Cornelia Mack


Meinen Platz im Leben finden





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Bestell-Nr. 395.209

ISBN 978-3-7751-7072-7 (PDF)
ISBN 978-3-7751-7066-6 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-5209-9 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book: Satz & Medien Wieser, Stolberg

Weitere Informationen zur Autorin finden Sie hier: www.cornelia-mack.de

© der deutschen Ausgabe 2011
SCM Hänssler im SCM-Verlag GmbH & Co. KG · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-haenssler.de; E-Mail: info@scm-haenssler.de

Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen:
Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung 2006, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

Umschlaggestaltung: Dietmar Reichert, Dormagen
Titelbild: dreamstime.com; photocase.com
Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg
Illustrationen: Saskia Klingelhöfer
Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm
Printed in Germany

Inhalt

Vorwort

Einleitung: Wer bin ich?

Meinen Platz im Leben findenin der Beziehung zu mir selbst

Das eigene Ich entdecken

Außenwirkung und Selbstwahrnehmung

Die vielen Stimmen in mir

Die Veränderung des Ichs im Lauf des Lebens

Der Frühling der Kindheit und Jugend

Der Sommer des Erwachsenenalters

Der Herbst des Älterwerdens

Der Winter des Altseins

Die Grundbedürfnisse des Menschen

Leib

Seele

Geist

Ungestillte Bedürfnisse

Unterdrückte Bedürfnisse

Sucht

Mein Körper

Positives Körpergefühl entwickeln

Atem

Stimme

Aussehen bejahen

Biorhythmus

Krankheit

Meine Persönlichkeit

Das Riemann–Thomann–Kreuz

Der Nähe-Typ oder »Verehrer des Du«

Der Distanz-Typ oder »Verehrer des Ichs«

Der Dauer-Typ oder »Verehrer der Ordnung«

Der Wechsel-Typ oder »Verehrer des Lebens«

Meine Herkunft

Die eigene Kultur verstehen

Die Vielschichtigkeit unserer Gesellschaft

Kenntnis der Familiengeschichte

Geschwisterposition und ihre Auswirkung

Mein Umgang mit Besitz und Geld

Aufgaben, Begabungen, Beruf und Berufung

Begabungen

Erfüllender Beruf

Beruf als Job

Berufung

Den Willen Gottes für sich erkennen

Bibel

Beratung

Verstand

Umstände

Zeichen

Hingabe

Mut

Irrtum

Zusammenfassung: Sich selbst lieben

Meinen Platz im Leben findenin der Beziehung zu Gott

Von Gott gewollt

Der Mensch braucht Gott

Der Mensch ist Ebenbild Gottes

Abkehr von Gott – gestörte Identität

Gottes Suche nach dem Menschen

Von Christus befreit

Gefangenschaften

Freispruch

Eigentumswechsel

Liebe zu Christus

Vom Heiligen Geist geprägt

Gottes Wohnung in uns

Das Herz als Tempel

Der Mittelpunkt des Lebens

Beten

Zusammenfassung: Gott lieben

Meinen Platz im Leben findenin der Beziehung zum Nächsten

Beziehungsmuster

Ich bin nicht okay – du bist okay (depressive Position)

Ich bin okay – du bist nicht okay (autoritäre Position)

Ich bin nicht okay – du bist nicht okay (nihilistische Position)

Ich bin okay – du bist okay (gesunde Position)

Beziehungsebenen

Eltern

Geschwister

Großeltern

Ehepartner

Alleinlebende

Kinder

Verwandte, Freunde, Arbeitskollegen und Nachbarn

Gemeinde

Feinde

Lieben lernen

Blockade: Lebensverletzungen

Blockade: Idealvorstellungen

Liebe ist keine Symbiose

Liebe ist mehr als Gefühl

Von Gott das Lieben lernen

Heilung zulassen

Vergebung annehmen

Versöhnung trotz Schuld

Zusammenfassung: Den Nächsten lieben

Schlusswort – Wo ist mein Platz im Leben?

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Vorwort

»Meinen Platz im Leben finden«. Warum schreibe ich darüber ein Buch? Oft begegnen mir Menschen in der Seelsorge oder in Gesprächen nach meinen Vorträgen, die dieses Thema zur Sprache bringen. Auch mich persönlich beschäftigt die Frage nach dem Platz im Leben immer wieder.

Es gab Phasen in meinem Leben, da wusste ich ganz genau, wo mein Platz ist, dann wiederum ereigneten sich Dinge, die diese Selbstsicherheit ins Wanken brachten.

Bei der Beschäftigung mit den Fragen nach dem Platz im Leben blieb ich nicht ohne Antworten. Mein Sozialpädagogik-Studium war mir ein Wegweiser, doch die hilfreichsten Antworten entdeckte ich im christlichen Glauben. Im Alter von 16 Jahren erlebte ich eine bewusste Hinwendung zu Christus.

Mein Mann ist Theologe und Pfarrer. Die Gespräche mit ihm und die intensive Beschäftigung mit der Bibel gaben mir die entscheidenden Antworten im Blick auf die eigene Identität.

Meine tiefe Überzeugung ist: Eine persönliche Beziehung zu Gott ist das sicherste Fundament für unser Selbst. Wenn wir darauf stehen, kann zwar vieles noch ins Wanken geraten, aber der letzte Grund, das Gehaltensein in Gott, bleibt. Selbst dann, wenn wir in Zweifel und Glaubenskrisen geraten.

Ich bin Mutter von vier inzwischen erwachsenen Kindern und auch Großmutter von bisher zwei Enkelkindern. Mir wurde im Prozess des Ehefrau- und Mutterwerdens klar, dass sich eine Antwort auf die Frage nach dem Platz im Leben schon durch die Beziehungen finden lässt, in denen wir stehen. Unsere Nächsten sind ein wesentlicher Teil unseres Lebens. Unser Platz ist (auch) an deren Seite.

Andererseits aber stellen sie uns auch infrage. Wir spiegeln uns in den anderen, wir freuen, ärgern oder stören uns an diesen und umgekehrt. So sind wir immer wieder gefragt, den eigenen Platz zu überprüfen und neu zu finden.

Einen wesentlichen Beitrag, um unseren Platz im Leben zu finden, leisten auch die Aufgaben, die wir haben – ganz egal, ob dies nun berufliche oder ehrenamtliche Arbeit ist. Die Sehnsucht danach, mit seinem Leben einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten und darin seinen Platz zu finden, trägt jeder in sich. Für mich war das insofern besonders spannend, da ich einen Hochschulabschluss habe, mich zugleich aber auch ganz in Familie und Pfarramt einbringen wollte. So habe ich mich entschieden, meinen »Beruf« im Ehrenamt auszuüben. Erst als unser jüngstes Kind in den Kindergarten kam, fing ich an, Vorträge zu halten und Bücher zu schreiben.

Dieses Buch ist aus vielen persönlichen Erlebnissen und Fragestellungen entstanden, auch durch unterschiedlichste Begegnungen mit Menschen. Ich hoffe, dass die Antworten, die mir selbst wichtig geworden sind, auch meinen Lesern so zur Hilfe werden können, dass sie am Ende sagen können: »Ich weiß jetzt besser, wie ich meinen Platz finden kann.« Oder: »Jetzt verstehe ich, warum ich zurzeit im Blick auf meinen Platz im Leben so verunsichert bin.«

Der Entstehungsprozess dieses Buches war so spannend wie bei keinem meiner vorherigen Bücher. Ich hatte zum ersten Mal beim Schreiben außer meinem Mann, Ulrich Mack, noch weitere Mitleser und Mitdiskutierer: aus unserer Kirchengemeinde Angela König, Marion Hase, Ellen Winkler-Oberman, Heike Buisson und Yvonne Backe; darüber hinaus unsere Töchter und deren Partner: Doro Wiebe und Ekki Wetzel, Katharina und Johannes Drechsler, Johanna und Jan-Michael Lohrer. Ihnen allen danke ich herzlich.

Ich merkte in diesem Prozess, dass die Themen dieses Buches genau die Fragestellungen treffen, die viele heute beschäftigen. Schon in den Reaktionen meiner Mitleser wurde mir klar, wie aktuell dieses Thema ist und dass wir dringend Antworten brauchen auf die Frage: Wie finde ich meinen Platz im Leben?

Einleitung: Wer bin ich?

Manchmal denke ich an jene Frau, die in einer Gesprächsrunde neben mir saß. Auf einmal brach es aus ihr heraus: »Ich weiß zurzeit überhaupt nicht so genau, wo mein Platz ist. Ich habe eine innere Unruhe in mir und ich kann nicht so genau definieren, woher das eigentlich kommt.«

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es zu manchen Zeiten ganz einfach ist, zu sagen: »Hier ist mein Platz. Ich freue mich am Leben, an meinen Aufgaben, ich bin glücklich in meinen Beziehungen.« Zu anderen Zeiten lautet die Antwort vielleicht: »Ich weiß nicht, wo ich hingehöre. Wer bin ich überhaupt?« Manchmal sagen Menschen: »Ich kenne mich ganz genau.« In anderen Phasen tauchen bedrängende Fragen auf: »Was passt zu mir? Was gefällt mir? Was schmeckt mir? Was steht mir? Ich weiß es gerade überhaupt nicht.«

Manchmal ist der Platz sicher, zu anderen Zeiten geht das Gefühl verloren, einen Platz im Leben zu haben. Meist dann, wenn Rituale, Gewohnheiten, Aufgaben oder Besitz wegfallen oder wenn Menschen aus dem Erlebnisumfeld verschwinden, die bisher Sicherheit, Trost, Nähe und Geborgenheit vermittelt haben. Besonders gravierend ist die Verlusterfahrung, wenn Traumata in unser Leben einbrechen: Unfälle, Krankheit, Tod oder andere schwere Erlebnisse.

Nach solchen Erfahrungen braucht es oft eine längere Zeit, bis sich wieder die Sicherheit einstellt, einen Platz im Leben zu haben.

Menschen haben aber die Sehnsucht nach vertrauten Orten und sicheren Plätzen:

Laut dem Gestalttherapeuten Fritz Perls1 gründet unsere Identität auf fünf Säulen: Körper und Leiblichkeit, Arbeit und Leistung, das soziale Netz (Freunde, Familie, Heimat), materielle Sicherheit, Werte und Normen.

Wenn eine oder mehrere dieser Säulen ins Wanken geraten, werden Menschen in ihrer Identität verunsichert, sie können sogar in eine Identitätskrise kommen. In solchen Zeiten brennt die Frage nach dem Platz im Leben förmlich unter den Nägeln.

Es könnte der Eindruck entstehen, dass die Frage nach dem Platz im Leben erst in unserer sich rasant verändernden Welt aktuell geworden ist. Doch mir fällt immer wieder auf, dass die Fragen der heutigen Zeit bereits in der Bibel zu finden sind.

Aus meiner persönlichen Lebensgeschichte heraus ist es mir wichtig, dieses Thema immer auch im biblischen Kontext zu beleuchten. Eine Aussage von Jesus ist im Blick auf die Fragestellung besonders hilfreich und wird sich durch das ganze Buch ziehen. Sie gibt Antwort auf die Frage »Wie finde ich meinen Platz im Leben?«

Das Lukasevangelium berichtet: Ein Mann kommt zu Jesus und fragt ihn: »Was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?« Wir würden heute die Frage anders stellen, vielleicht so: »Was ist das Wichtigste im Leben?« Oder: »Wie bekomme ich ein Leben mit Qualität, mit den richtigen Werten, ein Leben, das Sinn macht und Bestand hat? Wie werde ich glücklich?« Oder eben: »Wie finde ich meinen Platz im Leben?«

Jesus antwortet darauf: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst« (Lukas 10,27).

Diese Antwort klingt einfach und macht doch auch die Komplexität deutlich: Es geht um drei Beziehungsebenen.

Um die Beziehung zu mir selbst, die Beziehung zu Gott und zu meinen Mitmenschen. Wenn ich danach frage, wie ich meinen Platz im Leben finde, muss ich diese drei Ebenen betrachten. Man kann die Antwort von Jesus auch in einer Grafik darstellen, in einem Dreieck: Gott-Ich-Du.

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Antworten auf die Frage nach meiner Identität, nach meinem Platz im Leben finde ich nur, wenn diese drei Beziehungen in meinem Inneren in ein Gleichgewicht kommen.

So ist auch dieses Buch in jene drei großen Themenbereiche aufgeteilt: Ich – Gott – Du.

Meistens wird in christlichen Kreisen die Beziehung zu Gott und die Beziehung zum Nächsten mehr betont als die Beziehung zu sich selbst. Dies führt aber gelegentlich auch zu einer verkrampften Sicht auf sich selbst oder sogar zu einem schlechten Gewissen, so wie es mir neulich in einem Gespräch mit einer Frau ging. Als ich ihr von meinem Buchthema erzählte, sagte sie: »Darf ich mich überhaupt mit mir selbst beschäftigen? Ist das nicht egoistisch oder unchristlich?«

Nein, ist es nicht. Denn nur wenn ich mir meiner Selbst sicher werde, und eine gute Beziehung zu mir selbst entwickle, kann ich mit anderen Menschen in gleicher Weise gut umgehen.

Wenn ich in einer lebendigen Beziehung zu Gott stehe, weist diese immer über mich hinaus und verhindert, dass ich im Kreisen um mich selbst stecken bleibe.

Eine gesunde und unverkrampfte Gottesbeziehung eröffnet mir einen neuen Blick auf meine Mitmenschen und verhindert, dass ich in egoistischer Selbstbespiegelung hängen bleibe.

Meinen Platz im Leben finde ich,
wenn ich in einem ausgewogenen Verhältnis
zwischen Gott, mir und meinem Nächsten lebe.

Meinen Platz im Leben finden
in der Beziehung zu mir selbst

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Das eigene Ich entdecken

Die Frage nach dem Ich oder dem Selbst zieht sich seit Jahren in vielen Varianten durch die pädagogische, philosophische, soziologische und psychologische Literatur. Was ist der Grund dafür? Wir Menschen kommen im Blick auf unser Selbst immer wieder neu ins Fragen.

Bereits Sokrates, ein griechischer Philosoph im fünften Jahrhundert vor Christus, beschäftigte sich mit dieser Fragestellung. Den Appell »Erkenne dich selbst« hielt er für eine der schwierigsten Forderungen überhaupt.

Und wie geht es uns heute mit dieser Frage? Bin ich mir vertraut oder empfinde ich mich wie ein unbekanntes Gegenüber, wenn ich mich im Spiegel betrachte? Was sehe ich da? Mich und meine Welt, die ich mitbringe und die mich prägt. Aber wer bin ich, wenn ich nach der Welt hinter dieser Welt suche? Wer kennt sich wirklich? Bin ich zufrieden mit mir? Mit dem Ich im Spiegel? Sage ich Ja dazu? Oder will ich jemand anderes sein, anders aussehen, mich anders verhalten, anders in dieser Welt leben?

Nicht immer haben wir das Erlebnis der Durchgängigkeit und der Stimmigkeit, nicht immer das Gefühl, ein und der- oder dieselbe zu sein. Stimmungen wechseln, Einstellungen können sich ändern, körperliche Reaktionen oder Veränderungen können uns beeinträchtigen. Ebenso können uns Bemerkungen oder Einschätzungen anderer über uns verunsichern. Oder vielleicht verändert sich gerade unser Umfeld.

Sigmund Freud hat darauf hingewiesen, dass im Blick auf unser Selbst immer wieder Unterschiedliches nebeneinander steht: das private und öffentliche Ich, das Gefühl von Abhängigkeit und Unabhängigkeit, Selbstbezogenheit und hingebungsvolle Nächstenliebe, Aktivität und Passivität, Mut und Feigheit, Gehorsam und Rebellion, Geiz und Großzügigkeit.

Manchmal ist es schwierig, diese vielen »Selbste« zusammen zu sehen. Dann fühlen wir uns zerrissen und gespalten – das Selbst besteht aus Gegensätzen. Wir sehnen uns aber nach einer Balance, damit wir uns heil und ganz fühlen können. Wir suchen nach einer Mitte, von der aus wir die Gegensätze in Einklang bringen können.

Deswegen ist die Frage nach dem »Ich« oder dem »Selbst« wohl immer neu aktuell: manchmal persönlich bedrängend oder verunsichernd, manchmal wie eine spannende Reise in ein bisher unbekanntes Land – und je nach Lebensalter immer wieder anders.

Ein Kind sagt mit circa zwei Jahren zum ersten Mal »ich«. Bevor es »ich« sagt, kann es zwischen sich und der Umgebung nicht trennen. Sobald es »ich« sagt, ändert sich das. Es versteht sich dann als von der übrigen Welt abgesondert, im Gegenüber, selbstständig im Sinne von: Ich habe einen eigenen Stand. »Ich bin ein Selbst.« Dieses Empfinden gehört etwa vom zweiten Lebensjahr ab zum Leben eines Menschen dazu. Ich bin, und ich bin anders als andere Menschen, anders als die Welt außerhalb von mir. Ich rede, schweige, handle: »Ich bin ich.«

Ein Kinderbuch, das wir mit Begeisterung mit unseren Kindern gelesen haben, war »Das kleine Ich bin Ich«2. Ein kleines buntes Wesen geht in der Welt spazieren und entdeckt andere Tiere. Es versucht, Ähnlichkeiten mit diesen zu erkennen, stellt aber nach jeder Begegnung fest, dass die anderen Tiere anders sind als es selbst. Es wird immer ratloser, verunsicherter und trauriger, bis es endlich zu der Erkenntnis kommt: »Ich bin Ich.« Ich muss nicht sein wie andere, sondern ich darf ich selbst sein mit meiner Eigenart und meiner Besonderheit. Ich bin tatsächlich ganz anders als alle anderen Wesen und das ist gut so. Was zuerst zur Verunsicherung des kleinen »Ich bin Ichs« geführt hat, bringt es am Ende zum Jubeln. Die Entdeckung, anders zu sein, macht es glücklich.

Diese Erfahrung des kleinen »Ich bin Ich« wünsche ich jedem Menschen. Die Entdeckung: Ich bin ein Original, etwas ganz Einmaliges und Besonderes. Romano Guardini3 stellte fest: Bei jeder Aussage, die ich mache, bei jedem Akt, den ich vollziehe, gehe ich immer zuerst von mir aus. Ich bin der lebendige Gegenpol zur Welt. Es gibt diese Welt für mich nur als jene, in der ich bin, die mir begegnet, in der ich handle. Für jeden ist die Welt »seine« Welt.

Die Entdeckung unserer Originalität kann uns helfen, die Besonderheit unseres Lebens zu gestalten und darin ganz »selbst« zu werden.

Worauf gründet sich ein sicheres Selbst? Was gehört dazu?

Die ersten sechs genannten Bereiche sind Thema des jetzigen, die anderen der nachfolgenden Kapitel.

Wer sich selbst mehr und mehr kennenlernt, kommt zu einer immer realistischeren Selbsteinschätzung: Ich bin ein Wesen mit Stärken und Schwächen, mit Fähigkeiten und Unzulänglichkeiten, mit Vorzügen und Fehlern, mit körperlichen Vorteilen und Begrenzungen, mit Gesundem und mit Störungen im psychischen Gefüge, mit Begabungen und Belastungen von Seiten der Eltern oder der Vorfahren, mit gelingenden und schwierigen Beziehungen, hinein verwoben in eine soziale, kulturelle und historische Situation. Wer sich in dieser Weise relativiert, also in Beziehung setzt, kann gelassener mit sich selbst umgehen.

So ist auch dieses Kapitel zu verstehen. Es soll dazu befähigen, erlöster und befreiter mit sich selbst umzugehen und darin Gott und den Mitmenschen zu dienen.

Meinen Platz im Leben finde ich,
wenn ich mich an meiner
Besonderheit freuen kann.

Außenwirkung und Selbstwahrnehmung

Wer bin ich? Nicht immer ist diese Frage leicht zu beantworten. Das merken wir in der Begegnung mit anderen Menschen. Manchmal lösen wir mit unserem Verhalten oder bestimmten Bemerkungen bei anderen etwas aus, das wir so nicht beabsichtigt haben. Oder wir werden von anderen ganz anders beurteilt, als wir uns selbst einschätzen.

Ganz klassisch beschreibt Dietrich Bonhoeffer das in seinem Gedicht: »Wer bin ich?«, entstanden im Gestapo-Gefängnis in Tegel 1944, in einer Situation, in der ihm bisher Vertrautes genommen wurde: Heimat, Familie, Schreibtisch, Bücher. Als Gefangener war er aus dem gewohnten Umfeld herausgerissen. Vor ihm lag Ungewissheit, die Androhung des Todes.

Seine Wärter beurteilen ihn als gelassen, ruhig und sicher beim Verlassen seiner Zelle. Sie vergleichen ihn mit einem Gutsherr, der aus seinem Schloss tritt. Sie erleben ihn heiter und freundlich im Gespräch mit seinen Bewachern, als hätte er zu gebieten.

Bonhoeffers Innenwelt wird aber ganz anders beschrieben, in krassem Gegensatz zu deren Schilderung: Voller Unruhe und Sehnsucht, wie ein Vogel im Käfig, ringend nach Lebensatem, hungernd nach Farben, nach Blumen und Vogelstimmen … dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe, zitternd vor Zorn über die Willkür und kleinlichste Kränkung … umgetrieben vom Warten auf große Dinge, in Angst um seine Freunde, mit denen er nicht kommunizieren kann. Er fühlt sich »müde und unfähig zum Beten und zum Danken, nur matt und bereit von allem Abschied zu nehmen«.

So fragt er sich: »Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?« – »Wer bin ich? Der oder jener? Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer? Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?«

Auch ohne solch krasse Erlebnisse wie Gefängnisaufenthalt und Todesdrohung kann uns die Frage nach dem »Wer bin ich?« umtreiben. Wir können bereits durch die Unterschiede von Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung verunsichert sein.

Renate arbeitet in vorgesetzter Position, erlebt sich dort als sicher, zufrieden und voller Energie. Andere geben ihr die Rückmeldung, sie sei unausgeglichen, umgetrieben, überaktiv. Das verunsichert sie.

Oliver ist unsicher im Blick auf seinen Platz im Leben, möchte so vieles ändern, aber hat Angst vor Entscheidungen. Andere sagen, er sei ihnen Stütze und Halt, gebe ihnen Wegweisung und Orientierung.

Katrin, Tom und Christine bringen sich als ehrenamtliche Mitarbeiter in einer Kirchengemeinde ein und freuen sich an ihren Aufgaben. Andere beurteilen deren Aktivität aber mit Kritik und meinen, sie wollten nur ihr Image aufbessern und sich in den Vordergrund spielen.

Solche Unterschiede zwischen Selbstwahrnehmung und Außenwirkung können verunsichern. Beurteilungen durch andere führen auf jeden Fall zum Nachdenken. Vielleicht verändern sie mich oder sie machen gewiss, beim bisherigen Verhalten zu bleiben – trotz Widerstand oder Kritik. Auf jeden Fall verhelfen sie dazu, sich seiner selbst sicherer zu werden und so seinen Platz im Leben zu finden.

Darum ist es gut, immer wieder zu prüfen, wo Lob oder Kritik stimmig sind. Wertschätzende Begleitung und liebevolles Hinweisen auf Schwächen in der eigenen Lebensgestaltung sind ein großer Schatz im Leben.

Wer Mitmenschen hat, die das eigene Verhalten ehrlich und hilfreich beurteilen und begleiten, kann dafür dankbar sein und die Erfahrung machen, dass dadurch die Persönlichkeit entwickelt wird und sich das Leben in neuer Weise entfaltet.

Das Erleben von Lob und Kritik birgt aber auch die Gefahr, sich zu sehr vom Denken und Urteilen anderer abhängig zu machen. So leben zum Beispiel Erstgeborene häufig nach dem Lebensmuster, alle an sie herangetragenen Erwartungen erfüllen zu wollen oder müssen (siehe auch S. 104). Nähe-Typen wollen es gerne immer allen recht machen und vergessen darüber ihre eigenen Bedürfnisse. So stehen sie in der Gefahr, ihr ganzes Leben in der Reaktion auf die Wünsche anderer zu gestalten (mehr dazu auf S. 85).

Wie andere uns beurteilen, kann also immer beides sein: Chance und Gefahr. Es kann in der Entdeckung unseres Selbst eine Hilfe sein, sich einzelne Personen auszusuchen, die wir immer wieder um ehrliche Rückmeldungen bitten. Dies sollten Personen sein, denen wir vertrauen und von denen wir wissen, dass sie uns nicht zerstören wollen. So können diese uns zu einer guten Entfaltung unseres Selbst verhelfen.

Trotz allem aber bleiben Fragen offen. Dietrich Bonhoeffer beendet sein oben erwähntes Gedicht: »Einsames Fragen treibt mit mir Spott. Wer ich auch bin. Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott.«

Bonhoeffer macht deutlich: Ich kann mir nie alle mich selbst betreffenden Fragen beantworten. Nur Gott kennt mich durch und durch. Er sieht meine Motive, sieht mir ins Herz. Darum bietet mir die Beziehung zu ihm einen sicheren Verankerungspunkt für meine Identität.

Ich darf wissen: Von ihm bin ich gewollt, gehalten, geliebt. Sein Urteil über mich ist wichtiger als das Urteil von Menschen. Sein Ja zu mir schützt mich vor ständigem Wühlen in den offenen Fragen und Ungereimtheiten der eigenen Seele.

Wer sich ständig mit dem eigenen Ich beschäftigt, steht in der Gefahr der Selbstumkreisung, der ständigen Nabelschau. Selbstbeschäftigung kann zur Selbstverliebtheit führen, wie es die griechische Sage von dem jungen Mann Narziss erzählt. Der in der Psychologie gebräuchliche Begriff Narzissmus leitet sich davon her, er beschreibt eine starke Selbstbezogenheit und damit auch Eitelkeit.

Der Jüngling Narziss war seinem eigenen Spiegelbild verfallen, war in sich selbst verliebt. Jedes Mal, wenn er sich im Wasser sah, entbrannte er in Sehnsucht nach sich selbst. Sobald er sich seinem Spiegelbild nähern wollte und dabei die Wasseroberfläche berührte, wurde dieses jedoch unscharf und undeutlich. Er konnte sich also weder so nahe sein, wie er wollte, noch konnte er sich von seinem Spiegelbild lösen, es zog ihn immer wieder vor den Spiegel des Wassers. Seine Geschichte endete tödlich: Bei dem Versuch, seine Sehnsucht zu stillen, ertrank er und verwandelte sich in eine Blume: die Narzisse.

Diese Sage verdeutlicht die Gefahr der ständigen Beschäftigung mit sich selbst. Wer dauernd mit den ungeklärten Fragen des Lebens beschäftigt ist, kann sich darin verlieren. Der Blick auf die Nächsten geht verloren, sie werden mit ihren Bedürfnissen oder Nöten nicht mehr wahrgenommen. Die andauernde Selbstspiegelung bringt keine hilfreichen Antworten.

Dietrich Bonhoeffers »Dein bin ich, o Gott« macht deutlich: Egal wie es mir geht, ich darf mich Gott zuwenden. Letzte Antworten sind nicht in meinem Spiegelbild, sondern im Gegenüber zu Gott zu finden.

Auch Grenzerfahrungen und Scheitern, Unfähigkeiten und Schuldigwerden ändern nichts daran, dass Gott mir seine Liebe zusprechen will. Sein Ja gilt auch dann, wenn mein Selbstwertgefühl verunsichert ist. Darauf darf ich mich verlassen. Das gibt eine andere Sicherheit, weil sie sich auf eine Kraft außerhalb meines Selbst bezieht, weil sie sich auf Gottes Zusagen gründet, auf seinem Ja zu mir.

Meinen Platz im Leben finde ich
in der Verankerung meines Selbst in Gott.

Die vielen Stimmen in mir

Wer bin ich? Aus einem weiteren Grund ist diese Frage nicht immer einfach zu beantworten. Denn in uns finden wir häufig ein Stimmengewirr – in Form von Forderungen, Erwartungen, Beurteilungen und Botschaften.

Martin sieht von Weitem, wie ein Junge bedrängt und getreten wird. Vor Kurzem war er selbst Opfer eines Überfalls. Angst kommt hoch. Die Stimme des Vorsichtigen in ihm warnt ihn vor der Gefahr: »Renne um dein Leben, sonst ist es um dich geschehen.« Eine zweite Stimme sagt: »Hier braucht jemand Hilfe, sei kein Feigling.« Welcher Stimme soll Martin folgen? Der vorsichtigen oder der verantwortungsvollen?

Christina hat einen anstrengenden Arbeitstag hinter sich und würde sich gerne ausruhen, doch sie sieht den Wäscheberg. Sie hört zwei innere Stimmen. Die eine sagt zu ihr: »Du hast das Recht, dich auszuruhen. Du hast schon genug gearbeitet.« Die andere sagt: »Bei so viel Arbeit kannst du es dir nicht leisten, dich hängen zu lassen. Sei doch nicht so faul.« – Welcher Botschaft soll Christina Gehör schenken?

Hans-Peter, ein Unternehmer, gerät in der Wirtschaftskrise in finanzielle Schieflage. Der Finanzmann in ihm sagt: »Melde Konkurs an.« Der für seine Mitarbeitenden sorgende Chef sagt: »Ich habe soziale Verantwortung, ich werde alles tun, um diese Zeit zu überbrücken, notfalls stecke ich Eigenkapital hinein.« Und vermutlich hat er noch viele weitere Stimmen in sich, zum Beispiel eine des Überforderten, der sagt: »Ich will mit all dem nichts mehr zu tun haben.« Oder die seiner Frau: »Mach mal Urlaub und nimm dir Zeit für mich. Außerdem solltest du dich auch mal um die Kinder und das Haus kümmern.«

Viele widerstreitende Stimmen in uns – kennen wir das? Bismarck soll gesagt haben: »Faust beklagte, dass er zwei Seelen in seiner Brust habe. Ich habe eine ganze sich zankende Menge. Da geht es zu wie in einer Republik.«4

Solche Beobachtungen sind nicht neu. Viele Psychologen und Pädagogen beschäftigen sich mit dieser Thematik der Vielstimmigkeit in der Seele. Sigmund Freuds Dreiteilung des Menschen in Es, Ich und Über-Ich ist bereits Allgemeingut geworden. Vereinfacht gesagt teilte Freud dem Menschen drei innere Instanzen zu. Das Es oder Unbewusste mit seiner Lust, seinen Bedürfnissen und damit verbundenen Impulsen, Reizen und Forderungen. Das Über-Ich als die moralische Instanz oder auch das Gewissen, in dem Normen und Wertvorstellungen der kulturellen Umgebung und vor allem die der Eltern ihren Niederschlag finden; das Wissen darüber, was gut und schlecht, falsch und richtig ist. Diese Instanz der Moral führt bei Übertretung bestimmter Gesetze oder Normen zu einem schlechten Gewissen. Und schließlich das Ich, das zwischen Es und Über-Ich steht und prüft, welchen Impulsen aus dem Es oder welchen Bewertungen oder Urteilen aus dem Über-Ich stattgegeben werden soll und welchen nicht. Das Ich entscheidet, wo Triebe kontrolliert werden müssen, wo Verzicht angesagt ist. Das Ich muss sehen lernen, wo ein Bedürfnis aufgeschoben oder ihm nachgegeben werden soll, wo Beurteilungen des Über-Ich richtig oder falsch sind.

Die Transaktionsanalyse ist eine Weiterentwicklung des Denkansatzes von Sigmund Freud. Sie geht von der Annahme aus, dass jeder Mensch aus drei verschiedenen Ich-Zuständen heraus reagieren kann, aus dem Kind-Ich, aus dem Erwachsenen-Ich und aus dem Eltern-Ich.

Reaktionen aus dem Eltern-Ich orientieren sich an den negativen oder positiven Botschaften und Beurteilungen von gegenwärtigen oder früheren Autoritätspersonen, häufig den Eltern.

Handelt ein Mensch aus dem Erwachsenen-Ich heraus, dann fühlt, denkt oder handelt er so, wie er es in der Gegenwart selbst für richtig hält.

Reagiert er mit dem Kind-Ich, dann sind in seinen Entscheidungen und Handlungen die Gefühle und Erfahrungen der Kindheit leitend. Sowohl Impulse wie Lust und Spaß, aber auch Rückzug, Schmollen oder Wut sind eher dem Kind-Ich zuzuordnen.

Das Auseinandersortieren und das Fragen nach der Herkunft unterschiedlicher Botschaften in uns kann eine große Hilfe sein, um zu erkennen, welchen Stimmen wir recht geben oder mehr Gehör geben sollten und welchen auf keinen Fall.

In C. G. Jungs Persönlichkeitslehre spielt der Begriff des Schattens eine große Rolle. Nach seiner Definition sind das die Teile der Persönlichkeit, die zwar zum Menschen dazugehören, aber im Leben nie so richtig dabeisein dürfen.

Sie werden zur Seite gedrängt oder unterdrückt. Warum? Dafür kann es unterschiedliche Gründe geben:

Solche verdrängten Anteile, Schatten oder Stimmen in unserer Persönlichkeit sind nicht weg, sondern sie führen ein Eigenleben im Untergrund. Sie zeigen sich in unterschiedlichen, teils sehr emotionalen Reaktionen im Alltag. Sie können aber auch in Traumbildern sichtbar werden. Oder sie finden ihren Niederschlag in Beeinträchtigungen wie Depressionen, Neurosen oder anderen psychischen Störungen.

Es kann sein, dass nicht wahrgenommene und verdrängte Anteile des eigenen Selbst urplötzlich die Oberhand gewinnen und Angst machen. Gerade dann, wenn Hass oder Wut hochkochen oder das Gefühl vorherrscht, die Kontrolle zu verlieren und Dinge zu tun, die später zutiefst bereut werden. Das verunsichert und führt zu der Einsicht: »Ich weiß nicht, wer ich wirklich bin. Ich verstehe selbst nicht, warum ich so reagiert habe.«

Darum müssen diese Reaktionen und vor allem die dahinter liegenden Gefühle betrachtet, muss die Stimme im Hintergrund gehört werden.

Nach biblischem Verständnis bedeutet Glaube, unser Selbst der Führung des Heiligen Geistes zu überlassen. Der Geist Gottes kann uns Mut geben, dieses Stimmengewirr anzuschauen und die Weisheit schenken, zu verstehen, warum manche Stimmen sich mit einer solchen Vehemenz immer wieder zu Wort melden oder umgekehrt, warum manches oft im Hintergrund ist.

Friedemann Schulz von Thun, Psychologe und Kommunikationswissenschaftler, spricht in diesem Zusammenhang von einem »Inneren Team«5, dessen einzelne Mitglieder teilweise in heftigem Widerspruch zueinander stehen. Er geht davon aus, dass wir nicht nur drei Ich-Zustände haben, sondern dass sich oft viel mehr in uns zu Wort meldet. Deshalb braucht das »Innere Team« einen Chef6, beziehungsweise ein Oberhaupt7, das mit der ganzen zankenden Menge fertig werden kann. Er geht davon aus, dass es in jedem Menschen eine Instanz gibt, die das letzte Wort hat oder die letzten Entscheidungen trifft.

Wenn diese letzte Instanz in uns unter Christus steht, können wir mit einer viel größeren Gelassenheit an die Betrachtung des »Inneren Teams« gehen. Mit Christus in uns müssen wir uns nicht vor dem ängstigen, was sich da möglicherweise an Schatten oder Untergrundbotschaften meldet. Denn die letzte Macht hat Christus. Er will die finsteren Mächte binden. Deswegen können wir den Mut zur Echtheit haben und auch die verdrängten, ungeliebten oder versteckten Anteile in die Gegenwart der Liebe Gottes stellen. Manchen Stimmen können wir auch einen Platzverweis aussprechen.

Da taucht zum Beispiel immer wieder die Stimme der Minderwertigkeit auf und redet mir ein: »Ich bin dumm, ich kann nichts, aus mir wird nie etwas.« Jetzt kann es hilfreich sein, zu fragen: »Woher kommt diese Botschaft?« Vermutlich wird die Antwort lauten: Eltern, Geschwister oder Verwandte, eventuell auch Lehrer haben mir diese Botschaft immer wieder übermittelt und ich habe sie schlussendlich geglaubt. Das negative Eltern-Ich (vergleiche Transaktionsanalyse) gibt dann den Ton an. Wenn diese Botschaft oder diese Stimme ständig recht bekommt, dann prägt das mein Denken und auch mein Verhalten. Ich traue mir mit der Zeit tatsächlich immer weniger zu. Jeder Fehler, den ich mache, bestätigt diese innere Stimme. »Ich wusste es doch.«

Ich kann aber auch weiter fragen: »Hat diese Stimme recht?« Oder auch: »Was gibt es noch an anderen Stimmen in mir?« Möglicherweise entdecke ich dann auch die Botschaft der Ermutigung: »Neulich ist mir etwas gut gelungen. Aber ich habe es nicht wahrhaben wollen.« Oder auch »Du hast Gaben, die entfaltet werden sollen.«

Das Erwachsenen-Ich (vergleiche Transaktionsanalyse) oder der Innere Chef kann jetzt fragen: »Welche Botschaft soll hier mehr und welche weniger gehört werden?«

Mit Christus in uns werden wir dann möglicherweise noch ganz andere Stimmen hören können, weit mehr ermutigende: »Du bist wertvoll und du hast eine Berufung, die du leben sollst. Fehler sind kein Weltuntergang, sondern eine Chance zu lernen. Du wirst auch schuldig werden, aber du darfst aus der Vergebung leben.« Stimmen, die im Widerspruch stehen zu der wertschätzenden und liebevollen Botschaft, die Gott in unser Leben legt, dürfen wir auch verbannen.