Über Martina André

Martina André wurde 1961 in Bonn geboren. Der französisch klingende Nachname ist ein Pseudonym und stammt von ihrer Urgroßmutter, die hugenottische Wurzeln in die Familiengeschichte miteinbrachte. Sie hat mit »Die Gegenpäpstin« sowie den Romanen »Das Rätsel der Templer«, und »Die Rückkehr der Templer« und »Das Geheimnis des Templers« vier Bestseller vorgelegt. Nun erscheint ihr vierter Templerroman »Das Schicksal der Templer«, die Fortsetzung der Abenteuer von Gero von Breydenbach. Martina André lebt heute mit ihrer Familie in der Nähe von Koblenz sowie in Edinburgh/Schottland, das ihr zur zweiten Heimat geworden ist.

Von der Autorin ebenfalls lieferbar sind: Die Gegenpäpstin, Schamanenfeuer, Die Teufelshure und Totentanz.

Mehr zur Autorin unter www.martinaandre.com

Informationen zum Buch

Episode VI – Neue Welten –

Herbst 1315 – Stirling/Highlands/Schottland:

Nur knapp dem Tod entronnen, befinden sich Gero von Breydenbach und seine Begleiter weiterhin auf der Flucht. Nachdem ihre Widersacher eine Ahnung davon bekommen haben, welches Geheimnis sich hinter ihrem Auftrag versteckt, werden sie von allen Seiten bedroht. König und Inquisition mobilisieren spezielle Truppen, um Sir Walter und seiner Bruderschaft endlich habhaft zu werden. Unterdessen wartet an der Westküste Schottlands bereits ein Schiff auf eine ganz besondere Fracht, die jedoch zunächst noch unter einer alten Wikingerfestung im Loch Obha geborgen werden muss. Auch wenn Gero und seine Brüder unerwartete Verstärkung bekommen, befindet sich das Ziel noch in weiter Ferne und der Weg dorthin birgt unbekannte Gefahren. Aber Gero setzt alles daran, um jene, die er liebt, heil aus dieser Katastrophe zu retten.

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Martina André

Das Schicksal der Templer

Episode VI

Neue Welten

Roman

Aufbau

Inhaltsübersicht

Über Martina André

Informationen zum Buch

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Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Epilog

Anhang

Impressum

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EPISODE VI

Neue Welten

»Wenn zwei miteinander Frieden schließen in diesem einen Hause, werden sie zum Berg sagen: Bewege dich fort, und er wird sich fortbewegen.

(Thomas-Evangelium)

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KAPITEL 27

November 1315

Schottland/Stirling

Düstere Erinnerungen

Gero erschien es wie eine Ewigkeit, bis die Acadia endlich Fahrt aufgenommen hatte und unter einem scharfen Nordostwind, der ihre Segel blähte, den Firth of Forth hinauf übers tiefblaue Wasser glitt. Schon bald würde sich der breite Fjord in einen viel schmaleren Flusslauf verjüngen, der es ihnen ermöglichte, mit der kleinen Kogge fast bis nach Stirling zu segeln.

Nachdem Sir Walter das Kommando an Brian of Locton abgegeben hatte, befahl er den Rest der Mannschaft, die außer Gero nur noch aus Totty, Jacob, Johan und Mattes bestand, ins Unterdeck. Dort breitete er auf einer Kiste eine altmodische Karte aus, die er in der Kajüte des Kapitäns gefunden hatte. »Die Acadia wird, so wie es aussieht, regelmäßig als Handelsschiff zwischen Flandern und Schottland eingesetzt«, erläuterte er beiläufig, »weshalb sie, dem Allmächtigen sei Dank, über entsprechende Navigationspapiere verfügt.«

Mit dem Zeigefinger fuhr er dem zum Inland hin schmaler werdenden Flusslauf nach und deutete auf eine Biegung, an deren linkem Ufer sich eine eingezeichnete Anlegestelle befand.

»Hier ist das Wasser auch bei Ebbe tief genug, um mit der Kogge direkt am Steg anlegen zu können«, klärte Walter die Männer auf. »Somit können wir unsere Rösser ohne einen Kahn ans Ufer bringen. Aber es hat den Nachteil, dass auch unser franzischer Feind sicher um diesen Ort weiß, und uns dort mit seinen königlichen Verbündeten auflauern könnte. Außerdem wäre da noch Gilbert de Gislingham. Bruder Randolf hat herausfinden können, dass er sich ebenfalls in Stirling aufhält. Allem Anschein nach steht er im Kontakt mit den Franzosen. Sozusagen eine Zusammenkunft des Bösen, was die Sache nicht einfacher machen wird. Andererseits hätten wir auf diese Weise die Chance, mehrere Schmeißfliegen mit einer Klappe zu erschlagen. Aber es bedeutete natürlich auch, dass wir umso vorsichtiger sein müssen, da beide von König Robert unterstützt werden. Deshalb habe ich beschlossen, der Kogge den Wind aus den Segeln zu nehmen, damit wir erst nach Sonnenuntergang dort anlanden.«

Gero stieß einen ungeduldigen Seufzer aus. Er konnte den Gedanken, Hannah in den Fängen dieser Teufel zu wissen und nichts tun zu können, kaum noch ertragen.

»Was?« Sir Walter schaute ihn mit seinen steingrauen Augen scharf an. »Irgendwelche Einwände?«

»Ja«, knurrte Gero ungehalten. »Es dauert mir alles zu lange, meine Frau ist in den Händen dieser Ungeheuer. Sie ist schwanger, was ist, wenn Hugo oder Gislinghams verteufelter Bruder sie foltern lassen?«

»Im Augenblick kannst du sowieso nichts anderes tun, außer zu beten und fest an ihre Rettung zu glauben. Erst einmal müssen wir unterwegs Bruder Struan und die anderen treffen. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als bis zum Einbruch der Dunkelheit zu warten. Stirling am helllichten Tag anzugreifen wäre die reinste Narretei.«

»Kannst du nicht vielleicht etwas mit dem magischen Kreuz bewirken?«, mischte sich Johan nun ein, dessen vernarbte Stirn sich in ungewohnte Sorgenfalten legte.

»Das Kreuz bewirkt nur etwas, wenn man sich in unmittelbarer Umgebung der angestrebten Veränderung befindet und sich gedanklich darauf konzentrieren kann«, erklärte ihm Walter aufs Neue. »Im Gegensatz zur Lade ist es nicht in der Lage, die Welt über einen begrenzten Radius hinaus zu beeinflussen.«

»Warum können wir dann nicht die Lade einsetzen?«, warf Jacob ein.

»Vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt«, raunte Walter beinahe drohend. »Die Lade ist dem Erlöser vorbehalten. Nur der Sohn Gottes ist in der Lage, ihre Macht zu beherrschen. Jeder andere der sich daran versucht, könnte die gesamte Welt in ein Chaos ungeahnten Ausmaßes stürzen.«

»Hat Moses die Lade nicht auch für seine Ziele genutzt, als er die ägyptischen Truppen vernichtete?«, erwiderte Johan mit Nachdruck.

»Und wer von uns bildet sich ein, wie ein von Gott gesandter Prophet zu sein?«

Sir Walter schaute fragend in die Runde und blickte in betretene Gesichter.

»Betet«, befahl er den Brüdern. »Damit wir das Richtige tun. Zur rechten Zeit am rechten Ort. Wenn wir zusammenhalten und an unseren Sieg glauben, kann uns alles gelingen.«

»Amen«, brummte Gero, nachdem Sir Walter Richtung Oberdeck entschwunden war, um Brian am Ruder abzulösen.

»Diese Untätigkeit macht mich ganz verrückt«, murmelte er und schaute auf die in Leinen eingewickelte Leiche Gregor von Hammersteins, die sie bei nächster Gelegenheit bestatten mussten. Nur wusste keiner, wo, und schon gar nicht, wann. Aber sie konnten den Leichnam keinesfalls auf dem Schiff zurücklassen.

Nachdem die anderen nun ebenfalls an Deck gegangen waren, um Sir Walter bei der diffizilen Navigation des Schiffs entlang dem Forth zu helfen, war neben Gero nur noch Jacob unten geblieben, der ihm half, die Packtaschen für die Pferde, die Mattes bereits zusammengestellt hatte, und die darin befindlichen Armbrüste, Morgensterne und Kampfhämmer auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen.

Ein wenig zaghaft trat Jacob auf Gero zu. »Es tut mir leid, dass ich den Angriff auf das Schiff nicht rechtzeitig bemerkt habe«, gestand er mit schuldbewusstem Blick. »Ich hätte besser auf die Frauen aufpassen sollen.«

Gero neigte den Kopf und räusperte sich. »Es stimmt, du warst abgelenkt und hast meiner Frau schöne Augen gemacht. Aber erstens hast du dafür einen verdammt hohen Preis bezahlt, und zweitens ist nicht gesagt, ob es anders gekommen wäre, wenn du im Krähennest gesessen und von dort Ausschau nach unseren Widersachern gehalten hättest. Außerdem kann ich dich gut verstehen. Hannah ist wunderschön und ziemlich einzigartig. Ich kann mich ihrem Charme auch nicht entziehen, wenn sie in meiner Nähe ist.«

Er klopfte Jacob versöhnlich auf die nackte Schulter. »Wenn sich einer Vorwürfe machen müsste, dann ich. Weil ich weiß, dass man Hugo d’Empures nicht unterschätzen sollte. Er war schon immer ein hinterlistiger Hund und hat stets bekommen, was er wollte. Ich habe inständig gehofft, ihm nie wieder begegnen zu müssen, und wenn doch, dann nur, um ihn zu töten. So wie es aussieht, hat er meinen Bruder ermordet und eine andere Frau auf Zypern, die ich einst als meine Freundin bezeichnet habe. Er schreckt vor nichts zurück und muss mit Satan im Bunde stehen. Anders kann ich es mir nicht erklären, wie er es bei den herrschenden Witterungsverhältnissen so rasch übers Meer geschafft hat.«

»Denkst du, Sir Walter hat recht?«, fragte Jacob unvermittelt.

»Recht womit?« Gero schaute ihn verwundert an.

»Dass unser Schicksal von unseren Gedanken beeinflusst wird.« Über Jacobs schmaler Nase bildete sich eine Denkerfalte. »Du hast Hugo d’Empures nie wirklich aus deiner Erinnerung verbannen können, indem du ihn mit deinem Unwillen, ihm noch einmal zu begegnen, in deinem Geist am Leben erhalten hast. Ich habe seit unserer ersten Begegnung für Hannah geschwärmt und mir all die Jahre gewünscht, ich könnte sie wiedersehen. Ich habe sie auch nie aus meinem Verstand verbannen können. Und plötzlich steht sie in Köln vor mir, obwohl es eigentlich gar nicht möglich sein kann. Nicht nur, weil sie mit dir verheiratet ist, sondern vor allem, weil sie aus der Zukunft kommt und inzwischen die wunderlichsten Dinge erlebt hat. Und auch bei ihr habe ich den Eindruck, dass die Erinnerung an diese Zeit ihr Schicksal bestimmt. Sie ist mit dir und den anderen der Hölle von Chinon entkommen, achthundert Jahre durch die Zeit gereist, und dann trifft sie ausgerechnet hier auf Michelle de Thionville, den Mann, der ihr nach den Folterkammern von Chinon in Erinnerung geblieben sein muss, weil er damals auf der Festung versucht hat, sie zu vergewaltigen. Das ist doch ziemlich merkwürdig, findest du nicht?«

»Du vergisst Gilbert of Gislingham, der in Vertretung für seinen Bruder Guy wie aus dem Nichts aufgetaucht ist«, fügte Gero mit einem müden Lächeln hinzu. »Als Tom uns so unvermittelt mit dem Haupt aus den Kerkern von Chinon im Jahr 1307 zurück in die verfallene Festung des Jahres 2004 geholt hat, ist Guy de Gislingham, der für unsere Ergreifung zuständig war und gerade zu einem Verhör ansetzen wollte, unfreiwillig mit in die Zukunft katapultiert worden. Unmittelbar nach unserer Ankunft gab es einen Zweikampf zwischen ihm und mir. Er hat natürlich nichts begriffen und dachte wohl, wir wären immer noch im Kerker des Jahres 1307. Ich habe ihn ehrenhaft in Notwehr getötet und geglaubt, damit sei die Sache erledigt. Und nun ist sein Bruder hier, um seinen Verbleib aufzuklären und womöglich zu rächen. Wenn mir jemand erzählt hätte, dass mir so etwas widerfahren würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt. An deinen Überlegungen, Jacob, kann durchaus etwas Wahres sein. Anscheinend konstruieren wir uns unsere Welt immer wieder mit den gleichen Figuren, auch wenn wir glauben, keinen Einfluss auf unser Schicksal nehmen zu können. Und selbst das Haupt der Weisheit scheint Teil dieser obskuren Geschichte zu sein.«

»Sir Walter hat uns erzählt«, bemerkte Jacob mit einem feinsinnigen Lächeln, »er habe sich schon immer gefragt, was es mit dem Caput 58 auf sich haben könnte. Er ist Henri d’Our bereits als junger Templer in Akko begegnet und ahnte wohl damals schon, dass der Hohe Rat so manches vor den gewöhnlichen Brüdern des Ordens verborgen hielt. Und dann begegnet ihm dieser Maleficus aus der Zukunft, der ihn von jetzt auf gleich aller himmlischen Visionen beraubt und alles ins Wanken bringt, woran er jemals geglaubt hat. Auch das kann kein Zufall sein.«

»Sir Walter?« Gero warf Jacob einen überraschten Blick zu. »Er zweifelt am Allmächtigen? Ausgerechnet er?«

»Sag nur, du hast es noch nicht bemerkt?« Jacob grinste schwach. »Der Kerl aus der Zukunft hat seine Glaubensfestigkeit ziemlich ins Wanken gebracht. Und ich vermute, er stellt sich deshalb so stur, was das Kreuz angeht und deine Bitte, ein Stück davon herauszulösen, weil er fürchtet, Tom könnte ihm den Beweis erbringen, die Mysterien des Ordens nutzen zu können, ohne ein bekennender Christ zu sein. Walter ist nicht so fromm, wie er tut. Von Brian weiß ich, dass er als Templer in Akko eine Geliebte hatte, eine Schottin, zu der er bis heute Kontakt hält. Sie war die Tochter eines reichen Kaufmanns und einem anderen versprochen. Er hat sie beim Angriff der Mamelucken aus den Trümmern der Templerburg gerettet, zu der sie mit ein paar Frauen geflüchtet war. Zum Dank hat sie ihm, sobald sie in Sicherheit waren, eine gemeinsame Nacht geschenkt … Und trotzdem hat sie diesen anderen zum Mann genommen, und Walter ist ein Templer geblieben. Aber sie haben sich weiterhin heimlich getroffen, wie Brian mir erzählte. Mit ihr hatte er einen Sohn, dem er nie ein Vater sein durfte und der als Kind am Fieber gestorben ist. Brian sagte, er leide noch heute darunter. Deshalb bin ich mir sicher, er versteht deine Not wegen Hannah und auch die Sorge um euer ungeborenes Kind. Er ist kein sturer Priester, der auf die Regeln pocht, auch wenn er manchmal den Eindruck vermittelt. Er ist sehr daran interessiert, die Natur und alles, was um ihn herum geschieht, zu verstehen. Er will es begreifen«, erklärte Jacob und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. »Hier drin, verstehst du. Nicht nur mit dem Herzen, wie er uns immer so selbstverständlich predigt.«

»Und du denkst, er hat sich einen Kerl wie Tom geradezu herbeigewünscht?«

»Vermutlich«, sagte Jacob und zuckte mit den Schultern. »Sonst wäre er wohl nicht hier.«

»Aber ich habe mir unseren Maleficus ganz bestimmt nicht bestellt«, ereiferte sich Gero. »Ich hasse diesen Kerl, weil er mir noch immer meine Frau streitig machen will, obwohl er nicht nur in meinen Augen kläglich versagt hat, sondern auch in ihren. Ohne Zweifel würde er jede Gelegenheit nutzen, sie mir wegzunehmen. Aber was soll ich machen? Wenn sich die Gelegenheit ergibt, bleibt mir gar nichts anderes übrig, als sie ihm mitsamt meinem Kind anzuvertrauen.« Er senkte den Kopf und hielt einen Moment inne, dann schaute er auf, den Blick zum Treppenaufgang gewandt. »Ich bete zum Allmächtigen, dass er uns gnädig ist und wir Hannah und die anderen den Klauen der Gens du Roi entreißen können und er mir darüber hinaus eine Möglichkeit eröffnet, sie und den Jungen zurück in die Zukunft zu schicken«, fügte er leise hinzu. »Ich könnte mit dem Gedanken leben, sie an Tom zu verlieren, aber nicht an Hugo d’Empures und seine Schergen.«

»Siehst du!«, triumphierte Jacob lächelnd. »Alles, was du sagst, bestätigt Sir Walters Prophezeiung. Dinge, Ereignisse, Personen, Situationen mit denen wir uns ausgiebig beschäftigen, seien es gute oder schlechte, treten auf die eine oder andere Weise in unser Leben und erledigen sich erst, wenn wir sie endgültig aus unseren Gedanken gestrichen haben. Dumm ist nur, dass uns das nicht bewusst ist, schon gar nicht wissen wir, wie man darauf Einfluss nehmen könnte. Aber es scheint Kräfte zu geben, nennen wir sie gerne heilig, wie das Kreuz oder die Tafeln des Moses, beides aus dem Gestein des Berges auf dem Sinai gefertigt, die uns dabei helfen, unsere Gedanken und damit die Wirklichkeit zu unseren Gunsten zu beeinflussen. Wir dürfen nur nicht das Falsche denken, sonst geschieht das Gegenteil und sei es zu unserem eigenen Schaden oder zum Schaden der anderen.«

»Allerdings«, brummte Gero. »Wenn ich es irgendwie beeinflussen könnte, befände sich meine Frau gewiss nicht in der Gewalt dieses Teufels.«

»Wobei ich mich frage«, setzte Jacob hinzu, »warum der Orden dieses Wissen nicht für sich nutzen konnte. Wenn der Hohe Rat Zugang zum Haupt hatte und wusste, was in der Zukunft geschehen würde, warum haben sie dann nichts dagegen unternommen?«

»Diese Frage haben die anderen und ich uns schon tausendmal gestellt«, bekannte Gero resigniert. »Aber selbst André de Montbard konnte mir darauf keine Antwort geben.«

»Montbard«, murmelte Jacob ehrfürchtig. »Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, dass du ihn persönlich getroffen hast. Immerhin ist er schon mehr als einhundertfünfzig Jahre tot.«

»Zeitreisen machen so einiges möglich«, bemerkte Gero mit einem müden Lächeln.

»Ich würde auch gerne mal durch die Zeit reisen«, bekannte Jacob mit Sehnsucht im Blick. »Es muss aufregend sein.«

»Es ist anstrengend«, entgegnete Gero. »Und desillusionierend. Man hofft immer, in der Zukunft würde alles besser, aber das wird es nicht.«

»Wollte Montbard von dir wissen, wann sein Todestag ist?«

»Nein«, sagte Gero bedächtig. »Vielleicht wusste er ihn bereits. Aber er vertrat nach wie vor die Ansicht, dass das Schicksal nichts Feststehendes ist, sondern sich ändern lässt. Ich hätte ihm getrost das Gegenteil beweisen können, aber er hätte es nicht geglaubt. Wie auch, wenn man im Besitz eines Geheimnisses ist, das die ganze Welt verändern kann, und jederzeit darauf Zugriff hat.«

»Aber warum haben sie es dann nicht getan? Ich meine, nicht zu Zeiten Montbards, da blühte der Orden ja dank seines Wissens und seiner Fähigkeiten gerade erst auf, nein später, lange nach seinem Tod, als der Orden vor seinem Untergang stand.«

»Vielleicht waren die maßgeblichen Brüder des Hohen Rates gedanklich so sehr mit der Abwendung ihrer eigenen Vernichtung beschäftigt, dass sie das Ruder am Ende aufgrund ihrer negativen Gedankenspirale nicht mehr herumreißen konnten und gerade deshalb untergegangen sind. Möglicherweise hat ihnen geschadet, was ihnen eigentlich hätte nützlich sein sollen. Vielleicht war das auch der Grund, warum sie sich an die Lade erst gar nicht herangetraut haben, aus Angst, alles nur noch viel schlimmer zu machen.«

Gero sah Jacob an, dass er angestrengt nachdachte. Plötzlich klärte sich sein Blick. »Aber warum sind so viele Templer bei der Verfolgung gestorben? Niemand rechnet mit dem eigenen Tod oder wünscht sich gar, auf der Streckbank oder dem Scheiterhaufen zu sterben.«

Gero hielt einen Moment inne, bevor er ihm antwortete. »Aber wir alle fürchten uns davor«, sagte er rau. »Vielleicht mehr, als wir uns eingestehen wollen, und vielleicht ist die Furcht vor etwas weitaus mächtiger als die Sehnsucht nach der Erfüllung des Paradieses. Ich hab mir nichts sehnlicher als den Tod gewünscht, nachdem meine erste Frau im Kindbett gestorben ist, damit ich bei ihr sein kann. Doch nicht einmal die Mamelucken haben mir diese Gnade gewährt, obwohl ich mich ohne Furcht ins Kampfgetümmel gestürzt habe. Einige meiner Kameraden sind auf Antarados elendig gestorben und noch viel mehr, schätze ich, nachdem sie in ägyptische Gefangenschaft geraten sind. Aber ich bin immer noch da und muss mich schon wieder mit Hugo d’Empures rumschlagen, weiß der Teufel, warum.«

*

Obwohl es bereits dunkel war und zu regnen begonnen hatte, war Hannahs erster Eindruck der Festung von Stirling ein völlig anderer, als ihre Erinnerungen aus der Zukunft. Anstatt einer restaurierten Burg mit einer gepflegten Außenanlage, wie sie es von einem Besuch während ihrer Studienzeit kannte, handelte es sich in dieser Zeit um ein archaisches Fort mit dicken Mauern und zwei trutzigen Türmen, das hoch oben auf einem nackten Felsen thronte.

»Willkommen in Graf Draculas Reich«, murmelte Tom voller Verachtung, als Michel und der schottische Wachmann dafür sorgten, dass man sie in einen finsteren Gewölbegang stieß. Nachdem man ihnen die Fesseln abgenommen hatte, legte Hannah einen Arm eng um Gesas Schulter, während Michel und sein Begleiter sie, flankiert von zwei schwerbewaffneten Wachen, immer tiefer in einen alles verschlingenden Kellerabgang führten. Nur hier und da wurde die modrige Finsternis von einer Fackel beleuchtet. Es stank nach Verwesung und Exkrementen, ganz so, wie sie es von Chinon in Erinnerung hatte, und obwohl sie ihr Ziel noch nicht erreicht hatten, war Hannah jetzt schon sicher, dass es genauso schwierig sein würde, von hier zu entkommen.

Am Ende ihrer unfreiwilligen Exkursion angelangt, beobachtete Michel voll Genugtuung, wie der schottische Wachmann sie der Reihe nach in einen fensterlosen Raum stieß, der mit nur wenigen brennenden Öllampen bestückt war. Nachdem sich Hannahs Augen an das noch spärlichere Licht gewöhnt hatten, realisierte sie, dass es sich um eine Folterkammer handelte.

»Ich wünsche euch eine geruhsame Nacht«, bemerkte Michel zynisch und knallte die schwere, mit Eisen beschlagene Tür hinter ihnen zu. Das rasselnde Geräusch eines Schlüsselbundes ließ vermuten, dass man sie eingeschlossen hatte.

»Na, das nenne ich doch mal eine echte Überraschung«, murmelte Tom mit einem fatalistischen Unterton in der Stimme und schaute sich in andächtigem Entsetzen um. Hannah, Freya und Gesa betrachteten die verschiedenen Gerätschaften, die ihre Furcht und damit die Bereitschaft, ihr mögliches Wissen zu verraten, anscheinend nur noch steigern sollten, mit einer Mischung aus Grusel und Faszination. Doch erst ein Blick nach oben hatte ihr und den anderen klargemacht, dass das Grauen noch steigerungsfähig war, und ließ sie vor Schreck den Atem anhalten. Selbst Tom zuckte zusammen.

»Amelie! Oh mein Gott!«, rief Hannah voller Entsetzen mit Blick auf einen eisernen Käfig, der in zweieinhalb Metern Höhe von der Decke baumelte

»Hannah? Bist du es wirklich, oder träume ich?« Amelies Stimme klang ebenso fassungslos wie ihre eigene, und Hannah hatte trotz der spärlichen Lichtverhältnisse nun keinen Zweifel mehr, dass es sich bei der Gefangenen um die zierliche Französin handelte, die sie vor gut einhundertfünfzig Jahren oder, wenn man die Zeitreise außer Acht ließ, vor ein paar Wochen im Heiligen Land zurückgelassen hatte.

»Ja, ich bin’s, halte durch. Wir holen euch da runter!«

Während sie Amelie und ihre Begleiterin, die hoch oben im Käfig hockten, nicht aus den Augen ließ, versuchte sie, sich eine Vorstellung von deren gesundheitlichem Zustand zu machen. Es sah nicht danach aus, als ob man sie mit Essen und Trinken versorgt hätte. Und falls doch, hatten sie dort oben keinerlei Möglichkeit, sich zu erleichtern.

»Wie lange sitzt ihr schon da oben?«

»Mindestens einen Tag und eine Nacht«, kam die schwache Antwort. »Aber hier drin verliert man jegliches Zeitgefühl. Und wie kommt ihr hierher?«, wollte die blonde Französin wissen, mit der Hannah und auch Freya schon einiges an unglaublichen Erlebnissen geteilt hatten. »Und was, um Gottes willen, macht der Maleficus hier?«, fragte sie fassungslos und deutete auf Tom, den sie inzwischen erkannt hatte.

»Das erzähle ich dir, wenn wir dich da rausgeholt haben«, rief Hannah, die sich nun, wie auch Freya fieberhaft nach einer Möglichkeit umschaute, wie sie die beiden aus dieser Zwangslage befreien konnten, während Tom mit verschränkten Armen dastand und zweifelnd den Käfig fixierte. »Wie sollen wir das schaffen?«, fragte er kopfschüttelnd.

»Ein Folterkeller bietet zweifellos wenige Möglichkeiten einer gefahrlosen Befreiung, aber wenn es möglich sein sollte, die Lage eines Einzelnen zu verbessern, sollte man es tun«, belehrte ihn Hannah, »und wenn es nur für ein paar Stunden ist.«

»Wir müssen die Aufhängung lockern«, überlegte Tom laut, während er sich nun doch in Bewegung setzte und trotz der schlechten Lichtverhältnisse versuchte, die Befestigung des Käfigs zu inspizieren, die man mittels einer schweren Eisenkette an einem Balken fixierte hatte, der aus der Wand herausragte.

»Die Kette ist um ein Drehkreuz aus Eichenholz geschlungen, dessen Aufwicklung man mit einem eisernen Splint fixiert hat.« Tom versuchte, daran zu rütteln, doch der Splint gab nicht nach. »Man hat ihn so fest in den Eichenholzbalken getrieben, dass man ihn nicht so ohne weiteres entfernen kann, selbst wenn man körperlich trainiert ist. Ich bräuchte einen Hammer oder einen schweren Gegenstand, um die Sperre zu lösen.«

Hannah schaute sich nach einer Axt oder Ähnlichem um, fand aber nichts. Tom, der ihrem Gedanken gefolgt war, setzte plötzlich eine zweifelnde Miene auf.

»Vielleicht ist es auch nicht ratsam, die Ketten zu sprengen, mit denen der Käfig oben gehalten wird. Wenn man den Splint gewaltsam löst, würde er auf der Stelle herunterknallen und die beiden Frauen könnten ernsthaft verletzen werden.«

»Hm.« Hannah stieß einen verzweifelten Laut aus, während ihr Blick über die entsprechenden Gerätschaften glitt, die wirksam dekoriert zwischen einer Staubsäule, einer Streckbank und einer eisernen Jungfrau lagen und darauf hindeuteten, dass dies ein Ort unsäglicher Qualen war, was durch den Gestank nach Blut und abgestandenem Schweiß nur noch unterstrichen wurde.

In dieser Zeit, das wusste Hannah nur zu gut, gab es noch jede Menge blutrünstiger Folterknechte und Henker, die mühelos im Stande waren, mit ihrer Streitaxt Köpfe rollen zu lassen oder Menschen in mehrere Teile zu zerhacken, wie ein Grillhähnchen in einer Imbissbude. Nur, dass sie solche Gedanken, so sie denn kamen, am liebsten verdrängte. Tom, der ihrem entgeisterten Blick folgte, lag auf den Lippen, was er von alldem hielt. »Freaky-Horror-Picture-Show«, murmelte er und sah sich zweifelnd um. »Kein Wunder, dass die Leute hier zu beten anfangen …«

»Glotz nicht so apathisch vor dich hin, sondern tu irgendwas«, herrschte Freya ihn an.

»Ich?«, fragte Tom und tippte sich mit ungläubiger Miene auf die Brust. »Was sollte ich hier bitte schön ausrichten?«

»Du könntest uns zum Beispiel helfen, die Streckbank aufzustellen. Dann könntest du, oder einer von uns daran hochklettern, und wir könnten versuchen, das Eisenschloss an dem Käfig zu öffnen, um die beiden aus ihrer unwürdigen Lage zu befreien.« Unvermittelt machte sich Freya an ihrer üppigen Mähne zu schaffen, die sie mit ein paar verborgenen Haarnadeln gebändigt hielt. Geschickt zog sie eine davon raus und reichte sie Tom.

»Was soll ich damit?«, fragte er verständnislos und nahm die silberne Nadel mit spitzen Fingern entgegen.

»Jetzt stell dich doch nicht so an«, fuhr Hannah ihn aufgebracht an. »Schließlich hast du den Kerl auf der Breidenburg auch aus dem Kerker befreit, indem du das Schloss geknackt hast.«

»Da hatte ich auch meinen Rucksack dabei, in dem sich unter anderem eine Pinzette befand. Jetzt habe ich nichts, außer einem filigranen Schmuckstück, das beim ersten Versuch abbrechen wird, und wenn die Nadel erst mal im Schloss steckt, geht überhaupt nichts mehr.«

»Wenn du es gar nicht erst versuchst, geht ohnehin nichts«, stellte Hannah aufgebracht klar, mit Blick auf die beiden Frauen, denen anzusehen war, wie sehr sie sich in ihrem engen Käfig quälten.

»Und wie soll ich da hochkommen?«, monierte Tom. »Ich bin zwar nicht unbedingt klein, aber um an das Schloss zu gelangen, reicht es beim besten Willen nicht.«

»Ich sagte doch, wir nehmen die Streckbank als Leiter«, erinnerte ihn Freya gereizt.

»Na gut.« Angesichts der weiblichen Entschlossenheit, die ihm gar keine andere Wahl ließ, als die Initiative zu ergreifen, machte Tom sich ans Werk.

Mit vereinten Kräften wuchteten sie die Streckbank, ein schweres, mit Eisen beschlagenes Eichenholzteil unter dem Käfig in die Senkrechte und stabilisierten den schwankenden Aufbau mit zwei Eichenholztruhen, die neben diversen Lederriemen zum Fixieren von Armen und Beinen noch mehr Seile und eine Reihe von Peitschen waren. Während Hannah und Freya die Behelfsleiter zusätzlich von beiden Seiten stützten, kletterte Tom mühselig daran empor und reckte sich auf halber Höhe dem eisernen Verschlussmechanismus des Käfigs entgegen. Zweimal fiel ihm die Nadel runter, die dann Gesa im feuchten Stroh suchen musste. Doch das Mädchen hatte noch gute Augen, und so konnte es gleich danach weitergehen. Hannah kam es vor wie eine Ewigkeit, bis es Tom endlich gelang, das Schloss zu öffnen.

Mit einem Seufzer der Erleichterung schlüpfte Amelie durch die halbgeöffnete Eisentür, die quietschend und knarrend nachgab, und kletterte erstaunlich flink an Tom geklammert nach unten. Kurz darauf folgte ihre Gefährtin, eine schlanke, hochgewachsene Frau mit wasserblauen Augen und brünettem Haar, das ihr wie bei Amelie bis auf den Hintern reichte. Ein wenig unsicher glitt sie an Tom hinab in die Tiefe und hielt sich noch einen Moment an seinen Schultern fest, als sie mit ihm auf Augenhöhe war, und schaute ihn, ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt, intensiv an, bevor sie endlich auf dem Boden landete. Dabei fielen ihm ihre unübersehbaren Sommersprossen auf, die sich auf Nase und Wange verteilten und die Farbe der Augen, das Rot der Lippen und das Weiß ihrer Zähne nur noch mehr leuchten ließen.

Nachdem Tom von der improvisierten Leiter herabgestiegen war, half er den Frauen, die Bank wieder in die Waagerechte zu bringen.

»Und wie soll es nun weitergehen?«, fragte er mit gespielter Zuversicht. »Wollen wir diese unwirtliche Stätte verlassen? Und falls ja, wie? Wer hat einen Vorschlag zu machen?«

Die Frauen ignorierten seinen Galgenhumor und lagen sich stattdessen schluchzend in den Armen. Amelies Leidensgenossin hatte derweil nur noch Augen für Tom, dem sie in ihrer Euphorie, endlich dem schrecklichen Käfig entkommen zu sein, nicht minder heftig um den Hals fiel und hemmungslos auf beide Wangen küsste.

»Mange Tak«, hauchte sie ihm dankbar ins Ohr, der sie nun seinerseits ein wenig unbeholfen umarmte.

»Hvor kommer du fra?«, fragte er ziemlich verblüfft und blickte ihr unvermittelt in die hellen Augen.

»Danmark«, sagte sie wie selbstverständlich und schaute ihn strahlend an. »Kann du tale dansk?«

»Ja«, sagte er, immer noch überrascht, eine Landsmännin in seinen Armen zu halten, wobei er fast vergessen hätte, sie loszulassen. »Jeg er en dansker«, erklärte er sein Sprachverständnis mit einem Lächeln, was ihre Bewunderung für ihn noch zu steigern schien.

»Das ist Malin«, stellte Amelie ihre Begleiterin in gebrochenem Mittelhochdeutsch vor. »Meine Gesellschafterin. Sie ist eine Dänin und wurde einst von Wikingern geraubt, bevor sie in die Dienste von Struans Familie trat. Und das ist Tom«, sagte sie. »Wir nennen ihn auch Maleficus.«

Tom wusste nicht, ob er diese Bezeichnung als Kompliment auffassen sollte. Malin ging jedenfalls abrupt auf Abstand, fast so, als ob sie sich an ihm verbrannt hätte. Dann bekreuzigte sie sich hastig und schaute ängstlich zu Boden. »Ein Maleficus?«, flüsterte sie kaum hörbar.

Tom wollte die junge Frau nicht verängstigen und überlegte rasch, wie er aus dieser Nummer wieder herauskommen sollte.

»Vor ihm brauchst du keine Furcht zu haben«, kam Amelie ihm zuvor und fuhr dann in Altfranzösisch fort, was Tom so gut wie gar nicht verstand.

»Was hat sie gesagt«, wollte er von Freya wissen, nachdem ihm ihr verhaltenes Grinsen nicht entgangen war.

»Sie meinte nur, du seist nicht besonders talentiert, und sie wüsste nicht, ob du je etwas Nützliches gezaubert hättest. Nimm es ihr nicht übel, ich denke, sie wollte die Kleine nur nicht weiter verängstigen.«

»Na super.« Tom schnitt eine resignierte Grimasse und bedachte Amelie mit einem ironischen Lächeln. »Dann darf ich mich also glücklich schätzen, nicht als Dr. Frankenstein vorgestellt worden zu sein?«

»Wer ist Dr. Frankenstein?«, fragte Freya verblüfft.

»Ein Forscher in einem Roman, der mit Menschen experimentiert hat«, fügte Hannah augenrollend hinzu.

»Aber dann stimmt der Vergleich doch«, meinte Freya und warf Tom einen verständnislosen Blick zu.

»Dr. Frankenstein …«, gab Tom gereizt zurück, »hat in der Phantasie seines Autors Körperteile von Leichen genommen und sie zu einem neuen künstlichen Menschen zusammengefügt. Du willst doch nicht etwa behaupten, dass ich so etwas auch tue?«

Während Malin offenbar das meiste verstanden hatte und Tom nun anstarrte, als ob er ein Monster wäre, übernahm Hannah seine Verteidigung.

»Tom ist ein todnetter Kerl«, versicherte sie der jungen Dänin und hakte sich für einen Moment bei ihm unter. »Er tut keiner Menschenseele was, solange er nicht in seiner Hexenküche steht und irgendwelche Dummheiten verzapft, aber die ist unendlich weit weg. Also musst du dir keine Sorgen machen.« Sie lächelte katzenhaft und zwinkerte Tom verschwörerisch zu. Tom zwinkerte halbherzig zurück. Er wusste, dass er bei den anwesenden Frauen nicht gerade gute Karten hatte, deshalb war Malin ein Lichtblick gewesen.

Dabei schien sie nicht vollkommen von Toms Harmlosigkeit überzeugt zu sein, aber wenigstens war ihr Interesse geweckt, was er an den verstohlenen Blicken sehen konnte, mit denen sie ihn nun fortwährend taxierte.

Nachdem sich alle halbwegs wieder beruhigt hatten, berichtete zunächst Amelie, wie sie zusammen mit Malin von Struans Festung geraubt worden war.

»Hast du irgendeine Ahnung, wie wir hier wieder rauskommen?«, fragte Freya, nachdem sie Amelie auf Franzisch erzählt hatte, auf welchen verschlungenen Wegen sie selbst hierhergeraten waren. »Ich gehe mal davon aus, dass unsere Männer versuchen werden, uns zu befreien. Aber bis dahin sollten wir selbst probieren, hier herauszukommen.«

»Das dürfte nicht so einfach sein«, erklärte Amelie und strich ihr dunkel kariertes Wollkleid glatt. »Malin und ich haben es versucht, nachdem ich Gilbert of Gislingham ins Jenseits geschickt hatte. Dieser Schuft hatte sogar die Tür aufgelassen, weil er sich offenbar sicher fühlte. Aber spätestens auf dem Hof war Schluss, weil wir den Wachen direkt in die Arme gelaufen sind.«

»Du hast großes Glück gehabt, weil sie dich nicht auf der Stelle getötet haben«, kommentierte Freya und schlug erschrocken die Hände vor den Mund.

»Das war auch mein erster Gedanke«, bekannte Amelie, deren dunkle Schatten unter den Augen davon zeugten, wie wenig Schlaf sie in letzter Zeit bekommen hatte. »Aber dann sagte der wachhabende Offizier, dass der König und sein Sheriff erst morgen erwartet würde und sie mich erst hängen oder verbrennen würden, nachdem Struan hier auftaucht ist und dem König Rede und Antwort gestanden hat«, erklärte Amelie tonlos. »Ich hatte Glück, dass die Männer hier so einfältig sind und ich ihnen glaubhaft versichern konnte, nicht viel zu wissen, sonst hätten sie uns bestimmt härter gefoltert.«

»Du hast tatsächlich einen erwachsenen Mann erstochen?« Tom schaute Amelie ungläubig an, nachdem Freya ihm und Hannah Amelies Geschichte in halbwegs verständliches Deutsch übersetzt hatte. »Wie hast du das denn hinbekommen?«, fragte er zurück.

»Ich hatte so ein kleines Messer«, erklärte Amelie in gebrochenem Deutsch, während Hannah sie wie gebannt anstarrte. »Struan hat es mir geschenkt, um Äpfel zu schälen.« Sie stieß einen Seufzer aus. »Na ja nicht wirklich, er meinte, ich solle mich damit in Notwehr verteidigen, falls er nicht da ist und mir jemand die Ehre rauben will. Und Gilbert of Gislingham wollte mir die Ehre rauben. Also habe ich nur getan, was mein Ehemann mir befohlen hat.«

»Heilige Mutter!« Freya ging auf Amelie zu und nahm sie fest in die Arme.

»Hat euch außer dem fiesen Gislingham sonst noch wer Gewalt angetan?«, wollte die Begine nun mit einem Seitenblick auf Amelies Dienerin wissen. »Abgesehen davon, dass sie euch in diesen Käfig gesperrt haben?«

»Einer der Wächter hat Malin …« Amelie verstummte, als sie sah, wie ihre Freundin verschämt zu Boden schaute. »Na ja, ihr wisst schon. Mir haben sie es angedroht, aber bisher haben sie uns zur Strafe nur in diesen scheußlichen Käfig gesteckt, damit wir Buße tun für unsere verdorbenen Seelen. Ich denke eher, sie wollten mir keine sichtbaren Verletzungen zufügen, weil sie fürchten, dass Struan ihnen ansonsten nichts sagen wird.«

»Habt ihr sonst noch was herausfinden können?«, fragte Hannah.

»Die Wachmannschaften waren ziemlich aufgebracht, weil sie nach Gislinghams Tod eine schwere Strafe des Königs befürchten. Ich habe gehört, wie ihr Anführer brüllte, sie hätten besser auf den Inquisitor aufpassen müssen. Ich sei doch nur eine Frau, und der Inquisitor war ein Mann, der es verstand, mit einem Schwert umzugehen. Einer von ihnen meinte, ich sei wohl eine Zauberin und nur das der Grund, warum ich ihn hätte töten können. Ich glaube, das alles war ihnen nicht geheuer. Und nun wollen sie auf Struan warten, um uns am Ende beide von einem anderen Inquisitor aburteilen zu lassen, der wohl aus Franzien stammt und mit Gislingham in engem Kontakt stand.«

»Hugo d’Empures«, fügte Freya tonlos hinzu. »Hätte man sich ja denken können, dass dieser elende Schuft Allianzen geschmiedet hat, noch bevor er Geros Verfolgung aufgenommen hat. Immerhin scheint er etwas Größerem auf der Spur zu sein. Johan vermutete es bereits.«

»Hugo wer?« Amelie schaute sie ahnungslos an.

»Balthazar de Palestine«, klärte Hannah sie auf. »Der Kerl, der uns seit den deutschen Landen verfolgt und hierher gebracht hat. Ich hab dir von ihm erzählt. Er heißt in Wahrheit Hugo d’Empures. Früher war er selbst ein Templer, jetzt schimpft er sich Inquisitor. Er hat Gero und Struan schon gekannt, als sie noch Novizen in Zypern waren. Irgendein hinterlistiger Hund, der den Überfall auf Antarados mit zu verantworten hat.«

»Antarados«, wiederholte Amelie und nickte erschrocken. »Das war eine ungeheure Katastrophe für den Orden. Bei uns in Bar-sur-Aube hat man, noch Jahre nachdem die Insel von den Mamelucken überfallen wurde, von den armen Menschen gesprochen, die dort auf grausame Weise getötet wurden oder in ägyptische Gefangenschaft geraten sind. Manche von ihnen konnten erst nach Jahren von ihren Familien freigekauft werden, andere sind dort elendig zugrunde gegangen.«

»Der Kerl, der dafür die Verantwortung trägt, ist nun hier, auf der Festung«, erklärte Freya ihr, ohne Ehrgeiz, die Lage zu beschönigen. »Allem Anschein nach, hat dieser selbsternannte Inquisitor es auf ein ganz bestimmtes Geheimnis abgesehen, von dem unsere Männer vor ihrem Zusammentreffen mit Sir Walter allenfalls etwas ahnten.«

»Und was macht unser geschätzter Maleficus hier?«, fragte Amelie mit einem kritischen Blick auf Tom. »Ich dachte, das Haupt der Weisheit sei zerstört? Wieso hat er sich dann trotzdem hierhergewagt?«

»Das ist eine längere Geschichte.« Freya warf Tom einen raschen Blick zu. »Ich glaube, er weiß selbst nicht so recht, was er hier will. Obwohl, nach allem, was ich herausgehört habe, hegt er ähnliche Interessen wie dieser Balthazar und der schottischen König. Du erinnerst dich sicher an Agent Tanner?«

»Diesen amerikanischen Angeber, der mir dauernd nachgestellt hat?« Beim Gedanken an den dreisten NSA-Agenten rümpfte Amelie ihr Puppennäschen, was jeden Schönheitschirurgen in Verzückung gebracht hätte. »Er kann froh sein, dass Struan ihn bei den Übungskämpfen nicht einen Kopf kürzer gemacht hat. Was ist mit ihm?«