image

STAR TREKTM

THE FALL

KÖNIGREICHE
DES FRIEDENS

DAYTON WARD

Based on
Star Trek and Star Trek: The Next Generation
created by Gene Roddenberry

Star Trek: Deep Space Nine
created by Rick Berman &Michael Piller

Ins Deutsche übertragen von
Christian Humberg

img

Original English language edition copyright © 2013 by CBS Studios Inc. All rights reserved.

Für Michi, Addison und Erin

HISTORISCHE ANMERKUNG

27. August 2385: Während der Einweihungszeremonie der neuen Raumstation Deep Space 9 wird die Föderationspräsidentin ermordet (STAR TREK – THE FALL »Erkenntnisse aus Ruinen«). Nanietta Baccos Tod befördert den Sturz der cardassianischen Regierung (STAR TREK – THE FALL »Der karminrote Schatten«) und treibt Doktor Julian Bashir dazu, mit der Sternenflotte zu brechen und Verrat zu begehen (STAR TREK – THE FALL »Auf verlorenem Posten«).

Hochrangige Mitglieder der Föderationsleitung nutzen den Mordanschlag aus, um ihre eigenen Interessen zu stärken. Sie umgehen die Kommandokette, erteilen der Sternenflotte geheime Befehle und entsenden neu gebildete Einsatzteams, um die Attentäter aufzuspüren.

Irritiert von den Entscheidungen des Übergangspräsidenten Ishan Anjar, ruft Admiral Akaar derweil die U.S.S. Titan zurück zur Erde. Dort befördert er Will Riker zum Rear Admiral und beauftragt ihn, Ishans Machenschaften offenzulegen (STAR TREK – THE FALL »Der Giftkelch«).

Wenige Wochen vor den präsidialen Neuwahlen, die Ishan im Amt bestätigen sollen, kehrt Andor in die Vereinigte Föderation der Planeten zurück. Kellessar zh’Tarash, Andors Vorsitzende, bewirbt sich prompt ebenfalls um den Posten.

Die Haupthandlung dieses Romans spielt zwischen dem 13. und dem 27. Oktober 2385.

PROLOG

Jevalan, Doltiri-System; Erdenjahr 2369

Gil Cetal Lagrar lief auf den Balkon seines Büros, als gegenüber von ihm die Fassade des dreistöckigen Truppenquartiers auseinanderbrach. Das tiefe Grollen von zerberstendem Metall und Thermocrete übertönte sogar noch die Echos der Explosion, die in der Luft gehangen hatten. Eine Staubwolke stieg aus dem Schuttberg empor und verschluckte den Schein der überall im Lager verteilten Lichtsäulen.

»Was ist passiert?«, rief Lagrar den vier Soldaten zu, die aus der Deckung eines Nachbargebäudes traten. Kaum hatte er die Frage ausgesprochen, gingen überall die Sirenen los.

Einer der Soldaten deutete mit der erhobenen Waffe auf die zertrümmerte Truppenunterkunft. »Wissen wir nicht, Sir!«, rief er über den Sirenenlärm hinweg.

Lagrar kontaktierte die Wächter, die die Anlage sicherten. Den Soldaten, die die Insassen des Olanda-Arbeitslagers bewachten, trug er auf, ihre Position zu halten. Dann erst trat er ins Freie, um sich das zerstörte Gebäude genauer anzusehen. Schon tummelten sich Notfallteams zwischen den Trümmern und löschten die kleinen Brände, die überall ausgebrochen waren. Lagrar konnte Scanner zirpen hören und sah Helfer nach Überlebenden suchen. Große Lampen wurden neu ausgerichtet, um die Katastrophe auszuleuchten und den Suchenden bessere Sicht zu ermöglichen. Und noch immer hallte Sirenenklang in die Nachtluft hinaus.

Bis zum Sonnenaufgang würde es nur wenige Stunden dauern. Wie viele Soldaten und andere mochten sich in dem Gebäude aufgehalten haben? Zu viele, wusste Lagrar. Diese Explosion war kein Zufall gewesen.

Sabotage.

Sein Kommunikationsgerät piepste nach Aufmerksamkeit. Er aktivierte es. »Lagrar.«

»Hier spricht Glinn Virat«, erklang die Stimme des Offiziers, der die Wächter des Arbeitslagers leitete. »Mir liegen Anfragen der Notfallteams vor, auch die Häftlinge zur Trümmerbeseitigung einzusetzen.«

»Auf gar keinen Fall«, rief Lagrar ungehalten. »Einer von denen könnte die Bombe gelegt haben. Bis auf Weiteres verlässt oder betritt niemand das Lager. Wer sich diesem Befehl widersetzt, ob Cardassianer oder Bajoraner, wird erschossen. Ist das klar?«

»Verstanden, und ich stimme zu«, antwortete Virat. »Ich kann mir aber vorstellen, dass der Commander ein Problem damit hat.«

»Mag sein«, sagte Lagrar. »Aber da ich hier das Sagen über die Truppe habe, obliegen derlei Entscheidungen in Krisensituationen mir. Ich werde mich um Pavok kümmern, sobald wir wieder Ordnung hergestellt haben.« Er wusste, dass Lagerleiter Gul Pavok seinen Beschluss hinterfragen würde. Doch ihm fehlte die Zeit, sich über Zuständigkeiten, Egos oder das Gejammer seines Vorsitzenden Gedanken zu machen. Momentan galt es, die Situation unter Kontrolle zu bekommen, die Schuldigen zu identifizieren und etwaige Überlebende zu bergen. Falls dafür ein paar aufmüpfige Bajoraner und sogar einige seiner eigenen sturen und dummen Untergebenen geopfert werden mussten, dann war Lagrar bereit dazu. Pavoks Wutausbrüche konnten warten.

Abermals ertönte sein Kommunikator, und er wechselte die Frequenz. »Lagrar.«

»Checkpoint drei, Sir«, erklang die Stimme Gorr Forals, eines seiner Untergebenen aus der Nachtwache. »Wir erfassen Eindringlinge nahe unserer Position!«

Lagrar rannte los, vorbei an der Szene der Zerstörung und hin zum Grenzzaun mit seinen Wachtürmen. »Lassen Sie sie nicht entkommen! Und ich will sie lebend!«

Nun hörte er die Stimme Garresh Bileks. »Ich rufe weitere Wachposten in den Bereich, Sir!«

Lagrar fragte sich nicht, weshalb diese Eindringlinge nicht schon vor der Explosion aufgefallen waren. Auch das konnte warten. Foral war ein Soldat niederen Ranges mit nicht sonderlich anspruchsvoller Aufgabe, einer von zwei Nachtwächtern auf einem der Türme. Sollte er seine Pflichten vernachlässigt haben, würde sich Bilek darum kümmern, der für die Aufsicht der Nachtschicht eingeteilte Garresh.

Später, sagte Lagrar sich.

Checkpoint drei war der entlegenste der Türme auf dieser Seite des Grenzzauns. Lagrar entsann sich, dass er in einer der wenigen Sektoren stand, die keine visuellen Überwachungsbilder zur Lagerleitung übermitteln konnten. Hätte Lagrar einen Einbruch geplant, er hätte sich keinen anderen Ort ausgesucht. Die Zäune bestanden aus Kraftfeldern und deren in Metallrahmen gefassten Generatoren. Sie hatten ihre Beschränkungen – etwa an den Stützpfosten, die verschiedene Segmente der Kraftfelder mit Energie speisten. Ähnliche Zäune dienten auch dazu, die bajoranischen Arbeiter in ihrem Teil des Lagers zu halten, zusammen mit den in regelmäßigen Abständen platzierten Wachtürmen. Wer sich darauf verstand und geübt vorging, könnte die Kraftfelder mit ein wenig Glück ausschalten und das Lager unbemerkt betreten.

Oder hatten die Saboteure etwa Hilfe von innerhalb des Lagers erhalten? Die Möglichkeit war besorgniserregend. Vielleicht waren die Täter längst im Camp gewesen. Falls der Anschlag lange und sorgfältig geplant gewesen war, hätte ihn sogar ein Bajoraner – etwa einer der persönlichen Assistenten, der Küchen- und Reinigungskräfte, der Bediensteten oder eine Amüsierdame – ausführen können.

In dem Fall würde Lagrar Sorge tragen, dass Gul Pavok jeden Bajoraner erschießen ließ, der zur Zeit der Explosion im Lager war. Es kam nicht zum ersten Mal vor, dass sich Arbeiter am Widerstand versuchten – hier ebenso wie in den anderen quer über den Planeten verteilten Lagern –, doch nie hatte sich ihre Rebellion so deutlich gezeigt wie in dieser Nacht. Die Zeit war reif für eine unmissverständliche Botschaft: Mutwillige Zerstörung und Ungehorsam waren nicht zu tolerieren. Und nichts vermochte diese Botschaft besser zu transportieren als die Hinrichtung einiger Dutzend bajoranischer Arbeiter, seien sie nun in den Angriff verwickelt oder nicht.

Lagrar hörte Schüsse irgendwo weiter vorn. Er beschleunigte seinen Schritt und zückte seine Disruptorpistole. Als er nahe dem Grenzzaun um eine Gebäudeecke bog, sah er eine cardassianische Gestalt vom Wachturm fallen. Der Soldat landete plumpsend im Gras und blieb reglos liegen. Sein Kollege auf dem Turm beugte sich über das Geländer und richtete den Disruptor auf ein Ziel, das Lagrar nicht sehen konnte. Gelbweiße Energiestrahlen regneten herab, als der Wächter schoss, und nun bemerkte Lagrar die beiden dunklen Schemen, die ebenfalls zu Boden sanken. Ein dritter ging auf ein Knie, hob die Waffenhand und schoss auf den Turm, woraufhin der verbliebene Wachmann zurücktaumelte und außer Sicht geriet.

Lagrar lief auf den Angreifer zu und riss die Waffe gerade noch rechtzeitig hoch, als der Fremde die Flucht ergreifen wollte. Ein Seitenblick genügte Lagrar, die toten Begleiter des Schützen als Bajoraner zu identifizieren – ein Mann, eine Frau. Ihr überlebender Kompagnon hielt auf eine Stelle im Zaun zu, die zwischen zwei Kraftfeldgeneratoren lag. Selbst aus der Distanz bemerkte Lagrar, dass die Anzeigen beider Generatoren dunkel waren. Dieser Bereich des Zaunes hatte keinerlei Energie.

»Halt!«, rief Lagrar. Er schoss gezielt am Flüchtenden vorbei auf den metallenen Rahmen des Zaunes. Der Bajoraner blieb stehen und streckte die Arme aus. »Waffe fallen lassen«, befahl Lagrar und kam näher. Ohne sich umzudrehen, warf der Bajoraner die Disruptorpistole zu Boden. Sie landete im Gras neben seinem Fuß. »Treten Sie sie weg!«

Kaum hatte der Bajoraner gehorcht, griff Lagrar nach den Handschellen. Eigentlich hätten sie in seiner Gürteltasche stecken sollen, doch wie er nun bemerkte, hatte er einzig seine Waffe mitgenommen. Handschellen, Schlagstock und Dienstmarke – alles, was seine Autorität unterstreichen sollte – lagen noch auf dem Schreibtisch im Büro. Lagrar brummte ungehalten. Aber es war ja nur ein Bajoraner.

»Drehen Sie sich ganz langsam um«, befahl er, den Disruptor auf den Rücken des Bajoraners richtend. »Versuchen Sie nicht, zu fliehen oder sich zu wehren. Ich würde Sie auf der Stelle töten.«

Der Bajoraner rührte sich nicht. »Sie werden mich nicht töten. Meine Freunde sind bereits tot. Sie brauchen mich, um zu erfahren, was hier vorgefallen ist.«

War es Einbildung, oder strotzte der Tonfall dieses Arbeiters vor Selbstbewusstsein? Lagrar hätte beinahe abgedrückt, um Frust abzubauen. »Umdrehen«, stieß er hervor. »Ich sag’s nicht noch mal.«

Nach ein paar Sekundenbruchteilen drehte sich der Eindringling langsam um. Lagrar sah einen Jugendlichen vor sich, kaum mehr als ein Kind.

»Wie ist dein Name, Bajoraner?«

Die Schatten verhüllten den linken Arm des Mannes gerade lange genug, dass dieser sich an die Hüfte greifen konnte. Lagrar bemerkte die Bewegung zu spät – erst, als der Bajoraner mit einem weiteren Disruptor auf ihn zielte. Das Letzte, was Lagrar sah, bevor der Fremde schoss, war dessen bajoranisches Antlitz.

»Mein Name lautet Ishan Anjar.«

EINS

Hauptquartier der Sternenflotte, San Francisco, Erde

»Wie schon vor über zweihundert Jahren, so steht das andorianische Volk auch heute wieder an der Seite der Vereinigten Föderation der Planeten. Es ehrt uns zutiefst, erneut aufgenommen zu werden wie damals: als Freunde und Partner. Daher verpflichten wir Andorianer uns einmal mehr den Prinzipien, die diese unvergleichliche Koalition seit ihren ersten Tagen leiten, und erheben unsere Stimme für die Freiheit, die Sicherheit und für das Recht auf Selbstbestimmung. Wir erneuern unseren Schwur, Teil einer Gemeinschaft von Welten zu sein, und geloben, jeden einzelnen ihrer Bürger zu unterstützen und zu beschützen, als sei er auf unserer eigenen Welt geboren.«

Donnernder Applaus unterbrach Kellessar zh’Tarash an ihrem Rednerpult im andorianischen Parlament. Admiral William Riker saß auf der Tischkante in seinem neuen Büro im Sternenflottenhauptquartier, wo er sich die vom Föderationsnachrichtendienst aufgezeichnete Rede anschaute. Der breite Wandmonitor ließ die aktuelle Anführerin der andorianischen Progressiven Partei nahezu majestätisch wirken.

»Sie weiß jedenfalls, wie man Eindruck hinterlässt, hm?«, fragte Riker und deutete auf den Monitor.

In einer Ecke des Raumes – und einem zu dick gepolsterten Sessel, der aber perfekte Sicht bot – saß Deanna Troi und drehte den Kopf zu ihrem Ehemann um. »Sie ist beeindruckend. Die Andorianer haben großes Vertrauen in sie, und auch innerhalb der Föderation erhält sie immer mehr Zuspruch.«

Zh’Tarash sprach weiter. »Wir mögen uns kurzzeitig verirrt haben, doch wir wissen nun: Die Leidenschaft und die Einigkeit der Föderation machen uns stärker, als wir es allein je wären. Diese Ideale traten in der Zeit unserer ärgsten Not abermals zum Vorschein. Wir hoffen auf die Gelegenheit, der Föderation unsere ewige Dankbarkeit zeigen zu dürfen, hat sie unserer Welt und unserem Volk doch einen großen Dienst erwiesen. Ihr kooperativer Geist hat mich bewogen, für das Amt der Präsidentin der Vereinigten Föderation der Planeten zu kandidieren. So es der Wille der Völker ist, dass ich ihnen in dieser Position diene, werde ich mich nach Kräften bemühen, eine Föderation zu bewahren, die ihren prominenten Platz im Kosmos verdient. Nicht durch Drohungen und Gewalt, sondern indem sie anderen freundschaftlich die Hand reicht. Es war Nanietta Baccos feste Überzeugung, dass höher entwickelte Spezies dieser Galaxis keinen besseren Freund und Partner haben könnten. Ich verspreche Ihnen, an jedem neuen Tag zu beweisen, wie recht Bacco hatte. Ich verspreche es jedem einzelnen Bürger der Föderation, die wir Andorianer die Ehre haben, einmal mehr unsere Familie nennen zu dürfen.«

»Computer, Aufzeichnung unterbrechen«, sagte Riker. Das Bild erstarrte, just als die ersten andorianischen Parlamentsangehörigen applaudierend aufstanden. Der Admiral verschränkte die Arme vor der Brust und atmete kopfschüttelnd aus. »Ich wette, Ishan geht gerade die Wände hoch.«

»Laut den Umfragen begrüßt die breite Mehrheit eine Rückkehr Andors«, sagte Troi. »Bemerkenswert, sahen die Ergebnisse nach ihrem Austritt doch noch ganz anders aus.«

»Ich erinnere mich gut.« Es war drei Jahre her, dass Andor, ein Gründungsmitglied der Föderation, den Weltenbund nach einer knappen, tumultartigen Abstimmung durch sein Parlament verlassen hatte. Die Öffentlichkeit hatte sehr wütend reagiert, sich verraten geglaubt – hauptsächlich, weil niemand die Gründe für Andors Entschluss gekannt hatte. Berichten zufolge hatte der Typhon-Pakt die Andorianer wissen lassen, dass die Sternenflotte über fremde Technologie und Informationen verfügte, mittels derer das unter einer Fortpflanzungskrise leidende Volk Andors vor dem sicheren Aussterben bewahrt werden konnte.

Das war nicht gelogen gewesen. Allerdings erfuhr die Öffentlichkeit erst jetzt vereinzelte Hintergründe um die noch immer geheime Operation Vanguard und die von ihr gesammelten Daten und Unterlagen: das Erbe einer uralten Spezies namens Shedai. Kern dieser über ein Jahrhundert alten Entdeckungen war das sogenannte »Shedai-Meta-Genom«, das das Potenzial in sich trug, diverse wissenschaftliche und medizinische Regeln auf den Kopf zu stellen. Die Sternenflotte hatte lange versucht – und war dabei desaströs gescheitert –, die Shedai und ihre unglaubliche Macht zu begreifen. Dann hatte jemand innerhalb der Föderationsleitung beschlossen, das gesamte Projekt zu begraben und zu vergessen, bevor seine Inhalte in die falschen Hände geraten und zur Gefahr werden konnten.

Also hatte die Sternenflotte ihre gesammelten Daten in ein geheimes Archiv gesperrt und jeden, der die Operation überlebt hatte, zu völligem Stillschweigen verpflichtet. Andere Völker, die von den Shedai erfahren hatten, waren allerdings nicht untätig gewesen und hatten weitergeforscht. Beispielsweise die bis dato eher eigenbrötlerische Tholianische Versammlung, die sich prompt dem Thyphon-Pakt angeschlossen hatte. Mit dem Wissen, dass das Meta-Genom das Ende der Fruchtbarkeitskrise bedeuten könnten, hatten sich die Tholianer daraufhin an Andor gewandt. Dabei hatten sie sich geschickt darum bemüht, die Sternenflotte und die Föderation als Verräter darzustellen, die dem andorianischen Volk eben diese Informationen absichtlich vorenthielten.

Und der Rest, dachte Riker, ist Geschichte, wie man so schön sagt.

»Die gesamte Geschichte hinter der Operation Vanguard bleibt geheim«, sagte er, stand von seinem Tisch auf und trat zum Fenster in der hinteren Wand des Büros. »Doch die Auszüge, die die Sternenflotte gerade publik werden lässt, scheinen die Öffentlichkeit zu besänftigen.« Er selbst wusste wenig mehr, als in den Pressemeldungen des Flottenkommandos stand. Die meisten Informationen über die Unternehmung würden wohl noch auf Jahre oder Jahrzehnte hin in den Schatten verborgen bleiben. »Sie betonen den Nutzen für Andor und geben sich großzügig. Dabei wäre all das nie passiert ohne Julian Bashir.« Der einstige Chefmediziner von Deep Space 9 hatte sich Zugriff zu den geheimen Shedai-Daten verschafft und mit ihnen ein Heilmittel für Andor entwickelt. Seitdem galt er unter Andorianern als Held, doch der Sternenflotte war keine andere Wahl geblieben, als ihn der Spionage anzuklagen, möglicherweise sogar des Verrats. Aktuell bereitete man auf der Erde seinen Prozess vor. Riker hatte noch keinen Weg gefunden, den Arzt vor dauerhafter Entehrung und lebenslanger Haft zu bewahren.

Ein Problem nach dem anderen, Doktor.

»Zh’Tarash nutzt die ganze Angelegenheit dazu, Andors Bund mit der Föderation zu bekräftigen«, sagte Troi. »Das schadet nicht. Laut den Umfragen wird sie von Tag zu Tag beliebter. So schnell, wie sie zu Ishan aufholt, könnte die Wahl noch ziemlich knapp werden.«

»Schreib Ishan noch nicht ab. Er hat noch mehr als genug Zeit, ein Kaninchen aus dem Hut zu zaubern.«

Bis zur Wahl eines Nachfolgers für die verstorbene Präsidentin Nanietta Bacco waren es nur noch wenige Wochen. Die Gesetze der Föderation schrieben vor, dass sie binnen sechzig Tagen nach dem Tod oder dem Amtsaustritt eines amtierenden Oberhaupts geschehen musste. Mehr als einen Monat war es nun her, dass Bacco bei der Einweihung der neuen Deep Space 9 gestorben und ein Übergangspräsident ernannt worden war. Der Föderationsrat hatte sich für Ishan Anjar entschieden, ein relativ neues Mitglied vom Planeten Bajor. Bei seiner Ernennung hatte Ishan dem Rat erst ein knappes Jahr angehört, weswegen viele Regierungs- und Sternenflottenangehörige seine Wahl diskutabel fanden – zumal Bacco ersten Indizien nach durch bajoranische Hand getötet worden war. Manche glaubten, Ishans Wahl sei als symbolische Geste an das Volk Bajors gedacht, als Demonstration, dass die Föderation ihre Freundschaft zu dieser Zivilisation nicht durch die Gräueltat eines Einzelnen sabotieren ließ.

Je näher der Wahltag kam, desto konkreter festigten die beiden Kontrahenten ihre Positionen. Insbesondere beim eiligst entschiedenen Kernthema des Wahlkampfs, der Sicherheit, unterschieden sie sich sehr. Ishan Anjar plädierte für eine Föderation, die in interstellaren Angelegenheiten deutlich aktiver vorstieß, auf dass zukünftige Bedrohungen durch Feinde wie die Borg oder eher »konventionelle« Gegner wie den Typhon-Pakt schon im Voraus verhindert werden konnten. Kellessar zh’Tarash teilte seinen Wunsch nach Sicherheit, fühlte sich aber weit mehr als ihr Kontrahent dem verpflichtet, was auch Riker als die fundamentalen Prinzipien der Föderation verstand: dem Ideal der friedlichen Koexistenz bei gleichzeitiger Wehrfähigkeit. Viele Beobachter hielten die beiden Positionen für sehr ähnlich, doch unterschieden sie sich deutlich hinsichtlich der grundsätzlichen Einstellung. Ishan propagierte ein aggressiveres Vorgehen bei potenziellen Konflikten und fand sogar einen Präventivschlag angemessen, wo die Föderationsinteressen klar in Gefahr gerieten. Freundschaften waren wichtig, so seine Botschaft, doch einer Bedrohung müsse stets mit überwältigender Kraft begegnet werden – und sei sie oberflächlich betrachtet auch noch so klein.

Frieden durch überlegene Feuerstärke. Riker brummte ungehalten ob seines eigenen Scherzes. Er hatte sein Leben der Sternenflotte gewidmet und zahlreiche Gefahren überstanden. Trotzdem war Ishans Einstellung ihm fremd. Sie passte nicht zu dem Eid, den er geschworen hatte. Und obwohl sich viele diesem fundamental scheinenden Richtungswechsel verweigerten, schien Ishan Anjar insbesondere unter den Wählern, die den Verlust ihrer geliebten Präsidentin am lautesten beklagten, Gehör und Zuspruch zu finden.

»Falls Ishan die Wahl gewinnt«, sagte Troi, stand auf und trat ebenfalls ans Fenster, »kann niemand sagen, wie weit er gehen wird, um seine Ziele zu erreichen. Die Möglichkeiten sind beängstigend – schon allein von dem ausgehend, was wir ihm bislang unterstellen.«

Jüngste Entdeckungen hatten Riker zu der Annahme gebracht, Baccos Ermordung und ihre Folgen seien Teil eines größeren Plans, um Ishan im Amt zu bestätigen und einen aggressiven politischen Kurs durchzudrücken. Der Wunsch nach Sicherheit innerhalb der Föderation könnte so missbraucht werden, um einen Krieg mit dem Typhon-Pakt zu beginnen. Ishan Anjar hatte selbst schon oft davon gesprochen, insbesondere in Hinblick auf seine Erfahrungen unter der cardassianischen Besatzung Bajors. Nie wieder, so hatte er geschworen, solle jemand zu solch grauenvollem Dasein gezwungen sein.

Was den bemerkenswerten Verlauf von Ishans Karriere betraf, so war Riker und einigen anderen inzwischen klar, dass sie auf die Machenschaften von Ishans engem Vertrauten und ehemaligem Stabschef zurückging. Galif jav Velk war schon vor Ishans Auftauchen Mitglied des Föderationsrats gewesen und galt als kompromissloser Macher, der nicht vor verletzten Eitelkeiten, blauen Augen und blutigen Nasen zurückscheute. Auch sein Standpunkt zur Föderationssicherheit war allgemein bekannt gewesen und geteilt worden, insbesondere im Kielwasser der vor vier Jahren durchlittenen Borg-Invasion, bei der die Föderation beinahe vernichtet worden war.

»Ich frage mich immer wieder«, sagte Riker, »was Ishan ohne seinen größten Cheerleader erreichen kann. Falls Velk ihn tatsächlich getragen hat, wie weit kommt Ishan dann noch allein? War Velk derjenige mit den nötigen Kontakten?«

Troi hob die Schultern. »Schade, dass du ihn nicht fragen kannst.«

Nach der Enttarnung von Nan Baccos Mördern war bekannt geworden, wie sehr sich Velk wirklich für Ishans Pläne stark gemacht hatte. Auf einer abgelegenen Welt am Rand des Föderationsraums hatte man die Täter – angeblich Handlanger der Tzenkethi – vermutet. Velk hatte daraufhin ein Sonderkommando dorthin entlassen, unter anderem bestehend aus Commander Tuvok, Lieutenant Commander Nog und Rikers »Bruder« Thomas. Bei ihrer Ankunft hatte das Team jedoch entdeckt, dass die Mörder keine Tzenkethi, sondern Cardassianer waren, Angehörige einer Extremistengruppierung namens »Wahrer Weg«. Es war zum Kampf gekommen, doch hatte man die schließlich gefangenen Cardassianer nicht zur Erde gebracht, sondern zu einer geheimen Gefängnisanlage auf der klingonischen Welt Nydak II.

Tuvok und Nog hatten begriffen, dass Colonel Jan Kincade, Leiterin des Einsatzkommandos, heimlich für Velk gearbeitet und den Befehl gehabt hatte, die Wahrheit und ihre Mitwisser auf Nydak II zu begraben. Also hatten sie gemeutert und darauf gepocht, die Cardassianer auf der Erde vor Gericht zu stellen. Im darauf folgenden Chaos waren die Gefangenen gestorben; vorher hatte ihr Anführer Onar Throk Tuvok gestanden, die Präsidentin persönlich ermordet zu haben. Er hatte sogar behauptet, Velk habe ihm dazu jegliche nötige Unterstützung gewährt. Und obwohl der Tellarit prompt auch Tuvoks und Nogs Tod befohlen hatte, um seine Spuren zu verwischen, hatten Riker und die U.S.S. Titan die Offiziere retten können.

Der Föderationssicherheitsdienst hatte Velk daraufhin verhaftet – vielleicht, damit nicht auch Ishan als Teil der Verschwörung enttarnt wurde – und an einen geheimen Ort gesperrt. Die Anklage beschränkte sich allerdings auf nicht autorisierte Verwendung von Sternenflottenressourcen und den illegalen Kursbefehl nach Nydak II. Riker ahnte, dass Velk nur aus der Schusslinie geholt worden war, damit man ihn und Ishan nicht mit dem Mord in Verbindung brachte. Onar Throks Geständnis galt als zweifelhaft, da greifbare Beweise fehlten, und ohne sie war jede Anklage machtlos. Es bedurfte eines weiteren Geständnisses oder eines eindeutigen Beweises – und beides mochte noch immer irgendwo dort draußen seiner Entdeckung harren. Riker hatte daher einen kleinen Kreis vertrauenswürdiger Offiziere um sich geschart. Zu diesem zählten der Führungsstab der Titan ebenso wie sein alter und engster Freund Captain Jean-Luc Picard. Gemeinsam wollten sie diesen Beweis finden, wie auch immer er aussehen mochte. Da Ishan fraglos nicht gestehen würde, blieb ihnen bis dahin als Ansatzpunkt nur Velk, der irgendwo auf seine Verhandlung wartete.

Velk wird seinen Prozess nie und nimmer erleben. Dessen war sich Riker sicher. Entsprechend wichtig fand er es, den Tellariten, solange er noch atmete, umgehend ausfindig zu machen und ihn gegen Ishan aussagen zu lassen.

»Du glaubst wirklich, Velk ist nicht längst tot?«, fragte er.

»Wie du selbst sagst, braucht Ishan ihn vermutlich. Er wird verhindern wollen, dass Velk vor Gericht auspackt, aber er weiß auch, dass Velk über Informationen verfügt, die Ishan in der Öffentlichkeit diskreditieren und seinen Gegnern willkommene Munition sein dürften.« Troi lehnte sich gegen das Fenster und sah hinaus auf San Francisco. »Ishan spuckt vielleicht große Töne, doch Velk ist derjenige mit der wahren Macht. Das scheint mir klar zu sein. Ohne ihn ist Ishan möglicherweise überfordert.«

Riker nickte und gestattete sich ebenfalls einen Blick auf das beeindruckende nächtliche Panorama. An seine Rolle als Admiral mit Schreibtischjob hatte sich der passionierte Raumschiffcaptain noch immer nicht gewöhnt, die Aussicht aus seinem Büro war aber ein klarer Pluspunkt – auch wenn selbst die schönste Nacht auf der Erde kein Vergleich zum Weltall und zu fernen Sternen war.

Du wirst beides wiedersehen. Eines Tages.

»Wir müssen Velk ausfindig machen«, sagte er einen Moment später. »Und wen auch immer Ishan sonst noch kontaktiert oder korrumpiert haben mag, um so weit zu kommen.«

»Und wenn es uns misslingt?«, fragte Troi. »Velk ist die einzige uns bekannte Verbindung zwischen Ishan und Baccos Ermordung.«

Riker seufzte. »Dann müssen wir etwas anderes finden.«

ZWEI

U.S.S. Enterprise

Die Tür zur Beobachtungslounge glitt auf, und T’Ryssa Chen sah erstmals, was sie jenseits der Schwelle erwartete. Prompt wünschte sie sich woanders hin.

Egal wohin. Nach Rura Penthe. In den Delta-Quadranten. Nach Remus. Irgendwo anders hin.

Die Spannung im Raum war nahezu greifbar. Am vorderen Ende des geschwungenen Konferenztisches, der Kopf gerade noch über der Rückenlehne des Sessels sichtbar, saß Captain Picard. Neben der Fensterfront stand Doktor Beverly Crusher, den Zeigefinger anklagend erhoben. Sie schien mitten im Satz verstummt zu sein und sich redlich zu bemühen, Chen nicht spüren zu lassen, wie wütend sie war.

»Tut mir leid«, stieß Chen hervor. »Man sagte mir, der Captain wolle mich sehen. Ich kann später wiederkommen.«

Bitte lasst mich später wiederkommen bitte lasst mich später wiederkommen bitte …

»Kommen Sie rein, Lieutenant«, sagte Picard, ohne sich umzudrehen. »Setzen Sie sich.«

Na bravo.

Noch nie war es Chen dringender erschienen, ihre Emotionen zu unterdrücken. Sie war Halbvulkanierin; nach der Scheidung ihrer Eltern hatte ihre Mutter aber Sorge getragen, dass Chen die menschlichen Aspekte ihrer Persönlichkeit zu schätzen lernte. Bis heute trug sie ihr Haar lang genug, um die verräterisch spitzen Ohren zu bedecken. Auch verstand sie sich bedauerlich wenig auf vulkanische Gebräuche und Sitten. Insbesondere die physischen und mentalen Übungen, denen sich Vulkanier unterwarfen, gingen ihr ab.

Das sollte ich irgendwann mal ändern.

Chen räusperte sich und trat ins Zimmer. Als die Tür hinter ihr zuging, war ihr, als würde ihr der Fluchtweg abgeschnitten. Crusher nahm am Tisch Platz – zwei überdeutliche Sessel vom Captain entfernt – und verschränkte die Arme vor der Brust. Chen sagte nichts, sah nur auf den Tisch hinab und setzte sich links neben Picard. Prompt drehte dieser sich um. Sein Gesichtsausdruck war undeutbar, als er den Blick zur Decke richtete. »Picard an Commander Worf.«

Das schiffsinterne Komm-System aktivierte sich mit einem akustischen Signal, dann folgte die Stimme des Ersten Offiziers der Enterprise. »Hier Worf.«

»Nummer Eins, morgen früh benötigen wir ein Runabout. Bitte teilen Sie Lieutenant Konya und Lieutenant Cruzen als Piloten ein. Es reist mit einem Passagier nach Deep Space 9. Doktor Crusher übermittelt Ihnen die relevanten Details.«

Die Ärztin schwieg, seufzte aber ebenso kurz wie genervt.

»Verstanden, Sir«, erwiderte Worf. »Darf ich fragen …«

»Doktor Crusher übermittelt Ihnen die relevanten Details, Mister Worf«, wiederholte der Captain, diesmal schärfer.

»Machen Sie es so. Picard Ende.« Dann beugte er sich in seinem Sessel vor und sah zu Chen, als habe er die soeben geführte Unterhaltung bereits wieder vergessen. »Lieutenant, im Verlauf des Vormittags reisen wir zur Planetenoberfläche und treffen uns abermals mit dem Großen Nagus. Das Gespräch wird vermutlich genauso verlaufen wie alle vorherigen, da wir noch immer auf die Ankunft der übrigen Konferenzteilnehmer warten.«

Crusher schnaubte, und obwohl Picard nichts erwiderte, warf er ihr einen beißenden Blick zu, den Chen zu ignorieren versuchte. Ganz offensichtlich hatte sie das Paar bei einem Gespräch oder einem Streit unterbrochen, und die beiden waren damit alles andere als fertig.

Picard schien ihre Unsicherheit zu spüren. »Doktor Crusher und ich haben gerade das gestrige Treffen besprochen. Sie scheint der Ansicht zu sein, wir vergeudeten auf Ferenginar unsere Zeit. Da Sie mich zu den Gesprächen begleiten, halte ich es für hilfreich, diesbezüglich Ihre Meinung zu erfragen.«

»Sir?« Chen ahnte, dass man ihr die Hilflosigkeit ansehen konnte, brachte aber kaum ein Wort heraus. »Nun, es ist … Admiral Akaar hätte die Enterprise gewiss nie hergeschickt, wenn es nicht wichtig wäre.« Sie schluckte trocken, da Picard nichts erwiderte. »Richtig?«

»Es ist völlige Zeitverschwendung«, sagte Crusher. »Der Föderationsrat glaubt doch nicht ernsthaft, dass die Ferengi sich dem Typhon-Pakt anschließen würden. Erst recht nicht jetzt, nach allem, was geschehen ist.«

Chen wurde immer nervöser. Unruhig rutschte sie in ihrem Sitz vor und zurück. »Soweit ich weiß, geht es der Ferengi-Allianz nicht per se um einen Pakt-Beitritt, Doktor. Eher um die Hoffnung auf ein Handelsabkommen.«

»Und wie wahrscheinlich ist das?«, fragte Crusher. »Vor vielleicht zehn Jahren hätte ich es noch für möglich gehalten, aber jetzt? Nach allem, was hinter uns liegt?«

»Es gab auch Leute, die nie erwartet hätten, dass eine Gründerwelt aus der Föderation austritt«, sagte Picard. »Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, zählten wir auch dazu.«

»Aber Andor kommt zurück«, sagte Crusher. »Es fehlen doch nur noch die Paraden und die Ansprachen, oder? Durch ein Handelsabkommen mit dem Typhon-Pakt würde Ferenginar seine Position im Khitomer-Abkommen schwächen.«

»Die Ferengi könnten darin ein Risiko mit profitablen Chancen sehen«, schlug Chen vor. »Ein verhandelbares Risiko.«

»Der Große Nagus Rom hat zahlreiche Reformen vollzogen, um seine Allianz mit der Föderation zu stärken.« Crusher sah zu Picard. »Das wird er niemals aufs Spiel setzen, und das wissen Sie, Captain.«

»Oh ja«, erwiderte er. »Ich bin mir der Situation äußerst bewusst, Doktor. Zufällig ist sie seit Tagen Kernthema unserer Gespräche.« Chen wusste, dass Picard zu privaten Treffen mit dem Großen Nagus geladen gewesen war, während derer dieser betont hatte, wie immens wichtig ihm die Bande mit der Föderation waren. »Präsident Ishan und der Föderationsrat zeigen sich diesbezüglich jedoch höchst besorgt. Deswegen haben sie ja die Enterprise und einige Diplomaten hierher entsandt.«

Chen konnte sich nicht helfen: Picard schien ihr nicht ganz aufrichtig zu sein. Hielt er die aktuelle Mission der Enterprise für unnötig? Falls ja, erwies er sich abermals bewundernswert geübt darin, seine wahren Gefühle im Zaum zu halten.

Doktor Crusher hingegen gab sich nicht einmal Mühe. »Die Enterprise wird hier nur gebraucht, falls jemand das Feuer eröffnen sollte«, sagte sie. »Das wird der Pakt nie und nimmer versuchen, jedenfalls nicht offen. Und selbst wenn! Wir reden hier von den Ferengi, Captain.« Sie schüttelte den Kopf, hielt inne und atmete ein; vermutlich, um sich zu beruhigen. »Dies ist nicht die Sorte Arbeit, für die ich zur Flotte gegangen bin. Deswegen habe ich um die Versetzung gebeten. Deep Space 9 braucht eine leitende Medizinerin, jedenfalls, bis sie dauerhaften Ersatz für Doktor Bashir gefunden haben, und ich glaube, der Tapetenwechsel wird mir guttun.«

Versetzung? Deswegen bricht sie morgen mit einem Runabout auf?

Chen erstarrte, wagte nicht einmal zu blinzeln. Seit Tagen kursierten an Bord Gerüchte, Picard und Doktor Crusher seien sich in einigen Dingen »uneins«. Obwohl sich beide Offiziere bemühten, ihre Streitigkeiten für sich zu behalten, kam es nicht umhin, dass hier und da jemand – ein Pfleger, ein Yeoman, ein Brückenoffizier – Zeuge eines kleinen Schlagabtauschs wurde. Die Zeugenberichte eilten dann stets mit Warpgeschwindigkeit durch das Schiff und befeuerten die Gerüchteküche. Chen selbst hatte es bereits in der Offiziersmesse, der Schiffsbücherei und sogar im Maschinenraum tuscheln hören. Lieutenant Dina Elfiki, eine ihrer engsten Freundinnen, hatte mehrfach versucht, das Thema anzuschneiden, nachdem sie den Captain und Crusher auf der Brücke miteinander flüstern sah. Bislang hatte Chen derlei Versuche stets abwehren können. Da sie dienstlich viel Zeit mit Captain Picard verbrachte – insbesondere seit ihrer Ankunft auf Ferenginar –, hielt sie sich aus den »Tratschereien«, wie Elfiki und andere Junioroffiziere es nannten, am liebsten heraus.

Na, das klappt ja prima, Lieutenant.

»Die komplette Besatzung könnte eine Veränderung vertragen«, fuhr Crusher fort. »Sie ebenfalls, Captain. Ich bin so wenig Diplomat wie Sie, auch wenn Sie die Sternenflotte wiederholt mit derlei Aufgaben betreut. Dieses Schiff und seine Besatzung könnten weitaus bessere Arbeit leisten.« Sie sah zu Chen. »Finden Sie nicht auch, Lieutenant?«

Picard antwortete schneller. »Wir führen die Befehle aus, die man uns gibt, Doktor.«

Chen hörte die Härte in seinem Ton und fühlte sich noch einmal in ihrer Vermutung bestätigt, dass sie den Captain und die leitende Bordmedizinerin in irgendeinem hitzigen Gespräch unterbrochen hatte. Dass die beiden miteinander verheiratet waren, machte ihren Streit gewiss nicht harmloser. Picard gab merklich sein Bestes, die dienstliche von der privaten Seite ihrer Beziehung zu trennen. Doktor Crusher war da deutlich weniger nachsichtig, nicht einmal in Chens Anwesenheit.

Warum gibt es eigentlich nie einen Warpkernbruch, wenn man mal einen braucht?

Picard wandte sich an Chen. »Lieutenant, ich habe Sie herbestellt, damit wir uns auf die morgigen Sitzungen vorbereiten können. Bis dahin dürften die Repräsentanten des Typhon-Paktes endlich eingetroffen sein.« Die Enterprise hielt bereits seit knapp zwei Wochen die Stellung und wartete auf die Ankunft der Diplomaten. Chen hielt es für absurd, das Föderationsflaggschiff grundlos in einem planetaren Orbit zu parken, doch der Captain hatte die Gelegenheit genutzt, dem nicht diensthabenden Personal einen Landurlaub zu ermöglichen.

»Der Große Nagus Rom wird der ersten Gesprächsrunde des Tages beiwohnen«, fuhr Picard fort. »Ich schätze, die Repräsentanten des Pakts nutzen diese Gelegenheit, ihr Anliegen mit Nachdruck vorzutragen. Gewiss werden sie betonen, wie ratlos unsere eigene Regierung im Mordfall Bacco ist. Und sie werden Zweifel äußern, ob die Föderation Andor wirklich mit offenen Armen wieder aufnimmt.«

Er hielt inne und sah kurz zu Crusher. »Ich beabsichtige, unser Diplomatenteam auf diese Anschuldigungen reagieren zu lassen. Mich selbst beschäftigen weit eher die Fragen der Sicherheit. Daher bitte ich Sie, Daten und Statistiken zu nicht geheimen Operationen der Sternenflotte der vergangenen sechsunddreißig Monate zusammenzutragen. Besondere Gewichtung sollte auf den Hilfsmaßnahmen nach der Borg-Invasion liegen, sowie auf Missionen und Manöver, die in enger Zusammenarbeit mit dem Militär der Ferengi stattgefunden haben.« Seine Mundwinkel zuckten amüsiert. »Ich meine mich zu entsinnen, mindestens einen oder zwei Berichte über Ferengi-Frachter und andere Handelsschiffe gelesen zu haben, die angeblich Probleme mit dem Pakt bekommen haben. Das dürfte ein interessantes Gesprächsthema darstellen.«

Chen erwiderte sein Lächeln. Zum ersten Mal seit Betreten der Lounge entspannte sie sich ein wenig. »Ich lege sofort los, Sir.« Auch sie hatte ein paar Berichte über zivile Handelsschiffe gelesen, wie von Picard beschrieben. An eine Erwähnung von Ferengi erinnerte sie sich aber nicht. Sie war gespannt, ob sich Picards Verdacht bewahrheitete und wie er ihn in den Gesprächen mit dem Großen Nagus einzusetzen gedachte. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Captain?«

»Nein, Lieutenant. Das wäre alles.« Chen war gerade aufgestanden, da hob er doch noch die Hand. »Ich kann doch davon ausgehen, dass Sie dieses Gespräch vertraulich behandeln.«

»Selbstverständlich, Sir«, erwiderte Chen. So eine Frage hatte er ihr lange nicht gestellt. Ihre Beziehung zueinander war nicht gerade einfach gewesen – insbesondere aufgrund der eher unorthodoxen Arbeitsmethoden, die sie zu Beginn ihres Diensts auf der Enterprise gepflegt hatte –, inzwischen wusste Picard ihr aber zu vertrauen. Wenn eine Mission von ihrer Expertise profitieren konnte, fragte er sie sogar um Rat. Außerdem – und das hatte Commander Worf ihr schon an ihrem ersten Tag gesagt – ermutigte Picard seine Junioroffiziere stets, sich über die ihnen zugewiesenen Posten hinaus zu entwickeln; so trainierten sie beispielsweise auch mit anderen Abteilungen. Seit sie an Bord war, hatte Chen schon beachtliche Fortschritte machen können. Wie hatte der Erste Offizier es noch formuliert, den Blick gedankenverloren in seine eigenen Erinnerungen gerichtet? »Lieutenant, unser Captain will, dass seine Junioroffiziere lernen, lernen und lernen.«

Selbstverständlich waren Chen und Picard bei Weitem keine Freunde, aber eben auch nicht verfeindet. Der Captain war ein eher verschlossener Mann und sein Umgang mit Offizieren wie Worf, Commander La Forge und sogar Doktor Crusher von Jahrzehnten gemeinschaftlichen Dienstes und gemeinsamer Opfer geprägt. Chen wusste, dass sie noch einen weiten Weg vor sich hatte, falls auch sie je zu Picards innerstem Kreis zählen wollte. Und sollte das nie geschehen, lag es gewiss nicht an ihr. Sie beabsichtigte, sein Vertrauen voll und ganz zu rechtfertigen.

Komme, was wolle.

DREI

Jean-Luc Picard sagte nichts, rührte sich nicht einmal, bis sich die Tür der Lounge hinter Lieutenant Chen geschlossen hatte. Erst als Beverly und er allein waren, wandte er sich seiner Frau zu, die ihn von der anderen Seite des Konferenztisches skeptisch beäugte.

»Glaubst du, sie hat es geschluckt?«, fragte die Ärztin.

»Ich denke schon. Wenigstens für den Moment.« Picard lächelte schwach. »Du warst an einer Stelle vielleicht etwas zu intensiv.«

Beverly rollte theatralisch mit den Augen. »Ich hab wohl einen Kritiker geheiratet.« Sie stand auf, setzte sich neben Picard auf die Tischecke und legte die Hände in den Schoß. »Wenigstens ist der schwierige Teil jetzt geschafft. Ich war es langsam leid, zu schauspielern.«

»Das ist leider nötig«, erwiderte er und legte seine Hand auf die ihren. »Es musste so aussehen, als wäre dieser Streit nur einer in einer ganzen Reihe von Meinungsverschiedenheiten.« Vier Tage lang hatten sie das streitende Ehepaar gegeben, um die Saat des heutigen Treffens auszustreuen. »Ich muss aber gestehen: Mir fiel es auch nicht gerade leicht, vor der Besatzung zu streiten.«

Beverly lächelte. »Wäre es dir privat lieber gewesen?«

»Du weißt, wie ich das meine.« Seufzend sah er durchs Fenster zu den Sternen hinaus. »Ich musste schon oft Informationen vor der Besatzung geheim halten. Aus Sicherheitsgründen, versteht sich. Mitunter musste ich sogar lügen. Dieses Mal fühlt es sich aber anders an, warum auch immer.« Er schüttelte den Kopf und wandte sich wieder Beverly zu. »Hast du nichts mehr von deinem Freund gehört?«

»Nein«, antwortete sie. »Wenn man bedenkt, welcher Aufwand es schon für Ilona war, die erste Nachricht zu mir durchzustellen, erwarte ich nicht, dass er mich ein zweites Mal kontaktiert. Stattdessen muss ich mich bei ihm melden, sobald ich die Enterprise verlassen habe.«

Die seltsame Kette von Ereignissen, die Picard und Crusher auf den derzeitigen Kurs gebracht hatte, hatte kurz nach der Ankunft des Schiffes im Orbit von Ferenginar begonnen. Zwei Wochen lang hatte die Enterprise darauf gewartet, dass das Schiff mit den Delegierten des Typhon-Paktes eintraf. Während eines Anstandsbesuchs in der Föderationsbotschaft hatte Picard eine Nachricht von einem führenden Finanzinstitut des Planeten erhalten. Laut dem Boten bestand sie aus einem verschlüsselten Datenchip, war für Beverly bestimmt und sollte nicht mithilfe des Bordcomputers der Enterprise oder der Schiffskommsysteme geöffnet werden.

Neugierig und ein wenig alarmiert, hatte Picard dafür gesorgt, dass er und Beverly zum Abendessen in der Botschaft geladen wurden, damit Beverly unauffällig zur Planetenoberfläche beamen konnte. Dort hatte sie den Chip studiert und Picard über den Inhalt in Kenntnis gesetzt. Es handelte sich um eine Aufzeichnung von Ilona Daret, einem cardassianschen Arzt, den sie, soweit Picard wusste, seit Jahren nicht gesehen hatte. Nach den üblichen Höflichkeitsfloskeln hatte Daret darum gebeten, unter vier Augen mit Beverly zu sprechen. Sie solle ihn schnellstmöglich aufsuchen.

»Es kommt mir seltsam vor, dass er sich nach all den Jahren an dich wendet«, sagte Picard nun. »Seine Nachricht ist nicht gerade beruhigend.« Genau genommen endete sie sogar erschreckend, lauteten die Abschiedsworte des Cardassianers doch: Ishan Anjar ist nicht, wer er vorgibt zu sein.

»Ich habe keinen Schimmer, was er damit meint«, sagte Beverly. »So oft ich den Chip auch analysiert habe, sonst ist nichts gespeichert. Ich habe ihn sogar von Geordi überprüfen lassen, doch bislang konnte er auch nichts finden.«

Picard seufzte. Wenn der Chefingenieur der Enterprise keine Ergebnisse erzielte, dann gab es höchstwahrscheinlich auch nichts zu finden. Schweigend stand der Captain auf und trat zum Fenster. »Ich habe Daret zuletzt bei der Mission auf dem cardassianischen Arbeitsplaneten gesehen, gegen Ende der Besatzung Bajors.«

Crusher nickte. »Jevalan. Ich erinnere mich.«

In einer dortigen Mine hatten die Cardassianer mehrere Tausend Bajoraner zur Arbeit gezwungen. Picard und der Sternenflotte hatte die Welt ein grauenvolles Bild geboten. Er entsann sich der schrecklichen Szenen, die die Enterprise-D auf Jevalan erwartet hatten, noch sehr genau. Die Bergarbeiten hatten tiefe Kerben in den Planeten geschlagen, die bajoranischen Sklaven unter schrecklichen Bedingungen gelebt. Nach einem Aufstand der Arbeiter, deren Zahl die der Aufseher weit überstieg, hatten die Cardassianer den Planeten schließlich aufgegeben – allerdings nicht, ohne die Widerständler ein letztes Mal ihren Zorn spüren zu lassen. Die Enterprise hatte damals zu den ersten Schiffen gezählt, die helfend herbeigeeilt waren. Sie hatte aber nur noch den Überlebenden helfen können. Denen, die die finale cardassianische »Notwehr« überdauert hatten.

Zu den wenigen Lichtpunkten in all dem Leid und der Zerstörung hatte Ilona Daret gezählt, einer von einer Handvoll cardassianischer Ärzte und Hilfsarbeiter, die vom eigenen Militär zurückgelassen worden waren. Im Angesicht ihrer drohenden Hinrichtung durch aufgebrachte Bajoraner hatten Daret und seine Kollegen geholfen, wo sie nur konnten, und dabei nicht zwischen einstigem Sklaven und einstigem Unterdrücker unterschieden. Als die Enterprise eingetroffen war, hatte Daret gerade den fünften Tag seines pausenlosen Einsatzes gestemmt.

»Dein Freund Daret hat mich an diesem Tag gleich zweifach beeindruckt«, sagte Picard. »Zuerst durch den Gefangenenaustausch, den er mit dir organisierte.« Der Transfer dreier Offiziere des Sternenflottengeheimdienstes, die während einer Mission im cardassianischen Raum verwundet und von einem cardassianischen Kreuzer aufgegriffen worden waren, hatte in Picards erstem Jahr als Captain der Enterprise-D stattgefunden. Beverly und seine damalige Sicherheitschefin, die inzwischen verstorbene Lieutenant Natasha Yar, waren in cardassianisches Gebiet gereist, um das Schiff zu treffen und die Offiziere zu bergen. All dies im Namen des fragilen Friedens, der nach langem Konflikt zwischen der Föderation und der Cardassianischen Union bestanden hatte.

Während dieser Mission hatte Picard erfahren, dass Beverly den Mediziner aus Kriegstagen kannte. Ihre Freundschaft hatte nach einem cardassianischen Angriff auf ein Vorratslager der Föderation begonnen. Beverly hatte damals auf einem medizinischen Schiff der Sternenflotte gedient, Daret war ein verletzter Gefangener gewesen. Nachdem sie ihn behandelt hatte, hatte er ihr und den anderen Ärzten bei der Pflege der anderen Cardassianer und Föderationsangehörigen assistiert. Laut Beverly hatten sie seit damals gelegentlich miteinander korrespondiert.

»Wo ist er jetzt?«

»Ich habe keine Ahnung«, antwortete sie. »Nach dem Dominion-Krieg haben wir uns aus den Augen verloren.«

»Wenn man bedenkt, welche Umstände es ihm bei diesem politischen Klima bereitet haben muss, dich zu kontaktieren, erscheinen seine Informationen immer wichtiger.« Picard verschränkte die Arme vor der Brust, rieb sich mit der Hand über das Kinn und betrachtete die Kugel namens Ferenginar, die er jenseits der Schiffshülle ausmachen konnte. Eine dichte Wolkendecke lag über dem Teil des Planeten, der sich ihm zeigte. Ein weiterer Regenguss für eine vollkommen durchtränkte Welt. Sollte das schlechte Wetter symbolisch sein?

»Er geht sehr vorsichtig mit seinem Wissen um«, sagte Picard, ohne sich umzudrehen. »Was immer er dir sagen will, es ist sicher gut, dass du ihn außerhalb der Enterprise aufsuchst.« Beverly selbst hatte vorgeschlagen, eine Versetzung zu »wünschen«. Präsident Ishan beobachtete die Wege der Enterprise bestimmt aufmerksam, daher bedurfte es eines ausgeklügelten Plans, damit Beverly den cardassianischen Mediziner aufsuchen konnte. Wie passend, dass auf Deep Space 9 ein leitender Mediziner fehlte, solange Doktor Bashir – als Flüchtling vor Sternenflotte, Föderation und Justiz – auf Andor weilte. Das bot den perfekten Vorwand für einen »Tapetenwechsel«, und die angebliche Beziehungskrise zwischen Picard und Crusher legte das Fundament dafür.

»Hab ich eigentlich erzählt, dass Doktor Tropp heute früh in meinem Büro war?«, fragte sie. »Er hatte Gerüchte gehört, dass ich meinen Posten aufgebe, und wollte es mir ausreden.« Sie kicherte. »Er klang, als wolle ich aus einer Luftschleuse springen.«

Picard lächelte bei der Vorstellung des stellvertretenden Chefmediziners der Enterprise, der Beverly vor vorschnellen Handlungen warnte. »Das muss seine denobulanische Art sein. Die prädestiniert ihn zum Arztberuf. Ich vermute, du bist mit ihm als Vertretung zufrieden? Der Form halber muss ich natürlich einen dauerhaften Ersatz bei der Sternenflotte beantragen. Ich will Tropp aber für eine Beförderung empfehlen.«

»So lange es eine Vertretung auf Zeit bleibt«, antwortete Beverly. »Wie du ja sagst, ist es notwendig. Wir schaffen es nur, wenn der Rest der Besatzung glaubt, ich wolle tatsächlich weg von der Enterprise