Anmerkungen

1 Ich spreche mit diesem Buch Sie als individuelle und selbstbestimmte Persönlichkeit an. Wegen besserer Lesbarkeit werde ich bei der direkten Ansprache die männliche Form wählen, obwohl selbstverständlich damit beide Geschlechter gemeint sind.

2 Diese Geschichte von Chopra hat weite Verbreitung gefunden und findet sich in vielen Büchern und an vielen Stellen im Internet, z.B.: http://www.rolfing-movement.de/Kurzinfo/Artikel/Deepak_Chopra/deepak_chopra.HTM

3 Adler, A. (2008): Menschenkenntnis, S. 167 ff.

4 Die Amygdala ist ein Teil des Gehirns, der u.a. für das Einfühlungsvermögen zuständig ist.

Branka Ternegg

Überzeugungspsychologie

Wer Menschen versteht, ist klar im Vorteil

 

Reihe

Soft Skills kompakt

Herausgegeben von Stéphane Etrillard

Band 19

 

Band 1 – Stéphane Etrillard: Erfolgreiche Rhetorik für gute Gespräche

Band 2 – Sabine Mühlisch: Fragen der KörperSprache

Band 3 – Reinhold Vogt: Gedächtnis-Training in Frage & Antwort

Band 4 – René Borbonus: Die Kunst der Präsentation

Band 5 – Ute Simon-Adorf: Was Sie schon immer über Coaching wissen wollten ...

Band 6 – Arno Fischbacher: Geheimer Verführer Stimme

Band 7 – Ute Simon-Adorf: Mentaltraining in Frage & Antwort

Band 8 – Stephan Ulrich: Menschen grafisch visualisieren

Band 9 – Jürgen W. Goldfuß: Wer sich nicht führt, der wird verführt

Band 10 – Doris Kirch: Der Stress-Coach

Band 11 – Stéphane Etrillard: Charisma – einfach besser ankommen

Band 12 – Birgit Lutzer: Bringen Sie es auf den Punkt!

Band 13 – Ursu Mahler: Der Konflikt-Coach

Band 14 – Roland Arndt: Jedes Telefonat ein Erfolg

Band 15 – Rositta Beck-Rappen: Büro-Effizienz

Band 16 – Zach Davis: Zeitmanagement für gestiegene Anforderungen

Band 17: Stéphane Etrillard: Fair zum Ziel

Band 18 – Stéphane Etrillard: Auftritt und Wirkung

Über dieses Buch

Selbstbewusst, selbstsicher und überzeugend sein: Wer möchte das nicht? Aber auf rein fachlicher Ebene können wir heutzutage nicht mehr überzeugen, denn die Halbwertzeit unseres Faktenwissens wird immer kürzer. Wenn wir andere für uns gewinnen wollen, müssen wir sie in erster Linie auf einer menschlichen Ebene erreichen, müssen ihre Gefühle und Bedürfnisse ansprechen. 

In diesem Buch erhält der Leser einen Überblick über unterschiedliche Persönlichkeitsmodelle und erfährt gleichzeitig, welche Methoden und Prinzipien ihm im Berufs- und Privatleben zu mehr Überzeugungskraft verhelfen. So kann er lernen, als natürliche Autorität von seinen Mitmenschen akzeptiert zu werden.

Branka Ternegg ist Expertin für Verkaufs- und Überzeugungspsychologie. In den letzten 20 Jahren war sie vor allem in den Bereichen Pädagogik, Kunst, Werbung, Vertrieb und Marketing tätig.

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2015

Coverfoto: © Serg Nvns – Fotolia.com

Covergestaltung / Reihenentwurf: Christian Tschepp

Alle Rechte vorbehalten.

Satz: Peter Marwitz, Kiel (etherial.de)

Digitalisierung: JUNFERMANN Druck & Service, Paderborn

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2015

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-046-0

ISBN dieses E-Books: 978-3-95571-047-7 (EPUB), 9978-3-95571-356-0 (MOBI), 978-3-95571-357-7 (PDF).

Warum dieses Buch?

Liebe Leserin, lieber Leser1,

die Entscheidung, dieses Buch zu schreiben, ist mir nicht leichtgefallen, auch wenn mich das Thema „Überzeugung und Menschenkenntnis“ fast schon mein ganzes Leben begleitet. Das Thema ist so komplex und vielfältig wie die Menschen selbst, daher ist es schier unmöglich, alle Faktoren zu berücksichtigen, die das Geheimnis der persönlichen Überzeugungskraft vollständig entschlüsseln. Das liegt daran, dass Menschen multidimensional sind und dass es bisher keine eindeutige Anleitung oder Gebrauchsweisung für das Phänomen „Mensch“ gibt. Vielmehr können wir von einer individuellen Faszination sprechen, die uns verführt, uns mit diesem Thema intensiv auseinanderzusetzen. Mich persönlich hat diese Faszination bereits sehr früh gepackt und bis heute nicht mehr losgelassen.

Das erste Mal, als mir bewusst wurde, wie wichtig unsere persönliche Überzeugungskraft ist, war ich gerade einmal sechs Jahre alt und hatte meinen ersten öffentlichen Auftritt als kleine Pianistin. Diese Erfahrung hat meine Gefühle auf den Kopf gestellt, da ich zum ersten Mal erfahren konnte, wie toll es sich anfühlt, für die eigene Leistung vom überzeugten Publikum einen Applaus zu bekommen. Im Laufe der Jahre und während meines Klavierstudiums verlief nicht immer alles so glatt. Ich hatte sehr gute, aber auch sehr schlechte Auftritte, weil ich z.B. nicht gut genug vorbereitet war oder einfach einen schlechten Tag hatte. Ein Konzertpianist hat ein ähnliches Leben wie ein Hochleistungssportler – er muss täglich mehrere Stunden lang trainieren, um in Höchstform zu bleiben und dann bei einem Konzert punktgenau seine beste Leistung abzuliefern. Es ist hart, aber das sind die Spielregeln: Egal wie lange und hart du trainierst, du musst echte Ergebnisse liefern, um dein Publikum zu überzeugen. Mit einer Absichtserklärung oder bloßem Versprechen kommst du in diesem Beruf nicht weiter. Diesen hohen Überzeugungsanspruch habe ich tief im Innern verankert und auf alle späteren Tätigkeitsbereiche übertragen.

Unmittelbar nach meinem abgeschlossenen Klavierstudium beschloss ich, nach Wien auszuwandern, da sich zum damaligen Zeitpunkt mein Geburtsland Kroatien mitten im Balkankrieg befand. Meinen Auswanderungsort hatte ich bewusst gewählt, in der Hoffnung, mich in einem freien Land künstlerisch und wirtschaftlich besser entfalten zu können. Die Herausforderungen der Integration waren enorm, weil mich die Fremdsprache, die Kultur und die westliche Orientierung in den ersten Jahren maßlos überforderten. Meine persönliche Überzeugungskraft befand sich damals auf dem Nullpunkt und ich durfte Schritt für Schritt mühsam erlernen, mich in einem fremden Land durchzusetzen.

Meine anfängliche kommunikative Inkompetenz und mangelnde Ausdrucksstärke waren für mich unerträglich. Ich verstand sehr schnell, wie wichtig Kommunikation im Umgang mit anderen Menschen ist: Durch das, was wir von uns geben und wie wir es zum Ausdruck bringen, erzeugen wir unser Image und geben anderen die Orientierung, wie sie mit uns umzugehen haben. Je besser ich mich in der fremden Sprache ausdrücken konnte, umso größer war meine Überzeugungskraft.

Die Herausforderung, als erwachsener Mensch eine neue Sprache zu erlernen, hatte für mich einen enormen Vorteil: Ich wurde mir jeder einzelnen Kleinigkeit dieses Lernprozesses bewusst und entwickelte ein Feingespür für Nuancen und Unterschiede, die uns in unserer Muttersprache zum großen Teil unbewusst sind, weil wir mit ihnen aufwachsen und sie als selbstverständlich betrachten. Je mehr ich mich auf die bewusste Kommunikation mit Menschen unterschiedlicher Kulturkreise konzentrierte, umso mehr erfuhr ich über die Vielfalt menschlicher Antreiber und daraus resultierender Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen.

Die Verbindung zwischen emotionalen Vorgängen und Sprache ist unglaublich vielfältig und für mich faszinierend, genauso wie Musik. Ich betrachte Menschen wie Musikinstrumente, die jeweils in einer individuellen Eigenart mal schönere und mal schiefere Töne von sich geben. Die Kunst besteht für mich darin, sich in einer zwischenmenschlichen Interaktion so weit aufeinander einzustimmen, dass möglichst angenehme und wohlklingende Ergebnisse dabei herauskommen, die allen Spaß machen und mehrfache Vorteile bringen. Das ist auch meine persönliche Definition zwischenmenschlicher Überzeugung.

Aus dieser Faszination heraus rückte das Thema „Überzeugungspsychologie“ schon vor Jahren in den Mittelpunkt meiner Tätigkeit. Es dauerte allerdings noch ein paar Jahre, bis mir das wirklich bewusst wurde. Erst durch den Berufswechsel in die Bereiche Marketing, Vertrieb und Verkauf und später ins Bildungswesen und in die Psychologie fügten sich alle Puzzlesteinchen zusammen, sodass ich mein Thema benennen konnte. Es brauchte wiederum ein paar Jahre, bis ich beschloss, mein Wissen und meine Erfahrungen über dieses Thema in diesem Buch zu veröffentlichen. Hierbei möchte ich mein großes Dankeschön allen Menschen, die mich bei der Entstehung dieses Buches unterstützt haben, aussprechen. Insbesondere mein Lebenspartner und mein Autoren-Coach, Anja Hilgarth, haben mich mit viel Geduld und Feingefühl motiviert, auch dann weiterzumachen, wenn ich beim Schreiben nur sehr schleppend vorwärtskam.

Was erwartet Sie in diesem Buch?

Gleich vorweg: Ihnen werden keine vorgefertigten Überzeugungsrezepte präsentiert. Ich biete Ihnen vielmehr eine Inspirationsquelle an, die Ihnen hilft, Menschen besser zu verstehen und Ihre persönliche und individuelle Überzeugungskraft durch Selbstreflexion zu entfalten. Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus habe ich festgestellt, dass unsere Überzeugungskraft proportional mit unserer Menschenkenntnis steigt. Um Menschen besser zu verstehen, ist es daher unvermeidlich, eigene Erfahrungen zu sammeln und daraus zu lernen. Das fundierte psychologische oder rhetorische Wissen, das wir uns aus Literatur, Studien und Forschungen aneignen können, bleibt für uns nutzlos, wenn wir keine Selbstreflexionsfähigkeit besitzen; wenn wir uns nicht trauen, eigene praktische Erfahrungen zu sammeln und diese umzusetzen. Aus diesem Grund ist es mir wichtig, Sie mit diesem Buch zu berühren, anstatt Sie mit wissenschaftlich-theoretischen Konzepten zu überfordern.

Das Buch verfolgt drei Ansätze: den des Informierens, den des Reflektierens und den des Überprüfens. Die Inhalte sind so aufbereitet, dass Sie sie leicht verstehen und anwenden können, auch wenn Sie keine Vorkenntnisse in Psychologie haben. Sie werden erfahren, dass eine Überzeugung erst dann abgeschlossen ist, wenn die zu erwartenden Ergebnisse vorliegen. Ein Pianist erfährt, ob sein Klavierspiel überzeugend war, wenn er nach dem letzten Ton entweder die Zustimmung oder die Ablehnung seines Publikums erhält. Ein überzeugender Gesprächspartner kann sich ebenso erst am Ende des Überzeugungsgesprächs über die Zustimmung seines Gesprächspartners freuen. Und so ist es auch mit diesem Buch: Erst wenn Sie die Inhalte wirklich umsetzen, werden Sie merken, ob sich Ihre Menschenkenntnis und Ihre Überzeugungskraft verbessert haben.

Daher lade ich Sie ein, sich nicht nur von den Inhalten theoretisch überzeugen zu lassen, sondern auch den Mut zu haben, einen weiteren, praktischen Schritt zu gehen: Benutzen Sie dieses Buch als Sprungbrett, um möglichst viele neue Erfahrungen zu sammeln, die Sie unter neuen Gesichtspunkten auswerten. Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen und freue mich, wenn Sie dadurch ein besserer Menschenkenner und charismatischer Überzeugungskünstler werden.

Ihre

Branka Ternegg

1. Einführung in die Überzeugungspsychologie

Selbstbewusst, selbstsicher und überzeugend zu sein und dabei als natürliche Autorität akzeptiert zu werden ist keine leichte Aufgabe. Das Leben ist sehr anspruchsvoll: Einerseits müssen wir vielfältig und flexibel sein und andererseits Experten in dem, was wir tun. Unser Informationszeitalter lässt uns keine ruhige Minute, denn das Wissen verbreitet sich mit rasanter Geschwindigkeit. Kaum haben wir etwas gelernt und erreicht, schon sind wir mit unserer Expertise fast nicht mehr aktuell. Unsere fachliche Überzeugung verliert bei diesem rasanten Tempo schnell an Bedeutung. Und während wir von einer zur nächsten Fortbildung hetzen, um uns noch mehr Expertenwissen anzueignen, haben wir beinahe vergessen, worauf es in zwischenmenschlichen Beziehungen ankommt:

Wenn wir andere für uns gewinnen wollen, müssen wir sie in erster Linie auf einer menschlichen Ebene erreichen, müssen ihre Gefühle und Bedürfnisse verstehen und ansprechen.

1.1 Überzeugen und überzeugt werden

Diese menschliche, psychologische Ebene hat sich im Laufe der Evolution kaum geändert. Wir Menschen haben nach wie vor die gleichen emotionalen Bedürfnisse nach Anerkennung, Sicherheit, Vertrauen, Leistung oder Unabhängigkeit, die auch unsere Urahnen hatten. Die Erfüllung dieser Bedürfnisse reduziert unsere Ängste und befähigt uns, das Leben souverän zu meistern.

Wir alle möchten auf der einen Seite andere Menschen von etwas überzeugen und auf der anderen Seite von neuen Ideen überzeugt werden, um unsere Horizonte zu erweitern, neues Wissen zu erlangen oder bessere Ergebnisse zu erzielen. Niemand ist fähig, ganz alleine zu überleben, daher suchen wir ständig nach passenden Partnern, die uns helfen, das Leben einfacher oder erfolgreicher zu gestalten. Gleichzeitig möchten wir die Kontrolle über unser eigenes Leben nicht so leichtfertig abgeben und überprüfen genau, wer uns guttut und wer nicht.

Nur die Menschen, die uns aus unserer Sicht richtig behandeln und uns Vorteile verschaffen, bekommen langfristig die Chance, unser Leben mitzugestalten. Diese Menschen bezeichnen wir als überzeugend, charismatisch oder selbstsicher und überlassen ihnen in bestimmten Situationen freiwillig die Führung.

Manchmal treffen wir auch falsche Entscheidungen und lassen es zu, von Menschen beeinflusst zu werden, die uns auf Dauer nicht guttun. Das kann dann geschehen, wenn wir nur wenig von uns selbst überzeugt sind und unser Selbstwertgefühl auf wackeligen Füßen steht; wenn wir nicht genau wissen, wer wir sind, was wir wollen und wofür wir stehen. Dann sind wir leichte Beute für Manipulanten und Trickser, denn wir können die egoistischen Hintergründe solcher Menschen nicht erkennen und können nicht mehr unterscheiden zwischen guten und negativ-manipulatorischen Absichten, aus denen heraus andere uns überzeugen wollen.

Sie werden in späteren Kapiteln erfahren, welche Unterschiede es zwischen Überzeugung, Überredung und Manipulation gibt und wie Sie sich vor negativen Einflüssen schützen können.

In diesem Buch geht es vor allem um die positive Einflussnahme durch Selbst- und Fremdüberzeugung. Unter Selbstüberzeugung verstehe ich die Überzeugung, die aufgrund unserer eigenen Erfahrungen aus uns selbst heraus erwächst oder erwachsen ist; diese Selbstüberzeugungen versuchen wir an andere weiterzugeben. Fremdüberzeugungen nehmen wir dagegen von anderen an, weil diese uns von etwas überzeugen konnten­.

Das Ziel ist, mehr Bewusstheit über diese Überzeugungsprozesse zu gewinnen, positive Absichten zu erkennen und zu verfolgen und dadurch im Sinne aller Beteiligten vorteilhaft zu handeln.

Mit der Selbst- und Fremdüberzeugung beschäftige ich mich eingehender in den nächsten Kapiteln.

1.2 Sich und andere erkennen

Die reine Intuition, die gerne auch als „Bauchgefühl“ bezeichnet wird, weist uns oft den richtigen Weg und hat manchem von uns sicher schon mehr als einmal aus einer schwierigen Situation geholfen. Doch unsere Intuition ist von unserem aktuellen Befinden und unserer Tagesform abhängig; wenn wir uns wohlfühlen und einen guten Zugang zu unserem Bauchgefühl haben, werden wir unsere intuitiven Impulse besser wahrnehmen können als in einer stressigen Situation.

Für unsere Aufgabe, uns selbst oder auch andere zu überzeugen, bedarf es zusätzlich der Erkenntnis, wer wir sind und wer unsere Gesprächspartner sind, vor allem auf der unbewussten, verborgenen Ebene. Je klarer und deutlicher wir erkennen, was uns selbst motiviert und glücklich macht, umso entschlossener werden wir unsere selbst gesteckten Ziele verfolgen und umso selbstüberzeugter werden wir von unserer Umwelt wahrgenommen. Wir managen uns bewusst durch unsere Selbsterkenntnis und Selbstüberzeugung in die gewünschte Richtung.

Genauso verhält es sich, wenn wir „fremdüberzeugen“ wollen: Je klarer und schneller wir erkennen, was andere Menschen motiviert und antreibt, um glücklich und zufrieden zu sein, desto leichter werden wir von ihnen akzeptiert. Als Belohnung dafür bekommen wir die Erlaubnis, einen bestimmten positiven Einfluss auf ihr Leben auszuüben.

1.3 Vorteile aus der Psychologie ziehen

Der respektvolle und wertschätzende Weg der Selbst- oder Fremdüberzeugung wird über ein tieferes Verständnis der menschlichen Psyche geebnet. Das Wissen, das früher nur studierten Psychologen und Ärzten zu medizinischen Zwecken zugänglich war, erfreut sich heute immer größerer Beliebtheit in unserem privaten und beruflichen Alltag. Die Vorteile, die wir aus diesem Wissen für uns gewinnen können, erleichtern uns unseren Lebensweg und sorgen für eine tiefere Menschenkenntnis, um Mitarbeiter, Kunden oder Partner besser einschätzen zu können.

So setzt sich auch Überzeugungspsychologie aus mehreren thematischen Schwerpunkten zusammen, die ihren Ursprung in der wissenschaftlichen Psychologie haben: aus der Verhaltens-, der Motivations-, der Persönlichkeits-, der Sozial- und der Tiefenpsychologie. Hinzu kommen noch die Erkenntnisse aus der Gehirn- und Emotionsforschung, aus Kommunikation und Rhetorik. All diese Komponenten spielen bei Überzeugungsprozessen eine wichtige Rolle und sollten im Ansatz verstanden werden, wenn wir unsere Überzeugungsfähigkeit bewusst reflektieren und erweitern wollen. In den Kapiteln 6 bis 10 nehme ich Sie mit auf eine faszinierende Reise in die Welt dieser Psychologie-Bereiche.

1.4 Was bedeutet „Überzeugung“ für Sie?

Es ist interessant, wie oft wir im Leben Begriffe wie „Überzeugung“, „Überzeugungskraft“, „jemanden überzeugen“, „überzeugend wirken und auftreten“, „von etwas überzeugt sein“, „sich überzeugen lassen“ verwenden, ohne uns Gedanken zu machen, was wirklich dahinter steht.

Um dieses Thema etwas genauer zu erfassen, lade ich Sie herzlich dazu ein, sich interaktiv an diesem Kapitel zu beteiligen. (Diesen und alle weiteren interaktiven Teil/e in diesem Buch erkennen Sie an diesem i.) 

Ich werde Ihnen einige Fragen stellen, die für Ihre psychologische Selbsterkenntnis wichtig sind. Nehmen Sie sich einen Block und Stift oder erstellen Sie eine neue Datei auf Ihrem Computer und schreiben Sie Ihre Gedanken mit. Wenn Ihnen das zu aufwendig ist, dann beantworten Sie einfach diese Fragen gedanklich in einem inneren Dialog. Ihnen zu vermitteln, dass der psychologische Anteil der Überzeugung Ihre innere Bereitschaft voraussetzt, sich mit dem Thema nicht nur oberflächlich, sondern auch etwas genauer zu befassen, ist mir ein Anliegen. Durch Ihre Selbstreflexion steigen Sie sofort in das Thema ein und sind bereit, weitere Inhalte nicht nur zu verstehen, sondern auch in Ihren Alltag erfolgreich zu integrieren.

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Bevor Sie weiterlesen … 

Bitte nehmen Sie sich kurz Zeit und versuchen Sie die folgenden Fragen zu beantworten, um herauszufinden, wie Sie selbst zum Thema „Überzeugungen“ stehen. 

Vielleicht haben Sie an dieser Stelle in etwa so geantwortet?

Egal, wie Sie auf vorherigen Fragen geantwortet haben: Sie liegen richtig, denn jeder von uns hat zu dem Thema „Überzeugung“ unterschiedliche Erfahrungen gesammelt. Nur wie und warum es zu dieser Einstellung gekommen ist, das bleibt nach wie vor für viele Menschen ein Rätsel.

In den nächsten Kapiteln werden unterschiedliche Sichtweisen von Überzeugung dargestellt, um dieses komplexe Thema zu erfassen, denn eine Überzeugung passiert immer in einer Interaktion zwischen dem Sender, dem „Überzeuger“ und dem Rezipienten, dem „Überzeugten“, und muss daher von mindestens zwei Seiten betrachtet werden.

Sie werden zwischen Selbstüberzeugung und Fremdüberzeugung differenzieren können, wodurch Sie anschließend mehr Klarheit, Transparenz und Überblick über den gesamten Überzeugungsprozess gewinnen. Lassen Sie uns den interaktiven Dialog später fortsetzen.

2. Selbstüberzeugung

Das Wort „Überzeugung“ wird im deutschsprachigen Raum als eine feste, durch Nachprüfen eines Sachverhalts oder durch Erfahrung gewonnene unerschütterliche Meinung, Einstellung oder ein fester Glaube eines Menschen definiert. Eine Überzeugung ist also viel mehr als eine vorübergehende Meinung. Während eine Meinung über jemanden oder etwas noch leicht veränderbar ist, sitzt die Überzeugung viel tiefer, weil sie durch Erfahrungen und Beweise gefestigt wurde.

Bei dieser Definition geht es im Grunde um eine Selbstüberzeugung, also eine Überzeugung, die wir als unsere „eigene“ bezeichnen. Es gibt nicht „die Überzeugung“ oder „allgemeine Überzeugung“, sondern immer nur „meine persönliche Überzeugung“. Daher können wir berechtigt von einer „Selbstüberzeugung“ sprechen, auch dann, wenn wir diese Selbstüberzeugung mit einigen anderen Menschen teilen, weil wir diesbezüglich gleiche oder ähnliche Erfahrungen gesammelt haben.

2.1 Unser Selbstüberzeugungssystem

Die Selbstüberzeugung ist also der Zustand, in dem wir zu einer festen Position gegenüber Menschen, Ideen, Sachen, Werten, Ereignissen oder Handlungen im Laufe einer bestimmten Erfahrungszeit gekommen sind. Die Selbstüberzeugung erkennen wir an der Formulierung: „Ich bin der (festen) Überzeugung, dass …“ Meistens kann diese Überzeugung anhand von Argumenten und Beispielen begründet werden, manchmal aber auch nicht. Für einige Menschen reicht schon ein positives Gefühl aus, um zu sagen, dass sie von etwas überzeugt sind. In solchen Fällen dient ein Gefühl als Erfahrungsreferenz, die zwar nicht rational begründet werden kann und dennoch einen hohen Einfluss auf die Selbstüberzeugung hat.

Selbstüberzeugungen sind also all das, was wir uns erlauben zu glauben, deshalb werden Überzeugungen manchmal auch als „Glaubenssätze“ definiert.

Sie sind tief in uns verankert und werden seit dem Beginn unseres Lebens aus unseren Erfahrungen gebildet. Das soziale Umfeld, die Genetik, Erziehung, Kultur und Religion, die uns seit unserer Geburt begleiten und prägen, spielen bei tief sitzenden Überzeugungen eine wichtige Rolle. Daraus ergeben sich unsere Werte, Ideen, Einsichten, Emotions- und Verhaltensmuster, die uns zum großen Teil unbewusst sind. Sie prägen unseren Alltag und wirken sehr subtil in allem, was wir denken oder tun, und bilden somit unser festes Selbstüberzeugungs­system.

2.2 Die Selbstüberzeugungsformel

Mithilfe einer Formel ausgedrückt würde die Definition der Selbstüberzeugung in etwa so aussehen:

Abbildung 1: Selbstüberzeugungsformel

Je mehr positive Erfahrungen oder Referenzen wir zu unseren Überzeugungen sammeln, umso tiefer und nachhaltiger werden sie in uns verankert. Eine ganz feste Selbstüberzeugung sitzt schließlich so tief, dass sie irgendwann mal nicht mehr überprüft, sondern von uns nur als wahr und richtig angenommen wird. Im Laufe der Zeit können sich unsere Erfahrungen sogar ändern, das heißt, sie bestätigen nicht mehr die primäre Selbstüberzeugung, und dennoch glauben wir immer noch an ihre Richtigkeit.

Hierzu gibt es eine sehr schöne Geschichte aus Indien, die von dem Alternativmediziner und Buchautor Deepak Chopra2 stammt:

In Indien werden Elefanten als Transporttiere genutzt und müssen von frühester Zeit für ihre Aufgabe trainiert werden. Bereits kleine Baby-Elefanten werden auf dem hinteren Fuß mit schweren Eisenketten befestigt und dann an große und schwere Bäume angebunden, um nicht davonlaufen zu können. So sammelt der kleine Elefant sehr früh die Erfahrung, dass es sich nicht lohnt, an der Kette zu ziehen, weil sie stärker ist als er. Nach mehreren Jahren, wenn der Elefant ausgewachsen ist, wird er nur noch mit einem dünnen Seil an ein kleines Bäumchen angebunden und läuft dennoch niemals davon, obwohl er mehrere Tonnen schwer und drei Meter hoch ist und mit Leichtigkeit das Seil sprengen könnte.

Wie ist das möglich? Die Antwort liegt in der Selbstüberzeugung, die aufgrund der konditionierten, also auf die gleiche Art wiederholten und erlebten Erfahrung, zustande gekommen ist. Wir Menschen verhalten uns in unserem Selbstüberzeugungssystem genauso wie dressierte Elefanten und sollten uns daher bewusst sein, welche Macht unsere Selbstüberzeugungen in unserem Leben haben. Manchmal sind sie auf lange Sicht sinnvoll und tun uns gut – und manchmal nicht. Daher sollten sie regelmäßig von uns selbst auf Aktualität und Relevanz überprüft werden, sodass sie nicht zu einem Irrglauben mutieren können.

2.3 Quellen unserer Selbstüberzeugung: soziale Einflüsse

Die allerersten Selbstüberzeugungen, die wir in unserem Leben sammeln, werden uns über die Erziehung von unseren Eltern übermittelt. Es sind also die Glaubenssätze und Selbstüberzeugungen unserer Eltern, die auf ihren eigenen Erfahrungen beruhen und uns im frühen Kindesalter bewusst oder auch unbewusst weitergegeben werden. Als Kinder überprüfen wir diese Überzeugungen nicht, sondern nehmen sie als richtig wahr und bemühen uns, danach zu handeln, um unsere Eltern zufriedenzustellen.

Durch weitere soziale Einflüsse im Kindergarten, später in der Schule, danach in unserem Arbeitsumfeld, im Kontakt mit unseren Freunden und Bekannten erfahren wir immer mehr über fremde Überzeugungen, die uns in unserem Denken und Handeln prägen und beeinflussen. Manche lassen uns völlig kalt und manche finden wir interessant, weil die Erfahrungen anderer Menschen positiv sind. Deshalb versuchen wir, diesen Überzeugungen zu folgen in der Hoffnung, ebenso positive Erfahrungen damit zu sammeln. Wir suchen uns sozusagen überzeugende Vorbilder für bestimmte Lebensbereiche aus und geben uns die innere Erlaubnis, deren Überzeugungen zu folgen. Dabei wissen viele dieser Vorbilder gar nicht, wie viel sie passiv zu unserem Selbstüberzeugungssystem beigetragen haben; sie wollten uns ja nicht aktiv überzeugen, sondern wir haben uns von ihnen etwas „abgeschaut“.

Eine Vielzahl von Überzeugungen, die wir als „unsere“ bezeichnen, sind daher fremde und subtile Einflüsse, die wir durch unsere Lebenserfahrung gewonnen haben.

Viele bekannte Sprichwörter und Weisheiten, die wir in unserer Kindheit gehört haben, sind nichts anderes als feste Überzeugungen anderer Menschen, die manchmal über Generationen weitergegeben wurden. Hierzu einige Beispiele, die auch Sie bestimmt kennen:

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Bevor Sie weiterlesen … 

Bitte nehmen Sie sich kurz Zeit und versuchen Sie folgende Fragen für sich zu beantworten, um sich über Ihre frühesten Selbstüberzeugungen klar zu werden. 

2.4 Quellen unserer Selbstüberzeugung: kulturelle Einflüsse

Neben unserer Erziehung und den sozialen Kontakten spielen kulturelle und dazugehörige politische und religiöse Einflüsse bei der Entstehung unserer Selbstüberzeugungen eine wichtige Rolle. Diese Überzeugungen haben einen kollektiven Einfluss auf die Gesellschaft, in der wir leben. Ihnen können wir uns nur sehr schwer entziehen, weil sie ein fester Bestandteil unseres sozialen Umfelds und unserer Kultur sind.

Solche Überzeugungen spiegeln sich in den typischen (auch ungeschriebenen) gesellschaftlichen Normen und Gesetzen der jeweiligen Kultur wider. Manche sind also von hoher Relevanz für eine bestimmte Kultur und prägen die spezifische Lebensart der in diesem Umfeld lebenden Menschen. In anderen Kulturkreisen hingegen sind diese Überzeugungen irrelevant. Lassen Sie uns diese Aussage überprüfen, indem wir zwei unterschiedliche Kulturkreise miteinander vergleichen:

Beispiel 1: Deutschland

Die westliche Kultur wird sehr stark durch Wirtschaft und Leistung geprägt. So sind in Deutschland die meisten Menschen der Überzeugung, dass Arbeit und materieller Wohlstand eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielen, nach dem Motto: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Wer wirtschaftlichen Erfolg hat, bekommt eher Anerkennung und Lob und kann sich leichter im Leben durchsetzen. So stehen der Wert „materieller Wohlstand“ und das Motiv „Leistung“ in der deutschen Kultur auf der Werteskala ganz oben und bilden somit die Überzeugung „Arbeit geht vor“. Das bekannte schwäbische Volkslied „Schaffe, schaffe, Häusle baue“ bringt diese Überzeugung sehr gut auf den Punkt:

„Schaffe, schaffe, Häusle baue,
Und net nach de Mädle schaue.
Und wenn unser Häusle steht
Dann gibts noch lang kei Ruh,
Ja ,da spare mir, da spare mir
Für e Geissbock und e Kuh …“

Beispiel 2: Brasilien

In südlichen Ländern, wo die Sonne das ganze Jahr über scheint, sieht es allerdings ganz anders aus. Nehmen wir zum Beispiel Brasilien: Woran denken Sie zuerst, wenn Sie das Wort „Brasilien“ aussprechen – an Samba, wunderschöne Strände oder Karneval? In diesem unglaublich bunten und fröhlichen Land herrscht die übergeordnete Überzeugung, dass viele berufliche Herausforderungen und Aufgaben auf morgen, übermorgen, nach Karneval oder für immer verschoben werden können. Anstatt sich um existenzielle oder materielle Angelegenheiten zu kümmern, wird hier lieber in der Gemeinschaft ausgelassen gefeiert, getanzt, gesungen und gescherzt. Aus der tiefen kollektiven Überzeugung heraus haben in Brasilien Kunst, Kreativität, Spaß und gutes Lebensgefühl den höchsten Stellenwert und werden der Arbeit und dem materiellen Wohlstand vorgezogen. Diese kulturelle Überzeugung ist genau das Gegenteil der westlichen Mentalität und lautet: „Zuerst das Vergnügen und später die Arbeit.“

Wir konnten diese kulturelle Überzeugung bei der Fußball-Weltmeis­terschaft 2014 sehr gut beobachten. Im legendären Halbfinale verlor Brasilien gegen Deutschland mit 1:7 und erlitt dadurch mehr als eine Niederlage. Man konnte fast von einer Demütigung im eigenen Land sprechen. Obwohl das für viele brasilianische Fußballfans sehr emotional und traurig war, gingen sie nach dem Spiel feiern und tanzen und gratulierten öffentlich der eindeutig stärkeren deutschen Mannschaft zu ihrem Sieg. Die Sorge und der Kummer, wie sich das auf die Zukunft des Fußballs in ihrem Land auswirken würde, verschoben die emotionalen Brasilianer auf später.

Mal angenommen, es wäre andersherum gekommen und das deutsche Fußballteam hätte eine solche Niederlage in einem WM-Halbfinale im eigenen Land erlitten: Dann hätten sich bestimmt alle Verantwortlichen und auch Fans zerknirscht zusammengesetzt und mit ernsten Mienen diskutiert, wie das nun passieren konnte und was sofort getan werden müsse, um dieses Problem zu lösen.

Aus diesem Vergleich ist leicht zu erkennen, welche große Rolle die Kultur und die sozialen Einflüsse auf unsere Überzeugungen haben. Sie sind so subtil, dass sie von uns gar nicht überprüft, sondern unbewusst übernommen werden, ob wir es wollen oder nicht. Wir erkennen solche Überzeugungen, indem sie begründet werden mit den Sätzen: „Das macht man so“ oder „So ist es bei uns“.

Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass kulturelle und landesspezifische Überzeugungen nach einer Auswanderung unvermeidlich infrage gestellt und mit der Zeit nachhaltig verändert werden. Eine Auswanderung verändert sowohl persönliche Wertvorstellungen als auch das eigene Selbstüberzeugungssystem. Hier erfahren Sie meine ganz persönliche Geschichte.

Eigenes Beispiel

Im Alter von 21 Jahren bin ich als gebürtige Kroatin mitten im Balkankrieg nach Österreich ausgewandert, mit der festen Überzeugung im Gepäck, dass ein vom Krieg geplagtes Land meiner beruflichen Zukunft nichts Attraktives bieten konnte. Zusätzlich erlebte ich die Zerstörung, die Aggression und das Leid der Menschen als unerträglich und fühlte mich absolut ohnmächtig, irgendetwas daran zu ändern. Aufgrund dieser persönlichen und sehr emotionalen Überzeugungen erfolgte die Handlung und ich wagte den entscheidenden Schritt, in das Nachbarland Österreich auszuwandern.