Copyright © der deutschen Ausgabe: Junfermann Verlag, Paderborn 2013

Copyright © der Originalausgabe: Michaela A. Swales & Heidi L. Heard, 2009

Originalausgabe Dialectical Behaviour Therapy. Distinctive Features, Routledge 2009. All rights reserved.
Authorised translation from the English language edition published by Routledge, a member of the Taylor & Francis Group.

Übersetzung: Guido Plata, Bremen

Coverfoto: © Thomas Vogel – iStockphoto.com

Coverentwurf / Reihengestaltung: Christian Tschepp

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2013

Satz & Digitalisierung: JUNFERMANN Druck & Service, Paderborn

ISBN der Printausgabe 978-3-87387-834-1
ISBN dieses eBooks: 978-3-87387-907-2

Danksagung

Wir sind der Erfinderin der Dialektischen Verhaltenstherapie (DVT), Marsha M. Linehan, zu großem Dank verpflichtet. Sie hat eine Behandlung entwickelt, die ein umfassendes und tiefgreifendes Verständnis unterschiedlicher Theorien und Philosophien in lebensrettende und lebensverändernde Interventionen transformiert. Marsha hat uns inspiriert, sie hat uns herausgefordert und sie war unsere Lehrerin.

Sie hat uns motiviert, andere in der DVT zu unterrichten und dies mit derselben mitfühlenden Strenge zu tun, die sie selbst in die Entwicklung und Evaluation der Behandlung einbringt. Wir hoffen, dass wir der Reichhaltigkeit, der mitfühlenden Art und der Präzision ihrer Arbeit gerecht geworden sind.

Weiterhin möchten wir den Herren Strunck & White für ihre unschätzbare herausgeberische Unterstützung und ihre geistreichen Beiträge zur Entwicklung unseres Buches danken.

Michaela Swales & Heidi Heard

 

Ich stehe beruflich in der Schuld vieler Mentoren und Kollegen, die mich über die Jahre hinweg unterstützt haben. Mark Williams, ursprünglich mein Doktorvater und seit Kurzem Kollege und Freund, hat mich erstmals mit der DVT in Berührung gebracht. Als ich mich als noch junge klinische Psychologin bemühte, heranwachsenden Patienten mit selbstverletzendem Verhalten zu helfen, war ich überglücklich, als Mark in seiner gewohnten Weitsicht und Großzügigkeit mir eine Intensivschulung in Seattle finanzierte. Auf dieser Schulung traf ich Heidi, und die Reise, die letztlich zur Entstehung dieses Buches führte, nahm ihren Anfang. Außerdem bin ich vielen Kollegen meiner klinischen Praxis am North Wales Adolescent Service zu großem Dank verpflichtet, die mir jahrelang die nötige Freiheit gaben, DVT zu erlernen und weiterzuentwickeln, und die das DVT-Programm während meiner Abwesenheit – wegen universitärer oder ausbildungsrelevanter Verpflichtungen – fortgeführt haben. Besonders dankbar bin ich ihnen für die Liebenswürdigkeit, mir – in gerade für unseren Beruf schwierigen Zeiten – eine Auszeit zu gönnen, die mir die Arbeit an diesem Buch erst ermöglicht hat. Ebenso haben die Senior Manager unseres Trägers, dem North Wales NHS Trust, meine akademische Arbeit auf dem Gebiet der DVT in einer Zeit hohen Patientenaufkommens und finanzieller Engpässe unterstützt. Ich danke ihnen für die Bereitschaft hierzu. Außerdem möchte ich meinen Klienten danken, die meine besten Lehrer waren. Ihr Mut und ihre Beharrlichkeit motivieren mich in meiner Arbeit als DVT-Klinikerin, als DVT-Trainerin und -Supervisorin. Weiterhin danke ich meiner Assistentin, Barbara Barragwanath, die stets flexibel und einsatzbereit ist. Ohne ihre Arbeit wäre das Buchprojekt und seine Fertigstellung um ein Vielfaches mühseliger gewesen.

Persönlich schulde ich, wie immer, meiner Familie den allergrößten Dank. Mein Ehemann Richard und meine Kinder Thomas und Caitlin haben in vielerlei praktischer und emotionaler Hinsicht zur Entstehung dieses Buches beigetragen. Alle drei haben meine Phasen körperlicher und geistiger Abwesenheit geduldig ertragen. Mein tiefster Dank geht hierfür an sie.

Michaela Swales

 

Ich möchte meinen Kollegen danken, die meine Arbeit auf dem Gebiet der DVT unterstützt und mir die notwendigen Fertigkeiten beigebracht haben. Trainer und Supervisanden haben mich in besonderem Maße zu diesem Buch inspiriert, weshalb ich meine besondere Wertschätzung ihnen gegenüber ausdrücken möchte. Auch danke ich meinen Klienten, die meine Fehlbarkeit akzeptiert und mir geholfen haben, eine bessere Klinikerin zu werden. Schließlich möchte ich meiner Familie und meinen Freunden für ihre unablässige Unterstützung bei der Entstehung dieses Buches danken. Und ganz besonderer Dank geht an meine Freundin und Autorenkollegin Deborah Gross für ihre Bestätigung und ihre Unterstützung bei der Lösung von Problemen in zahlreichen Gesprächen über dieses Buch.

Heidi Heard

Einleitung

Die Dialektische Verhaltenstherapie (DVT) ist ein psychotherapeutischer Ansatz, der speziell für die Behandlung der Probleme chronisch suizidaler Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) entwickelt wurde. Das Buch stellt die Prinzipien der Behandlung vor, und zwar insbesondere jene Prinzipien, in denen sich diese Therapie von anderen kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlungsformen unterscheidet. Wie alle anderen Bücher dieser Reihe ist auch der vorliegende Band in zwei Abschnitte unterteilt, wobei sich der erste auf die Theorie und der zweite auf die Praxis bezieht. Der theoriebezogene Abschnitt des Buches beschreibt die distinktiven Merkmale der DVT in Bezug auf ihre drei Grundlagen: Behaviorismus (Kapitel 6–8), dialektische Philosophie (Kapitel 3) und Zen (Kapitel 9). Der zweite Abschnitt des Buches konzentriert sich auf die Praxis und darauf, wie die philosophischen und theoretischen Grundlagen der Behandlung in Behandlungsstrukturen und -strategien einfließen.

Die DVT basiert auf einer transaktionalen biosozialen Theorie der Ätiologie der bei BPS auftretenden Affektregulationsstörungen (Kapitel 4). Individuen mit einer biologisch bedingten emotionalen Vulnerabilität, die in Umgebungen aufwachsen, die ihre inneren Erfahrungen und offenen Verhaltensweisen systematisch invalidieren[1], entwickeln Defizite sowohl in der Fähigkeit als auch in der Motivation, ihre Emotionen und andere Aspekte ihres Lebens zu bewältigen (Kapitel 5). DVT-Behandlungsprogramme richten sich in umfassender Weise gegen diese fähigkeits- und motivationsbezogenen Defizite und bieten eine multimodale, abgestufte Behandlung, die das volle Spektrum der komorbiden Störungen in hierarchischer Reihenfolge angeht (Kapitel 11–17). Die Dialektische Verhaltenstherapie verbindet Strategien aus der kognitiven Verhaltenstherapie (Kapitel 19–24) mit Aspekten der Zen-Praxis (Kapitel 9 und 21), wobei diese beiden konträren Perspektiven mittels der dialektischen Philosophie (Kapitel 3 und 25) zu einer konhärenten Gruppe von Behandlungsprinzipien zusammengefasst werden.

Terminologie und Verwendung klinischer Beispiele

Wir sind uns der Debatte zur adäquaten Bezeichnung jener Personen, die in einer Therapie Hilfe suchen, durchaus bewusst, dennoch haben wir uns von den gängigen Begriffen (Klient, Patient, Dienstnehmer) für den am häufigsten verwendeten Begriff „Klient“ entschieden. Die individuelle Komponente der DVT ist eine Psychotherapie gemäß der Definition von Corsini und Wedding (1989). Daher wäre es angemessen, die Person, die diese Komponente der Behandlung bereitstellt, als „individuellen Psychotherapeuten“ zu bezeichnen. Allerdings sind die Begriffe „Psychotherapeut / Psychotherapie“ in manchen Rechtsprechungen geschützt und beziehen sich auf ein abgegrenztes Berufsbild mit spezieller Ausbildung oder auf ein spezifisches Therapiemodell. Daher greifen wir in diesem Buch zur Vermeidung begrifflicher Verwirrung auf die Bezeichnung „Einzeltherapeut“ oder einfach nur Therapeut zurück.

Unsere klinischen Beispiele beziehen wir sowohl aus unserer klinischen Arbeit als auch aus unserer umfassenden Erfahrung in Ausbildung und Supervision der Therapeuten, die BPS-Klienten behandeln. Dabei haben wir nach gängiger Methode verschiedene Fälle „kombiniert“ und bewusst Beispiele verwendet, die übliche Reaktionen oder typische Verläufe der Geschehnisse widerspiegeln. Somit stimmt keines der Beispiele in diesem Buch mit einem real existierenden Klienten oder Therapeuten überein. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist rein zufällig.

Insgesamt wird dieses Buch die Alleinstellungsmerkmale der Dialektischen Verhaltenstherapie sowohl hinsichtlich der Theorie als auch der Praxis beleuchten und daher keine umfassende Darstellung aller Prinzipien der Behandlung liefern. Es kann deshalb die Lektüre der Handbücher (Linehan, 2008, 2009) ebenso wenig ersetzen wie Ausbildung und Supervision. Vielmehr möchten wir Klinikern eine Entscheidungshilfe an die Hand geben und eine entsprechende Ausbildung anregen; darüber hinaus möchten wir Praktikern, die bereits eine Ausbildung als DVT durchlaufen haben, eine kurze Zusammenfassung dieser Behandlungsmethode mit klinischen Beispielen liefern. Und schließlich ist dieses Buch auch für jene Klienten hilfreich, die sich über die zentralen Eigenschaften der Behandlung informieren und sich auf dieser Grundlage für oder gegen die Dialektische Verhaltenstherapie entscheiden können.

9. Zen-Prinzipien

Die Prinzipien des Zen basieren auf Beobachtungen der Realität, die man auf dem Pfad zur Erleuchtung macht. Der Grundatz, dass „die absolut perfekte Welt genau die ist, in der wir leben“ (Aitken, 2003), verdeutlicht dabei am eindrücklichsten die Bedeutung der Akzeptanz.[5] Die Welt ist in dem Sinne perfekt, dass sie so gut ist, wie sie nur sein kann. Sie kann nicht anders sein, als sie ist, weil sie durch das, was ihr vorausging, geschaffen beziehungsweise verursacht wurde. In dieser Welt ist jede Sache und jede Erfahrung vergänglich, strömend und verebbend wie Wellen. DVT-Therapeuten helfen ihren Klienten dabei, die Welt auf diese Weise zu erleben; hauptsächlich indem sie ihnen die Fertigkeiten von Achtsamkeit und radikaler Akzeptanz lehren. Akzeptanz spiegelt sich dabei sowohl in der Beobachtung, dass „alle Wesen, so wie sie sind, wahrhaftig sind“ (Aitken, 2003), als auch in dem Prinzip, dass alle Individuen eine angeborene Fähigkeit zur Erleuchtung in sich tragen. Um die Klienten zur Selbstakzeptanz zu führen, verwenden Therapeuten vorwiegend Akzeptanzstrategien wie die „Wise mind“-Strategie – eine von Linehan geprägte Bezeichnung für die aktive Integration von Emotion („emotional mind“) und Verstand („reasonable mind“) zur Lösung von Problemen und zum Erreichen eines intuitiven Selbstverständnisses.

Zen beschreibt außerdem die Konsequenzen, die sich entwickeln können, wenn die Realität nicht gesehen und akzeptiert wird. In seiner Darstellung des Zen kommentierte Aitken (2003) das naturgegebene Leiden des Menschen und die Auswirkungen einer Nichtakzeptanz desselben: „Die erste von Buddha ausgesprochene Wahrheit ist, dass Leben Leiden bedeutet. Zu versuchen, dem Leiden zu entfliehen, führt zu mehr Leiden ... [Wir] trinken übermäßig viel Alkohol, um einem Schmerz zu entgehen, und verursachen so nur noch mehr Schmerz.“ Im Zen wird davon ausgegangen, dass das Leiden vorwiegend aus Bindungen oder unerfüllbaren Wünschen hinsichtlich bestimmter Gegebenheiten der Realität resultiert. Diese Bindungen oder unerfüllbaren Wünsche nehmen vielerlei Gestalt an, darunter etwa die Sehnsucht nach einer bestimmten Beziehung oder ewiger Liebe, der Wunsch nach einem bestimmten Objekt oder eine Bindung daran oder das Festhalten an bestimmten Überzeugungen oder Werten. So können Therapeuten beispielsweise konkrete Wünsche oder Überzeugungen in Bezug darauf hegen, wie das Gesundheitssystem funktionieren sollte (etwa dass die Krankenversicherung eines Patienten das von ihnen angebotene Behandlungsprogramm bezahlt). Solche Wünsche und Bindungen können sich allerdings negativ auf die Realitätsakzeptanz auswirken (einer Realität, in der beispielsweise der Sachbearbeiter einer Krankenversicherung eine schier unbegrenzte Anzahl solcher Anfragen, aber nur ein sehr begrenztes Budget hat) und auf die Fähigkeit, effektiv zu reagieren. Wenn Realität und Wunsch kollidieren, geht das immer auf Kosten des Wunsches (und die Person leidet unter Gefühlen wie starker Wut und Stress und grübelt über die eigenen Urteile nach). Zen behauptet oder verlangt keineswegs, dass Bindungen oder Wünsche niemals auftreten sollten; es stellt lediglich deren Verbindung zum Leiden heraus. Auch legt es nahe, dass das Leiden sich mindern lässt, indem man sich von jenen Bindungen löst, welche die Wahrnehmung und Akzeptanz der Realität behindern.

Neben den Wünschen interferieren auch „Illusionen“ (im Sinne kognitiver Verzerrungen) mit der Akzeptanz von Realität. So postuliert Zen beispielsweise, dass Grenzen nur eine Illusion seien und dass alle Individuen und die Realität tatsächlich eins seien. Eine solche Aussage steht antithetisch zu der in vielen Psychotherapien vorhandenen Betonung von Grenzsetzungen. Die folgende Erzählung veranschaulicht jedoch, welches Leid willkürliche Grenzen hervorrufen können, und schlägt einen effektiven Weg vor, solche Grenzen zu überwinden. Thich Nhat Hanh (2001) besuchte einen Freund, der zwei kleine Kinder hatte, und diskutierte mit ihm das Leben in einer jungen Familie.

Dann sagte Allen: „Ich habe entdeckt, wie ich viel mehr Zeit haben kann. Früher habe ich meine Zeit immer so betrachtet, als ob sie in verschiedene Teile unterteilt wäre. Einen Teil habe ich für Joey reserviert, einen für Sue, einen, um Ana zu helfen, einen für die Hausarbeit. Die übrig gebliebene Zeit habe ich als meine eigene angesehen. [...]

Aber jetzt versuche ich nicht mehr, Zeit in einzelne Teile zu unterteilen. Ich betrachte meine Zeit mit Joey und Sue als meine eigene Zeit. Wenn ich Joey bei seinen Schularbeiten helfe, versuche ich, Wege zu finden, um seine Zeit als meine eigene Zeit zu sehen. Ich sehe mit ihm seinen Lernstoff durch und bin dabei in seiner Gesellschaft, finde Wege, mein Interesse auf unser gemeinsames Tun zu richten Die Zeit für ihn wird zu meiner eigenen Zeit. [...]
Das Bemerkenswerte ist, dass ich jetzt unbegrenzt viel Zeit für mich habe!“

Diese Erzählung verdeutlicht Yamada Roshis Aussage: „Die Praxis des Zen ist das Vergessen des Selbst im Akt der Vereinigung “ (Aitken, 2003). Somit erkennt die DVT sowohl ein relationales als auch ein autonomes Selbst an und stellt dem traditionellen psychotherapeutischen Fokus auf Entwicklung und Definition eines Selbstbewusstseins die Betonung der Entwicklung eines Selbstverständnisses von Verbundenheit mit der Welt und Befreiung von willkürlichen und einengenden Grenzen gegenüber.

Die DVT verlangt vom Therapeuten nicht, Zen tatsächlich zu praktizieren, aber Zen-Praktiken der Akzeptanz sind entscheidend, um die in der Therapie eingesetzten Techniken der Veränderung auszubalancieren. Zen betont Erfahrung und Praxis als Weg zum Verständnis der Welt. Die Praxis umfasst die Konzentration auf den gegebenen Augenblick, das Sehen der Realität, wie sie ist, ohne „Illusionen“, und die Akzeptanz der Realität ohne Urteile. Außerdem werden Zen-Schüler ermutigt, sich von Bindungen zu befreien, die den Pfad zur Erleuchtung blockieren, und die vorhandenen Mittel so geschickt einzusetzen, dass sich ein Mittelweg auftut. In den frühen Phasen des Lernens oder der Anwendung von Zen betrachten Therapeuten diese Form des Buddhismus häufig noch durch die Brille eines bestimmten Psychotherapiemodells oder versuchen, einfach einige der Praktiken an ihre normale Behandlung „dranzuhängen“. Die folgende Geschichte illustriert die Probleme, die sich bei einer solchen Vorgehensweisen ergeben können, und schlägt eine Alternative vor. Nan-in, ein Zen-Meister,

empfing einen Universitätsprofessor, der etwas über Zen lernen wollte. Nan-in servierte Tee. Er füllte die Tasse seines Besuchers und hörte nicht auf, immer weiter einzuschenken. Der Professor beobachtete, wie der Meister die Tasse zum Überlaufen brachte, bis er sich nicht mehr zurückhalten konnte. „Die Tasse ist randvoll, da passt nichts mehr hinein!“ „Genau wie diese Tasse“, sagte Nan-in, „bist auch du randvoll mit deinen eigenen Meinungen und Überzeugungen. Wie kann ich dich Zen lehren, wenn du deine Tasse nicht geleert hast?“

(Reps & Senzaki, 1980)

Diese Geschichte der überlaufenden Tasse gilt gleichermaßen für das Erlernen der weiteren Prinzipien und Praktiken der DVT. Die Bildungsreise ist niemals einfach, aber ohne zusätzliches Gepäck reist es sich leichter.

30. Belege für Wirksamkeit und Effektivität

Die DVT legt großen Wert auf empirische Daten zur Untermauerung sowohl der Wirksamkeit der Behandlung als auch ihrer Effektivität in der klinischen Praxis. Obwohl die Konzentration auf empirische Daten sie nicht von den meisten anderen kognitiven Verhaltenstherapien abhebt, ist sie dennoch ein definitorisches Merkmal der Behandlung. In diesem Kapitel werden die gegenwärtig vorliegenden Belege für die Wirksamkeit der DVT kurz dargelegt, bevor Prinzipien beschrieben werden, die Kliniker zur Evaluation der Effektivität in der klinischen Praxis heranziehen können.

30.1 Wirksamkeit der DVT

Linehan entwickelte die DVT zur Behandlung erwachsener Frauen mit einer diagnostizierten BPS und erst vor Kurzem aufgetretenem parasuizidalem Verhalten. Fünf randomisierte kontrollierte Studien (RKS) stützen die Wirksamkeit der Behandlung für diese Klientengruppe. Die erste Studie verglich eine einjährige DVT mit einer Standardbehandlung (SB) in der therapeutischen Gemeinschaft (Linehan, Armstrong, Suarez, Allman & Heard, 1991; Linehan, Tutek, Heard & Armstrong, 1994). Nach einem Jahr ließen sich bei den DVT- Studienteilnehmern signifikant weniger parasuizidale Handlungen erkennen, weniger medizinisch relevante Parasuizide, sie waren über kürzere Zeit in stationärer psychiatrischer Behandlung, die Wutgefühle waren schwächer, während die soziale und globale Funktionalität größer und die Raten der Behandlungsretention höher waren (DVT = 83 % vs. SB = 42 %). Wenngleich alle Teilnehmer Verbesserungen im Hinblick auf Depression und Suizidgedanken zeigten, waren die Veränderungen in den beiden Gruppen hinsichtlich dieser Variablen äquivalent. Bei einer Follow-up-Untersuchung nach einem Jahr waren die Behandlungserfolge generell noch erhalten, allerdings weniger ausgeprägt (Linehan, Heard & Armstrong, 1995). Linehan replizierte diese Studie vor einigen Jahren mit einer rigoroseren Kontrollbedingung, wobei sie eine einjährige DVT mit einer Behandlung durch nicht verhaltenswissenschaftlich orientierte Experten in der therapeutischen Gemeinschaft verglich (NVB; Linehan et al., 2006b). In Intention-to-treat-Analysen zeigten die DVT-Teilnehmer eine signifikant geringere Wahrscheinlichkeit für Suizidversuche und ein geringeres medizinisches Risiko für die ganze Bandbreite suizidalen Vehaltens, die Wahrscheinlichkeit eines Behandlungsabbruchs war signifikant geringer, es ließen sich weniger psychiatrische Hospitalisierungen und weniger Besuche in psychiatrischen Notfallambulanzen nachweisen.

Die anderen drei RK-Studien zur Untersuchung der Wirksamkeit der DVT wurden von anderen Forschergruppen durchgeführt. Koons und Kollegen (Koons, Robins, Tweed, Lynch et al., 2001) untersuchten die Wirksamkeit der DVT bei weiblichen Veteranen mit einer BPS-Diagnose, von denen nur 40% erst vor Kurzem einen Parasuizid verübt hatten. Nach sechs Monaten zeigten die DVT-Teilnehmerinnen eine signifikant stärkere Reduzierung der Suizidgedanken, der Depression, der Hoffnungslosigkeit und im Wutverhalten als die Teilnehmerinnen einer vorwiegend mit KVT arbeitenden Kontrollgruppe. Beide Studienbedingungen waren äquivalent im Hinblick auf parasuizidale Verhaltensweisen, Behandlungsretention, erlebte Wut und Dissoziation. Verheul, van den Bosch, Koeter, de Ridder et al. (2003) untersuchten die Wirksamkeit der DVT im Vergleich zur SB für erwachsene Frauen mit einer diagnostizierten BPS in Holland, die entweder aus psychiatrischen Einrichtungen oder Einrichtungen für Suchtkranke überwiesen worden waren. Die mit einer DVT behandelten Teilnehmerinnen zeigten einen stärkeren Rückgang des selbstverletzenden und selbstschädigenden impulsiven Verhaltens (etwa Substanzmissbrauch, Binge-Eating, Glücksspiel). Zusätzliche Analysen enthüllten, dass der Einfluss der DVT auf selbstverletzendes Verhalten bei denjenigen Teilnehmerinnen am größten war, die die höchste Ausgangsfrequenz (Baseline-Rate) aufwiesen. Wiederum hatte der DVT-Arm der Studie bessere Raten im Hinblick auf Behandlungsretention. Eine Follow-up-Untersuchung sechs Monate nach Behandlungsende zeigte, dass die durch die DVT erzielten Behandlungserfolge bezüglich niedrigerer Raten von parasuizidalem und impulsivem Verhalten sowie Alkoholmissbrauch konstant geblieben waren. Hinsichtlich Drogenmissbrauch waren die Unterschiede zwischen den Behandlungen jedoch nicht mehr vorhanden (van den Bosch, Koeter, Stijnen, Verheul & van den Brink, 2005). Clarkin, Levy, Lenzenweger und Kernberg (2007) verglichen die Behandlungserfolge bei Erwachsenen (beiderlei Geschlechts) mit einer BPS über drei unterschiedliche Behandlungen hinweg, im Einzelnen DVT, Übertragungsfokussierte Psychotherapie (ÜFP) und eine dynamische unterstützende Therapie. Alle Behandlungen erbrachten im ersten Therapiejahr signifikante Erfolge in Bezug auf Depression, Angst, globale Funktionalität und soziale Anpassung. Sowohl ÜFP als auch DVT führten zu signifikanten Reduzierungen in der Suizidalität. ÜFP und die dynamisch unterstützende Therapie waren jeweils mit Verbesserungen in Aspekten der Impulsivität assoziiert. Die ÜFP war ein signifikanter Prädiktor für Veränderungen im Ausmaß der Reizbarkeit sowie der verbalen und physischen Angriffe. All diese Studien – bis auf diejenige von Clarkin et al. – nutzten anerkannte Adhärenzmaße, um sicherzustellen, dass die durchgeführte Therapie tatsächlich eine DVT war, und stellen somit eine authentische Prüfung der Therapiewirksamkeit dar.

Zusätzlich zu den Wirksamkeitsstudien an der Population, für die Linehan die Therapie entwickelte, gab es diverse Studien zur Wirksamkeit in anderen Klientenpopulationen oder für ähnliche Klientenpopulationen in anderen Settings. Linehan passte die DVT für die Behandlung von Frauen mit einer BPS und Substanzabhängigkeit an (Linehan & Dimeff, 1997) und hat in der Folge auch die Wirksamkeit dieser modifizierten Version der DVT untersucht (Linehan, Schmidt, Dimeff, Craft et al., 1999). Die DVT-Teilnehmerinnen in dieser Studie zeigten nach einem Jahr größere Reduzierungen im Substanzmissbrauch als die Teilnehmerinnen an der SB. Auch waren die Behandlungsretentionsraten in der DVT höher (DVT = 55 %; SB = 19 %). Bezüglich der Anzahl der Tage in stationärer psychiatrischer Behandlung, der Wut, sozialer und globaler Funktionalität bestanden keine Unterschiede zwischen den beiden Bedingungen. Bei der Follow-up-Untersuchung nach vier Monaten zeigten die DVT-Teilnehmerinnen jedoch signifikant stärkere Reduzierungen im Substanzmissbrauch und größere Zugewinne in globaler und sozialer Anpassung. In einer zweiten Studie wurden Frauen mit einer diagnostizierten BPS und Opioidabhängigkeit auf eine DVT zur Behandlung der Substanzabhängigkeit oder auf eine Kontrollbedingung randomisiert, die aus umfassender Validierung plus der 12-Schritt-Suchttherapie bestand (Linehan, Dimeff, Reynolds, Comtois et al., 2002). Diese Kontrollbedingung verband die Einzeltherapie, die DVT-Akzeptanzstrategien nutzte (wie Validierung, reziproke Kommunikation und umweltbezogene Intervention), mit Treffen der Narcotics Anonymous. Alle Teilnehmer erhielten eine Substitutionstherapie mit Levo-Alpha-Acetyl-Methadon (LAAM). Beide Behandlungsbedingungen reduzierten den Opioidkonsum. Die Kontrollbedingung hatte exzellente Behandlungsretentionsraten (100 %; DVT = 64 %), allerdings wiesen die Klienten in der DVT-Gruppe eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür auf, dass die Behandlungserfolge auch nach der Therapie nachweisbar blieben. RKS-Daten stehen nicht nur für die ambulante Behandlung erwachsener BPS-Klienten zur Verfügung, sondern stützen außerdem auch den Einsatz der DVT in der Behandlung erwachsener Frauen mit einer diagnostizierten Binge-Eating-Störung (Telch, Agras & Linehan, 2001) sowie die Behandlung älterer Menschen mit komorbiden Depressionen und Persönlichkeitsstörungen (Lynch, Morse, Mendelson & Robins, 2003; Lynch et al., 2007). Weiterhin stützen die Befunde aus kontrollierten Studien den Einsatz der DVT bei erwachsenen BPS-Klienten im Rahmen stationärer Behandlung (Bohus et al., 2004). Schließlich deuten die Forschungsergebnisse darauf hin, dass die DVT eine kosteneffektive Behandlung ist (Brazier et al., 2004; Heard, 2000).

30.2 Effektivität der DVT

Das Wissen, dass die DVT prinzipiell eine effektive Behandlung ist, ist essenziell für die Entscheidung einer Implementierung. Zu beurteilen, ob die DVT für irgendeine bestimmte Organisation oder irgendeinen bestimmten Klienten eine effektive Behandlung darstellt, erfordert jedoch darüber hinaus die Berücksichtigung der Therapieerfolgsmessungen in der klinischen Routinepraxis. DVT-Behandlungsprogramme erheben Daten über klinische Verläufe, um die Effektivität der Behandlungsdurchführung zu erfassen und dem Träger des Programms Informationen zu liefern. Die Konzentration der DVT auf lebensbedrohliche und schwer destabilisierende Verhaltensweisen ist diesbezüglich hilfreich. Ebenso wie Therapeuten sicherstellen wollen, dass das Risiko und der Schweregrad der Probleme ihrer Klienten abnehmen, wollen Organisationen im Gesundheitswesen die Häufigkeit und den Schweregrad suizidaler Verhaltensweisen sowie die Anzahl der Tage in stationärer Behandlung reduzieren. Die Erhebung von Daten über diese verhaltensbezogenen Therapieergebnisse nützt daher sowohl Therapeuten als auch Organisationen. DVT-Teams evaluieren dabei nicht nur verhaltensspezifische Therapievariablen, auf die die Behandlung abzielt (etwa solche, bei denen eine Veränderung durch das Programm erwartet wird), sondern wählen außerdem Variablen aus, die im Zusammenhang mit den Zielen der programmbeteiligten Parteien (Klient, Familie, Therapeut und Organisation) stehen, und sorgen dafür, dass die Evaluation handhabbar bleibt (Rizvi, Monroe-DeVita & Dimeff, 2007). Die Ergebnisse dieser Evaluationen können jedoch nur dann Aufschluss über die Effektivität der DVT geben, wenn Messungen für die programmatische und therapeutenseitige Adhärenz zu den DVT-Prinzipien vorgenommen werden.

Jenseits der programmatischen Ebene evaluieren DVT-Therapeuten die Auswirkungen der Behandlung auf die identifizierten Behandlungsziele der einzelnen Klienten (Kapitel 16). Dabei beinhaltet die Messung des Therapieerfolgs zumeist Variablen, die auch Teil der Evaluation des Behandlungsprogramms sind (parasuizidale Handlungen, Tage in stationärer Behandlung etc.), jedoch wird sie wahrscheinlich darüber hinaus auch die Ergebnisse in Bezug auf idiografische Variablen umfassen (etwa Binge-Eating und Erbrechen, Häufigkeit von Diebstahl). Der Nachvollzug der Therapieerfolge für den einzelnen Klienten ist oft hilfreich für die Behandlung von Fällen mit multiplen komorbiden Störungen. Es kann jederzeit dazu kommen, dass Klienten wie auch Therapeuten sich von Umfang und Anzahl der zu bewältigenden Aufgaben erdrückt fühlen, weshalb sie die bereits erreichten Ziele und Erfolge vergessen. Daten über Therapieerfolge können dieser kognitiven Verzerrung entgegenwirken und eine realistischere Einschätzung der Effektivität dieser Behandlung ermöglichen. Eine solche objektive Evaluation der Fortschritte unterstützt Therapeuten wie Klienten am Ende der vereinbarten Behandlungslaufzeit außerdem bei der Entscheidung darüber, ob die Therapie fortgesetzt werden sollte.

Literatur

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