwirkung an.

Heute steht mehr die Wirkung auf unsere Seele im Vordergrund. Mediziner und Forscher wissen: Johanniskraut hellt die Stimmung auf. Seither erlebt die Pflanze eine regelrechte Renaissance – bei Kräuterheilkundlern, Ärzten und Laien gleichermaßen. Johanniskraut ist die wichtigste Pflanze für das Nervensystem. Es wirkt als Stimmungsaufheller ohne daß es eine Abhängigkeit hervorruft. Ideal ist Johanniskraut für Menschen, die zu Depressionen neigen. Aber auch die Winterdepression, Wechseljahresbeschwerden und Konzentrationsschwierigkeiten lassen sich mit Johanniskraut mildern.

Zahlreiche einst volksmedizinische Anwendungen gerieten in Vergessenheit. Doch immer noch nutzen Pharmazeuten das ganze Kraut zur inneren Anwendung als Tee, Tinktur, Frischsaft oder Kapseln und die frischen Johanniskrautblüten für Rotöl und Rotölkapseln. Lernen Sie die vielfältigen Heilwirkungen des Johanniskrauts kennen und schätzen.

Botanik

Johanniskraut ist unverwechselbar. Wer einmal diese ansehnliche Pflanze mit ihren kräftig gelb strahlenden Blütensternen mit offenen Augen betrachtet hat, der erkennt sie immer und überall wieder.

Das Sonnenrad

Im Frühjahr treibt die Staude ein großes Büschel aufrecht stehender Stengel. Jeder von ihnen wächst 40 bis 50 Zentimeter in die Höhe, manche erreichen gar einen Meter. Im oberen Drittel verzweigen und verästeln sich die Stengel so reichlich, daß eine einzelne Pflanze einen beachtlichen Umfang einnimmt. Johanniskraut geht stark in die Breite.

Zur Zeit der Sommersonnenwende – dem 24. Juni oder dem Johannistag – beginnt der Strauch zu blühen und strahlt und leuchtet den ganzen Sommer hindurch. Ende August, je nach Standort auch erst spät im September endet die Blütenzeit und die letzten Samenkapseln reifen heran. Das Johanniskraut überdauert den Winter mit einem weitverzweigten Wurzelstock.

Die Blüte ähnelt einem Sonnenrad – ringsum fünf goldgelbe Kronenblätter, in der Mitte ragen 50 bis 60 gelbe Staubblätter heraus. Der Strauch ist geradezu übersät mit den vielen Blüten. Die alten Germanen sahen in der Johanniskraut-Blüte ein Abbild der Sonne. Bei der Christianisierung wurde der Tag der Sonnenwende Johannes dem Täufer geweiht, das einstige Sonnenwendkraut wurde zum Johanniskraut.

Die Blüte gab Anlaß zu allerlei Legenden. Zerreiben Sie mal eine Blüte oder eine Knospe zwischen Ihren Fingern. Sie verfärbt sich dunkelrot – wie Blut. Tatsächlich tritt beim Zerdrücken der frischen, gelben Blütenblätter ein rubinroter Farbstoff aus. Er enthält das medizinisch wirksame Hypericin. Die Pflanze speichert den Farbstoff in den schwarzroten Drüsenschuppen, die Sie als Pünktchen auf den Blütenblättern erkennen können. Unsere Vorfahren sahen in der roten Farbe ein Blutzeichen. Doch davon erfahren Sie später mehr. Die Blüten stehen in rispenähnlichen Blütenständen, Botaniker sprechen auch von einer Trugdolde.

Auch die Blätter bieten der Phantasie Nahrung. Sie sind gegenständig, eineinhalb bis drei Zentimeter lang, länglich oval und sitzen praktisch direkt am Stengel. Das auffälligste Merkmal aber ist: Die Blätter erscheinen durchlöchert. Wenn Sie ein Blatt gegen das Licht halten, sehen Sie zahlreiche helle Punkte. Dabei handelt es sich keineswegs um Löcher, sondern Sie sehen die durchsichtigen Sekretbehälter. In diesen Behältern speichert das Johanniskraut seine ätherischen Öle. Der Volksmund erzählte einst, der Teufel selbst habe die Blätter mit Nadelstichen durchbohrt, ergrimmt über die große Heilkraft des Krautes.

Neben der Blüte und den perforierten Blättern weist das Johanniskraut noch ein drittes, ganz charakteristisches Merkmal auf: Nämlich seinen Stengel. Der Stengel hat zwei Kanten und sieht aus wie zusammengedrückt. Ein zweikantiger Stengel ist etwas ganz Besonderes in der Pflanzenwelt. Die Kräuter besitzen meist runde oder vierkantige Stengel, sehr selten jedoch findet man einen Stengel mit zwei Längsleisten.

Stengel, Blätter und Blüten sind so charakteristische Merkmale, das jeder das Heilkraut – Hypericum perforatum – einfach und sicher von allen anderen verwandten und ähnlich aussehenden Arten unterscheiden kann.

Ein bescheidener Weltbürger

Johanniskraut liebt die Sonne. Es besiedelt lichte Stellen in Wäldern, gedeiht an Wald- und Wegrändern, entlang der Bahngleise, auf brachliegenden Äckern sowie in Heidegebieten, auf Wiesen und auf Grasplätzen. Johanniskraut wächst überall, wo die Sonne hinkommt, im Tal ebenso wie im Gebirge. Es stellt recht bescheidene Ansprüche an den Boden: trocken sollte er sein, nährstoffarm und tiefgründig.

Seine ursprüngliche Heimat ist Europa, Nordafrika und Westasien. Im Norden dringt es vor bis nach Mittel-Skandinavien und im Osten bis zum Altai-Gebirge. Mit der Eroberung Amerikas und Australiens schleppten die Pioniere, Eroberer und ersten Siedler das beliebte Kraut in die neue Welt ein. Heute ist Johanniskraut ein wahrer Kosmopolit.

Es gibt zahlreiche Spielarten des Krauts, sowohl im Aussehen als auch in seinen ökologischen Anforderungen. Die Botaniker und Systematiker unterscheiden 378 Arten der Gattung Hypericum – Johanniskraut. Es ist eine sehr artenreiche und vielgestaltige Pflanzengruppe. Nahe miteinander verwandte Arten gedeihen nebeneinander und können sich auch miteinander kreuzen.

Johanniskraut und seine Namen

Um das Johanniskraut ranken sich unzählige Geschichten und Legenden. Die meisten spiegeln sich in irgendwelchen volkstümlichen Namen wieder. Hier eine kleine Auswahl.

Hartheu: Die festen, derben Stengel des Johanniskrauts geben ein hartes Heu. Hartheu macht allerdings auch den Stuhl hart, es stopft und hilft bei Durchfall. Ein Kräuterbuch aus dem 16. Jahrhundert beschreibt die Wirkung so: „Der Samen gesotten und getruncken stopfft den Bauchfluß … Das Wasser mit rotem Wein getrunken macht alle überflüssige Stuhlgäng verstehen“.