John Taylor

John

Taylor

Gefährlich gute Grooves

Liebe, Tod und Duran Duran

Aus dem Englischen von Olaf Rippe

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www.hannibal-verlag.de

Impressum

Der Autor: John Taylor

Deutsche Erstausgabe 2013

Titel der Originalausgabe:

„In the Pleasure Groove – Love, Death & Duran Duran“

© 2012 by John Taylor

ISBN: 978-0-7515-4904-1 by Sphere, ein Imprint von Little, Brown Book Group, 100 Victoria Embankment, London EC4Y 0DY, UK

An Hachette UK Company

Coverdesign: Patty Palazzo

Coverabbildung: © Kristin Burns

Rückseite im Uhrzeigersinn von oben links: © Kristin Burns, © Popperfotos/Getty Images,
© EMI Archive, © Privatarchiv des Autors, © Ken Regan, © Privatarchiv des Autors,
© Privatarchiv des Autors

Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com

Übersetzung: Dr. Olaf Rippe

Lektorat und Korrektorat: Hollow Skai

© by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN 978-3-85445-409-0

Auch als Hardcover erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-408-3

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Der Verlag und der Autor übernehmen weder die Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für Schäden jeglicher Art, die durch den Gebrauch von in diesem Buch enthaltenen Informationen verursacht werden können. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Inhalt

Zitate

Intro: Brighton, 29. Juli 1981

Teil 1: Analoge Jugend

1 Hey Jude

2 Jack, Jean und Nigel

3 Sounds der Vorstadt

4 Katholische Mahn-Klausel

5 Eine Hollywood-Erziehung

6 Mittendrin und unsichtbar

7 Junior Choice

8 Meine Mondlandung

9 Nebendarsteller

10 Der Flaneur von Birmingham

11 Neurotischer Außenseiter

12 Shock Treatment

13 Barbarella’s

14 Ballroom Blitz mit Synthesizern

15 Everybody Dance

16 Pläne für Nigel

17 Tolle lange Beine

18 Start in die Achtziger

19 Nie klang die Musik besser

20 Ankunft der Poesie

21 Das letzte Debüt

22 Taylor, Taylor, Taylor, Rhodes, Le Bon

23 Bieterkrieg

24 Begnadete Diplomatie

25 Göttliche Dekadenz

26 Manic Panic

27 Perfekter Pop

Bildstrecke 1

Teil 2: Hysterie

28 Das ganze Paket

29 Auf ins gelobte Land

30 Erinnerungs-Quiz

31 Gesetzliches Mindestalter

32 Gold, Silber und Platin

33 Paradiesvogel

34 Spaß-Routine

35 Sie nannten es MTV

36 Down under und obenauf

37 Im Anzug auf der Yacht

38 Theodore & Theodore

39 Sex im Sarg

40 Jacoby Place

41 Das Jahr der Ortswechsel

42 Karibische Luft

43 Die Erwartungen von heute sind die Enttäuschungen von morgen

44 Unbegrenzte Spielräume

45 Ernüchterung und Reflex

46 Zeit zum Absahnen

Bildstrecke 2

47 „The Remix“

48 Größenwahn am Ruder

49 Geborgenheit in der West Fifty-Third Street

50 Nouveau Nous

51 Schuldgefühle

52 Real World, Wheel World

53 Das Model

54 Burnout

55 Is This the End, My Friend?

Teil 3: Digitale Wahrheit

56 Toter Tag

57 Im Dunkeln

58 Notorious

59 Dem Schlaganfall nahe

60 Jagd nach der Welle

61 Futter für den Boulevard

62 Hochzeits-Spaghetti

63 Komm, wir gehen nach L.A.

64 Paranoia am Lake Shore Drive

65 Millionen kleine Verlockungen

66 Tucson

67 Tag 31

68 Brüder im Geiste

69 Gela

70 Eine andere Art von Tiefe

71 Reunion Of The Snake

72 Osaka Ortszeit

73 Überleben lernen

74 Coachella, Indio, Kalifornien, 17. April 2011

Danksagung

Nachweise

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Zitate

Eine Zeitlang zurückzublicken tut den Augen wohl

und lässt sie umso wacher werden

für ihre eigentliche Funktion: nach vorne zu schauen.

Margaret Fairless Barber

And I won’t cry for yesterday, there’s an

ordinary world somehow I have to find

And as I try to make my way to the ordinary world

I will learn to survive

Duran Duran, „Ordinary World“

Eine Krise ist auch eine Chance

Chinesische Weisheit

Intro: Brighton, 29. Juli 1981

Montagabend im Brighton Dome, in zwei Wochen erscheint unsere dritte Single, „Girls On Film“. Vor einem Monat war mein
21. Geburtstag.

Das Licht geht aus und „Tel Aviv“ setzt ein. Wir haben diesen beschwörenden, orientalisch angehauchten Instrumental-Track von unserem neuen Album für die Eröffnung ausgewählt, damit das Publikum merkt, dass die Show gleich anfängt.

Aber seltsam, wir hören gar keine Musik. Was ist da draußen los? Der Sound der Menge. Immer lauter. Größer. Sie rufen nach uns.

Kreischen.

Und dann heißt es, hinter dem Sicherheitsvorhang entlang: raus auf die Bühne. Ein Anflug von Angst. Wir werfen uns nervöse Blicke zu. Schneiden Grimassen. „Träume ich?

Wir stöpseln unsere Instrumente ein; der Bass läuft, die Drum-Beats sind da, die Gitarren zu den Keyboards gestimmt.

Fertig.

„Tel Aviv“ erreicht den Schlussteil. Auf geht’s.

Der Vorhang hebt sich vor unserem neuen Leben.

Bis unter das Dach reichen die PA-Türme, die unsere Instrumente verstärken. Doch ihre ganze Power ist machtlos gegen die sexuelle Energie, die aus dem jugendlichen Publikum auf uns zu wogt.

Ihre Kraft ist fast greifbar. Ich spüre den ganzen ersten Song hindurch, wie sie sich meiner Arme, Beine und Finger bemächtigt. Unablässig branden ihre Wellen auf die Bühne.

Wir haben keine Chance, uns Gehör zu verschaffen, aber das macht nichts. Es hört uns sowieso niemand zu. Sie sind gekommen, um sich selbst zu hören. Um gehört zu werden. Und was sie zu sagen haben, ist: „Nimm mich, MICH! Ich gehöre dir! John! Simon! Nick! Andy! Roger!“

Als unser erster Song mühsam stolpernd zum Halten kommt, sehen wir uns gegenseitig hilfesuchend an. Aber irgendwie hat der nächste Song schon ohne uns angefangen. Wir haben die Kontrolle verloren. Sitze werden zertrümmert. Kleider heruntergerissen. Es gibt Verletzte. Zusammenbrüche. Eine Szene wie von Hieronymus Bosch. Alle weiblichen Teenager Großbritanniens erleben zeitgleich ihre Jugend-Krise, genau jetzt, mehr oder weniger im Takt unserer Musik. Der Wahnsinn ist ansteckend. Wir sind der Auslöser für ihre Explosionen, eine nach der anderen, tausendfach.

Wir sind zu Idolen geworden, zu Ikonen. Objekten der Anbetung.

Teil 1: Analoge Jugend

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1: Hey Jude

Ich bin vier Jahre alt. Aufgeweckt und schüchtern. Die Haare sind blonder als später in meiner Teenager-Zeit. Ich trage Shorts und Sandalen und bin ein kleiner Prinz der Vorstadt im Süden von Birmingham, in Hollywood. Wie perfekt.

An einem typischen Wochentag des Jahres 1964 bin ich um zehn Uhr morgens aus dem Haus geschlüpft und hüpfe auf dem rauen Beton der Einfahrt herum. Ich sehe zu, wie meine Mum die Haustür zuzieht, abschließt und den Schlüssel in ihre Handtasche legt; die Handtasche verstaut sie in ihrer Einkaufstasche, und es geht los. Links aus der Einfahrt heraus und den Hügel hinauf, das ist die Straße, in der wir leben, die Simon Road. Unser Haus ist die Nummer 34, das vorletzte der Straße.

Wir gehen zusammen den Fußweg entlang und zählen abwärts: 32, 30, 28. Auf der linken Seite der Straße stehen all die Doppelhäuser mit den geraden Hausnummern, jede Hälfte ein separates Eigenheim (unseres steht Seite an Seite mit der Nummer 36). Die Gebäude mit den ungeraden Hausnummern auf der anderen Straßenseite sind freistehende Wohnhäuser, allesamt weit größer als unseres, was auch für die baumreichen, langgestreckten Gärten gilt, die unten an ein Flüsschen grenzen. Auch sind die Auffahrten ebener und bieten Platz für mehr als ein Auto.

Als ich später statusbewusster wurde, fragte ich meine Eltern: „Warum habt ihr damals nicht sechshundert Pfund draufgelegt, dann hätten wir jetzt einen Bach im Garten?“

Ich halte Mums Hand und denke an den Beatles-Song, der so oft im Radio läuft, als der Anstieg steiler wird. Wir erreichen den Kamm des Hügels, wo die Simon Road auf die Douglas Road trifft, und biegen rechts ab.

Wir kommen an einem vier Meter hohen Holly-Busch, einer Stechpalme, vorbei, der einzige mir bekannte Hinweis darauf, woher die Siedlung ihren Namen hat. Wir marschieren weiter, überqueren die Hollywood Lane auf Höhe des Gay Hill Golf Clubs, eine Einrichtung, die ich später in meiner Vorstellung als Schauplatz von Partnertauschpartys mythisch verklären werde. Nicht dass irgendjemand aus meiner Familie diese Stätte jemals betreten hätte, und an dem Gerücht war auch nichts dran.

Autos rasen vorbei, mit vierzig oder gar fünfzig Kilometern pro Stunde. Wir erreichen die Highter’s Heath Lane, eine weitere Verkehrsader der Gegend, die man nehmen muss, wenn man das alte Birmingham der Omas, Tanten und Onkel, der Erholungsparks und gepflegten Grünanlagen besuchen will. An den Wochenenden ist die Familie Taylor viel auf dieser Straße unterwegs. Auch Mutter und Sohn müssen sie benutzen, um ihr heutiges Ziel zu erreichen: die Pfarrkirche St. Jude.

Diese ganze Lauferei. Wir machen das, seit ich denken kann. Mum fährt nicht selbst Auto und wird es nie tun. Zuerst saß ich in meinem Kinderwagen, aber jetzt bin ich so alt, dass ich neben ihr her gehen kann, was eine Erleichterung für sie sein muss. Ich klage nicht, es ist halt so und wird immer so sein. Amen.

Mum schwitzt jetzt in ihrem Wollkleid und dem Regenmantel, sie will endlich ankommen. Wir passieren die Esso-Tankstelle, in der ich 1970 meine Sammlung von Gedenkmünzen zur Fußballweltmeisterschaft vervollständigen werde. Eine letzte Biegung nach links und wir sind auf dem gepflasterten Platz, wo die Kirche von St. Jude in ihrer Waschbeton-Pracht steht.

Als ich älter war, habe ich viele wunderschöne, beeindruckende Kirchen gesehen: St. Patrick in der Fifth Avenue, den Petersdom in Rom, Notre Dame in Paris. Aber in der ganzen westlichen Welt gab es keine zweckmäßigere Kirche für das Volk als St. Jude in der Glenavon Road. Man hatte sie in der unmittelbaren Nachkriegszeit als Provisorium für ein paar Jahre gebaut. Jetzt geht sie auf die Zwanzig zu, es zieht und klappert an allen Ecken. Der Bau ist einstöckig, hat ein Wellblechdach und auf seiner gesamten Länge alle zwei Meter ein Fenster.

Diese Schlichtheit verstärkte bei den Gläubigen von St. Jude die Vorstellung, auserwählt zu sein. Warum sonst sollten wir uns an diesem kalten, hässlichen Ort versammeln, wenn wir nicht gewiss sein konnten, dafür belohnt zu werden?

Pater Cassidys großartige Spendenkampagne in den Siebzigerjahren hatte schließlich eine neue St.Jude’s-Kirche zum Ergebnis. Das war keine geringe Leistung. Keiner der Kirchgänger war wohlhabend oder gar reich. Alle mussten auf den Penny achten. Von diesen Gemeindemitgliedern Geld einzusammeln, um davon eine neue Kirche zu bauen, erforderte viel Überredungskunst.

Zum Glück hatte der Pater Gott auf seiner Seite.

Unser Sinn für Gemeinschaft führt uns durch die kleine Eingangshalle, wo auf einfachen Holztischen Bücher ausliegen; manche muss man kaufen, andere sind kostenlos. Es gibt Sachbücher, Bibeln, Liederbücher und andere Artikel wie Rosenkränze, Kruzifixe und Schmuckanhänger in Gestalt des Heiligen Judas Thaddäus, des Schutzpatrons der hoffnungslosen Fälle.

Weiter ins Mittelschiff, wo es nach Schweiß und Weihrauch vom Vortag riecht. Meist ist es kühl hier drin, manchmal warm, aber nie heiß. Ein großer, rothaariger Mann spielt auf einer klapprig aussehenden Orgel, aus deren Pfeifen zarte, flüchtige Musik ertönt. Eno würde sie atmosphärisch nennen. Träge brennende Kerzen verströmen einen gottgefälligen Duft.

Schlag elf beginnt die Messe. Der Priester kommt schick gekleidet herein, gefolgt von zwei jungen Männern in weißen Gewändern – das Team des Geistlichen, seine Truppe. Einer von ihnen schwenkt einen silbernen Kelch, aus dem noch mehr Weihrauch strömt. Die Luft in der Kirche muss gründlich gereinigt werden, bevor der gute Pater sie einatmen kann.

Er trägt eine kunstvolle Robe aus grün-goldener Seide mit einem roten Kreuz auf dem Rücken. Unterhalb des Umhangs geben die knöchellangen, umgekrempelten Hosenbeine den Blick auf schwarze Socken und Straßenschuhe frei.

Die Musik schwillt an, und wir stehen alle auf. Der rothaarige Mann leitet uns in ein Lied, das wir alle gut kennen, „The Lord Is My Shepherd“. Ich öffne das Gesangbuch, um den Text zu lesen. Ich mag dieses Lied, aber wie Mum bin ich zu verlegen, um laut mitzusingen. Ich wünschte, ich könnte es, aber es geht einfach nicht. Doch ich mag das Gemeinschaftsgefühl, das entsteht, wenn alle im Raum dieselben Worte singen.

Als das Lied zu Ende ist, schreitet der Priester zum Podium. Er blickt hinunter auf seine Bibel, öffnet weit seine Hände und sagt: „Lasst uns beten.“

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2: Jack, Jean und Nigel

Die Kirche war einfach da. Wie der Strom, die Heizung oder das Schwarzweiß-Fernsehen – etwas, das einfach existierte. Ich nahm an, dass jeder fünf Mal die Woche hinging. Ich wusste nicht, dass ich anders war, ich war römisch-katholisch.

Man hinterfragt solche Dinge nicht, wenn man klein ist. Ich fragte nie, warum Mum und ich fast jeden Tag zur Kirche gingen, oder warum Dad, wenn er uns sonntags hinfuhr, uns einfach absetzte und nachher wieder abholte.

Meine Eltern sind in der Innenstadt von Birmingham aufgewachsen. Mum war in Liverpool zur Welt gekommen. Als sie noch ein Kleinkind war, zog ihre Familie, die Harts, nach Birmingham in die Colemeadow Road, wo sie ein großes, freistehendes Eckhaus bezog. Sie brauchten den Platz: Mum war eine von fünf, bis ihre Schwester Nora Trevor zur Welt brachte, der mit in der Familie aufwuchs. Das machte sechs. Ihr Vater Joseph, der vor meiner Geburt starb, widmete sein Berufsleben der Gewerkschaftsarbeit; er hatte ursprünglich eine Stelle in Liverpool bei der Gewerkschaft der Werftindustrie, zog aber für einen besseren Job nach Birmingham um. Der Bürgermeister von Birmingham kam zu seiner Beerdigung. Ging man die Straße, in der die Harts wohnten, ein Stück hoch, wurden die Behausungen kleiner; enge, solide gebaute viktorianische Reihenhäuser, klein aber fein, die Toilette nach hinten raus.

In einem davon, in der Nummer 10, lebten die Taylors.

Mein Vater Jack – eigentlich John – wurde 1920 geboren. 1939 war er also neunzehn, was ihn zu Frischfleisch für den Zweiten Weltkrieg machte. Er wurde nach Ägypten verschifft, wo er einen Posten in der Verwaltung erhielt; er war Bürogehilfe, kutschierte aber auch Trucks und Offiziere über den Standort. Als er für ein freies Wochenende, das er eigentlich in Kairo verbringen wollte, den Dienst mit einem anderen Soldaten tauschte, sollte das nicht ungestraft bleiben. An diesem Wochenende besetzte die deutsche Armee den Stützpunkt, an dem Dad stationiert war, und nahm ihn und viele andere gefangen. Die britischen Kriegsgefangenen wurden dann über Italien nach Deutschland gebracht und im Stalag 344 interniert.

Dad verbrachte dort die restlichen drei Kriegsjahre. Er musste von rohen Kartoffeln, wässriger Suppe und gelegentlichen Lebensmittelpaketen des Roten Kreuzes leben. Immerhin rauchte er nicht und konnte seine Tabakrationen gegen ein paar zusätzliche Kartoffeln eintauschen.

Mum pflegte zu mir im Vertrauen zu sagen: „Dein Vater hatte eine schreckliche Zeit im Krieg, aber er würde nie darüber reden.“ Dads Kriegserfahrung, das war der kakifarbene Elefant in unserem Wohnzimmer. Niemand konnte darüber sprechen, aber wir lebten alle damit, immer noch, zwanzig Jahre danach.

Heute ist mir klar, dass Dad an einer posttraumatischen Belastungsstörung litt und eine Therapie gebraucht hätte, wie er sie heutzutage auch bekommen würde. Das Äußerste, was man zu dem Thema aus ihm herausbekam, wenn man ihn drängte, war: „Ich hatte es leicht verglichen mit George.“

George war Dads Bruder. Ihr Vater war gestorben, als Dad fünf und George zehn war, so wurde George so etwas wie ein Ersatzvater. Dad verehrte ihn. George leistete seinen Militärdienst in Burma und geriet in japanische Gefangenschaft. Er war in einer Mine in der Nähe von Nagasaki, wenige Meilen von der Stelle entfernt, wo die Atombombe fiel, und er spürte die Explosion.

Als Dad nach dem Krieg inmitten der Siegesfeiern zurück nach Birmingham kam, waren seine Mutter Frances und seine ältere Schwester Elsie natürlich überglücklich. Aber noch immer war die Sorge in der Familie groß, denn von George hatte man noch nichts gehört. Man wusste nicht einmal, ob er noch lebte. Das warf einen Schatten auf Dads Heimkehr.

Fast ein Jahr später ereignete sich eine Szene wie aus einem Steven-Spielberg-Film. Dad wartete auf einen Bus, der ihn zur Arbeit bringen sollte, als er mit Mühe eine Gestalt erkannte, die aus dem Morgennebel heraus die Straße herunter auf ihn zukam. Es war sein Bruder George. Er war seit dem Sieg über Japan frei, aber ausgemergelt und erschöpft, nicht nur von seiner Gefangenschaft, sondern auch von seiner langen Heimreise über den Pazifik und dann mit dem Zug durch die USA.

Ich bin sicher, dass auch Dad für George verändert aussah. Aber diszi­pliniert und stoisch wie sie waren, werden diese beiden Männer keine Tränen vergossen haben. Ein Handschlag, sicher, vielleicht eine Umarmung. Dad mochte ein paar Busse fahren gelassen haben, aber ich bezweifle, dass er sich den Tag frei nahm. Zu weinen, das wäre etwas für Frauen gewesen.

Diese Geschichte war so schwer für meinen Vater, dass er mir erst davon erzählte, als er in seinen Achtzigern und ich über vierzig war.

Wenn man in den 1960ern in England aufwuchs, war der Zweite Weltkrieg allgegenwärtig. Er war ein gewaltiges Ereignis, von dem jeder betroffen war. Während Dad sich nur widerstrebend auf das Thema einließ, konnten alle anderen nicht aufhören, darüber zu sprechen. Es beherrschte das Fernsehen und das Kino.

Meine Mutter Jean, ihr Taufname ist Eugenie, hatte ihre eigenen Erfahrungen aus der Kriegszeit. Damals arbeitete sie in Longbridge in einer Fabrik für Austin-Automobile, die auf die Fertigung von Teilen für die wuchtigen Lancaster-Bomber umgestellt hatte. In den 1940ern war auch Mum in ihren Zwanzigern, und sie genoss die Kameradschaft in der Spätschicht.

1946 ging das Leben weiter, das durch den Krieg unterbrochen worden war, und die Gedanken kehrten zur Normalität zurück: Jobs, Heirat und Familiengründung. Es gab wieder Hoffnung. Als Nachbarn hatten Mum und Dad sich schon seit Jahren wahrgenommen, aber es war bei einer schüchternen, zurückhaltenden Bekanntschaft geblieben. Dad verstand sich gut mit Mums Brüdern Sid und Alf, und eines Abends heckten die drei im Billesley Arms einen Plan aus.

An dem darauf folgenden sonnigen Samstagmorgen schritt Dad den Häuserblock hinunter zu den Harts und klopfte an die Haustür. Da er für die Familie ein vertrautes Gesicht war, wurde er sofort hereingebeten. Aber er war nicht da, um zu fragen, ob Sid morgen mit zum Fischen käme, oder ob Alf später Lust auf eine Partie Bowling im Billesley hätte. Er war gekommen, um den alten Joe Hart zu bitten, mit seiner jüngeren Tochter Eugenie ausgehen zu dürfen.

Ich glaube nicht, dass meine Eltern große Erwartungen mit Liebe und Ehe verbanden. Sie waren beide praktisch veranlagte Leute, die eine Familie haben und nicht allein alt werden wollten. Vermutlich verspürten beide eine tiefe Dankbarkeit, vom anderen gewollt und angenommen zu sein, aber sie hätten das nie so ausgedrückt.

Vom ersten Date an wussten sie, dass sie zusammenpassten, und ihre Freunde und Familien wussten es auch. In ihrem Umfeld war ihre Partnerschaft ein Symbol des Überlebens in der Zeit nach dem Krieg: Zwei Arbeiterfamilien gaben einander ihr jüngstes Kind. Ihre Heirat erfüllte viele mit Stolz.

Die zweiundvierzig Hochzeitsgäste lebten alle in einem Umkreis von wenigen Meilen. Als ich zehn war, spielten fast alle eine Rolle in meinem Leben; sie bildeten das Gefüge, das mich geformt hat. Es waren gute, ehrliche und liebevolle Leute. Ich wuchs auf in dem Gefühl, sie zu lieben, wie sie mich liebten – vorurteilsfrei und bedingungslos. Die Hochzeit meiner Eltern brachte das Beste an der englischen Arbeiterklasse und ihren Vorstellungen von Familienleben zum Vorschein.

In den 1950ern waren neue, bezahlbare Wohnungen knapp. Auch das war eine Folge des Krieges. So zogen Mum und Dad, nachdem sie geheiratet hatten, vorübergehend bei den Eltern meiner Mutter ein.

Sie wurden bald Teil einer Diaspora der Arbeiterschaft, die aus den Innenstädten in die Neubausiedlungen und Gartenstädte zog, die gebaut wurden, um die ausgebombten Stadtzentren zu entlasten und Wohnraum für die explodierende Bevölkerung zu schaffen. Oft wurde die Geschichte erzählt, wie mein Vater 1954 an einem Montagmorgen um sieben Uhr im Verkaufsbüro einer neu errichteten Siedlung auftauchte und darum bat, das letzte verfügbare Haus kaufen zu dürfen.

Das neue Haus war perfekt. Es hatte vier Zimmer, zwei oben und zwei unten, sowie ein Kieselputz-Relief zwischen dem Erdgeschoss und den oberen Erkerfenstern. Das Wohnzimmer, in dem wir aßen, fernsahen und so ziemlich alles machten, war neun Quadratmeter groß. Das andere Zimmer im Erdgeschoss war das Vorderzimmer. Hier wurden die Hochzeitsgeschenke und der Alkohol aufbewahrt. Hier nahmen wir drei jeden Sonntag unseren Lunch ein, und hier wurde jedes Jahr der Weihnachtsbaum aufgestellt. Abgesehen davon blieb der Raum ungenutzt.

Die Simon Road Nr. 34 hatte eine eigene Garage, wo mein Vater ganze Wochenenden an seinem Auto herumbastelte. Es gab einen kleinen Vorgarten und einen etwas größeren hinten.

Im Juni 1960 brachte meine Mutter mich ohne Komplikationen im Sorrento Maternity Hospital in Solihull zur Welt. Ich machte nie Schwierigkeiten, wie sie mir später erzählte. Bald wurde ich vom Krankenhaus nach Hause gebracht, da war das Haus schon gut eingewohnt und gemütlich, ein kuscheliger Ort für ein Neugeborenes.

Meine Eltern gaben mir den Namen Nigel. Eine wirklich unkonventionelle Wahl. Mein zweiter Name war John.

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3: Sounds der Vorstadt

Für Dad war es in Ordnung, am Stadtrand zu leben. Mehr als in Ordnung. Er sprang jeden Morgen um acht in seinen Ford, fuhr zu seiner Arbeit in der Exportabteilung von Wilmot-Breeden, einer Zulieferfirma für die Autoindustrie, und war gegen sechs wieder zu Hause. Er ging sogar auf Dienstreisen ins Ausland, hauptsächlich nach Schweden, wo er für die Firma Geschäfte mit Volvo und Saab abwickelte. Diese Trips erschienen mir sehr romantisch und glamourös. Wenn er zurückkam, roch er nach Zigarren, Flughafen-Lounge und teurem Alkohol. Und er hatte Geschenke mitgebracht, Parfüm für meine Mum und Spielzeug für mich. In den 1960ern liebte Dad seine Arbeit, er liebte sein Leben. Er verwirklichte seinen Traum.

Mum, die nicht Auto fuhr, war in Hollywood isoliert. Sie saß draußen in der Vorstadt fest, weit weg von ihrer Familie und ihren Freunden, und sie hatte an dem Tag aufgehört zu arbeiten, als sie erfuhr, dass sie schwanger war. Sie war alleine mit mir, dem einzigen Kind.

Es gab nur wenige Geschäfte in der Nähe, und Freundschaften schloss sie nur langsam. Aber Mum war eine Kirchgängerin, war es immer gewesen, und hier fand sie ihre sozialen Kontakte. Daher musste die tägliche Reise nach St. Jude unternommen werden, egal wie weit es war und wie das Wetter war.

Natürlich ging ich mit ihr zur Kirche.

Ich erinnere mich noch an die Musik. In St. Jude eignete ich mir das katholische Gesangbuch an. „All Things Bright And Beautiful“, „The Lord Is My Shepherd“, „Faith Of Our Fathers“ waren mein tägliches Brot. Aber die Mega-Hits sparten sie für Weihnachten auf: „We Three Kings“, zum Beispiel – bei dem konnte sogar ich mich nicht enthalten mitzusingen; es war eine richtige Hymne, sehr männlich, stolz und kraftvoll – oder „O Come, All Ye Faithful“, das lateinisch als „Adeste Fideles“ gesungen wurde, wenn der Priester sich sicher genug fühlte.

Einige dieser Hymnen, etwa „Away In A Manger“, sind einfach phantastisch. Sie wurden geschrieben, um Menschen zwischen fünf und fünfundneunzig mitzureißen. Manche Arrangements sind von Titanen wie J. S. Bach übernommen, und so kam ich, ohne es zu wissen, in Kontakt mit einigen der besten Musikstücke, die jemals geschrieben wurden. Die Orgel schwebte durch die Dur-Moll-Modulationen, und meine Nackenhaare richteten sich auf.

Die europäische Pop-Musik basiert zu einem großen Teil auf christlicher Kirchenmusik, so wie amerikanischer Pop viel dem Gospel verdankt, der mehr nach dem Ruf-und-Antwort-Prinzip funktioniert. Simon Le Bon hat mich mal auf diesen Gedanken aufmerksam gemacht. Die Kirchenmusik meiner Kindheit ist mir immer gegenwärtig geblieben, und sie beeinflusst all meine Songwriting-Aktivitäten.

Mums andere Rettung aus ihrem Vorstadt-Exil kam in Gestalt der Technik und ihres Transistor-Radios. Es lief immer und spielte das BBC-Light-Programm. In meiner Erinnerung begann jeder neue Tag mit dem Klang dieses Radios. Ich hörte das Radio, bevor ich meine Eltern sah oder hörte.

Mum liebte Unterhaltungsmusik. Als Teenager vergötterte sie Bandleader wie Harry James und Artie Shaw, sie war ein richtiger Fan. Kürzlich fand ich ein schwarzes Büchlein, in dem sie in ihrer stets eleganten Handschrift ungefähr sechzig Hits der Zeit mit Titeln wie „My Foolish Heart“, „Come With Me My Honey“ oder „Boy Of My Dreams“ aufgeschrieben hatte. Diese ganze Leidenschaft erreichte einen Höhepunkt für sie (und für so ziemlich alle anderen im Lande), als 1962 die Beatles auftauchten. Ich war damals zwei. Sie waren zugleich romantisch, frech und abenteuerlustig. Und sie kamen aus Liverpool.

All die jungen, in die Pilzköpfe verliebten Mütter sangen uns, die wir gerade laufen lernten oder noch in unseren Kinderbettchen lagen, ihre Songs vor: „Love me do“, „All my loving“ oder „She loves you, yeah, yeah, yeah …“.

Ödipus ließ grüßen.

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4: Katholische Mahn-Klausel

Als ich vier Jahre alt wurde, trat die Schule an die Stelle der Kirche. Ich ging gerne hin. Hätte ich gewusst, was mich dort erwartete, hätten sie mich hinschleifen müssen.

Wenn ich heute – leicht augenzwinkernd – zurückblicke, waren die Vorschuljahre idyllisch. Zum ersten Mal erfuhr ich die exklusive Aufmerksamkeit einer Frau.

Mum und Dad meldeten mich an der katholischen Grundschule Our Lady of the Wayside an. Obwohl Dad nicht gläubig war, stand er voll dahinter. Man bekam dort vermeintlich eine bessere Erziehung als in der staatlichen Schule vor Ort.

Am ersten Morgen zog Mum mir die Schuluniform an – gelb-graue Krawatte, graue Flanell-Shorts und einen winzigen Blazer –, gab mir etwas zu essen und brachte mich den Hügel hinauf, wo ein halbes Dutzend weiterer Opfer schon auf den Bus wartete.

Ich nahm das alles ganz entspannt. Ich war zuversichtlich, aufgeregt und erwartungsfroh. Meine Eltern hatten mich gut auf diesen Tag vorbereitet. Ich muss eine gewisse Ruhe ausgestrahlt haben, denn der Junge, der in der Klasse den meisten Ärger machte und herumschrie und kreischte, wurde neben mich gesetzt.

Das Beste am Klassenzimmer waren die Sandkiste und der Teewagen, auf dem um Punkt elf Marmeladenkekse bereitlagen. Meine deutlichste Erinnerung an das erste Grundschuljahr ist, wie ich eines Montags ankam und meine neue Brille mit dem breitrandigen Kassengestell trug. Da war ich fünf. Die Lehrerin schlug vor, ich solle mich auf den Tisch stellen, damit sich alle den neuen Nigel gut anschauen konnten. Es war wie: „Hey, nennt mich einfach Vier-Auge, Jungs.“ Ich bin sicher, Mrs. Gilmore hatte keine Demütigung beabsichtigt, aber für einen Fünfjährigen war es das.

Marmeladenkekse waren nicht die einzige Religion in Our Lady of the Wayside. Die katholische Lehre stand auf dem Lehrplan ganz oben; RL – Religionslehre – machte es sich neben Mathe, Geschichte und Geografie bequem. Zwei mal zwei ist vier, die Schlacht von Hastings war 1066, Paris ist die Hauptstadt von Frankreich, und Jesus verwandelte auf der Hochzeit zu Kana Wasser in Wein.

Trotz all der Stunden, die ich in der Kirche verbracht hatte, trotz aller Zeremonien und Lesungen, Musik und Weihrauch, ich kapierte es nicht. Intellektuell ergab es für mich nie einen Sinn.

Ich saß da wie einer aus der Menge bei der Speisung der Fünftausend, kratzte mich am Kopf und grübelte, wie in aller Welt Jesus es schaffte, das ganze Essen aus fünf Brotlaiben und zwei kleinen Fischen zu machen. Wie? Warum? Weil er Jesus war? Weil er der Mann war? Hatte ich irgendwas nicht mitgekriegt?

Aber man lernt schon früh, dass Fragen nach dem Wie oder Warum in der katholischen Kirche nicht geschätzt werden. Die intellektuelle Schärfe der Juden ist nicht unsere Sache. Auch die spirituelle Neugier der Buddhisten nicht.

Ignoranz ist für uns eine Frage der Ehre.

Das ist es, was ich die „katholische Mahn-Klausel“ nenne. Es ist ein kleiner theologischer Geniestreich, der so geht: Wenn du Fragen hast, dann hast du keinen Glauben, und wenn du keinen Glauben hast, dann hast du die Arschkarte, denn Blitze werden sich nachts durch dein Schlafzimmerfenster brennen und DICH VOM ANGESICHT DER ERDE HINWEGFEGEN!

Diese Welt kann ein beängstigender und verwirrender Ort sein, wenn man aufwächst.

5: Eine Hollywood-Erziehung

Dad schmuggelte zu Hause ein paar verschlüsselte Botschaften ein, die eine Welt außerhalb von St. Jude und Our Lady of the Wayside erahnen ließen.

Weihnachten 1966, als ich sechseinhalb Jahre alt war, brachte er den Wilmot-Breeden-Kalender von der Arbeit mit. Dieser Kalender sollte nicht in der Küche oder in einem der anderen „öffentlichen Räume“ der Simon Road 34 hängen. Vielmehr setzte Dad eine Schere an den dicken, glänzenden Blättern an und schuf zwölf Bilder aus aller Welt: der Rote Platz, die Hafenbrücke von Sydney, ein altes, an einem unfassbar blauen Meer gelegenes Dorf mit roten Backsteinhäusern sowie das Bild einer wunderschönen, verführerischen Frau mit rabenschwarzen Haaren. Sie saß in roten Kleidern auf einem Pferd, das so schwarz wie ihre Haare war.

Dad rührte etwas Tapetenkleister an und klebte die Blätter in meinem Zimmer an die Wand über meinem Bett. Über meinem Kopfkissen hing bereits der allgegenwärtige Jesus am Kreuz. Ein Katholik, der etwas auf sich hält, ist nie weit von einem Kruzifix entfernt. Jetzt bekam er in meiner Vorstellungswelt Konkurrenz.

Der geschundene Jesus. Blut tropfte von den Nägeln, die man so brutal durch seine Hände gehämmert hatte. Die Dornenkrone. Es war eine Albtraum-Vision, die den Katholiken ein Gewissen geben sollte. Alles, was sie mir gab, waren Schuldgefühle.

Dads Bilder der Schönheit und des Abenteuers zeigten, was es jenseits der Meere und Ozeane zu entdecken gab. Sie schienen mir zuzuflüstern: „Es gibt mehr im Leben als das hier, Junge. Es gibt nicht nur Hollywood, Ihn und die Schule.“

Nacht für Nacht, wenn meine Lampe schon lange ausgeknipst war, sah ich hoch zu den Bildern; nur das durch die Vorhänge gefilterte Straßenlicht schien auf sie. Und ich begann, von Romanzen, Reisen und Flucht zu träumen.

In der nächsten Phase der häuslichen Erziehung, die mein Vater einführte, begann er, mit mir Geografie zu pauken; Hauptstädte, Flüsse und Fahnen wurden eins meiner Lieblingsgebiete, und ich wurde ein richtiger Experte. Was ganz nützlich ist, wenn man sechs Monate im Jahr unterwegs ist.

Wenn ich am Wochenende morgens zu Mum und Dad ins Bett kletterte, bettelte und flehte ich, er möge mein geografisches Wissen abfragen.

„Frag mich nach Flüssen“, bat ich aufgeregt und sah ihn erwartungsvoll an.

Dad faltete dann seinen Daily Sketch zusammen und sagte: „Kannst du ihn nicht fragen, Jean?“

„Ich kenne mich nicht aus, Jack, mich brauchst du nicht darum zu bitten“, antwortete Mum.

Dad lächelte resigniert und fragte: „Amazonas?“

„Brasilien!“, schnappte ich zurück wie ein Piranha. Und wir waren drin.

Es ist ein angenehmes Leben als einziges Kind, besonders wenn beide Eltern da sind und es an Liebe nicht mangelt. Ich hatte es richtig gut.

Wir hatten im Laufe der Jahre drei Nachbarn im Nebenhaus, der Nummer 36. Die schlimmsten waren Polizeibeamte. Ich wusste, die Siebziger waren da, als ich das blassblaue Polizeiauto in die Einfahrt rollen sah.

Das waren Faschisten, Mann – das sah man schon an den Uniformen.

Sie hatten keine Kinder, also hieß es: „Mach die Musik leiser!“, „Mach den Fernseher leiser“ und „Nein, du bekommst deinen Ball nicht zurück, wenn du ihn immer über den Zaun schießt!“ Der Mann war ein richtiger Idiot, und sein Anblick, als er Dad mit aufgerissenen Augen anschrie – „Wenn du dir deinen Bengel nicht vorknöpfst, werde ich es tun!“ – versetzte mich in Angst und Schrecken.

Ich war einfach ein Kind. Als ich älter wurde und die Musik bestimmend wurde, wollte ich die ganze Zeit Musik hören, am liebsten, wenn niemand sonst im Haus war und ich die Lautstärke richtig aufdrehen konnte. Allerdings hatte ich keine Vorstellung davon, wie es für die auf der anderen Seite dieser hauchdünnen Mauern gewesen sein muss.

Meine Eltern hassten diese Konfrontationen mit den Nachbarn. Mum war sehr ängstlich, und Dad hatte keine Lust mehr auf Kämpfe. Er war doch Soldat gewesen, ein Held. Da konnte ich nicht verstehen, warum er sich nicht mit fliegenden Fäusten dazwischen warf. Es dämmerte mir, dass die Macht meiner Eltern begrenzt war.

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6: Mittendrin und unsichtbar

Ich hatte Spaß am Lernen, was sich aber nur selten im Klassenzimmer bemerkbar machte. Lediglich zu Hause, in der heimeligen, perfekt sitzenden Welt von Mum, Dad und mir, war ich selbstsicher genug, es rauszulassen.

Intelligenz braucht Übung, und üben bedeutet, Fehler zu machen. In der Welt meiner Eltern fühlte ich mich nie bewertet; in der Schule war ich ständiger Beurteilung ausgesetzt. Ein Einzelkind zu sein, hatte in der Schule auch seine Nachteile; ich mochte es nie, mein Spielzeug zu teilen.

Und ich hasste das System der Benotung, die ständigen Vergleiche: Wer ist gut in diesem, wer ist der Beste in jenem? Der Beste und der Schlechteste. Immer.

Das Fach „Spiele“, dieser Euphemismus für Sport, war am schlimmsten. Wettkampf für Wettkampf tat ich mich mit meinen vier Augen schwer auf den Sportplätzen von Our Lady of the Wayside. Nicht einmal kam der Ruf: Deine Schule braucht dich. Kein einziges Mal durfte ich meine Schule sportlich repräsentieren. Ich entwickelte schließlich nagende Selbstzweifel.

Gibt es etwas Schlimmeres, als ausgelacht zu werden? Ich würde jederzeit eine Operation vorziehen. Ich konnte es nicht ertragen – und kann es immer noch nicht. Zum Glück kennen mich meine Freunde und Familie heute gut genug, um es außer Hörweite zu tun. Aber damals wurdest du ausgelacht, wenn du Letzter warst. Das war zu vermeiden. Ich begann, mich aus dem Rennen zu nehmen.

Erster werden wollte ich aber auch nicht, denn dann musste man in der Klasse oder, schlimmer noch, in der Aula nach vorne kommen, einen Preis entgegennehmen und vielleicht sogar laut vor all den Hooligans „Thank you, Sir“ sagen. Vorzutreten, um von Mr. Lahive meinen Bobby-Moore-Geschenkgutschein für meine Arbeit über „Das Leben der Heiligen“ zu empfangen, war bis heute mein beschämendster Moment. All die Augen, die sich in meinen Rücken bohrten, das vorwurfsvolle Gekicher. Nein danke, auf Auszeichnungen kann ich auch verzichten. Ich versuchte, mittendrin und gleichzeitig unsichtbar zu sein.

Als ich zehn Jahre alt war, 1970, war ich nicht mehr so häufig Gast im Bett meiner Eltern (ich erinnere mich aber noch, wie ich zwischen sie kroch und etwas über die Trennung der Beatles las. Das war für uns so unfassbar wie der Untergang der Titanic). Ich musste also andere Wege finden, um ihre Anerkennung zu bekommen.

Insbesondere die von Dad.

Militärmodellbau war damals das angesagte Hobby. Es war gerade bei Jungen meiner Generation äußerst beliebt und außerdem ein toller Zeitvertreib für Vater und Sohn. Das Zusammenbauen der Airfix-Modelle von Centurion-Panzern, Spitfire-Flugzeugen oder Victory-Schiffen („enthält lebensechten Nelson mit amputiertem Arm“) hat in den späten Sechzigern mehr Söhne und Väter zusammengeschweißt als irgendetwas sonst, von Lederfußbällen mal abgesehen.

Dad legte die Latte für mich hoch, als er zu meinem achten Geburtstag das Short-Sunderland-Wasserflugzeug perfekt zusammenbastelte. Da wusste ich, dass ich langsam auf Touren kommen musste.

Was ich auch tat. Ich wurde süchtig danach, Modelle zu bauen. Ob es am Kleber, dem „Bindemittel“ und dem Emaillelack lag?

Flugzeuge, Schiffe, Lastwagen und Autos – ich baute sie, malte sie an und stellte sie in kleinen Landschaften auf, die in der Bruderschaft der Modellbauer „Dioramen“ heißen.

Mein Taschengeld ging jede Woche für etwas Neues drauf, das ich meiner Sammlung hinzufügen konnte. Spätestens Samstag nachmittag störte ich Vater in der Garage: „Schau mal, Dad, was hältst du davon? Das ist Monty auf der Straße nach El Alamein.“

„Das ist sehr gut, Junge“, sagte er dann. „Hast du Lust, dir im Laden eine Limo zu holen?“

Sieg!

Meine Vorliebe für Modellbau war nicht nationalistisch motiviert. Einen japanischen Zero Fighter oder einen deutschen Panzer baute ich ebenso gerne wie General Montgomerys Humber-Dienstwagen. Die Graf Spee oder die Ark Royal, Grumman- oder Messerschmitt-Flugzeuge, egal, es war alles eins, Teil eines großen Spiels: Krieg, die Schlacht der Uniformen und Kampfanzüge, Kreuze gegen Kokarden. Der Airfix-Katalog war erstaunlich lehrreich, und er gab meiner Generation eine großartige Einführung ins Industriedesign. Außerdem entwickelte sich die Auge-Hand-Koordination. Man lernte dabei mindestens so viel wie in der Schule, und an einem Game Boy macht mich keiner fertig.

Es war eine durch und durch männliche Welt. Die einzige weibliche Figur, die Airfix anbot, war Johanna von Orleans, die mich nicht interessierte. Die menschlichen Figuren, die ich bastelte und bemalte, waren alle Männer. Männliche Männer, die männliche Dinge taten. Zum Beispiel sich gegenseitig umbringen.

Etwa zu dieser Zeit hatte ich eine erste Vorstellung von meinem künftigen Beruf, Pilot in der Royal Airforce. Abends im Bett überlegte ich, ob die RAF wohl noch Spitfires einsetzte.

Das nimmermüde Zusammenbauen von RAF-Kampfflugzeugen, Panzern und Schiffen der Königlichen Marine war auch ein Weg, um an der Oberfläche des großen Tabuthemas zu kratzen: Dads Kriegsjahre. Wir konnten darüber nicht direkt sprechen, also baute ich einfach weiter. Verdammt, wir englischen Kinder hatten es leicht; worüber redeten die deutschen Kids meiner Generation mit ihren Vätern. Nicht viel, wie ich später herausfand, aber daraus entstand ein Antrieb für all die große, tiefgründige deutsche Kunst und Musik der Siebziger und Achtziger.

Ich legte in meiner Obsession noch einen Zahn zu, als ich begann, Modelle von Napoleons Grande Armée zu sammeln und anzumalen. Besonders liebte ich echte Rockstars wie Marschall Murat, der mit ausgestrecktem Arm und erhobenem Säbel auf einem mit einem Leopardenfell geschmückten Hengst in die Schlacht ritt.

Ich brauchte mehr Geld, um meine Abhängigkeit zu befriedigen, denn diese Figuren sowie ihre kleineren, in Blei gegossenen und aus Frankreich importierten Vettern kosteten viel mehr als die Airfix-Kameraden. Dad bescherte mir unbeabsichtigt eine weitere Fähigkeit fürs Leben. Ich wurde der Autowäscher der Nachbarschaft.

All diese Uniformen an Sieben-Zentimeter-Figurinen bis ins winzigste Detail zu bemalen, die Schulterklappen, Tressen, Schärpen und Stiefel, das prägte mein ästhetisches Empfinden. Man kann bei Duran Duran auf der Bühne noch heute den Einfluss von Airfix erkennen. Ich kann mich einfach nicht davon befreien.

Außerdem war ich ein Autonarr, eine andere Leidenschaft, die ich von Dad geerbt hatte. Es gab keinen stolzeren Autobesitzer als ihn, und die Beziehung zu seinen verschiedenen Autos war beinahe erotisch. Jede freie Stunde verbrachte er allein mit dem Wagen in der Garage, um herumzuwerkeln, sich schmutzig zu machen und Dinge nach seinen Vorstellungen anzupassen. Bei jedem noch so leisen Knattern, jeder Vibration während der Fahrt flippte er aus, und sobald wir zu Hause waren, verschwand er und nahm das Auto auseinander, bis er die Ursache für das Geräusch gefunden und beseitigt hatte. Er stellte sein ganzes Arbeitsleben in den Dienst der britischen Autoindustrie, und jedes Anzeichen mangelnder Vollkommenheit war für ihn eine persönliche Beleidigung.

Über die Jahre erarbeitete sich Dad in der Familie einen Ruf als ausgewiesener Fahrlehrer, denn er hatte zahlreichen Onkeln und Tanten, Nichten und Neffen das Fahren beigebracht. Ausgerechnet bei seiner eigenen Frau Jean, meiner Mutter, scheiterte er.

Eines Abends nach der Schule war Dad der Meinung, es sei an der Zeit, Mum zu zeigen, wie man Auto fährt. Mum hielt das für keine so gute Idee, und der Gedanke, sich hinter das Steuer von Dads Zuchtbullen zu setzen, machte sie nervös. Sie wusste, wie sehr Dad an seinem Wagen hing und wie leicht er ausrastete. Trotzdem stiegen wir alle in den kastanienbraunen Ford – Dad für den Moment noch am Steuer – und fuhren zu dem ausersehenen, einige Meilen entfernten Parkstreifen auf dem Lande.

Dad lenkte das Auto an den Straßenrand. Vor und hinter uns lagen jeweils drei Meter hohe Schotterhaufen. Dazwischen waren vielleicht hundertachtzig Meter Platz. Mum und Dad tauschten die Plätze.

Beide waren gereizt, und etwas von der Stimmung musste sich wohl auf mich übertragen haben, denn ich hopste unruhig auf dem Rücksitz herum und quetschte mich wie immer zwischen die Vordersitze, um richtig mitzubekommen, wie der „Unterricht“ ablief.

Dann legte Mum den ersten Gang ein, ohne den Gebrauch der Kupplung in Betracht zu ziehen (das war in den Tagen, bevor das Automatik-Getriebe nach England kam), und ein kreischender Ton erfüllte das Cockpit.

„Himmel, Jean! Du zerstörst die Gangschaltung!“

Mum war starr vor Schreck.

„Oh, Jack … ich weiß nicht, was ich überhaupt machen soll. Nigel!“ –
das bin ich – „Setz dich wieder hin!“

„Du musst die Kupplung treten, bevor du den Gang einlegst. Benutze den linken Fuß“, sagte Dad.

Wieder versuchte Mum, den Gang einzulegen. Aber dieses Mal hörten wir nicht nur das Kreischen, der Wagen hüpfte schwerfällig vorwärts, bumpa bumpa BUMPS!

Der Motor war abgewürgt.

„Um Gottes Willen, Jean, was ist los mit dir?“ Mum war den Tränen nahe, ihr Gesicht rot angelaufen.

„Vergiss es“, sagte sie trotzig. „Ich will nicht fahren, lass mich raus.“

Sie bekam die Tür nicht auf, und Dad machte sein gefährliches, zorniges Gesicht, als würde er gleich platzen. Dann schwang er sich aus dem Beifahrersitz, stampfte vorne um das Auto herum und öffnete die Fahrertür, damit Mum aussteigen konnte. Sie kletterte zurück auf den Beifahrersitz, und Dad setzte sich wieder ans Steuer.

„Und du! Setz dich! Setz dich verdammt noch mal wieder hin!“, sagte er zu mir. Das Auto verließ die Parkbucht, wobei in völlig untypischer Weise die Räder durchdrehten.

Und das war es dann. Mums erste und einzige Fahrstunde war zu Ende. Jedes Mal, wenn künftig davon die Rede war, wurde meine Rolle unweigerlich ein Stück größer, bis ich der Hauptgrund für das Desaster war.

„Wie hätte ich mich denn konzentrieren sollen, so wie du hinten rumgesprungen bist?“

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7: Junior Choice

Jeden Samstagmorgen versammelten wir drei – Mum, Dad und Nigel –
uns am Küchentisch, um zu frühstücken. Im Radio lief um acht
Junior Choice mit Ed „Stewpot“ Stewart, das Kindern und ihren Eltern eine weitere hervorragende Möglichkeit bot, einander näher zu kommen.

Aus dem ganzen Land schickten die Leute Briefe. Ed begann sie vorzulesen: „Wir haben einen Brief von Edith Baker aus Accrington. ‚Lieber Ed, unser Jimmy feiert am Samstag seinen achten Geburtstag, und für seine Feier hat er sich einen Kuchen mit einem Bild von dir darauf gewünscht!‘“

Glucksend fuhr Ed fort: „Ich kann mir niemanden vorstellen, der diesen Kuchen essen will, Edith, sind Sie sicher, dass es eine gute Idee ist? Sie schreibt weiter: ‚Wir verpassen die Sendung nie. Könnten Sie ihm bitte etwas aus dem Dschungelbuch vorspielen‘. Nichts lieber als das“, sagte Ed in seiner freundlichen, näselnden Stimme.

Und los ging’s mit „I Wanna Be Like You“. Keith Wests „Excerpt From A Teenage Opera“ wurde in Junior Choice gerne gespielt, ebenso „Puff The Magic Dragon“ und alles von Mary Poppins. Und wir waren alle Wachs in Eds Händen, wann immer er „Supercalifragilisticexpialidocious“ spielte.

Um zehn Uhr war die Sendung vorbei, und wir machten uns für den Wochenend-Einkauf fertig. Sonntags zogen wir uns für die Kirche an. Obwohl Dad nicht arbeitete, kam er merkwürdigerweise auch sonntags nicht mit uns in den Gottesdienst. Er zog es vor, im Auto zu sitzen und die Zeitung zu lesen. Würde Dad deshalb nicht mit Mum und mir in den Himmel kommen?

Zu Hause hörten wir nachmittags wie gebannt Rundfunksendungen. Dad hatte dem Trend nachgegeben und sich in den frühen 1970ern auch eine HiFi-Anlage zugelegt, was in meinen Augen eine notwendige Entwicklung war, so wie das zusätzliche Vinyl-Dach für den Ford oder Nylon-Shirts. Das bedeutete, dass wir jetzt im Fernsehraum Musik abspielen und Radio hören konnten.

Die HiFi- oder Stereo-Anlage – dieses System besaß zwei Lautsprecher –
stand auf einem speziell angefertigten Bord links von Dads Polstersessel und gehörte damit klar in seinen Machtbereich. Er fing an, Alben zu kaufen:
Dvoraks Greatest Hits und Rimsky-Korsakovs großartige Scheherazade.

Für manche Einkäufe taten sich Mum und er zusammen, etwa für Max Bygraves Sing-Along-A-Max-Serie. Max tat damals, was Rod Stewart später mit The Great American Songbook machte. Das war tolle Partymusik, wenn meine Tanten und Onkel zu Besuch waren und Drinks serviert wurden.

Aber im Grunde waren die Taylors eine Radio-Familie.

Wenn die Langeweile von Dads Sonntags-Cricket ausgestanden war –
alle schliefen dabei ein, auch er –, begann um siebzehn Uhr auf Radio 1 die
Top 30 Chart Show. Dad, ich und meine Oma, die zu Besuch war, kamen am Wohnzimmertisch zusammen, während Mum Tee, Sandwiches, Kuchen und, wenn wir Glück hatten, ihren unerreichten Trifle auftischte. Es gab in der ganzen Woche kein Ereignis, das die drei Generationen mit so viel Begeisterung zusammenbrachte wie die Top 30 Chart Show.

Eigentlich war es der Enthusiasmus von mir und meiner Mutter, der die Party zum Laufen brachte; Dad und Oma hätten ebenso gut darauf verzichten können. Aber sie schwammen mit dem Strom, und es fühlte sich zumindest so an, als würden uns die Höhen und Tiefen der Pop-Welt alle gleichermaßen erregen. Es war eine der wenigen gemeinsamen Familien-Aktivitäten.

Der Höhepunkt kam um fünf Minuten vor sieben. Dann wurde der nationale Nr.-1-Hit in voller Länge gespielt, es sei denn, der Song war so beliebt wie George Harrisons „My Sweet Lord“, der scheinbar monatelang den Spitzenplatz besetzte. In diesem Fall spielten sie bloß ein paar Takte des Songs, was ein Segen war, wenn man das Lied Woche für Woche bis zum Überdruss gehört hatte.

Mit der Zeit fiel mir auf, dass die Lieder, die ich wirklich mochte, es selten an die Spitze schafften. Meistens waren die Nr.-1-Songs etwas zu kitschig für meinen Geschmack: „Chirpy Chirpy Cheep Cheep“, „Welcome Home“ oder „I’d Like To Teach The World To Sing“. Talentshow-Gewinner oder Songs aus TV-Werbespots. Die coolen Songs schienen sich etwas außerhalb der Top 10 anzusiedeln. Wenn der Nummer-1-Hit gelaufen war, setzte Radio 1 aus, und es war Zeit für den Seewetterbericht – diese merkwürdig interessante Lektion in Sachen Wetter und europäischer Geografie. Was war Dogger Bite? Danach beanspruchten die Diensthabenden bei BBC Light Entertainment die Radiowellen wieder für Your Hundred Best Tunes mit rührseligem Zeug wie „In A Monastery Garden“ und „Songs My Mother Taught Me“. Dad machte es sich in seinem Sessel bequem, vielleicht mit einem Drink aus dem vorderen Zimmer, und Oma, die leise mitsang, nickte manchmal ein, wenn sie ein oder zwei Gläschen getrunken.

Die Simon Road 34 war ein musikalisches Haus, allerdings nicht im Sinne der Trapp-Familie. Niemand konnte auch nur eine Note spielen, und es gab im Haus kein einziges Musikinstrument. Und keiner wagte es, laut zu singen, außer Dad, wenn er blau war.