Titelbild
Titelbild

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

ISBN 978-3-492-96971-0

März 2017

© Piper Verlag GmbH, München 2015

Erstausgabe Print: Knaur Verlag, München 2006

Covergestaltung: Hauptmann und Kompanie Werbeagentur, Zürich, unter Verwendung eines Fotos von Joanna Jankowska/Trevillion Images

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Piper Verlag die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht.

1

Der Anker lag in meiner geöffneten Hand. Winzige, in Gold gefasste Brillanten glitzerten um die Wette und trieben mir Tränen in die Augen. Mein Blick wanderte von dem kleinen Schmuckstück, das an einer Halskette hing, zu meinem Mann.

»Herzlichen Glückwunsch zum Sechsunddreißigsten«, sagte Gregor und küsste mich.

Ich legte die Kette, die ebenso stabil war wie der Karabinerhaken, der sie umschloss, um meinen Hals. Für einen Moment schloss ich die Augen und spürte den Anker auf meiner Haut. Er war ein Symbol für den Halt, den Gregor mir in der schwierigen Phase, die hinter mir lag, gegeben hatte und den er mir immer wieder geben würde.

»Wenn jetzt eine Fee käme und ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir wünschen, steinalt mit dir zu werden«, sagte ich. »Danke für dieses besondere Geschenk. Ich werde gut darauf aufpassen!«

»Ich weiß.«

»Weißt du auch, dass ich dich liebe?«

»Vom ersten Tag an.«

»Unverbesserlicher Träumer!«

»Ich träume nicht, ich rede von unumstößlichen Tatsachen!«

»Tatsache ist«, dozierte ich mit einem überlegenen Lächeln, »dass kein Mensch einen anderen vom ersten Tag an liebt. Liebe ist nichts Statisches, sie wächst.«

»Vom ersten Tag an, sage ich doch. Und dann jeden Tag ein Stückchen mehr. Gib zu, dass du mich heute weit mehr liebst als an unserem ersten Tag!«

Ich lachte. »Zugegeben …«

Gregor küsste mich mit einer Leidenschaft, die mich atemlos einen Schritt zurücktreten ließ.

»In einer halben Stunde er warten Annette und Joost uns in der Brücke

»Sollen sie warten …«

»Außerdem kommt Nelli jeden Moment zum Babysitten.«

»Sie ist zweiundzwanzig und hat zweifellos längst eine Ahnung davon, was es heißt, von purer Lust übermannt zu werden.« Gregors Fingerspitzen strichen seitlich an meinem Körper entlang.

»Wie schön, dass du so denkst. Wenn Jana erst einmal zweiundzwanzig ist …«

»Jana ist meine Tochter, für sie gelten andere Gesetze!« Er umfasste meinen Nacken und zog mich zu sich heran. Zwischen unseren Körpern hatte nicht einmal mehr ein Millimeter Platz. Betörend langsam glitten seine Hände unter meine Bluse.

Das durchdringende Geräusch der Klingel riss uns unsanft aus unseren Fantasien, die uns vorausgeeilt waren. Benommen lösten wir uns voneinander. Meine Enttäuschung spiegelte sich in Gregors Gesicht wider.

»Warum muss Nelli nur immer so schrecklich pünktlich sein?«, fragte er.

»Weil du ihr, bevor wir sie eingestellt haben, unmissverständlich klargemacht hast, dass Pünktlichkeit eine der Voraussetzungen ist, um bei uns eine Dauerstellung zu bekommen.«

»Seit wann hält Nelli sich an das, was ich sage?«

»Gute Frage.« Mit einem Lachen lief ich zur Tür und öffnete unserem Hausfaktotum.

»Hi.« Der Blick, den Kornelia Karstensen, genannt Nelli, mir zuwarf, bedurfte eigentlich keiner Kommentierung, aber sie ging gerne auf Nummer Sicher. »Störe ich?« Ihr anzüglicher Tonfall hätte zweifellos die meisten Arbeitgeber dazu bewogen, eine fristlose Kündigung in Betracht zu ziehen. Gregor und mir dagegen gefiel ihre unverblümte Art.

»Und wenn?«, fragte ich.

»Dann liegt das ausschließlich an Ihrem miserablen Timing, Frau Gaspary. Meines ist wie immer perfekt.«

»Solltest du dich eines Tages wider Erwarten dazu durchringen, einem anspruchsvolleren Job nachzugehen, schlage ich vor, du versuchst es mal als Selbstbewusstseinstrainerin. Ich bin sicher, darin wärst du spitzenmäßig.«

»Ich bin auch als Putzfrau und Babysitterin spitzenmäßig.«

»Spitzenmäßig unterfordert«, er widerte ich trocken und griff damit unsere Diskussion über Nellis anscheinend nicht existenten Ehrgeiz auf, was ihre Berufsausbildung betraf.

Kurz nach Janas Geburt hatte sie angefangen, dreimal in der Woche unser Haus zu putzen, den Garten zu pflegen und die Wäsche zu bügeln. Darüber hinaus passte sie auf Jana auf, wenn Gregor und ich ausgingen oder ich einen beruflichen Termin hatte. Ihre restliche Zeit verteilte sie auf zwei weitere Haushalte. Eigentlich ging es mich nichts an, was sie aus ihrem Leben machte, aber so sehr ich mich auch bemühte, ich konnte nicht kommentarlos dabei zusehen, wie eine intelligente junge Frau ihr Potenzial nicht ausschöpfte. Es täte mir sehr Leid, eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages auf sie verzichten zu müssen, aber ich würde alles daransetzen, dass sie eine Ausbildung machte. Noch verweigerte Nelli sich beharrlich, wenn ich das Thema anschnitt, aber wir wussten beide, dass ich nicht locker lassen würde.

»Warum können Sie sich nicht darauf beschränken, mich hübsch zu finden, wie alle anderen auch?« Den genervten Unterton schien sie speziell für dieses Thema reserviert zu haben.

O ja, sie war nicht nur hübsch, sie war eine Augenweide mit einem Gesicht, das an die junge Romy Schneider erinnerte. Außerdem hatte sie die schönsten Haare, die ich jemals gesehen hatte. Sie waren von einem satten Braun und glänzten, als sei jedes einzelne handpoliert. Ungebändigt reichten sie ihr bis weit über die Schultern. Ich holte tief Luft. »Weil nette Komplimente deinem Geist keine Nahrung geben!«

»Erstens geht es bei meinem Aussehen nicht um nette Komplimente, sondern um Tatsachen. Und außerdem: Wer sagt, dass mein Geist Hunger hat?«

»Helen sagt das«, ertönte hinter mir Gregors Stimme.

»Und sie hat Recht. Guten Abend, Nelli.«

Sie er widerte seinen Gruß mit einem knappen Nicken. »Wenn Sie mich loswerden wollen, brauchen Sie das nur zu sagen und sich nicht hinter so fadenscheinigen Argumenten zu verschanzen.«

Gregor schenkte ihr ein wissendes Lächeln. »Fragt sich nur, wer von uns dreien sich hinter etwas verschanzt.«

»Wissen Sie, was Ihr Problem ist?«, wetterte sie. »Sie haben beide eine ausgeprägte Akademiker-Macke, Jana kann einem jetzt schon leidtun. Was, wenn sie eines Tages ihr Glück darin sehen sollte, Croupière im Spielcasino zu werden?«

»Dann werden wir dafür sorgen, dass sie die bestmögliche Ausbildung erhält«, sagte ich.

»Ach, darum geht es!« Nelli hatte blitzschnell ihr Pokerface aufgesetzt. »Sie wollen, dass ich Ihnen schwarz auf weiß dokumentiere, dass ich das Putzen an den besten Schulen gelernt habe.«

»Wir wollen, dass du etwas aus dir machst«, sagte Gregor.

»Nur weil Sie beide unerträgliche Snobs sind, soll ich mein Leben ändern?« Sie blies verächtlich Luft durch die Nase.

»Es ist uns schnurzpiepegal, warum du es änderst, Hauptsache, du tust es.«

»Schnurzpiepegal …« Nelli schien jede einzelne Silbe zu genießen. »Ist das nicht übelste Umgangssprache? Ziemt sich so etwas für einen angesehenen Anwalt?«

»Du hast mich noch nicht erlebt, wenn ich die Gegenseite attackiere.«

»Ich dachte, ich wäre die Gegenseite.« Sie drängelte sich zwischen uns hindurch und ließ im Flur geräuschvoll ihre Tasche fallen. »Haben Sie nicht gesagt, Sie seien um acht Uhr zum Essen verabredet? Jetzt ist es acht. Lernt man nicht im Rahmen der bestmöglichen Ausbildung, dass es unhöflich ist, zu spät zu kommen?« Sie hatte meinen Tonfall täuschend echt nachgeahmt.

»Geburtstagskinder haben einen Bonus«, entgegnete ich.

»Sie haben heute Geburtstag?« Ich nickte.

»Frau Gaspary …« Ihrem ungehemmten Quietschen folgte eine Umarmung, an der ich fast erstickte.

»Wann nennst du mich endlich Helen?«, fragte ich, nachdem ich wieder zu Atem gekommen war.

»Wenn ich den Umgang mit Respektspersonen hinreichend studiert habe.«

»Du meinst, wenn du Respekt gelernt hast. Da das aller Voraussicht nach nie geschehen wird, kannst du mich auch gleich Helen nennen. Und er hier«, damit klopfte ich meinem Mann, der immer noch neben mir stand, sanft auf die Schulter, »heißt Gregor.«

»Ich werd’s mir überlegen. Und jetzt machen Sie beide sich bitte vom Acker, damit ich endlich in Ruhe fernsehen kann. Ich gehe mal davon aus, dass Jana schläft?«

»Tief und fest«, antworteten wir wie aus einem Munde.

»Lassen Sie sich Zeit beim Essen!«

»Denkst du dabei an unsere Mägen oder an deinen Geldbeutel?«, fragte Gregor mit einem Schmunzeln.

»Ausschließlich an meinen Geldbeutel. Sie beide sind mir schnurzpiepegal

»Entschuldige, Annette, dass wir dich haben warten lassen«, sagte ich zur Begrüßung, während Gregor unsere Mäntel zur Garderobe brachte.

»Kein Problem. Ich bin auch gerade erst gekommen.« Gregor und ich setzten uns ihr gegenüber.

»Alles Gute zu deinem Geburtstag, Helen! Du weißt, was ich dir wünsche …« Annettes prüfender Blick schien sich keine meiner Regungen entgehen lassen zu wollen. Sie nahm meine Hand in ihre und drückte sie fest.

»Nein. Sag es mir!«

Ihr Befremden dauerte nur Sekunden. Anstatt mir zu antworten, entschied sie sich für ein Lächeln, das meinen Einwurf als Scherz abtat, wohl wissend, dass er das nicht war.

Ich spürte meinen alten Groll hochsteigen und schluckte entschlossen gegen ihn an. Annette war eine der wenigen gewesen, die während der schwierigen Lebensphase, die hinter mir lag, zumindest versucht hatten, mich zu verstehen, obwohl es ihr häufig nicht gelungen war und auch sie Salz in meine Wunden gestreut hatte. Aber ich wollte sie nicht verprellen, deshalb gab ich mir Mühe, eine gewisse Leichtigkeit an den Tag zu legen. »Also«, begann ich, »dann verrate ich dir, was ich mir wünsche. Ich wünsche mir, mit Gregor steinalt zu werden.« Dabei zwinkerte ich ihm beruhigend zu. »Ich wünsche mir, dass es uns vergönnt ist, Jana ganz viel Lebensfreude mit auf ihren Weg zu geben und dass wir vier heute einen wunderschönen, entspannten Abend miteinander verbringen. Wo bleibt eigentlich Joost?«

»Er ist im Institut aufgehalten worden, müsste aber jeden Moment kommen«, antwortete sie. »Ich schlage vor, wir trinken schon mal etwas.«

Nachdem wir unsere Bestellung aufgegeben hatten, schob Annette mir ein Geschenkpaket über den Tisch: rosa Papier mit roter Schleife. Vom Format her war es unzweifelhaft ein Buch. Ich befreite es aus seiner Verpackung und las laut den Titel: »Die schönsten Kinderlieder.«

»Du hast neulich gesagt, du könntest dich an so gut wie keines mehr erinnern. Da dachte ich …« Plötzlich verstummte sie, unsicher, ob sie das Richtige für mich ausgesucht hatte. »Jana ist ja jetzt in dem Alter, in dem sie …«

»Danke«, unterbrach ich Annette. Den Anflug von Unmut verscheuchte ich, so schnell wie er gekommen war. Zwar hatte nicht Jana Geburtstag, sondern ich, aber ich begriff wieder einmal, dass ich seit der Geburt meiner Tochter in der Hauptsache als Mutter wahrgenommen wurde. Dass ich trotzdem eine Frau mit ganz eigenen Interessen geblieben war, musste ich zu dieser Stunde nicht zum Thema machen. Annette hatte sich Gedanken gemacht, und das war die Hauptsache. »Jana wird sich freuen, endlich mal etwas anderes als Lalelu von mir zu hören.«

Gregor strich zärtlich über meine Hand und vertiefte sich in die Speisekarte.

»Was hat Gregor dir geschenkt?«, fragte sie.

Ich zeigte auf den kleinen Anker, der um meinen Hals hing. »Ein Geschenk mit Symbolcharakter.«

»Ein Symbol dafür, dass er in deinem Hafen vor Anker gegangen ist? Du bist zu beneiden.« Sie klang eher traurig als neidisch.

Ihr Mann Joost war bekannt dafür, dass er kaum etwas anbrennen ließ. Und wer sie kannte, fragte sich unweigerlich, warum sie sich das von ihm bieten ließ. Als neununddreißigjährige Gynäkologin mit eigener Praxis und ohne Kinder, auf die sie Rücksicht nehmen musste, hatte sie alle Voraussetzungen, ihr Leben problemlos auch ohne ihn zu gestalten. Hinzu kam, dass ihre sehr feminine Natürlichkeit das Interesse vieler Männer weckte.

»Manche Pötte brauchen einfach ein bisschen länger, um in ihren Heimathafen zu finden«, sagte Gregor. Es war weniger der Versuch, für seinen Freund in die Bresche zu springen, als die Hoffnung, Annettes Traurigkeit ein wenig zu mildern.

Sie atmete tief ein, als könne sie damit eine Kette sprengen, die ihr die Luft zum Atmen nahm. »Joost kann die Koordinaten seines Heimathafens sehr genau bestimmen. Er nutzt ihn schließlich als Basis, um von dort aus immer wieder auszulaufen.«

»Und wenn du vorübergehend mal die Hafeneinfahrt verbarrikadierst? Manche Menschen wissen erst, was ihnen wichtig ist, wenn sie es verloren glauben.«

Ich sah Gregor von der Seite an und bewunderte ihn wieder einmal für seine Geduld mit Annette. Wir hatten ähnliche Gespräche schon unzählige Male mit ihr geführt.

»Das Risiko einer solchen Barrikade ist mir offen gestanden zu groß«, entgegnete sie. »Schließlich lässt es sich auch in anderen Häfen bequem anlegen.«

Für Sekunden trafen sich unsere Blicke. Ihr war anzusehen, dass sie weit mehr als nur ein Risiko fürchtete. Sie wusste, dass Joost nicht zurückkehren würde, wenn sie ihn einmal gehen ließe. Und dieses Wissen tat ihr weh. Wie sehr es darüber hinaus ihre Selbstachtung verletzte, ließ sich nur erahnen.

»Joost ist wie der Erfolg, der ihn umweht: Die Mühe, ihn zu bekommen, ist nichts im Vergleich zu der Anstrengung, ihn zu behalten.« Für einen Moment wirkte sie unendlich müde. Dann riss sie sich gewaltsam von diesen Gedanken los und versuchte, ihren Worten die Schärfe zu nehmen. »Wenn er nicht ein so faszinierender Mann wäre, würde ich ihm diese Affären nicht durchgehen lassen. Aber heißt es nicht, dass Genies mit anderen Maßstäben zu messen sind?« Ihr Lachen missglückte.

Es lag mir auf der Zunge zu sagen, dass Genialität kein Freibrief für Untreue sei. Außerdem bezweifelte ich, dass Joost tatsächlich genial war. In meinen Augen war er ein Getriebener, ein vielseitigtalentierter Querdenker mit einem gut verborgenen, aber dennoch vorhandenen Mangel an Selbstbewusstsein. Um eben jenen Mangel auszugleichen, tanzte er gleich auf mehreren Hochzeiten. Er war Facharzt für Labormedizin und Mikrobiologie, hatte mit großem Erfolg ein Institut für Humangenetik aufgebaut, besaß an der Universität einen Lehrstuhl, schrieb regelmäßig Fachbücher und war zusätzlich vereidigter Sachverständiger für Abstammungsgutachten. Jede dieser Tätigkeiten führte mit ebenso viel Ehrgeiz wie Engagement aus. Die wenige Zeit, die ihm zwischen Arbeit, Annette und Freundeskreis blieb, füllte er mit Frauen, die seinem Selbstwertgefühl schmeichelten, es jedoch nicht zu stärken vermochten.

Auch wenn mir all das bewusst war, mochte ich Joost. Er hatte ein sehr einnehmendes Wesen, konnte äußerst liebevoll sein, übermütig und humorvoll. An manchen Tagen sprühte er nur so vor Ideen. Und er war Gregor ein guter Freund.

»Helen?« Annette legte ihre Hand auf meine. »Ist alles in Ordnung mit dir?«

»Keine Sorge! Ich war nur für einen Moment woanders.«

»Wenigstens gehst du nur in Gedanken auf Wanderschaft«, sagte sie, während sie aufmerksam etwas beobachtete, das sich hinter uns abspielte.

Neugierig drehte ich mich um. Vor dem Restaurant stand Joost und redete mit einer Frau. Beide schienen sehr aufgebracht zu sein. Da ich noch nie eines von seinen Verhältnissen zu Gesicht bekommen hatte, musterte ich sie eingehend. Sie war schätzungsweise Mitte dreißig und hätte vom Aussehen her Joosts jüngere Schwester sein können. Beide waren sie sehr groß, hatten gewellte blonde Haare und zählten eher zum sportlichen Typ.

Wild gestikulierend ließ sie ihren ausgestreckten Zeigefinger mehr als einmal mitten auf seiner Brust landen. Ich musste ihre Worte nicht hören, um zu wissen, dass sie wütend war und ihm heftige Vor würfe machte. Wahrscheinlich hatte sie es sich in den Kopf gesetzt, nicht länger hinter Annette zurückzustehen. Die Szene war so eindeutig, dass ich wünschte, Annette hätte sie nicht mitbekommen.

»Gregor, könntest du dem da draußen ein Ende setzen?«, fragte sie angespannt. »Bitte.«

Mein Mann stand zögernd auf. Ich konnte mir gut vorstellen, was in ihm vorging. Er war hin und hergerissen zwischen dem Wunsch, Annette beizustehen, und seiner Überzeugung, dass der Streit dort draußen ausschließlich Joost, Annette und diese Frau betraf und es nicht seine Aufgabe war, sich einzumischen.

Als er hinausgegangen war, geriet ich kurz in Versuchung, ihr zu sagen, sie solle nicht länger hinschauen. Aber dann kam ich zu dem Schluss, dass ihr Wegschauen nicht helfen würde.

»Jetzt hat sie Gregor aufs Korn genommen«, sagte Annette. Ihr Blick war starr auf das Fenster hinter mir gerichtet. »Und Joost versucht, Gregor hinter sich herzuziehen. Warum lässt dein Mann sie nicht einfach stehen?« Ihr Ton war gereizt. »Wieso redet er mit ihr? Er sollte nur Joost mit hereinbringen … mehr nicht. Müssen Männer denn immer zusammenhalten?«

»Werd bitte nicht ungerecht, Annette. Gregor ist auf deinen Wunsch hin da draußen. Ich hatte nicht das Gefühl, dass er sich um diesen Auftrag gerissen hat.«

»Aber muss er dabei …?«

»Gregor ist er wachsen!«

»So er wachsen, dass er sich von ihr einlullen lässt«, er widerte sie böse. »Jetzt gibt er ihr sogar noch seine Karte.«

Ich drehte mich um und sah die Frau einen Blick auf die Karte werfen, bevor sie sie einsteckte.

»Vielleicht beabsichtigt er ja, in Joosts Fußstapfen …« Mein Blick brachte sie für einen Moment zum Verstummen. »Kannst du mir sagen, warum du dir das nach all den Jahren immer noch bieten lässt? Wie faszinierend muss ein Mensch sein, um solche Verletzungen aufzuwiegen?«

»Das wirst du nie verstehen.«

»Manchmal frage ich mich, ob du es selbst verstehst.«

»Für andere ist nicht immer einleuchtend, was man tut und wie man fühlt. Das müsstest du eigentlich am besten verstehen, Helen.« Sie hatte ganz bewusst unter die Gürtellinie gezielt.

Mein Impuls, aufzustehen und zu gehen, war fast unüberwindlich. Nur unter großer Anstrengung gelang es mir, sitzen zu bleiben. »Das tat weh, Annette.«

»Du tust mir auch weh. Mit deiner Überlegenheit, mit diesem Blick, der besagt, du würdest dir das von deinem Mann nicht bieten lassen, du wärst schon längst über alle Berge. Mit deinem Mitleid mit mir. Dieses Mitleid ist manchmal noch viel schlimmer als der Betrug selbst. Es macht einen so klein. Und es bringt ein Ungleichgewicht in unsere Freundschaft, das ihr nicht gut tut.« Tränen glitzerten in ihren Augenwinkeln. Mit einer fahrigen Bewegung wischte sie sie fort. »Weißt du, wie es mich ankotzt, mir von dir, die du in einer wahren Bilderbuchehe lebst, Vorhaltungen machen zu lassen? Das ist, als ob eine Reiche eine Arme fragt, warum sie sich in ihr Schicksal fügt und nicht endlich etwas dagegen tut. Aber hast du überhaupt eine Vorstellung davon, wie es in dieser Armen aussieht? Vielleicht ist sie paralysiert, vielleicht fehlt ihr die Kraft und die Zuversicht, die es bräuchte, um in die Hände zu klatschen und eine Veränderung zu wagen.« Sie hatte einen hochroten Kopf, und ihr Atem ging stoßweise.

Ich füllte ihr Glas Wasser nach und reichte es ihr wortlos. Nachdem sie ein paar Schlucke getrunken hatte, stellte sie es behutsam ab.

»Danke.« Es war, als würde sie wieder zu sich kommen. Beschämt sah sie erst mich an, um ihren Blick dann über die angrenzenden Tische schweifen zu lassen.

Links und rechts von uns saßen ausschließlich verliebte Paare. »Unsere Tischnachbarn sind viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um von uns Notiz zu nehmen«, sagte ich. »Und selbst wenn sie zugehört hätten, dann …«

»Dann hätten sie vielleicht eine Ahnung davon bekommen, dass es ein Leben nach dem Verliebtsein gibt. Und dass es so oder so ausfallen kann.« Ihr trauriger Ton berührte mich. »Hätte ich damals auch nur annähernd gewusst, was auf mich zukommt, dann …« Annette verstummte.

»Helen!« Joost packte mich von hinten an den Schultern und zog mich aus meinem Stuhl hoch. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.« Er umschlang mich mit seinen Armen, küsste mich auf beide Wangen und hielt mich dann ein Stück von sich. »Blendend siehst du aus, dein Mann ist zu beneiden. Obwohl ich natürlich selbst zu den Männern zähle, die von anderen beneidet werden.« Der Blick, den er Annette zuwarf, hätte charmanter nicht sein können. »Schaut euch dieses Prachtexemplar von Ehefrau an: Sie ist nicht nur schön, sondern auch klug.«

Klug genug, ihren Mund zu halten? Klug genug, die Situation richtig einzuschätzen und wegen der Frau vor dem Restaurant keine Szene zu machen? Klug genug, wieder mal ein Auge zuzudrücken? Was hätte ich dafür gegeben, dieser Situation zu entkommen und den Abend mit Gregor allein zu beschließen. Seiner Einsilbigkeit nach zu urteilen, schien es ihm ähnlich zu gehen.

Gekonnt überspielte Joost die spürbar schlechte Stimmung am Tisch. Zeitweise hätte man sogar meinen können, er nehme sie gar nicht wahr. Aber ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass dem nicht so war. Er hatte sehr feine Antennen.

Es war schon eine Leistung, wie er uns während der Vor- und Hauptspeisen unterhielt, ohne auch nur eine Minute lang nachzulassen. Er schien nicht müde zu werden, kleine Anekdoten aus der Uni und aus seinem Institut zum Besten zu geben. Annette und ich ließen uns dadurch besänftigen. Gregor hingegen verweigerte sich standhaft. Er blieb wortkarg und in sich gekehrt.

Erst als wir zwei Stunden später wieder auf der Straße standen, nachdem wir uns von den beiden verabschiedet hatten, hatte ich Gelegenheit, ihn auf seine offensichtliche Verärgerung anzusprechen.

»Was ist da draußen geschehen? Was hat dich so aufgebracht?«, fragte ich ihn. »Warum hast du der Frau deine Visitenkarte gegeben?«

Er nahm mich fest in die Arme und drückte mich. »Helen, heute ist dein Geburtstag.« Ich spürte seinen Atem an meiner Stirn. »Es tut mir ohnehin schon furchtbar Leid, dass dir dein Abend so versaut wurde. Lass uns Joost und seine Probleme vergessen, wenigstens bis morgen früh.«

»Meinst du mit seinen Problemen diese Frau oder Annette?«

»Ich meine, dass meine Frau jetzt mal als Freundin abschalten und als Ehefrau auf Empfang schalten sollte.«

»Heißt das, du möchtest dort wieder anknüpfen, wo wir vor ein paar Stunden unterbrochen wurden?« Ich schob meine Hände unter seinen Mantel.

»Unbedingt!«

»Auf der Stelle?«

»Da ich keine Anzeige riskieren möchte, schlage ich vor, dass wir nach Hause rennen, Nelli hinauskomplimentieren und dann in aller Ruhe noch ein bisschen Geburtstag feiern.«

»Spießer!«

»Aber ein Spießer, der unvergleichlich gut küssen kann«, raunte er mir ins Ohr. »Von dem Rest ganz zu schweigen.«

Ich zwickte ihn spielerisch in den Po. »Weißt du, was noch schlimmer ist als ein Spießer? Ein eingebildeter Spießer!«

Nach einem ausgedehnten Kuss liefen wir im Eilschritt nach Hause.

2

Zwei Tage später – ich war gerade dabei, mit Jana zu Mittag zu essen – rief Annette an und begann mich ohne große Umschweife auszufragen.

»Hat Gregor dir etwas über diese Frau erzählt?«

»Nein.« Als ich ihn am nächsten Morgen noch einmal nach ihr gefragt hatte, hatte er geantwortet, dass er diesen Zwischenfall so schnell wie möglich vergessen wolle.

»Aber er muss etwas gesagt haben. So eine Situation ist nicht gerade alltäglich. Oder ist er als Scheidungsanwalt schon dermaßen abgestumpft?«

Jana saß in ihrem Kinderstuhl und verteilte die Reiskörner von ihrem Teller abwechselnd in ihren Mund und auf den Fußboden. Auf die gleiche Weise verfuhr sie mit den Zucchini-Stückchen. Um sie nicht zu erschrecken, mäßigte ich mich in meinem Ton. »Annette, ich schlage vor, du sprichst direkt mit Joost, wenn du mehr über diese nicht gerade alltägliche Situation wissen willst.«

»Verstehst du das unter Freundschaft?«

»Ich verstehe das als Kommunikation ohne unnötige Umwege. Und was ich unter Freundschaft verstehe, solltest du eigentlich inzwischen wissen.«

»Ich weiß nur, was du von deinen Freunden er wartest: Verständnis. Etwas, was du im Gegenzug nicht aufbringst.« Ihre Stimme war kurz davor zu entgleisen.

Ich sagte mir, dass sie litt wie ein Tier und deshalb um sich biss – dass es besser war, ihre Worte nicht persönlich zu nehmen, dass sie sie unter anderen Umständen sicher bereut hätte. Nachdem ich im Geiste bis zehn gezählt hatte, holte ich tief Luft. »Ich habe Verständnis für dich, Annette. Ich habe sogar Verständnis dafür, dass du hier einen Nebenkriegsschauplatz aufmachst, nur um der eigentlichen Auseinandersetzung, nämlich der mit deinem Mann, aus dem Weg zu gehen. Ich kann dir zuhören, wenn du dir etwas von der Seele reden möchtest, ich kann versuchen, gemeinsam mit dir nach Lösungen zu suchen …«

»Aber?«

Jana wurde unruhig in ihrem Stuhl. Ich klemmte den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter, hob meine Tochter hoch und stellte sie auf den Boden. Fröhlich vor sich hin brabbelnd lief sie zu ihrem großen Stoffhund und bohrte ihm ihren Zeigefinger ins Nasenloch. Bei Gelegenheit würde ich ihr noch verständlich machen müssen, dass ausschließlich Stofftiere solche Attacken ohne Gegenwehr über sich ergehen ließen.

»Aber?« Die erneut gestellte Frage war deutlich schärfer geworden.

»Aber«, antwortete ich mit Bedacht, »ich möchte nicht länger mit dir immer wieder dasselbe durchkauen, ohne dass sich jemals etwas ändert. Das Ganze ist so eingefahren wie ein gut geölter Mechanismus: Joost hat ein Verhältnis, du weinst dich bei uns aus, fragst uns um Rat, wir bemühen uns, gemeinsam mit dir eine Lösung für deine Situation zu finden, und dann gehst du – zumindest teilweise – erleichtert nach Hause und änderst … nichts.«

Aus der Küche war das Scheppern von Kochtöpfen zu hören. Wenn mich nicht alles täuschte, räumte Jana gerade einen der Küchenschränke aus.

»Ach, darum geht es! Du bist beleidigt, weil ich eure Ratschläge nicht beherzige.« Das Geräusch, das folgte, sollte ein Lachen sein, aber es misslang. »Bist du schon einmal auf die Idee gekommen, dass eure Ratschläge indiskutabel sind? Es kommt für mich nicht in Frage, Joost zu verlassen. Und in eine Paartherapie geht er nicht, da könnte ich mich auf den Kopf stellen.«

»Du möchtest, dass wir Joost für dich in seine Schranken weisen, aber das können weder Gregor noch ich. Das ist ganz allein deine Aufgabe.«

»Hat Gregor es denn jemals versucht? Hast du es versucht?« Sie schnaubte verächtlich durch die Nase.

»Feine Freunde seid ihr!«

Annette gelang es immer wieder, mich in Diskussionen zu verwickeln, die sich im Kreis drehten. Es brauchte nicht mehr viel, und mir würde der Kragen platzen. Dieses Mal zählte ich bis zwanzig. Die Erfahrung hatte gezeigt, dass das die wirksamste Möglichkeit war, wenn Worte nicht mehr halfen. Mein Schweigen löste bei ihr den Tränenstrom aus.

Schluchzend stammelte sie ins Telefon, dass sie das Gespräch jetzt beenden müsse. Es dauerte keine zwei Sekunden, und die Leitung war tot.

Das unangenehme Gefühl, das dieses Telefonat bei mir hinterließ, war nur schwer abzuschütteln. Am liebsten hätte ich laut geschrien, um meine Aggressionen loszuwerden, aber ich nahm mich zusammen und ging zu Jana.

Der Küchenboden sah aus wie ein Schlachtfeld. Töpfe und Pfannen schmückten in lockerer Anordnung die Steinfliesen. Mittendrin saß Jana und redete mit den einzelnen Teilen, als wären sie ihre besten Freunde. Ich hätte etwas darum gegeben, ihre scheinbar unzusammenhängenden Worte zu verstehen.

»Na, meine Süße, amüsierst du dich gut?«

Sie stand auf, kam zu mir und streckte mir ihre Speckärmchen entgegen. »Ma…«

»Das ist ein wunderbarer Anfang«, sagte ich mit einem glücklichen Lächeln, während ich sie hochnahm. Jana war eine kleine Spätentwicklerin, was das Sprechen anging, aber ich ließ mich deswegen nicht aus der Ruhe bringen. Die einfachen Worte, die andere in ihrem Alter bereits artikulieren konnten, verweigerte sie standhaft. Beim Laufen und Klettern war sie dafür flink wie ein Wiesel. Allem Anschein nach war es ihr wichtiger, ihre Welt zu erkunden, als irgendwelchen Sprachentwicklungsnormen zu entsprechen.

Mein Blick wanderte über ihr Gesicht, das meinem so ähnlich sah. Im Gegensatz zu mir hatte Jana jedoch leicht abstehende Ohren – die hatte sie eindeutig von Gregor.

»Ich hoffe, die lässt du dir nie operieren!« Ich liebte diese Ohren, sie verliehen ihr einen so fröhlichen Ausdruck.

Jana begann – genau wie vorher bei ihrem Stoffhund – meine Nasenlöcher zu inspizieren. Lachend riss ich meinen Kopf zurück, weil es kitzelte.

»Außerdem hoffe ich, dass du Antennen entwickelst, die dich später um Männer wie Joost einen riesigen Bogen machen lassen.«

»Wa… wa…«

»Wie du das machen sollst? Lass deinen Vater und mich nur machen! Uns fällt dazu ganz bestimmt jede Menge ein.«

Mit entschlossenen Bewegungen wand sie sich aus meinen Armen und nahm sich den nächsten Küchenschrank vor. Jetzt waren die Holzbrettchen dran. Sie suchte so lange, bis endlich eines in einen der Töpfe passte.

»Oh.« Mit staunenden Augen begutachtete sie ihr Werk.

Ich klatschte in die Hände und löste damit bei ihr ein freudiges Glucksen aus. Plötzlich spürte ich, dass sich die Aggressionen, die mich vor kurzem noch hatten schreien lassen wollen, in Nichts aufgelöst hatten.

»Nein, ich werde meinen Mund nicht halten, Joost. Das kannst du nicht von mir er warten«, sagte Gregor.

Ich saß im Arbeitszimmer und schrieb an der Beurteilung eines kleinen Aquarells, als Gregors Stimme vom Wohnzimmer aus zu mir herüberdrang.

»Bring das in Ordnung!« Seinem Tonfall nach zu urteilen, war er ziemlich aufgebracht. »Nein, ich meine genau das, was ich gesagt habe. Und ich habe es gesagt, weil ich dein Freund bin. Ich könnte es mir auch sehr viel einfacher machen und meine Augen verschließen.«

Ich stöhnte genervt auf. Für mein Empfinden strapazierten Annette und Joost unsere Freundschaft in den vergangenen Tagen über Gebühr. Warum konnte Joost Gregor nicht wenigstens an diesem Abend verschonen? Er hatte einen harten Tag gehabt und sich ein bisschen Ruhe und Entspannung verdient. Da ich bei der Lautstärke, in der das Gespräch mittlerweile geführt wurde, nicht arbeiten konnte, schloss ich meine Tür. Jetzt hörte ich Gregor zwar immer noch, konnte aber die einzelnen Worte nicht mehr verstehen.

Als zehn Minuten später Stille eingekehrt war, ging ich ins Wohnzimmer, wo Gregor in dem alten ledernen Ohrensessel seines Vaters saß. Ich ließ mich auf der Lehne nieder und strich ihm zärtlich über die Wange.

»Ein ähnlich unangenehmes Gespräch habe ich heute auch geführt«, sagte ich. »Annette meinte, mir Vorhaltungen über mangelnde Freundschaft machen zu müssen.«

Gregor fuhr sich über die Augen, als schmerzten sie ihn.

»War’s schlimm?«, fragte ich ihn.

Er schüttelte den Kopf. »Erzähl mir etwas von Jana.«

»Meinst du dieses kleine Mädchen, das im Zimmer gegenüber wohnt? Dieses Mädchen, das über genauso viel Einfallsreichtum wie Stimmgewalt und Durchsetzungsvermögen verfügt? Das der festen Überzeugung ist, alle Menschen seien ausschließlich zu seiner Unterhaltung da? Das mit eineinhalb Jahren einen Charme entwickelt hat, mit dem es selbst hart gesottene Mütter wie mich um den Finger wickelt? Und das einen Vater hat, der es so sehr verwöhnt, dass kein Mann, der später in sein Leben treten wird, an ihn heranreichen kann? Falls du tatsächlich dieses Mädchen meinst, kann ich dich beruhigen: Es schläft!«

Gregors liebevolles Lächeln machte mich froh. »Und wie geht es dieser hart gesottenen Mutter?«, fragte er.

»Wie war ihr Tag?«

»Aufschlussreich. Auf dem Spielplatz hat mir eine sehr engagierte Mutter einen Vortrag darüber gehalten, dass es absolut notwendig sei, Janas Hände mit Seife zu waschen, wenn sie einen Hund gestreichelt hat und danach einen Keks essen möchte. Eine andere hat fast einen Herzinfarkt bekommen, weil ich nicht sofort hingelaufen bin, als Jana sich das Klettergerüst als Betätigungsfeld ausgesucht hat. Und eine Dritte hat sehr überzeugt die Meinung vertreten, Kinder von arbeitenden Müttern würden unweigerlich Schäden davontragen.«

»Ich hoffe, du hast Jana daraufhin untersuchen lassen.«

»Gleich von zwei Fachleuten«, sagte ich mit ernster Miene. »Und ich muss dir gestehen, sie haben tatsächlich eine Entwicklungsstörung festgestellt.«

Gregor machte das Spiel mit und legte wie auf Kommando seine Stirn in Falten. »Eine ernst zu nehmende?«

Ich nickte mit sorgenvollem Ausdruck. »Unsere Tochter ist der festen Überzeugung, kleine Mädchen hätten dieselben Rechte wie kleine Jungen.«

»Kannst du mir sagen, was wir angestellt haben, dass sie auf solch hanebüchene Ideen kommt?« Sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen.

Ich ließ mich von der Lehne des Sessels auf Gregors Schoß gleiten und kuschelte mich an ihn. »Wir haben uns nichts vorzuwerfen, wir hatten die besten Absichten und sind ihr mit gutem Beispiel vorangegangen, mehr können wir nicht tun.« Mit dem Zeigefinger fuhr ich zärtlich über den Knick seiner Nase.

»Glaubst du, sie wird mit einem solchen Handicap später überhaupt einen Mann finden?«

»Ich habe schließlich auch einen gefunden.«

»Aber du hast lange suchen müssen. So ein Prachtexemplar wie mich findet man nicht an jeder Straßenecke, wie du weißt.«

»Deshalb hege und pflege ich dich auch, damit du nur ja steinalt wirst und ich nicht irgendwann ohne dich dastehe. Dann wäre mein Leben nämlich sehr viel ärmer.« Er beugte sich vor und küsste mich leicht auf die Lippen. »Und weil ich das weiß, esse ich fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag, gehe nicht bei Rot über die Ampel, zerreiße Gutscheine für Fallschirmsprünge und lasse mich nicht mit fremden Frauen ein.«

»An welchem Tag hast du zuletzt fünf Portionen Obst und Gemüse gegessen?«

»Lass mich überlegen … das war dieser Tag, als … hm … wenn du mir noch zwei Sekunden Zeit gibst, dann fällt es mir ganz bestimmt wieder ein.« Mit geschlossenen Augen legte er die Hände an die Schläfen und massierte sie. »Jetzt hab ich’s: Das war der Tag, als ich … nein, doch nicht. Ich glaube, ich gebe es auf.«

»Solange du dich bei roten Ampeln, Fallschirmsprüngen und fremden Frauen zurückhältst, will ich mal ein Auge zudrücken«, sagte ich lachend.

Gregor seufzte. »Wir werden ein wunderbares altes Ehepaar abgeben. Du mit grau melierten Haaren, ich mit Wollmütze wegen Mangels an Haaren – beide werden wir ganz vernarrt sein in unsere Enkelkinder, wir werden uns die Köpfe heiß reden, damit unsere Gehirne nicht einrosten, und zur Seniorengymnastik gehen, damit wir uns noch so lange wie möglich die Schuhe selbst zubinden können.«

»Es gibt Slipper.«

»Und es gibt Ehrgeiz.« Gregor küsste mich auf die Nasenspitze und schob mich sanft von seinem Schoß.

»Das war das Stichwort?« Enttäuscht krauste ich die Stirn.

»Wenn mich nicht alles täuscht, wartet auf deinem Schreibtisch auch noch Arbeit auf dich.«

»Ich hätte mir aber durchaus Alternativen vorstellen können, zum Beispiel …«

»Deine Fantasien kenne ich, Helen.« Der Glanz in seinen Augen sprach davon, dass sich seine von meinen eigentlich nicht unterschieden. »Aber ich kenne auch deinen Hang, sie in die Tat umzusetzen.«

»Na und?«, fragte ich frech.

»Montag habe ich eine Verhandlung, auf die ich mich noch vorbereiten muss. Also bitte ich dich um Vertagung.«

»Stattgegeben. Unter der Bedingung, dass du mir dafür morgen Abend zur Verfügung stehst.«

»Versprochen!«

»Mit jeder Faser deines Körpers?«

»Helen, hast du eigentlich überhaupt keine Sorge, ich könnte dich eines Tages wegen sexueller Ausbeutung anzeigen?«

»Sollte das der Fall sein, dann kontere ich mit einer Anzeige wegen Vernachlässigung ehelicher Pflichten.«

»Würde mich interessieren, bei welchem dieser Rechtsverdreher du in die Lehre gegangen bist.«

»Dreimal darfst du raten!«

Gregor arbeitete während des gesamten Wochenendes und tauchte nur zu den Mahlzeiten auf. Am Montagmorgen hatte ich Schwierigkeiten, ihn aus dem Bett zu bekommen. Er hatte bis weit nach Mitternacht an der Vorbereitung seiner Verhandlung gesessen und war erst ins Bett gekommen, als ich längst eingeschlafen war. Als alles nichts half, beschloss ich, meine Geheimwaffe einzusetzen, holte Jana und setzte sie neben Gregor ins Bett.

Im Hinausgehen hörte ich sie mehrfach »Pa… Pa…« krähen und sah, wie ihre Händchen sehr fordernd und unsanft den Kopf ihres Vaters bearbeiteten.

Keine fünf Minuten später gesellten sich die beiden zu mir ins Bad.

»Ich hoffe, Janas ganz spezielle Art, Männer aus dem Tiefschlaf zu reißen, verwächst sich noch!« Gregor küsste mich in den Nacken und sah dann schlaftrunken in den Spiegel.

»Nach meinem Kaffee wirst du dich wie neugeboren fühlen.«

Jana zog so lange an seiner Schlafanzughose, bis er nachgab, sie zwischen die beiden Becken auf den Waschtisch hob und ihr eine Zahnpastatube in die Hand drückte. Sie versuchte, den Deckel aufzudrehen. »Soll ich sie mit hinausnehmen, damit du in Ruhe duschen kannst?«, fragte ich ihn, nachdem ich meine Haare trocken geföhnt hatte.

Gregor beugte sich zu ihr. »Willst du bei deinem Papa bleiben?«

Jana nickte.

»Einspruch! Suggestivfrage.«

»Abgelehnt!«

Mit einem Schmunzeln verließ ich das Badezimmer und begann in der Küche, das Frühstück für uns drei vorzubereiten. Als fünfundzwanzig Minuten später Gregor mit Jana im Schlepptau erschien, wirkte er, als habe er bereits seine erste Schlacht an diesem Tag geschlagen.

»Es ist mir ein Rätsel, wie du es schaffst, dabei zu arbeiten.« Mit dabei war die Aufmerksamkeit gemeint, die unsere Tochter zu Recht für sich beanspruchte.

»Das schaffe ich nur, wenn sie schläft oder wenn Nelli da ist.« Vor kurzem hatte ich versucht, für drei halbe Tage in der Woche einen Krippenplatz für Jana zu bekommen, hatte jedoch nur erreicht, dass sie auf zwei Wartelisten gesetzt wurde. »Ich hoffe nach wie vor auf einen Krippenplatz. In den Augen vieler Frauen bin ich deshalb eine Rabenmutter«, sagte ich verdrossen.

»Das nimmst du dir hoffentlich nicht zu Herzen. Erstens bist du alles andere als eine Rabenmutter und zweitens kennst du meine Meinung zu dem Thema. Ich finde es sehr wichtig, dass Kinder mit Ihresgleichen zusammen sind. So lernen sie am schnellsten ein gutes Sozialverhalten.«

»Besonders Einzelkinder …«

Gregor griff über den Tisch und nahm meine Hand in seine. »Ich bin auch ein Einzelkind, und ich habe diesen Zustand sehr genossen, glaube mir. Wenn mir irgendwann so ein Nachkömmling die Position als Mamis Liebling streitig gemacht hätte, dann …«

»… hättest du deine Eltern angefleht, ihn wieder dahin zu bringen, woher er gekommen ist, ich weiß. Aber irgendwann hättest du ihn vielleicht geliebt, so wie ich meine Schwester liebe.«

»Wenn du ehrlich bist, würdest du sie aber manchmal auch gerne auf den Mond schießen.«

Es stimmte, was er sagte, aber ich wusste auch, warum er es sagte. Wieder einmal versuchte er, mich darüber hinwegzutrösten, dass Jana auf absehbare Zeit Einzelkind bleiben würde. Mit einem dankbaren Lächeln gab ich ihm zu verstehen, dass ich ihn durchschaut hatte. »Wir drücken dir die Daumen, dass du bei deiner Verhandlung heute Erfolg hast.«

»Dann kann ja nichts schief gehen.« Er stand auf und gab erst mir und dann Jana einen Kuss. »Bis später, ihr beiden.« Kurz darauf fiel die Wohnungstür ins Schloss.

Während ich meinen Kaffee trank und Jana die Käsestückchen von ihrem Brot sammelte, sah ich aus dem Fenster. Es war ein von der Sonne beschienener Oktobertag.

Um halb acht an diesem Abend rief Gregor an und sagte mir, dass er in einer Besprechung sitze, die noch gut eine Stunde dauern werde. Ich solle schon mal ohne ihn anfangen zu essen. Er versuchte, seine Anspannung zu überspielen, indem er betont ruhig sprach. Aber ich konnte förmlich riechen, dass er jemandem gegenübersaß, der seine Geduld strapazierte.

»Soll ich kommen und dich retten?«, fragte ich.

»Nicht nötig.« Jetzt war es ein Lachen, das er unterdrückte. »Bis später!«

Ich wusste: Wenn er eine Stunde sagte, dann konnten auch leicht zwei daraus werden, deshalb richtete ich mich darauf ein, den Abend allein zu verbringen.

Fast pünktlich nach zwei Stunden klingelte es. Gregor wird mal wieder seinen Schlüssel vergessen haben, dachte ich, als ich mich aus der Decke auf dem Sofa schälte, zur Tür ging und öffnete. Statt meines Mannes stand dort jedoch eine Frau, die ich nicht kannte.

»Frau Gaspary?«, fragte sie. »Helen Gaspary?« Allem Anschein nach fror sie, denn sie hatte die Schultern hochgezogen und trat von einem Fuß auf den anderen.

»Ja. Und Sie sind …?«

»Felicitas Kluge«, stellte sie sich vor. Sie zog einen Ausweis aus der Tasche ihres Mantels und ließ mir Zeit, ihn zu studieren.

Ich las: Kriminaloberkommissarin … LKA 41.

»Frau Gaspary, ich habe eine schlechte Nachricht für Sie. Ist es möglich, dass wir hineingehen?«

Ohne mich von der Stelle zu rühren, sah ich sie an. Eine schlechte Nachricht? »Kriminalpolizei? Ist etwas mit Isabelle?« Meine Schwester war immer wieder für solche schlechten Nachrichten gut. Entweder sie brach sich beim Freeclimbing ein Bein, weil sie sich überschätzte, oder einen Arm, weil sie zwischen Straßenbahnschienen unbedingt freihändig Fahrrad fahren musste. Bisher waren uns solche Nachrichten allerdings noch nie von der Polizei überbracht worden.

»Wollen wir nicht erst einmal hineingehen?«

»Was ist meiner Schwester passiert?«

»Ihrer Schwester ist nichts passiert, zumindest ist mir nichts in dieser Hinsicht bekannt. Bitte … lassen Sie uns hineingehen.«

Wortlos gab ich ihr ein Zeichen, mir zu folgen. Im Wohnzimmer wandte ich mich zu ihr um und sah sie stirnrunzelnd an. »Das LKA 41 … worum geht es da?«

»Um Todesermittlungen.«

»Wie lautet Ihre schlechte Nachricht?« Ich hörte meine Stimme, als stünde ich neben mir. Die einzelnen Worte klangen, als entstammten sie einem Sprachcomputer.

»Wollen Sie sich nicht setzen, Frau Gaspary?«

»Nein …« Setzte man sich nicht immer nur dann, wenn es ganz schlimm kam? »Bitte sagen Sie mir, um wen es geht.«

»Ihr Mann Gregor ist bei einem Sturz vom Balkon seiner Kanzlei zu Tode gekommen. Nach einer ersten vorsichtigen Einschätzung der Situation handelt es sich um Selbsttötung.« Sie hatte sehr langsam gesprochen. Jetzt schwieg sie und sah mich an. War es aus Betroffenheit, aus Mitgefühl? Oder aus der Erfahrung, dass eine solche Nachricht nicht so schnell zu begreifen ist, wie sie ausgesprochen wird? »Haben Sie mich verstanden, Frau Gaspary?«

Meine Kehle war so trocken, dass mir das Schlucken schwer fiel. Ich konzentrierte mich auf diesen einen Punkt in meinem Hals.

»Möchten Sie jemanden anrufen und bitten, bei Ihnen vorbeizukommen?«

Wieder versuchte ich zu schlucken, aber mein Hals schien angeschwollen zu sein. Ich brachte nur ein unverständliches Krächzen heraus.

»Haben Sie Freunde, die kommen könnten, oder jemanden aus Ihrer Familie?« Ihr Blick ließ nichts im Unklaren. Mit Worten hätte sie nicht besser ausdrücken können, wie Leid es ihr tat, mir diese Nachricht zu überbringen. »Ich werde so lange bei Ihnen bleiben, bis jemand hier ist und sich um Sie kümmert. Wollen wir gemeinsam überlegen, wer dafür in Frage kommt?«

Ich schüttelte den Kopf. Noch gelang es mir, klar zu denken, deshalb wollte ich keinen einzigen Gedanken an Unwichtiges verschwenden. »Wo ist mein Mann?«

»Zurzeit ist er noch an der Unglücksstelle. Wenn die Spurensicherung abgeschlossen ist, wird er ins Institut für Rechtsmedizin in der Uniklinik gebracht.«

Ich ging zu einem kleinen Schrank, auf dem das Telefon stand, suchte eine Nummer aus dem Telefonbuch und rief meine Nachbarin an. Nach dem fünften Klingeln hörte ich, wie sie sich meldete. »Frau Nowak, hier ist Helen Gaspary. Könnten Sie bitte einen Moment zu uns herüberkommen?« Das Atmen fiel mir schwer. »Es handelt sich um einen Notfall.« Ich legte auf, ohne ihre Antwort abzuwarten. Zu Felicitas Kluge gewandt sagte ich: »Sie wird gleich hier sein, sie wohnt im Nachbarhaus.« Steifbeinig ging ich zur Tür und öffnete sie.

Ein kalter Windzug schlug mir entgegen. Hätten meine Arme noch einen Rest an Kraft gehabt, dann hätte ich sie schützend um meinen Körper geschlungen.

»Was ist passiert, Frau Gaspary?« Außer Atem kam mir Mariele Nowak im Schlafanzug mit einem Bademantel darüber entgegengelaufen. Die grauen Haare, die sonst immer von einem Knoten zusammengehalten wurden, fielen ihr lose auf die Schultern. »Ist etwas mit Jana?«

Wie ein Roboter schüttelte ich den Kopf. »Sie schläft. Können Sie auf sie aufpassen, solange ich fort bin? Mein Mann …«

»Was ist mit Ihrem Mann?«

»Ich muss ihn sehen.«

»Frau Gaspary …« Hinter mir war die Kripobeamtin aufgetaucht. »Ich weiß nicht, ob …«

»Ich muss ihn sehen!«

Das Blut war aus dem Gesicht meiner Nachbarin gewichen. »Wie schlimm ist es?«, fragte sie Felicitas Kluge, als wüsste sie, dass ich ihr die Antwort schuldig bleiben würde.

»Gregor Gaspary ist heute Abend tödlich verunglückt.«

Der Funke Hoffnung, den ich eben noch in der Miene meines Gegenübers entdeckt zu haben glaubte, erlosch augenblicklich. Zurück blieb nur Entsetzen im Gesicht der rund sechzigjährigen Frau, die seit zwei Jahren unsere Nachbarin war und die ich nur von den alltäglichen kurzen Gesprächen auf der Straße kannte. Ihr schien es ebenso kalt zu sein wie mir. Unablässig rieb sie sich mit den Händen über die Oberarme.

»Jana schläft fest, es ist unwahrscheinlich, dass sie aufwacht.« Mir fiel ein, dass sie bis zu diesem Tag unsere Wohnung noch nie betreten hatte. »Das Kinderzimmer ist am Ende des Flurs links. Die Tür ist nur angelehnt. Sollte sie wider Er warten aufwachen, dann …«

»Wir beide werden schon klarkommen, Frau Gaspary.«

Ich nickte. Ja, sie würde mit Jana klarkommen. Sie gehörte zu jenen Erwachsenen, die ein eineinhalbjähriges Mädchen ernst nahmen und versuchten, ein Gespräch auf Augenhöhe mit ihm zu führen. Mit Blick über die Schulter sagte ich: »Gehen wir, Frau Kluge …«

»Wollen Sie keinen Mantel anziehen? Draußen ist es kalt.« Felicitas Kluges Blick wanderte von mir zu meiner Nachbarin, von der sie sich offensichtlich Schützenhilfe erhoffte.

»Hier drinnen ist es auch kalt«, entgegnete ich, ließ es jedoch zu, dass eine der beiden Frauen mir in den Mantel half. Im Rückblick hätte ich nicht sagen können, welche von beiden es gewesen war. Meine Wahrnehmung war mir vorausgeeilt. Zu Gregor, der irgendwo da draußen lag – in einer Kälte, die er nicht mehr spürte.

3

Je näher wir Gregors Kanzlei in der Isestraße kamen, desto greller wurden die Lichter. Scheinwerfer beleuchteten das Areal vor dem Haus, grün-weiße Plastikbänder grenzten es ab. Es gab ein Davor und ein Dahinter, so wie es jetzt ein Davor und ein Danach gab. Das Dahinter war wie das Danach: Es änderte alles.

Felicitas Kluge dirigierte mich zu der Stelle, an der mein Mann sein Leben verloren hatte. Auf dem Weg dorthin hielt uns ein Kollege von ihr auf. Wie ich später erfuhr, war er ihr Chef. Er stellte sich mir als Kai-Uwe Andres vor.

Behutsam hielt er mich am Arm zurück. »Gehen Sie nicht weiter, Frau Gaspary. Ihr Mann ist tot, behalten Sie ihn so in Erinnerung, wie er zu Lebzeiten aussah.«

Mit großer Anstrengung gelang es mir, ihn anzusehen. »Ich möchte mich von meinem Mann verabschieden.«

»Aber …« Unschlüssig wanderte sein Blick zwischen mir und seiner Kollegin hin und her.

»Bitte!« Meine Stimme würde mir nicht mehr lange gehorchen. Ich musste die Zeit, die mir blieb, nutzen. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich zwei Männer, die einen Sarg trugen. »Bitte, ich möchte zu ihm.«