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Polizeiliche
Zwangsmaßnahmen

Von
Dr. Frank Braun
Regierungsdirektor

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Inhalt

Teil 1
Polizeiliche Zwangsmaßnahmen – Grundlagen

A. Grundlagen

I. Allgemeines
II. Die Zwangsmittel
1. Ersatzvornahme (§§ 51 Abs. 1 Nr. 1, 52 PolG NRW)
2. Zwangsgeld (§§ 51 Abs. 1 Nr. 2, 53 f. PolG NRW)
3. Unmittelbarer Zwang (§§ 51 Abs. 1 Nr. 3, 55, 57 ff. PolG NRW)
III. Gestrecktes Verfahren und Sofortvollzug
1. Der gesetzliche Regelfall: Das gestreckte Verfahren (§ 50 Abs. 1 PolG NRW)
a) Die Grundkonstellation: Befehl und Zwang
b) Reichweite der Standardmaßnahmen und gestörte Polizeitätigkeit
2. Die Ausnahme: Der sofortige Vollzug (§ 50 Abs. 2 PolG NRW)
IV. Grundrechtseingriffe durch Zwangsmaßnahmen

Teil 2
Gestrecktes Verfahren

B. Zwang im gestreckten Verfahren

I. Ermächtigungsgrundlage
1 Grundrechtseingriffe
2 Zielrichtung der Maßnahme
3 Benennung der Rechtsgrundlage
II. Formelle Rechtmäßigkeit
1 Zuständigkeit
2 Verfahren
III. Materielle Rechtmäßigkeit
1 Zulässigkeit des Zwangs
a) Vorliegen eines befehlenden, vollziehbaren Verwaltungsaktes (Grundverfügung)
aa) befehlender Verwaltungsakt (= VA, der auf Handlung, Duldung oder Unterlassung gerichtet ist)
bb) Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes
b) Nichterfüllung der durch die Grundverfügung auferlegten Pflicht
2 Rechtmäßigkeit der Grundverfügung als Vollstreckungsvoraussetzung
3 Zulässigkeit des eingesetzten Zwangsmittels
a) Feststellung, welches Zwangsmittel angewendet wurde
b) Bei Unmittelbarem Zwang: § 55 PolG NRW
4 Art und Weise der Zwangsanwendung
a) Androhung
b) Bei Zwangsgeld: Festsetzung, § 53 Abs. 1 und 2 PolG NRW
c) Bei Anlass: Besondere Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen
5 Ermessen und Verhältnismäßigkeit

Teil 3
Sofortvollzug zur Gefahrenabwehr und zwangsweise Durchsetzung von StPO-Maßnahmen

C. Zwang im Sofortvollzug

I. Ermächtigungsgrundlage
1. Grundrechtseingriff
2. Zielrichtung der Maßnahme
3. Benennung der Rechtsgrundlage
II. Formelle Rechtmäßigkeit
1. Zuständigkeit
2. Verfahren
III. Materielle Rechtmäßigkeit
1. Zulässigkeit des Zwangs
a) Fehlen einer Grundverfügung
b) Notwendigkeit des Sofortvollzuges
aa) „Allgemeine“ Notwendigkeit des Sofortvollzuges
bb) Gesetzliche Regelbeispiele für die Notwendigkeit des Sofortvollzuges
c) Handeln der Polizei innerhalb ihrer Befugnisse
2. Zulässigkeit des eingesetzten Zwangsmittels
3. Art und Weise der Zwangsanwendung
a) Androhung
b) Ordnungsgemäße Anwendung des Zwangsmittels
5. Ermessen und Verhältnismäßigkeit

D. Zwangsweise Durchsetzung von StPO-Maßnahmen

I. Ermächtigungsgrundlage
1. Grundrechtseingriff
2. Zielrichtung der Maßnahme
3. Benennung der Rechtsgrundlage
II. Formelle Rechtmäßigkeit - Zuständigkeit
III. Materielle Rechtmäßigkeit
1. Zulässigkeit des Zwangs
a) Bei vorangegangener Grundmaßnahme
b) ohne vorangegangene Grundmaßnahme
2. Zulässigkeit des eingesetzten Zwangsmittels
3. Art und Weise der Zwangsanwendung

E. Keine Anwendbarkeit der Notwehr- und Notstandsregelungen des Straf- und Zivilrechts beim unmittelbaren Zwang

Teil 4
Der polizeiliche Schusswaffengebrauch

F. Der polizeiliche Schusswaffengebrauch

I. Vorbemerkung
1. Besondere Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
2. Betroffene Grundrechte
3. Besonderheiten des Schusswaffengebrauchs im Überblick
II. Die Prüfung in der Klausur
Das Prüfungsschema im Überblick
1. Die Androhung des Schusswaffengebrauchs
a) Art und Weise der Androhung
b) Entbehrlichkeit der Androhung
c) Rechtmäßigkeit der Androhung
2. Besondere Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des Schusswaffengebrauchs gegen Personen
a) Schusswaffengebrauch zu Zwecken der Gefahrenabwehr
aa) Schusswaffengebrauch zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr, § 64 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW
bb) Schusswaffengebrauch zur Verhinderung einer Straftat, § 64 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW
cc) Schusswaffengebrauch zur gewaltsamen Verhinderung einer Befreiung, § 64 Abs. 1 Nr. 5 PolG NRW
dd) Schusswaffengebrauch gegen Personen in einer Menschenmenge, § 65 PolG NRW
b) Schusswaffengebrauch zu Zwecken der Strafverfolgung
aa) Schusswaffengebrauch zur Anhaltung eines fliehenden Tatverdächtigen, § 64 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW
bb) Schusswaffengebrauch zur Vereitelung der Flucht einer Person, § 64 Abs. 1 Nr. 4 PolG NRW
3. Allgemeine Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des Schusswaffengebrauchs
a) Subsidiarität des Schusswaffeneinsatzes, § 63 Abs. 1 PolG NRW
b) Zulässiges Ziel des Schusswaffengebrauchs, § 63 Abs. 2 PolG NRW
c) Schusswaffeneinsatz gegen Kinder, § 63 Abs. 3 PolG NRW
d) Verbot der Gefährdung Unbeteiligter, § 63 Abs. 4 PolG NRW
III. Besonderheiten bei der Prüfung des „finalen Rettungsschusses“ (bzw. „gezielten Todesschusses“)

Zum Autor

Teil 1
Grundlagen

Die Prüfung polizeilicher Zwangsmaßnahmen muss in der Klausur sicher beherrscht werden. Hierfür bedarf es neben rechtlichen Grundkenntnissen vor allem Sicherheit in der Prüfung. Der nachfolgende Teil 1 fasst die unverzichtbaren dogmatischen Grundlagen des polizeilichen Zwangs zusammen. Teil 2 befasst sich – angelehnt an die Prüfungsreihenfolge in der Klausur – mit der Zwangsanwendung im gestreckten Verfahren; Teil 3 mit dem Sofortvollzug und der zwangsweisen Durchsetzung von Strafverfolgungsmaßnahmen. Der abschließende Teil 4 behandelt den polizeilichen Schusswaffengebrauch, der den Schwerpunkt der Ausbildung im abschließenden Fachmodul 4 bildet.1

A. Grundlagen

I. Allgemeines

Polizeilicher Zwang bringt das Recht zur Wirkung. Die Zwangsanwendung sorgt dafür, dass das Recht gegenüber demjenigen durchgesetzt wird, der es nicht beachtet. Insoweit haben polizeiliche Zwangsmaßnahmen zwei Funktionen: zum einen Beugefunktion; angesichts angedrohtem oder angewendetem Zwang gibt der Rechtsbrecher sein rechtswidriges Verhalten auf. Durch den Bruch des Widerstandes wird zum anderen ein rechtmäßiger Zustand hergestellt (Realisierungsfunktion).

Beispiel:

Gegen A ergeht ein Platzverweis. Diesem Platzverweis kommt A nicht nach. Die Polizei schafft ihn daraufhin nach erfolgloser Zwangsandrohung mit Gewalt von dem betreffenden Ort weg (unmittelbarer Zwang). Der entgegenstehende Wille des A wurde dadurch gebeugt (Beugefunktion). Zudem wurde durch die Zwangsanwendung ein rechtmäßiger Zustand hergestellt (Realisierungsfunktion).

Eine Straffunktion (d.h.: Sühne für begangenes Unrecht) hat die Zwangsanwendung nicht (wenn sie auch von den Betroffenen häufig „als Strafe“ empfunden wird). Durch Zwang sollen ausschließlich rechtskonforme Zustände hergestellt werden. Deswegen sind Zwangsmaßnahmen sofort einzustellen, wenn dieses Ziel erreicht wird.

Beispiel:

A wird von der Polizei gem. § 10 PolG NRW vorgeladen. In der Vorladung wird zugleich ein Zwangsgeld für den Fall des Nichterscheinens angedroht. A kommt zum festgesetzten Termin nicht. Daraufhin wird gegen ihn ein Zwangsgeld festgesetzt. Ein paar Tage später kommt A doch noch auf die Polizeidienststelle. Damit ist das Ziel der Vollstreckung erreicht, d.h. ein rechtmäßiger Zustand hergestellt. Nach § 53 Abs. 3 Satz 2 PolG NRW ist deshalb die Polizei gehindert, das Zwangsgeld beizutreiben. Hier kommt die Funktion der Zwangsmittel als Beugemittel zum Tragen. Gerade weil sie keine Strafe darstellen, ist ihre Anwendung sofort einzustellen, wenn sich die polizeiliche Verfügung erledigt hat (§ 51 Abs. 3 PolG NRW). A muss nicht bezahlen.2

Die Vollstreckung (= zwangsweise Durchsetzung) von Polizeiverfügungen unterscheidet sich von der Vollstreckung privatrechtlicher Ansprüche durch den Grundsatz der Selbsttitulierung und den Grundsatz der Selbstvollstreckung. Hierzu ein kurzer Blick auf die Vollstreckung privatrechtlicher Ansprüche: Μ zahlt seine Miete nicht. Vermieter V hat gegen Μ einen Anspruch, dass dieser seine Mietschulden bezahlt (vgl. § 535 Abs. 2 BGB). Um diesen Anspruch durchzusetzen, darf V nicht zur Selbsthilfe greifen, sondern muss Μ auf Zahlung der Miete verklagen. Das Gericht stellt dann durch Urteil fest, dass Μ die ausstehende Miete nebst Verzugszinsen zu entrichten hat (= „Titel“). Diesen Titel setzt dann, falls Μ immer noch nicht zahlt, ein Gerichtsvollzieher für den V mit Zwang (z.B. Pfändung und Verwertung) durch (= „Vollstreckung“). Bei der polizeilichen Vollstreckung läuft dies dagegen so: Durch den Erlass einer Polizeiverfügung (z.B.: „Öffnen Sie die Tür!“ bei einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt) kann sich die Polizei selbst einen Vollstreckungstitel schaffen, ohne dass zuvor ein gerichtliches Verfahren durchgeführt werden muss (Grundsatz der Selbsttitulierung). Zum anderen kann die Polizei ihre Polizeiverfügung durch eigene Vollzugsbeamte vollstrecken, ohne, wie der Vollstreckungsgläubiger im Privatrecht, spezielle Vollstreckungsorgane (den Gerichtsvollzieher) einschalten zu müssen (Grundsatz der Selbstvollstreckung). Kommt also der Pflichtige dem Befehl, die Tür zu öffnen, nicht nach, kann die Polizei diesen Befehl selbst vollstrecken, indem sie die Tür eintritt.

Aus der Befugnis, einen Verwaltungsakt zu erlassen, folgt noch nicht das Recht, diesen auch zu vollstrecken. Vollstreckungshandlungen bedürfen, ebenso wie die zu vollstreckende Verfügung selbst (z.B. „Öffnen Sie die Tür!“ = Begleitverfügung nach § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 PolG NRW), einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage (Vorbehalt des Gesetzes), die in den §§ 50 ff. PolG NRW zu finden ist.

Hinweis: „Einsteiger“ sollten an dieser Stelle aufmerksam die §§ 50 ff. PolG NRW lesen. Auch bei der weiteren Lektüre des Beitrages sind stets die genannten Vorschriften nachzuschlagen und aufmerksam zu studieren. Nur so baut sich tieferes Verständnis auf. Zudem: Das Gesetz selbst gibt regelmäßig die zur Klausur notwendigen Informationen. Es gilt, stets „eng am Gesetzestext“ zu arbeiten.

II. Die Zwangsmittel