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Nr. 2816

 

Die galaktischen Architekten

 

Perry Rhodan trifft die Erbauer der Purpur-Teufe – sie sind die letzte Rettung

 

Oliver Fröhlich

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Menschen haben Teile der Milchstraße besiedelt, Tausende Welten zählen sich zur Liga Freier Terraner. Man treibt Handel mit anderen Völkern der Milchstraße, es herrscht weitestgehend Frieden zwischen den Sternen.

Doch wirklich frei sind die Menschen nicht. Die Galaxis steht unter der Herrschaft des Atopischen Tribunals. Die Atopischen Richter behaupten, nur sie und ihre militärische Macht könnten den Frieden in der Milchstraße sichern.

Wollen Perry Rhodan und seine Gefährten gegen diese Macht vorgehen, müssen sie herausfinden, woher die Richter überhaupt kommen. Ihr Ursprung liegt in den Jenzeitigen Landen, in einer Region des Universums, über die bislang niemand etwas weiß.

Auf dem Weg dorthin kommt es zu einem Unfall, der Perry Rhodan in die Vergangenheit der Milchstraße verschlägt, mehr als 20 Millionen Jahre vor seiner Geburt. Der »Kodex von Phariske-Erigon« steht im verzweifelten Abwehrkampf gegen die kriegerischen Tiuphoren. Einzelne Welten können vor der Vernichtung nur gerettet werden durch DIE GALAKTISCHEN ARCHITEKTEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Unsterbliche glaubt, zum Beobachten verurteilt zu sein.

Gucky – Der Mausbiber hat eine eigene Meinung.

Farye Sepheroa – Sie unternimmt einen Ausflug mit ihrem Großvater.

Poxvorr Karrok – Der Tiuphore geht einem besonderen Auftrag nach.

Pruqul – Ein Ziquama muss sich der Vergangenheit stellen.

»Wenn in ferner Zukunft die Erschaffer des Universums auf ihr Werk herabblicken, wie sollen sie erahnen, dass ihre Schöpfung Bewusstsein hervorgebracht hat?«

(aus Borquonts »Grundlagen und Rechtfertigung der Sternenarchitektur«)

 

 

Vorspiel: Facetten der Finsternis

 

Ich erwache mit der vagen Hoffnung, den Traum hinter mir zu lassen. Aber nur einen Moment später verkümmert sie und macht der Verzweiflung Platz.

Der Schlaf ist vergangen, doch der Albtraum dauert an.

In meinem Universum existieren nur die Dunkelheit, der Schmerz und ich. Sie hüllen mich ein, sie füllen mich aus.

Wo bin ich? Wer bin ich?

Ich will mich umsehen, doch ich bin blind. Ich möchte lauschen, aber ich bin taub. Ich versuche, mich zu bewegen, doch meine Glieder gehorchen mir nicht.

Nichts hat sich geändert, seit ich zum letzten Mal erwacht bin.

Ein Gedanke kämpft sich durch die Schmerzen in mein Bewusstsein, so beängstigend, dass ich ihn nicht wahrhaben will: Habe ich überhaupt noch einen Körper?

Wie soll ich diese Frage mit Sicherheit beantworten, wenn ich doch nichts höre, wenn ich nichts sehe außer der Dunkelheit und nichts fühle außer dem Schmerz und der Verzweiflung?

Bin ich tot? Ist mein Leib vergangen, und nur mein Geist hat überlebt, gefangen in ... in ...

Ja, wo?

Ich fühle, dass die Antwort in greifbarer Nähe liegt. Dort, inmitten der Verzweiflung, verborgen hinter einem Schleier aus Angst. Der Angst vor der Wahrheit.

Ein Wort taumelt durch mein Bewusstsein. Eine trübe Erinnerung an ein Leben vor der Finsternis.

Das Wort heißt Tiuphore.

Es klingt vertraut und besitzt doch keinerlei Bedeutung.

Tiuphore.

Tiuphore.

Ich klammere mich an dem Begriff fest, erkläre ihn zum Zentrum meines Universums. Ich will ihn schmecken, hören, sehen, möchte ihn begreifen. Ich will mich erinnern: an das, was vorher war, an eine Zeit jenseits der Dunkelheit.

Die Gedanken erlahmen. Es strengt an, pausenlos Schmerzen zu empfinden. Stattdessen kehrt die Verzweiflung zurück, von der mir erst jetzt bewusst wird, dass sie für einige Momente verschwunden war.

Zum wiederholten Male wird mir klar, was vor mir liegt: eine immerwährende Existenz, deren einziger Sinn die Qual ist. Ohne Ausweg, ohne Aussicht auf Erleichterung.

Endlich werde ich müde. Mein Geist flieht vor den Schmerzen in den Schlaf, und ich hoffe, nie wieder erwachen zu müssen.

1.

Facetten der Ästhetik

 

Kommandant Pruqul verabscheute die Tiuphoren und bewunderte sie zugleich. Ein irritierender Widerstreit.

»Sie sind unsere Feinde«, erklang eine Stimme hinter ihm. Er erkannte die Streichlaute der Fühlfinger sofort, weil er ihre trügerische Sanftheit unter Tausenden herausgehört hätte. Weil er sie hasste. Genau wie den Sprecher: Faraqadd.

»Wie könnte ich das je vergessen?«, fragte Pruqul. In Gedanken fügte er hinzu: nach allem, was sie Miquilla angetan haben.

Die meisten seiner Augen hielt der Kommandant weiterhin auf das Holomosaik in der Zentrale der QUAMQUOZ gerichtet, das langsam um die Hauptwassersäule rotierte. Gleichzeitig sah er mit einigen wenigen nach hinten.

Faraqadd stand an der Schmiegewabe neben dem Schott, den Oberkörper vollständig aufgerichtet und gegen die feuchte Wand gepresst, damit ihm kein Tropfen der herabperlenden Nährflüssigkeit entging. Die Worte hatten seine Fühlfinger mit einem düsteren Vibrato verlassen. Es zeigte Pruqul nur zu deutlich, dass er mit seiner Meinung über die Tiuphoren allein war. Zumindest, was den zweiten Teil betraf. Den mit der Bewunderung.

Warum hatte die kosmische Fügung Pruqul ausgerechnet in ein System geführt, in dem Faraqadd das Oberkommando innehatte? Zufall? Oder gezielt vom Kreativen Beschlussrat so gesteuert? Und falls das zutraf, musste er den Einsatz als Chance zur Bewährung ansehen – oder als Strafe?

Er wusste es nicht. Er hatte nicht gewagt, danach zu fragen, und Faraqadd hatte sich nicht dazu herabgelassen, mit ihm darüber zu sprechen.

Pruqul scheuchte den Körperhygieneroboter zur Seite, der seinen unteren Doppelleib von abgestorbenen Zellen befreite und Abfallstoffe von der Haut wischte. Schließlich legte er zwei Finger aneinander, setzte zu einer weiteren Erwiderung an, entspannte die Glieder jedoch, ohne sie übereinander zu reiben und die Streichstimme erklingen zu lassen. Er hielt es nicht für notwendig, sich Faraqadd zu erklären. Er wusste selbst gut genug, dass die Tiuphoren ihre Feinde waren. Nein, mehr als das: Sie waren gleichzusetzen mit dem Untergang des Kodex und jedes einzelnen Lebewesens, das sich bisher in dessen Schutz gewähnt hatte. Sofern niemand sie aufhielt.

Falls Pruqul sie bewunderte, dann nicht für das, was sie taten, sondern dafür, wie sie zu Werke gingen. Ihre Eleganz, die tänzerische Leichtigkeit, die Ästhetik entsprächen allem, wofür auch die Ziquama standen, wenn ... ja, wenn die Tiuphoren ihre Fähigkeiten nicht in den Dienst des Mordens und Zerstörens stellen würden.

Darum konnte er niemals vergessen, dass die Tiuphoren ihre Feinde waren. Gerade Faraqadd sollte das besser wissen als jeder andere Ziquama. Denn schließlich trug er die Schuld, dass Miquilla ... dass sie ...

Bevor die Erinnerungen Pruqul überrollen konnten und er sich zu einer unbedachten Bemerkung hinreißen ließ, widmete er seine Aufmerksamkeit wieder dem Holomosaik.

Das Wasserrauschen und Plätschern der Behaglichkeitssäule inmitten des rotierenden Mosaiks besänftigte ihn ein wenig. Das war auch dringend nötig, denn die Bilder aus dem Orbit von Sheheena ließen Pruquls Innendruck beängstigend ansteigen. Die Stränge seines vorderen Doppelleibs schwollen beinahe auf die Dicke des Hinterleibs an. Er fühlte sich, als müsste er jeden Augenblick platzen.

Sofort schwebte eine Entsorgereinheit herbei. Kanülen zuckten aus dem Kugelkörper und wollten sich in Pruquls Druckmembran bohren, um die überschüssige Flüssigkeit abzusaugen, die er nicht über die Poren ausschied.

Pruqul verscheuchte auch ihn. Keinesfalls sollte Faraqadd auf den Gedanken kommen, er sei der ersten Aufgabe nach dem Desaster von Kejaana nicht gewachsen.

Er konzentrierte sich auf das Holomosaik.

Zwei gezackte Module schwebten im Orbit von Sheheena aufeinander zu. Langsam, bedächtig. Gerne hätte Pruqul der Konstruktionspositronik befohlen, die Geschwindigkeit zu erhöhen, aber das fiel nicht in seinen Zuständigkeitsbereich. Ach was, um ehrlich zu sein, würde die Positronik auf seine Anweisung überhaupt nicht reagieren. Aber wie sollten sie die Purpur-Teufe vor dem Angriff der Tiuphoren fertigstellen, wenn jeder einzelne Schritt so unerträglich lange dauerte?

Erneut stieg sein Körperinnendruck an. Die Entsorgereinheit blieb ihm diesmal jedoch glücklicherweise fern.

Ein Lichtblitz im Holomosaik: Die Zackenteile verschmolzen miteinander. Lange silberne Stränge schmiegten sich um das Konstrukt, glitzerten und funkelten, vereinten sich mit den bisherigen Teilen zu einer rotierenden Kugelstruktur.

Der nächste Bauschritt von vielen noch fehlenden war geschafft.

Was für eine Mühsal.

Was für ein Irrsinn, der sein Leben und das der gesamten Besatzung gefährdete.

Wenigstens befanden sich schon zehn der Außenanlagen auf Sheheenas Oberfläche, wenngleich das deutlich größere Innere weiterhin bestückt werden musste. Weltenpräparator Zolquort und seine Leute übernahmen die Endkoordination und Integrationsprüfung.

Mindestens sechs dieser Purpur-Bojen waren für die Primärfunktion der Purpur-Teufe erforderlich. Optimal wären insgesamt vierzehn gewesen – ein leider absolut nicht mehr zu erreichendes Ziel.

Auf einem Holo des Mosaiks, das die Verteidigungslinien am Rand des Mitraiasystems zeigte, erschien ein walzenförmiges Schiff. Fünf Kilometer lang mit einem Durchmesser von einem Kilometer. Ein Kranz umgab es im vorderen Drittel, von dem sich gebogene Raumschiffe lösten. Ein Sterngewerk der Tiuphoren, das sein Geschwader der Sternspringer entließ ...

Pruqul presste die Leiber zusammen. Ein leises Knistern ertönte. Belastungssekret trat ihm aus den Poren. Diesmal verscheuchte er den Körperhygieneroboter nicht.

Der Feind war eingetroffen: Die Schlacht begann.

Kugelschiffe der Rayonen und Zahnradblütenraumer der Lainlién feuerten auf das Sterngewerk und die Sternspringer, ohne nennenswerten Schaden anzurichten. Die Bumerangraumer warfen sich den Verteidigern entgegen, schossen, vollführten überraschende Richtungswechsel, feuerten erneut. In gespenstischer Lautlosigkeit explodierte ein Rayonenschiff, dann ein zweites.

Innerhalb von Sekunden beherrschten Chaos, Zerstörung und Tod das Bild.

Endlich rotierte das Holomosaik weiter um die Wassersäule, entfernte die Schlacht aus Pruquls Sichtbereich und zeigte ihm stattdessen die lähmend langsamen Bauarbeiten an der Purpur-Teufe.

Was für ein Gegensatz.

Pruqul strich über die Holosteuerung und beendete so die Rotation des Mosaiks. Er wollte nichts mehr sehen von dem Schrecken, den die Tiuphoren ins Mitraiasystem trugen. Nichts von dem, was unweigerlich auch auf die QUAMQUOZ zukam.

Er begriff, dass der Kreative Beschlussrat ihn tatsächlich gezielt in diesem Sonnensystem eingesetzt haben musste. Die Räte wollten sehen, ob er aus seinem Versagen – aus seiner Befehlsverweigerung! – im Kejaanasystem gelernt hatte, ob er die gleichen Fehler erneut beging oder mit dem Druck umzugehen wusste.

»Wir werden niemals rechtzeitig fertig«, sprach er das Offensichtliche aus. Er konnte nicht verhindern, dass sich zittrige Misstöne in seine Streichstimme mischten, und verachtete sich dafür.

Faraqadd löste sich von der Schmiegewabe. Die Haut seines vorderen Doppelleibs glänzte feucht und geschmeidig. Er schob sich an der Konstruktionskonsole vorbei, umrundete die Tauchsenke mit den Hautputzerquallen in der Mitte der Zentrale, postierte sich neben Pruqul und beobachtete im Holomosaik die Fortschritte der Arbeiten. Wenn man das zögerliche Vorankommen so nennen mochte.

»Das hängt davon ab, wie du rechtzeitig definierst«, entgegnete Faraqadd. Wie konnte er nur so ruhig und beherrscht klingen? So angstfrei?

»Was denkst du wohl, wie ich das definiere? Das, was die Holos zeigen, ist erst der Beginn. Die Hüter der Zeiten haben angekündigt, dass die Tiuphoren mit zehn Sterngewerken ins Mitraiasystem einfallen werden! Die restlichen neun können jeden Augenblick auftauchen. Und wenn sie die Verteidigungslinien durchbrochen haben, werden sie sich uns zuwenden. Es ist unmöglich, die Purpur-Teufe vorher vollständig zusammenzusetzen.«

»Dennoch habe ich Evvpemer Noccosd versprochen, genau das zu vollbringen.«

Noch deutlich erinnerte sich Pruqul an die Forderung des rayonischen Systemadmirals. Es bleibt keine Zeit für Versuchsreihen, auch die Hinweise auf Sicherheitsstandards kannst du dir sparen. Wenn das Gerät nicht sofort angeliefert wird, verlieren wir unsere stärkste Waffe im Kampf gegen das Imperium der Empörer.

Vorgetragen mit der für Mundsprecher so typischen dröhnenden Stimme, die jegliche Ästhetik vermissen ließ. Kein Vergleich zu den einschmeichelnden zarten Fingerstreichlauten der Ziquama.

»Wir müssen die Kerouten retten«, fuhr Faraqadd fort. »Die, die bereits zu Hütern der Zeiten erweckt wurden, und die, bei denen es vielleicht noch möglich ist.«

Pruqul erzeugte einen abfälligen dissonanten Laut mit den Fühlfingern. »Die Kerouten retten! Und zu welchem Zweck? Die meisten sind für den Kodex verloren, egal, ob wir bei der Evakuierung helfen oder ob wir sie ihrem Schicksal überlassen.«

»Was schlägst du also vor?«

Das, worauf ich seit Stunden dränge, hätte Pruqul am liebsten geantwortet. Das, was du auch im Kejaanasystem besser befohlen hättest. Vielleicht könnte Miquilla dann noch leben.

Stattdessen bemühte er sich um einen ruhigen Streichlaut. »Wir müssen das System verlassen, bevor es zu spät ist. Wem ist damit gedient, wenn wir sterben, während wir vergeblich versuchen, Sheheena in Sicherheit zu bringen? Uns werden sich noch genügend Möglichkeiten bieten, unsere Fähigkeiten sinnvoller einzusetzen. Und mit der Aussicht auf mehr Erfolg.«

Faraqadd zögerte. Dachte er – zum ersten Mal, seit Pruqul auf einen Abzug drängte – etwa ernsthaft darüber nach? Oder ließ er ihn absichtlich in der Sonne trocknen, um seine Überlegenheit zu demonstrieren?

»Du irrst dich«, sagte er schließlich. In den Worten schwang ein leicht brummender Unterton mit, als spräche er mit einem Jungarchitekten, dem er die einfachsten Grundlagen ziquamanischer Lebensphilosophie erklärte. »Unsere Liebe, Faszination und ausschließliche Hingabe gilt stellaren Objekten.«

»Du zitierst Borquonts jahrtausendealte Lehren? Ausgerechnet in dieser Situation? Meinst du, der Philosoph hätte seine Arbeiten während eines Angriffs der Tiuphoren genauso formuliert?« Außerdem kann so etwas nur jemand behaupten, der seinen Eternial-Gefährten nicht gefunden hat. Pruqul hütete sich jedoch, den Gedanken auszusprechen. Ausschließliche Hingabe an stellare Objekte! Was für ein Unfug. Keine Faszination konnte sich mit der messen, die er Miquilla gegenüber verspürt hatte.

»Wir untersuchen sie«, fuhr Faraqadd unbeirrt mit dem Zitat fort, »erforschen sie, versuchen sie zu manipulieren und zu neuen Konstellationen zusammenzusetzen. Wir formen den Kosmos. Denn wir sind dazu berufen, dem Universum eine ästhetische Gestalt zu geben und damit zu beweisen, dass es Bewusstsein hervorgebracht hat.«

»Warum sagst du mir das?« Pruqul bemerkte, dass er die Vorderstränge seines Doppelleibs unbewusst gegeneinandergepresst hatte und in Verteidigungshaltung gegangen war. Er zwang sich dazu, die Ringmuskulatur zu entspannen.

»Weil du die alten Lehren offenbar vergessen hast. Weil du den Sinn ziquamanischer Existenz verkennst. Und weil du die verkommene, abartige Ästhetik des tiuphorischen Tötens mit unserem Sinn für Schönheit zu verwechseln scheinst. Das Imperium der Empörer zieht eine Spur der Zerstörung hinter sich her. Es beutet Planeten aus, ermordet ihre Bewohner. Sein Werk dient nicht der Schöpfung und Gestaltgebung, sondern der gnadenlosen Vernichtung. Wir verraten unsere eigenen Ziele, wenn wir die Tiuphoren gewähren lassen. Und deshalb müssen wir alles tun, die Hüter der Zeiten in Sicherheit zu bringen. Nicht nur für den Kodex, sondern auch und in erster Linie für uns. Kein Risiko darf uns zu hoch sein. Keines!«

»Wie kannst du uralte philosophische Lehren über das Leben so vieler Ziquama stellen?«

Faraqadd beugte den vorderen Doppelleib zu Pruqul vor. »Das tue ich keineswegs. Borquonts Theoreme weisen mir lediglich den rechten Weg. Allerdings gibt es tatsächlich etwas, das ich über das Leben von hundert Ziquama stelle. Nämlich das von Millionen Kerouten.«

»Du begehst einen Fehler. Wir müssen uns in Sicherheit bringen!«

»Wir haben diese Diskussion schon einmal geführt. Erinnerst du dich? Soll es etwa genauso enden wie im Kejaanasystem? Willst du wieder meine Befehle missachten und mit deinem Schiff fliehen?«

»Ich habe getan, was ich für das Beste zum Wohl meiner Mannschaft hielt. Und wärst du meinem Beispiel gefolgt, könnte Miquilla ...«

»Ach, darum geht es. Um den Verlust deiner Eternial-Gefährtin. Ich bedauere sehr, was mit ihr geschehen ist, aber das darf auf unsere jetzige Arbeit keinen Einfluss haben. Du musst Miquilla loslassen, Pruqul, sonst gefährdest du das gesamte Projekt. Ich frage dich noch einmal: Willst du meine Befehle ein weiteres Mal missachten?«

Pruqul zögerte. Er fühlte sich ausgetrocknet und sehnte sich nach ein paar Augenblicken an der Schmiegewabe, nach dem wärmenden, wohlriechenden Balsam, der seine Haut geschmeidig hielt.

Gewiss, er war der Kommandant der QUAMQUOZ und als solcher bestimmte er die Geschicke des Schiffs und der Besatzung. Für ihn stand die Sicherheit der ihm Untergebenen an erster Stelle.

Faraqadd hingegen war der oberste Befehlshaber der Ziquama im gesamten Mitraiasystem. Unter seiner Leitung nahm die Purpur-Teufe allmählich Gestalt an.

Und so unterstand Pruqul ihm, obwohl sich Faraqadd an Bord der QUAMQUOZ aufhielt und somit eigentlich Pruqul untergeordnet gewesen wäre.

Ein weiterer Widerstreit, allerdings nicht so irritierend wie der seiner Gefühle den Tiuphoren gegenüber, sondern vor allem ärgerlich.

»Nein«, antwortete Pruqul schließlich. »Ich werde deine Befehle nicht missachten.«

»Sehr gut. Mein Befehl lautet: Wir setzen alles daran, die Purpur-Teufe fertigzustellen. Die QUAMQUOZ bleibt als Steuer- und Konstruktionsschiff im System.«

»Selbstverständlich. Und nun entschuldige mich bitte. Ich möchte mich für einen Moment in mein Refugium zurückziehen.«

 

*

 

»Er plant nicht nur, ein ganzes Volk – mein Volk! – zu vernichten, sondern es rückwirkend aus der Geschichte zu tilgen«, sagte Perry Rhodan mit unterdrücktem Zorn.

Unwillkürlich wanderte sein Blick zum Chronometer des Sicherheitsraums, in dem er mit der Larin Pey-Ceyan zusammensaß.

7. Dezember 1517 NGZ, 18 Uhr 12.

Eine völlig sinnlose Zeitangabe, angezeigt von einer Uhr, die – wenn man so wollte – weit über zwanzig Millionen Jahre vorging. Und dennoch sah Rhodan darin eine Verbindung zur Heimat. Streng genommen befand er sich mit der BJO BREISKOLL eigentlich genau dort: zu Hause, im Solsystem. Obgleich man es in diesem weit zurückliegenden Augenblick Mitraiasystem nannte.

Eine interessante Erkenntnis, dass Heimat nicht nur einen Ort bezeichnen konnte, sondern auch eine Zeit.

Die Uhr zeigte an, wie spät es in Rhodans Herkunftszeit wäre, wenn es ihn nicht mitsamt der RAS TSCHUBAI Jahrmillionen in die Vergangenheit verschlagen hätte. Dadurch stellte die Datumsangabe der Uhr seinen eigenen, ganz privaten psychologischen Zeitriss dar.

7. Dezember 1517 NGZ. Rhodans eigentliche Gegenwart, die so unvermittelt zu einer weit entfernten Zukunft geworden war. Einer Zukunft, die nicht annähernd so feststand, wie er es sich wünschte.

Wenn der Proto-Hetoste Avestry-Pasik mit dem Plan, den Untergang der ersten Larenzivilisation zu verhindern, Erfolg hatte, bedeutete das mit großer Wahrscheinlichkeit zugleich das Ende der Menschheit. Ein Paradoxon von so gewaltigem Ausmaß, dass ihm vermutlich nicht einmal die Beharrungskräfte der Zeit würden widerstehen können.

Und die Frau, die Rhodan auf der anderen Seite des Tisches gegenübersaß, gehörte zu Avestry-Pasiks engsten Vertrauten.

Pey-Ceyan, die Lebenslichte. Sie sah erschöpft aus. Das raubte ihr jedoch nichts von der geheimnisvollen Attraktivität, die sonderbarerweise sogar Vertreter solcher Spezies ansprach, die dem Aussehen der Laren sonst nichts abgewinnen konnten.

»Das ist nicht richtig«, widersprach sie mit einiger Verspätung. »Avestry-Pasiks Motivation gilt ausschließlich dem Erhalt der ersten Larenzivilisation. Er will keineswegs die Menschheit auslöschen.«

»Aber er nimmt es billigend in Kauf! Er ist bereit, ein Paradoxon mit unkalkulierbaren Folgen zu erschaffen. Vielleicht – nein: wahrscheinlich! – sogar, dass sich andere Völker nie entwickeln werden.«

»Er ist bereit, dieses Risiko einzugehen.«

Rhodan nickte. Sie versuchte also nicht, das Vorhaben des Proto-Hetosten zu beschönigen. Ein Zeichen, dass sie es diesmal ehrlich meinte? »Warum sollte ich also daran interessiert sein, Avestry-Pasik aus den Fängen der Tiuphoren zu befreien?«

Die Lebenslichte betrachtete ihre Hände auf der Tischplatte. Die Finger waren in ständiger unruhiger Bewegung. Sie tippten einen unbestimmten Rhythmus, unterbrachen ihn, kneteten einander, lösten sich und begannen wieder von vorn zu klopfen.

»Weil du dir nicht sicher sein kannst, dass er sein Ziel nicht trotzdem erreicht«, antwortete sie.

Rhodan sah zum Schott des kargen Verhörraums. Zu beiden Seiten standen bewaffnete Soldaten, den Blick in die Ferne gerichtet. Sie versuchten, den Anschein von Teilnahmslosigkeit zu erwecken. Tatsächlich aber lauschten sie gebannt der Unterhaltung, dessen war sich Rhodan gewiss. Schließlich ging es nicht zuletzt auch um ihr Schicksal.

»Wie ich die Tiuphoren bisher kennengelernt habe«, entgegnete er, »legen sie keinen Wert auf die Wünsche oder Pläne anderer.«

»Du solltest Avestry-Pasik nicht unterschätzen.« Pey-Ceyans Finger nahmen den Tanz wieder auf. »Und jetzt schon gar nicht.«

»Wie meinst du das?«

»Wer weiß, wozu er fähig ist, seit er sich PEW-Metall hat injizieren lassen, seit er seine Erweckung durchlebt hat?«

Berechtigter Einwand, dachte Rhodan. War der Proto-Hetoste durch die Prozedur, die sonst den Kerouten vorbehalten war, ebenfalls zu einem Hüter der Zeiten geworden?

Er erinnerte sich, was Poungari ihnen erzählt hatte. Gucky hatte die frisch erweckte Keroutin am Vortag vor einem Angriff der Tiuphoren gerettet. Von ihr wusste Rhodan, dass ein Hüter der Zeiten gedankliche Reisen unternahm und ein Gespür für die Sextadim-Banner der Sterngewerke entwickelte. War Avestry-Pasik dazu nun ebenfalls fähig? Oder womöglich sogar zu mehr? Konnte er auf die Schiffe der Gegner zugreifen, sie nach seinem Willen steuern? Vermochte er sich die Tiuphoren zu unterwerfen? Entwickelte er gar paranormale Fähigkeiten?

Unwahrscheinlich. Aber deshalb auch unmöglich?

»Als Gegenleistung biete ich dir meine volle Kooperation an«, bekräftigte die Lebenslichte.

»Wie kannst du dir sicher sein, dass Avestry-Pasik und Kniiten noch leben?«

»Ein Gefühl? Bloße Hoffnung? Ich weiß es nicht.«

»Also gut, ich denke darüber nach«, versprach Rhodan. »Solange wir nicht wissen, was die Tiuphoren mit ihnen gemacht haben oder wo sie sie gefangen halten, können wir ohnehin nichts unternehmen.«

»Ich danke dir.« Pey-Ceyans Erleichterung klang aufrichtig.

»Entschuldigt, wenn ich eure traute Zweisamkeit so unvermittelt unterbreche«, erklang eine piepsige Stimme neben dem Tisch.

Gucky hatte sich in den Verhörraum teleportiert. Er griff Rhodan bei der Hand.

»Expresstaxi in die Zentrale«, sagte der Mausbiber.

»Was ist passiert?«, fragte Rhodan.

»Das, was Poungari angekündigt hat. Die Sterngewerke der Tiuphoren fliegen ins System ein.«

»Bringt Pey-Ceyan zurück in ...«, begann Rhodan mit einer Anweisung an die Wachsoldaten.

Schlagartig veränderte sich die Szenerie um ihn. Die Worte »ihre Kabine« sprach er bereits im Kommandoraum der BJO BREISKOLL aus.

 

*

 

Foynfiél wusste drei Sekunden vor jedem anderen in seinem Verteidigungsabschnitt, dass die Tiuphoren kamen. Aber noch erkannte er nicht, woher.

Er betrachtete das Holo in der Visionistenkaverne der CLAIVONTI...N, erhoffte sich daraus weitere Aufschlüsse, aber die blieben selbstverständlich aus. Das Holo konnte nur darstellen, was bereits war – und nicht, was bald sein würde.

Es zeigte vierhundert kugelförmige Rayonenraumer und zehn Schiffe wie die CLAIVONTI...N – rot schillernde dreihundert Meter durchmessende und fünfzig Meter dicke zahnradförmige Scheiben, an deren Rändern in gleichmäßigen Abständen je vier kleinere aufrecht stehende Zahnräder saßen.

Die Lainliénschiffe wirkten inmitten der Kugelraumer wie vereinzelte Blüten in einem Meer aus Steinen. Wunderschön, aber zu wenige, um zu gedeihen.

»Achtung!«, alarmierte er über Funk die vierzig Rayonenschiffe seines Sektors. »Der Angriff steht unmittelbar bevor. Die CLAIVONTI...N übernimmt hiermit die defensive Überrangsteuerung des Verteidigungsabschnitts.«

Rote Ringe um die entsprechenden Raumer in der Holodarstellung signalisierten die Zustimmung der Schiffskommandanten.

Foynfiél wartete, lauschte der Brandung prätemporaler Wellen, die gegen sein Bewusstsein schwappten und die jedem noch so unbedeutenden Ereignis vorangingen. Nicht wahrnehmbar für die meisten Lebewesen, wenn man von vereinzelten Fällen spontaner Vorahnungen absah, aber spür- und interpretierbar für jeden Lainlién.

Freilich reichte das, was die Wissenschaftler des Kodex Prätemporalvision nannten, bei der Mehrzahl der Lainlién nur einen Sekundenbruchteil in die Zukunft. Nicht annähernd genug, um daraus echten Nutzen zu ziehen. Eine geringe Zahl besonders Talentierter vermochte jedoch den Geist zu öffnen und weiter zu sehen.

Mit einem Schauder, der seine Gesichtsblätter erzittern ließ, dachte Foynfiél an den ruhmreichen Dairién, dem man nachsagte, er habe einen Zwölf-Sekunden-Blick besessen. Legenden! Niemand konnte weiter als zehn Sekunden schauen, ohne unter der schieren Zahl der Möglichkeiten zu zerbrechen und den Verstand zu verlieren.

Konzentrier dich!, ermahnte er sich selbst. Lass dich nicht ablenken!