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Melina D`Angeli

Einer mit H.E.R.Z.

Küssen kann man nicht alleine (2)





BookRix GmbH & Co. KG
81371 München

Titel:

Küssen kann man nicht alleine:

Einer mit H.E.R.Z. (2)

von Melina D’Angeli

 

Text Copyright © 2015

Alle Rechte vorbehalten

 

Coverbild: Love is everywhre © Artistan – Fotolia.com

Fassung: 1.0

 

Die Geschichte ist frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und/oder realen Handlungen sind rein zufällig.

Ein großes Dankeschön geht an:

Thomas Herzberg (als Co-Autor, Ratgeber und hemmungsloser Kritiker)

Lektorat, Korrektorat: worttaten.de – Michael Lohmann

 

Inhalt

 

Einer mit H.E.R.Z.

Was soll das denn bedeuten?

Und Herz allein hilft sicherlich auch nicht, denn ab einem gewissen Alter holt einen ohnehin die bittere Erkenntnis ein, dass auch andere Faktoren womöglich eine gewisse Rolle spielen könnten. Je nachdem wie gründlich das Leben und seine Untiefen an der rosaroten Brille genagt haben, muss wohl jeder für sich entscheiden, was ihm besonders wichtig ist. Das bedeutet allerdings noch lange nicht, dass diese gesetzten Prioritäten auch morgen noch Gültigkeit haben.

 

Schon mit ihrer Reise nach München stürzt sich Susanne ins nächste Abenteuer. Aber auch in Hamburg droht mehr als genug neues Ungemach. Und es wäre ein Wunder, wenn Königin Chaos es nicht schaffen würde, alles – im Handumdrehen und von einem Tag auf den anderen – auf Links zu krempeln. Wer braucht schon Ruhe?

 

Melina D’Angeli:

Küssen kann man nicht alleine ist mein erster Schritt auf eigenen Füßen. Zuvor ist Der Prinz auf dem Fahrrad erschienen, den ich – zusammen mit meinem lieben Freund und Kollegen Thomas Herzberg – veröffentlicht habe.

Meine Bücher beschäftigen sich übrigens mit ganz normalen Frauen, die – außerhalb von Model-Maßen, Silikon-Tuning oder Botox – mit dem Leben und seinen alltäglichen Herausforderungen zu kämpfen haben. In dieser Welt haben auch die wenigsten Männer einen Waschbrett-Bauch oder fahren Porsche … ;)

Alle Bücher von Melina D’Angeli

Aus der Reihe Küssen kann man nicht alleine:

 

 

Unter Melanie Schubert:

 

 

Aktuelle Informationen, Newsletter-Service und Aktionen findet ihr (noch) auf der Homepage von Thomas Herzberg, der mich dort als Gast aufgenommen hat :)

 

ThomasHerzberg.de

Prolog

 

›Dr. Schramm. Kardiologe (alle Kassen)‹

Dieses an sich eher harmlose Schild weckte mittlerweile eine Vielzahl von Gefühlen in mir. Wobei ich gestehen muss, dass keines davon positiver Natur war. Vielleicht lag es an Doktor Schramm selbst, der, zumindest meinem Empfinden nach, das Feingefühl eines osteuropäischen Akkord-Schlachters mitbrachte. Oder es war schlichtweg der Anlass, der mich in immer regelmäßigeren Abständen in sein als Arztpraxis getarntes Gruselkabinett trieb.

Sei’s drum! Wieder einmal saß ich im Wartezimmer – dem gefühlten Vorhof zur Hölle. Das obligatorische Belastungs-EKG hatte ich hinter mir, keuchte allerdings noch immer wie eine alte Dampflok. Ferner überlegte ich, ob es angebracht sei, mich intensiv mit meinem Letzten Willen zu beschäftigen. Alle interessanten Magazine waren vergriffen, und da mir weder nach einer Autozeitschrift noch einem Heimwerker-Ratgeber der Sinn stand, beschränkte ich mich darauf, Löcher in die Decke zu starren.

»Frau Ziegler«, quakte es nach einem gefühlten Erdzeitalter undeutlich aus dem Lautsprecher. Wie bei jedem Mal zuvor tauschten alle Wartenden verwirrte Blicke. Denn diese Frau Ziegler hätte – selbst ohne blumige Fantasie – auch ebenso gut ›Meyer‹, ›Schulze‹ oder ›Kramer‹ heißen können. Außerdem hatte ich meine Zeit gerade damit verbracht, zu planen, wie ich das nächste Weihnachtsfest und womöglich auch noch meinen Geburtstag einigermaßen komfortabel in diesem Wartezimmer verbringen könnte.

»War das Ziegler?«, fragte ich in die Runde.

Die eine Hälfte nickte, die andere schüttelte den Kopf oder wirkte unentschlossen.

»Könnte auch Weber gewesen sein«, meinte ein dicker Kerl mit hochrotem Kopf, der mir gegenübersaß.

»Heißt hier denn jemand Weber?« Ich schaute ein weiteres Mal in die Runde und erntete nur Kopfschütteln. Also erhob ich mich träge und hätte am Ende fast noch die Tür an den Kopf bekommen.

»Frau Ziegler, der Doktor wartet auf Sie. Warum kommen Sie denn nicht?« Eine der Sprechstundenhilfen stand mir direkt gegenüber und musterte mich kopfschüttelnd. »Sie wissen doch, dass wir hier einen straffen Zeitplan haben.«

Ich verzichtete auf jegliche Rechtfertigung und wackelte stattdessen mit hängenden Schultern hinter der Frau her, die mich gestenreich in Folterkammer 2 delegierte. »Der Doktor kommt sofort. Machen Sie sich am besten obenrum schon mal frei«, forderte sie mich tonlos auf und zog danach die Tür ins Schloss.

Wenigstens etwas! Ansonsten hätte ich auch gleich im Wartezimmer die Hüllen fallen lassen können.

 

Es verging noch eine gute Viertelstunde, bis Doktor Schramm atemlos hereingestürmt kam. Mühsam presste er sich ein »Guten Morgen« ab, natürlich ohne mich dabei anzusehen. Sein Blick klebte stattdessen in meiner Akte. »Ihr heutiges EKG ist tatsächlich noch ein Stück schlechter als das letzte«, begann er und ließ sich geräuschvoll in seinen Ledersessel fallen.

Soviel zum Thema Feingefühl!

»Eigentlich hatte ich gehofft …«

»…, dass ich sterbe und nicht wiederkomme?«, beendete ich seinen Satz mit giftiger Stimme.

Zum ersten Mal hob Doktor Schramm seinen Kopf. Als er mich jetzt ansah, wünschte ich mir sofort, er hätte es lieber gelassen. »Nein! Ich habe mir gewünscht, dass Sie wenigstens einen Teil meiner Ratschläge beherzigen. Es soll – zumindest gerüchteweise – Patienten geben, denen ich helfen konnte. Die sich bester Gesundheit erfreuen und die in frühestens hundert Jahren an Altersschwäche oder bei einem Autounfall sterben.«

Ich nickte nur und feilte noch an einer geeigneten Antwort, als der erste Diener des Teufels unverändert energisch mit seiner verbalen Hinrichtung fortfuhr: »Sie schreiben hier, dass Sie neuerdings mindestens dreimal in der Woche unter Herzrhythmusstörungen leiden.« Er blätterte auf die nächste Seite meiner Akte. »Das war bis vor einiger Zeit nicht so häufig, oder?«

»Man gewöhnt sich dran«, gab ich in gelangweiltem Ton zurück.

»Wie sieht es mit dem Rauchen aus?«

»Eher weniger.«

»Ist das die Wahrheit?« Doktor Schramm runzelte die Stirn, anscheinend wollte er mich mit Blicken durchbohren.

»Ich wüsste nicht, warum ich lügen sollte.«

»Und Alkohol?«

»Auch weniger, definitiv!«

Schnaufend warf Doktor Schramm meine Akte auf seinen Schreibtisch und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Zum ersten Mal, seitdem ich ihn kannte, huschte ein vorsichtiges Lächeln über sein Gesicht.

Vielleicht war er doch nicht der Antichrist.

»Dann fangen Sie mal an«, forderte er mich mit auffallend freundlicher Stimme auf.

»Womit soll ich anfangen?«

»Wenn Sie die wesentlichen Risikofaktoren sogar reduziert haben, dann bleibt am Ende nur eine Sache …«

»Und die wäre?«, unterbrach ich ihn barsch.

»Ihr Privatleben, was sonst?«

»Jetzt kommen Sie mir wieder mit der Masche – das hatten wir doch schon!«

Doktor Schramm griff erneut nach meiner Akte und durchblätterte sie in aller Seelenruhe. Im Wartezimmer lichteten sich die Reihen vermutlich bereits durch spontanes Ableben einzelner Patienten. »Sie haben eine Tochter.«

»Das klingt ja fast wie ein Vorwurf«, protestierte ich. »Haben Sie Kinder?«

Er nickte nur. »Was ist mit Ihrem Mann? Ich erinnere mich, dass sie mir bei unserem letzten Termin etwas von Streitereien erzählt haben.«

Donnerwetter! Entweder der Mann hatte ein phänomenales Gedächtnis oder er war schlicht und einfach ein Perverser, der das Leid anderer akribisch dokumentierte, um sich nach Feierabend daran aufzugeilen.

Vorsicht, Susanne! Vielleicht will dir der alte Sack an die Wäsche!

»Wir haben uns getrennt – endgültig«, gab ich vorsichtig zurück.

»Leidet Ihre Tochter sehr unter der Trennung? Ist alles in Ordnung mit ihr?«

»Wie man’s nimmt, sie ist schwanger … mit siebzehn.«

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Doktor Schramm so etwas wie Gefühle hatte, dann wusste er die sehr gut zu verbergen. Ich hätte ihm vermutlich ebenso gut den Wetterbericht der nächsten zwei Tage vorlesen können, um danach ähnliche Reaktionen aufzufangen.

»Gibt es einen neuen Mann in Ihrem Leben?«, bohrte er mit seltsamem Grinsen weiter.

Aha! Endlich hat die Maskerade ein Ende. Wusste ich es doch!

»Warum fragen Sie?«, erkundigte ich mich, um ein möglichst naives Gesicht bemüht. »Es gibt da vielleicht einen, mit dem es etwas werden könnte«, schickte ich kleinlaut hinterher. »Aber ich wüsste nicht, was das mit meinen Problemen zu tun haben soll.«

Doktor Schramm warf meine Akte mit ausladender Bewegung auf seinen Schreibtisch zurück und musterte mich einen Moment lang mitleidvoll. Kurz darauf erhob er sich wie in Zeitlupe und schlurfte mit winzigen Schritten um seinen Schreibtisch herum. Ehe ich mich versah, hatte er sich direkt vor mir auf seiner Schreibplatte niedergelassen, ohne dabei auf den ganzen Krempel zu achten, der dort herumlag. Als er dann, zu allem Überfluss, auch noch meine Hand nahm, glaubte ich in einem Horrorfilm gelandet zu sein. »Eine bevorstehende Scheidung, Ihre schwangere Tochter und dazu Beziehungschaos«, fasste er den kümmerlichen Rest meines Lebens in gleichgültigem Ton zusammen. »Schätze, wenn wir tiefer graben würden, dann käme da vermutlich noch einiges dazu.« Sein Daumen strich über meine Hand.

Ich hörte ihm gar nicht mehr richtig zu, sondern fragte mich, wann das Ekelgefühl endlich einsetzen und ich mich am Ende vielleicht sogar übergeben würde.

»Es scheint mir so, als ob Ihr Leben momentan aus vielen Baustellen besteht, Frau Ziegler. Gegen das, was Sie haben, gibt es keine Medikamente.«

»Und wie lautet dann Ihre Diagnose, Erhabener?«

»Liebeskummer!«

 

 

Doktor Schramms Praxis hatte ich wenig später fluchtartig verlassen. Wie betrunken oder unter Drogen war ich eine Weile durch das Einkaufszentrum getorkelt. Am Ende landete ich dann wieder in dem kleinen Café, in dem ich mich gerne mit Cappuccino und einem Muffin für meinen Mut und mein Durchhaltevermögen belohnte.

Die nächsten Minuten saß ich wie gelähmt einfach nur da und beobachtete die vorbeiströmenden Massen, ohne wirklich etwas wahrzunehmen.

Was genau ist denn eigentlich Liebe?, überlegte ich, nachdem die Kellnerin meine Bestellung abgeladen hatte. Und gibt es überhaupt eine allgemeine Antwort auf diese Frage? Oder hat jeder seine eigene parat?

Und wo wir schon bei dem Thema sind, was darf ich denn bitte unter der Diagnose Liebeskummer verstehen? Da stell ich mir gleich die entsprechende Krankmeldung oder Überweisung vor. Diagnose: Liebeskummer. Da hat man vermutlich nicht mit Hilfe, sondern bestenfalls mit der Überweisung in die geschlossene Psychiatrie zu rechnen.

Selten blöder Titel! Und trotzdem scheint es ausgerechnet bei mir zuzutreffen.

Aber vielleicht ist es besser, wenn wir einfach dort weitermachen, wo wir beim letzten Mal aufgehört haben. Schließlich ist einiges passiert und ich sitze ja nicht ohne guten Grund bei Doktor Schramm und veranstalte einen Seelen-Striptease.

 


1

Drei Tage zuvor

 

»Dieses Flugzeug macht auf mich den Eindruck, als ob sie einem maroden Stadtbus in St. Pauli Flügel angeschraubt hätten, statt ihn zu verschrotten.« Ich schaute kopfschüttelnd auf den Sitz vor mir, der haufenweise durchgescheuerte Stellen aufwies. Das Fach, in dem sonst die Sicherheitshinweise und nutzlose Bordmagazine steckten, hatte jemand komplett abgerissen. »Fehlen eigentlich nur noch die Graffiti und Kaugummi unter den Sitzen.«

»Gott sei Dank ist es dunkel, da sieht man nicht so viel von dem Elend«, gab Conny kichernd ihren Senf dazu. Sie saß direkt neben mir, so dicht, dass sich unsere Schultern permanent berührten. Mittlerweile bekam sie sich vor Lachen gar nicht mehr ein. Kurz darauf kehrte ihre Hand von der Kante ihres Sitzkissens zurück. »Irrtum, Schätzchen!« Sie musterte ihre Finger mit angewidertem Blick. »Wenn ich gewusst hätte, dass wir mit so einem abgehalfterten Rosinenbomber nach München fliegen, dann …«

»Denk besser daran, worum es geht«, unterbrach ich sie grob und deutete im nächsten Moment aus dem Fenster, weil entweder wir uns in Bewegung setzten oder die Maschine neben uns. »Sag mir lieber, wie ich Franzi die Sache erklären soll.«

Conny zuckte mit den Schultern. So schnell schien ihr nichts Sinnvolles einzufallen.

»Das Mädchen ist völlig fertig, und ihre Rabenmutter bricht ans Ende der Welt auf, um dort …«

»Ähm.« Conny räusperte sich. »Wir fliegen nach München. Das ist zwar nicht gerade um die Ecke, aber noch lange nicht das Ende der Welt, Schätzchen. So schlecht warst selbst du nicht in Erdkunde. Außerdem hab ich dich nicht gezwungen mitzukommen.«

Statt meine Freundin mit einer Antwort zu verwöhnen, ließ ich mich in meinen wackeligen Stuhl zurückfallen und schnaufte vor mich hin. Kurz darauf schob sich eine Stewardess an unserer Sitzreihe vorbei und schenkte mir ein künstliches Lächeln. Genervt schloss ich für einen Moment die Augen, wofür sich mein Verstand sofort mit einer Bestandsaufnahme des aktuellen Wahnsinns bedankte.

»Was hat Ralfs Mutter eigentlich gesagt, als du ihr erzählt hast, dass wir nach München kommen?« Kurz zuvor hatte ich mich zur Seite gedreht und widerwillig die Augen geöffnet. Als ich Conny sah, bemerkte ich, dass sie sich mit der Antwort auf meine Frage schwertat.

»Sie hat gesagt, dass wir lieber wegbleiben sollen.«

»Das ist alles?«

Conny schüttelte den Kopf und öffnete den Mund. Wobei ich nicht daran glaubte, dass im nächsten Moment etwas Positiveres folgen würde. »Am Ende hat sie gemeint, dass wir auch in ihrem Vorgarten zelten könnten … sie will trotzdem nicht mit uns reden.«

»Und hat sie einen Grund genannt«, bohrte ich in vorsichtigem Ton.

»Nein!« Conny sank noch ein Stück weiter in sich zusammen. »Ich hab sie gefragt – mehrfach –, aber sie wollte einfach nicht mit der Wahrheit rausrücken.«

 

Irgendwann setzte sich unsere Maschine dann tatsächlich in Bewegung. Jetzt gab es kein Zurück mehr, ganz gleich wie sinnlos mir dieser spontane Husarenritt mittlerweile auch vorkam. Das Knarren und Quietschen aus jeder Ecke wirkte auch nicht besonders vertrauenerweckend. Und auch als der Pilot auf die Startbahn abbog und damit den Blick auf eine endlos wirkende Lichterkette freigab, beschäftigten sich meine Gedanken in erster Linie mit den Konsequenzen meines unmittelbar bevorstehenden Ablebens.

Hatte ich meine Schmutzwäsche einigermaßen vernünftig entsorgt?

Ob Franzi, nachdem sie mein Haus geerbt hätte, sofort einziehen würde?

Und wie viel Schadenersatz würde eine – mutmaßlich finanziell dahinsiechende – Billigfluglinie eigentlich den Hinterbliebenen zahlen?

Während das Flugzeug mit dröhnenden Turbinen über die Startbahn raste, war ich mir absolut sicher, dass der Pilot vor dem Start mindestens eine halbe Flasche Whisky und vermutlich fünf Halbe dazu getrunken hatte. Erst als wir in der Luft waren und für einen kurzen Moment dieses Gefühl der Schwerelosigkeit einsetzte, wollten sich mein Verstand und meine Angst auf ein erstes Teilergebnis einigen: Vielleicht überlebe ich es ja doch.

 

»Wir landen jede Minute in München.« Conny zerrte an meinem Ärmel herum und ließ nicht nach, bis ich endlich die Augen öffnete. »Du bist eine Minute nach dem Start eingeschlafen. Davor wolltest du noch ins Cockpit aufbrechen und die Piloten zur Rede stellen.«

Ich schüttelte verwirrt den Kopf und schaute mich in alle Richtungen gleichzeitig um. »Bin ich wirklich eingeschlafen?«

»Nein! Ich hab dich k.o. geschlagen, weil du so viel dummes Zeug geredet hast.« Conny schloss sich meinem Kopfschütteln an. »Natürlich bist du eingeschlafen und ich blättere hier seit fast ’ner Stunde in einer fünf Monate alten Illustrierten rum.«

»Wenigstens war die Sache billig«, presste ich heraus, bemüht, ein weiteres Gähnen zu unterdrücken.

»Wie viel?«

»Hundertsechzig.«

»Das ist günstig, für ein Ticket!« Conny schenkte mir ein bewunderndes Nicken.

»Für beide, Sugar. Hin und zurück.«

»Jetzt wundert mich nichts mehr.«

Die Landung verlief unerwartet sanft. Nur dass man uns mitten auf dem Rollfeld absetzte und zu diesem Zeitpunkt nicht mal ein Bus bereitstand, der uns zum Terminal bringen würde, weckte erneut Unmut in mir. »Wenn wir zurück in Hamburg sind, dann versuche ich, mir die Hälfte von dem Wucherpreis zurückzuholen«, pöbelte ich lauter als notwendig, damit auch die anderen Fluggäste etwas davon mitbekamen.

»Du bist wirklich unmöglich, Susanne!« Als kurz darauf der Bus eintraf, ließ mich Conny einfach stehen und drehte sich nicht mal um für den Fall, dass ich ihr nicht folgte. Erst vor dem Terminal nahm sie wieder Kenntnis von meiner Existenz. »Wie heißt denn das Hotel, das dein Stefan für uns reserviert hat?«

»Mein Stefan! Du hast sie wohl nicht mehr alle«, moserte ich zurück und boxte meiner Freundin gegen die Schulter. »Unsere Beziehung ist rein platonisch, im Gegensatz zu …«

»Vorsicht, Baby!« Conny funkelte mich an. Plötzlich hob sie sogar die Fäuste, als ob sie es auf einen Faustkampf ankommen lassen wollte.

Ich marschierte los und ließ sie einfach stehen. Rache ist süß!

»Was ist jetzt mit dem Hotel?«, hechelte Conny, nachdem sie mich eingeholt hatte.

»Wir sollen uns am Schalter seiner Airline melden, dann bekommen wir einen Gutschein – für irgendein Hotel, keine Ahnung.«

 

»Ich fürchte, da war der Kollege wohl etwas zu optimistisch. Bis zum Ende der Woche geht in München gar nichts – Messe!« Das künstliche Lächeln der Stewardess hinter dem Informationsschalter ließ nicht nach, trotz dieser Hiobsbotschaft. Bevor ich weiter an einer passenden Reaktion formulierte, versuchte ich mir vorzustellen, wie dieses viel zu dick geschminkte Service-Ungeheuer ein Todesurteil verlas: Sie sind zum Tode verurteilt! Die erste Tür links, jeder nur ein Kreuz. Hahaha … oh … Wir haben zu wenig Kreuze. Da geht bis zum Ende der Woche gar nichts mehr – Messe. Da war der Kollege wohl etwas zu optimistisch.

»Wir kommen aus Hamburg und sind gerade erst gelandet. Wo sollen wir denn jetzt bleiben?« Es war Conny, die es noch vor mir schaffte, ihre Fassungslosigkeit in Worte zu kleiden. Mehr wollte ihr anscheinend nicht einfallen, deswegen schaute sie die Stewardess nur noch mit giftigem Blick an.

»Donnerwetter! Aus Hamburg.« Die uniformierte Kunden-Abwehr-Maschine schien völlig unbeeindruckt zu sein. »Na, wenn das so ist …« Sie tat so, als ob sie in einem Ordner blätterte. »In einer Dreiviertelstunde geht ein Rückflug nach Hamburg, der letzte für heute. Vielleicht sollten Sie sich überlegen, ob Sie den nehmen.«

Statt die Stewardess weiter mit Blicken zu foltern, funkelte Conny nun mich wütend an. »Hast du dein Sprachzentrum beim Aussteigen im Flugzeug vergessen?« Sie schüttelte pausenlos den Kopf. »Was sollen wir denn jetzt machen?«

»Ich hab Hunger!« Das Einzige, was mir in diesem Moment einfiel. Aber auch diese spontane Reaktion wollte nicht dazu beitragen, dass Conny sich beruhigte. Sie machte auf dem Absatz kehrt und raste bereits mit langen Schritten quer durch den Terminal, der um diese Zeit schon relativ verlassen wirkte.

»Ist Ihre Freundin immer so drauf?«, fragte mich die Stewardess, zum ersten Mal mit einem glaubwürdigen Lächeln. »Wenn ich könnte, dann würde ich Ihnen gerne helfen.« Sie beugte sich ein Stück über den Informations-Tresen und fuhr flüsternd fort. »Im Zentrum bekommt man immer was. Aber dafür muss man dann auch zwischen drei- und vierhundert Euro hinblättern.«

Ich nickte nur gedankenversunken und schenkte der Frau am Ende ein freundliches Lächeln. Es wurde Zeit, Conny zu folgen, bevor die womöglich im nächtlichen München verschollen ging.

Das hätte mir gerade noch gefehlt!

 

»Was ist – hast du eine Idee?«

Ich hatte Conny am Taxistand gefunden. Wie ein Häufchen Elend hockte sie auf einer Bank und klammerte sich an ihrer Reisetasche fest. Ihre Stimme klang seltsam gepresst. So entnervt und wütend hatte ich meine beste Freundin zuvor noch nie erlebt. »In der Innenstadt gibt es Hotels, die immer was frei haben.«

Conny schaute auf. »Stundenhotels, oder was?«

»Eher das Gegenteil. Aber wir müssen im Extremfall mit vierhundert Euro pro Nacht rechnen.«

»Ich wollte mir eigentlich einen neuen Küchentisch und vier Stühle gönnen. Das kann ich jetzt wohl auch vergessen. Außerdem …«

»Wir lassen im Hotel einfach ein paar Möbel mitgehen«, unterbrach ich sie grinsend. »Wenn wir das Mobiliar in kleine Teile zerlegen, dann passt es vielleicht in unsere Taschen.«

Conny erwiderte mein Grinsen und stemmte sich in diesem Moment von der Bank hoch. »Lass es uns tun. Spätestens morgen Abend fliegen wir ohnehin zurück.«