Über Martina André

Martina André wurde 1961 in Bonn geboren. Der französisch klingende Nachname ist ein Pseudonym und stammt von ihrer Urgroßmutter, die hugenottische Wurzeln in die Familiengeschichte miteinbrachte. Sie hat mit »Die Gegenpäpstin« sowie den Romanen »Das Rätsel der Templer«, und »Die Rückkehr der Templer« und »Das Geheimnis des Templers« vier Bestseller vorgelegt. Nun erscheint ihr vierter Templerroman »Das Schicksal der Templer«, die Fortsetzung der Abenteuer von Gero von Breydenbach. Martina André lebt heute mit ihrer Familie in der Nähe von Koblenz sowie in Edinburgh/Schottland, das ihr zur zweiten Heimat geworden ist.

Von der Autorin ebenfalls lieferbar sind: Die Gegenpäpstin, Schamanenfeuer, Die Teufelshure und Totentanz.

Mehr zur Autorin unter www.martinaandre.com

Informationen zum Buch

Episode III – Gefährliche Allianzen –

Herbst 1315 – Eifel/Bonn/Köln:

Jegliche Hoffnung auf ein Leben in Frieden und Wohlstand hat sich für Gero von Breydenbach mit dem plötzlichen Auftauchen eines Todfeindes aus früheren Zeiten zerschlagen. Weil er die Existenz seiner Eltern und seines Bruders retten will, ist er gezwungen, zusammen mit seiner schwangeren Frau Hannah und seinem Knappen bei Nacht und Nebel die Flucht ins Unbekannte anzutreten. Zu allem Übel muss er sich dabei auch noch einem alten Bekannten annehmen, den er abgrundtief hasst, und das nicht nur, weil dieser es auf seine Frau abgesehen hat. Bei seiner Flucht trifft Gero überraschend auf einige Ordensbrüder und Sir Walter of Clifton, einen ehemaligen Commander der schottischen Templer, der ihn für die Verteidigung eines unglaublichen Geheimnisses anwerben will.

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Martina André

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Episode III

Gefährliche Allianzen

Roman

Aufbau

Inhaltsübersicht

Über Martina André

Informationen zum Buch

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Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Anhang

Nachwort/Danksagung

Impressum

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EPISODE III

Gefährliche Allianzen

»Die Füchse haben Höhlen und
die Vögel haben Nester, aber der Sohn
des Menschen hat keinen Ort, wo er seinen Körper
niederlegen und sich ausruhen kann.«

(Thomas-Evangelium)

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KAPITEL 11

Herbst 1315

Breidenburg

Jagdzeit

Hannah saß seit mehreren Stunden mit Tom im Waschhaus der Breidenburg und wartete auf Geros Rückkehr. Obwohl sie ziemlich wütend auf ihn war, machte sie sich langsam Sorgen, weil er von seinem Ausritt am Nachmittag noch immer nicht zurückgekehrt war. Er hatte die Gräfin mit ihrem Gefolge begleitet und anschließend zu den Zisterziensern nach Hemmenrode gewollt, um irgendetwas für seinen Vater zu erledigen. Eigentlich hatte er am frühen Abend zur Burg zurückkehren wollen, aber inzwischen war es längst dunkel, was Hannahs Unruhe nur noch steigerte. Niemand bewegte sich in dieser Zeit gern bei Nacht durch unwegsames Gelände, und das nicht nur, weil die Straßenbeleuchtung noch nicht erfunden war. Bären, Wölfe, Luchse waren noch das Harmloseste, was einem außerhalb der Burgmauern und Häuser in die Quere kommen konnte. Viel gefährlicher waren die Menschen, die hinter Büschen und Bäumen lauerten, um sich auf eine schnelle und brutale Weise an Handelsreisenden, aber auch an Einheimischen zu bereichern, und dabei keine Rücksicht auf deren körperliche Unversehrtheit nahmen.

Straßenräuber. Allein das Wort ließ Hannah erschauern. Sie beruhigte sich damit, dass Gero und der Wachsoldat, der ihn begleitete, ausreichend bewaffnet waren und über die Kaltblütigkeit verfügten, diese Waffen im Notfall auch einzusetzen.

Tom wanderte derweil angespannt vor dem flackernden Kaminfeuer auf und ab. Immer wieder rollte er mit den Schultern, um seine in Mitleidenschaft geratene Muskulatur zu entspannen. Drei Tage in einem Gefangenenloch der Breidenburg, in dem man sich kaum drehen und wenden konnte, und eine entsprechende Vorbehandlung durch die Kerkerwachen hatten ihre Spuren hinterlassen.

»Also wenn du mich fragst«, bemerkte er und schnupperte naserümpfend am Ärmel des blütenweißen Unterwamses, das Richard von Breydenbach ihm zusammen mit einer kompletten Söldneruniform so großzügig überlassen hatte, »die Sachen riechen nach Mottenpulver oder was auch immer.«

»Der Weichspüler ist noch nicht erfunden«, erinnerte ihn Hannah mit einer leichten Ironie im Blick. »Was du da riechst, sind getrocknete Kräuter, die man in einem Jutesäckchen in die Kleidertruhen legt, um Ungeziefer fernzuhalten«, erklärte sie genervt. »Sei froh, dass du nicht weiter in deinem stinkenden Bademantel rumlaufen musst. Und überhaupt, im Verhältnis zu deinen abgetragenen Versandhausklamotten handelt es sich bei diesen Sachen um reinste Designermode. Alles handgenäht und von bester Qualität. Anselm war nicht ohne Grund so begeistert von Geros Templerumhang.«

»Warum bist du denn so aufgebracht?«, erkundigte sich Tom mit einem Stirnrunzeln. »Man wird doch wohl noch fragen dürfen.«

»Natürlich kannst du das, aber komm bitte nicht auf die Idee, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit deinen Unmut über die hiesigen Umstände rauszulassen. Ich habe schon genug Ärger damit, den Leuten hier irgendeine krude Geschichte aufzutischen, wo du herstammst, wer du bist und woher ich dich kenne. Abgesehen davon wäre es ohnehin besser, wenn du das Reden mir überlässt. Auf Hochdeutsch und dazu mit deinem dänischen Akzent versteht dich hier sowieso kein Mensch.«

»Ich habe einen Akzent?«, echauffierte er sich und stemmte die Hände in die Hüften. »Seit wann das denn?«

»Schon immer. Du lispelst das ›s‹ und bringst schon mal die deutsche Grammatik durcheinander – besonders wenn du müde bist oder was getrunken hast.«

»Das wird ja immer schöner«, beschwerte er sich. »Und warum sagst du mir das erst jetzt? Wir waren vier Jahre zusammen! Ich wüsste nicht, dass dich das damals gestört hätte!« Er schnaubte. »Ganz zu schweigen davon, ist mein Akzent wohl um einiges besser zu verstehen als das Kauderwelsch deines ach so wunderbaren Templers.«

»Bei uns in der Zukunft vielleicht, aber nicht hier, wo man als Fremder und mit einer anderen Sprache sofort Interesse und mitunter auch Misstrauen erregt. Je weniger du irgendjemandem hier auffällst, umso besser.«

»Wie stellst du dir das vor?«, fragte er provokativ. »Das wird ja immer schöner. Soll ich etwa zuerst einen Integrationskurs belegen, bevor ich dieses Waschhaus verlassen darf?«

»Nein, natürlich nicht.« Ihre Haltung war mit einem Mal ungewollt feindselig. »Aber falls es dir nicht gelingen sollte, in deine Zeit zurückzukehren, werde ich dir einiges mehr als nur Moselfränkisch beibringen müssen.«

»Ich hatte nicht vor, zu bleiben«, antwortete er scharf. »Schon vergessen? Und im Übrigen würde ich es hier keine Woche freiwillig aushalten. Dafür sind mir meine Gastgeber und auch das Mobiliar zu rudimentär. Wenn du verstehst, was ich meine. Sobald sich eine Gelegenheit dazu ergibt, bin ich wieder weg!«

»Hoffentlich«, sagte sie und funkelte ihn an.

Nicht zum ersten Mal stellte sie sich die Frage, wie sie ihr Herz an zwei so unterschiedliche Männer hatte verlieren können. Auf der einen Seite Tom, groß, schlaksig und nicht gerade sportlich, der seinen Urlaub am liebsten in einem Fünfsternehotel und aufwärts verbrachte. Auf der anderen Seite Gero, der schon rein äußerlich wie ein Naturbursche wirkte und keine Probleme damit hatte, wochenlang im Freien zu campieren und sich die Nahrung, die er dafür benötigte, selbst zu organisieren.

Tom schien ihre Gedanken zu erraten.

»Es tut mir leid. Ich wollte nicht herablassend sein, was die Menschen hier und ihre Art zu leben betrifft«, gestand er ihr, und seine braunen Augen nahmen jenen Dackelblick an, auf den sie schon bei ihrem ersten Kennenlernen hereingefallen war. Vielleicht hatte sie ihn deshalb nach einer Uni-Fete spontan mit zu sich nach Hause genommen. Aber es gab wohl noch andere Gründe, warum sie schon wenige Wochen danach mit ihm zusammengezogen war. Obwohl erst Mitte zwanzig, hatte sie damals unter Torschlusspanik gelitten, wie eine Freundin es einmal so treffend formuliert hatte. Ihre Sehnsucht nach einer festen, verlässlichen Beziehung hatte sie sogar bis in ihre Albträume verfolgt. Was vielleicht daran lag, dass sie in ihrer Kindheit nicht besonders viel Verlässlichkeit erlebt hatte. Ihre Mutter war mit einem italienischen Pizzabäcker nach Australien durchgebrannt, als sie fünfzehn war, und ihr Vater, ein Radartechniker bei der Bundeswehr, war noch vor ihrem Abitur an einem Hirntumor gestorben. Danach war ihr nur noch die Großmutter geblieben. Aber auch sie war verstorben, als Hannah gerade mal dreiundzwanzig war. Da sie sonst keinerlei Verwandte hatte, blieb ihr nur Tom, der als Doktorand der Physik einen seriösen Eindruck vermittelte, und vielleicht hatte sie sich erhofft, er würde der Richtige sein, mit dem sie eine Familie gründen und Kinder haben konnte. Mit Fragen nach seiner beruflichen Zukunft hatte sie sich immer zurückgehalten, weil er selbst so wenig erzählt hatte. »Zeitreiseexperimente«, wäre wohl das Letzte gewesen, was sie als Antwort erwartet hätte. Und wenn sie ehrlich war, hatte sie ihm damals sowieso nicht geglaubt. Als er ihr das erste Mal davon berichtet hatte, vermutete sie einen schlechten Scherz. Doch der bewusstlose Tempelritter aus dem beginnenden vierzehnten Jahrhundert, den er schwerverletzt in ihr Bett gelegt hatte, war am Ende Beweis genug gewesen, dass die Geschichte kein Witz war, sondern tödlicher Ernst.

Tom räusperte sich, um die Distanz zu durchbrechen, die plötzlich zwischen ihnen entstanden war. »Was ist aus den Leuten geworden, mit denen du …«, er stockte einen Moment und strich sich verlegen die feuchten braunen Locken zurück, was ihn irgendwie sexy aussehen ließ, »… ohne die Genehmigung der NSA in die Vergangenheit gereist bist? Tanners Bericht war dahingehend nicht vollständig. Ich meine … bevor ihr in diese Höhle gegangen seid. Haben alle überlebt?« Er war stehen geblieben und schaute sie durchdringend an.

»Ich kann es nicht beschwören, aber ich hoffe es doch«, erwiderte Hannah. »Ich weiß nur von Johan und Freya, sie sind in Flandern gelandet, und Struan und Amelie leben anscheinend in Schottland, wie ich aus einer Depesche erfahren habe, die noch vor unserer eigenen Ankunft die Burg erreichte. Aber jetzt, nach allem, was Tanner berichtet hat, bin ich mir fast sicher, dass wir nicht die Einzigen sind, deren Vision auf irgendeine mystische Weise erfüllt wurde.«

»Und wohin wollten die anderen?«

»Woher soll ich das wissen? Es ging alles so schnell. Wir konnten uns nicht mehr absprechen, und dummerweise gibt es hier weder Internet noch Telefon«, fügte sie achselzuckend hinzu.

»Dann weißt du auch nicht, was aus Anselm geworden ist?«

»Ich sagte doch, ich habe nicht die geringste Ahnung. Als ich ihn das letzte Mal in dieser Höhle gesehen habe, war er mit Stephano de Sapin zusammen.« Hannah straffte ihre Schultern und blickte Tom unvermittelt in die Augen. »Sie waren ein Paar. Wusstest du das?«

»Nein.« Tom schüttelte verblüfft den Kopf. »Anselm? Von ihm hätte ich am wenigsten vermutet, dass er auf Männer steht. Aber so, wie es aussieht, ist meine Menschenkenntnis ohnehin keinen Pfifferling wert.«

Er betrachtete sie einen Moment lang nachdenklich von der Seite, bevor er fortfuhr. »Und was ist mit dir?«, fragte er vorsichtig.

»Was soll mit mir sein?«

»Du bist doch noch schwanger, oder?«

»Ja, natürlich«, sagte sie und strich sich mit einem sanften Lächeln über die kaum sichtbare Wölbung. »Ich komme nächste Woche in den sechsten Monat, und es ist schon ganz schön munter. Willst du mal fühlen?«

»Nein, danke« erwiderte Tom. »Ich glaube es dir auch so.«

»Seltsam, oder?«, meinte Hannah verträumt. »Die Schwangerschaft ist ganz normal fortgeschritten, obwohl wir fast tausend Jahre durch die Zeit gereist sind.«

»Glückwunsch, kann ich da nur sagen. Aber du hast dich ja auch nicht verändert«, gab Tom zurück und betrachtete sie mit einem verträumten Blick. »Du bist sogar noch schöner als früher.«

»Und du reist siebenhundert Jahre durch die Zeit, um mir plötzlich Komplimente zu machen?« Sie lachte verlegen. »Erstaunlich, was so ein Transfer alles bewirken kann.«

»Bis auf die Zeitverschiebung bleiben die physikalischen und biologischen Gesetzmäßigkeiten unbehelligt«, sagte Tom und überging ihre Bemerkung. »Etwas, worüber wir froh sein sollten, denn ansonsten wäre ein solcher Transfer gar nicht möglich.«

»Da bin ich aber beruhigt«, gab sie mit einem Seufzer zurück. »Und ich dachte schon, du wärst durch den Transfer zu einem Gentleman mutiert. Dabei denkst du wie immer nur an deinen Job. Das sieht dir mal wieder ähnlich.«

»Du hast Nerven«, stöhnte Tom. »Hast du eine Ahnung, welche Sorgen ich mir gemacht habe, nachdem du spurlos verschwunden warst? Ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dich je lebend wiederzusehen. Geschweige denn, dass das Kind in deinem Bauch diese Strapazen überlebt. Umso beruhigender ist es für mich, dich hier bei bester Gesundheit zu finden.«

»Ja, du hast recht«, gab sie leise zu. »Es war ein ziemliches Risiko, Lafour die Pistole zu stehlen und Karen und Paul mit Waffengewalt zu erpressen, uns ins Jahr 1153 zu transferieren. Zumal wir nicht wussten, ob der Server nach dem Unfall noch einwandfrei funktionierte. Aber nach allem, was in meinem vorherigen Leben passiert ist, hatte ich keine Angst, Gero zu folgen. Die Gegenwart samt NSA und dem, was an schrecklichen Ereignissen noch kommen könnte, waren es mir wert, dieses Risiko einzugehen. Oder denkst du, ich hätte mich nach allem, was geschehen ist, auf mein Sofa in Binsfeld zurückziehen und der Katze den Kopf kraulen können?«

»Es tut mir leid, dass ich dich in all das mit hineingezogen habe«, sagte er mit belegter Stimme.

»Es muss dir nicht leidtun«, erwiderte sie in einem entschlossenen Ton. »Ich habe den Mann meiner Träume gefunden und erwarte ein Kind von ihm. Was kann es Schöneres geben?«

»Wenn das alles nicht passiert wäre, würden wir vielleicht nicht hier sitzen, und du würdest unser Kind bekommen.«

Dazu hätte Hannah eine Menge zu sagen gehabt. Vor allen Dingen, dass Tom sie längst vor der Geschichte mit Gero verlassen hatte, und zwar kurz nachdem ihre Großmutter gestorben war. Aber sie hatte keine Lust, alte Wunden aufzureißen. Dafür war es zu spät, und es machte auch keinen Sinn mehr.

»Du wolltest doch wissen, was in der Vergangenheit vorgefallen ist?«, überging Hannah die seltsam intime Stimmung, die plötzlich zwischen ihnen entstanden war.

»Ja, ganz recht«, sagte er und nickte.

»Nachdem uns der Kelch auf den Sinai geführt hatte und wir in dieser mysteriösen Höhle gelandet waren, hat uns der Hüter des Geheimnisses aufgefordert, paarweise in eine riesige Kristallgrotte zu gehen. Ich ging mit Gero und Freya mit Johan. Amelie mit Struan. Rona, eine der Frauen aus der Zukunft, schloss sich Arnaud de Mirepaux an. Sie sind sich während unserer Mission nähergekommen. Deshalb haben sie sich zusammengetan. Und Lyn, Ronas Schwester, hatte sich wohl in Khaled verliebt, einen waschechten Assassinen, ohne den wir es nicht geschafft hätten, unseren Verfolgern zu entkommen. Alle waren hinter diesem verdammten Kelch her, musst du wissen. Die Königin von Jerusalem, der Großmeister der Templer und die Fatimiden in Gestalt des Wesirs von Askalon, Malik al-Russak, der uns Frauen für eine Weile in seinem Harem gefangen hielt. Aber wir hatten Glück, dass Khaled und unsere Templer uns vor unserer Verschiffung nach Ägypten aus Askalon befreit haben.«

»Oh Mann«, entfuhr es Tom. »Ich hätte wissen müssen, wie gefährlich das alles wird. Auch wenn ich kein Historiker bin. Herzberg hatte uns gewarnt. Aber er wollte schließlich selbst dorthin. Bei dir war es etwas anderes. Du bist Gero gefolgt, weil ich nicht mehr imstande war, ihn zu dir zurückzuholen. Also wäre es auf jeden Fall meine Schuld gewesen, wenn du dort umgekommen wärst.«

»Es ist alles gut«, beruhigte sie ihn. »Ich lebe noch und bin zufrieden mit dem, was ich habe. Hoffe ich jedenfalls«, schob sie mit einem zweifelnden Blick zur Tür hinterher. »Bleibt abzuwarten, wie Gero sich aufführt, wenn er erfährt, dass ich dich aus dem Kerker geholt habe. Er muss sich bei dir entschuldigen. Das ist das Mindeste, was ich von ihm verlange.«

»Je mehr ich darüber nachdenke, umso eher kann ich ihn verstehen. Er ist durchgedreht«, versuchte Tom ihn aus heiterem Himmel zu verteidigen. »Wer weiß, was in diesem Moment alles in seinem Kopf rumgegangen ist, als er mich plötzlich dort unten gesehen hat.«

»Oh!«, machte Hannah und schaute verblüfft auf. »Heißt das etwa, du hast ihm bereits verziehen? Denkst du nicht, das ist etwas vorschnell? Ich weiß nämlich nicht, was geschieht, wenn er dich hier mit mir sitzen sieht.«

»War Herzberg auch in der Höhle?« Augenscheinlich wollte er das Thema wechseln, und Hannah tat ihm den Gefallen.

»Natürlich war er da. Denkst du, er hätte sich ein solches Erlebnis entgehen lassen? Obwohl er schon in Jerusalem beinahe an einer Blutvergiftung gestorben wäre. Lyn und Rona konnten ihn zum Glück mit irgendeinem futuristischen Nanomedikament behandeln und haben ihm damit das Leben gerettet. Aber am Ende wollte er nicht mit uns zurückkehren. Sein größter Wunsch war es, in Jerusalem zu sterben. Genau dort, wo er war, und in dieser Zeit. Obwohl ihm als Historiker bekannt gewesen sein dürfte, dass die Heilige Stadt einige Jahre später an Saladin fallen würde. Aber das hat er wohl schon allein wegen seines Alters nicht mehr mitbekommen.«

»Unfassbar«, Tom schüttelte ungläubig den Kopf. »Der Mann war über neunzig Jahre alt. Wobei er am Ende anscheinend genau das bekommen hat, was er sich sein Leben lang gewünscht hat. Einmal in die Vergangenheit reisen und live miterleben, was er jahrelang nur aus Studien kannte. Und was war mit den beiden Frauen? Woher stammten sie, und wer gab ihnen den Server?«

»Sie sind tausend Jahre durch die Zeit gereist«, erklärte Hannah bedächtig, als ob sie es selbst immer noch nicht fassen konnte. Tom hing unterdessen an ihren Lippen wie ein Kind, das einer spannenden Abenteuergeschichte zu folgen versucht. Mit ihrem Bericht bestätigte sie die ihm vorliegenden Erkenntnisse, die bei Pauls wissenschaftlichen Analysen zu Inhalt und Herkunft des Servers zutage gekommen waren.

»2150«, flüsterte sie die Zahl beinahe ehrfürchtig. »Amerika und Europa sind durch einen dritten Weltkrieg zerstört, der von einem Konflikt in den arabischen Staaten ausgeht und in einen Krieg mit Israel mündet, in den sich die westliche Welt massiv einmischen wird. China und Russland verhalten sich zunächst neutral, profitieren aber wie auch Indien von den Folgen. Danach gibt es keine Regierungen mehr, wie wir sie kennen. Gewählte Politiker und Parteien sind längst überflüssig. Die Welt wird einzig und allein von internationalen Handelskonsortien regiert, deren Vorstände ein globales Gedankenkontrollsystem entwickelt haben, mit dem sie die gesamte Erdbevölkerung manipulieren und beherrschen.«

»Du meinst, so was wie Orwells 1984?«, fragte Tom.

Hannah lachte spöttisch auf. »Dagegen ist Orwells 1984 eine harmlose Geschichte. Mit dem Internet startet die globale Kontrolle, die sich von Jahr zu Jahr fortsetzt und nicht nur durch die Geheimdienste genutzt wird. Das Ganze nimmt mit zunehmenden technischen Möglichkeiten absurde Formen an. Dort, wo Rona und Lyn herstammen, wird den Menschen schon bei der Geburt ein Chip eingepflanzt, der ihr Denken komplett speichert und manipuliert. Alles, was ihnen durch den Kopf geht, wird in eine Art Hypernet eingespeist und von denen, die das Sagen haben, rund um die Uhr überwacht und ausgewertet.«

»Warum wundert mich das nicht?«, pflichtete Tom ihr mit einem abfälligen Schnauben bei. »Genau das zeichnet sich 2005 bereits überall ab. Die sozial ausgewogene Wirtschaftsentwicklung geht vor die Hunde, weil nur noch die großen Monopolisten das Sagen haben. Politiker werden gekauft, und Menschlichkeit und Vernunft spielen keine Rolle mehr. Aber ist das ein Grund, durch die Zeit zu reisen? Wo hatten die beiden Frauen die Servertechnik überhaupt her?«

»Wie schon vermutet, von den Amerikanern. Ihr Boss hat den Server nach der sogenannten Großen Revolution Ende des einundzwanzigsten Jahrhunderts in der Area 51 entdeckt. Dort hatten sich die letzten unabhängig denkenden Köpfe des Planeten gegen die Förderung der globalen Dummheit verschanzt. Sie haben den Server aufgearbeitet und weiterentwickelt.« Als Tom nicht antwortete, sondern nur abwesend nickte, schaute sie ihn fragend an. »Was ist? Stimmt was nicht?«

»Das ist ein Paradoxon«, bemerkte er grübelnd. »Wir haben den Server aus der Zukunft, und die Zukunft hat den Server von uns. Das passt nicht in gängige physikalische Konzepte und würde womöglich bestätigen, dass sich das Raum-Zeit-Gefüge doch verändern lässt.«

»Wenn die Gedanken eines Menschen für die ihn umgebenden Geschehnisse verantwortlich sind, lässt sich alles ändern. Für jeden«, gab Hannah ohne Zögern zu bedenken. »Wenn es nach der Höhle auf dem Sinai geht, durch die wir hindurchgegangen sind, entscheiden wir unsere Zukunft selbst.«

»Und weshalb sitze ich jetzt in der Scheiße, was meine Reise zu dir und mein Verhältnis zu den Amerikanern in der Zukunft betrifft?« Tom schaute sie verständnislos an. »Willst du sagen, ich habe mir das so gewünscht?«

»Was weiß ich«, sagte Hannah achselzuckend. »Denkst du etwa, ich habe mir vorgestellt, dass mein Ehemann meinen Exverlobten in ein Verlies sperrt und mir sein Vorgehen verschweigt?«

»Nein, wahrscheinlich nicht«, erwiderte Tom resigniert.

Hannah warf ihm einen ratlosen Blick zu. »Hast du eine Ahnung, wie so was möglich ist? Ich meine, existiert dafür bereits eine schlüssige Theorie?«

»Dafür, dass dein Mann mich in ein Verlies sperrt?« Tom sah sie abwesend an.

»Unsinn!« Hannah warf ihm einen entrüsteten Blick zu. »Ich meine unsere Sinai-Erfahrung und den Beweis, dass unsere Gedanken unsere Realität bestimmen.«

»Es gibt bereits einige wissenschaftliche Ansätze, die ein solches Weltbild vermitteln, aber ich weiß nicht, ob du es verstehen würdest.«

Verärgert stemmte Hannah die Hände in die Hüften. »Willst du schon wieder andeuten, ich sei sogar zu blöd, die Funktion meines Bügeleisens zu kapieren?«

»Schätze mal, in dieser Zeit hast du damit weniger Probleme als in unserer.« Tom grinste verhalten. »Mein Gott, Hannah. Du bist ja nachtragender als ein Elefant. Sag nur, du bist deshalb hierher zurückgekehrt, weil es hier keine elektrischen Bügeleisen gibt«, scherzte er halbherzig.

»Du bist unmöglich!«

Sie war aufgesprungen, und Tom wich lachend ihren Schlägen aus, mit denen sie ihn in gespielter Entrüstung verfolgte. Er hatte sie gerade am Arm gepackt und wollte sie an sich ziehen, als vom Burghof der lautstarke Ruf der Fanfaren ertönte. Tom schrak regelrecht zusammen und ließ sie los, als ob er sich an ihr verbrannt hätte. Hannahs Herz schlug mit einem Mal bis zum Hals, obwohl sie das Meldesystem der Breydenbacher längst gewöhnt war. »Das muss Gero sein«, erklärte sie aufgeregt. »Warte hier auf mich!« Ohne ein weiteres Wort ließ sie Tom einfach stehen und eilte zur Tür.

»Wo willst du hin?«, rief er ihr hinterher, während sie, ohne ihm zu antworten, die Pforte zum Burghof hinter sich zuschlug.

Draußen war es stockdunkel, und der Innenhof der riesigen Breidenburg wurde durch etliche wild flackernde Feuerkörbe erhellt. Der frische Wind, der dieses Szenario begleitete, fuhr Hannah ungeniert unter die Röcke. Es dauerte einen Moment, bis sie im Tumult der Burgbewohner, die aus allen Pforten herbeiströmten, die beiden Reiter ausmachen konnte, die soeben erst auf den Burghof geritten kamen. Hinter ihnen folgte ein weiteres Pferd, über dessen Sattel ein verschnürter, lebloser Körper hing.

»Grundgütiger«, entfuhr es ihr. Vor Entsetzen schlug sie sich die Hände vor den Mund und schickte ein hastiges Gebet zum Himmel, als sie in dem Toten nicht Gero erkannte, sondern Lothar, den ersten Wachoffizier der Breydenbacher.

Ihr nächster Blick schnellte zu Gero, der mit ernster Miene aus dem Sattel seines grauweißen Percherons glitt. Mit rasendem Herzen versuchte sie zu erkennen, ob auch ihm etwas zugestoßen war, und sah, dass auf Höhe seines rechten Oberarms das Unterwams blutdurchtränkt war. In dem zweiten Reiter erkannte sie Eberhard, der nicht weniger erschöpft mit unheilschwangerem Blick neben seinem braunen Hengst stand. Doch so, wie es aussah, war wenigstens er unverletzt.

Obwohl sie Gero eigentlich mit einer Standpauke hatte empfangen wollen, bahnte sich Hannah ihren Weg durch die aufgeregte Menge und fiel ihm, noch bevor er irgendetwas erklären konnte, vor Erleichterung um den Hals. Während sie sich regelrecht an ihn klammerte und ihr Gesicht an seiner muskulösen Halsbeuge vergrub, erwiderte er ihre Umarmung nur zögernd. Dabei stach ihr der Geruch von Blut in die Nase, und sie spürte sein wild pochendes Herz.

»Um Himmels willen, was ist passiert?«, rief sie und inspizierte verängstigt Geros Verletzung. Erst danach deutete sie auf Lothar. »Ist er tot?«

Gero antwortete nicht, sondern bedachte sie lediglich mit einem ausdruckslosen Blick. Seine Gesichtshaut war aschfahl, und mit seinen hängenden Schultern wirkte er über die Maßen abgekämpft.

Ihr suchender Blick schnellte zu Eberhard, der ebenso angeschlagen Lothars Pferd am Zügel hielt. Doch auch Geros Bruder ignorierte ihre Frage, zumal er sich nun dem Ansturm seiner Wachmannschaften stellen musste, die noch einiges mehr von ihm wissen wollten.

»Ich erkläre es dir später«, versicherte ihr Gero leise und befreite sich aus ihrer Umarmung. Plötzlich stieg eine unbändige Wut in ihr auf. Am liebsten hätte sie ihn geohrfeigt. Nicht nur weil er sie hinhielt, sondern wegen der Sache mit Tom. Es schien ihn nicht im Geringsten zu interessieren, ob er noch immer dort unten im Hungerloch saß oder vielleicht gar nicht mehr lebte.

Inzwischen war der halbe Burghof von Menschen verstopft, die wissen wollten, was mit Lothar geschehen war, und fassungslos um den Leichnam herumstanden, den Eberhard mit Hilfe ein paar anderer Soldaten sorgsam auf den Boden gelegt hatte.

»Holt eine Bahre!«, rief er mit seiner wohltönenden dunklen Stimme über die Menge hinweg.

Während ein paar Knechte davonliefen, um den Befehl auszuführen, erschien Jutta von Breydenbach im Hof und reagierte noch entsetzter als Hannah.

»Heilige Mutter Gottes!« Mit vor Schreck geweiteten Augen suchte sie in der Menge nach ihren Söhnen und entdeckte Gero mit seiner Verletzung. »Junge«, rief sie in Panik und eilte zu ihm hin, um seinen Arm in Augenschein zu nehmen. Sie hielt ihn mit beiden Händen fest, damit er sich ihr nicht entwinden konnte. »Die Wunde muss unverzüglich gesäubert und dann genäht werden«, bestimmte sie forsch. »Ich werde Afra Bescheid geben lassen, damit sie dich versorgt.«

»Lass mich, Mutter«, antwortete Gero und entzog sich unwirsch ihrer mütterlichen Fürsorge, die er im Moment wohl am wenigsten gebrauchen konnte.

»Wo ist Vater? Ich muss ihn sofort sprechen.« Gero schob seine Mutter und auch Hannah beiseite, offenbar in der Absicht, zum Palas zu stürmen, wo er seinem alten Herrn noch vor allen anderen Bericht erstatten wollte. Obwohl Hannah vor Aufregung und Angst beinahe die Luft wegblieb, wagte sie es, sich ihm in den Weg zu stellen.