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Daniel Isberner

Schattengalaxis - Feuertod

Am Rande des Untergangs 2





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Prolog

06. März 2270

 

 

Kriegsschiff Hagner – Im Esatris-System treibend

 

„McOren war ein Schatten. Nicht wirklich, aber nah genug. Seine Rasse nennt sich Hirachosa, was sich in etwas mit ‚Infiltratoren‘ übersetzen lässt. Ein parasitärer Organismus, der andere Lebewesen übernehmen kann.“

„Woher weißt du das?“, Zetoras wurde misstrauisch.

„Dazu kommen wir gleich. Erst muss ich das zu Ende erklären. Die Hirachosa wurden von den Ix – der eigentliche Name des Schattens - im Labor gezüchtet.“

„Um an ein anderes Lebewesen gebunden bleiben zu können benötigen sie eine große Menge dessen im Blut, was ihr Aspirin nennt. Wenn sie zu lange ohne auskommen müssen, dann sterben sie – und mit ihnen, der Wirt.“

„Um den Wirt wechseln zu können, muss ihr alter Wirt im Sterben liegen und jemand Neues muss direkten Körperkontakt haben. So hat es der Hirachosa in McOren geschafft die Gefreite König zu übernehmen.“

„Im letzten Krieg der Ix haben große Teile der Hirachosa rebelliert. Nicht länger gewillt andere Rassen zu versklaven während sie selbst im Grunde nichts weiter als Sklaven waren, entschieden sie, die Seiten zu wechseln.“

„Ich war einer von ihnen.“

Zetoras starrte den Mann an, der bis vor einer Sekunde noch sein Freund gewesen war.

Hat er grade wirklich gesagt, was ich gehört habe?

„Ich weiß, das ist ein Schock. Aber bitte, gib mir Zeit, es zu erklären.“

Roberto (oder wer auch immer er war) stand auf und zeigte seine leeren Hände, flachen Taschen und den Gürtel ohne Pistolenholster.

„Ich bin unbewaffnet. Und wie ich dich kenne, hast du unter deinem Schreibtisch längst eine Pistole auf mich gerichtet. Also gib mir die Zeit. Ich habe dir ein Kriegsschiff geschenkt, das die Ix vernichten kann. Du bist es mir wenigstens schuldig, dir anzuhören, was ich zu sagen habe.“

Zetoras Stimme war eiskalt: „Du hast Zeit, bis die Hagner wieder Energie hat.“

Zwei Stunden sollten reichen, sich zu erklären. Und wenn nicht… Zetoras wusste, wie er mit Verrätern umzugehen hatte.

Er umfasste die Waffe unter seinem Schreibtisch fester und zog eine zweite aus einer Schublade, die er offen in die Hand nahm und auf das Etwas vor ihm richtete.

 

Kapitel 1

1. Januar 2253

 

 

Regenwall – Orion IV

 

Regenwall war ein komischer Name für eine Stadt. Oder zumindest fühlte er sich für Seamus immer seltsam an. Soweit er sich erinnerte hatten die ersten Siedler die Stadt nach dem ständigen Regen benannt, der eine Art Wall bildete oder zumindest den Eindruck vermittelte.

Die Geschichte machte nicht viel Sinn und vielleicht täuschte ihn sein Erinnerungsvermögen auch. Er gestand sich aber auch ein, dass es ihn einfach nicht interessierte. Nichts auf Orion IV interessierte ihn, seit sie vor etwas über zehn Jahren ihr Leben hier begonnen hatten. Eigentlich hatte es nur eine Klassenreise werden sollen, doch aus der Reise wurde Asyl, nachdem die Republik Hachero wenige Tage später, am 13. September 2242, vom Schatten eingehüllt wurde.

Er war damals neun Jahre alt gewesen, jetzt war er fast zwanzig. Er hatte mehr als die Hälfte seines Lebens im Orion Pakt verbracht. Und es war kein schlechtes Leben, die Regierung sorgte gut für die „Gestrandeten“, wie sie sie nannten. Zumindest taten sie das jetzt, nachdem sie sicher waren, dass die Gruppe von acht- und neunjährigen Kindern keine Agenten des Schattens waren.

Agenten des Schattens…, er schüttelte verächtlich den Kopf

Für Seamus war das noch immer schwer vorstellbar. Niemand wusste, was der Schatten war, aber eine Gruppe von Kindern sollten Spione sein? Gesandt, um den Orion Pakt zu Fall zu bringen? Das war lächerlich. Was auch immer der Schatten war (ein Energiefeld, eine Druckwelle, ein intergalaktisches Alptraummonster… es gab hunderte von Theorien), es hatte nie Beweise dafür gegeben, dass eine denkende Kraft hinter ihm steckte. Die Reaktion des Orion Paktes war reine Panik gewesen, ausgelöst von einer Bedrohung, die sie nicht verstanden. Das mochte die Folter vielleicht erklären, aber es entschuldigte sie nicht. Sie waren Kinder gewesen. Kinder!

Der Gedanke an die Wochen, die er eingesperrt und gefoltert verbracht hatte bescherte ihm, wie immer, einen Panikanfall. Würden sie plötzlich beschließen, dass er doch ein Spion war? Ihn aus seinem Haus entführen und foltern, bis er gestand?

Das Kind das er damals gewesen war hatte nichts gestanden. Es hatte geschrien vor Schmerzen, aber war störrisch gewesen, wollte nicht die Schuld für etwas auf sich nehmen, das es nicht getan hatte. Aber könnte er heute genauso stur sein? Er wusste es nicht. Wollte es nicht wissen. Wollte einfach nur an andere Dinge denken.

Also tat er, was er immer tat, wenn er einen Panikanfall hatte: Er ging in eine Bar oder eine Disko und suchte sich etwas zum Ficken. Groß, muskulös und mit langen schwarzen Haaren war das kein Problem.

Er fand immer eine Frau, die gewillt war, mit ihm zu schlafen. Dass er ausreichend Geld hatte, um so viele Drinks zu spendieren wie nötig waren, damit ihm keine Frau mehr widerstehen konnte, half auch.

Auf der Straße sah er sich um. Er war alleine, wie immer. So gut wie niemand nutzte die Straßen, um zu seinem Ziel zu kommen. Sprungtore waren so viel einfacher. Aber Seamus mied sie, so gut er nur konnte. Er wusste nicht warum, aber Sprungtore machten ihn nervös. Hatten sie schon, so lange er sich zurückerinnern konnte.

Aber obwohl sie niemand nutzte, waren die Straßen breit. Ihre Breite war jedoch nicht für Fahrzeuge gedacht, wie sie es, laut den Geschichtsbüchern, auf der Erde waren. Nein, die Straßen waren im Grunde Grünflächen. Bäume, Sträucher und Gras schmückten sie. Man hatte aus dem ökologischen Desaster gelernt, das die Erde gewesen war. Oder noch immer war, niemand wusste, was aus der Geburtsstätte der Menschheit geworden war, seit der Schatten über sie gekommen war. Ob sie überhaupt noch existierte.

Zu seiner Garage war es ein Stück, aber als er sein Haus gekauft hatte, hatte es keinen Parkplatz gehabt (warum auch, es gab schließlich Sprungtore) und zwischen all den Bäumen vor seinem Haus konnte er auch nicht parken. Aber einen halben Kilometer von seinem Haus entfernt gab es eine kleine Lagerhalle, die er in eine Garage umfunktioniert hatte. Dort parkte sein Gleiter.

Bodengebundene Fahrzeuge waren auf den meisten Planeten noch immer üblich, wenn man denn überhaupt ein Fahrzeug besaß, aber im Orion Pakt strengstens verboten. Gleiter benötigten keine Straßen für die Wälder oder Flüsse weichen mussten. Sie konnten einfach darüber hinwegfliegen.

Normalerweise war Seamus glücklich mit den Lektionen, die man auf Orion in Bezug auf den Umweltschutz gelernt hatte. Aber wann immer er die Strecke zu seiner Garage laufen musste, ärgerte er sich. Vor allem bei schlechtem Wetter, wie es derzeit aufzuziehen schien. Am Himmel konnte er dunkle Wolken erkennen, aber noch waren sie weit genug entfernt.

Als er den ersten Schritt in die Garage machte, hatte der Regen ihn erreicht. Einige wenige Tropfen erwischten ihn, bevor er vollständig durch die Tür war und er konnte das leise Prasseln des Regens auf dem Dach hören.

Ein Knopfdruck öffnete es, während Sensoren ein Kraftfeld aktivierten, das den Regen davon abhielt in die umfunktionierte Halle hineinzuregnen. Es war die gleiche Technologie, die in militärischen Schutzschilden zum Einsatz kam, aber auf deutlich reduziertem Niveau – egal wie viel Energie man in das Kraftfeld hineinpumpen würde, es wäre niemals in der Lage mehr als starken Regen aufzuhalten.

Er hätte es bevorzugt, auf das Kraftfeld verzichten und vorne aus der Halle fliegen zu können, aber die Bäume machten das unmöglich. Sie standen einfach zu dicht, um den Gleiter sicher durch sie hindurchmanövrieren zu können.

Langsam flog er durch das offene Dach, das sich automatisch unter ihm schloss, nachdem er es passiert hatte. Bevor er in Richtung Sonnenstadt flog (ja, die ursprünglichen Siedler hatten wirklich nicht alle Tassen im Schrank gehabt), stieg er auf zweihundert Meter an.

Alles darunter lief Gefahr, mit den Wolkenkratzern der Hauptstadt zu kollidieren und war daher nur für Starts und Landungen freigegeben. Während des Fluges konnte er erkennen, wo in der Nacht zuvor überall das neue Jahr begrüßt worden war. Viele Bereiche waren abgesperrt, damit die Feiernden dort ihr Feuerwerk veranstalten konnten.

Er hatte nicht gefeiert.

Für ihn war das neue Jahr nichts, was man feiern konnte. Es bedeutete lediglich, dass sie ein Jahr weniger hatten, bevor der Schatten sie erreichte. Auch wenn niemand wusste, wann das sein würde.

In den ersten Jahren hatte sich der Schatten unglaublich schnell ausgebreitet, aber danach war er langsamer geworden. Zuerst hatten viele Journalisten und Wissenschaftler versucht, die Verlangsamung über mathematische Formeln zu erklären, aber die Ausbreitung folgte keiner Formel. Sie wurde einfach langsamer, ohne dass irgendjemand sagen konnte, in welchem Ausmaß.

Über Sonnenstadt angekommen landete er wahllos neben einer Diskothek. Diskotheken, Bars und Restaurants gehörten zu den wenigen Orten in der Stadt, die öffentliche Parkplätze anboten. Für gewöhnlich trotzdem nicht viele, aber sie brauchten auch keine großen Mengen. Hauptsächlich wurden sie von Leuten benutzt, die schon bevor sie am Abend weggingen, wussten, dass sie es mit Alkohol und Drogen übertreiben würden und dann kein Sprungtor nutzen wollten. Stattdessen ließen sie sich vom Autopiloten nach Hause fliegen und vermieden es dadurch, sich nach dem Sprung in ihren heimischen Sprungraum zu übergeben – ein seltener aber bekannter Effekt bei der Kombination von zu viel Alkohol und einem Sprung.

Zu seiner Überraschung stellte Seamus fest, dass der Parkplatz bereits gut belegt war. Auf drei von vier Plätzen standen Gleiter.

Glück gehabt, dass ich nicht später los bin.

Er landete auf dem letzten freien Platz und ging zum Diskoeingang, vor dem ein hünenhafter Glatzkopf Dienst schob und entschied, wer hinein dürfte und wer nicht. Eine Seltenheit – und eine teure noch dazu.

Normalerweise würde der Betreiber einfach einen Computer den Einlass verwalten lassen. Wenn sich eine Diskothek einen Türstehen leisten konnte, dann war das ein Zeichen von Prestige und hohen Preisen oder von einem Ausfall des Computersystems.

In diesem Fall war es Prestige, die Rummelkatz hatte es zuletzt mehrfach in die Medien geschafft, weil Prominente sie für sich entdeckt hatten. Trotz der Tatsache, dass die Menschheit alle ihre Gebiete verloren hatte - außer dem Orion- und dem Rateri-System war nichts verblieben - war das Interesse an Klatsch und Tratsch ungebrochen.

Kein Wunder, dass manche Spinner behaupten, der Schatten wäre die Rache Gottes. Wenn ich eine derart dämliche Spezies erschaffen würde, würde ich sie auch auslöschen wollen.

Die Schlange an Wartenden ignorierend ging Seamus auf den Türsteher zu. Vor ihm angekommen, blieb er kurz stehen und gab dem Mann die Hand. Er kannte ihn nicht, aber mit dem Handschlag wechselten genug Scheine den Besitzer, um ihm prompten Einlass in die Diskothek zu verschaffen.

Die meisten Transaktionen wurden elektronisch erledigt, aber dennoch gab es noch immer Bargeld. Angeblich, um es einfacher zu machen, kleine Zahlungen zu erledigen oder auch bei einem Ausfall der Computersysteme bezahlen zu können, aber Seamus hatte eine andere Theorie: Elektronische Zahlungen waren leicht zurückzuverfolgen, was Anonymität ausschloss. Aber eben die war es, die viele Regierungsvertreter brauchten, um Bestechungsgelder anzunehmen. Er gestand sich aber immerhin ein, dass seine Sicht der Dinge sehr von seinem Hass auf die Regierung des Orion Paktes geprägt war, er also auch vollkommen falsch liegen könnte.

Die Diskothek war gut gefüllt und er hörte leise Musik. Sobald man die Tanzfläche betrat hörte man die Musik laut und deutlich, aber abseits davon war sie mehr ein Hintergrundrauschen. Dafür gab es außerhalb der Tanzfläche Lasershows und Rauchmaschinen. Obwohl die Diskothek voll war, war die Luft angenehm frisch und lud zum dableiben ein – ein großer Pluspunkt, seit Diskothekenbetreiber dazu übergegangen waren Lebenserhaltungssysteme von Erkundungsschiffen zu installieren. Da die Fabriken für die Schiffe mit der Erde und dem Mars zusammen verlorengegangen waren, hatten die Hersteller der Lebenserhaltungssysteme nicht mehr gewusst, wohin damit – und die Diskothekenbetreiber hatten, nach der unausweichlichen Pleite der Firmen, die Insolvenzmassen aufgekauft.

Statt neue Erkundungsschiffe zu bauen und weiter entfernte Systeme zu besiedeln, sammeln sie sich alle in den zwei verbliebenen Systemen und auf den wenigen bewohnbaren Planeten, die sie haben… Manchmal frage ich mich, ob wir es nicht verdient haben auszusterben, wenn wir offensichtlich nicht mal versuchen, uns zu retten.

Seine Gedanken und Gefühle wollten heute einfach nicht positiv werden. Seit er an die grausame Zeit in Gefangenschaft zurückgedacht hatte war er depressiv – und die Erkenntnis war alles andere als hilfreich. Aber er wusste, was helfen würde.

An der Bar konnte er eine Gruppe von fünf jungen Frauen sehen, die offenbar bereits gut angetrunken waren. Sie gestikulierten mit ausladenden Armbewegungen und hielten sich gegenseitig auf den Beinen. Eine sechste, er schätzte sie aus der Distanz, auf etwa einen Meter siebzig mit langen rot gefärbten Haaren und einer süßen Stupsnase, wirkte noch nicht ganz so betrunken. Im Gegenteil, sie wirkte nüchtern genug, um von ihren deutlich betrunkeneren Begleiterinnen genervt zu sein, die ihr immer wieder ein Glas mit einem dunklen Getränk hinschoben, von dem Seamus vermutete, dass es sich um einen Cocktail handelte, das sie aber immer wieder zurückschob.

Irgendetwas in ihr weckte seinen Beschützerinstinkt und er entschied, dass er ihren Ritter in strahlender Rüstung spielen und sie vor den bösen Hexen retten würde, die ihre Begleiterinnen waren. Er konnte zwar kein magisches Schwert bieten, aber er hatte seinen Charme – der auch ganz ohne Magie ausgesprochen effektiv sein konnte.

 

 

Spionageschiff Lupardus – Am Rand des Orionsystems

 

„Sprung erfolgreich abgeschlossen. Wir haben unser Ziel um fünfzig Millionen Kilometer verfehlt.“

General Roberto Rodriguez verzog die Mundwinkel.

„Das ist weit.“

Nachdem sie bei den letzten paar Sprüngen immer unter zweitausend Kilometer geblieben waren, hatte Roberto angefangen zu glauben, dass jemand einen Weg gefunden hatte, die Fehlsprünge der schiffsgroßen Sprungtore etwas einzuschränken, aber es war wohl doch nur Glück gewesen.

„Lieutenant Aru, setzen Sie eine Nachricht an die Admiralität ab: ‚Sprung mit fünfzig Millionen Kilometern erfolgreich, befinden uns im Anflug auf Orion III. Geschätzte Flugzeit‘“, er sah zu seinem Piloten und James hielt fünf Finger in die Luft, „‘fünf Tage.‘“

„Jawohl, Sir.“, antwortete seine Kommunikationsoffizierin und machte sich daran, die Textnachricht aufzusetzen.

Sprachkommunikation war in der Regel besser, aber bei der Lupardus handelte sich um ein Spionageschiff und die Regierung des Orion Paktes war sicher nicht begeistert davon, dass sich ein solches Schiff (womöglich das letzte, das noch existierte) in ihrem System aufhielt. Da ihre Mission nun nicht unbedingt darin bestand, Hauskatzen zum Angebotspreis zu kaufen, hatte das Rateri Protektorat auch wenig Interesse daran, den Aufenthalt publik zu machen.

„Alle Systeme funktionsbereit. Aktiviere Tarnsystem.“, Fähnrich Iriso hatte den Dienst auf der Lupardus erst vor wenigen Tagen angetreten, aber sich gut in seiner Rolle als Sensoroffizier eingefunden.

Mit aktiviertem Tarnsystem war die Lupardus für Sensoren unsichtbar. Während eines Sprungs musste es jedoch deaktiviert bleiben, da es zu Fehlfunktionen in Sprungtoren führen konnte. Ein Fehlsprung von fünfzig Millionen Kilometern war eine Kleinigkeit im Vergleich dazu, in Stücke gerissen zu werden.

Mit einer Länge von hundertfünfzig Metern und geformt wie ein Pfeil war die Lupardus ein normaler Vertreter ihrer Klasse. Ihre schmale, längliche Form erlaubt es ihr, schmalere Sprungtore zu benutzen und war daher etwas, worauf jeder Raumschiffhersteller achtete. Desto größer die Sprungtore, die man in einem System unterbrachte, desto größer die Gefahr, dass sie entdeckt wurden und desto höher ihr Energieverbrauch. Theoretisch hätten sie das seit Jahren im Orionsystem positionierte Geheimdienstsprungtor als Empfangstor nutzen können, aber ankommende Sprünge liefen immer Gefahr entdeckt zu werden. Besser jemand registrierte die Ankunft der Lupardus und schrieb sie dann, nachdem seine Scans nichts hervorbrachten, einem Systemfehler zu, als dass er den Bereich scannte und das Tor entdeckte. Nicht nur kamen Sprungtore nicht damit zurecht, wenn getarnte Objekte versuchten sie zu nutzen, das Verbauen von Tarntechnologie in ihnen hatte ähnlich desaströse Effekte.

Fünf Tage waren eine lange Flugzeit, die aber wenigstens keine große Arbeit bedeutete. Das Schiff konnte die Strecke mithilfe des Autopiloten zurücklegen und sämtliche eingehende Nachrichten konnte Roberto auf ein Headset umleiten lassen. Theoretisch musste also niemand auf der Brücke sein, bis sie sich einem Planeten oder einem anderen Raumschiff näherten.

Dennoch würden immer zumindest zwei Personen anwesend sein, wie es die Vorschriften vorsahen. Für den Großteil der zwanzigköpfigen Besatzung bedeutete das viel Freizeit, aber nicht für Roberto. Er würde Streits schlichten, Einsatzpläne ausarbeiten und alles was sonst noch anfiel erledigen müssen. Als Kapitän eines Schiffes hatte man niemals Ruhe, selbst wenn man mehrere Tage Nichtstun vor sich hatte.

 

 

2. Januar 2253

 

Wie erwartet waren seine Aufgaben klar verteilt: Schlichte Streit hier, schreibe Einsatzpläne da und finde eine Mütze Schlaf, wann immer du kannst. Die beiden Streithähne vor ihm belegten ihn in der ersten Funktion und hatten ihn in letzterer unterbrochen.

„Hatten wir das Thema nicht schon beim letzten Einsatz? Hat es nicht geheißen, es wäre geklärt und ihr könntet zusammenarbeiten?“

„Aber…“

Roberto hob abwehrend die Hand.

„Kein Aber. Wenn ich noch einmal erlebe wie ihr zwei euch streitet, lasse ich euch beide zum militärischen Aufbaudienst versetzen – in unterschiedlichen Trupps. Ist das klar?“

Die beiden nickten zögerlich und sahen sich ängstlich an.

Huron Samuel und Loroa Aru waren ein Paar. Normalerweise wäre es nicht gestattet, dass sie beide zusammen dienten, aber Roberto hatte bisher beide Augen zugedrückt, weil er keinen von beiden verlieren wollte. Und natürlich stritten sie sich während jedes Einsatzes mindestens einmal. Die letzten beiden Male ging es um Kinder. Zuerst, ob sie welche haben wollten oder doch nicht, dieses Mal ging es um den Zeitpunkt.

 

Beides könnte Roberto nicht weniger interessieren, aber er wusste, dass er keine Ruhe hätte, wenn er nichts unternahm. Die Drohung mit der Versetzung war nur einer der Schritte, den er sich überlegt hatte, während er beide vor seinem Büro schmoren ließ, der zweite war sehr viel drastischer.

„Sergeant Samuel, hiermit ordne ich Ihnen, nach diesem Einsatz, einen neunmonatigen Erholungsurlaub an. Wenn Sie während dieser Zeit eine Frau schwängern würden, würde sie automatisch die gleiche Zeit an Urlaub bekommen.“

Er sah sie beide scharf an, doch dann lockerten sich seine Züge und er griff zu einem sanfteren Tonfall.

„Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“

Beide lächelten erleichtert.

„Danke.“

Samuel langte über den Tisch und ergriff seine Hand.

„Danke.“

Überschwängliche Gefühlsausbrüche waren ihm immer unangenehm, also wurde Roberto schlagartig wieder förmlich.

„Weggetreten!“

 

Nachdem beide sein Büro verlassen hatten atmete er tief durch. Auch wenn er sich nicht für den Streit der beiden interessierte, hatte er doch nie vorgehabt, seine Drohung mit der Versetzung ernst zu machen, das würde er jedoch niemals ihnen gegenüber zugeben. Es war wichtig, dass sie glaubten, er würde es tun.

Wenn es nach ihm ginge, müssten die beiden nicht herumschleichen und könnten ihre Beziehung offen ausleben. Das würde nicht nur die Streitigkeiten eindämmen, sondern würde sie auch zu besseren Besatzungsmitgliedern machen, weil sie nicht ständig Angst haben müssten, entdeckt zu werden. Aber es war nicht an ihm, die Regeln zu ändern. Er konnte lediglich dafür sorgen, dass seine Leute sie ungestraft umgehen konnten und ihnen den Weg zeigen, wie.

 

 

Sonnenstadt – Orion IV

 

Es hatte nicht lange gedauert Julia von ihren „Freundinnen“ zu trennen. Sie feierten den Junggesellinnenabschied einer der anderen Frauen in der Gruppe (Seamus hatte ihren Namen schon wieder vergessen) und Julia war nur aus Höflichkeit eingeladen worden, weil sie die Schwester des Bräutigams war. Weder mochte sie ihre zukünftige Schwägerin, noch wollte sie beim Junggesellinnenabschied dabei sein. Aber, genauso wie sie aus Höflichkeit eingeladen worden war, musste sie auch aus Höflichkeit mitgehen. Familienfrieden war ein anstrengendes Gut.

All das hatte sie ihm erzählt, nachdem sie den ersten Drink runtergekippt hatte, den er ihr anbot. Offenbar hatte sie durchaus trinken wollen, nur nicht mit den Frauen, mit denen sie in der Rummelkatz war.

Zu seiner Überraschung hörte Seamus sich all das an, statt sich eine andere Frau zu suchen, mit der er schlafen könnte. Warum er das tat, war ihm nicht klar. Zwar hatte er sich gefreut, ihren Retter spielen zu können, aber ihre Probleme hatte er trotzdem eigentlich nicht hören wollen. Er hatte sie retten und dann weitergehen wollen, seine eine gute Tat für den Tag (oder das ganze Jahr, wenn er ehrlich mit sich war), aber irgendetwas an ihr hatte ihn in ihren Bann gezogen und er hatte sich all das angehört – hätte sich noch viel mehr angehört, wenn sie mehr erzählt hätte.

 

Als er seinen Gleiter eine halbe Stunde später nach Hause flog, saß Julia neben ihm.