Wiegenlied für einen Dämon

 

 

 

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Band 43

 

Wiegenlied für einen Dämon

 

von Christian Schwarz und Catalina Corvo

nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

 

© Zaubermond Verlag 2015

© "Das Haus Zamis – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Titelbild: Mark Freier

eBook-Erstellung: Die Autoren-Manufaktur

 

http://www.zaubermond.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

 

Was bisher geschah:

 

Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Auf einem Sabbat soll Coco endlich zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut – umso mehr, da Cocos Vater Michael Zamis ohnehin mehr oder minder unverhohlen Ansprüche auf den Thron der Schwarzen Familie erhebt.

Nach jahrelangen Scharmützeln scheint endlich wieder Ruhe einzukehren: Michael Zamis und seine Familie festigen ihre Stellung als stärkste Familie in Wien, und auch Asmodi findet sich mit den Gegebenheiten ab. Coco Zamis indes hat sich von ihrer Familie offiziell emanzipiert. Das geheimnisvolle »Café Zamis«, dessen wahrer Ursprung in der Vergangenheit begründet liegt und innerhalb dessen Mauern allein Cocos Magie wirkt, ist zu einem neutralen Ort innerhalb Wiens geworden. Menschen wie Dämonen treffen sich dort – und manchmal auch Kreaturen, die alles andere als erwünscht sind …

Unterdessen wird Coco Zamis von Asmodi erpresst. Der Fürst der Finsternis entreißt ihr das noch ungeborene Kind und benutzt es als Pfand. Während die junge Hexe bisher sicher war, dass sie es von dem Verräter Dorian Hunter empfangen hat, behauptet Asmodi, dass er es ist, der sie geschwängert hat.

Um ihr ungeborenes Kind wiederzuerlangen, begibt sie sich in Asmodis Hände. Doch keine der Aufgaben, die er ihr stellt, erfüllt sie zu seiner Zufriedenheit. Behauptet zumindest er und erpresst sie weiterhin.

Schließlich gelingt es ihr mit der Hilfe ihrer Familie, Asmodi den Fötus zu entreißen.

Aber jetzt ist es ihr eigener Vater, Michael Zamis, der ihr den Fötus verweigert.

Auf der Suche nach ihrem gestohlenen Dämonen-Fötus reist Coco Zamis nach London. Zufällig trifft sie ihren tot geglaubten Liebhaber wieder: Dorian Hunter. Doch der erkennt sie nicht, lädt sie aber in seine Villa in der Baring Road ein. Dort stößt Coco auf ein entsetzliches Geheimnis: Hinter einer mit magischen Schutzzeichen versperrten Kellertür wird ihr ungeborenes Kind versteckt gehalten. Dorian Hunter entpuppt sich als Marionette ihrer Familie. Er lebt in einer magisch erzeugten Scheinwelt. Coco kämpft mit allen Mitteln um ihr Kind. Mithilfe des geheimnisvollen Damon Chacal gelingt es ihr schließlich, den Fötus an sich zu bringen. Um ihn fürs Erste allen Widersachern zu entziehen, beschwört sie den einstigen Hüter des Hauses Zamis aus dem Reich der Toten und gibt ihr Ungeborenes in dessen Obhut.

Coco Zamis hat vorerst genug von ihrer Familie. Um Abstand zu gewinnen, flüchtet sie aus Wien und Europa. Es trifft sich gut, dass ihre alte Freundin Rebecca gerade ein neues Domizil in New York bezogen hat und Coco einlädt, sie zu besuchen. Es handelt sich um das legendäre Dakota Building. Schnell stellt Coco fest, dass ihre Freundin in größter Gefahr schwebt ...

 

 

 

 

Erstes Buch: Asabi

 

 

Asabi

 

von Christian Schwarz

nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

1.

 

Vergangenheit

Heute war die Nacht der Nächte. Die Nacht, in der ich meinen großen Widersacher Damon Chacal besiegen – oder untergehen würde. Aber ich war zuversichtlich, denn endlich hatte mir George Botosani seine Hilfe versprochen, nachdem ich ihn bisher vergeblich angebettelt hatte.

Möglicherweise war der Pakt, den ich mit dem Teufelsgeiger einging, gefährlich für mich. Botosani wollte meine Seele für seine Teufelsvioline haben. Im Moment musste ich sie ihm notgedrungen anbieten, da mein Versuch, ihn ersatzweise mit der Seele der alten Hexe Gundula abzuspeisen, gründlich missglückt war.

Allerdings würde ich ihm meine Seele nicht so einfach überlassen. Sollte er mir zuerst einmal helfen, der Rest würde sich finden. Ich hatte dann Zeit bis zur nächsten Vollmondnacht und war bereit, ihn erneut über den Tisch zu ziehen. Sprich, meine Seele mit Klauen und Zähnen zu verteidigen.

Das Risiko lohnte aber auf jeden Fall. Alles war besser als die schlimmen Demütigungen und Erniedrigungen, die ich im Dämonenzirkus Dragomir erdulden musste. Einst der gefeierte Star, hatte mich Damon Chacal in den Staub getreten, weil er magisch sehr viel stärker war als ich. Gnädigerweise hatte er mich am Leben gelassen und mich zu seiner Dienerin gemacht.

Ein Fehler, den er heute Nacht bitter bereuen würde. In der Nacht der Nächte. Wenn Asmodi persönlich im Publikum saß. Endlich. Mir war speiübel vor Aufregung.

Chacal hatte sich ausbedungen, eine ganz besondere Nummer vor dem Fürsten der Finsternis aufzuführen, in der ich seine Assistentin sein sollte. Dragomir, der Zirkusdirektor, hatte zugestimmt, ohne sich die Nummer vorher erklären zu lassen. Solche Macht hatte Damon Chacal, die neue Hauptattraktion, in der Zwischenzeit im Zirkus Dragomir.

Aus einigen Bemerkungen, die Chacal heute Morgen entschlüpft waren, glaubte ich schließen zu können, wie diese Nummer aussah: Er gedachte eine rauschende Dämonenhochzeit mit mir in der Manege zu feiern, um mich dann als Höhepunkt zu opfern und zu fressen. Asmodi wollte er höchstpersönlich mein noch zuckendes blutiges Herz überreichen.

Ja, so ungefähr sollte das aussehen.

Und es würde ihm sicher glücken, wenn ich nicht George Botosani auf meine Seite gezogen hätte. Wenn mir wirklich einer helfen konnte, dann der Teufelsgeiger …

Die Dämonen, die das Glück hatten, einen Platz für die Nachtvorstellung zu ergattern, trafen schon frühzeitig ein. Sie kamen aus einem weiteren Umkreis als sonst, weil es eine große Ehre war, zusammen mit Asmodi in derselben Vorstellung zu sitzen. Sie kamen bis aus Frankfurt und Stuttgart, obwohl wir in Heidelberg spielten.

Ich schaute durch einen Spalt des Zirkuszeltes auf den Eingang. Dragomir, der die Figur eines Preisboxers hatte, in seinem schwarzen Anzug mit Zylinder aber eine prächtige Figur machte, begrüßte jeden Dämon einzeln mit Handschlag. Asmodi hatte ich allerdings noch nicht gesehen. Ich war mir sicher, dass der Fürst der Finsternis erst mit Vorstellungsbeginn in der für ihn reservierten Ehrenloge auftauchen würde.

Dragomir hatte sich den Spaß gemacht, für die Nachtvorstellung auch gut zwei Dutzend Menschen einzuladen, die er zwischen den Dämonen auf den Publikumsrängen verteilte. Das war unüblich, denn die Nachtvorstellungen wurden normalerweise nur vor dämonischem Publikum gespielt, die menschlichen Opfer tauchten ausschließlich in der Manege auf.

Aber wenn Asmodi dem Zirkus die Ehre erwies, durfte es auch mal ein wenig anders zugehen.

Ich umklammerte die Blutpeitsche, in der der Geist der Blutgräfin Elisabeth Báthory hauste. Diese Peitsche besaß ich seit mehreren Jahren. Sie hatte mir in manchen Kämpfen gute Dienste geleistet.

Pünktlich um Mitternacht begann die Vorstellung. Ein Raunen ging durch das Publikum, als sich der Vorhang der Ehrenloge wie von Zauberhand hob. Dann setzte stürmischer Beifall und Jubel ein, als sich ein Mann erhob, der anstatt eines Gesichts eine konturenlose Fläche mit zwei stechenden roten Augen trug. Asmodi hob kurz die Hand und setzte sich wieder, während das Zirkusorchester einen Marsch zu schmettern begann. Die Musiker bestanden ausschließlich aus Freaks – und aus dem Dämon George Botosani, einem totenbleichen hochgewachsenen Mann mit schulterlangen schwarzen Haaren.

Die Artisten überboten sich in dieser Nacht mit ihren Nummern. Doch zuvor gab Direktor Dragomir Feuer frei. Magisches Licht hüllte plötzlich die Menschen im Publikum ein, die gar nicht wussten, wie ihnen geschah, als die kreischenden Dämonen von allen Seiten über sie herfielen, sie brutal vergewaltigten und schließlich in der Luft zerrissen.

Abgerissene Arme und Beine flogen durch die Manege, über den Rängen hingen kreuz und quer herausgerissene Gedärme, zwei blutige Köpfe mit gebrochenen Augen rollten in das mit Sägespänen gefüllte Rund und blieben auf den Halsstümpfen liegen. Unsere Ghoultruppe, die angestellt war, um die letzten menschlichen Überreste diverser Vorstellungen zu beseitigen, versuchte schon jetzt, den einen oder anderen Leckerbissen zu erhaschen, und war dabei überaus erfolgreich.

Die schrillen Todesschreie der Menschen gellten mir noch lange in den Ohren, der Geruch nach frischem Blut und Gedärmen bereitete mir ebenfalls stilles Vergnügen. Aber nur, weil ich mir sicher war, Damon Chacal zu besiegen.

Auch in der Manege starben ein gutes Dutzend Menschen, die in der Nachmittagsvorstellung gekidnappt worden waren, überaus grausame Tode durch Zerstückeln und Verbrennen. Das dämonische Publikum war nun so in Ekstase, dass es übereinander herfiel. Ich sah Massenorgien auf den Rängen, aber auch extrem aggressive Werwölfe, die aufeinander einprügelten und sich bissen.

Asmodi schien seinen Spaß zu haben, denn er nickte immer wieder anerkennend zu Dragomir hinüber, der an der Seite der Ehrenloge stand.

Schließlich war es so weit. Der Lärm erlosch schlagartig, es wurde finster im Manegenrund. Blutrote magische Lichter begleiteten Damon Chacal, der einen hautengen Anzug trug, und mich in die Manege.

Chacal kündete großspurig den Gigantenkampf mit einer der gefährlichsten Amazonen überhaupt an. »Sehen Sie nun zu, wie ich es schaffe, die Amazone Coco mit ihrer gefährlichen Blutpeitsche in einer offenen Feldschlacht zu besiegen. Werden Sie Zeugen, wie ich sie anschließend zähme und so gefügig mache, dass sie um eine Dämonenhochzeit mit mir bettelt.«

Aha, er wollte also meinen Körper. Viele der Dämonen lachten laut auf. Ein abgerissener Penis flog in die Manege.

»Da, versuch's doch mal damit!«, schrie einer. »Nur, falls du es mit deinem eigenen Werkzeug nicht schaffst.«

Das Gelächter schwoll zu einem Orkan. Selbst der Fürst der Finsternis klatschte Beifall.

Ich trug mein glitzerndes Paillettenkleid. Mit der Blutpeitsche in der Hand trat ich Damon Chacal gegenüber. Wir belauerten uns zunächst, während das Orchester anfing zu spielen. Deutlich konnte ich Botosanis Teufelsgeige heraushören.

Chacals höhnisches Grinsen verschwand schlagartig. Er wurde unsicher, ich sah, wie er anfing, die Augen zu kneifen.

Triumph stieg in mir hoch. Ich hatte es bereits am eigenen Leib verspürt, wie es war, wenn George Botosani sein Geigenspiel ausschließlich auf eine einzige Person abstimmte. Es fühlte sich an, als schlüpfe plötzlich eine andere Person in den eigenen Körper und pumpe einen mit Kraft auf. Botosani konnte aber auch die andere Person schicken. Die, die dem Körper Kraft entzog.

Diese Person schlüpfte gerade in Damon Chacal. Damit hatte der Kerl, der einen geisterhaften Schakal absondern konnte, nicht gerechnet. Er versuchte dagegen anzukämpfen, aber es gelang ihm nicht. Immer irrer und dissonanter wurde Botosanis Spiel. Die Geige wimmerte und schrie wie eine misshandelte wahnsinnige Kreatur.

Ich griff Chacal mit der Blutpeitsche an. Mit einem lauten Schrei zog ich sie ihm über die Brust. Dieses Mal schaffte er es nicht, eine unsichtbare Mauer aufzubauen und die Peitsche abzuwehren. Die Schnüre, an denen wie aus dem Nichts scharfe Messer erschienen, schnitten ihm den Anzug auf und rissen blutige Furchen in seine Brust.

Das Publikum schrie in einer Mischung aus Entsetzen und Faszination auf, als Chacal taumelte. Aber er war noch nicht erledigt. Noch lange nicht.

Ich tänzelte um den gebückt dastehenden Dämon herum und schlug weiter auf ihn ein. Im Rhythmus von Botosanis Spiel, das jetzt eher an das Kreischen von Metall auf Metall erinnerte. Jeden Schlag begleitete ich mit einem schrillen Schrei. Auch auf Chacals Rücken bildeten sich nun blutige Striemen. Doch plötzlich fuhr er mit einem Knurren hoch und packte sich die Peitsche. Sie schnitt tief in seine Hand, er verlor sogar zwei Finger. Trotzdem hielt er sie fest und zog mich an ihr langsam zu sich her. Tödlicher Hass funkelte in seinen Augen, ich sah zudem, wie sein Schakal aus ihm herausschlüpfte und sich verdichtete.

Jetzt musste es sich endgültig entscheiden. Es gelang mir, Chacal die Peitsche wieder zu entreißen. Ein Triumphschrei löste sich aus meiner Kehle. Ich ging in den schnelleren Zeitablauf. Den hatte der Schakal beim letzten Kampf mitgemacht und mich dort besiegt. Da aber war er im Vollbesitz seiner Kräfte gewesen.

Alles um mich herum erstarrte. Nur der Schakal bewegte sich. Auch jetzt konnte ich ihn mit dem schnelleren Zeitablauf nicht austricksen. Ich hatte es zwar gehofft, aber nicht wirklich damit gerechnet.

Allerdings waren seine Bewegungen längst nicht so flüssig wie beim ersten Mal. Er griff mich trotzdem sofort an. Doch jetzt verfügte ich über die Blutpeitsche. Es genügten drei Schläge, um ihn niederzustrecken. Er löste sich auf und verschwand in Chacals Körper.

Ich ließ mich in den normalen Zeitablauf zurückfallen. Unter dem Gegröle des Publikums brach Chacal zusammen und blieb verkrümmt liegen. Es tat mir in der Seele gut, als ich Dragomir die Hände über dem Kopf zusammenschlagen sah.

George Botosani spielte noch immer. Er würde es so lange tun, bis ich Chacal endgültig abserviert hatte. Ich gierte nach seinem Blut, ich wollte ihn tot sehen. Endgültig.

Als ich zum finalen Schlag ausholte, erhob sich Asmodi und stellte sich mit erhobenen Armen in die Loge. »Genug, Coco!«, schrie er in die entstandene Totenstille hinein. »Ich möchte, dass du ihn am Leben lässt. Dieser Schakal interessiert mich. Ich gestatte aber, dass das Publikum den Verlierer mit Schimpf und Schande aus dem Zirkus jagt.«

Unter Gelächter, Pfiffen, Buhrufen und einem Hagel an Wurfgegenständen taumelte Damon Chacal aus der Manege und verschwand.

Ich aber erhielt eine persönliche Einladung Asmodis. So konnte mir auch Dragomir nichts mehr anhaben. Er konnte sich seine tödlichen hasserfüllten Blicke sparen.

 

Asmodi empfing mich gleich nach der Vorstellung in einem extra dafür eingerichteten Wohnwagen zum Beischlaf. Nackt, mit hoch aufgerichtetem Glied stand er da. Doch ich tat ihm den Gefallen nicht, mich einfach hinzugeben und danach wieder vergessen zu werden. Das Adrenalin, das gefühlt noch immer literweise in meinen Adern floss, machte mich mutig und unvorsichtig.

»Willst du nicht zuerst wissen, was sich dort unten in der Manege zugetragen hat, bevor ich deine Glut lösche, Fürst?«, fragte ich frech.

Er blieb stehen. »Erzähle, aber beeile dich«, zischte er mich an. »Ich bin heiß auf dich und warte nicht gerne. Du hast mir imponiert, wie ich zugeben muss. Dragomir deutete an, dass du keine Chance haben würdest. Und nun …«

Ich erzählte ihm alles haarklein, während ich vor ihm kauerte und immer wieder wie unabsichtlich mit meinen Haaren oder meinen Fingerspitzen kurz über sein Glied strich. Das brachte ihn so in Wallung, dass er schließlich mit einem lauten Schrei über mich herfiel und mich wie ein Tier nahm.

»Das möchte ich wieder erleben, kleine Coco«, sagte er, als er keuchend neben mir lag.

»Und wenn ich es dir nur dieses eine Mal geben will?«

Plötzlich schwebte das Gesicht eines unglaublich hässlichen Monsters über mir. »Bist du von Sinnen, Coco? Ich hole mir, was ich will. Immer.«

Ich hatte große Angst, blieb aber standhaft. Diese einmalige Chance wollte ich nicht ungenutzt lassen. »Ich weiß, dass du dir alles von mir holen kannst, was und wann immer du willst. Wenn ich es dir aber nicht freiwillig gebe, wird es nicht mehr annähernd so sein wie gerade eben.«

Das Gesicht verschwand, ich atmete auf. Er setzte sich auf meinen Bauch und massierte brutal meine Brüste. »Was verlangst du also, Hexe?«

»Ich will, dass du meine Widersacher hier im Zirkus für mich tötest. Dragomir und ganz besonders George Botosani.«

»Der Geiger, der dir geholfen hat, Chacal zu besiegen?«

»Genau den.«

Asmodi lachte gehässig und setzte sich zwischen meine Beine. »Das gefällt mir. Ich werde es für dich tun, kleine Hexe Coco.«

»Dann werde ich dir Lust bereiten, wann immer dir danach ist, Fürst. Komm einfach vorbei.«

Er nahm mich erneut.

Danach erfüllte er meine Wünsche. Dragomir verging im Höllenfeuer, George Botosani wurde Opfer seiner eigenen Geige. Asmodi zwang seine Seele hinein, ich verbrannte die Geige höchstpersönlich. Meine Seele war gerettet.

Schon am nächsten Tag war ich die neue Direktorin des Zirkus Dragomir, den ich natürlich umbenannte in Zirkus Zamis. Ein halbes Jahr lang zogen wir durch die europäische Provinz, während Asmodi fast jeden Tag bei mir anklopfte. Ich genoss den geilen Bock ebenso wie er mich.

Doch dann begann das Leben mich anzuöden. Ich brauchte dringend Abwechslung.

 

Gegenwart

Ich starrte Rebecca an. Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen, ich fühlte mich schlagartig unwohl. Nervös begann ich, auf dem Sofa hin und her zu rutschen. »Sag das noch mal«, krächzte ich schließlich heiser. Ich konnte es noch immer nicht glauben.

Meine vampirische Freundin saß breitbeinig auf ihrem Stuhl und hielt ihre Knie fest. Nun beugte sie den Oberkörper wie eine stoßbereite schwarze Mamba nach vorne. »Hast du's mit den Ohren, Coco, Schätzchen? Also nochmals, für dich, zum Mitschreiben. Ich bin Mama Wédo.«

Ich schluckte zweimal schwer und sank ein wenig in mich zusammen. Das musste ich erst einmal verarbeiten. Die Erinnerungsbilder schossen kreuz und quer durch meinen Kopf.

Meine Ankunft in New York, um meine Freundin Rebecca zu besuchen, die im berühmten Dakota Building direkt am Central Park wohnte.

Mein Entsetzen, als ich sie völlig verändert vorfand: mürrisch, fast ein wenig depressiv, ohne Lebensfreude. Und – schwanger.

Meine Zusammenstöße mit Rebeccas Nachbarn. Bei den Vanderbuilds handelte es sich um eine Dämonenfamilie, die Rebecca höchstwahrscheinlich beeinflusste. Warum auch immer. Mein unverhoffter Besuch bei Rebecca war ihnen deswegen ein Dorn im Auge. Sie befürchteten, dass ich ihnen in die Quere kommen könnte, und machten deswegen Jagd auf mich.

Mein Treffen mit dem Fledermausmann Robin und dessen Vampirsippe, die treue Freunde Rebeccas waren und mir halfen, den alten Arthur Vanderbuild auszuschalten, indem sie ihn entführten.

Meine Bemühungen, Rebecca von der dämonischen Beeinflussung zu befreien, indem ich sie zu Mama Wédo mitnahm, einer in Harlem hausenden Voodoo-Priesterin, auf die mich Robin aufmerksam gemacht hatte …

Die überaus hässliche Liliputanerin mit dem Totenschädel auf den Schultern hatte ein seltsames Ritual entfacht. Doch anstatt Rebecca von ihrer Beeinflussung zu befreien, hatte die Priesterin den Körper mit ihr getauscht!

Mama Wédo steckte nun also in Rebeccas Körper. Was aber war mit dem Geist meiner Freundin passiert? Wenn das alles so stimmte, steckte Rebeccas Bewusstsein nun in dem hässlichen Liliputanerkörper. Und der war von einer riesigen schwarzen Schattenmamba verschlungen worden, bevor ich mit Rebecca das Weite gesucht hatte. Mit ihrem Körper zumindest …

Eine kaum zu bezähmende Wut stieg in mir hoch. Ich sprang vom Sofa hoch und ballte die Fäuste. Nur mit Mühe konnte ich mich beherrschen, der Voodoo-Priesterin nicht sofort an die Kehle zu springen und ihr die Luft abzudrehen. Aber ich durfte Rebeccas Körper auf keinen Fall schädigen, weil ich alles tun würde, damit es einen Rücktausch gab; sofern die Schwarze Mamba Rebecca nicht bereits vernichtet hatte. So begnügte ich mich damit, Mama Wédo hasserfüllt anzufunkeln.

Sie schien sich deswegen nicht gerade in die Hosen zu machen. Denn sie grinste mich höhnisch an.

»Ich weiß, warum du das gemacht hast«, zischte ich sie an. »Du wolltest wahrscheinlich schon lange einen schönen Körper haben. Da hast du die Gelegenheit einfach beim Schopf gepackt, als ich mit Rebecca bei dir aufgetaucht bin. Du hast mein Vertrauen schmählich missbraucht.«

Mama Wédos Grinsen erlosch. Sie kniff die Augen leicht zusammen. »Habe ich da gerade das Wort Vertrauen gehört? Bist du tatsächlich so naiv, Coco? Oder tust du nur so? Wir sind Schwarzblütige, wenn ich dich daran erinnern darf. Vertrauen ist in unseren Kreisen eher ein Unwort, wenn ich das mal so sagen darf.«

Das Grinsen kehrte zurück. »Du bist selber schuld, wenn du mir so vorbehaltlos vertraut hast, Hexe. Ich an deiner Stelle hätte mich ein wenig mehr abgesichert. Gut für mich, dass dir die Sorge um deine Freundin das Hirn vernebelt hat. Ja, du hast schon recht. Ich habe einfach die unverhoffte Gelegenheit beim Schopf gepackt.«

Sie sprang so überraschend hoch, dass ich nach hinten auswich. Ein rötliches Funkeln trat in ihre Augen.

»Was hat die Mamba mit meiner Freundin gemacht? Ist sie tot?«

»Ja. Was denkst du denn? Der ist rettungslos verloren, um den sich die göttliche Schwarze Mamba kümmert.«

Mein Magen krampfte sich zusammen, ich fühlte Übelkeit in mir hochsteigen. Wenn Rebecca tot war, musste ich keine Rücksicht mehr nehmen. Ich ließ einen Feuerball in meiner Hand entstehen.

Er explodierte förmlich, als ich ihn auf die Voodoo-Priesterin schleuderte!

Mama Wédo reagierte blitzschnell. Viel schneller, als ich es ihr zugetraut hätte. Bevor das magische Feuer sie erreichte und vernichtete, malte sie ein magisches Zeichen in die Luft. Eine düstere Wand entstand vor ihr. Auf diese prallte der Feuerball. Und breitete sich daran aus wie Teig, der zäh nach allen Seiten wegfloss.

Mir stockte der Atem. In diesem Moment bemerkte ich, dass die düstere Wand Konturen annahm. Ich glaubte, plötzlich einen riesigen Schlangenkopf mit zwei tückischen gelben Augen zu sehen. Die Macht, die sich darin manifestierte, jagte mir tödliche Angst ein.

Die Schwarze Mamba!

Da war sie wieder. Weit riss sie das Maul auf. In einem grauenhaft finsteren Zentrum weit hinten im Rachen entstand ein Sog, der sich das Feuer schnappte und noch im Maul der Mamba in nichts verwirbelte.

Dann zuckte der riesige Schädel auf mich zu.

Ich schrie entsetzt und fiel nach hinten. Unsanft setzte ich mich auf den Hosenboden. Ich schloss die Augen und erwartete den tödlichen Zugriff. Aber nichts passierte. Als ich sie wieder öffnete, war die Mamba verschwunden. Nur Mama Wédo starrte mich an.

Düster.

Ein wenig mitleidig.

Aber nicht hasserfüllt.

»Verschwinde«, sagte sie nur. »Dir ist jetzt hoffentlich klar, dass du nichts gegen mich ausrichten kannst. Ich bin stärker als du, Coco, unendlich viel stärker. Mein Gott ist auch in meinem neuen Körper mit mir. Er beschützt mich vor allen Gefahren.«

Sie spuckte nach mir. Ihr Speichel fraß direkt neben meiner rechten Hand ein Loch in den Boden. Es brodelte und zischte. Mama Wédo richtete die ausgestreckten Zeigefinger wie Lanzen gegen mich. »Dieses Mal kommst du ungeschoren davon, Hexe. Lass dir aber ja nicht einfallen, mich nochmals anzugreifen. Das würdest du nicht überleben. Verstanden?«

»Ja.«

»Dann verschwinde auf der Stelle.«

Ich rappelte mich mühsam hoch. »Was hast du jetzt vor?«, krächzte ich.

»Das geht dich nichts an.«

Ich wankte aus Rebeccas Wohnung und suchte die allgemeine Toilette neben der Empfangshalle auf, die eigentlich für die Hausmeisterbrigade gedacht war. Mir war so übel, dass ich mich übergeben musste. Danach setzte ich mich erst mal auf den Deckel der Toilettenschüssel.

Was hatte ich meiner Freundin da angetan?

Getötet hast du sie, meldete sich eine Stimme in mir. Du bist schuld. Aber du hast es ja nur gut gemeint …

Mir war zum Heulen zumute. Und ich wusste im Moment nicht, was ich tun sollte. Am liebsten wäre ich geflüchtet. Aber seit gestern konnte ich das Dakota plötzlich nicht mehr verlassen. Eine magische Barriere hinderte mich daran.

Ich hatte keine Ahnung, warum das so war.

Aber die Dinge änderten sich ja bekanntlich im Leben. Möglicherweise war alles schon wieder ganz anders.

War es nicht.

Ich ging über den Marmorboden der hellen Empfangshalle, der als Schachbrettmuster angelegt war, konnte die Eingangstür aber nicht erreichen. Die magische Barriere war nach wie vor vorhanden und hielt mich auf. Ein älteres Paar, das von draußen hereinkam, mich aber nicht weiter beachtete, konnte die Barriere ungehindert passieren.

Tiefe Niedergeschlagenheit überkam mich. Ich saß in diesem Haus fest, das eine riesige Falle für mich darstellte. Meine Freundin war unversehens zu meiner Feindin geworden. Auch die Vanderbuilds wollten mir an den Kragen, weil sie gecheckt hatten, dass ich ihnen Rebecca entziehen wollte.

Wenn sich Mama Wédo auch ihnen gegenüber offenbarte und sie die ganze Wahrheit erfuhren, würden sie wahrscheinlich zur Großwildjagd auf mich blasen.

Ich wünschte mir Betty Moon herbei, den geheimnisvollen Geist, der im Dakota spukte und den ich zwischenzeitlich als eine Art Freundin betrachtete; obwohl Betty mir vorwarf, für das ganze aktuelle Übel hier verantwortlich zu sein.

Aber Betty ließ sich nicht sehen.

Was sollte ich tun? Einen sicheren Hafen hatte ich hier erst mal nicht mehr. Im Keller schlafen? Nein, das kam nicht infrage. Dort hielten die Vanderbuilds geheimnisvolle Beschwörungen ab. Die Gefahr einer Entdeckung war zu groß.

In der großen Hausbibliothek? Vielleicht …

Mir kam ein anderer Gedanke. Ich streifte durch die mahagoniholzgetäfelten Flure, bis ich ein geeignetes Opfer fand. Ein älterer, alleinstehender Herr kam mir entgegen. Ein Mensch, kein Dämon. Ich hypnotisierte ihn. So nahm er mich wie selbstverständlich mit in sein Appartement.

Seine Frau war zunächst sprachlos, als ich mich als langjährige Geliebte ihres Gatten vorstellte. Bevor sie einen Herzinfarkt bekam, hypnotisierte ich auch sie.

So schuf ich mir eine luxuriöse Bleibe, denn die beiden sahen in mir nun ihre Tochter. Das Gästezimmer war so prunkvoll eingerichtet, dass ich mich damit zufriedengab. Doch zunächst einmal plünderte ich den Kühlschrank. Heißhunger plagte mich.

Als ich mich später hinlegte und so langsam in den Schlaf hinüberdämmerte, suchten mich plötzlich wieder diese seltsamen Visionen heim. Doch dieses Mal war es nicht der Zirkus …

 

 

2.

 

Vergangenheit

Der stählerne Berg vor mir beeindruckte mich über alle Maßen. Gehört hatte ich zwar schon von den Ozeanriesen. Wie groß sie aber wirklich waren, erschloss sich mir erst jetzt, beim allerersten Zusammentreffen. Hoch ragte der schwarze Schiffsrumpf in den trüben Nachmittagshimmel, die vier Masten der Ladekräne kratzten sogar an den tief hängenden grauen Wolken. Noch imposanter war die Länge der S.S. Minnehaha. Das Heck schien mir einen halben Tagesmarsch entfernt zu sein.

Das war natürlich Unsinn. Ich lächelte unwillkürlich, trat vier Schritte auf den Quai hinaus und ließ meine Blicke schweifen. Um mich her herrschte ein Gewusel wie in einem Bienenstock. Arbeiter in grobem Drillich luden Fässer von Pferdekarren und rollten sie in den Bereich der Schiffskräne. Andere kümmerten sich um Zucker- und Weizensäcke, die vor einem der Warenhäuser aufgestapelt lagen. Auch sie würden in rund zwei Stunden die Reise nach New York antreten.

Dabei ging es lautstark zu. Pferde schnaubten und wieherten, Kommandos wurden hin und her geworfen. So mancher deftige Fluch zerriss die schwül-heiße Luft dieses Augusttages, der mir trotz meines langen engen Miederkleides kaum zu schaffen machte; ein kleiner Hexenzauber sorgte für angenehme Abkühlung. Fasziniert betrachtete ich die fliegenden Rinder, die kläglich muhend und hilflos strampelnd vom hintersten Kran auf Deck gehievt wurden.

Zwischen den Arbeitern tauchten die ersten Passagiere auf. Die Damen trugen Hüte und bodenlange elegante Kleider, die Herren zumeist Anzug und Bowler. Einige hatten Kinder bei sich, andere mit Reisegepäck vollgestopfte Handwagen, die von schwitzenden Livrierten hinter ihnen hergezogen wurden.

Manche Passagiere flanierten über den Quai, ohne auf die Arbeiter Rücksicht zu nehmen. Ein kleiner, etwa sechsjähriger Junge im Anzug und mit Schildmütze auf dem Kopf tat sich besonders hervor. Ganz in meiner Nähe rannte er lachend zwischen ihnen hin und her, ohne sich um die aufgeregten Rufe seiner Mutter zu kümmern. Ich glaubte zumindest, dass es seine Mutter war. Sie trug einen Sonnenschirm und führte zudem noch ein kleines Mädchen an der Hand, was sie in ihren Aktivitäten stark behinderte.

Der Junge, der Hector hieß, nutzte das gnadenlos aus. Er hatte Spaß daran, ganz knapp vor den rollenden Fässern vorbeizurennen und ignorierte auch die zornigen Zurufe der Arbeiter. Einer griff nach ihm, doch der Junge wich geschickt aus und streckte ihm die Zunge heraus. Nun begannen zwei weitere Arbeiter, Jagd auf ihn zu machen, während Hectors Mutter am liebsten im Boden versunken wäre. So zumindest interpretierte ich die Schamröte, die ihr ins Gesicht geschossen war.

Dieses neue Spiel schien Hector noch großartiger zu finden. Geschickt drückte er sich durch das Menschengewühl und lachte dabei laut. Immer wieder sah ich ihn zwischen den Leuten auftauchen. Dabei näherte er sich einer kleinen Gruppe von Passagieren, die direkt an den aufgestapelten Zuckersäcken entlangging. Drei Frauen und ein ausgeprägt buckliger Mann, die sich keinerlei Mühe machten, ihren enormen Reichtum zu verbergen. Die drei Handwagen hinter ihnen waren bis oben hin mit Reisekisten und Lederkoffern vollgeladen.

Geldsäcke, dachte ich abfällig. Ich konnte Leute, die ihren Reichtum so offenkundig zur Schau stellten, nicht ausstehen.

Da ihn seine Verfolger fast schon am Schlafittchen hatten, rannte Hector in die Gruppe hinein. Die Geldsäcke blieben irritiert stehen. Der Junge rempelte die ältere Frau an, die einen spitzen Schrei ausstieß. Dabei kam er ins Straucheln und hielt sich instinktiv am teuren Seidenkleid der jüngeren weißen Frau fest. Es ratschte, als er trotzdem hinfiel und dabei ein ganzes Stück aus dem Kleid riss.

Empört schrie die Geschädigte auf. Ich sah Wut in ihren Augen glitzern. Hector begriff, dass er gerade etwas Böses gemacht hatte. Bevor ihn sich der Bucklige schnappen konnte, rappelte er sich wieder hoch und schlüpfte geschickt durch die zugreifenden Hände der jungen Frau. Heulend rannte er auf seine Mutter zu. Er kam nur zwei, drei Schritte weit. Mir stockte der Atem, als plötzlich einer der Zuckersäcke vom Stapel rutschte und nach unten fiel.

Er würde Hector genau treffen!

Natürlich hätte ich nun in den schnelleren Zeitablauf wechseln und den Jungen retten können, aber wozu? Ich hatte keinen Nutzen davon. So blieb ich unbeteiligte Beobachterin.

Die schlanke, hochgewachsene Schwarze, die zu den Geldsäcken gehörte, erfasste die Situation ebenfalls. Und reagierte anders als ich. Zwei blitzschnelle geschmeidige Sätze brachten sie an den Jungen heran. Sie packte ihn an der Hüfte und riss ihn weg. Im allerletzten Moment. Neben ihm krachte der schwere Zuckersack mit einem dumpfen Knall auf den Boden. Der Verschluss löste sich, der Inhalt rieselte heraus.

Die Schwarze stellte den Jungen auf den Boden zurück. Dort blieb er geschockt stehen. Jetzt erst ertönten spitze Schreie um mich her. Hectors Mutter kam angehastet, das Mädchen hinter sich herziehend. Es weinte ebenfalls.

Ich stand zu weit weg, wollte mir die Szene aber keineswegs entgehen lassen. So schaute ich mich nach einer Fliege um und hatte die freie Auswahl. Die nächstbeste, auf meinem Kleid sitzend, musste dran glauben. Mit einem Bindungszauber schlug ich sie in meinen Bann und verwandelte sie mit einem weiteren magischen Spruch in ein Hexenohr; ein Zauber, den nicht so viele Dämonen hinbekamen. Willig ließ sich die Fliege von mir dirigieren. Sie summte hinüber und ließ sich auf einem der Zuckersäcke nieder, zwischen jeder Menge Artgenossinnen. Eine perfektere Tarnung konnte es gar nicht geben. Ich grinste in mich hinein. Nun konnte ich jedes noch so leise Wort deutlich verstehen.

Die junge weiße Frau trat soeben neben die Schwarze hin. Blanke Wut funkelte in ihren Augen. »Was hast du gemacht, du blödes Miststück?«, fauchte sie. »Die Vanderbuilds mischen sich niemals in fremde Angelegenheiten ein, verstehst du? Schon zweimal nicht, wenn diese Angelegenheiten irgendeinen unbedeutenden Pöbel betreffen. Und wen interessiert's, wenn der Sack die kleine Kröte erschlagen hätte? Schau dir nur mal mein Kleid an, er hat es vollkommen ruiniert. Das werden mir seine Eltern teuer bezahlen müssen.«

Die Schwarze, eine sehr hübsche Frau mit langem, schmalem Gesicht, senkte schuldbewusst den Kopf. »Ja, natürlich, Miss Marilyn. Es war nur ein Reflex. Bitte entschuldigen Sie.«

Marilyn Vanderbuild sah nicht so aus, als ob sie irgendetwas entschuldigen wolle. Sie wirkte eher, als würde sie jeden Moment ihre langen Fingernägel durch das Gesicht der Schwarzen ziehen.

In diesem Moment tauchte der Bucklige neben ihr auf. »Lass Asabi in Ruhe«, sagte er mit fester Stimme. »Sie gehört mir. Du hast mit ihr nichts zu schaffen.«

»Sag mir nicht, was ich zu tun habe, Vater«, fuhr sie ihn an, beruhigte sich dann aber rasch. »Ja, du hast recht«, murmelte sie. »Sie ist dein Eigentum. Vergiss darüber aber dein eigen Fleisch und Blut nicht.«

»Du und deine verfluchte Eifersucht«, erwiderte er. »Du hast nichts zu befürchten, begreif das doch endlich.«

»Ach, ja?« Sie wandte sich abrupt um und ging weg.

Rätselhafte Worte, die meine Neugierde weckten. Ich schaute weiter zu der Frau, die ihre beiden Kinder umfasst hielt und sie fest an sich drückte, während sich um sie herum eine Wand aus Gaffern gebildet hatte. Als Vanderbuild sich ihr zuwandte und sich ein wenig aufzurichten versuchte, hob sie stolz den Kopf und wich seinen stechenden Blicken nicht aus.

»Es tut mir sehr leid, Sir, was mein Junge da angestellt hat«, sagte sie, während Hector den Buckligen angstvoll anstarrte. »Ich werde Ihnen den erlittenen Schaden natürlich bis auf den letzten Heller und Penny begleichen.«

Vanderbuild musterte sie von oben bis unten, als habe er eine Zecke vor sich. Ich hatte noch nie zuvor gesehen, dass jemand so viel Geringschätzigkeit in einen Blick legen konnte, nicht mal bei Asmodi. »Gute Frau, wissen Sie überhaupt, von was Sie da sprechen? Das Kleid meiner Tochter wurde von Fitch & Regner in New York maßgeschneidert. Ich glaube kaum, dass Sie es sich leisten können, hunderttausend Dollar auf den Tisch zu legen. Das wage ich aufgrund Ihrer etwas … gewöhnlichen Kleidung zu behaupten.«

»Das lassen Sie meine Sorge sein, Sir«, erwiderte die Frau unbeeindruckt. »Lassen Sie mir über den Steward eine Rechnung in meine Kabine zukommen. Deck zwei, Kabine 23 A. Mein Name ist übrigens Dorothy Fuller. Ich werde jeden angemessenen Betrag begleichen. Und nun wünsche ich Ihnen einen guten Tag, Sir.«

Damit schnappte sie sich ihre beiden Kinder, drückte sich durch die gaffende Menge, die nur widerwillig Platz machte, und verschwand in Richtung Hauptgangway.