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Elizabeth Haas Edersheim

Peter F. Drucker – Alles über Management

Elizabeth Haas Edersheim

Peter F. Drucker – Alles über Management

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Carsten Roth

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

edersheim@redline-verlag.de

Nachdruck 2012

© 2007 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

© der amerikanischen Originalausgabe 2007 by McGraw-Hill, New York;

All rights reserved. Erschienen unter dem Titel: The Definitive Drucker.

© 2007 by Elizabeth Haas Edersheim

© Autorenfoto by The Peter F. Drucker Literary Trust

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Carsten Roth

Umschlaggestaltung: Thomas Jarzina, Köln

Satz: M. Zech, Redline GmbH

Druck: Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN Print 978-3-86881-371-5

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86414-333-5

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86414-769-2

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Lob für Peter F. Drucker – Alles über Management

„Die gesamte Weisheit Peter Druckers und wie seine erstaunliche Intelligenz in jedem modernen Unternehmen Anwendung finden kann.“

Warren, Bennis, angesehener Professor für Management (USC) und Autor von Becoming a Leader

„Ein hervorragendes Buch, das sowohl die menschliche Seite von Peter Drucker – wie er denkt, wie er lebt – und, natürlich, auch Edersheims Gedanken erfasst. Es gewinnt seinen Wert durch die Beschreibung Druckers Gedanken in seinen beiden letzten Lebensjahren. Es ist offensichtlich, dass Drucker für diese Aufgabe die richtige Autorin gewählt hat.“

Bob Buford, Aufsichtsratsvorsitzender des Leadership Network und Gründungsvorsitzender der Drucker Foundation

„Dieses Buch versetzt den Leser in ein Seminar Peter Druckers über Unternehmensführung nach Claremont. Die Unterhaltungen der Autorin mit dem ›Vater des Managements‹ werden in die Form eines sehr aufschlussreichen Seminars gebracht, mit Beispielen von Unternehmensführern, die Druckers Weisheiten folgten – oder ignorierten.“

Richard E. Cavanagh, Generaldirektor und CEO des The Conference Board, Inc.

„Elizabeth Edersheim gelingt es, die wesentlichen Aussagen Peter Druckers in einer Art und Weise darzustellen, die die stetige Bedeutung seiner zeitlosen Weisheit zum Ausdruck bringt. Für alle, die ein Unternehmen leiten oder danach streben es einmal zu tun, ist die Lektüre dieses Buchs ein absolutes Muss.“

William H. Donaldson, 27. Vorsitzender der SEC und Mitbegründer von Donaldson, Lufkin & Jenrette, Inc.

„Eine neue und zeitgerechte Sicht auf Peter Druckers Philosophie, sein Vermächtnis und seine kraftvolle Bedeutung für alle künftigen Unternehmensführer.“

Frances Hesselbein, Vorsitzender des Instituts Leader to Leader

„Edersheim stellte Peter Druckers Leben voller Weisheit in einer lebhaften und leicht lesbaren Erzählung dar, die Druckers zeitlose Klarheit, seinen Optimismus und seine Menschlichkeit erhellt – und uns die Erkenntnis hinterlässt, dass der Vater des modernen Managements heute bedeutender und notwendiger ist als je zuvor.“

Ira A. Jackson, Rektor der Drucker School of Management an der Claremont Graduate University in Claremont, Kalifornien

Alles über Management rief in uns auf liebevolle Weise die Erinnerungen an die langen Diskussionen mit Peter Drucker und meinen Partnern zurück, die wir führten, als wir zu Beginn der 60er-Jahre ein neues, auf Wissen beruhendes, Wall-Street-Unternehmen gründeten. Druckers Vorhersagen, die dem Orakel von Delphi glichen, waren nicht immer leicht zu entschlüsseln. Seine Erkenntnisse waren großartig, ein früher Blick darauf, wie Drucker zum einflussreichsten Beobachter der Geschäftswelt des 20. Jahrhunderts wurde. Edersheim gelingt es, durch die Lupe ihrer eigenen zeitgemäßen Erfahrungen als Unternehmensberaterin, Druckers Weisheit aufzufrischen und zu aktualisieren. Sowohl spannend als auch provozierend.“

Richard Jenrette, Mitbegründer von Donaldson, Lufkin & Jenrette, Inc.

„Eines, was Peter Drucker sehr, sehr gut konnte, war, andere zum Denken zu zwingen, nämlich abseits der üblichen Gedankenwege. Dieses Buch zwingt den Leser, heute mit den Vorstellungen Druckers zu denken.“

Dan Lufkin, Mitbegründer von Donaldson, Lufkin & Jenrette, Inc.

„Ein leicht verständliches Buch über die Gedanken und Praktiken des größten aller Management-Gurus. Es zeigt, mit seinen zahlreichen zeitgemäßen Darstellungen aus aller Welt, wie Peter Druckers Weisheit Zeit und Raum durchdringt.“

Nikhil Prasad Ojha, Geschäftsführer The Monitor Group, Zweigstelle Mumbai

„Wenn Sie den Kern des Denkens von Peter Drucker kennen lernen wollen, dann zeigt es Ihnen dieses Buch in hervorragender Weise.“

Hermann Simon, Vorstandsvorsitzender von Simon, Kucher & Partners

„Ein höchst eindrucksvolles Buch voller praktischer Ratschläge. Wir sind Edersheim sehr dankbar.“

Atsuo Ueda, Autor von Introduction to Peter F. Drucker (auf Japanisch), Repräsentant von Drucker Workshop (Japan) und emeritierter Professor des Institute of Technologists

Dieses Buch ist Doris Drucker und Steven Gallen Edersheim gewidmet

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einführung

Kapitel 1 Die Wirtschaft im Legoland

Kapitel 2 Der Kunde: Seite an Seite mit ihm

Kapitel 3 Innovation und Aufgabe

Kapitel 4 Zusammenarbeit und Abstimmung

Kapitel 5 Menschen und Wissen

Kapitel 6 Entscheidungen: Das Gehäuse, das das Ganze zusammenhält

Kapitel 7 Der CEO des 21. Jahrhunderts

Anmerkungen

Bücher von Peter F. Drucker

Danksagungen

Über die Autorin

 

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Vorwort

Damals habe ich es noch nicht begriffen, doch wuchs ich zusammen mit Peter Drucker auf. Mein Vater war 25 Jahre lang im Management von General Electric (GE) und ein weiteres Jahrzehnt bei Chase Manhattan. Er lernte Peter in General Electrics Fabrik in Crotonville in den 50er-Jahren kennen, und in seinem Bücherregal standen immer die Bücher von Peter Drucker. Obwohl ich, als ich die Highschool besuchte oder als Student in den unteren Semestern, kein Interesse an Wirtschaft hatte, blätterte ich die Bücher meines Vaters durch – die Klassiker von Drucker, etwa The Effective Executive und The Practice of Management. Später, als ich in der U.S.-Navy war, wuchs mein Interesse an Wirtschaft, als ich auf einer Luftlandestation in Japan für Dienstleistungen und Wiederverkauf verantwortlich war, und ich kam wieder auf diese und andere Klassiker zurück. Langsam, aber sicher, wurde ich zu einem Schüler Druckers.

Leider ergriff ich bis 1999 nicht die Initiative, Peter persönlich kennen zu lernen. P&G (Procter & Gamble) war mitten in einer strategischen Veränderung und zweifelsfrei in der größten Unternehmensumstrukturierung seiner 162-jährigen Geschichte. Damals war ich für den Bereich Nordamerika von P&G verantwortlich, dem großen Heimatmarkt, aber auch für den neuen weltweiten Beauty-Sektor. Ich rief Peter an und fragte ihn, ob er bereit sei, sich mit mir zu treffen. Er war einverstanden und vier Jahrzehnte nachdem er und mein Vater sich in Crotonville unterhalten hatten, saß ich Peter Drucker in seinem bescheidenen Haus in Claremont, Kalifornien, gegenüber und wir sprachen über eine Welt, über die er fast ein halbes Jahrhundert lang nachgedacht hatte.

Ich hatte gehofft, er würde mir eine Stunde seiner Zeit zur Verfügung stellen. Wir unterhielten uns aber zwei Stunden lang. Dann kam meine Frau Margaret, um mich abzuholen. Sie wurde ins Haus gebeten und wir unterhielten uns weitere zwei Stunden lang. Es war so, als ob wir aus einem Feuerwehrschlauch trinken würden. Für jede Frage, die ich stellte, hatte Peter ein oder zwei weitere Überlegungen, die man berücksichtigen sollte. Beharrlich forderte er von mir, eine Wahl zu treffen, mich auf die wenigen richtigen Strategien und die wesentlichen Entscheidungen zu konzentrieren. Er verlangte von mir, die einzigartigen Führungsaufgaben zu verstehen, die mit der Leitung eines Unternehmens verbunden sind, in dem Wissen erarbeitet wird.

In dieser berauschenden ersten Unterhaltung entstanden die Themen, zu denen Peter und ich in den nächsten sechs Jahren immer wieder zurückkehrten: Wie kann man die Kreativität und die Produktivität von „Kopfarbeitern“ freisetzen; wie kann man freie Märkte für Ideen und Innovationen innerhalb und außerhalb eines Unternehmens wie P&G schaffen; wie kann man die unternehmerische Lebendigkeit und Flexibilität aufbauen, um auf Veränderungen zu reagieren und/oder sie in Gang setzen. Später begannen wir eine Unterhaltung zu einem anderen Thema, auf die er sich in seinen letzten Lebensjahren konzentrierte: die Arbeit eines CEO.

Als ich mich an diese Unterhaltungen erinnerte und an die zahllosen Stunden, in denen ich Peters Bücher und Aufsätze las, dachte ich darüber nach, was ihn so außerordentlich machte. Meiner Meinung nach sind es fünf Aspekte.

An erster Stelle und auch am wichtigsten war Peters Grundprinzip, dass es von größter Bedeutung ist, den Kunden zu dienen. Gern pflegte er zu sagen: „Der Zweck eines Unternehmens ist es, Kunden zu gewinnen und ihnen zu dienen.“ Schlicht und einfach. Bei P&G setzten wir dieses Prinzip so um, dass wir den Kunden respektvoll als den Chef betrachteten. Kundenorientierte Strategie, Innovation und Führung sind die Grundpfeiler des Erfolgs von P&G und ein Spiegelbild des Einflusses, den Peter auf unser Unternehmen hatte.

Zweitens bestand Peter auf einer aktiven Unternehmensführung. Für losgelöste Theorien oder abstrakte Pläne hatte er wenig Geduld. „Pläne sind lediglich gute Absichten, außer sie werden sofort in harte Arbeit umgewandelt“, schrieb er einmal. Er und ich konnten uns schnell darauf einigen, dass die Realisierung die einzige Strategie ist, die Kunden oder Konkurrenten jemals sehen können. Aus jeder unserer Unterhaltungen nahm ich klare und neue Erkenntnisse mit, die ich in P&Gs Geschäften und im Unternehmen selbst fast sofort umsetzen konnte. Doch Peter war kein sturer Prediger der Tugend der Realisierung. Er glaubte an die Kraft strategischer Überlegungen und an eindeutige Entscheidungen. Er sagte: „Aus ruhigen Überlegungen werden wesentlich effektivere Aktionen resultieren.“ Seine Fähigkeit, Aktionen und Überlegungen in ein Gleichgewicht zu bringen, ist das, was seine Ideen so praxisorientiert und so zeitlos macht.

Die dritte Eigenschaft, die Peter so außerordentlich machte, war seine Begabung, komplexe Sachverhalte einfach darzustellen. Seine Neugierde war unersättlich und er hörte nie auf, Fragen zu stellen. Er nannte sich selbst einen „sozialen Ökologen“, weil er seine Erkenntnisse aus der Geschichte, der bildenden Kunst, der Literatur, der Musik, der Wirtschaft, der Anthropologie, der Soziologie und der Psychologie ableitete. Aus diesen vielen Quellen der Inspiration kamen die deutlichen Fragen und einfachen „Drucker-Erkenntnisse“, die den Weg zum Handeln erleuchteten: „Management bedeutet, die Dinge richtig zu tun, Führung bedeutet, die richtigen Dinge zu tun.“ „Der einzige Weg, auf dem man Veränderung organisieren kann, ist diese selbst zu schaffen.“ „Der Marketingfachmann ist der Repräsentant des Verbrauchers.“ Sein dauerhaftestes Geschenk an künftige Generationen ist die Tatsache, dass er so viele andere Menschen lehrte, die richtigen Fragen zu stellen.

Die vierte für Drucker charakteristische Stärke war seine Konzentration auf die Verantwortung der Führungspersönlichkeiten. Spät in seinem Leben schärfte er die Konzentration auf die Verantwortung insbesondere der CEOs. „Der CEO“, sagte er, „ist die Verbindung zwischen dem Innen, wo es lediglich um Kosten geht, und dem Außen, von wo aus man die Ergebnisse erkennen kann.“ Aus vielen Gründen konzentrieren sich Unternehmen auf das Innere. Ihr Geschäft und die finanziellen Maßstäbe sind firmenintern. Selbst wenn man externe Maßstäbe benutzt, werden diese Größen geringer bewertet, weil sie die kurzfristige Performance nicht beschleunigen oder weil sie nicht so genau sind und eher qualitativ. Peter behauptete, der CEO sei in der einzigartigen Lage, diesen internen Fokus auszugleichen. Der CEO hat in erster Linie die Verantwortung, das Außen nach innen zu bringen, um sicherzustellen, dass das Unternehmen die Perspektive des Marktes begreift, die derzeitigen und die potenziellen Kunden und die Wettbewerber versteht.

Die fünfte und wichtigste Eigenschaft Peter Druckers war seine Menschlichkeit. Er behandelte alle mit tiefem Respekt. „Im Management geht es um menschliche Wesen“, so schrieb er. „Aufgabe des Managements ist es, Menschen zu gemeinschaftlichen Leistungen zu führen, ihre Stärken effektiver und ihre Schwächen bedeutungslos zu machen.“ Er merkte an, dass Unternehmen und andere Einrichtungen „zunehmend Mittel werden, durch die individuelle menschliche Wesen ihren Lebensunterhalt und ihren Zugang zu sozialem Status, aber auch zu persönlichen Errungenschaften und zur Zufriedenheit finden.“ Zwar glaubte er nicht, dass Unternehmen dazu da seien, um Arbeitsplätze bereitzustellen, doch behauptete er, dass Manager eine steuerliche, eine gesellschaftliche und eine moralische Verantwortung tragen, um sicherzustellen, dass Arbeitsplätze erfüllend und Arbeitnehmer in die Lage versetzt würden, ihren Beitrag, so gut sie es können, zu leisten. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Als CEO ist es mir am wichtigsten, die Kreativität und die Produktivität der 135.000 „Kopfarbeiter“ bei P&G freizusetzen.

Menschlichkeit durchzog alles, was Peter schrieb, und alles, was er sagte. Er setzte sich für das Gute in der Welt ein. Er erhielt wegen seiner Überlegungen zum Management – die U.S. Medal of Freedom, angefangen mit dem Concept of the Corporation –, er trug dazu bei, freie Unternehmensverbände zu entwickeln, die produktiver waren als die Diktaturen der Linken oder der Rechten. Dies war seine größte Leistung.

Peter Drucker war einzigartig. Schonungslos konzentrierte er sich auf die Versprechen der Zukunft und das Potenzial einzelner Mitarbeiter. Es ist bezeichnend, dass einer seiner letzten Wünsche war, dass in einer Biografie mehr über seine Ideen geschrieben werden sollte als über sein Leben.

Liz Edersheim hat mit diesem Buch, - Peter F. Drucker – Alles über Management - seinem Wunsch entsprochen. Sie fasste nicht nur das Wesentliche seiner 39 Bücher und die Entdeckungen und Erkenntnisse aus sieben Jahrzehnten zusammen, sondern auch das, was den Menschen Peter Drucker ausmachte: den weisen, witzigen, kenntnisreichen und bescheidenen Lehrer, der mit sehr vielen von uns in seinem Wohnzimmer saß, Fragen stellte und uns geduldig Zeit gab, um das zu verstehen, was er bereits wusste; den Mann, der uns half das zu sehen, was er immer als „sichtbar, aber noch nicht gesehen“ bezeichnete.

Sein Vorbild und seine Ideen werden Peter noch Generationen lang zu einer Kraft machen, die sich für das Gute einsetzt.

A.G. Lafley, Aufsichtsratsvorsitzender, Präsident und CEO, Procter & Gamble

Cincinnati, Ohio

September 2006

Einführung

Kurz nachdem ich eine Biografie meines Mentors Marvin Bower veröffentlicht hatte, des „Architekten“ von McKinsey & Company, läutete an einem Freitagabend bei mir zu Hause das Telefon. „Hallo.“ Der Anrufer machte eine Pause und sagte darauf: „Hier ist Peter Drucker.“ Es dauerte einen Augenblick, bis ich begriff, wer am anderen Ende der Leitung war, denn sein Wiener Akzent klang so wie der meines Vaters. Ich ging aus der Küche, weg von meiner Familie, um einen klaren Kopf zu bekommen und mit dieser so seltsam vertrauten Stimme allein zu sein.

Peter Drucker? Der Mann, dem nachgesagt wird, er habe in der Wirtschaftswissenschaft den Fachbereich Management erfunden? Der Mann, der 39 Bücher geschrieben hat, die in zahllose Sprachen übersetzt worden sind? Der Mann, der ganz allein die Generaldirektoren von General Motors (GM) und Ford beriet, ebenso den Präsidenten der Weltbank und den CEO von General Electric (GE), der dem Vernehmen nach Margaret Thatcher empfahl, die gesamte britische Bergbauindustrie zu privatisieren? Der Mann, der prägenden Einfluss auf jedes Unternehmen genommen hatte, das Jim Collins und Jerry Porras in ihrem Buch Built to Last beschrieben hatten – legendäre Unternehmen wie Hewlett Packard, Johnson & Johnson, Merck und Motorola?1

Wie ich bald erfahren sollte, war dies Peters ganz normale und geradlinige Art. Er gratulierte mir zu meinem kürzlich veröffentlichten Buch über Marvin Bower und fragte mich, ob ich interessiert sei, ihn zu interviewen. Scherzhaft erwähnte Drucker die Idee, ein Buch über ihn zu verfassen, ein Buch, das darstellen sollte, wie er das Konzept des Managements geschaffen hatte.

Ich war versucht zuzustimmen, ohne Zweifel geschmeichelt, doch Verpflichtungen gingen mir durch den Kopf: In den nächsten Wochen musste ich nach Brüssel fliegen, um dort an einer Weltkonferenz von Avon Products teilzunehmen, mit einem Auslieferungslastwagen für Starbucks im Morgengrauen durch Manhattan fahren, die einzelnen Cafés aus logistischer Sicht zu betrachten und mich mit einigen Führungskräften aus der Pharmaindustrie in New Jersey treffen, um mit ihnen ein neues Verpackungsformat zu diskutieren, das die Patienten erinnern sollte, die verschriebenen Medikamente bis zum Ende der Therapie einzunehmen. Aber hier war Peter Drucker am Telefon und er war schon 94 Jahre alt. Es könnte das letzte Buch sein, an dem er arbeitete. Ich bat ihn um Bedenkzeit.

In dieser Zeit gingen mir verschiedene Gedanken durch den Kopf, wie man das Management am besten auf die Herausforderungen des Furcht erregenden und gleichzeitig beschwingten 21. Jahrhunderts vorbereiten sollte. Als Unternehmensberaterin arbeite ich mit vielen Auftraggebern zusammen, angefangen von Schokoladenherstellern bis hin zu Sportausrüstern, von Herstellern von Dieselmotoren bis hin zu Fabrikanten von Computer-Chips. Vieles von dem, was ich beruflich tue, beruht auf Druckers praktischen Tipps, wie man sich auf Ergebnisse konzentriert und wie man effektiv arbeitet. Ich bin aber auch Mutter zweier Teenager, und selbst für diesen Bereich bieten seine Bücher gute Ratschläge. Meine Kinder zucken mit den Schultern, wenn ich meinen Lieblingsspruch bringe, den ich auch von Drucker übernommen habe: „Verwechsle niemals Bewegung mit Fortschritt.“

Über 25 Jahre lang habe ich mit Managern aus Dutzenden von Branchen zusammengearbeitet, und erst kürzlich habe ich deren verstärkte Bemühungen beobachten können, als die Traditionen der Geschäftswelt auf den Kopf gestellt wurden. Andere Kunden, sich ändernde Technologien und geänderte Vorgehensweisen und sogar neu definierte Aufgaben erschüttern diese Unternehmen bis ins Mark – und bringen deren Überleben oftmals in Gefahr.

Als ich Ende der 70er-Jahre bei McKinsey & Company als Unternehmensberaterin begann, arbeitete ich mit Firmen im Mittleren Westen, deren Überleben durch japanische Konkurrenten und deren billige Autos, Fernsehgeräte und Werkzeuge in Gefahr geriet. Mitte der 80er-Jahre waren Unternehmen der Konsumgüterindustrie meine Kunden, die sich abmühten, den schwierigen Anforderungen eines Unternehmens zu genügen, das meine Freunde in New York kaum kannten – einer Firma aus Arkansas mit dem Namen Wal-Mart.

In den späten 80er-Jahren gründete ich meine eigene Unternehmensberatung und arbeitete hauptsächlich für Unternehmen, die mit einer Fremdfinanzierung andere Firmen zu einem zu hohen Preis gekauft hatten und deshalb die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen in ihrem Portfolio drastisch verbessern mussten. Damals lernte ich die Redewendung kennen, „die Sünden eines Versäumnisses sind größer als die Sünden einer Vergütung“. In meiner Firma probierten wir immer Ideen aus, um deren Realisierbarkeit zu überprüfen und erstarrten nicht in Angst vor einem Fehlschlag. Wie ich später erfuhr, war dies ganz im Sinne von Peter Drucker. Zu Beginn der 90er-Jahre war die Liste meiner Kunden fast überfüllt mit Unternehmen aus der Elektronikbranche und mit Unternehmen, die Medizintechnik herstellten. Sie verloren ihre Kunden an Asien und andere Wettbewerber, die am laufenden Band immer billigere Imitate in den Markt brachten.

Während dieser Jahre wussten wir gar nicht, wie viel Glück wir hatten. Wir konnten Unternehmen von innen unter die Lupe nehmen, konnten den Kundenkreis studieren und den Geschäftsbetrieb neu erfinden. Sehr oft konnten wir einfach andere Branchen und Spitzenunternehmen untersuchen, um Ideen zu sammeln. Beispielsweise konnten wir bei Sealy Mattress, einer überteuerten fremdfinanzierten Übernahme, Kosten in der Höhe von 50 Millionen Dollar senken und garantieren, dass noch am folgenden Tag an den Einzelhandel geliefert wurde, indem wir den Lagerbedarf der Wiederverkäufer völlig umstellten. Bei Motorola konnten wir Kontakte zu Polizeidienststellen herstellen und mit UPS (United Parcel Service) zusammenarbeiten, um die mobilen Funkgeräte der Polizei reparieren und sie innerhalb von 24 Stunden wieder auszuliefern zu können.

Doch dann wurde die Welt wesentlich komplizierter. Ich beriet ein Unternehmen nach dem anderen, das seinen Stil und sein Kerngeschäft vollkommen überdenken musste, weil es ansonsten nicht mehr wettbewerbsfähig sein würde und enormen Shareholder-Value zerstören würde. Dafür gab es keine üblichen Lösungen oder Konzepte. Das Management musste Risiken eingehen. Enorme Risiken. Würde man jedoch nichts tun, wäre dies ein noch größeres Risiko.

Als Drucker mich anrief, arbeitete ich mit drei Klienten, und alle drei brauchten eine Dosis von Druckers Rezepten. Das erste Unternehmen, eine Universitätsklinik in Neuengland, plagte sich mit der Entscheidung, ein drahtloses Computernetzwerk zu installieren, das imstande sein sollte, die Daten von Patienten auf Laptops zu übertragen, um die bürokratischen Vorgänge zu beschleunigen und das Sortieren von Papieren zu beenden. Dieses System hatte noch einen weiteren Vorteil: Es konnte die Universitätsklinik so aufstellen, dass mehr Einnahmen für Pflege und Behandlung erzielt werden könnten. Doch dies widersprach der „heiligen Kuh“ der Verwaltung, die an einer zentralisierten Information und der Privatsphäre der Patienten festhalten wollte. Wie viele andere Kliniken war auch diese mit den alten Verfahrensweisen so stark verbunden, dass sie geradewegs auf die Insolvenz zusteuerte.

Ein zweiter Klient, eine Papierfabrik, steckte so tief im Schlammassel lange bestehender Traditionen, dass sie einen sehr kühnen Schritt wagte und ein Dutzend unabhängiger Verpackungsunternehmen kaufte. Diese Unternehmen bedienten viele unterschiedliche Branchen, von Medien bis hin zu medizinischen Pflegeprodukten, und hatten Niederlassungen in weit verstreuten Ländern wie den USA, Brasilien, Russland und auch in europäischen Ländern. Der Vorstand wollte die Gelegenheit ergreifen und den Kunden helfen, ein neues Verpackungsdesign zu nutzen, um die Aufmerksamkeit ihrer Kunden auf sich zu lenken, doch sie schlugen einen akribischen und mühseligen Weg zur Entscheidungsfindung ein. Das Unternehmen hatte schon eine ganze Reihe von Unternehmensberatungen beauftragt, von McKinsey & Company über die Boston Consulting Group bis hin zu Deloitte & Touche, und selbst den Management-Guru Ram Charan, einen Professor der University of Michigan. Ich arbeitete mit dem Direktor der Verpackungsgruppe zusammen, um ein Design-Zentrum für Kunden zu schaffen, wobei wir potenzielle Partner in China und Indien fanden. Doch nach drei eher kritischen Jahren waren die Vorstände einer Vereinigung der verschiedenen Akquisitionen nicht näher gekommen und konnten den Kunden nicht mehr Modelle anbieten als zu der Zeit, als sie dieses Vorhaben begonnen hatten.

Mein dritter Klient war ein Kosmetikhersteller mit einem allgemein bekannten Namen, der zwar viele Ideen, aber viel zu wenig Disziplin hatte. Dennoch hatte dieses Unternehmen eine marktbeherrschende Position und erreichte Kunden auf der ganzen Welt. Doch wie so viele Hersteller von Konsumgütern wurde es langsam aber sicher von der Komplexität seiner Produktpalette erstickt. Die Repräsentanten waren so sehr mit Arbeit überhäuft, dass sie, wie Sachbearbeiter, fast nur noch Aufträge entgegennahmen und nicht mehr die Verkäufer waren, die aus Eigeninitiative ein Produkt vorstellten. In der Fabrik wurde ein Artikel nach dem anderen produziert, ohne dass Größenvorteile erzielt wurden und oft wurde ungenutzter Lagerbestand angehäuft. Dieses Unternehmen war hervorragend, wenn es darum ging, Aufträge den Kundenwünschen anzupassen und Aufträge aus der ganzen Welt schnell auszuführen – und dennoch vergab es viele gute Gelegenheiten.

Und es waren nicht nur meine Kunden, die überwältigt waren. Irgendetwas war mit der Situation im 21. Jahrhundert schief gelaufen. Überlegen Sie doch einmal: Seit dem Jahr 2000 hatte das Management 18 verschiedener Aktiengesellschaften – 18 Unternehmen – jeweils mehr als 50 Milliarden Dollar an Shareholder-Value zerstört. Das ist mehr, als bei Enron den Bach runter ging, 18 Mal so viel. Und weshalb? Weil in den meisten Fällen die CEOs, die Vorstände und andere gut bezahlte Manager noch im Gestern lebten – ihre Aufgaben so erledigten, wie sie es schon immer getan hatten – und nicht wussten, wie sie ihre Unternehmen von den Traditionen befreien sollten, um dem Morgen gerecht zu werden.

Das Management des 21. Jahrhunderts sieht sich grundsätzlichen Veränderungen ausgesetzt, sowohl was die Größe als auch die Bandbreite der Chancen anbelangt. Unternehmen haben in der Vergangenheit „Gelegenheiten“ immer als Chancen definiert, weitere Marktanteile zu erobern und durch verbesserte Produktivität höhere Gewinne zu erzielen, ein neues und verbessertes Produkt oder eine Dienstleistung anbieten zu können beziehungsweise die Akquisition eines Konkurrenten oder die Expansion in eine neue Region zu realisieren. Doch immer mehr geht es eigentlich darum, etwas zu sehen oder sogar etwas zu erfinden, einen weißen Fleck im Markt – Märkte, die noch nicht entdeckt wurden, die nur dann erkannt werden können, wenn man die Umwelt und die zahlreichen unbefriedigten Nachfragen zunehmend informierter Kunden genau beobachtet. Faszinierend ist, dass es Kunden gibt, die sich oft gar nicht bewusst sind, dass sie etwas benötigen, bis jemand mit einem neuen Produkt und einer Marketingkampagne kommt. Dann sagen sie: „Ja, ich brauche dieses Handy, mit dem ich auch Comedys sehen kann.“ Im wahrsten Sinne des Wortes schaffen sich innovative Produkte ihre eigenen Märkte.

Als ich nach Brüssel reiste und in den Straßen mit einem Starbucks-Truck herumfuhr, ging mir Peter Drucker nicht mehr aus dem Sinn. All diese Unternehmen – all die CEOs, all die CFOs (Chief Financial Officers), all die COOs (Chief Operating Officers) und auch all die anderen Vorstandsmitglieder, mit denen ich es zu tun hatte – versuchten mit dieser verwirrenden Welt des Outsourcing, sich verändernder Demografie, verschärftem Wettbewerb und der Notwendigkeit, neue Kunden zu gewinnen, zurechtzukommen. Sie hatten genau mit den Herausforderungen zu kämpfen, die Drucker schon vor Jahrzehnten vorhergesagt hat, lange bevor überhaupt jemand verstand, wovon er überhaupt sprach.

Als ich begann, die Schriften Druckers noch einmal zu lesen, wurden mir schnell verschiedene Zusammenhänge deutlich. Niemand hatte die Auswirkungen der gesellschaftlichen Trends verstanden und sie deshalb auch nicht als Chancen umgesetzt, so wie Drucker es getan hat (siehe Kasten Die Philosophie Druckers, S. 31). Niemand war besser als er, wenn es darum ging, Unternehmen dabei zu helfen, von diesen Chancen zu profitieren. Trotz der Unmenge von Fachbüchern aus dem Wirtschaftsbereich gibt es kein einziges Buch, das so deutlich und eindringlich die Auswirkungen der sich entwickelnden Veränderungen erklärt und auch, wie man in dieser neuen Welt Unternehmen lenkt. Irgendetwas sagte mir, dass dieser Mann, der als Erster die menschliche Seite des Managements betonte, einige der Antworten kannte. Ich versprach Peter Drucker, ich würde darüber nachdenken, ein Buch zu verfassen und ihn auf meiner nächsten Reise in den Westen zu besuchen.

Drei Monate später flog ich nach Claremont in Kalifornien, um den Mann zu treffen, der den Bereich definierte, in dem ich 25 Jahre meines Lebens verbracht hatte. Peter Drucker war ein weiser Mann in den Neunzigern mit einer dicken Brille und einem noch stärkeren österreichischen Akzent, einem Hörgerät, das nicht funktionierte, doch mit einem überraschend warmen Lächeln und einem herzlichen Händedruck.

Wir besuchten ein schummriges italienisches Restaurant, wo ihn jeder kannte. Man wusste, welchen Wein er bevorzugte, und niemand brauchte zu sagen, dass man ihm nach dem Essen einen doppelten Espresso bringen sollte. Er war ein anspruchsvoller Esser, mit einem unersättlichen Appetit auf Diskussionen über Kunst, Musik und alles, was sich in der Welt ereignete. Wir unterhielten uns über Wien und das College von Claremont, wo er immer noch den Dekan in Angelegenheiten des Managements der Drucker Business School beriet. Wir diskutierten auch über Trollope, den großen englischen Schriftsteller. Er sprach auch über seine Frau Doris, mit der er schon fast 70 Jahre lang verheiratet war.

Er half mir bei meinen Überlegungen, was man tun könne, um das Management der Universitätsklinik von seiner traditionellen Denkweise abzubringen. Peter Drucker war fasziniert von der Art und Weise, wie die Informationstechnologie den gesamten medizinischen Bereich verändert, sowohl bei den Kosten als auch beim Schutz der Privatsphäre. Eine Zeitlang diskutierten wir die Auswirkungen der Technologie auf das Gesundheitswesen und ganz stolz sprach er über die Praxis für radiologische Diagnostik seines Neffen.

Peter Drucker machte den Vorschlag, ich solle mich darauf konzentrieren, welchen Ertrag die Klinik verliert, wenn sie weiterhin so altmodisch geführt wird. Gibt es, so fragte er mich, auch Situationen, in denen die Gesundheit der Patienten in Gefahr gerät, wenn man die alten Vorgehensweisen beibehält? Was war der Klinikverwaltung so wichtig, und wie konnte man der Verwaltung helfen zu verstehen, dass es unbedingt erforderlich ist, die alternativen Möglichkeiten der Bewirtschaftung zu übernehmen, die wir empfahlen? Zufällig hatte Drucker Informationen über zwei Kliniken in Kalifornien, die im gleichen Dilemma steckten wie die Universitätsklinik.

Als wir zu meinem Mietwagen zurückgingen, bemerkte ich, dass Peter Drucker mit seiner Gehhilfe große Schritte machte: Seine Gebrechlichkeit wurde durch seine Entschlossenheit weit in den Schatten gestellt. Und ich dachte: Das wird wirklich lustig. Bei diesem ersten Besuch stellte ich fest, dass Peter Drucker genau wusste, was er wollte. Er erwartete von mir keine der üblichen Biografien, er wollte auch keine autorisierte Biografie, bei der er diktierte, was ins Manuskript aufgenommen werden sollte. „Verheimlichen Sie nichts“, verlangte er. „Seien Sie nicht voreingenommen. Ich freue mich, dass ich mit Ihnen meine Vorstellungen diskutieren kann. Dies wird Ihre Interpretation.“

Um Peter Drucker zu interpretieren, konzentrierte ich mich auf das Heute. Wir leben in einer verrückten Zeit. Die Chancen sind erheblich, aber oft schwieriger zu erkennen als es früher der Fall war, das Zeitfenster, in dem man von ihnen profitieren kann, ist wesentlich kürzer als je zuvor und die Kosten der Fehler sind wesentlich höher. Niemand wusste so gut wie Peter Drucker, wie man von der Vergangenheit profitieren und dennoch der Zukunft den Weg bereiten kann. All seine Schriften handeln von Wirtschaft als einem innovativen Faktor für den Wandel; er bot stichhaltige und praktische Ratschläge, wie Unternehmensgründer, aber auch gut etablierte Unternehmen erfolgreich sein können. Sollte ein Unternehmen bei dem bleiben, was es am besten kann oder sollte es ein Risiko eingehen und einen Ausflug in einen anderen Bereich wagen? Mehr als sieben Jahrzehnte verliehen Drucker als Beobachter und Berater von Unternehmen eine einzigartige Perspektive, wie man zu einem vernünftigen Ausgleich zwischen Bewahrung und Wandel finden kann. Es ist schon erstaunlich, dass dieser Mann, der noch vor dem Ersten Weltkrieg in Wien geboren wurde, die Vision hatte Theorien entwickeln zu können, die auch heute noch, im Zeitalter des Internets, sich ändernder Altersstrukturen in den verschiedenen Gesellschaften und der Wissensarbeiter (ein Begriff, den Drucker selbst prägte), das Management revolutionieren.

Ich begann, Druckers Vorstellungen bei meinen eigenen Klienten auszuprobieren. Beispielsweise drängte Starbucks einen Papierwarenvertrieb dazu, eine Möglichkeit zu finden, wie man Becher und Papierservietten an Filialen mit geringer Lagerkapazität und in verschiedenen Städten liefern könnte, ohne dass täglich neue Lieferungen eingehen, um so Geld zu sparen. Wir fragten nicht einfach, wie man die Kosten senken könnte, sondern stellten eine Frage, die sich auch Drucker gestellt haben würde: Was hätte für den Kunden den größten Wert? Beim Versuch, diese Frage zu beantworten, kamen wir auf einige sehr unterschiedliche Antworten. Die Lösung war, es den Starbucks-Filialen so einfach wie nur möglich zu machen, damit sich die Geschäftsführer auf ihre Kunden konzentrieren konnten – ihnen alles Notwendige zur Verfügung zu stellen, von einer automatischen Befüllung der Becher bis zu Becherspendern, die schon mit Bechern mit einer daran befestigten Deckelmanschette gefüllt werden konnten. Für Filialen in ländlichen Gegenden sollten Becher und Kaffee gleichzeitig geliefert werden.

Meine Kollegen konnten es nicht fassen, dass ich das große Glück hatte, Peter Drucker als meinen persönlichen Mentor zu gewinnen. Michael Hammer, einer meiner Studienkollegen an der MIT Sloan School of Management und Autor eines aufschlussreichen Buch über Unternehmensführung, Reengineering the Corporation, sagte mir, dass Peter Drucker einer seiner Helden sei: „Mit etwas Beklommenheit schlage ich seine frühen Bücher auf, weil ich befürchte zu entdecken, dass er meine neuesten Ideen schon vor Jahrzehnten erahnt hat. Es ist alles schon da.“ Michael erinnerte mich an etwas, das ich nun aus erster Hand erfahren sollte: Drucker ist der erste Querdenker.

Drei Monate, nachdem ich Peter Drucker zum ersten Mal getroffen hatte, sagte ich ihm, dass er vollkommen Recht hatte, sich keine der konventionellen Biografien in der Art von „Der Vater des modernen Managements“ zu wünschen. Ich hatte nicht vor zu berichten, welche Brettspiele Peter Drucker in seiner Kindheit am meisten Spaß gemacht hatten und auch nicht über die gespannte Beziehung zu seinem selbstherrlichen Vater. Meine Absicht war es, mit dem Bericht über Druckers Leben und seine Ideen Unternehmen dabei zu helfen, sich in den gefährlichen Fahrwassern des 21. Jahrhunderts sicher zu bewegen. Ich beabsichtigte, seine Ideen in einem praxisbezogenen Buch zu destillieren, in dem ich darstellen wollte, wie man Unternehmen helfen könnte zu gedeihen, wenn deren übliche Geschäftsverläufe überholt sind. Dies schien mir die beste Möglichkeit, jemanden zu ehren, der sehr viele, wenn nicht gar Hunderte von Karrieren in Unternehmen und auch in gemeinnützigen Einrichtungen gelenkt hat. Peter Drucker war sofort damit einverstanden. Er sagte: „Wir brauchen eine neue Management-Theorie. Die Prämissen, unter denen heute im Geschäftsleben gearbeitet wird, sind nicht genau.“ Und damit war der Grundstein für dieses Buch und eine außergewöhnliche Freundschaft gelegt.

Peter Drucker lehrte mich mehr, als ich in der Vorbereitung auf meine Dissertation in Unternehmensforschung am MIT gelernt hatte. Wir unterhielten uns während wir im Mietwagen herumfuhren. Wir unterhielten uns, in seinem Wohnzimmer, umgeben von einfachen japanischen Malereien, und sein Schwimmbecken glitzerte hinter den Glastüren. Wir unterhielten uns auch im Drucker-Archiv in der Universität von Claremont. Wir telefonierten bis spät in die Nacht, jedoch nie vor zwölf Uhr mittags – ich vermute, er mochte die Morgenstunden nicht. Immer wenn ich ihm ein Fax schickte, erhielt ich die Antwort schon am nächsten Morgen.

Seine Frau Doris sorgte sich sehr schützend um ihn. Eines Tages tadelte sie mich, als ich ihm Donuts mitbrachte; und das war das Ende dieses Rituals. Ich musste meine Besuche auf zwei Stunden beschränken. Am Ende dieser zwei Stunden kam sie zu uns; sie wachte sorgsam über Peter Druckers Zeit und seine Tatkraft. Peter bat dann immer: „Nur noch ein paar Minuten.“ In diesen wenigen verbleibenden Minuten hätte ich Peter gern weiter zugehört, doch wenn ich nicht gleich mein Tonband einpackte, dann hätte ich Doris gegen mich aufgebracht. Dieses Prozedere dauerte 16 zauberhafte Monate. Nachdem Peter Drucker im November 2005 verstorben war, hielt ich Kontakt zu Doris. Sie war eine wahre Fundgrube für noch weitere großartige Geschichten aus einem Leben, das einem Wirbelwind glich, der die Welt des Geschäftslebens veränderte.

Während dieser Zeit las ich immer wieder in den Schriften Druckers. Es gab viele Augenblicke, als sich in meinem Kopf alles drehte. Ich interviewte mehr als 50 seiner Klienten, Schüler und Studenten, ein Dutzend seiner akademischen Kollegen, ebenso Vorstandsmitglieder, die Drucker selbst nie getroffen hatten, die aber von Druckers Arbeiten beeinflusst wurden. Als ich frühere Studenten und Klienten interviewte, bemerkte ich ein Muster. Wirklich jeder, den ich befragte, sagte irgendwann während des Interviews in der einen oder anderen Version das Gleiche: „Peter hat mich befreit. Er übertraf meine Erwartungen.“ Ich habe die Kraft dieser Befreiung nie verstanden, bis ich von so vielen Menschen Geschichten über ihn erfuhr.

Peters Ideen waren ein Katalysator, der die Menschen befreite, damit sie die Chancen ergriffen, von denen sie glaubten, dass diese sich ihnen nie bieten würden. Er befreite die Menschen, indem er ihnen Fragen stellte und ihnen eine Vision entlockte, von der man den Eindruck hatte, dass sie richtig war. Er befreite die Menschen, weil er sie dazu anhielt, ihre eigenen Vermutungen in Frage zu stellen. Er befreite Menschen, indem er deren Wahrnehmung und den Glauben daran erhöhte, damit sie erkannten, was sie intuitiv bereits wussten. Er befreite Menschen, indem er sie zu denken zwang. Er befreite Menschen, indem er sie dazu anhielt, die richtigen Fragen zu stellen.

Als ich dieses Thema bei Warren Bennis, einem langjährigen Freund von Peter Drucker und einem der heute führenden Denker über die Effektivität von Unternehmen, ansprach, antwortete dieser: „Ja, ich habe es nie so empfunden, doch Peter kann befreien.“ Warren lehnte sich in seinem Sessel zurück und lächelte. Als ich das bei Richard Cavanagh, dem Präsidenten des Conference Board überprüfte, lächelte auch er und sagte: „Ja, ich habe dies sehr oft beobachtet. Ich habe sogar erlebt, wie er seine gesamten Zuhörer durch seine Reden befreite.“

Einen besonders ergreifenden Augenblick erlebte ich, als ich Tony Bonaparte, den Assistenten des Präsidenten der St. John’s University in New York interviewte. Mit Tränen in den Augen sah er mich an und erzählte mir, wie Drucker sein Leben und seine Karriere verändert hatte. Bonapartes Wunsch war es immer gewesen, an einem kommunalen College zu lehren. Er bekam die Gelegenheit, ein Studium an der New York University aufzunehmen und mit einem Diplom zum Master of Business Administration (MBA) abzuschließen. Dort lernte er Drucker kennen, der als Professor einen Abendkurs leitete. Drucker interessierte sich für ihn und Peter und Doris luden ihn alle paar Wochen zum Abendessen ein. Drucker stellte ihm immer Fragen und drängte ihn, immer weiter zu machen – damit er sich selbst befreite. „Er sorgte dafür, dass ich mich immer noch ein wenig mehr anstrengte, um mich von meinen Hemmungen zu lösen“, erinnerte sich Bonaparte. „Immer, wenn ich wieder nach Hause ging, waren die Erwartungen, die ich an mich stellte, ein wenig höher. Er ließ nichts anderes zu, als dass ich erfolgreich wurde. Und wenn er nicht gewesen wäre, dann stünde ich nicht da, wo ich heute bin. Er betrachtet die Dinge sehr realistisch, so wie sie sind und wie sie sein könnten und half mir, die gleiche Einstellung zu gewinnen. Und das veränderte mein Leben.“

Drucker arbeitete über 75 Jahre lang mit großen Führungspersönlichkeiten zusammen und befreite auch sie. Churchill ging so weit zu sagen, das Erstaunliche an Peter F. Drucker sei, dass er die Fähigkeit besaß, unsere Gedanken in eine ehrgeizige Richtung zu lenken. Der mexikanische Präsident Vincente Fox merkte an, dass Peters Erkenntnisse zu gesellschaftlichen Belangen einzigartig waren. Peter F. Drucker erhöhte die Glaubwürdigkeit des Begriffs „Management“ in einer Weise, dass das U.S. Bureau of the Budget im Jahr 1970 in Office of Management and Budget umbenannt wurde. Und natürlich befreite und inspirierte Drucker auch große Unternehmensführer, zu denen unter anderen auch Akio Morita, der Gründer von Sony, Andy Grove, einer der Gründer von Intel, Bill Gates von Microsoft und Jack Welch, der ehemalige Verwaltungsratsvorsitzende und Vorstandsvorsitzende von General Electric zählten.

Druckers Konzepte

Als ich begann, Druckers Ideen aufzuschreiben und meine eigene Sicht dazu darlegte, taute er richtig auf. Ich griff eines der Themen auf meiner Liste von Druckers Konzepten auf und diskutierte mit ihm, wie man sie auf die Veränderungen in diesem Jahrhundert anwenden könnte. Er mochte es, wenn ich ihm schon vor meinen Besuchen die anstehenden Fragen schickte. Seine Antworten schrieb ich auf und dachte darüber nach, las noch einmal, was er geschrieben hatte, rief ein oder zwei Klienten an, um diese Gedanken zu überprüfen.

Als wir beispielsweise über die Wissensarbeiter diskutierten, sagte Peter: „Heute brauchen die Unternehmen solche Leute mehr als diese die Unternehmen brauchen. In dieser Beziehung hat sich das Gleichgewicht verschoben.“ Ich rief meinen Freund Alan Kantrow, den Chef der Forschungsabteilung bei Monitor, einer Unternehmensberatung in Boston, an. Ohne zu zögern sagte Alan: „Wir fragen uns selbst ständig – was bieten wir Wissensarbeitern, um sie zu halten, damit sie nicht abwandern und sich selbstständig machen. Wir sind der Meinung, dass es die Chancen sind, die ihnen geboten werden, aber auch die Menschen, mit denen sie zusammenarbeiten können, die sie veranlassen, bei uns zu bleiben. Es geht dabei nicht um Geld.“ Darauf rief ich David Thurm an, den Vizepräsident und CIO (Chief Information Officer) bei der New York Times. In diesem Bereich wechseln die leitenden Angestellten sehr häufig, doch David ist, soweit ich weiß, jemand, der gern bei einem Unternehmen bleibt. Ich fragte ihn, weshalb er für die New York Times arbeitete und nicht als freier Journalist. Er antwortete: „Ich bin sehr stolz darauf, bei einem so großartigen Verlag zu arbeiten.“

Drucker hatte mir gesagt, dass es keine Loyalität gäbe, die nicht auch in Frage gestellt würde: Ein Unternehmen muss sich die Loyalität seiner Mitarbeiter jeden Tag neu verdienen. Dem konnte David nur zustimmen und er sagte, dass die Times sich diese Loyalität immer noch verdiente. Ich rief noch drei weitere leitende Angestellte an und fragte auch sie, was sie bei Ihrem Arbeitgeber hielt. Sie meinten, sie würden wegen der Sicherheit des Arbeitsplatzes bleiben. Ich vermute, dass diese Frage à la Drucker sie zum Nachdenken brachte. Seither haben zwei von ihnen gekündigt.

Während ich weiterhin große und auch kleine Unternehmen beriet, dachte ich immer wieder darüber nach, wie das Management sich in dieser neuen Landschaft zurechtfinden könnte und welche Lehren aus Druckers Beobachtungen aus 70 Jahren dabei helfen könnten. Ich fragte leitende Angestellte, die ich bewunderte, stellte meine eigenen Ideen vor und erzählte Peter von den Ergebnissen, wenn wir über das Buch diskutierten.

An einem warmen Tag im August 2004, im Verlauf einer tiefgründigen Unterhaltung über das, was eine gute Führungspersönlichkeit ausmacht, sah Peter mich an und sagte: „Das Wichtigste, was eine Führungskraft tun kann, ist sich zu fragen, was getan werden muss. Und dann muss sie sicherstellen, dass das, was getan werden muss, auch verstanden wird.“ Zu dieser Zeit waren die Zeitungen voll mit Schlagzeilen über einst blühende Unternehmen, die stark ins Wanken geraten waren, über Skandale bei Tyco, Enron, Adelphi und WorldCom. Er fuhr fort: „Sie fragen mich, weshalb so viele Führungskräfte scheitern. Dafür gibt es zwei Gründe. Der eine Grund ist, dass sie tun, was sie wollen und nicht das, was notwendigerweise getan werden muss. Und der zweite Grund ist der enorme Zeitaufwand und die Kraft, die eingesetzt werden muss, um verstanden zu werden – es liegt an der Kommunikation.“ Ich fragte, wie Führungskräfte sicher sein können, genau zu wissen, was getan werden muss. Er betonte zwei Dinge: fragen und zuhören.

Drucker war für seine sokratische Art bekannt – er stellte Fragen und er stellte die richtigen Fragen. Einmal bat ich Dan Lufkin, einen der Gründer von Donaldson, Lufkin & Jenrette, mir etwas aus der Zeit um 1960 über die Zusammenarbeit mit Peter Drucker zu erzählen, als die Firma gegründet wurde. Erstens, sagte er, versicherte sich Drucker, dass sich alle auf die Fragen konzentrierten, die wirklich notwendig waren. „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie wichtig er für die Entwicklung unserer Firma war. Er zwang drei junge und ehrgeizige Jungs sich zurückzuhalten und zu überlegen und zum richtigen Zeitpunkt Entscheidungen zu treffen.“

Die Philosophie Druckers

Effizienz ist, die Dinge richtig zu tun.

Effektivität ist, die richtigen Dinge zu tun.

Über Geld

Geld kommt erst nach dem Wissen. Geld ist kein Problem. Das Problem ist Führungskraft und die richtige Richtung.

Profitabilität ist nicht der Zweck eines Unternehmens und der Geschäftstätigkeit, sondern ein Faktor, der diese einschränkt.

Wir benötigen einen Maßstab und keine Zählung.

Über Management

Management hat vorrangig etwas mit Menschen zu tun, nicht mit Techniken und nicht mit Arbeitsabläufen. Es ist das Engagement der Menschen, das wirklich zählt.

Effektive Entscheidungsträger treffen in Wirklichkeit nur wenige Entscheidungen.

An Zielen ausgerichtetes Management (Management by Objectives) funktioniert, wenn man dies zuerst durchdenkt. In 90 Prozent der Fälle ist dies nicht der Fall.

Über Wissen

Wir akzeptieren heute die Tatsache, dass das Lernen ein lebenslanger Prozess ist, um mit dem Wandel Schritt halten zu können. Die dringendste Aufgabe ist es, den Menschen beizubringen, wie sie am besten lernen können.

Das Wesentliche am Management ist, Wissen produktiv einzusetzen. Wissen ist nur dann von Bedeutung, wenn es angewendet wird. (Angewandtes Wissen im Gegensatz zu reiner Information.)

Die Informationen, über die wir verfügen, behindern uns nicht. Wir behindern uns nur selbst durch unsere Unfähigkeit, die Informationen auch in unseren Handlungen zu nutzen.

Über einzelne Personen

Erkennen Sie Ihre Stärken.

Die erste Frage ist immer, was getan werden muss.

Alle sechs Monate sollten Sie sich selbst die Frage stellen, woran man sich erinnern soll, wenn man an Sie denkt.

Ich habe Druckers aufschlussreichste Fragen dazu genutzt, um jedes Kapitel dieses Buchs zu strukturieren. Wie Peter so oft sagte, die richtigen Fragen ändern sich nicht so häufig wie die Antworten darauf. Wenn Sie in diesem Buch lesen, dann überlegen Sie bitte, wie Sie selbst auf die Schlüsselfragen in jedem Kapitel antworten würden, wenn Ihr Vorstandsvorsitzender oder Ihr Kunde diese stellen würde.

Dieses Buch spiegelt auch die Leidenschaft Druckers wider, dafür zu sorgen, dass Unternehmen und deren Management in der Gegenwart gut funktionieren und dies auch morgen noch tun werden. Die Bedeutung und die Notwendigkeit eines hervorragenden Managements finden wir in wirklich all seinen Schriften. Peters Leidenschaft war die direkte Folge des Niedergangs der europäischen Wirtschaft um 1930, den er selbst erlebte. Das Versagen und der Zusammenbruch, den er in den 30er-Jahren beschrieb, standen seiner Auffassung nach in direkter Verbindung mit dem schlechten Management in der Regierung und in der Wirtschaft. Er war überzeugt, dass das Fehlen eines entwicklungsfähigen Motors in der europäischen Wirtschaft Adolf Hitler erst an die Macht brachte.

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