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Vorwort

 

Die Veröffentlichung der kompletten MYTHOR-Serie in Form von E-Books ist bereits die dritte »Inkarnation« dieses Fantasy-Epos. Zuerst erschienen anfangs der 80er-Jahre die Heftromane, in den sogenannten Nuller-Jahren gab es den ersten Zyklus in Form einer Buchausgabe – und jetzt kommen die klassischen Romane in einer digitalen Version.

Bei MYTHOR handelte es sich nach DRAGON um den zweiten Versuch, eine Fantasy-Romanheftserie in Deutschland zu etablieren. Im April 1980 erschien der erste MYTHOR-Roman mit dem Titel »Der Sohn des Kometen«, geschrieben von dem in Fantasy-Kreisen gut bekannten Autoren Hugh Walker.

Beworben wurden die Romane unter anderem auf den Seiten von PERRY RHODAN, der größten Science-Fiction-Serie der Welt. Darüber hinaus wurde Werbung in »Terra Fantasy« gedruckt, der Taschenbuchreihe, in der Fantasy-Romane verschiedenster Autoren veröffentlicht wurden.

MYTHOR war zu diesem Zeitpunkt die einzige Serie aus dem deutschsprachigen Raum, die Fantasy im klassischen Sinn lieferte – und das mit Fortsetzungs-Charakter und einem »epischen« Handlungsbogen. Die Autoren fischten ihre Ideen aus dem Fundus, den es gab: Elemente aus Robert E. Howards »Conan der Barbar« tauchten ebenso auf wie solche aus J.R.R. Tolkiens »Herr der Ringe«. Es entwickelte sich ein grandioses Epos voller Schwert und Magie in einer detaillierten Fantasy-Welt mit zahlreichen Elementen.

MYTHOR fand anfangs der 80er-Jahre viele Fans, brachte viele junge Leser dazu, sich mit dem Genre zu beschäftigen, und löste so den späteren Fantasy-Boom mit aus. Wie Mythor sich als junger Krieger durch die Länder der Nordhalbkugel schlug – das war großartig, das faszinierte, das riss mit.

Es folgte ein zweiter Zyklus, der den Helden auf die Südhalbkugel der Welt führte; geschildert wurde eine Welt mit Amazonen, die von Frauen regiert wurde und ganz anders strukturiert war. Und darauf folgte der dritte Zyklus, der in die finstere Dämonenzone führte; die Welt von MYTHOR entwickelte sich in all den Jahren weiter und wurde komplexer.

Darüber hinaus keimte eine eigene Fan-Szene rings um MYTHOR, aus der Spiele und Geschichten, Fanzines und Clubs entstanden. Fan-Treffen wurden veranstaltet, ein Briefspiel zur Serie wurde betrieben – und parallel dazu veröffentlichten die deutschen Verlage immer mehr Fantasy-Romane im Taschenbuch oder gar im Hardcover.

Viel zu früh kam im Dezember 1985 das Ende für die Serie. Sie wurde nicht komplett abgeschlossen; erst später brachte die Zeitschrift »Magira« noch einen letzten Roman sowie Exposés und Datenblätter.

Was bleibt, ist die Erinnerung an eine packende Fantasy-Serie, die anfangs der 80er-Jahre Maßstäbe setzte. Die Autoren lebten sich teilweise in ihren Figuren und Handlungsorten richtig aus, sie führten eigene Handlungsträger durch packende Abenteuer.

Das alles lässt sich jetzt wieder neu erleben und nachempfinden. MYTHOR ist wieder da, und ich würde mich sehr freuen, wenn die Serie wieder viele neue Freunde fände.

 

Klaus N. Frick

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Nr. 1

 

Der Sohn des Kometen

 

von Hugh Walker

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Die Mächte der Finsternis, die dereinst die Welt beherrschten, bis sie vom Lichtboten und seinem Kometentier zurückgedrängt wurden, sind wieder im Vormarsch begriffen.

Nachdem der Lichtbote zu anderen Orten des Kosmos gezogen war und die Welt wieder sich selbst überlassen hatte, begannen die Kräfte des Bösen, die sich nach ihrer entscheidenden Niederlage in die Dunkelzone geflüchtet hatten, wieder zu erstarken. Inzwischen greifen sie aus der Dunkelzone, einem Ring kosmischer Trümmer, der die Welt umgibt und in eine Nord- und eine Südhälfte teilt, wieder an und beeinflussen bereits weite Teile der nördlichen Länder und deren Bewohner.

Besonders die Caer – ein Volk von Kriegern und Seefahrern – handeln unter dem Kommando ihrer dämonischen Priester im Auftrag der dunklen Mächte. Mit einer gewaltigen Flotte brechen sie zu einem Eroberungsfeldzug auf und bedrohen die kontinentalen Herzogtümer von Tainnia.

Erstes Ziel der Invasoren ist die befestigte Stadt Elvinon, die von Herzog Krude beherrscht wird. Elvinon ist auch der Ort, den Mythor erreicht, der junge Kämpfer, der dem Untergang der Nomadenstadt Churkuuhl nur um Haaresbreite entging.

Man sagt, Mythor sei DER SOHN DES KOMETEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Mythor – Ein geheimnisumwitterter junger Mann.

Etro – Erster Bürger von Churkuuhl, der Wanderstadt.

Krude – Herzog von Elvinon.

Nyala – Tochter des Herzogs.

Zohmer Felzt – Hauptmann der Leibgarde des Herzogs.

1.

 

Das Chaos und das Sterben begannen in der Morgendämmerung und überraschten die Wachen und die Schlafenden gleichermaßen, die, die es mit halbem Herzen erwarteten, und die, die auf die Götter vertrauten. Selbst jene, die Mythors Warnungen nicht in den Wind geschlagen hatten, hörten mit Grauen und einer ergebenen Hilflosigkeit auf die Geräusche des Untergangs der Welt.

Denn Orina, die Seherin, hatte keinen Schatten erblickt, und Etro, der Erste Bürger Churkuuhls, hatte entschieden, dass sie blieben.

So blieben sie – wie sie es immer getan hatten, den ganzen weiten Weg, den ihre Stadt gewandert war. Sicher waren sie immer nur auf dem Rücken der Yarls gewesen, hinter ihren hölzernen Zinnen und Wehren, den balkengesicherten Toren und Fenstern, auf den schwankenden Panzern, die sie durch die Länder des Lichts trugen.

Das war die Welt der Marn – ihre hölzerne Stadt Churkuuhl, die auf den gewaltigen gepanzerten Yarls seit eineinhalb Generationen nach dem Sternbild des Drachen kroch, unlenkbar von Menschenhand, gehalten allein von den Fäden der Fügung.

Sie kamen tief aus dem Süden, wo der Abgrund der Welt lag, wo der Schatten über das Land fiel und der halbe Himmel erfüllt war von einer düsteren Glut, wo es Lichter regnete, die starben, bevor sie die Erde berührten, und wo die Wirklichkeit so trügerisch wie Träume war. Aber das lag viele Generationen zurück in einer Zeit, bevor die Yarls aufhörten, dem Willen ihrer Bewohner zu folgen. Seither war der Glanz südlicher Sterne längst verblasst und die Glut südlicher Sonne Asche in ihren Herzen geworden. Die Winter in Tainnia hatten ihre Gemüter gefroren und ihre Herzen das Frösteln gelehrt.

Aber es gab keinen Weg zurück. Es gab nichts, was die Yarls zur Umkehr gebracht hätte. Etwas trieb sie – ein Zwang, ein Fluch. Und immer hatten die Ersten Bürger Churkuuhls entschieden zu bleiben. Denn der Gedanke, die schützende Stadt zu verlassen, war viel erschreckender als die ungewisse Zukunft auf dem Rücken von Yarls, die unbekannten Mächten gehorchten.

Durch viele Länder waren sie gezogen, solche, die sie vergaßen und solche, die in ihrer Erinnerung haftenblieben. Warme Länder wie Kyrion, Arkenien, Tahora, Itanien, Salamos. Doch dann kam Tainnia mit immer längeren Wintern, dass es manchmal schien, als läge eine neue Schattenwelt voraus, zu der es die Yarls zog.

Selten nur hatten sie ihre Wehren verlassen und sich den Gefahren des festen Landes ausgesetzt, den meist feindlich gesinnten Bewohnern, der Wildnis, den Bestien. Nur wenn es sein musste, wenn sie Wasser brauchten oder ihre Toten verbrannten, oder wenn das Futter für ihre Ziegen und Kühe knapp wurde.

Erst in den letzten fünf Jahren, als der junge Mythor begonnen hatte, junge Marn mit seiner fremdartigen Neugier anzustecken, hatte ein kleiner Trupp Wagemutiger ab und zu Churkuuhl verlassen und das Land in unmittelbarer Nähe erkundet. Nur Mythor selbst hatte trotz aller Warnungen immer wieder weite Streifzüge unternommen, sogar Kontakt mit den Menschen aufgenommen, wenn Dörfer in der Nähe waren, und ihre Sprache, ihren Dialekt verstehen gelernt und manch Nützliches mitgebracht – Waffen, Geräte aus Eisen, selbst Pferde, auf denen sie reiten lernten. Dennoch vermochte er niemanden von der Nützlichkeit, vielleicht sogar der Lebensnotwendigkeit seiner Neugier zu überzeugen. Sie alle warnten ihn, die Ältesten, seine Familie. Wenn sie ihn gehen sahen, schüttelten sie die Köpfe. Wenn sie ihn kommen sahen, machten sie das Zeichen Quyls, des weisesten ihrer Götter. Doch auf ihre Art achteten sie und respektierten sie Mythor, obwohl er nicht einer der Ihren war, weder vom Äußeren noch vom Wesen, aber sie hatten den Lichtschimmer gesehen, der ihn umgab, als er ein Knabe war, und sie hatten in seiner Gegenwart den Schrei des legendären Bitterwolfs gehört.

Er war ein wenig jener schimmernden Gestalt ihrer Mythen und Prophezeiungen, der das Feuer in seiner Faust hielt und der ewigen Schwärze der Schatten Einhalt gebot und sie letztendlich besiegte. Deshalb nannten sie den Knaben Mythor, nach dem mythischen Helden des Lichts.

Doch das Licht, das ihn umgab, schwand, als er heranwuchs, und der Bitterwolf ward nicht mehr gehört.

Was er sagte und tat, wog ein wenig mehr als das anderer Marn, aber nicht genug. Er achtete ihre Gesetze, doch lachte über ihre Ängste. Er schlug ihre Warnungen über die Welt außerhalb Churkuuhls in den Wind. So lernte er mehr und wusste er mehr als sie. So lernte er, offen zu kämpfen, statt sich zu verkriechen. So lernte er, dass der Boden fest war und dass alle Bewegung dem eigenen Willen entsprang, und dass jeder, der Kraft genug besaß, an den Fäden der Fügung mitknüpfen konnte.

Er jedenfalls würde das tun!

Doch nun sah es aus, als endeten alle Fäden im Meer der Spinnen.

Seit hundert Tagen hatten die Yarls nicht mehr angehalten, um Nahrung aufzunehmen. Ohne Unterlass schoben sie sich vorwärts mit ihren drei Dutzend Beinen, den spitzen Kopf vorgestreckt, den Rachen geöffnet und keuchend, die vier dunklen, starren Augen hungrig auf etwas in der Ferne gerichtet, was die Menschen Churkuuhls nicht zu sehen vermochten. Ihre Bewegungen waren schwankend und stolpernd geworden wie von Erschöpfung.

In den letzten zwanzig Tagen waren immer wieder Reiter aus der Ferne aufgetaucht und hatten die seltsame wandernde Stadt in sicherem Abstand begleitet – bewaffnet und zeitweilig in so großer Zahl, dass auch Mythor nicht mehr wagte, Churkuuhl zu verlassen, um den Weg zu erkunden, den die Yarls nahmen. Aber er fand es auch so bald genug heraus, denn sie hörten die Brandung. Vor ihnen lagen die Klippen einer felsigen Küste, die steil abfiel in schäumende Gischt. Nach dem, was Mythor auf seinen Streifzügen über Tainnia erfahren hatte, mochten sie die Straße der Nebel erreicht haben oder das gefürchtete Meer der Spinnen.

Und es sah aus, als würden auch die Felsen den besessenen Marsch der Yarls nicht aufhalten. Zum ersten Mal in seinem Dasein zögerte der Erste Marn mit der Entscheidung. Denn in Churkuuhl zu bleiben bedeutete den Tod. Niemand in der Stadt zweifelte, dass die Yarls besessen waren – von Mächten der Schattenwelt, an deren unmittelbarem Rand sie geboren wurden und in die Lichtwelt hinauswanderten.

Und während Etro noch zögerte, hielten die Yarls an. Sie sanken nieder mit klagenden Schreien und regten sich nicht mehr. Ihre mächtigen Köpfe glitten zurück unter die gewaltigen Panzer, auf denen die Häuser der Marn standen.

Nun, da die unmittelbare Gefahr vorüber war, entschied Etro wie gewohnt, dass sie blieben, denn alle Gefahren, die ihnen jenseits ihrer vertrauten und sicheren Bauten drohten, wären ungleich größer gewesen als das Risiko auf den Panzern besessener, doch zu Tode erschöpfter Yarls.

Mythor warnte, doch es war entschieden. Die tainnianischen Reiter waren ihnen gefolgt und kamen in der Abenddämmerung näher an die so plötzlich stillstehende Wanderstadt heran. Sie waren viele, vielleicht nicht genug, um Churkuuhl zu stürmen, wovon sie wohl auch die Furcht vor den Yarls abhalten mochte, doch genug, um sie niederzureiten, wenn sie ihre schützenden Wälle verließen. Selbst Mythor, der dazu neigte, an Fremden erst die friedliche Seite zu sehen, war in diesem Fall ziemlich sicher, dass die Tainnianer auf Beute aus waren und nur auf einen günstigen Augenblick warteten.

So blieben sie alle und warteten in der hereinbrechenden Dunkelheit, bis Müdigkeit und Schlaf die meisten übermannte.

Das war am Vorabend gewesen.

 

*

 

Und nun, in der Morgendämmerung, erwachte die Nomadenstadt, um zu sterben.

Erst ein Yarl, der aus seiner erschöpften Starre erwachte, den Schädel aus seinem Panzer schob, um sich blickte mit düsterer Glut in den Augen, von der die alten Legenden der Marn warnend als Dämonenfeuer berichteten. Der Koloss ruckte hoch, fast wie es Kamele tun, wenn sie sich erheben. Die Häuser und Türme schwankten knirschend, Seile rissen knallend. Ein Dutzend Marn, die Familien Altras und Katrans, die auf diesem Yarl lebten, erwachten im Angesicht des Todes – jene wenigstens, die nicht bereits im Schlaf erschlagen wurden. Die Balkenwände rissen wie Strohmatten.

Wen das Krachen noch nicht aus dem Dämmerschlaf gerissen hatte, in den die meisten trotz der möglichen Gefahr schließlich gegen Morgen erschöpft gesunken waren, der schreckte durch das Schreien der Menschen hoch. Während die Marn zu den Waffen griffen und auf ihre Zinnen und an ihre Schießscharten liefen, stieß der Yarl einen langgezogenen Schrei aus, der wie das Heulen verdammter Seelen klang. Keiner der Marn hatte je solch einen Schrei vernommen, und selbst den Yarls musste er erschreckend klingen, denn viele erwachten aus ihrer Leblosigkeit und setzten sich ruckartig in Bewegung. In wenigen Augenblicken war ganz Churkuuhl ein schreiendes, krachendes Chaos, in dem jeder um das nackte Überleben kämpfte.

Doch das war erst der Beginn.

Als der Schrei des Yarls verstummte, schob das Geschöpf sich vorwärts mit seinen Trümmern und Toten auf dem Rücken und glitt mit scharrenden Beinen über die Felsen auf die Klippen zu. Die übrigen Yarls hatten innegehalten. Ihre vorgestreckten Schädel waren auf das Meer gerichtet. Auch die Menschen waren verstummt, selbst jene, die Qualen litten, als spürten sie alle, dass noch Grauenvolleres bevorstand.

Und die sehen konnten inmitten der Trümmer, erblickten das Ende zweier ihrer Familien, als der Yarl sich scharrend über die Klippen schob und in die Tiefe stürzte.

Und atemlose Augenblicke später vernahmen sie erneut das Heulen des Yarls, peinvoll diesmal, und sie hörten das Tosen von Wasser und Geräusche wie von einem gewaltigen Kampf. Dann Stille, nur die Brandung.

Aber gleich darauf schrie ein weiterer Yarl und schob sich auf die Klippen zu.

Da kam Bewegung in alles, was noch Kraft und Leben besaß, sich zu bewegen.

Die Menschen befreiten sich aus den Trümmern ihrer Häuser und Wehren und waren hilflos außerhalb der trügerischen Sicherheit, auf die sie so lange vertraut hatten, um so mehr, als es auch draußen keine Sicherheit gab. Zwischen den dicht zusammengedrängten Yarls war wenig Platz und wenig Schutz vor herabstürzenden Trümmern. Ihre mächtigen Beine mit den steinharten Krallen würden alles zermalmen, wenn sie in Bewegung kamen. Und in ihren schwankenden Köpfen und den lodernden Augen war deutlich genug zu lesen, dass sie jeden Augenblick losstürzen würden.

Mit neuem Schreien und Heulen setzte sich ein weiterer Koloss in Bewegung und schob sich zwischen einem halben Dutzend erstarrter Yarls hindurch, begleitet von donnerndem Krachen, als Panzer und Türme gegeneinanderstießen. Der Boden erzitterte. Männer und Frauen und Kinder sprangen in panischem Entsetzen aus den Häusern. Die meisten gerieten zwischen die Yarls, unter die rasenden Beine und zwischen die Panzer, wo sie ein rasches Ende fanden. Die nicht den Mut fanden, in die Tiefe zu springen, riss der Yarl mit sich über die Klippen in die tosenden Fluten.

Bevor die Geräusche des Sterbens verklingen konnten, klangen neue auf, als ein dritter Yarl Anlauf in den Tod nahm. Es war einer aus der Mitte der Herde, und er pflügte einen Weg durch die Stadt wie ein Orkan, kroch mit Urgewalt über seinesgleichen hinweg.

Ein weiterer folgte, noch bevor er die Klippen erreicht hatte.

Dann zwei.

Drei.

Ein halbes Dutzend.

Es ging immer schneller. Die Kraft, die sie über die Klippen lockte, griff rasch um sich. Und dass es am lichten Tag geschah – die ersten Strahlen der Morgensonne tauchten die Klippen in blendendes Licht –, dass die Dämonen der Schatten die Macht besaßen, ihre Geschöpfe zu dieser Zeit zu rufen, machte es um so schrecklicher.

Der Stamm der Marn war viele Generationen lang auf diesen Yarls durch die Lichtwelt gewandert. Immer, seit die Yarls begonnen hatten, ihren eigenen Weg zu gehen, unbekümmert um die lenkenden Versuche ihrer menschlichen Parasiten, war ihr Schicksal ungewiss gewesen.

Nun gab es keine Ungewissheit mehr. Hier war ihr Weg zu Ende. Hier würden sie bleiben, begraben in den Trümmern ihrer eigenen Stadt, die sie nie verlassen hatten.

 

*

 

Es gab einige, die sich nicht abfanden mit diesem Schicksal.

Das war eine Gruppe junger Marn, die immer zu Mythor aufgeblickt hatten, die in ihm ein Idol sahen, auch wenn sie selbst nicht immer den Mut fanden, die Warnungen ihrer Eltern in den Wind zu schlagen und wie er Abenteuer auf der festen Erde zu suchen. Aber sie hatten seinen Erzählungen gelauscht, und manchmal hatten sie ihn sogar begleitet.

Sie hatten ein wenig von seinem Geist, dem Geist des Abenteurers. Sie waren bereit, auch außerhalb Churkuuhls ein Leben aufzubauen, wie schwer es auch immer sein mochte.

Ein wenig mehr als zwanzig fanden sich zusammen bei den äußeren Yarls. Die dunkle Haut ihrer Gesichter war bleich vor Furcht.

Sie hatten ihre Yarls verlassen und folgten dem Plan, den Mythor mit ihnen noch während der Nacht besprochen hatte. Einige schafften Waffen und Vorräte zwischen die schützenden Felsen, andere sammelten Fliehende auf und versuchten, die Familien aus ihren Häusern zu treiben, solange ihre Yarls noch ruhig lagen. Viele ihrer Freunde, mit denen sie nachts noch Pläne geschmiedet hatten, fehlten. Manche mochten bereits tot sein oder abgeschnitten. Es war ein waghalsiges Unterfangen, zu den inneren Yarls vorzudringen oder gar in die Nähe der Klippen zu gelangen. Das Brüllen und Schreien erklang nun immer häufiger. Schwarzer Rauch stieg irgendwo im Innern der Stadt auf. Die Yarls waren alle wach. Sie lauschten mit erhobenen Schädeln – doch nicht auf die Geräusche der Zerstörung und des Todes, sondern auf etwas, das ihren dunklen, verlorenen Geist berühren würde.

Sie waren weit durch diese Welt gekrochen, um es zu finden.

Sie waren bereit.

Und für jeden kam der Ruf.

2.

 

Mythor war einer der letzten, der die Versammlung der Verschworenen verlassen hatte. Der Morgen begann bereits zu grauen, als er aus Gorgins Haus stieg. Mehr denn zuvor spürte er die Gefahr. Er schüttelte sich unwillkürlich. Er hätte nicht so lange warten dürfen. Das schwierigste stand noch bevor: seine Familie zu überzeugen, Churkuuhl zu verlassen. Aber es war auch nicht leicht gewesen, den Freunden klarzumachen, dass sie auf eigene Faust handeln mussten, wenn die Gefahr da war, die er spürte. Dass er nicht zu sagen vermochte, was geschehen würde und woher seine Ahnung kam, stellte ihr Vertrauen auf eine harte Probe. Aber sie hatten zu viele Dinge gemeinsam gemacht, die der Tradition der Marn zuwiderliefen, sie waren eine verschworene Gemeinschaft, die Verschworenen, wie sie sich nannten. Und so wie der Stamm der Marn einen Führer hatte, Etro, den Ersten Bürger von Churkuuhl, so war Mythor ihr Führer, dieser junge Fremde, mit dem sie aufgewachsen waren.

In solchen Augenblicken, da er sie für etwas zu begeistern oder überzeugen suchte, spürte er immer am deutlichsten, dass er anders war; nicht nur vom Äußeren – sein Haar war glatt und dunkelbraun, ihres schwarz und kraus, seine Haut war heller als ihre, wenn auch nicht so weiß wie die der Bewohner Tainnias, sein Gesicht länglicher und kantiger –, mehr noch vom Wesen. Was er an ihnen so sehr vermisste, war der Tatendrang. Sie besaßen zuviel Phantasie, mit der sie ihn ersetzten.

Wenn er fragte: Was mag wohl hinter jenen Hügeln liegen?, so konnten sie ihm wundervolle Geschichten erzählen, von Dingen, die dort sein mochten, von denen sie träumten. Und begnügten sich damit! Was wirklich dort sein mochte, war nicht etwas, das einen Marn interessierte. Seine Welt war seine Stadt, der Weg, den die Yarls nahmen. Und was das Schicksal ihnen bescheren wollte, musste es ihnen schon in den Weg legen, sonst zogen sie blind daran vorbei.

Aber die Jahre an Mythors Seite waren an ihnen nicht ohne Spuren geblieben. Da war noch immer die eingefleischte Furcht, Churkuuhl zu verlassen. Doch an seiner Seite vergaßen sie sie oft.

Sie waren etwa gleichen Alters, um die zwanzig Sommer, Jungen und Mädchen.

Unter ihnen Taka aus Elkrins Familie, deren Augen selten von ihm ließen, wenn sich die Gruppe traf, und deren Sinnlichkeit ihn oft in die Träume verfolgte – ihre Lippen, wenn sie ihm zulächelte, ihr Körper, wenn sie sich bewegte. Er spürte, dass sie ihn begehrte und darauf wartete, dass er den ersten Schritt tat, wie es der Brauch war. Aber trotz seiner leidenschaftlichen Träume vermochte er sich nicht dazu durchzuringen. Denn wenn ihre Leidenschaft fruchtbar war, würde er einen großen Schritt in die Richtung ihrer Art zu leben tun müssen. Sie würden ihm ein Haus geben, und Mythor würde Haupt einer Familie sein.

In Takas Armen würde er ein Marn sein müssen. Aber er hatte auch noch andere Träume, die aus Churkuuhl hinausführten. Und würde Takas Leidenschaft groß genug sein, dass sie ihn begleitete?

Als Mythor den Panzerrand erreichte und sich daran machte, die Strickleiter auf den Boden hinabzusteigen, sah er eine dunkle Gestalt am Boden auf ihn warten.

»Myth!« So nannten sie ihn in ihrem Kreis. Es war Takas Stimme.

Er spürte, wie sein Herz heftiger schlug. Gleichzeitig spürte er die Drohung, die über ihnen allen lag, stärker als je zuvor. Ein Schatten war über ihnen, über Churkuuhl. Mythor war es, als wiche alles Licht aus seinen Gedanken.

Er stieg hastig hinab und nahm sie an den Armen. »Taka, wo ist dein Bruder?«

Sie erschrak über seine düstere Miene. »Ist es soweit?«, fragte sie.

»Ich ...« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Aber es war nie näher als in diesem Augenblick.«

»Ich habe allein auf dich gewartet. Mein Bruder ist bereits im Haus. Du weißt, warum ich auf dich gewartet habe, Myth? Nicht wahr, Myth?«

»Ich begleite dich, wenn du es möchtest. Komm. Ich glaube, es ist nicht mehr viel Zeit ...«

Sie kam in seine Arme und hielt ihn am Nacken umschlungen. Sie schloss die Augen und murmelte: »Du hast recht, wir haben nicht mehr viel Zeit.« Trotz ihrer geschlossenen Augen fand sie seinen zögernden Mund mit ihren hungrigen Lippen und seufzte erleichtert, als er sich entspannte und ihre Zärtlichkeiten erwiderte.

Ihre Küsse wurden jäh unterbrochen, als in der Nähe der Klippen der erste Yarl erwachte und sich aufrichtete, als wollte er springen. Gebäude krachten und Schmerzens- und Entsetzensschreie schallten schrill durch die Morgendämmerung.

Als die beiden erschrocken voneinander abließen, sahen sie am fernen Ende der Stadt Türme und Häuser schwanken und einstürzen.

Ringsum wurde die Stadt lebendig. Gesichter erschienen in den dunklen Öffnungen der Häuser.

Mythor kletterte hastig die Strickleiter hoch.

»Warte auf mich ... bitte!«

Er griff nach ihrer Hand und zog sie hoch. Er spürte, dass sie zitterte.

Er fröstelte. Das Mädchen klammerte sich an seinen Arm, und er war dankbar für die Wärme ihres Körpers. Er lauschte den berstenden Geräuschen und den Schreien.

»Ist es das, was du erwartet hast?«, fragte Taka.

Er hob stumm die Schultern und ließ sie wieder sinken.

Von ihrem tiefen Standpunkt aus konnten sie nicht viel erkennen. Doch der Tumult schien sich zu entfernen.

Dann erschütterte ein schier nicht enden wollendes Brüllen die Dämmerung, das die Yarls ringsum aus ihrer Leblosigkeit weckte. Ihre mächtigen Schädel schoben sich aus den Panzern.

»Die Yarls ...!«, entfuhr es dem Mädchen.

»Wir müssen herunter!«, rief Mythor. »Wenn sie zu laufen beginnen, ist es zu spät! Du weißt, was zu tun ist, Taka«, sagte er eindringlich. »Wir haben es heute Nacht besprochen. Zwischen den Felsen ist die einzige Sicherheit ...« Ein schrilles Wiehern von Pferden ließ ihn innehalten. Es kam aus der Richtung der tainnianischen Reiter. »Auch vor ihnen. Für eine Weile wenigstens ...«

»Und dann?«

»Dann werden wir kämpfen und es ihnen wenigstens nicht zu leicht machen. Beeil dich, Taka.«

»Und du?«

Erneutes Krachen kam von den Klippen her. Ein weiterer Teil der Stadt setzte sich schwankend in Bewegung, begleitet von panischen Schreien.

»Sie stürzen ins Meer!«, schrie jemand von einem Turm. »Großer Quyl, sie stürzen ins Meer! Wir sind alle verloren ...!«

Mythor sah in Takas bleiches Gesicht. »Meine Eltern ..., ich will versuchen, sie in Sicherheit zu bringen.«

Taka nickte. »Ich komme mit dir, Myth.«

Er schüttelte hastig den Kopf. »Nein! Sie können jeden Augenblick losstürmen.« Er deutete auf die Yarls.

Als gelte es, die Wahrheit der Worte zu beweisen, brüllte eines der Tiere am jenseitigen Rand der Herde und schob sich mit einem gewaltigen Ruck vorwärts. Die Häuser auf seinem Rücken rissen aus ihren Verankerungen und fielen zusammen. Schreie verhallten und verstummten, während sich die Ruinen mit zunehmender Geschwindigkeit vorwärts schoben und mit donnernden Geräuschen verschwanden.

»Weshalb tun sie das?«, fragte Taka tonlos.

Mythor starrte auf den emporgereckten Schädel des Yarls, auf dem sie standen. »Es ist, als ob sie nur auf ein Zeichen warteten ...«

In der Mitte Churkuuhls neigten sich die Türme. Überall schienen die Yarls in Bewegung zu kommen, rasten in solche, die noch ruhig standen. Die Geräusche dieser gewaltigen Zerstörung und des Sterbens waren unbeschreiblich.

»Aus den Häusern! Verlasst die Yarls!« Mythor sah ein, wie nutzlos sein Rufen war. Niemand vermochte ihn zu hören.

So rüttelte er an Türen, die verschlossen waren. Aber selbst in Häusern, in die er eindringen konnte, hörte niemand auf ihn.

Er ahnte, dass es fast unmöglich sein würde, die Herde zu durchqueren und durch die Trümmer zum Haus Curos', seines Vaters, zu gelangen. Aber er war entschlossen, es zu versuchen. Wie die meisten Marn würden sie ihr Haus nicht verlassen. Sie hatten es ihm gesagt: wenn es Quyls Wille war, dass sie hier starben, dann wollten sie es innerhalb der Wände tun, wo sie immer Schutz gefunden hatten.

Aber Quyls Wille war etwas, mit dem sich Mythor nie abgefunden hatte.

Als er die Nutzlosigkeit seiner Versuche einsah, die Menschen von den Yarls zu treiben, arbeitete er sich zielstrebig auf die Mitte der Herde vor. Manchmal standen die Yarls so dicht, dass er von Panzer zu Panzer springen konnte, doch meist musste er den mühseligen Weg die Strickleitern hinab und wieder hinauf nehmen. Die Erde bebte unter den donnernden Beinen und scharrenden Panzern der Yarls.

Nach einer Weile wurde Mythor bewusst, dass Taka beharrlich hinter ihm blieb. Er hielt an. Die Sonne ging auf und enthüllte mit aller Klarheit, dass die Stadt auch hinter ihnen bereits in Bewegung war. Der Weg zurück war so mörderisch wie der nach vorn. Er war plötzlich froh, nicht allein zu sein in diesem Chaos. Er drückte sie flüchtig an sich. Ihre Lippen bewegten sich, aber er verstand nicht, was sie sagte. Bisher hatten sie Glück gehabt. Die Yarls auf ihrem Weg waren alle ruhig gewesen.

Doch gleich darauf stießen sie auf die Zerstörung.

Taka unterdrückte nur mühsam einen Aufschrei. Mythor ballte die Fäuste.

Der Boden war übersät mit Trümmern, die einst Häuser gewesen waren. Tote lagen dazwischen, verstümmelt und halb begraben. Wie ein breiter Pfad durch einen Dschungel führte der Weg der Zerstörung durch die Stadt, über andere Yarls hinweg, deren Panzer ebensolche Ruinenfelder waren, bis hin zu den fernen Klippen.

Sie kletterten hinab zu den stillen Körpern. Sie waren alle tot. Krinans Familie. Coren und seine Brüder. Die kleine Cana.

Der Boden erbebte, und der Schrei eines Yarls in unmittelbarer Nähe betäubte sie fast. Schwere Balken rollten mit dumpfem Poltern über die Trümmer. Die Luft war erfüllt von Gegenständen, die wie Geschosse niederprasselten.

Taka zog Mythor in trügerische Deckung und drängte sich schützend an ihn.

Der Yarl neben ihnen hatte sich in Bewegung gesetzt. Sein Schädel reckte sich vor, als wollte er das Unmögliche versuchen und sich in die Luft schwingen wie ein Vogel. Die klauenbewehrten Beine hieben in den Boden und schoben die mächtige Masse vorwärts, ungeachtet der Hindernisse – ein halbes Dutzend Yarls, die in seinem Weg lagen.

Die Häuser schwankten. Panische Schreie erklangen, als die Menschen, die sich verkrochen hatten, durch die Räume gewirbelt wurden. Nun war es zu spät für eine Flucht. Seile rissen. Die Grundbalken glitten aus ihren Verankerungen, als der Yarl sich aufrichtete, um über das Hindernis vor ihm zu kriechen. Mauern und Dächer kippten, brachen auseinander. Häuser und Türme sackten zusammen und begruben alles unter sich, was nicht mehr ins Freie fand.

Die Schreie verstummten, doch nicht das dämonische Brüllen des Yarls und das Donnern und Krachen der Häuser, über die er sich hinwegschob in seinem unerklärlichen Verlangen, das Meer zu erreichen.

Einige Marn wagten sich aus den umliegenden Häusern. Sie hatten das Sterben und die Vernichtung unmittelbar miterlebt. Es wurde ihnen klar, dass ihnen dasselbe Schicksal jeden Augenblick bevorstand. Sie sahen die Trümmer und die Toten, und das Verlangen, wieder in ihre Häuser zurückzukehren, die ihnen immer Schutz gewesen waren, war groß. Dann entdeckten sie Mythor und Taka, die winkten und riefen. Da fassten sie Mut, stiegen von ihren Yarls herab und folgten den beiden auf ihrem Weg durch die Ruinen von Churkuuhl.

Mythor gab seinen Plan auf, Curos' Yarl zu erreichen, der sich in der Nähe der Klippen befand. Die tiefen Furchen der Vernichtung führten alle in diese Richtung, und jeden Augenblick entstanden neue. Wenn sie sich nicht längst aus eigener Kraft in Sicherheit gebracht hatten, wie er es ihnen riet, wenn etwas Ungewöhnliches geschehen sollte, würde keine Hilfe sie mehr rechtzeitig erreichen. Er presste die Lippen zusammen und verdrängte die Vorstellung, dass sie längst tot sein mochten.

Es galt nun, die Marn, die sich ihm und Taka angeschlossen hatten und deren Zahl ständig wuchs, in Sicherheit zu bringen. Er musste den kürzesten Weg aus Churkuuhl und der Herde hinaus finden.

Es zeigte sich, dass die, die sich Mythors Flüchtlingszug angeschlossen hatten, rasch begriffen, was zu tun war. Sie hielten die Richtung, die Mythor anzeigte, doch sie fächerten aus und holten andere aus den noch heilen Häusern, manchmal mit Gewalt.

Mehrere Feuer brannten bereits in den Ruinen, wo glühende Herdstellen plötzlich Nahrung fanden. Dunkle Rauchwolken stiegen in den sonnenhellen Morgenhimmel. Und zur alten Furcht vor der Außenwelt gesellte sich nun auch jene vor dem Feuer, wie sie in den Herzen der Menschen wohlverankert ist, die in Städten aus Holz leben.

Eine Weile versuchten sie auch Verwundete aus den Ruinen zu holen, doch das verlangsamte ihre Flucht, und ganze Scharen gerieten solcherart in die Bahn plötzlich losstürmender Yarls und wurden zertrampelt oder unter den gewaltigen Körpern erdrückt.

Immer rascher wurden die Tiere von ihrem Wahnsinn erfasst und stürmten auf die Klippen zu. Die Feuer trieben auch die übrigen aus ihrer Reglosigkeit. Sie trampelten in Panik zur Seite oder warfen sich auf die Yarls neben ihnen, wobei sie ein drohendes Brüllen ausstießen und mit den vorderen Klauen um sich schlugen. Noch nie zuvor in all den Generationen hatten die Marn ihre Yarls in solch kämpferischer Erregung gesehen. Voll Grauen starrten sie auf die Zerstörung, voll Furcht wichen sie vor der dämonischen Wildheit der Kolosse zurück, denen sie so lange ihr Leben anvertraut hatten. Die Yarls waren für sie wie Schiffe gewesen; Schiffe, die ihre Vorväter aus Gründen, die sie nicht mehr wussten, zu lenken verlernt hatten.

 

*

 

Ein wenig abseits des großen Sterbens standen ein gutes Hundert Beobachter in tainnianischen Waffenröcken und Kettenhemden, wohlbewaffnet und gerüstet für den Kampf, der Elvinon bevorstand. Sie waren seit vielen Tagen aus Darain und anderen Dörfern im Osten und Süden des Landes unterwegs, um Herzog Krudes Ruf zu den Waffen zu folgen. Wenige Tage vor Elvinon waren sie dann auf die Fährte der Nomadenstadt gestoßen und ihr gefolgt. Sie hatten Boten nach Elvinon gesandt, die von ihrem Fund berichten sollten.

Dann blieben sie immer in Sichtweite der Yarls und ließen die Beute nicht mehr aus den Augen – die erste Beute des Krieges, wenn Erain ihnen wohlgesinnt war. Sie waren guter Stimmung, wie Krieger immer sind, wenn sie in den Krieg ziehen. Die Wanderstadt war zwar nicht der Gegner, zu dessen Vernichtung sie herbeieilten, sondern die Caer und ihre Zauberpriester, aber sie waren dunkelhäutige Fremde, die wohl zu einer Gefahr werden mochten, die vielleicht sogar die Partei der Caer ergriffen, wenn die Kämpfe erst begannen.

Was sie von Tätlichkeiten abhielt, war die Größe der Wanderstadt und der Yarls. Es war unmöglich, aus der Ferne ihre Anzahl festzustellen, aber wenigstens vier Dutzend mussten es sein. Und wie viele Fremde in diesem Gewirr aus hölzernen Häusern und Türmen lebten, war erst recht nicht abzuschätzen. Es mochte ein halbes Tausend sein – zu viele, um sich mit ihnen anzulegen ohne Verstärkung aus Elvinon.

Anführer der Schar war Fürst Thorwil aus Callowy, ein bärtiger Haudegen, der gewinnbringenden Beutezügen nie abgeneigt war und der auch immer darauf bedacht war, dass seine Gefolgsleute mit ihren Schwertern nicht aus der Übung kamen.

Er war ein erfahrener Mann, was Plündern und Erobern betraf, und er rechnete sich aus, dass ein ordentliches Feuer unter den behäbig dahinkriechenden Ungeheuern allerlei bewirken würde, was die geringe Zahl der Angreifer ein wenig ausglich. Auch würde sich solcherart feststellen lassen, wie viele der Fremden in den Häusern und Türmen waren.

Als die Nomadenstadt schließlich am Abend nahe den Klippen anhielt, war es bereits zu dunkel für Thorwils Pläne. Er ließ die Stadt beobachten, soweit das möglich war, denn in Churkuuhl brannten kaum Lichter. So verließen sie sich auf ihre Ohren.

Als am Morgen, bevor er noch seine Pläne in die Tat umsetzen konnte, in der Wanderstadt plötzlich die Hölle losbrach, wurden auch er und seine Männer empfindlich in Mitleidenschaft gezogen.

Zu dem Zeitpunkt, als der erste Yarl auf die Klippen losstürmte, brach Panik unter den Pferden aus, als hätte auch von ihnen ein Dämon Besitz ergriffen. Wie die Yarls rasten sie auf die Klippen zu und stürzten sich hinab, mit oder ohne Reiter.

Während die Männer schreiend und fluchend damit beschäftigt waren, wenigstens zu retten, was noch zu retten war, starrte Thorwil grimmig hinab auf den Untergang der Stadt der Nomaden.

Er wusste nicht, was diese gewaltigen Tiere veranlasste, sich selbstmörderisch über die Klippen zu stürzen, nur, dass es eine dämonische Kraft war, die diese schwarzen Teufel wohl aus dem Süden mitgebracht und in ihrer gottlosen zauberischen Art beschworen hatten, das wusste er. Und dass es ihre Schuld war, dass ein Großteil seiner Männer zu Fuß nach Elvinon marschieren musste.

Mitleidlos sah er ihnen beim Sterben zu, sah die Yarls über die Klippen springen und in die weiße Gischt der Brandung tauchen. Als sie wieder hochkamen, zerrten sie hilflos an der Umklammerung gewaltiger schwarzer Beine, die sie endgültig in die Tiefe zogen, wobei die Wogen für kurze Augenblicke die nachtschwarzen Körper riesiger Spinnen enthüllten.

Das Meer der Spinnen besaß seinen Namen, weil es bewohnt war von diesen schwarzen Ungeheuern bis hinauf hoch in den Norden, wo das Eis auf dem Wasser trieb. Sie töteten alles, was unvorsichtig genug war, sich auf das Wasser zu wagen. Selbst große Schiffe vermochten sie in die Tiefe zu ziehen, so dass niemand das Meer der Spinnen befuhr, obwohl Legenden von Drachenschiffen aus Dandamar berichteten, die die Küsten Tainnias unsicher machten.

Als die Sonne aufging, hatten die Tainnianer die Hälfte ihrer Pferde zu retten vermocht und ein Dutzend Männer verloren. In grimmiger Rachestimmung standen sie auf den Felsen und starrten wie Thorwil hinab auf das blutige Schauspiel. Aber trotz aller Genugtuung flößte ihnen der Anblick bald Grauen ein.

»Weshalb fliehen sie nicht?«, entfuhr es manchem. »Weshalb verkriechen sie sich in ihren Häusern?«

»Einige tun es!«, rief einer. »Sie versuchen es!«

»Die Pest über sie, wenn sie es schaffen!«, brummte einer. »Dann kriegen unsere Klingen noch Arbeit, wie ich meinen Herrn, Thorwil, kenne!«

Deutlich sahen sie eine rasch wachsende Gruppe von Menschen wie eine lange Schlange durch die Trümmer ziehen, während die Bestien nun auch übereinander herfielen und an mehreren Stellen Feuer ausbrachen. Immer wieder krochen Bestien über die dünne Schlange der Fliehenden hinweg.

Manch einer ballte die Fäuste bei diesem Anblick. Sie waren nicht alle Plünderer. Viele hatten nur zu den Waffen gegriffen, um ihrem Herrn zu folgen, wie es ihre Pflicht war.

»Die vordersten schaffen es!« Es klang fast wie Beifall.

Zwei, drei Dutzend der Fliehenden erreichten den Rand der Herde, bevor auch die äußeren Tiere sich in Bewegung setzten und Menschen und Trümmer vor sich her auf die Klippen zuschoben.

Die Menschen, die den Rand erreicht hatten, liefen und stolperten hastig zwischen die schützenden Felsen.

Wie ein wandernder Teppich glitt die Herde nun über die Klippen, und das Wasser schäumte, als ihre gewaltigen Körper eintauchten, und es brodelte von Hunderten von Spinnen, die alles in die dunkle Tiefe zogen.

Langsam löste sich die Starre der Zuschauer.

»Wie viele sind übrig?«

»Ein halbes Hundert vielleicht, Frauen und Kinder mitgerechnet ...«

»Gut«, stellte Thorwil fest und rückte seinen Waffengurt zurecht. »Sie werden uns keine Schwierigkeiten bereiten. Holen wir sie uns, ehe sie sich verkriechen. Das ist eine gute Übung für den bevorstehenden Krieg!«

»Gefangene?«

»Keine Gefangenen!«

 

*

 

Bevor sie losschlagen konnten, erschien ein Reitertrupp aus Elvinon mit wehenden Fähnchen auf den Lanzen auf der Fährte der Nomadenstadt. Thorwil schickte ihnen zwei seiner Männer entgegen, damit sie nicht den dunkelhäutigen Teufeln zwischen den Felsen in die Arme liefen.

Sie waren nur sechs und die Vorhut weiterer fünfzig Männer der Stadtgarde von Elvinon, die Herzog Krude seinem Vasallen zur Unterstützung schickte – wohl in der Hoffnung, auch ein wenig von der Beute auf die Seite zu bringen.

Thorwil beschloss, auf sie zu warten, wenigstens solange die Schwarzen hinter ihren Felsen blieben. Doch da die Nomaden keine Pferde besaßen, konnten sie ihnen in keinem Fall entkommen.

Sie wussten es wohl auch, denn alles blieb ruhig, bis gegen Mittag der Haupttrupp aus Elvinon eintraf, mit Zohmer Felzt, dem Hauptmann der Leibgarde der Herzogsfamilie, und der jungen Nyala von Elvinon, der Tochter des Herzogs, an der Spitze.

Die Männer begrüßten die Gegenwart des jungen Mädchens stürmisch. Die meisten von ihnen hatten bisher nur gewusst, dass sie von großer Schönheit sein sollte. Aber die Wirklichkeit übertraf bei weitem ihre Vorstellungen. Mit ihren achtzehn Sommern war sie voll erblüht, hochgewachsen, mit kräftigen Brüsten, wie es ein Merkmal der Frauen dieses Landstrichs war. Ihre dunklen Augen funkelten begeistert über diesen Empfang. Ihre Wangen waren gerötet vom Ritt. Das lange dunkle, geflochtene Haar hatte sie unter einem hellen Schleier verborgen.

Sie lachte und ihr voller Mund machte manchem bewusst, dass es schon lange her war, dass er eine Frau in den Armen gehalten hatte, obwohl der Krieg noch nicht einmal begonnen hatte.

Zohmer Felzt half ihr vom Pferd. Er ließ niemanden zu nahe an das Mädchen heran, mit Ausnahme des Fürsten, der die Tochter Krudes in höfischer Manier begrüßte.

Felzt musterte ihn kühl und grüßte knapp. Thorwil überging ihn, worauf sich das Gesicht des jungen Hauptmanns vor Wut rötete, denn in seiner Stellung am Hof war er gewohnt, mit ähnlicher Höflichkeit behandelt zu werden wie die herzogliche Familie selbst. Und aus der Art wie er Nyala behandelte und nicht aus den Augen ließ, mochte ein Beobachter leicht genug erkennen, dass er sie begehrte.

Der Fürst berichtete in kriegsmännischer Art von den Geschehnissen, unterbrach sich aber ein paar Mal, um sich in Gegenwart Nyalas feiner auszudrücken, was seinen Männern gelegentliches Grinsen entlockte.

Er unterstrich das Faktum, dass die schwarzen Teufel Zauberei nicht nur über sich selbst, sondern auch über Bürger Tainnias gebracht hatten, so dass Pferde und Männer wie von Dämonen besessen über die Klippen sprangen, und dass sie somit ebenso bekämpft werden müssten wie die Caer und ihre dunklen Machenschaften. Fast hundert Überlebende des dämonischen Strafgerichts – er übertrieb mit Bedacht – hätten sich zwischen den Felsen verkrochen, und es gelte, sie vor Einbruch der Dunkelheit herauszulocken und zu vernichten, bevor sie sich davonschleichen und in den Nächten neue Teufeleien über Tainnia bringen konnten.

Nyala von Elvinon war nicht ängstlich. Sie war ein stolzes Geschöpf, das auch den Dolch zu gebrauchen wusste, wenn es notwendig war, und das Männer nicht fürchtete. Aber die Geschehnisse, die der Fürst so lebendig berichtete, jagten ihr doch einen Schauder den Rücken hinab, und sie hatte keine Einwände dagegen, dass die Männer die unheimlichen Fremden aus ihren Verstecken trieben und töteten. So unterstellte sie ihre Männer dem Kommando des Fürsten, mit Ausnahme eines halben Dutzends ihrer Garde, unter ihnen Zohmer Felzt, die sie zu ihrer eigenen Sicherheit behielt.

Dann beobachtete sie die Krieger, wie sie hinabstiegen.

Sie war neugierig. Sie hoffte, dass sie ein paar der schwarzen Teufel zu Gesicht bekam, bevor sie alle erschlagen waren.

3.

 

Als Mythor und Taka und gut zwei Dutzend der Männer und Frauen, die sich ihnen angeschlossen hatten, erschöpft die schützenden Felsen erreichten, erwarteten sie dort kaum mehr als sie selbst waren. Viele der Freunde, der Verschworenen, hatten überlebt. Doch nur wenige andere hatten sie zu retten vermocht, unter ihnen jedoch Etro, den Ersten Bürger Churkuuhls, und manche Augen, die leergeweint waren, bedachten ihn mit grimmigen Blicken.

Mythors Gruppe wurde mit aller Freude begrüßt, deren die Überlebenden noch fähig waren.

Die meisten sanken einfach zusammen, überwältigt von dem erlebten Grauen, von dem vielen Sterben, das sie gesehen hatten.

Aber Mythor riss sie aus ihrer erschöpften Gleichgültigkeit. Er rang die quälenden Gedanken an Curos und Entrinna, seine toten Eltern, nieder. Sie waren ein schutzloser Haufen in einer Wildnis, die ihnen unbekannt war. Und dass die tainnianischen Reiter ihnen nicht zu Hilfe gekommen waren, bedeutete, dass sie auf der Hut vor ihnen sein mussten.

Wenn sie überleben wollten, mussten sie planen, vom ersten Augenblick an. Für Trauer war später Zeit.

Churkuuhl war nicht mehr. Ihre Festung war zerstört. Mythor erschien es mehr wie ein Gefängnis, das aufgebrochen war. Er jedenfalls war bereit, die weite Welt zu seinem Zuhause zu machen – mit Taka an seiner Seite. Er würde es ihr sagen, wenn sie in Sicherheit waren. Denn wo immer die überlebenden Marn sich niederließen, um neue Türme zu bauen und sich zu verkriechen, er würde dort nicht bleiben.

Er zwang seine Gedanken zurück in die Gegenwart. Trotz Etros Gegenwart akzeptierten sie ihn als ihren Führer. Er nahm es dankbar an, denn er hätte Etros Anordnungen nicht befolgt. Er hätte sie verlassen. Es war keine Rivalität, die ihn so empfinden ließ, nur die einfache Tatsache, dass er dabei war, sich frei zu machen von allem marnischen Denken, das von einer kleinen, beengenden Welt geprägt war. Und sie sollten auch frei sein davon, wenn sie in dieser grenzlosen Welt überleben wollten.

Er schickte einige seiner Freunde aus dem Verschworenenkreis aus dem Versteck, um die nähere Umgegend im Auge zu behalten und nach den Reitern Ausschau zu halten. Er schärfte ihnen ein, vorsichtig zu sein und sich nicht sehen zu lassen. Wenn sie sich bis zum Einbruch der Dunkelheit verborgen halten konnten, dann hatten sie eine gute Chance, zu verschwinden.

Andere schickte er aus, Wege zwischen den Felsen zu erkunden, auf denen sie nachts fliehen konnten. Dank seiner Voraussicht hatten sie Waffen und Nahrungsmittel genug für einen langen gefahrvollen Weg.

Pläne, wohin sie sich wenden sollten, hatte er noch nicht. Das Land war fremd. Nach Süden wollten sie im Grunde. Aber auf dem Weg, auf dem sie gekommen waren, konnten sie nicht zurückkehren.

Vorerst galt es, die Küste zu verlassen, die wie eine unüberwindliche Mauer war. Denn das Meer der Spinnen war unüberquerbar, das wusste er aus Erzählungen, die er in tainnianischen Dörfern gehört hatte.

Danach – das mochten die Götter entscheiden.

Während sie warteten, wuchs die Feindschaft gegenüber Etro fast bis zu Handgreiflichkeiten. Mythor verstand ihren Grimm. Etro hatte entschieden, zu bleiben. Churkuuhls Ende und das Ende des Stammes waren sein Werk. Ein einziges Mal hatte er falsch entschieden, und es hatte das Ende bedeutet.

Erst als Mythor ihnen klarmachte, wie oft Etro wohl richtig entschieden hatte und wie gut es dem Stamm fast immer unter seiner Führerschaft ergangen war, ließen sie beschämt von ihm ab.

Etro dankte Mythor. Der alte Mann strömte etwas Unbeugsames aus, das Mythor bewunderte.

»Du brauchst mir nicht zu danken. Es ist nur der Schmerz und das überstandene Entsetzen, das sie blind macht und außer sich geraten lässt ...«

»Du denkst, dass ich falsch entschieden habe, nicht wahr?«

»Wer von uns weiß, was falsch und richtig ist?«, erwiderte Mythor. »Die Zukunft wird es weisen. Was ich denke, ist nicht wichtig. Ich bin kein Marn.«

»Nein, du bist kein Marn.« Der alte Mann nickte zustimmend. Er sah Mythor an. »Es gab eine Zeit, da glaubten wir, du bist mehr als ein Marn ..., mehr auch als nur irgendein Mensch ...« Er seufzte. »Aber die Zeichen schwanden ...«

»Du meinst die Märchen, die man sich über mich erzählte, als ich ein kleiner Junge war, mit denen Vater und Mutter zu erklären suchten, weshalb meine Haut anders war und mein Wesen ...?«

»Es sind keine Märchen, Mythor. Du bist nicht in unserer Mitte geboren worden, und deine Eltern haben auch wir nicht gekannt. Selbst Curos und Entrinna nicht.«

»So weiß niemand, woher ich stamme?«, entfuhr es Mythor.

»Die Wahrheit kennen nur wenige. Vielleicht bin ich der einzige von uns hier, der sie noch weiß. Du sollst sie jetzt erfahren, denn in unsicheren Zeiten wird die Wahrheit oft begraben.«

Mythor nickte nur stumm.

»Du bist ein Findelkind. Curos fand dich, als die Yarls durch Salamos wanderten. Es war so, als hätte dich das Schicksal in unseren Pfad gelegt. Churkuuhl wäre über dich hinweggewandert, wenn Curos und Entrinna dich nicht aufgehoben hätten. Quyl mag wissen, wie du dort hingekommen bist. Wir sahen niemanden weit und breit, obwohl die Steppe eben war und man bis zum fernen Horizont blicken konnte.« Er lächelte bei der Erinnerung. »Du mochtest ebenso gut vom Himmel gefallen sein, und das war es auch, was Entrinna behauptete. Und sie hatte nicht ganz unrecht damit, denn es lag ein seltsames Licht auf dir, das wir uns nicht erklären konnten, bis der alte Korin, der schon lange tot ist, von den alten Legenden sprach, von einem strahlenumkränzten Helden des Lichts mit Namen Mythoron, der die Dunkelheit besiegte und die Menschen von aller Düsternis befreite. Deshalb nannten wir dich Mythor.«

»Wie alt war ich?«

»Vier oder fünf Sommer wohl.«

»Und das Licht? Wie war es?«

Der Alte zuckte die Schultern und dachte nach. Schließlich sagte er: »So, als ob du in einem Sonnenstrahl stündest, denke ich. Ja das trifft es am besten ...«

»Vielleicht stand ich nur in einem Sonnenstrahl.«

Etro schüttelte den Kopf. »Es währte viele Tage und Nächte, und es erschien uns allen wahrhaftig wie ein Zeichen der Götter. Aber es schwand nach und nach. Nur deine Haut blieb so hell.«

»Was hat es mit dem Bitterwolf auf sich? Gibt es ihn überhaupt? Oder ist er auch nur eine Legende?«

»Legenden sind nur uralte Erfahrungen, mein Junge. Du solltest sie nicht geringschätzen ...«

»Das lag mir fern.«

»Ja, er ist eine Legende. Kein Marn hat je den Bitterwolf gesehen ...«

»Und gehört?«

»Sein Heulen ist sehr selten zu hören. Es kündigt große Ereignisse an. Dinge, die für die Welt von Bedeutung sind ...«

»Wie ich?«, unterbrach ihn Mythor lächelnd.

Als Etro keine Antwort gab, fragte Mythor: »Wenn keiner ihn je gesehen hat und kaum je einer gehört, woher wollt ihr wissen, dass es der Bitterwolf war, als ihr mich gefunden habt?«

»Es gibt Dinge, die weiß man, ohne dass man vorher Kenntnis davon hat. Das ist eine Eigenschaft des unsterblichen Geistes in uns.«

Mythor nickte. »Aber wo blieb das große Ereignis für die Welt?« Er erwartete keine Antwort. »Ich war zu jung, um mich deutlich an Salamos zu erinnern. Wie sind die Menschen dort? Wie ich?«

»Wenn du die Haut meinst, ja. Nicht vom Wesen. Du bist kein Marn. Und ebenso wenig bist du ein Salamiter. Es ist, als hättest du von vielen Völkern etwas. Verzeih die Phantasie eines alten Mannes.«