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Über dieses Buch:

Es sind Männer, die Kriege führen – und Frauen, die bereit sind, alles für den Frieden zu opfern … Im Jahre 610 fallen die kriegerischen Awaren in das Herzogtum Friaul ein. Obwohl die Langobarden sich den Angreifern mutig entgegenstellen, ist die Lage bald aussichtslos. Als der Fürst getötet wird, schwindet die letzte Hoffnung. Seine Witwe steht vor der schwersten Entscheidung ihres Lebens. Man erwartet von ihr, dass sie Faroald heiratet, einen mutigen Kommandanten, der alles daran setzen will, das Blatt auf dem Schlachtfeld zu wenden. Doch selbst bei einem Sieg bedeutet dies noch mehr Blutvergießen – und eine endgültige Niederläge wäre das Todesurteil für Romildas Kinder. Also lässt sie sich auf einen waghalsigen Handel ein …

Über den Autor:

Robert Gordian (1938–2017), geboren in Oebisfelde, studierte Journalistik und Geschichte und arbeitete als Fernsehredakteur, Theaterdramaturg, Hörspiel- und TV-Autor, vorwiegend mit historischen Themen. Seit den neunziger Jahren verfasste er historische Romane und Erzählungen.

Robert Gordian veröffentlichte bei dotbooks bereits die Romane ABGRÜNDE DER MACHT, MEIN JAHR IN GERMANIEN, NOCH EINMAL NACH OLYMPIA, XANTHIPPE – DIE FRAU DES SOKRATES und DIE GERMANIN sowie drei historische Romanserien:

ODO UND LUPUS, KOMMISSARE KARLS DES GROSSEN

Erster Roman: »Demetrias Rache«

Zweiter Roman: »Saxnot stirbt nie«

Dritter Roman: »Pater Diabolus«

Vierter Roman: »Die Witwe«

Fünfter Roman: »Pilger und Mörder«

Sechster Roman: »Tödliche Brautnacht«

Siebter Roman: »Giftpilze«

Achter Roman: »Familienfehde«

DIE MEROWINGER

Erster Roman: »Letzte Säule des Imperiums«

Zweiter Roman: »Schwerter der Barbaren«

Dritter Roman: »Familiengruft«

Vierter Roman: »Zorn der Götter«

Fünfter Roman: »Chlodwigs Vermächtnis«

Sechster Roman: »Tödliches Erbe«

Siebter Roman: »Dritte Flucht«

Achter Roman: »Mörderpaar«

Neunter Roman: »Zwei Todfeindinnen«

Zehnter Roman: »Die Liebenden von Rouen«

Elfter Roman: »Der Heimatlose«

Zwölfter Roman: »Rebellion der Nonnen«

Dreizehnter Roman: »Die Treulosen«

ROSAMUNDE, KÖNIGIN DER LANGOBARDEN

Erster Roman: »Der Waffensohn«

Zweiter Roman: »Der Pokal des Alboin«

Dritter Roman: »Die Verschwörung«

Vierter Roman: »Die Tragödie von Ravenna«

Ebenfalls erschien bei dotbooks die beiden Kurzgeschichtenbände EINE MORDNACHT IM TEMPEL und DAS MÄDCHEN MIT DEM SCHLANGENOHRRING sowie die Reihe WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN mit kontrafaktischen Erzählungen über berühmte historische Persönlichkeiten:

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Caesar, Chlodwig, Otto I., Elisabeth I., Lincoln, Hitler

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Napoleon, Paulus, Themistokles, Dschingis Khan, Bolívar, Chruschtschow

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Karl der Große, Arminius, Gregor VII., Mark Aurel, Peter I., Friedrich II.

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eBook-Neuausgabe April 2015

Copyright © der Originalausgabe Pendo Verlag AG Zürich 2000

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von shutterstock/happykamppy.

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-190-9

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Robert Gordian

Die ehrlose Herzogin

Roman



dotbooks.

Kapitel 1

»Die Awaren kommen!«

Irgend jemand hatte draußen im Gang diesen Ruf ausgestoßen. Romilda erhob sich, legte die Handarbeit auf den Stuhl und ging rasch zur Tür. Hinauslauschend nahm sie von der Treppe her Männerstimmen und hastige, hallende Schritte wahr. Sie trat in den Gang und dort auf der anderen Seite an eines der hohen Bogenfenster.

Als sie hinunterblickte, erschrak sie. Ein leiser Schrei entfuhr ihr, sie hielt einen Augenblick den Atem an.

Unten im Palasthof stieg gerade der Mann aus dem Sattel, den sie vom Fenster ihres Gemachs aus gesehen hatte. Er war von den Hügeln herabgekommen, hatte sein Pferd heftig angetrieben. Als er schon nahe der Stadtmauer war, hatte sie plötzlich das Empfinden gehabt, daß sie ihn kenne. Es war die Haltung, mit der er zu Pferde saß – sehr gerade, nur wenig vorgebeugt, die Arme stark abgewinkelt –, was eine Erinnerung in ihr wachrief. Dann war er unter der Mauer aus ihrem Blickfeld verschwunden, und sie hatte geglaubt, sich getäuscht zu haben.

Jetzt aber fand sie ihren Eindruck bestätigt.

»Ist das nicht der Herr Faroald?«

Die alte Kammerfrau Pelagia war zu ihr ans Fenster getreten. Auch Appa und Gaila, Romildas älteste Töchter, liefen herbei.

»Der Kommandant von Nemas?«

»Etwa der, dem Vater verboten hat, herzukommen?«

Romilda starrte hinunter und murmelte: »Da muß etwas passiert sein. Etwas Ungewöhnliches, Schlimmes. Habt ihr nicht auch gehört, was eben gerufen wurde? Daß die Awaren ...«

Sie unterbrach sich, weil der Mann, von dem sie kein Auge ließ, den Kopf hob, heraufsah. Gleich darauf aber wankte er und mußte sich auf die Schultern zweier Leute von der Palastwache stützen. Ein blutdurchtränkter Fetzen war um seinen rechten Oberschenkel gewickelt.

Etwa vierzig, fünfzig Männer umringten ihn, schrien aufgeregt durcheinander, geleiteten ihn zur Halle.

»Die Awaren kommen!« gellte es aus ihrer Mitte herauf.

»Der Himmel bewahre uns vor diesen Teufeln!.« stöhnte die alte Kammerfrau. »Das wäre ja ein entsetzliches Unglück! Soll ich hinuntergehen, Herrin, und mich erkundigen?«

Sie wollte davoneilen.

Doch da tauchte am Ende des Ganges ein Jüngling von etwa siebzehn Jahren auf, lief herbei, schwenkte die Arme und rief mit überkippender Stimme: »Mutter!. Die Awaren sind eingefallen Der Kommandant von Nemas hat es gerade gemeldet, mit Mühe ist er ihnen entkommen. Es wird Krieg geben! «

Die beiden Mädchen schrien auf.

Romilda gebot ihnen, in die Frauengemächer zurückzukehren. Ihr langes Übergewand raffend, ergriff sie den Arm ihres Sohnes.

»Wo ist dein Vater, Kako?«

»In der Halle.«

»Gehen wir zu ihm!«

Sie fand den Herzog, ihren Gemahl, im ehemaligen Atrium des römischen Prachtbaus, das jetzt den Langobarden als Festhalle diente. Zwischen den beiden Reihen gedrungener Säulen und den Wänden mit verblichenen Gemälden drängte sich die herzogliche Gefolgschaft. Gisulf, der Zweite seines Namens, kahlköpfig, breit und beleibt, mit mächtigem Bart, stand inmitten des Kreises, den sie um ihn und den Ankömmling gebildet hatten.

»Nein, das ist keine gewöhnliche Grenzverletzung! « rief er, beide Fäuste schüttelnd. »Das ist mehr, sie wollen uns in die Knie zwingen. Und es ist klar, wer dahintersteckt: der König! Ja, niemand anders als Ago – und seine machtbesessene Betschwester, die Königin Theudelinde! Der Herzog von Friaul ist ihnen zu unabhängig geworden, sie wollen ihn loswerden. Natürlich können sie nicht offen gegen uns vorgehen. Ich habe zu viele Freunde unter den Großen der Langobarden. Sie würden riskieren, daß sich die meisten auf unsere Seite schlagen. So haben sie es schlau angefangen und die Awaren gegen uns aufgehetzt. Diese barbarischen Höllenkrieger sollen uns niederwerfen, während sich Ago zurückhält und wartet, bis alles erledigt ist. Aber er unterschätzt unsere Widerstandskraft. Soll er nur warten! Die Zeit wird ihm lang werden!«

Zustimmung wurde geschrien. Schulter an Schulter standen die Männer, blickten grimmig unter dem blonden und rötlichen Haargewirr, das ihnen, im Nacken gestutzt, tief in die Stirnen und über die Ohren hing. Einige bemerkten Romilda und drängten andere zurück, so daß eine Gasse entstand.

»Tritt näher, Frau!« rief der Herzog. »Und höre, was uns der König für Gäste schickt! Awarenhaufen mit Sklaveniern als Hilfstruppen! Räuber und Mörder! Die Nachricht überbrachte mir Faroald, den du ja kennst ...«

Romilda trat in den Kreis und sah nun den Mann aus der Nähe, der sich bei ihrem Anblick von einer Bank erhob. Es fiel ihm schwer, doch er richtete sich zu seiner alle anderen überragenden Größe auf und machte vor ihr eine Verbeugung.

Wie hager und grau er geworden ist! dachte Romilda und sagte: »Behalte doch Platz! Du bist verwundet?«

»Das ist ohne Bedeutung, Herrin«, erwiderte Faroald, um ein Lächeln bemüht. »Nur ein Pfeilschuß.«

»Noch immer der tollkühne Held!« bemerkte der Herzog, der die beiden, versteckten Spott in den Augen, beobachtete. »Er hat einen ihrer Haufen durchquert, als sei es ein Rudel Hunde.«

»Das war keine Heldentat«, sagte der Hüne. »Es war nur verzweifelte Flucht. Mein Jagdgefolge war nicht mehr zu sehen, ich fand mich auf einmal abgeschnitten. Zum Glück bemerkten sie mich zu spät und schickten mir nur ein paar Pfeile nach. So kam ich durch.«

»Und trotz der Verwundung ritt er noch zwanzig Meilen hierher«, fügte der Herzog hinzu. »Sehr lobenswert!«

Und indem er Faroald nötigte, sich wieder zu setzen, fuhr er fort: »Trotzdem wäre es besser gewesen, mein Freund, du hättest dich gleich zu deiner Festung begeben und mir einen Boten geschickt. Ich hoffe, Nemas wird zuverlässig verteidigt. Es ist nicht gut, daß der Kommandant nicht anwesend ist, wenn Belagerung droht.«

»Was heißt das, Herzog?« Faroald blickte unmutig auf. »Du lobst und tadelst mich gleichzeitig? Nennst mich im selben Atemzug tapfer und verantwortungslos?«

»Nicht verantwortungslos. Ich meine nur, etwas Umsicht wäre besser gewesen.«

»Ich dachte, die Größe der Gefahr und der Wunsch, euch zu warnen, würde mich rechtfertigen.«

»Das tut es ja auch. Außerdem bist du durch deine Verletzung entschuldigt.«

»Entschuldigt?«

»Ich lasse sofort den Arzt rufen«, sagte Romilda rasch, als Faroald wieder aufstehen wollte. »Er soll die Wunde untersuchen.«

»Ich habe mich schon um ihn bemüht!« rief aus dem Hintergrund der weißbärtige Kämmerer Billo. »Aber der Kerl ist stockbetrunken.«

»So werde ich selber ...«

»Nicht nötig!« wehrte Faroald ab. »Ich habe die Pfeilspitze schon entfernt und die Wunde an einer Quelle gereinigt. Unwichtig! Wenn du es wünschst, Herzog, sitze ich nach einem Trunk Wasser wieder im Sattel und reite nach Nemas.«

»Warum so empfindlich?« entgegnete Gisulf. »Besser wird sein, du ruhst dich hier aus und kurierst dich erst einmal. Damit du bald wieder in den Kampf ziehen kannst. Wir werden jeden Mann brauchen, wenn es zum großen Zusammenstoß kommt.«

Ein hoch aufgeschossener junger Mann schob sich nach vorn, begeistertes Leuchten in den Augen.

»Du gibst mir doch eine Tausendschaft, Vater? Ich hab für den nächsten Krieg dein Versprechen!«

»Wir werden sehen. Gedulde dich, Taso! Das hängt davon ab, wie viele wir aufbieten können. Wir müssen so schnell wie möglich alle verfügbaren Kräfte zusammenziehen. Wenn wir ausrücken ...«

»Solltest du ausrücken, bleibt er hier!« erklärte Romilda entschieden. »Er ist noch zu jung, völlig unerfahren. Daß er ins Feld zieht, erlaube ich nicht!«

»Misch dich nicht ein, Mutter, das ist nicht deine Sache!« rief Taso.

Romilda beachtete ihn nicht und trat nahe an ihren Gemahl heran, den sie, eine große, stattliche Frau, um halbe Haupteslänge überragte.

»Muß es denn überhaupt zum Kampf kommen? Vielleicht ziehen sie sich wieder zurück, so wie früher!«

»Darauf verlasse dich lieber nicht«, sagte Gisulf. »Der Kampf wird nicht zu vermeiden sein. Deshalb wird alles, was Waffen tragen kann, jetzt hierher befohlen. Dazu die Hilfstruppen, die Romanen, Sarmaten ...«

»Wir sollten uns auch nach einem Verbündeten umsehen!« riet ein kostbar gekleideter Langobarde, fast kahl, mit schlauen Augen und grämlicher Miene, der ein jüngeres, doch etwas geschrumpftes Ebenbild des Herzogs zu sein schien.

»Einen Verbündeten? Nun, ich weiß, wen du meinst. Den Exarchen in Ravenna. Aber die Kaiserlichen sind mir nicht wohlgesinnt – seit meiner letzten Versöhnung mit dem König. Sie würden zu hohe Bedingungen stellen.«

»Mir scheint, du hast keine andere Wahl«, beharrte Grasulf, der Bruder des Herzogs, in einem Ton, als quäle es ihn, über Selbstverständlichkeiten zu reden. »Willst du allein in den Kampf mit den Wilden? Vielleicht unterliegen und alles verlieren? Würdest du nicht mit ein paar Zugeständnissen an den Kaiser von Ostrom ...«

»Schweig!« Den Herzog ärgerte, daß Grasulf diese Erörterung vor aller Ohren begonnen hatte. »Soll ich mich ihm in die Arme werfen? Damit er mich am Ende erdrückt? Hätte ich mir den König, der immerhin Langobarde ist, vom Leibe gehalten, um Knecht des Kaisers zu werden? Nein! Ich fürchte mich nicht vor den awarischen Horden! Ich werde allein mit ihnen fertig! Was verstehen sie schon von Kriegsführung? Ja, es sind Wilde, sie stürmen drauflos ... ohne Zucht, ohne Ordnung, wie blödes Vieh. Ein einziger langobardischer Krieger wiegt drei Awaren auf! Was sage ich? Fünf! Ja, sogar zehn!«

In der Gefolgschaft ringsum erhob sich abermals Beifall, mit Begeisterung bei den einen, pflichtschuldigst bei den anderen.

Zwei Knaben, zwölf und zehn Jahre alt, hölzerne Kinderschwerter am Gürtel, Bogen und Köcher umgehängt, drängten sich neugierig in den Kreis.

Der Herzog bemerkte sie, zog den jüngeren zu sich heran, hob ihn auf seine Arme und fragte ihn: »Was meinst du, Grimoald? Werden wir siegen?«

»Wir siegen, Vater!« krähte der Knabe. »Wir jagen sie zurück in die Steppe!«

Der Herzog lachte und rief: »Männer! Das Wort meines jüngsten Sohnes soll unser Schlachtruf sein: Zurück in die Steppe mit ihnen! Wir werden nicht lange zögern, damit sie nicht Zeit finden, weitere Haufen heranzuholen. Ein überraschender Angriff wird sie niederwerfen. Jetzt heißt es: Boten auf den Weg! Sämtliche Edlen von Friaul sind ohne Verzug zu benachrichtigen. In spätestens acht bis zehn Tagen sollen sie mit allem verfügbaren Kriegsvolk zu uns stoßen!«

Die Versammlung löste sich auf. Jeder der Männer war nun bestrebt, zu Wort zu kommen und seine Meinung zu äußern. Es ging in den Krieg. Endlich, sagten die Jüngeren, höchste Zeit, daß Gelegenheit kommt, sich auf der Walstatt auszuzeichnen, nicht nur bei Übungen auf dem Waffenplatz. Die Älteren warnten vorsichtig, soweit der Respekt vor dem Herzog es zuließ. Nicht unterschätzt werden dürfe der Feind, dieses unbekannte Volk aus dem Osten, das dort, wo es auftrat, fast immer erfolgreich war, selbst gegen die sieggewohnten Franken.

Gisulf befahl seinen Marschalk und den Hauptmann seiner Leibwache zu sich, um mit ihnen die Boten und die schnellsten Pferde auszuwählen.

Bevor sie zu den Ställen hinübergingen, wandte er sich noch einmal der Herzogin zu. Bei ihr, den Arm um sie geschlungen, stand Radoald, der Zwölfjährige. Eifersüchtig auf seinen jüngeren Bruder, den der Vater wie immer bevorzugt hatte, suchte er die Nähe der Mutter.

Ein rascher Blick des Herzogs ging von Radoald zu dem verwundeten Mann auf der Bank, der den Jungen, seit dieser aufgetaucht war, nicht aus den Augen gelassen hatte.

Gisulf lächelte starr, auch etwas spöttisch und verächtlich, als er nun seine Gemahlin ansah und sagte: »Unseren Helden gebe ich in deine Obhut. Kümmere dich um ihn, damit er schnell wieder kampftüchtig wird. Dir mag das am besten gelingen!«

Kapitel 2

Die Halle leerte sich, alles war jetzt draußen geschäftig. Das offene Portal gab den Blick in den Hof frei, wo die Männer in Gruppen beisammenstanden. Kommandos ertönten. Pferde wurden von Knechten herbeigeführt. Einige Jüngere vom Gefolge, die es nicht mehr erwarten konnten, kreuzten schon übermütig die Klingen.

Auch Grimoald stürmte hinaus, und Radoald wollte ihm folgen. Die Herzogin hielt ihn aber zurück.

»Laß mich doch, Mutter!« bat der Knabe. »Ich möchte dort mitmachen!«

»Begrüße erst diesen tapferen Recken!« befahl Romilda. »Es ist Herr Faroald aus Nemas.«

»Heil, edler Herr!« sagte Radoald und verbeugte sich knapp, die Stirn gerunzelt, trotzig und ungeduldig.

Faroald griff nach seiner Hand. Im Blick des Mannes waren gleichzeitig Freude und Schmerz. Seine Stimme zitterte, als er sagte: »Hab Dank, mein Junge! Du übst dich also fleißig im Waffengebrauch. Recht so! Wenn du erwachsen bist, wirst du bedeutende Taten vollbringen.«

»Darf ich jetzt gehen?« fragte Radoald.

Aber der Mann hielt seine Hand und betrachtete ihn noch immer.

»Er ist ein kluger Junge und fleißig«, bemerkte Romilda, die beim Anblick der beiden Mühe hatte, ihre Bewegtheit zu unterdrücken. »Er kann auch schon etwas lesen und schreiben. Und ganze Gedichte sagt er auswendig her.«

»Bei uns in der Festung brauchen wir tüchtige Burschen für die Jungmannschaft«, sagte Faroald. »Hättest du Lust, nach Nemas zu kommen?«

»Das wird mein Vater bestimmt nicht erlauben.«

»Vielleicht tut er es doch. Ich würde mich selber um deine Ausbildung kümmern.«

Erfreut über diesen Einfall, strich er dem Jungen über den Kopf.

»Vielleicht später, noch ist er etwas zu jung«, sagte die Herzogin ausweichend. »Man weiß ja auch nicht, was nun wird. Du darfst jetzt gehen, Radoald.«

Der Junge riß seine Hand aus der des Mannes und rannte hinaus.

Eine Magd trat heran und brachte einen Becher Wein, den die Herzogin nun dem Gast zum Willkommen reichte.

Faroald trank mit langen Schlucken, so langsam, als fürchte er, den Becher absetzen und ein Gespräch beginnen zu müssen. Die Arme gekreuzt, an eine Säule gelehnt, sah Romilda ihm zu.

»Der erste Willkommenstrunk nach dreizehn Jahren«, sagte sie lächelnd, als er endlich, den leeren Becher in seinen Händen drehend, zu ihr aufblickte. »So lange haben wir uns nicht gesehen. Ich hörte, deine Frau sei gestorben.«

»Ja, schon vor einiger Zeit«, erwiderte Faroald. »In dem Herbst, als der König zum letzten Mal hier war. Das ist nun wohl bald zehn Jahre her.«

»Und hast du Kinder?«

»Auch sie sind tot. Ein Sohn, der seiner Mutter bei der Geburt das Leben nahm, starb bald nach ihr. Und kurz darauf folgte ihm seine ältere Schwester.«

»Wie einsam muß es um dich gewesen sein. Ich habe inzwischen acht Kinder. Doch drei sind auch mir gestorben.«

»Du bist eine starke Frau. Die meinige war sehr zart und zerbrechlich und nie ganz gesund. Die rauhe Bergluft da oben, die Kälte ... Ja, du bist stark, du hättest es ausgehalten!«

Zum ersten Mal ließ er den Blick auf ihr ruhen. In der Tat wirkte ihre Gestalt so erhaben und kraftvoll, als sei sie aus unvergänglichem Stein gemeißelt, der Säule gleich, an die sie sich lehnte. Das lange Gewand, mit vier Fibeln geschlossen, ließ breite, runde Schultern, eine prächtige Brust und starke Schenkel erkennen, wie man sie manchmal noch auf römischen Bildwerken, die die Zerstörungswut der Germanen verschont hatte, bei Kaiserinnen und Göttinnen sah. Romildas Gesicht war nicht eigentlich schön, doch gerade durch einige Unregelmäßigkeiten anziehend. Die tiefbraunen Augen, die unter dichten Wimpern leicht schielten, strahlten Wärme und Herzlichkeit aus, die kräftige, ein wenig vorgeschobene Unterlippe ließ auf ein ruhiges, beständiges Wesen schließen. Das reiche dunkelblonde Haar, erst spärlich von grauen Fäden durchzogen, war unter dem Schleier, aus dem sich einige Strähnen hervorstahlen, geflochten und hochgesteckt. Zwei goldene Haarnadeln, eine Kette mit Münzanhängern und ein paar Brakteaten am Gürtel waren ein eher unauffälliger Schmuck für die Herzogin.

Sie lächelte zu der Bemerkung des Mannes, doch nach ein paar Augenblicken des Schweigens sagte sie seufzend: »Wenn ich nur stark genug bin, um zu ertragen, was uns vielleicht jetzt bevorsteht. Wie denkst du darüber? Was ist deine Meinung? Können wir die Awaren vertreiben?«

Faroald wandte sich ab und starrte einen Augenblick auf das zerkratzte, kaum noch erkennbare Fußbodenmosaik.

»Soll ich offen sprechen?«

»Ja. Ich bitte dich.«

»Ich meine, der Herzog, dein Gemahl, macht einen Fehler, wenn er ihnen entgegenzieht. Sollten tatsächlich alle kommen, bietet er dennoch höchstens achttausend Mann auf. Dann sind sie noch immer in dreifacher Überzahl.«

»Aber er glaubt ja ...«

»Er glaubt, sie verstünden nichts von Kriegsführung. Sie haben gegen die Byzantiner und Franken gekämpft und manches von ihnen gelernt. Im übrigen sind sie die geborenen Krieger und werden mit jeder Lage fertig. Früher waren sie nur im Flachland gefährlich, wo sie die volle Wucht ihres Reiterangriffs entfalten konnten. Jetzt verstehen sie sich schon auf Gebirgskämpfe und, wie man hört, sogar auf Belagerungen. Der Khagan – du weißt wohl, so nennen sie ihren König – führt sie wahrscheinlich selbst an. Er ist noch jung und viel weniger Barbar als die meisten seiner Leute. Und er hat den Ruf eines tüchtigen Feldherrn. Ihn da draußen zu besiegen erscheint mir unmöglich. Er ist ständig auf Kriegszügen unterwegs. Und wann hat Gisulf zum letzten Mal eine Schlacht geschlagen?«

»Aber das würde ja bedeuten ...«

»Unsere Leute sinnlos zu opfern. Es war immer der Nachteil unseres langobardischen Stammes, daß wir zuwenig waffenfähige Männer hatten. Nach einer Schlacht gegen die Awaren werden wir dieses Herzogtum nicht mehr behaupten können.«

»Und was soll dann aus uns werden?«

»Flüchtlinge, Sklaven oder – Tote.«

Die Herzogin preßte die gefalteten Hände und hielt einen Augenblick den Atem an.

»Verzeih!« sagte Faroald. »Ich sollte dich wohl nicht so erschrecken.«

Sie fand nur mühsam die Sprache wieder.

»Warum hast du meinem Gemahl nicht gesagt, wie es steht?«

»Kommt mir das zu? Ich bin nur Gefolgsmann. Habe gemeldet, was ich gesehen habe und was ich unterwegs noch erfahren konnte. Flüchtende, die ich überholte, berichteten von brennenden Dörfern, hingemetzelten Bauern, Viehherden, die die Feinde forttrieben. Und von gewaltigen Heerhaufen, die von Osten heranziehen. Was jetzt zu tun ist, entscheidet Gisulf.«

»So schnell wie möglich will er ausrücken.«

»Selbstmord!«

Romilda glitt auf das Ende der Bank, beugte sich vor und ergriff Faroalds Arm.

»So hindere ihn daran! Ich bitte dich!«

»Wie könnte ich das? Ich gelte nicht viel bei ihm ... du weißt, warum. Was geschehen ist, wird er mir ewig nachtragen. Was immer ich sage und tue, wird sein Mißtrauen wecken. Du hast es eben gehört: Sogar daß ich herkam, um ihn zu warnen, macht er mir im Grunde zum Vorwurf. Er glaubt, ich suchte nur einen Anlaß und sei deinetwegen gekommen.«

»In einer solchen Lage? Wie abwegig!«

Einen Augenblick schwiegen sie. Sie saßen in geziemendem Abstand auf der Bank und vermieden es, einander anzusehen.

»Ganz unrecht hat er wahrscheinlich nicht«, begann Faroald wieder. »Es wäre noch Zeit gewesen, einen Boten zu schicken. Mit der Wunde hätte ich auch besser den kürzeren Weg nach Nemas genommen. Ich war in Sorge um den Jungen und ... ja, auch um dich. Um wen soll ich mich sonst noch sorgen? Ich mußte selber kommen, um ihm die ganze Gefahr ...

»Aber du hast ja nicht gesprochen!«

»Gesprochen habe ich, doch wohl nicht klar genug. Deshalb solltest du mit ihm reden!«

»Ich?« Sie lachte kurz und traurig auf. »Er wird auf mich hören! Und was soll ich raten? Abwarten? Nichts tun? Und dann?«

»Unsere Festungen sind in gutem Zustand, besonders diese – Forojuli. Wochen, Monate könnte er einer Belagerung standhalten. Dann allerdings müßte Hilfe kommen.«

»Und woher? Von den Kaiserlichen? Das hat mein Schwager ja bereits vorgeschlagen. Du hast gehört, was mein Gemahl ...«

»Ich spreche nicht von den Byzantinern. Ich meine unsere Stammesbrüder.«

»Das heißt ...«

»Ja, den König. Und die Herzöge. Langobarden! Nur Langobarden können helfen.«

»Gisulf ist überzeugt, der König selbst habe uns die Awaren auf den Hals gehetzt.«

»Mag es so sein. Ago ist ein Dickschädel und nicht zimperlich, ebenso wie dein Gemahl. Der König verträgt es nun einmal nicht, seine Macht geschmälert zu sehen ... durch einen eigensinnigen Herzog, der ihm Waffenhilfe verweigert, auf eigene Faust Bündnisse schließt und nichts zur Mehrung seines Schatzes beiträgt. Er will ihm eine Lehre erteilen. Wenn der ihn aber ... ich meine, wenn er ihn jetzt um Hilfe bäte ...«

»Das würde Gisulf niemals tunt«

»Um so schlimmer für ihn ... und für uns alle. Einen anderen Ausweg ... sehe ich nicht. Rede mit ihm ... Versuche es ... Du solltest ihm ... unbedingt raten ... sage ihm ... es wäre notwendig ... daß er auch ...«

Romilda, abgelenkt von ihren Sorgen und Ängsten, nahm erst jetzt wahr, daß Faroald zunehmend Mühe hatte, die Worte zu formen. Er keuchte, Schweiß rann ihm von der Stirn in den Bart, seine Lippen bebten. Mit beiden Armen stützte er sich auf den Marmor der Bank, als würde er sonst jeden Augenblick umsinken.

»Verzeih mir!« rief sie. »Oh, wie herzlos von mir! Ich rede mit dir und lasse dich unversorgt, dabei bist du verwundet! Hast du Schmerzen? Es scheint mir auch, du hättest Fieber!«

»Nein, es ist nichts! Der schnelle Ritt ... die Anstrengung ... Ein wenig Ruhe ... und in ein paar Stunden ... spätestens morgen ...«

Die Herzogin war schon aufgesprungen und winkte zwei Knechte herbei.

»Ich lasse dich in einen Raum tragen, wo du ungestört sein wirst. Du brauchst auch ein Bad. Unter meinen Frauen ist eine, die mehr versteht als der Medicus. Ich schicke sie dir! Und auch ich selber ...«

Die beiden Knechte sprangen hinzu und verhinderten gerade noch, daß der Verwundete rücklings von der Bank fiel. Die letzten Worte Romildas hatte er nicht mehr gehört.

Kapitel 3

Forum Julii war der römische Name der Stadt, und lange Zeit hatte auf dem Forum, dem Marktplatz, ein Standbild an ihren Gründer Julius Cäsar erinnert. Im Lauf der Jahrhunderte hatten die Römer die kleine Handelsniederlassung zu einer stolzen Festung ausgebaut, die das Hügelland von den Julischen Alpen und damit den östlichen Zugang nach Norditalien beherrschte. Nach dem Zusammenbruch des weströmischen Reiches war sie jahrzehntelang in der Hand der Ostgoten, danach kurzzeitig auch der Byzantiner gewesen. Im Frühjahr 568 dann geriet sie als erster größerer Ort in Italien in den Besitz der Langobarden, die als verspätete Nachhut der großen germanischen Wanderbewegung ihre Siedlungsgebiete an der mittleren Donau verlassen hatten. Bevor er mit seiner Hauptmacht weiterzog, übergab der Erobererkönig Alboin die Civitas Forum Julii, von ihren neuen Herren kurz Forojuli genannt, seinem Neffen Gisulf, damit er von hier aus die alte Provinz Venetia als Herzogtum regierte und das neue, erst noch zu schaffende Reich nach Osten hin sicherte.

Seither waren zweiundvierzig Jahre vergangen, und nun herrschte in Forojuli der Enkel jenes ersten Gisulf. Die Stadt aber hatte sich kaum verändert. Rechteckig angelegt wie üblicherweise ein römisches Castrum, war sie im Süden vom Steilufer des Flusses Natisso gesichert, nach den anderen Richtungen durch hohe Mauern und Türme. Wie früher war das Forum der Mittelpunkt, wo sich die beiden Hauptstraßen, der Decumanus und der Cardo maximus, kreuzten. Eine gewaltige Basilika beherrschte den Platz, die einstige römische Gerichtshalle. Die Kämpfe und Wirren der letzten eineinhalb Jahrhunderte waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen, Säulen und Wandschmuck waren beschädigt, die Statuen in den Nischen zerstört, Türen und Treppen herausgerissen. Dennoch blieb sie das Herz der Stadt. Da es die Herzöge vorzogen, in ihrem Palast zu Gericht zu sitzen, war sie Händlern, Bauern, Wucherern, Advokaten, Predigern, Mönchen, Spielleuten und allem Volk überlassen, das auf dem Forum zusammenströmte.

An diesem Apriltag des Jahres 610 war das Gedränge auf dem Wandelgang hinter den Säulen und in den Räumen der Halle so außerordentlich, daß daraus leicht auf die ungewöhnliche Lage zu schließen war, in der Forojuli sich seit einigen Tagen befand. Bald nach dem Überbringer der Unglücksnachricht von dem Awareneinfall waren schon Flüchtlinge eingetroffen. Auf die ersten Gerüchte hin hatten die Bauern in den Bergdörfern eilig Ochsen, Esel und ihre einfachen, auf dicken Scheibenrädern rollenden Karren mit Habseligkeiten beladen und sich zur Festung aufgemacht. Familien, aus mehreren Dutzend Köpfen bestehend, mit Hunden, Ziegen, Schafen und Federvieh drängten zu den Toren herein. Grasulf, der Kommandant der Festung, hatte ihnen anfangs Lagerplätze unter freiem Himmel zugewiesen, auf den Ödflächen längs der Mauer, doch wegen des kühlen, unbeständigen Wetters waren viele ohne Erlaubnis, nachts und heimlich in die Basilika eingedrungen, um sich dort niederzulassen. Man vertrieb sie nicht, drängte sie aber in die Ecken, damit Platz für die Händler blieb. Vor einer Woche erst war ein Kaufmannstreck aus Verona gekommen, wollte weiter auf dem Landweg nach Dalmatien und Illyricum. Dies war nun auf einmal ein risikoreiches Unterfangen, und nur einige Mutige zogen weiter. Die übrigen waren zur Umkehr entschlossen, blieben aber vorerst, um wenigstens hier noch einen Teil ihrer Waren mit mäßigem Gewinn zu verkaufen. In und vor der Basilika schrien sie ihre auf Tischen und Teppichen ausgebreiteten Waren aus – Kleidungsstücke, Schuhe, Gürtel, Werkzeuge, Waffen, Schmuckgegenstände und anderes.

Für Lärm und Aufregung sorgte aber vor allem die Jungmannschaft des herzoglichen Gefolges, die das Forum an diesem Tag zu ihrem Waffenübungsplatz gemacht hatte. Auf dem Palasthof, wo jetzt Stunde um Stunde das überall aufgebotene Kriegsvolk anrückte, war es zu eng geworden für Reiter und Fechter. Mitten auf dem Platz saß auf einem tänzelnden Rappen Taso, der neunzehnjährige älteste Sohn des Herzogs, rief Kommandos, hetzte die Jungmannen gruppenweise gegen den angenommenen Feind. Dieser bestand aus Köpfen von Rindern und Schweinen, schwankend auf hohen Stangen, grausig und blutig, wie wohl Awarenfratzen aussehen mußten. Die jungen Männer galoppierten heran, warfen auf Befehl ihre Speere und Lanzen, und die Gaffer ringsum schrien auf, wenn sie trafen. Fielen Köpfe, rannten Knechte herbei, steckten sie wieder auf die Stangen. Wer sich besonders auszeichnen wollte, machte kehrt, als wolle er fliehen, und schleuderte seine Lanze kunstvoll rückwärts über die Schulter. Zwei junge Krieger, Subo und Hildigis, taten sich dabei hervor, wetteifernd, angefeuert von ihren Gefährten.

Subo war breit und kräftig, stiernackig, mit strohblondem, über den Augen gerade abgeschnittenem Haar, ein junger langobardischer Edler in Seidentunika, Silberbeschläge am Gürtel. Meist war er auf seinem stämmigen Gaul als erster heran, warf seine Lanze aus allen Lagen. Fast immer traf er, brüllte dann selber begeistert auf, winkte beifallspendenden Zuschauern. Um sich durch ungewöhnliche Treffer hervorzutun und günstige Wurfwinkel zu gewinnen, scheute er nicht davor zurück, anderen in die Bahn zu reiten, sie wegzustoßen, Stürze herbeizuführen. Einige beklagten sich laut über ihn, doch Taso schien nichts zu hören. Er lachte auch nur, als Subo den einzigen, der es mit ihm aufnehmen konnte, durch ein hinterhältiges Manöver, das dessen Pferd erschreckte und hochsteigen ließ, aus dem Sattel warf.

Der andere, Hildigis, sprang auf, fing das Pferd ein, ballte ärgerlich die Faust. Er packte den Rist und wollte sich gerade wieder hinaufschwingen, als in der Nähe sein Name gerufen wurde.

Es war Appa, die achtzehnjährige älteste Herzogstochter, die bei einem der Händlertische stand und ihm winkte.

»Hildigis, komm! Du mußt mir helfen!«

Der junge Mann überließ sein Pferd einem anderen und eilte zu ihr.

Er war ein hübscher, schlanker, dunkelhaariger Bursche, trotz seines langobardischen Namens aus einer edlen Romanenfamilie gebürtig. Diese schien allerdings nicht reich zu sein, der leinene Kittel, den er trug, war grob und schon etwas zerschlissen, schmucklos und abgeschabt war auch der lederne Gürtel, in dem ein Sax mit schartiger Klinge steckte.

Taso bemerkte mit offensichtlichem Unmut, daß sich Hildigis seiner Schwester näherte.

»Was gibt es, Appa? Was kann ich tun?« rief der junge Mann, noch außer Atem.

»Du sollst nur entscheiden, mir fällt es zu schwer. Was meinst du? Steht mir dieses Band?«

Sie ließ sich von einem Händler, der Gürtel, Borten und Binden feilbot, ein blaues Stirnband reichen. Hildigis mußte ihr helfen, es zu befestigen. Während er sich zu ihr neigte und ihr Haar berührte, das blond und dicht wie das ihrer Mutter war, sagte sie leise: »Warum läßt du dir das von Subo gefallen? Zahl es ihm heim, er hat es verdient!«

»Ach, er will sich nun einmal hervortun«, sagte Hildigis, nachsichtig lächelnd. »Daran soll man ihn gerade jetzt nicht hindern.«

»Weißt du schon, daß ich ihn heiraten soll?«

»Was sagst du? Den Subo?«

»Ja. Es scheint, als sei es so gut wie beschlossen. Nur weil wir jetzt Krieg haben, wird es aufgeschoben. Wenn aber die Awaren vertrieben sind ...«

»Bist du denn nicht mit ihm verwandt?«

»Nicht so, daß Heirat nicht möglich wäre.«

»Das ist sehr traurig«, murmelte er. »Wenn es nun aber so beschlossen ist ...«

»Noch ist es ja nicht bekanntgegeben. Und vielleicht weigere ich mich auch. Gefällt es dir?«

Sie trat lächelnd zurück, damit er die Wirkung des Bandes begutachten konnte.

Auch sonst war Appa ihrer Mutter sehr ähnlich, braunäugig, groß und kräftig entwickelt, doch waren ihre Züge regelmäßiger und etwas strenger.

»Ja, es gefällt mir«, sagte Hildigis, noch immer betroffen von Appas Worten. »Es steht dir wirklich sehr gut.«

»Wir können ja auch noch weitersuchen.«

»Vielleicht will das edle Fräulein etwas Besonderes, etwas Kostbares«, sagte der Händler, ein Kästchen öffnend.

»Sie sind schön«, meinte Appa mit einem Blick auf die mit Goldstickerei verzierten Stirnbänder. »Doch leider zu teuer.«

»Probiere sie nur!« Der Händler, der anscheinend wußte, wen er vor sich hatte, machte eine Verbeugung. »Wähle, mein edles Fräulein, wähle! «

»Laß es bleiben, Schwester!« sagte Taso, der plötzlich neben ihr stand. »Dein Leibsklave wird dir das wohl nicht kaufen können. Er besitzt ja nicht mal ein richtiges Schwert!«

Gelächter erhob sich hinter ihm. Auch Subo und andere waren herangetreten.

Hildigis errötete heftig.

»Was ihn jedoch nicht berechtigt«, fuhr Taso fort, »sich bei einer Waffenübung ohne Befehl eine Ruhepause zu gönnen.«

»Ich war es, die ihn gerufen hat!« sagte Appa mit scharfer Betonung und sah ihren Bruder fest an. »Weil ich dringend mit ihm zu reden hatte.«

»Was hast du mit dem schon zu reden? Wahrhaftig, Schwester, das paßt mir nicht!«

»Wenn du einen Ratgeber suchst, schöne Appa«, mischte sich Subo ein, »solltest du dich an einen Besseren wenden. Ich zum Beispiel sehe mit sicherem Blick, was dich kleidet.«

Er nahm eines der Bänder aus dem Kästchen und warf dem Händler ein Goldstück hin.

»Nun, was sagst du dazu?« rief Taso. »Er macht dir ein kostbares Geschenk. Bedankst du dich nicht?«

»Ich werde es dir auch gleich selber ...« Subo hob mit breitem Lächeln die Hand und wollte Appa das Stirnband anlegen.

»Laß das, ich will es nicht!« sagte sie, wobei sie zurückwich und ihm den Rücken wandte. »Gehen wir!« rief sie der alten Pelagia zu, die gerade mit Gaila, der zweiten Herzogstochter, herankam.

Verblüfft und wütend blickte Taso ihr nach.

»Und was mache ich nun damit?« sagte Subo und starrte auf sein verschmähtes Geschenk.

»Gib es doch mir!« rief Gaila. »Ich werde dir ganz bestimmt dankbar sein!«

»Da, nimm es!«

Er warf es ihr zu und war froh, daß sich in diesem Augenblick alle Aufmerksamkeit dem Cardo maximus zuwandte.

Wieder einmal näherte sich dort, wie mehrmals bereits seit dem frühen Morgen, ein Zug von Flüchtlingen. Begleitet vom Geschnauze der Wachmänner, die ihnen einen Lagerplatz zuweisen sollten, schleppten sie sich heran. Es waren überwiegend Alte, Frauen und Kinder, mit Säcken, Körben und ärmlichem Hausrat beladen, an Stricken magere Kühe und Ziegen hinter sich herzerrend.

»Wo sind die Männer?« ereiferte sich Taso. »Sie drücken sich vor dem Aufgebot, die verdammten Gepiden und Sklavenier! «

»Diese hier scheinen Sarmaten zu sein«, meinte Subo. »Ja, du hast recht, die Feiglinge haben sich in den Bergen verkrochen. Warten ab, bis wir Langobarden für sie die dreckige Arbeit erledigt haben.«

»Dafür büßen sie, wenn wir gesiegt haben!«

»Vielleicht sind es aber auch schon die ersten Awaren«, scherzte Subo. »Guckt euch mal den dort an, den Hinkefuß! Sieht er nicht wie der Teufel selbst aus?«

»Vielleicht ist es der Khagan!« schrie einer. »Er befehligt die Vorhut persönlich!«

Die jungen Männer, die Taso und Subo umstanden, brachen in ein tolles Gelächter aus. Auch die Menge ringsum fiel ein. Die Heiterkeit galt einem zerlumpten, von Pockennarben entstellten älteren Mann, der sich plötzlich aus der Gruppe der Ankömmlinge gelöst hatte und, ein steifes Bein nachziehend, über den Platz lief Ständig die Richtung wechselnd, versuchte er, einen struppigen Hund einzufangen. Aufgeregt rannte dieser zwischen den Stangen umher und kläffte hinauf zu den blutigen Tierköpfen. Der Alte stieß kehlige Laute aus, aber der Hund wollte ihm nicht gehorchen, auch dann nicht, als er vom Boden einen zerbrochenen Lanzenschaft aufhob und drohend als Knüppel schwang.

Das Gelächter schwoll an, und Rufe ertönten.

»Seht mal, dem Khagan läuft sein Krieger davon!«

»Wie traurig! Kann man da tatenlos zusehen?«

»Wer hat Mitleid? Wer hilft ihm?«

Schon flog eine Lanze über den Platz. Bogen wurden gespannt, mehrere Pfeile schnellten von den Sehnen.

Der Hund jaulte auf, brach getroffen zusammen.

»Sieg! Die Vorhut ist schon vernichtet!«

»Die anderen Hunde erwischen wir später!«

»Seht mal, der Khagan ist verzweifelt!«

»Warum jagen wir ihn nicht, Männer?« schrie Subo.

»Ja!« stimmte Taso bei. »Setzen wir ihn auf ein Pferd! Schließlich ist er ein König!«

Die ganze Rotte stürmte hinaus auf den Platz.

Der Hinkende kniete bei dem Hund und versuchte, den Pfeil aus dem zuckenden Körper zu ziehen. Nun wurde er hochgerissen und unter Gejohle zu den von Knechten gehaltenen Pferden geschleppt. Er sträubte sich, war aber natürlich zu schwach, um ernsthaften Widerstand zu leisten.

Einer der jungen Kerle lief mit einem Prunkmantel aus Brokat herbei, verfolgt von dem protestierenden Kaufmann, dem er das Kleidungsstück entwendet hatte. Der arme Teufel versank fast darin, als es ihm übergeworfen wurde. Schon hing er keuchend und zitternd auf einem Pferderücken, krallte die Finger in die Mähne.

Die Jungmannen und ihre Knechte bildeten einen weiten Kreis.

Ein Schlag mit der Gerte, die Hatz begann.

Der kleine, zottige Hengst stürmte los, trug seinen Reiter über das Forum. Geschrei und Schläge trieben ihn von allen Seiten an, so daß er mal hierhin, mal dorthin lief. Der Krüppel im Prunkmantel raste mit angstvoll aufgerissenen Augen umher, rohes Gelächter umtoste ihn. Bald merkte der Gaul, daß der Reiter schwach war, und er versuchte, ihn loszuwerden. Er senkte mit böse funkelnden Augen den Kopf, buckelte, machte Sprünge, stieg hoch. Der Unglückliche wurde geschüttelt, gestoßen, immer wieder beinahe abgeworfen. Verzweifelt hielt er sich oben, mit dem Kopf wackelnd, greuliche Laute ausstoßend.

Eine Alte löste sich aus dem Flüchtlingstreck, stürzte mit Geschrei auf das Pferd zu. Beinahe geriet sie unter die Hufe, wurde gerade noch zurückgerissen. Sonst wollte niemand Hilfe leisten.

Die Menge gaffte – mitleidig und entsetzt die einen, schadenfroh und lüstern die anderen.

»Aufgesessen!«

Als erster sprang Taso auf sein Pferd, Subo und ein paar andere folgten dem Beispiel. Ihre Lanzen gezückt, umkreisten die jungen Recken die Jammergestalt auf dem ungebärdigen Pferd. Der Krüppel preßte den Kopf an den Hals des Tieres und heulte auf, als die ersten Geschosse geflogen kamen. Laut lachten die jungen Männer, warfen sie sich doch die Lanzen nur zu, vermieden zu treffen. Der Spaß war köstlich, doch immer gefährlicher wurden die Würfe. Schon streifte die erste Eisenspitze den Rücken des Reiters, riß einen Fetzen aus dem kostbaren Mantel. Eine andere ritzte seinen Hals, an dem ein blutiger Streifen erschien.

»Seid ihr von Sinnen? Ihr bringt ihn noch um!«

Hildigis schwang sich auf sein Pferd, sprengte dazwischen. Diesmal war er es, der Subo behinderte, beinahe brachte er ihn zu Fall.

Da plötzlich schlug der kleine Hengst einen Haken und raste, den Kreis der Reiter durchbrechend, davon.

Subo, der sich noch gerade im Sattel hielt, brüllte: »Aufgepaßt! Der Khagan entkommt!«

Er riß den Arm hoch, schleuderte mit Wucht seine Lanze. Sie traf den unglückseligen Reiter. Er machte einen seltsamen Luftsprung, und zwischen dem Volk, das auseinanderstob, landete er auf den Stufen der Halle.

Die Menge stöhnte auf. Alles drängte sich um den Gestürzten.

Subo saß feixend im Sattel, beschwichtigte die anderen mit Gesten: Ein kleiner Unfall, nur ruhig, der Kerl erholt sich gleich wieder!

Taso gab den Befehl zum Sammeln.

Da schrie eine Frau: »Er ist tot!«

Appa, die sich mit ihrer Schwester und der Kammerfrau auf den Weg zum Palast machen wollte, hatte alles mit angesehen. Sie stand auch noch im Gedränge, als die Verwandten des Krüppels den Leichnam forttrugen. Die meisten schwiegen, nur wenige wagten zu grollen.

Einen Alten hörte sie sagen: »Übermütig sind unsere Herren. Ermorden einfach einen Menschen. Wenn Gott uns nicht alle dafür straft ...«

Schon wurden die Leute auseinandergetrieben. Taso kehrte mit seinem Gefolge in den Palast zurück.

Als Subo, herausfordernd um sich blickend, vorüberritt, wandte Appa den Kopf, sah zum Himmel auf und sagte mit klarer Stimme, so daß die Umstehenden es vernahmen und aufmerkten:

»Niemals heirate ich dieses Scheusal!«

Kapitel 4

Mitternacht war vorüber, aber Romilda ging nicht schlafen.

Am Nachmittag war ein Diener bei ihr erschienen und hatte gemeldet, daß der Herzog sie zu sehr später nächtlicher Stunde noch aufsuchen werde, um von ihr Abschied zu nehmen. Erschrocken hatte sie gefragt, ob es denn schon soweit sei, ob denn die Streitmacht am nächsten Morgen schon ausrücken werde. Der Diener hatte jedoch nichts Genaues gewußt und nur sagen können, man habe Befehl, die Marschkleidung und die Rüstung des Herrn in tadellosem Zustand zur frühen Morgenstunde bereitzuhalten.

Romilda hatte dann nach Billo, dem Kämmerer, geschickt, ihrem Vertrauten unter den herzoglichen Ratgebern. Dieser war erst nach Stunden erschienen, hatte sich damit entschuldigt, daß ihr hoher Gemahl ihn kaum noch von seiner Seite lasse, und schließlich ihre Befürchtungen bestätigt: Ja, die letzten Vorbereitungen würden getroffen, fünfhundert Mann aus Aquileia, die man noch ungeduldig erwartet habe, seien am Mittag endlich angekommen. Der Herzog wolle nun nicht mehr zögern, damit sein Plan, den Feind nicht erst Boden gewinnen zu lassen, ihn zu verblüffen, zu überrumpeln, frisch ausgeführt werde und nicht an der Schwerfälligkeit des Truppenaufmarsches scheitere. Es sei nun freilich, hatte Billo bekümmert hinzugefügt, kaum das zweite Drittel der befohlenen Kopfstärke erreicht, doch ohnehin gebe es kaum Hoffnung, daß sich noch viele einfinden würden. Man habe sogar ziemlich sichere Auskünfte über einige örtliche Machthaber, die sich gleich nach Empfang der Nachricht von dem Awareneinfall mit ihren Gefolgschaften nach Westen und Süden in eines der königstreuen Herzogtümer abgesetzt hätten.

Seit Stunden wartete Romilda mit wachsender Unruhe. In diesen Tagen der hektischen Kriegsvorbereitung war es ihr nicht ein einziges Mal gelungen, mit Gisulf unter vier Augen zu sprechen. Wenn sie ihn aufsuchte, war er beschäftigt und von einem Schwarm seiner Männer umgeben. Schickte sie eine Zofe, um ihn zu sich zu bitten, versprach er zu kommen, kam aber nicht. So war keine Gelegenheit gewesen, ihm ihre Bedenken und Ängste zu schildern, zu Besonnenheit und Vorsicht zu mahnen, zu warnen, zu flehen. Und nun stand bereits der Abschied bevor. Was würde sie jetzt noch erreichen? War sie imstande, im letzten Augenblick noch auf seine Entscheidung Einfluß zu nehmen?

Sie konnte sich keine Hoffnung machen, den Herzog mit weiblichen Mitteln zurückzuhalten, ihn mit dem Band ihrer Liebe zu fesseln. Sie hatte sich immerhin vorbereitet: ein Bad, etwas Duftöl, ein zartes Seidengewand. Allerdings wurde dergleichen weder erwartet noch gefordert. Gisulf pflegte sich sonst nicht anzumelden, sondern erschien bei ihr, wenn es ihm gerade einfiel, manchmal tief in der Nacht, zur ungelegensten Zeit. Ohne Umstände nahm er sich dann sein Gattenrecht, blieb aber nur selten bei ihr, verschwand danach wieder. Manchmal beschimpfte und schlug er sie auch, wenn er zu müde und zu betrunken war, um sein Vorhaben auszuführen. Dann sah er seinen männlichen Stolz durch ihre Kälte beleidigt und bezichtigte sie der Verwendung von Zaubermitteln und der Untreue. Das erstere traf durchaus zu, auch wenn sie es natürlich nicht eingestand. Seit ihrer letzten, sehr schweren Niederkunft, bei der das Kind gestorben, sie selbst aber gerade noch mit dem Leben davongekommen war, hörte sie auf den Rat ihrer Frauen. Besonders die alte Pelagia, ebenfalls Mutter einer zahlreichen Kinderschar, gab ihr nützliche Empfehlungen. Nun lagen in ihrem Bett versteckte Amulette, und sie bediente sich auch natürlicher Mittel, die die Fruchtbarkeit hemmen sollten. Sie hielt stets Salzwasser, Essig und Olivenöl bereit, benutzte Verschlußkappen aus mit Zedernharz oder Honig getränkter Wolle, nahm Spülungen vor. Gisulf wünschte sich weitere Söhne, doch sie war froh, daß ihre Zurüstungen sich bewährten, seit vier Jahren war sie nicht mehr schwanger geworden. Da seine Bemühungen erfolglos blieben, wurden seine Besuche immer seltener. Gewöhnlich vergnügte er sich mit Kebsen, die ihm bei seinen Gelagen Gesellschaft leisteten. Er zog sie dann gleich in seine Kammer hinter der Trinkhalle. Dort schlief er auch meist, in der sicheren Nähe seiner Getreuen, die vor der Tür auf den Bänken und dem Fußboden lagerten.

Die Nacht war kalt, doch obwohl sie fror, hatte Romilda auch kein Bedürfnis, zu Bett zu gehen. Sie war hellwach und wollte es noch sein, wenn der Herzog kam. Die meiste Zeit saß sie mit angezogenen Beinen, einen Umhang aus Otterfell über den Schultern, in ihrem hohen Armstuhl am Fenster. Hin und wieder erhob sie sich und goß Öl auf das einzige Lämpchen des vielarmigen Candelabrums, das jetzt noch brannte. Oder sie lupfte den schweren Vorhang zum Nebenraum und warf einen Blick auf das Bett, in dem ihre vier Töchter schliefen. Einmal trat sie auch in den Gang hinaus und sah in den Palasthof hinunter. Dort schritten die Wachen auf und ab, und unter den Bogengängen rührte sich noch immer das Kriegsvolk, das dort lagerte. Dumpfe Gespräche und leises Waffenklirren waren vernehmlich.

Wenn es für Gisulf außer der Macht, dem Ruhm und dem raschen Genuß etwas gab, das ihm etwas wert war, so war es das Leben und Wohlergehen der Kinder. Er liebte sie – mit einer Ausnahme ––