James Fenimore Cooper


Ravensnest

oder

die Rothäute

Impressum




Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-95923-143-5


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Epilog



Hier schließt das Manuskript von Mr. Hugh Roger Littlepage junior, da es dieser Gentleman wahrscheinlich nicht über sich gewinnen konnte, die Ereignisse zu schildern, welche sich in neuester Zeit zugetragen haben. Es liegt deshalb uns ob, noch einige Worte beizufügen.

Jaaf ist vor zehn Tagen gestorben; er brummte bis auf den letzten Augenblick über die Rothäute und sprach von seinen jungen Massers und Missusses, so lange er Atem hatte. Was seine eigenen Nachkommen betrifft, so hat man ihn während der letzten vierzig Jahre nie ihre Namen erwähnen hören.

Susquesus lebt noch immer, aber die "Inschens" sind insgesamt entschlafen. Die öffentliche Meinung hat endlich diesen Stamm aus dem Dasein gestrichen, und es steht zu hoffen, daß sie ihre Calico-Säcke gewissen Politikern vermacht haben, welche sie so sicher, als die Sonne auf- und untergeht, nützlich finden werden, um ihre Gesichter darin zu verhüllen, wann einmal die Scham und die Zerknirschung kommen, die nach einem Benehmen, wie das ihrige, unmöglich ausbleiben können.

Es wird hier am Ort sein, über den Ton, der in diesem Buche herrscht, eine Bemerkung beizusetzen. Die Sprache ist die eines Mannes, der schwere Kränkungen erfahren hat und mit dem Feuer der Jugend noch gesteigert durch das Gefühl erlittenen Unrechts, vorstehende Blätter niederschrieb. Als Herausgeber haben wir nicht weiter damit zu schaffen gehabt, als daß wir – wenn es auch nötig war, die Dinge mit den rechten Namen zu bezeichnen, Sorge dafür trugen, eine Sprache zu vermeiden, welche dem öffentlichen Geschmack als allzu stark erscheinen könnte. Was die Moral und die politischen Grundsätze in der besprochenen Angelegenheit betrifft, so sind wir ganz auf Seite der Messrs. Littlepage, obschon wir es nicht für nötig halten, alle ihre Phrasen anzunehmen – Phrasen, die zwar für Männer in ihren Stellungen natürlich sein mögen, aber doch vielleicht bei denen nicht am Ort sind, welche blos in der Eigenschaft von historischen Schriftstellern zu handeln wünschen.

Zum Schlusse: Littlepage und Mary Warren wurden vor wenigen Tagen in der Saint-Andrews-Kirche getraut. Wir trafen den Gentleman erst gestern auf seiner Hochzeitsreise, und er teilte uns mit, nachdem er eine solche Gefährtin gewonnen habe, gedenke er seinen Wohnsitz nach einem andern Teil der Union zu verlegen; er habe hierzu Washington gewählt, ausdrücklich in der Absicht, eine günstige Lage zu finden, welche es ihm möglich mache, zu sehen, ob die Gesetze der Vereinigten Staaten dem Fingerhutsystem in der New Yorker Gesetzgebung gegenüber noch Geltung hätten. Er ist willens, alle Fragen, die mit seinen Pachtverhältnissen in Verbindung gesetzt wurden, zur Sprache zu bringen: das Besteuern des Grundbesitzers für ein Eigentum, aus dem vertragsmäßig der Pächter alle Steuern zu bezahlen hat, die Beschlagnahme wegen der Renten, wenn eine Beschlagnahme dem Wiedereintritt, welcher durch die Verträge stipulirt ist, vorausgehen muß und alle anderen Pfiffe und Kunstgriffe, auf welche das Gehirn unserer rabulistischen Gesetzgeberlein verfallen mag, um ihn gegen alles Recht und Gesetz aus seinem Eigentum zu verdrängen. Was uns selbst betrifft, so können wir nur sagen: Gott segne seine Bemühungen! denn wir sind aufs Tiefste überzeugt, daß die werthvolleren Teile der amerikanischen Institutionen nur erhalten werden können, wenn man den schnöden Geist der Habgier in den Staub tritt, der jede Spur von moralischem Gefühl und Rechtssinn, welche unter uns noch zu finden ist, zu vernichten droht.

Wie wir die Sache betrachten, sind Oregon, Mexiko und Europa mit vereinter Macht nicht im Stande, unserer Nation nur halb so viel zu schaden, als in diesem Augenblick von einem Feind in Aussicht steht, der schon jetzt im Besitz so vieler Bollwerke sich befindet und unablässig die Saat des Unheils auszustreuen bemüht ist, dabei stets die Freiheit im Munde führend, während er doch nur den Grund zur wildesten Tyrannei immer tiefer und tiefer legt.

Ich habe beizufügen vergessen, daß Mr. Littlepage beim Abschied die bedeutungsvolle Äußerung gegen mich fallen ließ, wenn er in Washington seinen Zweck nicht erreichen sollte, stehe ihm immerhin in Florenz eine Zufluchtsstätte offen, wo er unter den übrigen Opfern der Unterdrückung leben und sich noch obendrein der Auszeichnung erfreuen könne, als ein Verbannter der republikanischen Tyrannei bewundert zu werden.

 

 

Inhalt



Vorwort

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Achtundzwanzigstes Kapitel

Neunundzwanzigstes Kapitel

Dreißigstes Kapitel

Epilog

 

 

 

Vorwort



Dieses Buch schließt die Reihe der Littlepages-Manuskripte, die der Welt übergeben wurden, weil sie einen treuen Bericht über die Opfer an Zeit, Geld und Mühe enthalten, welche beziehungsweise von den Grundherren und den Pächtern auf einem New Yorker Besitztum gebracht worden sind. Daran fügt sich eine Schilderung der Art, wie die Gebräuche und Ansichten unter uns wechseln, nebst einer Angabe von einigen der Gründe, welche diese Veränderungen herbeigeführt haben. Der einsichtsvolle Leser wird wahrscheinlich im Stande sein, in diesen Erzählungen den Verlauf jener Neuerungen zu verfolgen, die mit den großen Gesetzen der Moral vorgenommen wurden und in den Interessen des Tages so schroff hervortreten, weil sie die einfachsten Grundsätze, welche Gott dem Menschen als Richtschnur seines Lebens vorgezeichnet hat, unter dem merkwürdigen Vorwande, als beabsichtigten sie eine Begünstigung der Freiheit, zu nichte machen. Auf dieser abwärts führenden Bahn zeigt unser Gemälde einige von den Proben der Gewissenlosigkeit, mit welcher man eine bestimmte Art von Eigentum behandelt, die vielleicht teilweise von dem halb barbarischen Zustand einer neuen Ansiedelung unzertrennlich ist. Wir verfolgen die Abstufungen des Squatters zum Landbauer, welcher blos die Aufgabe kennt, im Vorübergehen einigen Feldern eine Ernte abzuringen, und endlich zu dem, welcher das Geschäft im Großen betreibt, bis wir schließlich bei dem Antirenter anlangen, welcher in dieser Liste von Freibeutern nicht die niedrigste Stufe einnimmt.

Es wäre eitel, in Abrede ziehen zu wollen, daß das Hauptprinzip, welches dem Antirentismus zu Grunde liegt – wenn anders hier von einem Prinzip die Rede sein kann – in der Anmaßung besteht, für die Interessen und Wünsche der Massen Achtung zu verlangen, selbst wenn darüber die klarsten Rechte Einzelner geopfert werden müssen. Daß dies keine Freiheit, sondern eine Tyrannei in der allerschlimmsten Form ist, muß jeder rechtlich denkende und rechtlich fühlende Mensch auf den ersten Blick einsehen. Wer in der Geschichte der Vergangenheit bewandert ist und den Einfluß der verschiedenen Klassen kennt, begreift wohl, daß die gebildeten Reichen und Welterfahrenen unwiderstehlich werden, sobald sie ihre Kombinations- und Geldmittel vereinigen, um die Politische Bestimmung eines Landes zu leiten; sie sind in der Lage, dieselben Massen, welche nur sich für die wahren Hüter ihrer Freiheit halten, zu ihren servilsten Werkzeugen zu machen. Die wohlbekannte Wahl von 1840 ist ein denkwürdiger Beleg für die Macht einer solchen Kombination, obschon sie meist nur für Parteizwecke zu Stande kam und vielleicht durch die verzweifelten Entwürfe der Zahlungsunfähigen im Lande unterstützt wurde. Notwendig mußte ihr die Einigkeit unter den Vermöglichen gebrechen, da ihr die Grundlage von Prinzipien fehlte, welche ihr eine Weihe geben konnten, und man steht in dem ganzen Vorgang wenig mehr, als einen Beweis, wie mächtig selbst in einer sehr zweideutigen Sache Geld und Muße einwirken können, wenn sich's darum handelt, die Massen einer großen Nation dahin zu bringen, daß sie sich zu Werkzeugen ihrer eigenen Unterwerfung hergeben. Kein wohlmeinender amerikanischer Gesetzgeber sollte daher die Tatsache aus dem Gesicht verlieren, daß jeder Eingriff in die Rechte, die er heilig halten sollte, ein Schlag gegen die Freiheit selbst ist, denn diese hat, in einem Land, wie das unserige, keinen so sicheren oder so gewaltigen Bundesgenossen als die Gerechtigkeit.

Der Staat New York enthält ungefähr 16.000 Quadrat-Meilen Landes und umfaßt gegen 27 Millionen Acres. Im Jahre 1783 mochte seine Bevölkerung 200.000 Seelen betragen. Vergleicht man die Bevölkerung mit dem Flächenraum, so braucht man nicht erst zu beweisen, daß der Bauer nicht ganz so abhängig vom Grundbesitzer war, wie der Grundbesitzer von dem Bauer: auch läge hierin eine große Wahrheit, wenn der Staat eine Insel gewesen wäre. Wir wissen übrigens Alle, daß ringsumher viele unter ähnlichen Verhältnissen stehende Gemeinschaften sich befanden, und daß man nichts in solchem Überflusse haben konnte, als den Grund und Boden. Die Vorstellungen also, mit denen man sich über Erpressungen und Monopole trägt, müssen unwahr sein, wenn man sie auf die beiderseitigen Interessen jener Zeit in Anwendung bringen will.

Im Jahr 1786-87 hob der Staat New York, welcher damals die volle Befugnis dazu hatte, alle Fideicommisse auf und brachte auch anderweitig seine Gesetzgebung über Realbesitz in Harmonie mit den Institutionen. Damals bestanden hunderte, vielleicht tausende von Pachtgütern, die seitdem so anrüchig geworden sind. Die Aufmerksamkeit des Staats wandte sich unmittelbar der Hauptsache zu, und Niemand sah darin eine Unverträglichkeit mit den Bestimmungen der Institutionen. Man wußte, daß die Grundbesitzer durch die Freigebigkeit ihrer Zugeständnisse den Bauern zu Bewirtschaftung ihres Bodens angekauft hatten, und daß letzterem damit ein Vorteil zuging. Hätten die Landlords jener Zeit den Versuch gemacht, ihre Grundstücke für ein Jahr oder auch für zehn Jahre abzulassen, so würden sich für eine Wildnis keine Pächter gefunden haben: anders verhält sich aber die Sache, wenn der Eigentümer des Bodens darein willigte, seine Farmen gegen Bezahlung einer sehr niedrigen Rente wegzugeben; mit Zahlung der letzteren durfte man erst nach sechs- oder achtjährigem Betrieb beginnen, und man hatte zugleich das Abfinden getroffen, daß statt des Geldes das Produkt des Bodens geliefert werden sollte. Man ging damals mit Freuden auf diese Bedingungen ein, und der beste Beweis dafür liegt in der Tatsache, daß dieselben Pächter in der Gegend nach allen Richtungen hin freies und eigenes Land hätten kaufen können; aber die leichteren Bedingungen des Pachtvertrags waren ihnen lieber. Jetzt sind diese Personen oder ihre Nachkommen reich genug geworden, so daß sie sich mehr um die Beseitigung der Rentenlast, als um die Erhaltung ihres Geldes kümmern, denn in den Rechten der betreffenden Partien hat sich sicherlich nichts geändert.

1789 trat die Konstitution der Vereinigten Staaten in Wirksamkeit, und New York hatte bei Gründung und Abfassung derselben mitgewirkt. Vermöge derselben Konstitution begab sich nach gutem Vorbedacht unser Staat der Ermächtigung, die Verträge besagter Pachte anzutasten, und gestattete auch keiner andern Regierung das Recht dazu, im Falle es nicht durch eine Umänderung der Konstitution selbst geschah. Eine notwendige Folge davon ist, daß das Pachtverhältnis im gesetzlichen Sinn mit zu den Institutionen New Yorks gehört und deshalb nicht im Widerspruch mit denselben stehen kann. Nicht nur der Geist der Institutionen, sondern auch ihr Buchstabe weist dies nach. Man muß wohl einen Unterschied machen zwischen dem "Geist der Institutionen" und dem "eigenen Geist", denn der letztere ist oft nichts weiter, als ein Magen, der sich nicht ersättigen lassen will. Mit demselben Rechte, als sich dies vom Pachtverhältnisse sagen läßt, könnte man behaupten, das Haussklaven-System vertrage sich nicht mit den Institutionen der Vereinigten Staaten, und mit der gleichen Triftigkeit ließe sich nachweisen, weil A. keine Kameradschaft mit B. halten will, so handelt er gegen den "Geist der Institutionen", weil die Unabhängigkeitserklärung als Dogma aufstellt, daß alle Menschen gleich geboren seien.

Man hat vorgegeben, die Pachtverträge von langer Dauer trügen die Natur des Feudalwesens an sich. Wir können hierin nichts Wahres finden; aber selbst zugegeben, daß es der Fall wäre, so würde damit nur der Beweis geliefert, daß ein Feudalsystem in solcher Ausdehnung ein Teil der Staats-Institutionen ist – ja und außerdem noch ein Teil, über welchen der Staat selbst sich aller Zuständigkeit begeben hat, etwa diejenige abgerechnet, die er als einer von den achtundzwanzig Staaten besitzt. Was das Feudale in der Sache betrifft, so wird es mir schwer, zu sagen, wo es etwa zu suchen sein müßte. In der einfachen Tatsache der Rentenzahlung gewiß nicht, denn diese ist so allgemein, daß hierdurch das ganze Land feudal würde. Eben so wenig kann der Umstand in Betracht kommen, daß die Rente in natura, wie man's nennt, oder in Arbeit bezahlt werden soll; denn dies ist ein Vorteil für den Pächter, und es steht ihm ja frei, auch in Geld zu zahlen, da bei Versäumnissen die Gerichte auf letzteres Tilgungsmittel erkennen. Sollten die Pachtverträge wohl deshalb feudal sein, weil sie für immer fortlaufen? Aber eben dies ist ja augenscheinlich ein Vorteil für den Pächter, und er wußte denselben bei Eingehung seines Kontrakts recht wohl zu würdigen. Auch gibt es wahrscheinlich nicht einen einzigen Pächter auf Lebensdauer, der nicht bereitwillig ein derartiges Besitzverhältniß gegen einen von jenen verwünschten ewigen Pachten umwandeln würde.

Unter die Abgeschmacktheiten, welche man über das Thema des Feudalismus in Umlauf gesetzt hat, gehört auch die Behauptung, daß das wohlbekannte englische Statut "quia emptores" Entschädigungen für die Veräußerung verbiete, oder daß die quarter sales, fifth sales, sixth sales u. s. w., wie sie in unsern Verträgen vorkommen, schon bei ihrer Einführung im Widerspruch mit den Reichsgesetzen gestanden hatten. Gemeinrechtlich waren in gewissen Fällen von Hörigkeit die Abweichgelder eine Stipulation des Lebensvertrags. Das Statut des quia emptores hob zwar dies als allgemeinen Grundsatz auf, aber nicht in einer Weise, welche den Partien verbot, sich auf Verträge von der Natur der quarter sales oder Verkäufe gegen Bürgschaft einzulassen, wenn sie es für passend hielten. Das gemeine Recht weist allen realen Besitz dem ältesten Sohn zu, unser Statut aber teilt ihn, sogar ohne Rücksicht des Geschlechts, unter die nächsten Verwandten. Folgerichtig müßte also, wenn man annehmen wollte, das Gesetz von Edward I. verbiete einen Vertrag unter der Bedingung der quarter sales, dem Statut gemäß ein Vater seinen Grundbesitz auch nicht auf den ältesten Sohn übertragen können. Der Umstand, daß in dem gemeinen Recht eine Bestimmung geändert wird, zieht noch nicht die Unmöglichkeit nach sich, daß man nach der alten Norm eine Übereinkunft abschließe.

Das Lehensverhältnis zerfiel ursprünglich in zwei große Klassen; es gab nämlich militärische oder ritterschaftliche und After- oder Bauernlehen. Die ersteren wurden im Laufe der Zeit für die Gesellschaft sehr bedrückend. Das Afterlehensystem war gleichfalls doppelter Art – es gab freie Lehensleute und leibeigene Vasallen. Letztere hat man unter uns nie gekannt, während die Stellung der ersteren Ähnlichkeit mit derjenigen hat, welche unser Pachtsystem bietet. Als unter der Regierung Karls II. die ritterschaftlichen Lehen in Freilehen umgewandelt wurden, betrachtete man dieses Zugeständnis als so vorteilhaft für die Freiheit, daß es mit unter die bedeutendsten Maßregeln der Zeit gerechnet wurde, von denen eine die Gewährung der Habeas corpus-Akte war.

Der einzige Zug in unsern Pachtverträgen, welcher einigermaßen an die Leibeigenschaft erinnert, liegt in den "Tagwerken". Wer aber mit den Gewohnheiten des amerikanischen Lebens vertraut ist, begreift wohl, daß durch sämtliche nördliche Staaten die Landwirte allgemein es als einen Vorteil betrachten, wenn sie in dieser Weise ihre Schulden zahlen können; auch läßt ihnen das Gesetz die Wahl, indem es für den Fall einer Nichterfüllung der Zahlung in natura oder in Arbeit auf Entrichtung des Wertes in Geld erkennen läßt. Thatsächlich ist auch stets für die bedungenen Tagwerke eine gewisse stipulirte Summe angenommen worden.

Aber man hat vorgegeben, wenn auch derartige Verträge auf den Fuß der Billigkeit gegründet seien, hätten sie doch immer etwas Verletzendes für den Pächter, und sollten, um den Frieden des Staates zu erhalten, abgeschafft werden. Der Staat aber ist verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß alle Klassen seine Gesetze achten, und in keinem Stücke erscheint dies dringender nötig, als in Erfüllung gesetzlicher Kontrakte. Je größer die Anzahl der Übertreter ist, um so mehr hat der Staat die Obliegenheit, ihnen mit Entschiedenheit und Nachdruck entgegenzutreten. Wollte man sagen, man solle

Erstes Kapitel



Der Tugend Musterbild war deine Mutter,
Und sie erklärt für meine Tochter dich;
Dein Vater schwang das Scepter über Mailand
Als Herzog, und die einz'ge Erbin war
Nichts schlechteres als eines Fürsten Sprößling.

Der Sturm


Onkel Ro und ich, wir Beide hatten uns im Orient aufgehalten, und waren, als wir in Paris anlangten, schon volle fünf Jahre aus der Heimat abwesend gewesen. Wie wir auf unserem Rückweg von Ägypten über Algier, Marseille und Lyon durch die Barrieren einfuhren, hatte bereits seit achtundzwanzig Monaten keiner von uns auch nur Eine Zeile aus Amerika zu Gesicht bekommen: denn wir waren diese ganze Zeit über nie in unsere frühere Reiseroute zurückgefallen, die es uns möglich gemacht haben würde, da oder dort ein einzelnes Schreiben aufzulesen. Aus eben diesem Grunde war auch unsere Vorsichtsmaßregel vergeblich gewesen, als wir Weisung ertheilten, die an uns gerichteten Briefe an verschiedene Banquiers in Italien, in der Türkei und auf Malta zu senden.

Mein Onkel war ein alter Reisender, und man hätte Europa fast seine Heimat nennen können, da er von seinen neunundfünfzig Lebensjahren nicht weniger als zwanzig fern von dem amerikanischen Kontinent zugebracht hatte. Er war ein Junggeselle, und hatte nur für Verwaltung seines großen Grundbesitzes Sorge zu tragen, welcher durch das ungeheure Anwachsen der Stadt New York schnell zu einem bedeutenden Wert gelangt war; da er außerdem von früh an seinen Geschmack durch Reisen gebildet hatte, so lag es ganz in der Natur der Sache, daß er diejenigen Gegenden aufsuchte, die ihm am meisten gefielen.

Roger Littlepage war im Jahre 1786 geboren und der zweite Sohn meines Großvaters Mordaunt Littlepage aus dessen Ehe mit Ursula Malbone. Mein Vater Malbone Littlepage war der älteste Sprößling dieser Verbindung, und würde, wenn er seine Eltern überlebt hätte, kraft seines Erstgeburtsrechts die Besitzung Ravensnest geerbt haben. Da er jedoch in jungen Jahren starb, trat ich in einem Alter von kaum achtzehn das Erbe des Eigentums an, welches ihm zugefallen wäre. Auf meinen Onkel Ro kamen Satanstoe und Lilaksbush, zwei Landhäuser und Meiereien, die, wenn sie auch nicht den Namen großer Besitzungen verdienten, im Lauf der Zeit doch weit werthvoller wurden, als die große Bodenfläche, welche das Erbteil des älteren Bruders war. Mein Großvater hatte ein bedeutendes Vermögen besessen, da nicht nur die Habe der Littlepage's, sondern auch die der noch reicheren Familie Mordaunt nebst einigen sehr freigebigen Vermächtnissen eines gewissen Obristen Dirck Follock oder Van Valkenburgh auf ihn gefallen waren; letzterer hatte nämlich, obschon nur in einem entferntern Verwandtschaftsgrade zu uns stehend, die Nachkömmlinge meiner Urgroßmutter Anneke Mordaunt zu seinen Erben ernannt. Demgemäß traf auf jedes von uns ein schöner Anteil. Meine Tanten erhielten reiche Vermächtnisse in Hypotheken auf das Gut Mooseridge nebst einigen Bauplätzen in der Stadt, während auf meine Schwester reine fünfzigtausend Dollars in Geld kamen. Auch mir waren Stadtbauplätze zugefallen, die in der Folge sehr einträglich wurden, und ein besonders verordnetes Minderjährigkeitsverhältniß von sieben Jahren hatte mein in New Yorker Staatspapieren angelegtes Kapital auf eine Weise anwachsen lassen, daß ich einer schönen Zukunft entgegensehen konnte. Ich sage – ein besonders verordnetes Minderjährigkeitsverhältniß – denn mein Vater und mein Großvater, von denen der erstere mich und einen Teil des Vermögens, letzterer aber den Rest meiner Habe unter die Vormundschaft meines Onkels stellte, hatten die Verfügung getroffen, daß ich den Besitz erst nach Vollendung meines fünfundzwanzigsten Lebensjahres antreten sollte.

Ich verließ im zwanzigsten das College, und Onkel Ro – denn so wurde er nicht nur von Martha und mir, sondern auch von etlich und zwanzig Cousinen, den Sprößlingen unserer drei Tanten, genannt – wollte nun meine Erziehung durch Reisen vollenden.

Da ein derartiger Vorschlag einem jungen Manne nur angenehm sein konnte, so brachen wir in einer Zeit auf, als sich die Bedrückung des großen panischen Schreckens von 1836-37 eben gelegt hatte, und unsere "Lots" sowohl, als auch unsere Staatspapiere leidlich sicher standen. In Amerika muß man ebensogut auf die Erhaltung seines Vermögens Acht haben, als die Erwerbung desselben einen unverdrossenen Fleiß fordert.

Mr. Roger Littlepage – beiläufig bemerkt, ich trug den gleichen Namen, obgleich ich stets Hugh genannt wurde, während mein Onkel je nach Beschaffenheit der Umstände (wenn man nämlich sentimental, traulich oder mannhaft mit ihm sprechen wollte) von den Familiengliedern mit den Bezeichnungen Roger, Ro und Hodge angeredet wurde – Mr. Hugh Roger Littlepage Senior hatte damals ein eigenes System, amerikanischen Augen den Staar zu stechen und die Flecken des Provinzialismus aus dem Diamant von republikanischem Wasser zu entfernen, indem er selbst weit klarer sah, als es irgend Einem möglich ist, der seine Heimat nie verlassen hat. Und es war ihm bereits genug vorgekommen, was ihm die Überzeugung geben konnte, es sei doch auch noch eine Möglichkeit – man merke wohl, ich sage nur eine Möglichkeit – vorhanden, daß unsere glückliche Nation ein bisschen lernen könne, wie sehr sie auch mit ihren Angehörigen oder nicht Angehörigen bei allen Gelegenheiten, ob diese nun passend seien oder nicht, zu glauben geneigt sein mag, sie sei in unendlich vielen Stücken berufen, die Lehrerin der alten Welt zu sein. Von dem Grundsatze ausgehend, daß jeder Wissenszweig allmählig erlernt werden müsse, war er daher der Ansicht, man müsse zuerst mit dem ABC anfangen und dann regelmäßig zu den belles lettres und der Mathematik aufsteigen. Die Art, wie er dies bewerkstelligte, verdient Beachtung.

Die meisten amerikanischen Reisenden landen in England, das in materieller Beziehung am weitesten vorgeschritten ist, und gehen dann nach Italien, vielleicht auch nach Griechenland, während Deutschland und die weniger anziehenden Gegenden des Nordens den Schluß des Kapitels bilden müssen. Der Theorie meines Onkels gemäß sollte man der Ordnung der Zeit folgen und mit den Alten beginnen, um mit den Neuen zu endigen, obgleich er zugab, daß bei Befolgung einer solchen Regel für den Anfänger das Vergnügen einigermaßen geschwächt werde; denn ein Amerikaner, der frisch von der frischen Natur des westlichen Kontinents herkömmt, kann sich recht wohl, namentlich in England, an den Denkzeichen der Vergangenheit ergötzen, während sie seinem verwöhnten Geschmack unbedeutsam erscheinen, nachdem er den Tempel des Neptun, das Parthenon oder vielmehr die Überbleibsel desselben, und das Coliseum gesehen hat. Ohne Zweifel ging mir dadurch Vieles verloren, indem ich mit dem Anfang, d. h. mit Italien begann und dann in den Norden reiste.

Indes blieb es einmal bei diesem Plane. Wir landeten zu Livorno, musterten im Laufe von zwölf Monaten die italienische Halbinsel, gingen dann durch Spanien nach Paris, machten von hier aus die Reise nach Moskau und dem baltischen Meere und gelangten endlich über Hamburg nach England.

Nachdem wir die britischen Inseln, deren Altertümer mir nach den anderwärts gesehenen weit merkwürdigeren Antiken flach und uninteressant vorkamen, durchwandert hatten, kehrten wir nach Paris zurück, damit ich dort wo möglich ein Mann von Welt werde, und die Provinzialflecken abreibe, durch welche der amerikanische Diamant in seiner Dunkelheit unvermeidlich getrübt worden war.

Mein Onkel Ro war sehr gern in Paris, und hatte sich sogar in der Faubourg ein kleines Hotel erworben, in welchem stets eine schön möblirte Abteilung für seinen eigenen Gebrauch bereit stand. Der Rest des Hauses war an ständige Bewohner vermietet, der ganze erste Stock aber und der Entresol blieben in seinen Händen. Aus besonderer Vergünstigung ließ er auch hin und wieder, wenn er auf länger als sechs Monate auszubleiben gedachte, seine eigenen Gemächer an eine amerikanische Familie ab, und verwandte sodann den Miethpreis auf Ergänzung des Mobiliars in seiner Abteilung, die aus einem Salon, einer salle à manger, einer antichambre, einem cabinet, mehreren chambres à coucher und einem boudoir – ja, man denke sich, einem männlichen boudoir – bestand, denn so pflegte er dieses Gemach gerne zu nennen. Er hielt große Stücke darauf, daß seine Räumlichkeiten stets in einem Zustand waren, um sogar seinen eigenen ekeln Geschmack zufrieden zu stellen.

Von England angekommen, blieben wir eine ganze Saison zu Paris, und gaben uns eben alle Mühe, den Diamant abzuschleifen, als sich mein Onkel plötzlich in den Kopf setzte, daß wir das Morgenland besuchen müßten. Er war selbst früher nie weiter als nach Griechenland gekommen, und jetzt gefiel er sich in dem Gedanken, in meiner Gesellschaft eine Reise nach dem Orient zu machen. Im Lauf von zwei und einem halben Jahre besuchten wir Griechenland, Konstantinopel, Klein-Asien, Palästina, Mecca, das rote Meer, Ägypten bis zu den zweiten Catarakten hinauf und fast die ganze Berberei. Die letztere Tour schlugen wir ein, um auch etwas außer dem gewöhnlichen Reisezug zu sehen, obschon man jetzt unter den Turbanen so viele Hüte und Reisemützen trifft, daß ein Christ, der sich anständig benimmt, fast überall fortkommen kann, ohne daß er besorgen müßte, angespieen zu werden. Ein solches Verhältnis ist im Allgemeinen sehr verlockend, und muß es besonders für einen amerikanischen Reisenden sein, der heutzutage in der Heimat weit mehr einer derartigen Demüthigung ausgesetzt ist, als sogar in Algier. Doch der Animus ist in der Moral als Hauptsache anzuschlagen.

Als wir durch die Barriere einfuhren, waren wir zwei und ein halbes Jahr von Paris abwesend gewesen, ohne im Laufe von achtzehn Monaten eine Zeitung gesehen oder eine Mitteilung aus Amerika erhalten zu haben. Auch früher schon war der Inhalt der Briefe und Zeitschriften mehr von Privatinteresse gewesen, so daß ich über den allgemeinen Charakter unserer Zustände nichts Erhebliches mitzuteilen wüßte.

Wir wußten, daß die "zwanzig Millionen" – erst kürzlich noch nannte man sie die "zwölf Millionen" – nach der vorübergehenden Geldkrisis, die sie durchzumachen hatten, ganz erstaunlich wieder in Aufnahme gekommen waren, denn die Banquiers hatten während der ganzen Zeit unserer Abwesenheit unsere Wechsel ohne Extrabelastungen honorirt. Freilich muß ich hier sagen, daß Onkel Ro als erfahrener Reisender sich gut mit Kreditbriefen vorgesehen hatte – eine Maßregel, die der Amerikaner nach dem in der alten Welt über uns erhobenen Geschrei nicht verabsäumen durfte.

Ehe ich übrigens eine Zeile weiter schreibe, muß ich mir hier eine unverhohlene Bemerkung erlauben. Der Amerikaner, der sich nie von dem Gängelband seiner Mutter abgelöst hat, verfällt gerne in eine engherzige, provinziale Eigenliebe, welche ihn veranlaßt, mit offenem Munde all' den Unsinn zu verschlucken, welcher in den Spalten seiner Zeitungen vor der Welt ausgekramt, oder von den Jährlingsreisenden zu Markt gebracht wird, die ihre "Excursions" antreten, ehe sie die geselligen Gebräuche und charakteristischen Züge ihres eigenen Landes nur zur Hälfte kennen gelernt haben. In dem, was meine Feder niederschreibt, hoffe ich mich von einer derartigen Schwäche ebenso fern zu halten, als von der Sünde einer Verwirrung der Prinzipien und der Abläugnung solcher Tatsachen, die dem Lande meiner Geburt und meiner Vorfahren wirklich zur Ehre gereichen. Ich habe lange genug in der "Welt" gelebt – hierunter verstehe ich nicht das südöstliche Ende der nordwestlichen Township Connektikuts – um nicht einzusehen, daß wir, sowohl was Theorie als was Praxis betrifft, in vielen Dingen weit hinter älteren Nationen zurückstehen, während es andererseits Manches gibt, worin wir ihnen einen gewaltigen Vorsprung abgewonnen haben. Gewiß ist es nicht patriotisch, eine heilsame Wahrheit zu verbergen, und am allerwenigsten möchte ich mich zu einem derartigen kindischen Wunsch durch den Umstand verleiten lassen, weil ich die Ansichten, die ich hege, meinen Landsleuten nicht mitteilen kann, ohne daß die übrige Welt davon Kunde erhielt. Wo wären die Molière's, die Shakespeare's, die Sheridans und die Beaumonts und Fletchers, wenn Frankreich oder England nach demselben engherzigen Grundsatze gehandelt hätte! Nein, nein, große Nationalwahrheiten dürfen nicht nach dem albernen Wunsch und Willen der Fraubaserei gemodelt werden, und wer meine Schriften liest, muß meine Ansichten über Dinge und Zustände, nicht diejenigen erwarten, welche zufälligerweise er selber hegt. Allerdings steht es Jedem frei, anderer Meinung zu sein; indes nehme ich für mich das Privilegium einer kleinen Gewissensfreiheit in Betreff des Landes in Anspruch, welches nah und fern für das allein freie auf Erden erklärt wird. Unter "nah und fern" begreife ich die Ausdehnung von St. Croix bis zum Rio Grande, und vom Kap de Cod bis zur Einfahrt von St. Juan de Fuca – gewiß ein recht hübsches Gütchen, der Zwischenraum, welcher innerhalb dieser Gränzen liegt, und man kann ihn recht wohl "nah und fern" nennen, ohne sich dem Vorwurf der Beschränktheit oder Eitelkeit auszusetzen.

Wir hatten unsere Reise trotz aller Beschwerlichkeiten zu Ende gebracht und befanden uns wieder in den Mauern des prächtigen Paris. Die Postillone hatten die Weisung erhalten, nach Onkel Ro's Hotel in der Rue St. Dominique zu fahren, und eine Stunde nach unserer Ankunft setzten wir uns unter eigenem Dache zum Mittagsmahle nieder. Der Miethmann meines Onkels war der Übereinkunft gemäß einen Monat zuvor ausgezogen, und das Pförtners-Ehepaar hatte nicht nur für einen guten Koch gesorgt, sondern auch die Zimmer in Ordnung gebracht und Alles zu unserem Empfang bereit gehalten.

"Das muß wahr sein, Hugh," sagte mein Onkel, "man kann in Paris recht gemächlich leben, wenn man das savoir vivre besitzt. Gleichwohl hege ich eine große Sehnsucht, einmal wieder die heimische Luft zu athmen. Mag man über Pariser Vergnügungen, Pariser Kochkunst und dergleichen sagen, was man will, die Heimat bleibt doch Heimat, gleichviel, wie arm sie auch sei. Ein dinde aux truffes ist zwar ein Kapitalessen, aber den Truthahn mit Preißelbeerensauce muß man auch nicht verachten. Bisweilen gelüstet's mich sogar nach einer Kürbispastete, obschon sich kein Kernchen vom Plymouthfelsen im Granit meines Körpers befindet."

"Ich habe Euch immer gesagt, Sir, Amerika sei, was Essen und Trinken betrifft, ein treffliches Land, wie viel ihm auch in andern Stücken der Zivilisation abgehen mag."

"Ja wohl, was Essen und Trinken betrifft, Hugh, wenn nur erstlich das Fett nicht wäre und zweitens sich ein gediegener Koch auffinden ließe. Zwischen der Kochkunst Neu-Englands z. B. und der der mittlern Staaten, die holländischen ausgenommen, findet ein ebenso großer Unterschied statt, wie zwischen der von England und Deutschland. In den mittlern und auch noch in den südlichern Staaten, obgleich es in den letztern schon ein wenig nach West-Indien schmeckt, hat man englische Küche im wahren Sinn, d. h. die kräftigen, würzigen, nahrhaften Gerüchte englischer Hausmannskost, das ungare Roastbeef, die schnell fertigen Beefsteaks, die saftigen Coteletten, die Schöpsenbrühe, die Hammelsschlegel et id omne genus. Auch manches Eigene besitzen wir in trefflicher Eigenschaft – so z. B. die Cannavaßenten, die Riedvögel, die Schafsköpfe, die Alosen und den Schwarzfisch. Der Unterschied zwischen Neu-England und den mittlern Staaten ist noch immer augenfällig genug, obschon er in meinen jüngern Tagen besonders schlagend war. Ich glaube, der Grund davon liegt in der provinzielleren Abkunft und in den rusticöseren Gewohnheiten unserer Nachbarn. Beim billigen Georg, Hugh, was meinst du? man könnte wohl sogar jetzt ein Gelüstchen an eine Austernsuppe kriegen."

"Eine gut zubereitete Austernsuppe, Sir, ist eine der größten Leckereien von der Welt. Könnten die Pariser Köche eines solchen Gerichts habhaft werden, so wäre für eine ganze Saison ihr Glück gemacht."

"Was ist 'crème de Bavière' und dergleichen Tand gegen ein gutes Teller voll Austernsuppe, Junge! Natürlich gut zubereitet – etwa so wie sie ein Koch von Jennings seit dreißig Jahren anzufertigen pflegt. Habe ich dir von der Suppe dieses Burschen schon erzählt, Hugh?"

"Schon oft, Sir. Indes habe ich schon köstliche Austernsuppe gegessen, ohne daß er damit zu schaffen hatte. Natürlich meint Ihr die Suppe, die nur eben durch den Geschmack der kleinen harten Austern gewürzt ist – nicht die gemeine potage à la softclam? – Diese ist keine Kost für einen Mann von Bildung!"

"Natürlich meine ich die harte, kleine Auster, die hardclam. Das Geschrei der New Yorker hat freilich jetzt aufgehört, wie in der Heimat Alles, was zwanzig Jahre alt ist. Willst du etwas von diesem unvermeidlichen 'poulet à la Marengo?' Ich wünschte, es wäre ein ehrlicher amerikanischer gesottener Vogel, mit einer saftigen Spanferkelschnitte daneben. Hugh, es ist mir diesen Abend ganz erstaunlich heimelich!"

"Ich finde dies ganz natürlich, mein teurer Onkel Ro, und gestehe ein, daß ich von dieser weichen Stimmung selbst nicht frei bin. Sind wir doch schon fünf Jahre von dem Lande unserer Geburt fern und haben noch obendrein die Hälfte dieser Zeit fast gar nichts von der Heimat gehört. Wir wissen, daß Jakob" – dieser war ein freier Neger im Dienste meines Onkels, eine Reliquie aus dem alten Haussklavensystem der Kolonien, die vor dreißig Jahren den Namen Jaaf oder Yob geführt haben würde – "nach dem Hause unseres Banquiers gegangen ist, um nach Briefen und Zeitungen zu sehen, und dies zieht natürlich unsere Gedanken nach der andern Seite des Atlantischen. Ohne Zweifel werden wir uns morgen beim Frühstück, wenn Jeder von uns die betreffenden Depeschen gelesen hat, weit behaglicher fühlen."

"Jetzt ein Glas Wein zusammen nach guter alter Yorker Sitte, Hugh. Als ich und dein Vater noch Knaben waren, fiel es uns nie ein, mit dem halben Glas Madeira, das uns zu Teil wurde, uns die Lippen anzufeuchten, ohne zu sagen: 'Deine Gesundheit, Mall!' 'Deine Gesundheit, Hodge!'"

"Von Herzen gerne, Onkel Ro. Der Brauch ist zwar, schon ehe ich die Heimat verließ, etwas in Abnahme gekommen, aber gleichwohl könnte man ihn fast den amerikanischen beizählen, da er bei uns länger ausgehalten hat, als bei den meisten Leuten."

"Henry!"

Dies war der maitre d'hôtel meines Onkels, welchen er während der ganzen Zeit unserer Abwesenheit bezahlt und verköstigt hatte, damit ihm nach seiner Rückkehr der Sinn für Ordnung und Gemächlichkeit, der Geschmack und die Geschicklichkeit dieses Mannes wieder zu Statten käme.

"Monsieur."

"Ich zweifle nicht" – mein Onkel sprach zwar für einen Ausländer trefflich französisch; indes halte ich es doch für besser, hier seine Worte in Übersetzung zu geben – "ich zweifle zwar nicht, daß dieses Glas Burgunder gut ist – wenigstens sieht es gut aus und kommt von einem Weinhändler, auf den ich mich verlassen kann; – aber Monsieur Hugh und ich wollen à l'Americain mit einander trinken, und ihr werdet daher so gefällig sein, uns ein Glas Madeira vorzusetzen, obgleich es schon etwas spät an der Tageszeit ist, um damit anzufangen."

"Très volontiers, Messieurs, – ich schätze mich glücklich, Euch zu Diensten zu sein."

Onkel Ro und ich tranken nun mit einander Madeira; übrigens kann ich zu Gunsten seiner Güte nicht viel sagen.

"Was ist es doch Köstliches um einen guten Newtoner Pippinapfel!" rief mein Onkel, nachdem er eine Weile schweigend gegessen hatte. "Hier zu Paris spricht man so viel von der poire de beurré: aber meiner Ansicht nach läßt sie sich nicht vergleichen mit den Newtonern, wie sie zu Satanstoe wachsen. Beiläufig bemerkt, ich halte diese Frucht, wie sie zu Newton vorkommt, für viel besser, als wenn man sie auf der andern Seite des Flusses sucht!"

"Es sind treffliche Äpfel, Sir, und Euer Obstgarten zu Satanstoe ist einer der besten, die ich kenne. Freilich sollte ich nur von dem sprechen, was von ihm übrig blieb, denn ich glaube, ein Teil Eurer Bäume steht jetzt in einer Vorstadt von Dibletonborough."

"Ja, zum Henker mit diesem Platz! ich wollte, ich hätte nie einen Fußbreit von dem alten Fleck weggegeben, obschon ich durch den Verkauf ein hübsches Stück Geld gewann. Harte Thaler können keine Entschädigung bieten für teure Erinnerungen."

"Ein hübsches Stück Geld, mein teurer Sir? Erlaubt mir die Frage, wie hoch wurde Satanstoe angeschlagen, als es von meinem Großvater auf Euch überging?"

"Ziemlich hoch, Hugh, denn es war, wie es auch noch jetzt ist, ein treffliches Gut und im besten Stand. Du erinnerst dich, daß es im Ganzen, einschließlich des nassen Riedgrundes, volle fünfhundert Acres beträgt."

"Und dieses Erbe ging im Jahr 1829 auf Euch über?"

"Natürlich, in diesem Jahr starb mein Vater; man schätzte den Platz damals zu dreißigtausend Dollars, aber das Landeigenthum stand zu jener Zeit in West-Chester sehr niedrig."

"Und Ihr verkauftet, einschließlich des Vorsprungs, des Hafens und einer guten Strecke Riedgrundes zweihundert Acres für den mäßigen Preis von hundert und zehntausend Dollars baaren Geldes. Ein anständiger Erlös, Sir."

"Nicht baar Geld; es wurden nur achtzigtausend baar aufgezählt und dreißigtausend blieben auf Hypothek stehen."

"Und wenn ich die Wahrheit erfuhr, so haftet Euch für diese Hypothek noch immer die ganze Stadt Dibletonborough. Eine derartige Korporation sollte doch für dreißigtausend Dollars eine gute Sicherheit bieten."

"Gleichwohl im gegenwärtigen Falle nicht. Die Spekulanten, welche mir 1835 den Boden abgekauft hatten, steckten eine Stadt aus, bauten ein Gasthaus, ein Quai und ein Magazin, worauf sie eine Versteigerung hielten. Sie verkauften vierhundert Bauplätze, je fünfundzwanzig Fuß lang bei hundert Fuß Tiefe, durchschnittlich für zweihundert und fünfzig Dollars, von denen sie sich die Hälfte oder fünfzigtausend Dollars baar zahlen und den Rest auf Hypothek stehen ließen. Bald nachher barst die Seifenblase, und der beste Bauplatz zu Dibletonborough brachte bei der Auktion keine zwanzig Dollars ein. Hotel und Magazin stehen allein in ihrer Herrlichkeit und werden so bleiben, bis sie einfallen, was wahrscheinlich stattfinden wird, ehe tausend Jahre umgelaufen sind."

"Und in welchem Zustand findet sich der Stapelplatz?"

"In einem sehr schlimmen. Die Abgrenzungen verschwinden, und wer seinen Anteil aufzufinden versuchen wollte, müßte den Wert seines Bauplatzes daran rücken, um nur die Vermessungskosten zu bestreiten."

"Aber Eure Hypothek ist gut?"

"Ja, in einem Sinne wohl; aber es würde sogar einen Philadelphia-Juristen in Verlegenheit bringen, das Pfand für verfallen zu erklären. Je nun, die Rentabilität dieses Stadtplatzes sorgt von selbst für Bevölkerung, und um dem Unwesen auf die kürzeste Weise zu steuern, trug ich meinem Agenten auf, mit dem Ankauf der Berechtigungen zu beginnen. Dieser teilt mir nun in seinem letzten Briefe mit, es sei ihm gelungen, für einen Durchschnittspreis von zehn Dollars die Besitztitel von dreihundert und zehn Bauplätzen zu erwerben: der Rest wird sich vermutlich auch noch absorbiren lassen."

"Absorbiren? Dies ist ein Ausdruck, den ich noch nie auf Landbesitz anwenden hörte."

"Und gleichwohl tritt er in Amerika oft genug in Wirksamkeit. Man versteht darunter das bloße Umschließen eines fremden Stück Landes, auf das Niemand Anspruch erbebt, durch eigenes Besitztum. Was kann ich tun? Eigentümer lassen sich nicht auffinden, und dann gilt meine Hypothek stets als ein Rechtstitel. Ein zwanzigjähriger Besitz unter Pfandberechtigung ist so gut wie eine Allodial-Verleihung mit vollen Bürgschafts-Verträgen, vorausgesetzt, daß keine minderjährigen Personen und unter der Gewalt des Mannes stehenden Frauen dabei in Frage kommen."

"Bei Lilaksbush seid Ihr besser gefahren?"

"Ah, das war freilich eine runde Verhandlung, bei der keine Stolperblöcke mitunter liefen. Da Lilaksbush auf der Insel Manhattan liegt, so darf man darauf zählen, daß sich früher oder später dort eine Stadt erbebt. Allerdings hat man von diesem Grundstücke aus gute drei Stunden vom Rathhaus; aber gleichwohl hat es Wert und kann stets gegen näher gelegenes Land umgetauscht werden. Außerdem ist der Plan von New York bereits gefertigt und einregistrirt, so daß man seinen Grund und Boden leicht auffinden kann; und wer weiß, ob die Stadt nicht bald Kingsbridge erreichen wird."

"Wie ich hörte, habt Ihr eine hübsche Summe für den Busch erlöst, Sir?"

"Dreihundert fünfundzwanzigtausend Dollars in Baarem. Borgen mochte ich nicht, und so ist denn jetzt der ganze Kaufschilling in guten sechsprozentigen Papieren der Staaten New York und Ohio angelegt."

"In diesem Teile der Welt würden manche Personen eine derartige Kapitalisirung nicht für die beste Sicherheit halten."

"Drum sind's Einfaltspinsel. Amerika ist im Grunde doch ein herrliches Land, Hugh, und man kann froh und stolz darauf sein, ihm anzugehören. Blicke man nur auf Zeiten zurück, deren ich mich noch erinnern kann – gab es je eine Nation, die von der ganzen übrigen Christenheit so angespuckt wurde – –"

"Ihr müßt wenigstens zugestehen, mein teurer Sir," erwiderte ich, vielleicht etwas vorlaut, "daß das Beispiel andern Völkern wohl zur Verlockung gereichen konnte; denn wenn es je eine Nation gab, die sich's angelegen sein ließ, sich selbst anzuspeien, so läßt sich dies von unsern teuren Landleuten behaupten."

"Sie besitzen allerdings diese garstige Gewohnheit im Übermaß, und es wird eher schlechter als besser, da sich der Einfluß der guten Erziehung und Sitten mit jedem Tag mehr vermindert; doch dies ist nur ein Flecken an der Sonne – blos eine dunkle Stelle in dem Diamanten, den die Reibung auswetzen wird. Ha, in Wahrheit, welch' Land, welch' herrliches Land ist es nicht! Du bist nun jetzt fast durch alle zivilisierten Teile der alten Welt gekommen, mein teurer Junge, und du mußt auf deinen Reisen die Überzeugung gewonnen haben, wie sehr das Land deiner Geburt allen übrigen überlegen ist."

"Ich erinnere mich, daß Ihr stets so zu sprechen pflegtet, Onkel Ro; gleichwohl aber habt Ihr fast die Hälfte Eures reiferen Alters außerhalb dieses herrlichen Landes zugebracht."

"Dies ist blos eine Folge von Zufälligkeiten und Liebhabereien. Ich will nicht eben behaupten, daß Amerika vornherein z. B. ein Land für einen Junggesellen ist, denn Diejenigen, welche nicht über einen eigenen häuslichen Herd gebieten, finden gar beschränkte Mittel für ihre Vergnügungen. Auch behaupte ich nicht, daß die amerikanische Gesellschaft im gewöhnlichen Sinn dieses Wortes so wohl geordnet, so geschmackreich, so umgänglich, so angenehm oder so belehrend und nutzbringend sei, wie die in fast jedem europäischen Lande meiner Bekanntschaft. Ich bin nie der Ansicht gewesen, ein Mann, der Muße hat und nicht von einer liebenden Familie umgeben ist, könne sich in der Heimat nur halb so sehr vergnügen, wie in diesem Teile der Welt, und ich nehme daher keinen Anstand, einzuräumen, daß, was Geistesbildung betrifft, die meisten Gentleman in einer großen europäischen Hauptstadt jeden Tag so viel erleben können, als zu New York, Philadelphia und Baltimore in einer ganzen Woche."

"Wie ich bemerke, Sir, schließt Ihr Boston nicht mit ein."

"Von Boston spreche ich nicht. Der Geist wird dort hart gespornt, und man tut besser, wenn man sich mit einem solchen Zustand der Dinge gar nicht befaßt. Hat aber ein Mann oder eine Frau von Geschmack und allgemeiner feiner Bildung freie Zeit, so behaupte ich, daß, ceteris paribus, derartige Personen sich in Europa weit besser vergnügen können, als in Amerika; die Philosophen aber, die Philanthropen, die Rational-Ökonomen, mit einem Worte die Patrioten können sich wohl in den Elementen hoher Rational-Ueberlegenheit, wie man sie in Amerika findet, glücklich fühlen."

"Ich hoffe, diese Elemente stehen nicht so hoch, daß sie nicht im Notfall zu erreichen wären, Onkel Ro?"

"Dies hat keine sonderlichen Schwierigkeiten, mein Junge. Betrachte nur vornweg die Gleichheit der Gesetze; sie hat ihre Grundlage in den Prinzipien einer natürlichen Gerechtigkeit und ist für das Wohl der Gesellschaft berechnet – für den Armen so gut wie für den Reichen."

"Erlaubt mir die Frage, ob sie den Reichen in gleicher Weise zu gut kommen, wie den Armen?"

"Na, ich will zugeben, daß in diesem besonderen Punkte ein kleiner Mackel aufzutauchen beginnt. Menschliche Gebrechlichkeit, weiter nichts – wir dürfen unter dem Monde nichts Vollkommenes erwarten. Allerdings ist man ein wenig zu sehr geneigt, die Gesetze im Interesse des großen Hausens zu erlassen, um bei den Wahlen Stimmen zu gewinnen, und dieser Umstand hat möglicherweise die Beziehung des Gläubigers zu dem Schuldner ein wenig unsicher gemacht; aber wenn man nur die Klugheit walten läßt, so kann man gleichwohl leicht durchkommen. Meinst du nicht, der Irrtum liege auf der richtigeren Seite, wenn statt des Reichen der Arme begünstigt wird, falls je da oder dort eine Bevorzugung stattfinden soll?"

"Die Gerechtigkeit darf keine Begünstigungen eintreten lassen, sondern muß Alle gleich behandeln. Ich habe stets gehört, die Tyrannei des großen Haufens sei die allerschlimmste von der Welt."

"Wenn sich's wirklich um Tyrannei handelt, so hast du vielleicht recht, und der Grund hierfür liegt nahe. Ein einziger Tyrann ist bälder zufrieden gestellt, als eine Million, und hat außerdem noch ein größeres Verantwortlichkeits-Bewußtsein. Wenn z. B. der Czaar geneigt wäre, ein Tyrann zu sein – zwar kann ich mir dies von Nikolaus nicht denken – aber selbst wenn er Lust dazu hätte, so würde er doch Anstand nehmen, unter seiner ausschließlichen Verantwortlichkeit Dinge vorzunehmen, wie sie sich unsere Majoritäten erlauben, ohne auch nur eine Ahnung von der Bedrückung, die sie üben, zu haben oder sich überhaupt darum zu kümmern. In dieser Hinsicht ist man im Ganzen gar sorglos, und es geschieht lange nicht genug, um den unermeßlichen Vortheilen des Prinzips das Gleichgewicht zu halten."

"Ich habe von sehr verständigen Männern sagen hören, das schlimmste Zeichen in unserem System sei die Tatsache, daß die Gerechtigkeit allmählig so sehr in Verfall gerät. Die Richter haben meist ihren Einfluß verloren, und die Geschwornen verstehen sich ebensogut auf's Brechen als auf's Machen der Gesetze."

"Ich will zugeben, daß auch hierin viel Wahrheit liegt, denn in wichtigen Streitsachen wirst du nie darnach fragen hören, welche Partei Recht hat, sondern wer in dem Geschworenen- Gericht sitzt. Doch wie ich immer sage, wir ringen vergebens nach Vollkommenheit, und gewiß haben wir Beide allen Grund, auf das herrliche Land stolz zu sein, in welchem der alte Hugh Roger, unser Ahn und Namensbruder, sich vor anderthalbhundert Jahren festzusetzen für passend hielt."

"Und gleichwohl glaube ich, Onkel Ro, es würde den meisten Europäern seltsam vorkommen, wenn sie hörten, daß irgend Jemand stolz ist auf seine amerikanische Geburt, selbst wenn, wie wir Beide uns rühmen können, Manhattan die Heimat wäre."