James Fenimore Cooper


Conanchet

oder Die Beweinte von Wish-Ton-Wish



Roman

Impressum




Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-95923-140-4


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Sechszehntes Kapitel



Wo Schweigen herrscht, da stirbst Du nicht,
Da fließt der Träne Zoll herab;
Geliebt, bis reizlos wird das Licht;
Betrau'rt bis Mitleid sinkt in's Grab.

Collins


Eine Stunde später, und die Hauptpersonen in dem vorhergehenden Auftritte waren verschwunden. Es blieben nur des Häuptlings Wittwe, Dudley, der Geistliche und Whittal Ring.

Conanchets Leichnam blieb noch, wo er entseelt hingefallen, in der sitzenden Stellung eines Häuptlings im Rate. Die Tochter von Contentius und Ruth hatte sich an seine Seite geschlichen und ihren Sitz in jener Art dumpfer Trauer eingenommen, welche so häufig die ersten Augenblicke jeder unerwarteten, betäubenden Betrübnis begleitet. Sie sprach nicht, schluchzte nicht, zeigte ihre Betrübnis auf keine der Weisen, wie sonst wohl der Gram den menschlichen Leib zu ergreifen pflegt. Die Seele schien gelähmt, doch zeigte sich eine zerstörende, alles zerschlagende Spur, von dem Streich des Unglücks mächtig eingegraben, in jedem Zug ihres sprechenden Antlitzes. Die Farbe war von ihren Wangen gewichen; die Lippen waren bleich, während sie zu Zeiten krampfhaft zuckten, ganz wie die zitternden Bewegungen des schlummernden Kindes, und in langen Zwischenräumen erhob sich ihr Busen, als wenn der Geist innen mächtig ränge, seinem irdischen Kerker zu entfliehen. Das Kind lag unbemerkt an ihrer Seite, und Whittal Ring hatte sich ihr gegenüber an die Leiche hingestellt.

Die beiden von der Kolonie ernannten Bevollmächtigten, die bei Conanchet's Hinrichtung zugegen sein sollten, standen in der Nähe und starrten trauernd auf das rührendste Schauspiel hin. Sobald der Geist des Verurteilten entflohen, hatten die Gebete des Geistlichen aufgehört; denn er glaubte, daß alsdann die Seele in's Gericht gegangen. Indes zeigte sich mehr Menschenliebe und weniger von jener übertriebenen Strenge, als dies sonst gewöhnlich war, in seinem Äußern; Mitgefühl schien eingegraben in tiefen Furchen seines sonst so kalternsten Angesichtes. Jetzt, da die Tat geschehen, und die Erregung seiner überspannten Lehrmeinungen nachgelassen, und den positiveren Eindrücken des Erfolgs Platz gemacht, mochte er selbst Augenblicke peinigender Zweifel in Hinsicht der Rechtmäßigkeit einer Handlung haben, welche er bis jetzt unter die Formen einer gesetzlichen, notwendigen Ausübung der Gerechtigkeit verschleiert hatte. Eben Dudley's Gemüt wurde durch nichts von jenen Spitzfindigkeiten der Lehre und des Gesetzes schwankend und zweifelhaft gemacht. Da weit weniger Überspannung in seinen ursprünglichen Ansichten über die Notwendigkeit des Schrittes sich vorgefunden, so zeigte er dagegen jetzt, als er die Ausführung und den Erfolg vor sich sah, mehr Beständigkeit und Fassung. Gefühle, ja man konnte sagen Empfindungen, von ganz verschiedener Art, beunruhigten die Brust dieses entschlossenen aber rechtlich gesinnten Grenzmannes.

"Das ist eine traurige Heimsuchung der Notwendigkeit gewesen, eine strenge Offenbarung des vorherbestimmenden Willen Gottes," sagte der Fähnrich, während er auf das traurige Schauspiel vor ihm hinstarrte. "Vater und Sohn sind beide, so zu sagen, in meiner Gegenwart gestorben; und beide sind abgeschieden in jene Welt der Geister auf eine Weise, woran man die Unerforschlichkeit der Ratschläge der Vorsehung zu erkennen vermag. Aber gewahrst Du nicht hier in dem Antlitz jener, die gleich einer Gestalt von Stein sieht, Spuren eines Antlitzes, das Dir vertraut und bekannt ist?"

"Du willst auf eine Ähnlichkeit mit der Gattin des Capitains Contentius Heathcote hinweisen?"

"Sicher, und darauf allein. Ihr seid nicht, ehrwürdiger Herr, lange genug in Wish-Ton-Wish, um Euch jener Frau in ihrer Jugend zu erinnern. Aber mir scheint die Stunde, wo der Capitain seine Leute in die Wildnis führte, nur gleich einem Morgen des vergangenen Jahres. Ich war damals stark und behend auf den Beinen und etwas eitelsüchtig in Gedanken und Reden. Auf jener Reise war's, wo die Frau, welche jetzt die Mutter meiner Kinder ist, und ich, zuerst mit einander bekannt wurden. Ich habe viele niedliche Frauen meiner Zeit gesehen, aber nie schaute ich auf eine, die so anmutig gewesen für's Auge, als die Gattin des Capitains bis zu jener Nacht war, wo der Brand vorfiel. Du hast oft von dem Verlust reden hören, der sie damals traf; und von jener Stunde an ist ihre Schönheit die des Herbstblattes, und nicht mehr die der Frühlingsblume. Sieh jetzt auf das Antlitz jener Trauernden, und sag mir, ob Du dort nicht ein Bild findest, ganz so wiedergegeben und ausgedrückt, wie etwa der überhangende Busch im Wasser sich abspiegelt. In der Tat, ich konnte mir fast einbilden, es sei dies das trauernde Auge, der beraubte, trostlose Blick der Mutter selbst."

"Der Gram hat seine Streiche schwer auf dieses unschuldige, arglose Opfer hereinbrechen lassen," sprach Meek mit großer, beherrschter Milde in seinem Äußern. "Die Stimme des Gebets und der Fürbitte müssen wir für sie erheben, sonst ..."

"Pst, es ist Jemand in der Nähe, ich höre das Rascheln der Blätter!"

"Die Stimme Dessen, der die Welt gemacht, flüstert im Winde; sein Atem gibt der Natur Bewegung!"

"Nein, es sind lebendige, menschliche Wesen! Aber zum Glück ist ihr Nahen friedlich; und ferner werden wir des Kampfes nicht nötig haben. Das Herz eines Vaters ist so sicher und leitet so verlässig als ein schneller Fuß und ein scharfes Auge!"

Dudley ließ seine Muskete neben sich zu Boden fallen, und beide, er und sein Gefährte, nahmen eine Stellung geziemender Haltung an, und erwarteten so die Ankunft derer, welche sich näherten. Der Haufen, welcher herankam, nahte von der dem Baum, an welchem Conanchet's Tod sich ereignet hatte, entgegengesetzten Seite. Der ungewöhnlich dicke Stamm und die hohen Wurzeln der Tanne verbargen die Gruppe an dem Boden desselben, aber Sanftmuth's und des Fähnrichs Gestalt wurden bald bemerkt. Sobald man sie ansichtig geworden, lenkte der, welcher den Ankommenden als Führer diente, seine Schritte jener Richtung zu.

"Wenn, wie Du angenommen, der Narragansett sie, die Du so lange betrauert hast, nochmals in den Wald führte," sagte Traugott, der die Andern leitete, "so sind wir hier in nicht bedeutender Entfernung von der Stelle seines Aufenthalts. Nahe an diesem Felsen traf er mit dem blutgierigen Philipp zusammen, und die Stelle, wo er ein nutzloses, gramerfülltes Leben mir rettete, liegt innerhalb jenes Dickichts, welches den Bach einsäumt. Dieser Diener des Herrn und unser wackerer Freund, der Fähnrich, könnten uns vielleicht noch etwas Weiteres von seinen Bewegungen sagen."

Der Sprechende war in einer geringen Entfernung von den beiden Genannten, stehen geblieben, aber es geschah dies immer noch auf der Seite des Baumes, die der, wo der Leichnam lag, entgegengesetzt war. Er hatte diese Worte an Contentius gerichtet, der auch stehen geblieben, die Ankunft der Ruth zu erwarten, welche hinter ihnen kam. Sie stützte sich auf ihren Sohn und war von Fidel und dem Arzt begleitet, die mitgekommen waren, um die Wiederverlorne zu suchen. Das Mutterherz hatte die schwache Frau manche lange Meile hindurch aufrecht erhalten, aber ihre Schritte waren kurz vorher, ehe sie so glücklicher Weise auf Spuren von menschlichen Wesen getroffen, nahe der Stelle, wo sie jetzt die beiden Bevollmächtigten der Kolonie erblickten, allmälich schleppend, strauchelnd und wankend geworden.

Trotz des hohen Anteils, den alle an den verschiedenen Schritten und Bemühungen jedes Einzelnen nehmen mußten, aus welchen die beiden Haufen bestanden, fand doch das Zusammentreffen ohne alle lebhafteren Äußerungen von Gefühl und Teilnahme auf beiden Seiten Statt. Für sie hatte ein Zug in dem Walde nichts Neues mehr, und nachdem einen ganzen Tag lang alle Windungen und Irrgänge der Baumverschlingungen von ihnen durchwandert worden, traten doch die Neuangekommenen zu ihren Freunden, ganz wie Leute in weit mehr begangenen Strichen in Ländern auf einander zu treffen pflegen, wo Straßen ganz unvermeidlich die Einzelnen zusammenführen und sie gleichsam zwingen, eines des andern Weg zu durchkreuzen. Selbst Traugott's Erscheinen, der an der Spitze der Reisenden einherzog, entlockte den unbewegten Zügen derer, welche seine Annäherung mit ansahen, keine Zeichen des Erstaunens. In der Tat, die gegenseitige unbewegte Haltung eines Mannes, der so lange sich versteckt gehalten, und derer, welche mehr als einmal in gefährlichen, geheimnisvollen Vorfällen ihn plötzlich wieder gesehen hatten, hätte die Vermutung rechtfertigen können, das Geheimnis seiner Gegenwart in der Nähe des Tals sei nicht auf die Familie der Heathcote beschränkt gewesen. Diese Ansicht wird um so wahrscheinlicher, wenn man sich an Dudley's ehrliche Gemütsart und den Amtscharakter der beiden Andern erinnert.

"Wir verfolgen die Spur eines Wesens, das uns entflohen, wie das halb zahme Reh dem Schutz seiner Wälder wieder zueilt," sagte Contentius. "Unsere Jagd ging in's Unbestimmte hin; und könnte leicht als eitel und vergebens sich erwiesen haben, da so viele Spuren und Tritte kürzlich erst den Wald durchkreuzten, wenn nicht die Vorsehung unsern Weg mit dem unseres Freundes hier zusammengeführt, der Grund zu glauben hat, er kenne die vermutliche Stelle des indianischen Lagers. Hast Du etwas von dem Sachem der Narragansett gesehen, Dudley? und wo sind die, welche Du gegen den arglistigen, gewandten Philipp geführt? Daß Du mit seinem Haufen zusammengetroffen, haben wir schon gehört; indes haben wir alles Weitere als Deinen Erfolg im Allgemeinen von Dir noch zu vernehmen. Der Wampanoag ist Dir also entwischt?"

"Die höllischen, verruchten Mächte, die ihn in seinen Plänen unterstützen, halfen dem Wilden in seiner Not. Sonst würde sein Loos das gewesen sein, welches, fürchte ich, ein weit Würdigerer vom Schicksal zu erdulden bestimmt war."

"Von wem sprichst Du? Aber was liegt daran; wir suchen unser Kind; sie, die Du gekannt hast, die Du vor Kurzem erst gesehen, sie hat uns nochmals verlassen. Wir suchen sie in dem Lager dessen, der ihr ... Dudley hast Du etwas von dem Narragansett-Sachem gesehen?"

Der Fähnrich blickte auf Ruth, wie man ihn sonst vorher auf die gramerfüllten Züge der trauernden Frau hatte hinstarren sehen, aber er antwortete nicht. Meek faltete die Hände auf seiner Brust und schien im Stillen zu beten. Doch fand sich einer, der das Schweigen brach, obwohl seine Worte dumpf und drohend waren.

"Es war eine blutige Tat!" murmelte der Blödsinnige. "Der lügenhafte Mohikaner hat einen großen Häuptling hinterlistig erschlagen. Er mag die Tritte seines Mokasins mit den Nägeln gleich einem sich vergrabenden Fuchse von dem Boden wegkratzen, denn Einer wird auf seiner Spur sein, ehe er sein Haupt verstecken kann. Nipset wird mit dem nächsten Schnee ein Krieger werden!"

"Da spricht mein übelberatener Bruder!" rief Fidel und sprang vor ... sie bebte zurück, verhüllte mit den Händen ihr Antlitz und sank auf den Boden, von der Macht des Entsetzens überwältigt, welches jetzt ihren Augen sich darstellte.

Ob auch die Zeit in ihrem gewohnten Schritt sich fortbewegte, es schien denen, welche von dem nun erfolgenden Auftritt Zeugen waren, als wenn die Erregungen, das Bangen vieler Tage in den engen Kreis weniger Augenblicke aufgehäuft und zusammengedrängt worden. Wir verweilen nicht bei den ersten zerreißenden, betäubenden Momenten der schreckhaften Entdeckung.

Eine kurze halbe Stunde reichte hin, jeden Einzelnen mit allem dem bekannt zu machen, was ihm zu erfahren Not tat; wir wollen daher unsere Erzählung an das Ende dieses Zeitraums versetzen.

Conanchet's Leichnam lehnte noch an dem Baum. Die Augen waren offen, und obwohl starrend im Tode, blieb doch noch auf der Stirn, an den zusammengepreßten Lippen und den weitgeöffneten Nasenlöchern viel von jener hohen Festigkeit übrig, die ihn aufrecht erhalten in der letzten Erprobung und Heimsuchung seines Lebens. Die Arme fielen untätig an seiner Seite herab, aber eine Hand war krampfhaft in der Weise zusammengepreßt, wie sie oft den Tomahawk ergriffen hatte; während die andere in einem eiteln Versuch, die Stelle des Gürtels zu finden, wo das scharfe Messer hätte sein sollen, ihre ganze Kraft verloren hatte. Diese beiden Bewegungen waren sehr wahrscheinlich unwillkürlich gewesen, denn in jeder andern Hinsicht drückte die Gestalt Würde und Ruhe aus. An ihrer Seite behauptete der phantastische Nipset immer noch seine Stelle, und drohender Unwille leuchtete aus der gewöhnlich so stumpfsinnigen Einfalt seines Gesichtes.

Die andern Gegenwärtigen waren um die Mutter und ihre vom Schmerz gebeugte Tochter versammelt. Es wollte scheinen, als ob für jetzt alle anderen Gefühle in Besorgnisse für die Letztere sich verloren. Man hatte große Ursache, zu befürchten, es möge der eben erst sie getroffene Schlag plötzlich eins jener zarten, gefährlichen Organe verrückt haben, welche die Seele an den Leib binden. Diese gefürchtete Wirkung war jedoch mehr wegen einer allgemeinen Gefühllosigkeit und eines gänzlichen Zerschlagenseins ihres Körperbaus, als wegen sonst eines heftigen, bemerkbaren Anzeichens zu besorgen.

Die Pulse schlugen noch, aber nur schwach, und den ungeregelten schwankenden Drehungen einer Mühle vergleichbar, welche der hinsterbende Wind ferner nicht mehr umfächelt. Das blasse Antlitz war fest und ständig in seinem Ausdruck von Schmerz und Gram. Farbe fand sich nicht; selbst die Lippen hatten das, wodurch Wachsbilder einen so unnatürlichen Eindruck machen. Ihre Glieder, wie ihre Gesichtszüge waren unbeweglich; und doch zeigte sich auf Augenblicke ein Arbeiten und Ringen in den letztern, welches nicht allein Bewußtsein, sondern auch ein lebendiges, schmerzliches Bewußtsein von der Wirklichkeit ihrer Lage besitze.

"Das überschreitet alle meine Kunst!" sagte Doktor Ergot, und erhob sich von einer langen, schweigenden Erforschung des Pulses in die Höhe; "es liegt ein Geheimnis in dem Bau des Leibes, das menschliches Wissen bis jetzt noch nicht entschleiert und enthüllt hat. Die Canäle des Lebens sind manchmal auf eine unbegreifliche Weise erfroren, und das sehe ich als einen Fall an, der selbst in den ältesten Ländern der Erde die Gelehrtesten in unserer Kunst in Verlegenheit setzen möchte. Es ist mein Geschick so gewesen, daß ich Viele in dieser geschäftigen, unruhigen Welt habe ankommen und nur Wenige aus ihr scheiden gesehen, und doch nehme ich mir heraus, zu behaupten, daß wir hier eine vor uns sehen, die das Leben verlassen wird, ehe die natürliche Zahl ihrer Tage erfüllt worden!"

"Laßt uns zu Gunsten dessen, was nie sterben wird, uns an Den wenden, der die Begebenheiten ordnet von Anbeginn aller Zeit an!" sagte Meek und bedeutete die um ihn, sich mit ihm im Gebet zu vereinen.

Der Geistliche erhob dann unter den Säulenwölbungen des Waldes seine Stimme in einem frommen, inbrünstigen und beredten Gebet. Als dieser feierlichen Pflicht Genüge geschehen, lenkte sich Aller Aufmerksamkeit abermals auf die Dulderin. Zu allgemeinem Erstaunen fand man, daß das Blut ihr Antlitz wieder durchdrungen, und ihre strahlenden Augen wieder leuchteten von einem Glanze und hohem Ausdrucke des Friedens und der Ruhe. Sie machte sogar eine Geberde, daß man sie mehr empor richte, damit sie die Umstehenden besser sehen könne.

"Erkennst Du uns?" fragte die zitternde Mutter. "Sieh' auf Deine Freunde, mein langbetrauertes, unglückliches Kind! Es ist die, die sich abhärmte über die Leiden Deiner Kindheit, die sich freute Deines kindlichen Glücks, die so bitter beweinte Deinen Verlust; sie, sie fordert Dich jetzt auf! In diesem feierlichen, furchtbaren Augenblick rufe Dir die Lehren Deiner Jugend zurück! Gewiß, der Gott, der Dich uns in Gnaden wieder geschenkt, hat er Dich auch auf wunderbarem, unerforschlichem Pfade geführt, wird Dich zuletzt nicht verlassen. Denke an Deinen früheren Unterricht, Kind meiner Liebe; richte Deinen ermatteten Geist auf, der Saame kann immer noch aufkommen, ist er auch an einem Orte ausgestreut worden, wo die Glorie der Verheißung lang verborgen gewesen und umdüstert!"

"Mutter!" rief eine leise, ringende Stimme als Antwort. Der Ruf erreichte jedes Ohr, und bewirkte ein allgemeines, atemloses Aufhorchen. Der Ton war sanft und leise, vielleicht kindlich, aber er ward ausgestoßen klar und ohne Betonung. "Mutter, warum sind wir in dem Walde?" fuhr die Redende fort; "hat Jemand uns unserer Heimat beraubt, daß unter den Bäumen wir wohnen?"

Ruth erhob eine Hand, flehend, daß Niemand die Täuschung unterbreche. "Die Natur hat die Rückerinnerungen ihrer Jugend in ihr wieder belebt," flüsterte sie; "möge der Geist, wenn dies des Heiligen Wille ist, in dem Segen der kindlichen Unschuld hinüberscheiden!"

"Warum weilen Marcus und Martha noch hier?" fuhr die Andere fort. "Du weißt, Mutter, es ist unsicher, weit in die Wälder zu wandeln; die Heiden könnten aus ihren Dörfern sein, und wer vermag zu sagen, welches Unglück über die Unvorsichtigen hereinbrechen kann?"

Ein Stöhnen rang sich aus Contentius Brust, und die nervige Hand Dudley's drückte sich auf der Schulter seines Weibes krampfhaft zusammen, bis die regungslos aufmerksame Frau, sich selbst unbewußt, voll Schmerz und Gram sich zurückzog.

"Ich habe es dem Marcus schon gesagt, denn er erinnert sich nicht immer Deiner Warnungen, Mutter, und diese Beiden lieben so sehr, mit einander zu gehen. Doch Marcus ist in der Regel gut; schilt nicht, wenn er zu weit sich entfernt, Du wirst nicht zanken, Mutter!"

Der junge Mann wandte sich um, denn selbst in jenem Augenblick reizte der Stolz junger Männlichkeit ihn, seine Schwächen vor Allen zu verbergen.

"Hast Du auch heute schon gebetet, meine Tochter?" sagte Ruth, Fassung erzwingend. "Du solltest nie Deine Verpflichtung gegen seinen heiligen Namen vergessen, selbst wenn wir auch in den Wäldern und ohne Obdach sind."

"Ich will jetzt beten, Mutter," sagte die in den unbegreiflichen Wahn Versunkene, und bemühte sich, ihr Antlitz in Ruth's Schoß zu verhüllen. Man kam ihrem Wunsche nach, und einen Augenblick lang vernahm man dieselbe leise, kindliche Stimme, die deutlich die Worte eines Gebetes wiederholte, wie es der frühesten Zeit der Jugend angemessen ist. Schwach, wie die Töne auch waren, keiner entging den Hörern, bis nahe am Ende des Gebets, wo die Aussprache immer leiser wurde, und endlich in eine hehre Stille überging. Ruth hob ihre Tochter empor, und sah, daß die Züge den ruhigfriedlichen Blick eines schlafenden Kindes trugen. Das Leben spielte noch auf ihnen, ganz wie das blinkende Licht auf der verlöschenden Kerze noch zögert. Ihr taubengleicher Blick sah auf in Ruth's Antlitz, und die Angst der Mutter ward erleichtert und gemindert durch ein Lächeln des Verständnisses und der Liebe. Die vollen, sanften Augen bewegten sich dann von Antlitz zu Antlitz, und Wiedererkennen und Lust begleiteten jede ihrer Bewegungen. Auf Whittal richteten sie sich verwirrt und zweifelnd, aber als sie auf das feste, zürnende und noch gebietende Antlitz des toten Häuptlings fielen, da hörte ihre Bewegung für immer auf. Es trat ein Augenblick ein, während dessen Furcht Zweifel, Wildheit und frühe Rückerinnerungen in ihr um die Oberherrschaft rangen. Ihre Hände zitterten, und krampfhaft umklammerte sie Ruth's Gewand.

"Mutter! Mutter! lispelte das von so vielen streitenden Erregungen geängstete Opfer, "ich will nochmals beten; ein böser Geist überfällt mich!"

Ruth fühlte die Stärke, das Krampfhafte ihres Haltens und hörte das Hinhauchen einiger wenigen Gebetsworte; alsdann verstummte die Stimme und ihre Hände erschlafften. Als die halb ohnmächtige Mutter weggebracht war, schienen die Toten mit einem geheimnisvollen, gespenstigen, gegenseitigen Verständnis einander anzuschauen. Des Narragansett's Auge war noch, wie in der Stunde seines Stolzes und seiner Herrschaft, hochfahrend, unnachgebend und mit Trotz und Herausforderung erfüllt; während der Blick des Wesens, das so lange in ferner Liebe gelebt, Verwirrung und Furcht, aber auch Hoffnung ausdrückte. Eine feierliche Stille erfolgte; und als Meek nochmals seine Stimme im Walde erhob, geschah dies, um den allmächtigen Lenker Himmels und der Erden anzuflehen, daß er seine Gnade und Huld den Überlebenden angedeihen lassen möchte,

Die Veränderungen, welche in anderthalb Jahrhunderten mit jenem Kontinent vorgegangen, sind sehr wunderbar und merkwürdig. Städte sind emporgestiegen, wo Wildnis damals den Boden bedeckte; und auf oder nahe der Stelle, wo Conanchet seinen Tod fand, steht jetzt, man hat guten Grund, es zu glauben, eine blühende Stadt. Aber ob auch so große Tätigkeit und Verbesserung im Lande vorgeherrscht, das Tal dieser Erzählung ist jetzt noch wenig verändert. Der Weiler hat sich zu einem Dorfe vergrößert; die Meierhöfe tragen mehr von dem Anstrich der Kultur und Verfeinerung an sich; die Wohnhäuser sind geräumiger und etwas bequemer; die Zahl der Kirchen ist auf drei gestiegen; längst verschwunden sind die befestigten Gebäude nebst allen andern Zeichen der Furcht vor Überfällen; aber noch immer ist der Ort abgelegen, wenig bekannt und trägt noch das deutliche Gepräge seines ursprünglichen Waldcharakters.

Ein Abkömmling des Marcus und der Martha ist bis auf diesen Tag der Eigentümer des Landsitzes, auf dem so viele der rührenden, erschütternden Vorfälle unserer einfachen Erzählung sich ereigneten. Selbst das Gebäude, das die zweite Wohnung seines Vorfahren war, steht noch zum Teil, obgleich durch Anbauten und Verbesserungen bedeutend verändert. Die Obstgärten, welche im Jahre 1675 jung und blühend waren, sind jetzt alt und hinfällig. Die Bäume überhaupt haben ihren sie so sehr auszeichnenden Charakter des kräftigen Wuchses um jene Mannigfaltigkeit in Obstarten umgetauscht, mit welchen der Boden und das Clima die Einwohner bekannt gemacht. Aber ihren Platz behaupten sie noch, weil man weiß, daß furchtbare Auftritte in ihrem Schatten vorgefallen, und an ihre Fortdauer knüpft sich hohes moralisches Interesse.

Die Trümmer des Blockhauses, obgleich verfallen oder dem Einsturz drohend, sind auch noch sichtbar. Dicht an ihnen findet sich der letzte Ruheort aller Heathcote, die fast zwei Jahrhunderte dort gelebt und starben. Die Gräber derer aus späterer Zeit sind an Marmortafeln zu erkennen; aber näher den Trümmern sind Viele, deren Denkmale, halb im Grase versteckt, in den gemeinen, rohen Quader des Landes eingehauen sind.

Jemand, der Anteil nimmt an Rückerinnerungen längst vergangener Tage, hatte vor einigen Jahren Gelegenheit, die Stelle zu besuchen. Es war leicht, die Geburts- und Sterbetage von ganzen Geschlechtern an den mehr leserlichen Inschriften auf den prächtigern Denkmälern derer, welche seit hundert Jahren beerdigt worden, aufzufinden und zu verstehen; über jenen Zeitraum hinaus ward das Forschen schwierig und mühevoll, indes sein Eifer war nicht leicht zu besiegen und zu ermüden.

Auf jedem kleinen Hügel, einen nur ausgenommen, fand sich ein Stein, und auf jedem Stein, unlesbar, wie sie sein mochte, eine Inschrift. Das auszeichnungslose Grab, so vermutete man aus seiner Größe und Lage, war das, welches die Gebeine jener enthielt, die in der Nacht des Brandes fielen; ein anderes fand sich, welches in tiefen Lettern den Namen des Puritaners trug. Sein Tod fiel in's Jahr 1680. An seiner Seite stand ein niedriger Stein, auf welchem, mit großer Schwierigkeit, das einzige Wort "Traugott" zu lesen war. Es zeigte sich unmöglich, gewiß zu sagen, ob das Datum 1680 oder 1690 hieß. Dasselbe geheimnisvolle Dunkel, das einen so großen Teil seines Lebens umhüllt, ruhte auch auf dem Tode dieses Mannes. Sein eigentlicher Name, sein Geschlecht und seine Würde wurden nie weiter bekannt, als sie auf diesen Seiten enthüllt worden. Doch bleibt jetzt noch der Familie der Heathcote ein Ordrebuch über eine Reiterabteilung, das, wie die Überlieferung sagt, einigen Zusammenhang mit seinen Schicksalen hatte. Angehängt an dies verwischte unvollkommene Dokument ist das Bruchstück eines Tagebuchs, welches auf Karl's I. Verurteilung zum Schaffot Beziehung hatte.

Contentius Überreste ruhen neben denen seiner früh gestorbenen Kinder, und es scheint fast, als wenn er noch in dem ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts gelebt. Vor kurzer Zeit noch lebte dort ein hochbejahrter Mann, der sich erinnerte, ihn als weißgelockten Patriarchen gesehen zu haben, verehrungswürdig durch seine Jahre und geachtet wegen seiner Milde und Gerechtigkeit. Er hatte beinahe, wo nicht völlig ein halbes Jahrhundert als Wittwer gehabt. Dieser traurige Umstand ging hinlänglich deutlich aus einer Jahreszahl auf dem Stein des nächsten Grabhügels hervor. Die Inschrift darauf bezeichnete ihn als das Grab der Ruth, der Tochter Georg Harding's aus der Kolonie Massachussetsbai, und Ehefrau des Capitain Contentius Heathcote's. Sie starb im Herbst des Jahres 1675, und zwar, wie der Stein weiter berichtet: "an einem gebrochenen Herzen, wegen irdischer Angelegenheiten, durch große Familienleiden, jedoch mit Hoffnung auf das Evangelium und im Glauben an den Herrn."

Der Geistliche, welcher vor einigen Jahren, wenn nicht vielleicht jetzt noch, in der Hauptkirche des Dorfes den Dienst des Herrn versah, nennt sich Meek Lamb. Obgleich eine Abstammung von dem in Anspruch nehmend, welcher dem Tempel zur Zeit unserer Erzählung diente, haben doch Zeit und Zwischenheiraten diese Änderung seines Namens, und zum Glück auch einige andere Abänderungen in den doctrinellen Erklärungen seines Dienstes hervorgebracht. Als dieser würdige Diener des Herrn von der Absicht hörte, die Jemanden, der in einem andern Staate geboren worden, und von einer Religionsgesellschaft abstammte, die das gemeinsame Vaterland verlassen, um noch auf andere Weise Gott zu verehren, als der Geistliche vernahm, dieser weitgereis'te Mann nehme Anteil an den Schicksalen derer, die zuerst das Tal bewohnt, fand er Vergnügen daran, die Nachforschungen desselben zu günstigen und zu unterstützen. Die Familien der Dudley's und der Ring's waren zahlreich in dem Dorfe und seinen Umgebungen. Der Pfarrer zeigte einen Stein, der von vielen andern, mit diesen Namen beschriebenen, umgeben war, und worauf roh eingehauen die Worte standen: "Ich bin Nipset, ein Narragansett; mit dem nächsten Schnee werde ich ein Krieger sein." Es geht ein Gerücht, daß der unglückliche Bruder der Fidel nach und nach zu den Sitten des civilisirten Lebens zurückkehrte, doch häufige Augenblicke voll jener verführerischen Belustigungen hatte, denen er sich einst in der Freiheit der Wälder hingegeben.

Während sie so unter diesen trauervollen Überresten früherer Auftritte hinschritten, war dem Geistlichen eine Frage über die Stelle vorgelegt, wo Conanchet beerdigt worden. Er erbot sich bereitwillig, sie zu zeigen. Das Grab befand sich auf demselben Hügel, und war nur durch einen Quaderstein ausgezeichnet, den der Fremde bei seiner ersten Nachsuchung, wegen des üppigen Grases, übersehen hatte. Er trug nur die Inschrift: "Der Narragansett."

"Und dieser an seiner Seite?" fragte der Forscher. "Hier ist noch einer, den ich vorher nicht bemerkte."

Der Geistliche beugte sich dem Grase zu, und reinigte das einfache Denkmal von dem darauf wuchernden Moose. Dann deutete er auf eine Zeile hin, die mit mehr als gewöhnlicher Sorgfalt eingegraben worden. Die Inschrift lautete ganz einfach:

"Die Beweinte des Thales von Wish-Ton-Wish."


Ende

 

 

Inhalt



Vorwort

Erster Teil


Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Zweiter Teil


Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

 

 

 




Erster Teil

Vorwort



Nach Verlauf einer so langen Zeit, wo wir die Überlieferungen über die Indianer nur mit dem Anteil anhören, den wir Begebenheiten einer dunklen Periode zollen, ist es keine leichte Aufgabe, ein lebendiges Bild von den Gefahren und Entbehrungen zu entwerfen, denen unsere Vorfahren sich unterzogen, als sie das Land, dessen wir uns jetzt erfreuen, in den Stand setzten, seine gegenwärtige Stufe von Sicherheit und Fülle zu erreichen. Es ist der bescheidene Zweck der Erzählung, die man auf den folgenden Blättern finden wird, die Erinnerung an einige der früheren Tagen unserer Geschichte eigentümliche Sitten und Tatsachen der Nachwelt mitzuteilen.

Der allgemeine Charakter der von den Eingebornen befolgten Kriegsweise ist zu bekannt, um vorgängiger Bemerkungen zu bedürfen; aber um so ratsamer dürfte es sein, die Aufmerksamkeit des Lesers für einige Augenblicke auf die Hauptumstände in der Geschichte jener Zeiten hinzulenken, die im engeren oder weiteren Zusammenhange mit dem Inhalte unserer Erzählung stehen.

Das Gebiet, welches heutigen Tages die drei Staaten der Union, Massachusetts, Connecticut und Rhode-Island begreift, ward wie uns unsere am besten unterrichteten Annalisten versichern, früher von vier großen Indianervölkern eingenommen, welche, wie gewöhnlich, wieder in zahllose unabhängige Stämme zerfielen. Von diesen Völkern besaßen die Massachusetts einen großen Teil des Landes, welches gegenwärtig den Staat dieses Namens bildet; die Wampanoags bewohnten einst die sogenannte Kolonie von Plymouth, und die nördlichen Gegenden in Providence, die Narragansetts nahmen die südlicheren Bezirke der Plantagen und die wohlbekannten Inseln der schönen Bai ein, deren Name von dieser Völkerschaft entlehnt ist; die Pequots endlich, oder wie es gewöhnlich geschrieben und ausgesprochen wird, die Pequods, waren Herren eines breiten Landstriches längs der westlichen Grenzen der drei andern Bezirke. Großes Dunkel liegt über dem Zustand von Kultur, in welchem sich die Indianer befanden, die ursprünglich das dem Meere nahe gelegene Land bewohnten. Die Europäer, an despotische Regierungen gewöhnt, setzten ganz natürlich voraus, die Häuptlinge, die sie im Besitze der Gewalt fanden, seien Monarchen, denen ihr Ansehen kraft ihrer Geburtsrechts überliefert worden; sie gaben ihnen demgemäß den Namen Könige. In wie weit diese Ansicht von der Regierung der Urbewohner die richtige sei, muß freilich dahingestellt bleiben, obgleich gewiß Grund da ist, sie für weniger irrig in Betreff der Stämme am atlantischen Meere, als in Hinsicht derer zu halten, welche seitdem weiter westlich aufgefunden worden sind, wo, wie hinlänglich bekannt ist, Institutionen bestanden, welche Republiken weit näher als Monarchien kamen. Die Benennung Unkas ward, wie die Benennung Cäsaren und Pharaonen nach und nach eine Art von gleichbedeutendem Wort mit Häuptling unter den Mohegans, einem Stamme der Pequods, bei welchem mehrere Krieger dieses Namens bekannt wurden, die nach einander in gehöriger Reihenfolge regierten. Der berühmte Metacom, oder unter welchem Namen er den Weißen besser bekannt ist, König Philipp, war ohne Zweifel der Sohn Massassoit's, des Sachem's der Wampanoags, welchen die Auswanderer im Besitz der höchsten Gewalt fanden, als sie auf dem Felsen von Plymouth landeten. Miantonimoh, der kühne aber unglückliche Nebenbuhler jenes Unkas, welcher die ganze Pequod-Nation beherrschte, hatte unter den Narragansetts seinen nicht weniger heldenmütigen und unternehmenden Sohn, Conanchet, zum Nachfolger in seiner Würde, und selbst noch in weit späterer Zeit finden wir Beispiele dieser Vererbung von Macht, welche strenge Beweise für die Ansicht abgeben, daß die Ordnung der Nachfolge in gerader Linie der Blutsverwandtschaft fortging.

Der erste ernsthafte Krieg, dem die Ansiedler von New-England ausgesetzt waren, war der mit den Pequods. Dieses Volk ward nach heißen Kämpfen unterworfen, und aus Feinden wurden alle, die nicht entweder erschlagen oder in ferne Sklaverei gesandt worden, gerne Verbündete der Sieger. Dieser Kampf fiel vor nicht ganz zwanzig Jahre, nachdem die Puritaner eine Zuflucht in Amerika gesucht.

Der Narragansetts wird oft in diesen Blättern erwähnt. Wenige Jahre vor der Zeit, wo die Erzählung beginnt, hatte Miantonimoh einen schonungslosen Krieg gegen Unkas, den Pequod oder Mohegan-Häuptling unternommen. Das Glück begünstigte diesen; er, wahrscheinlich von seinen civilisirten Verbündeten unterstützt, warf nicht nur die Horden des andern zu Boden, sondern sah auch seinen Feind gefangen in seiner Hand. Der Häuptling der Narragansetts verlor auf Anstiften der Weißen an der Stelle, die jetzt als die Sachemsebene bekannt ist, das Leben. Es bleibt jetzt nur noch übrig, ein wenig Licht auf die Hauptvorfälle im Krieg mit König Philipp zu werfen. Der erste Ausbruch fand im Juni 1675 statt, also etwas mehr als ein halbes Jahrhundert, nachdem die Engländer zuerst in New-England gelandet waren, und gerade ein Jahrhundert früher, Blut in jenem wichtigen Kampfe floß, welcher die Kolonien von dem Mutterland trennte. Der Kampfplatz war eine Niederlassung nahe dem gepriesenen Mount Hope in Rhode-Island, wo Metacom und sein Vater lange ihre Ratsversammlungen gehalten hatten. Vom diesem Punkte aus verbreitete sich Mord und Blutvergießen längs der ganzen Grenze von New-England hin. Reiter und Fußvolk wurden angeworben, dem Feind zu begegnen, und Städte wurden niedergebrannt, und Leben ward genommen von beiden Seiten, mit wenig oft ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht. In keinem Streit mit den eingebornen Besitzern des Landes kam die wachsende Macht der Weißen in größeres Gedräng als in diesem berühmten Streit mit König Philipp. Man schätzt den Verlust der Weißen fast auf den zehnten Teil der Ansiedler.

Die Indianer entgingen jedoch der Wiedervergeltung nicht. Die schon genannten Hauptvölkerschaften wurden so sehr geschwächt, daß sie später nie mehr ernsten Widerstand den Weißen leisteten, die von nun an das Ganze ihres alten Jagdgrundes in Wohnungen gesitteter Menschen umwandelten. Metacom, Miantonimoh und Conanchet nebst ihren Kriegern leben noch als Helden in Gesängen und Volkssagen, während die Abkömmlinge derer welche ihre Herrschaft vernichteten und ihr Geschlecht ausrotteten, ihrer hochherzigen Kühnheit und der wilden Größe ihrer Charaktere ein spätes, aber wohlverdientes Lob zollen.

Erstes Kapitel



"Wohl kann ich der Hand entsagen, doch nicht
den Glauben lassen!"

Shakespeare


Die Begebnisse in dieser Erzählung sind in einer längst vorübergegangenen Periode in den Annalen Amerika's zu suchen. Eine Kolonie frommer, für die Religion alles aufopfernder Flüchtlinge, welche Verfolgungen entgehen wollten, war auf dem Felsen von Plymouth gelandet, nicht ganz ein halbes Jahrhundert vor der Zeit, in welcher die Erzählung beginnt, und sie und ihre Nachkommen hatten schon manche breite Strecke wüsten Landes in lachende Fluren, und anmutige Dörfer umgewandelt. Die Arbeiten der Ausgewanderten waren hauptsächlich auf das Land von der Küste beschränkt gewesen, welches durch seine Nähe an den Wassern, die zwischen ihnen und Europa fluteten, die Wahrscheinlichkeit einer Verbindung mit dem Lande ihrer Vorväter und den fernen Wohnungen der Kultur darbot. Aber Unternehmungsgeist und ein Verlangen des Forschens nach noch fruchtbareren Besitzungen, vereint mit dem Reiz, den weitausgedehnte, unbekannte Gegenden längst ihrer westlichen und nördlichen Grenzen auf sie ausübten, hatte viele kühne Abenteurer angelockt, tiefer in die Urwälder einzudringen. Gerade die Stelle, auf welche wir die Phantasie des Lesers zu versetzen wünschen, war eine jener Niederlassungen, die man nicht unschicklich, im Laufe der Zivilisation durch das Land, "verlorene Hoffnung" nennen könnte.

So wenig war damals von den großen Umrissen des amerikanischen Festlandes bekannt, daß, als den Lords Say, Seal und Brooke, in Verbindung mit noch einigen Teilnehmern das Gebiet überlassen wurde, welches jetzt den Staat Connecticut ausmacht, der König von England seinen Namen unter eine Urkunde setzte, welches jene zu Eigentümern einer Landesstrecke machte, die sich von den Küsten des atlantischen Meeres bis zu denen der Südsee erstrecken sollte. Trotz der anscheinenden Hoffnungslosigkeit, je ein Gebiet wie dieses urbar zu machen, oder auch nur auszufüllen, fanden sich doch viele Auswanderer aus der Stammkolonie Massachusetts bereit, die herkulische Arbeit zu beginnen, etwa fünfzehn Jahre von dem Tage an, wo sie zuerst ihren Fuß auf den wohlbekannten Felsen selbst gesetzt hatten. Bald waren das Fort Say-Brooke, die Städte Windsor, Hartford und New-Haven in's Dasein gerufen, und von jener Zeit an bis zum heutigen Tage ist die kleine Gemeinde, die damals entstanden war, standhaft, ruhig und glücklich auf ihrer Bahn fortgeschritten, ein Muster der Ordnung und Klugheit, ein Bienenkorb, aus welchem Schwärme arbeitsamer, emsiger, ausdauernder und aufgeklärter Landwirte sich späterhin über eine so ungeheure Oberfläche ausgebreitet haben, daß es fast den Anschein gewann, als hätten sie noch nach dem Besitz der unermeßlichen Landschaften gestrebt, die in ihrem ursprünglichen Patent einbegriffen worden waren.

Unter den Religionsverwandten, die Unzufriedenheit oder Verfolgung frühzeitig in das freiwillige Exil der Kolonien getrieben hatte, befand sich eine mehr als verhältnißmäßige Anzahl Leute vom Stande und Erziehung. Sorglose und lebenslustige Familiensöhne, Militairs außer Dienst, und junge Rechtsgelehrte. Die Unruhigen und Leichtsinnigen, nachgeborne Söhne, unbeschäftigte Soldaten und Rechtsbeflissene aus den Gerichtshöfen suchten bald Fortkommen und Abenteuer in den südlicheren Provinzen, wo das Dasein von Sklaven sie der Notwendigkeit überhob, selbst zu arbeiten und wo Krieg und eine kühnere, regere, lebhaftere Politik ihren Fähigkeiten, Gewohnheiten und Neigungen zusagende Auftritte häufiger herbeiführten.

Die Ernsteren und religiös Gestimmten fanden Zuflucht in den Kolonien Neu-Englands. Dorthin versetzten eine Menge von Privatedelleuten ihr Vermögen und ihre Familien, und teilten dem Lande einen Anstrich von Vernünftigkeit und moralischer Erhebung mit, den es rühmlichst bis auf die gegenwärtige Stunde behauptet hat.

Es lag in der Natur der Bürgerkriege in England, daß sich viele Männer von tiefer, aufrichtiger Frömmigkeit in den Kriegerstand aufnehmen ließen. Einige von ihnen hatten sich in die Kolonien zurückgezogen, ehe noch die Unruhen im Mutterlande ihre Krisis erreicht, andere kamen während der ganzen Zeit ihrer Dauer bis zur Restauration immerwährend an, und auch nach dieser Zeit suchten Haufen von jenen, die dem Hause Stuart sich abgeneigt gezeigt hatten, die Sicherheit dieser abgelegenen Besitzungen auf.

Ein ernster, fanatischer Soldat, Namens Heathcote, war einer der ersten seines Standes gewesen, die das Schwert mit den dem Anbau einer jungen Ansiedelung eigentümlichen Feldwerkzeuge vertauschten. In wie weit der Einfluß eines jungen schönen Weibes seinen Entschluß bestimmt haben mag, das zu betrachten, gehört nicht notwendig zu unserm gegenwärtigen Zwecke, obgleich die Nachrichten, denen die Geschichte, die wir zu erzählen im Begriff sind, entnommen ist, Grund zu der Vermutung geben, er habe geglaubt, sein Hausfriede würde nicht weniger sicher in den Wildnissen der neuen Welt, als unter den Gefährten sein, mit welchen sein früherer Stand und seine ehemaligen Verbindungen ihn auf ganz natürliche Weise würden zusammengebracht haben. Wie er selbst, so war auch seine Gemahlin einer jener Familien entsprossen, welche, in den Fehden zu den Zeiten der Edward's und Henry's emporgekommen, Besitzer von erblichem Landeigentum geworden waren, das durch seinen allmälig steigenden Wert sie zu dem Rang von kleinen Landedelleuten erhoben hatte. Bei den meisten andern Völkern Europa's würden sie zur Klasse des niedern Adels gerechnet worden sein.

Das Familienglück des Capitain Heathcote sollte von einer Seite einen verderblichen Schlag erhalten, von der die Umstände ihm nur wenig Grund gegeben hatten, Gefahr zu fürchten. Noch an dem Tage, an dem er das langersehnte Asyl erreichte, machte ihn sein Weib zum Vater eines stattlichen Knabens, ein Geschenk, das sie ihm nur mit dem trauervollen Preis ihres eigenen Lebens erkaufte. Um zwanzig Jahre älter, als das Weib, das sein Loos zu teilen ihm in diese entfernte Küsten gefolgt war, hatte der abgedankte Krieger es immer für vollkommen gewiß, für ganz in der Ordnung der Dinge gehalten, daß er zuerst die Schuld der Natur würde zu bezahlen haben.

Während die Beschauungen, die der Capitain Heathcote sich von einer künftigen Welt machte, hinlänglich lebendig und klar waren, ist es doch wahrscheinlich, daß er sie durch eine erträgliche lange Perspektive von Ruhe und bequemem Genusse auf dieser Welt betrachtete. Wenn nun auch dieser Unglücksfall noch mehr Ernst über einen Charakter warf, der schon durch die Subtilitäten der Sektirerlehren mehr als nüchtern geworden, so war dieser doch noch nicht von einer Beschaffenheit, daß er sich durch irgend eine Veränderung der menschlichen Schicksale seine Männlichkeit hätte nehmen lassen. Unveränderlich in den einmal angenommenen Gewohnheiten lebte er nützlich und ungebeugt in seinen Verhältnissen, eine starke Säule des Rates und des Mutes für die unmittelbare Nachbarschaft, unter welcher er wohnte, aber durch Charakter sowohl, als durch eine Neigung, die durch verblühtes Glück noch finstrer geworden, voll Widerstreben, jenen Teil an den öffentlichen Geschäften des kleinen Staats zu nehmen, wonach der im Vergleich bedeutende Reichtum und sein früherer Stand ihn wohl zu streben berechtigt haben möchte.

Seinem Sohne gab er eine Erziehung, wie sie seine eigene Bildungsstufe und die der jungen Kolonie von Massachusetts möglich machte, und glaubte in einer Art frommer Täuschung, deren Verdienste wir weiter nicht beleuchten wollen, er habe auch einen löblichen Beweis von seiner eigenen verzweifelnden Ergebung in den Willen der Vorsehung an den Tag gelegt, indem er ihn unter den Namen Contentius öffentlich in die christliche Gesellschaft aufnehmen ließ. Sein eigner Taufname war Marcus, wie auch der größte Teil seiner Vorfahren, zwei oder drei Jahrhunderte hindurch, geheißen hatte. Wenn die Welt in seinen Gedanken ein wenig vorherrschte, wie das denn wohl zuweilen auch den größten Selbstverleugnern begegnet, so erzählte er sogar von einem Sir Marcus Heathcote, der als Ritter sich im Gefolge eines der kriegerischen Könige seines Vaterlandes befunden.

Es ist einiger Grund da, zu glauben, der Erzvater alles Übels habe frühzeitig auf das Beispiel von Friedfertigkeit und unbeugsamer Moralität, das die Pflanzer von Neu-England der übrigen Christenheit gaben, mit boshaftem Auge herabgesehen. Wenigstens erhoben sich, mögen sie nun gekommen sein, von welcher Seite sie wollen, Spaltungen und Lehrstreitigkeiten unter den Ausgewanderten selbst; und die, welche zusammen den Herd ihrer Vorfahren verlassen hatten, religiösen Frieden zu suchen, sah man bald nachher ihr gemeinsames Geschick trennen, damit ein jeder unbelästigt sich jener besonderen Glaubensformen freuen möchte, die, wie alle die Anmaßung und Torheit zu glauben hatten, unumgänglich notwendig waren, um die Huld des allmächtigen und gnädigen Vaters des Weltalls zu gewinnen.

Wäre unsere Aufgabe eine theologische, wir könnten hier sehr vorteilhaft eine Moralpredigt über die Eitelkeit eben so sehr, als über die Torheit des Menschengeschlechts einfügen.

Als Marcus Heathcote der Gemeinde, in welcher er jetzt länger als zwanzig Jahre gelebt hatte, ankündigte, er beabsichtige, zum zweiten Male seinen Familienaltar in der Wildnis aufzurichten, hoffend, er und sein Haus möchten dann Gott verehren, wie es ihnen am richtigsten dünkte, ward die Nachricht mit einem Gefühl aufgenommen, in das sich Ehrfurcht mischte. Lehre und Religionseifer wurden für einen Augenblick über der Achtung und Zuneigung vergessen, die unmerklich durch den vereinten Einfluß der ernsten Strenge seines Wesens und der unleugbaren Tugenden, die er übte, in ihnen wach geworden waren. Die Ältesten der Ansiedelung verhandelten mit ihm frei und liebevoll; aber die Stimme der Versöhnung und Eintracht kam jetzt zu spät. Er hörte auf die Beweise der Diener Gottes, die aus allen naheliegenden Sprengeln versammelt wurden, mit finsterer Ehrfurcht, und nahm an den Gebeten, um Licht und Unterricht, die bei dieser Gelegenheit dargebracht wurden, mit der tiefen Verehrung Teil, mit welcher er immer dem Stuhl des Allmächtigen nahte; aber er tat beides mit einem Herzen, in welches sich zu viel Bestimmtheit des geistlichen Stolzes eingeschlichen, als daß es sich jenem Mitgefühl, jener Liebe hätte öffnen können, die, wie sie das Auszeichnende unserer milden und duldenden Lehren ist, so auch das Streben Derer sein sollte, die ihre Vorschriften zu befolgen vorgeben. Alles, was sich geziemte, Alles, was bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich war, geschah; aber der Entschluß des halsstarrigen Sectirers blieb unwandelbar. Sein Schlußbescheid ist würdig, hier angeführt zu werden.

"Meine Jugend," sagte er, "wurde in Gottlosigkeit und Unwissenheit verbracht, aber im Mannesalter habe ich den Herrn erkannt. An zwanzig Jahren habe ich für die Wahrheit gearbeitet und jene ganze, schwere Zeit hingebracht, meine Leuchte zu bereiten, damit nicht, gleich den törichten Jungfrauen, ich unvorbereitet getroffen werde, und jetzt, da meine Lenden gegürtet sind, da meine Laufbahn fast vollendet ist, soll ich noch ein Abtrünniger und Fälscher des Wortes werden? Viel habe ich gelitten, Ihr wißt es, seit ich das irdische Haus meiner Väter verließ, und den Gefahren zur See und Lande für meinen Glauben trotzte, und ehe ihn ich lasse, will ich nochmals lieber freudig der heulenden Wildnis Ruhe, Nachkommenschaft und, wäre es der Wille der Vorsehung, das Leben selbst aufopfern!"

Der Tag der Abreise war ein Tag unverstellter, allgemeiner Betrübnis. Trotz des strengen Charakters des alten Mannes und des fast nicht zu verwischenden Ernstes seiner Stirn, hatte man doch oft den milden Tau menschenfreundlicher Güte von seinem finsteren Wesen in Handlungen herabträufeln sehen, die keine falsche Deutung zuließen. Kaum fand sich im Umkreis der Ansiedelung, die er bewohnte, und die zu keiner Zeit weder als einträglich, noch als fruchtbar angesehen werden konnte, ein junger Anfänger in dem mühsamen und schlechtlohnenden Anbau der Wüste, der sich nicht eine geheime, freundliche Unterstützung hätte in's Gedächtnis zurückrufen können, die von einer Hand gekommen, welche vor der Welt in vorsichtiger, rückhaltender Sparsamkeit krampfhaft geschlossen schien; auch vereinte kein gläubiges Paar in seiner Nachbarschaft sich für's Leben hindurch zu Freud' und Leid, ohne von ihm Beweise seiner Teilnahme an ihrem weltlichen Glück erhalten zu haben, Beweise, die weit stoffhaltiger waren, als bloße Worte.