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Nr. 50

 

Die Mauern von Logghard

 

von Paul Wolf

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Seit dem Tag der Wintersonnenwende, dem Tag der entscheidenden Schlacht, die auf dem Hochmoor von Dhuannin zwischen den Streitern der Lichtwelt und den Kräften des Dunkels ausgetragen wurde, sind Monde vergangen. Mit der Unterstützung Drudins, des obersten Dämonenpriesters, der die Kräfte der Finsternis mobilisierte, haben die eroberungssüchtigen Caer über die Kämpfer der Lichtwelt triumphiert und die große Schlacht für sich entschieden.

Damit halten Tod und Verderben ihren Einzug auch in solchen Ländern, die bisher vom Krieg verschont geblieben sind. Massen von Menschen, unter ihnen die demoralisierten Besiegten der Schlacht, streben in heilloser Flucht nach Süden, die Herzen von Trauer und Hass erfüllt.

Auch Mythor zieht südwärts, wobei der junge Held der Lichtwelt mit seinen jeweiligen Weggefährten oft aufgehalten und in eine ganze Reihe von lebensgefährlichen Abenteuern verwickelt wird. Dennoch verliert Mythor Logghard, die Ewige Stadt, die der siebte Fixpunkt des Lichtboten ist und daher das Ziel seiner Reise, nicht aus den Augen.

Dabei weiß der Sohn des Kometen nicht, wie es in Logghard aussieht und was ihn dort erwartet. Er weiß nur eines: Seit vielen Jahrzehnten tobt ein erbitterter Kampf um DIE MAUERN VON LOGGHARD ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Mythor – Der Sohn des Kometen in der Ewigen Stadt.

Albion – Mythors Nachfolger.

Gamhed – Oberbefehlshaber von Logghard.

Luxon, Sadagar und Hrobon – Mythors Gefährten.

Jemon – Ein Krieger aus der Garde des Erleuchteten.

Prolog

 

»Wir sind Verlorene«, sagte der Reiter, dessen Visierhelm mit einem Federbusch geschmückt war. Einst mochte er ein Edelmann gewesen sein, doch das zählte nicht mehr. Er sah abgekämpft aus, seine Kleidung war zerschlissen, das Eisen seines Brustpanzers matt.

»Egal, wohin wir reiten und wie lange wir unterwegs sind, wir kommen an kein Ziel.«

Er sagte es wie zu sich selbst, aber sein Begleiter hörte seine Worte. Er erwiderte:

»Wie lange sind wir schon in diesem Nebel? Ich fühle nichts mehr. Schlägt mein Herz noch? Atme ich? Ich weiß es nicht. Bin ich tot? Sind wir es alle – und reiten wir ins Land der Heroen ein?«

»Schöne Helden sind wir!«, sagte der Reiter mit dem Federbusch abfällig. »Was haben wir gewonnen?«

»Wir haben keinen Sieg errungen – aber auch keine Niederlage erlitten«, sagte sein Begleiter.

Sie nannten es das Nebelland, obwohl der Ausdruck nicht zutreffend war. Die Düsternis, die sie einhüllte, war nicht wirklich Nebel.

»Verdammt!« Der Edelmann trieb sein Pferd an und sprengte an der Kolonne von Kriegern vorbei, hinein in das verwaschene Nichts. In der Ferne zeigte sich kein Horizont. Nirgends ein Baum, kein Büschel Gras weit und breit, nicht einmal Sand. Kein Berg, kein Hügel unterbrach das eintönige Nichts. Man sah nicht einmal einen Steinwurf weit.

Fußvolk und Reiter, alle von lange zurückliegenden Kämpfen gezeichnet, trotteten wie im Traum einher.

»Da vorne! Land!«

Der Ruf pflanzte sich wie ein Lauffeuer fort, einer rief es dem anderen zu, und Hoffnung keimte in den Herzen der Krieger auf.

Das Land war ein schmaler heller Streifen in der ewigen Dämmerung. Wie eine Insel erhob sich die Landzunge aus dem trüben Nichts. Ein Streifen Grün, mit Tieren und Menschen darauf.

Der Haufen der Verlorenen eilte darauf zu. Die Reiter trieben ihre Tiere ein letztes Mal an – dort war das rettende Land! Die Fußkrieger nahmen alle ihre Kräfte zusammen, um die grüne Insel zu erreichen.

Das Donnern der Hufe und das Trampeln der Schritte erfüllte die Luft ... Doch als sie das vermeintliche Land erreichten, löste es sich wie ein Spuk auf.

»Wir sind Verlorene«, sagte der Reiter mit dem Federbusch auf dem Visierhelm. »Was für einen Sinn hat unser Leben denn noch? Wenn wir doch wenigstens kämpfen könnten!«

»Vielleicht sind wir Gefallene auf dem Weg ins Land der Heroen«, sagte sein Begleiter wieder.

Die Ruhe kehrte in die Kolonne zurück, deren lange Schlange sich vorne und hinten in der Düsternis verlor. Alle fielen wieder in den hoffnungslosen Trott zurück.

Jemand fragte:

»Oder ist das die Schattenzone ...?« Niemand konnte ihm Antwort geben. Einige fröstelten bei diesem Gedanken. Andere machten verkniffene Gesichter, schoben solche Überlegungen weit von sich und dachten an bessere Zeiten, als sie noch in einer Welt lebten, wo das Unten auch wirklich unten war und das Oben von einem Himmel begrenzt, wo sie den Boden sahen, über den sie schritten – und vor sich einen Horizont, ein Ziel.

»Weiter! Lasst den Kopf nicht hängen. Irgendwann einmal werden wir ...«

Der Sprecher verstummte.

Er hatte keine Vorstellung davon, was die Zukunft bringen mochte.

1.

 

»Das soll Logghard sein?«, sagte Steinmann Sadagar, nachdem er in dem uralten, verwitterten Gemäuer kurz Umschau gehalten hatte. »Wer weiß, wohin uns Flüsterhand geschickt hat. Ich traue diesen Stummen Großen jede Gemeinheit zu.«

»Still!«, gemahnte Mythor, der nun im Besitz der gesamten Ausrüstung war, die der Lichtbote in sechs Fixpunkten hinterlegt hatte. Der siebte Lichtpunkt war Logghard, doch die Frage, was ihn dort erwartete, beschäftigte ihn noch nicht. Er fragte sich vorerst, wie Sadagar, ob dies hier überhaupt die Ewige Stadt war.

Sie waren von Ruinen umgeben, die sich ringsum türmten. Es waren die Trümmer gewaltiger Mauern, die irgendwann einmal niedergerannt worden waren. Welche Mächte waren hier am Werk gewesen? Was hatten sie zerstört? Logghard? War die Ewige Stadt im 250. Jahr ihrer Belagerung gefallen? War er, Mythor, der sich nun mit Recht für den Sohn des Kometen halten durfte, zu spät gekommen?

Diese Fragen schossen ihm durch den Kopf, während er mit seinen Gefährten den Geräuschen lauschte, die aus dem Ruinenberg kamen, in dem sie herausgekommen waren. Über den Trümmern lag ein gespenstisches Leuchten.

Um sie war ein Rumoren. Manchmal hörte es sich wie fernes Wehklagen an, dann wieder klang es wie das Schleifen eines großen Körpers über losen, unebenen Untergrund. Irgendwo löste sich ein Stein, kollerte polternd in die Tiefe. Es dauerte eine geraume Weile, bis sein Aufschlag zu hören war. Ein Rascheln – und dann war zwischen den gespenstisch erhellten Ruinen eine Bewegung.

»Da! Eine Gestalt!«, rief Luxon und deutete nach vorne. Als Mythor in die gewiesene Richtung blickte, war dort nichts mehr zu sehen. Luxon fuhr fort: »Hat einer von euch die Gestalt erkennen können? Für mich ging alles zu schnell.«

»Ich habe überhaupt nichts gesehen«, meinte Sadagar, hatte aber die Hand nicht nur zufällig am Messergurt. Er blickte sich misstrauisch um. »Wo sind denn Flüsterhands Freunde, mit deren Hilfe er uns mittels des Hohen Rufes nach Logghard bringen wollte?« Er hob beide Hände und formte sie am Mund zu einem Trichter. »He, ich rufe die Stummen Großen!«

Sein Ruf verhallte in den Ruinen, Stille folgte. Erst nach einiger Zeit setzten die unheimlichen Geräusche aus der Ferne wieder ein. Manchmal klang es wie das Rauschen von Wasser.

»Wahrscheinlich sind wir immer noch in Erham – irgendwo unter dem Drachensee«, sagte Hrobon gehässig. Der Vogelreiter aus den Heymalländern hegte immer noch einen tiefen Groll gegen Mythor, den er stets zeigte, wenn er den Mund auftat.

»Unsinn«, widersprach ihm Sadagar. »Flüsterhand hat keinen Zweifel darüber gelassen, dass alles in Logghard auf das Erscheinen des Sohnes des Kometen wartet. So sehr auch ich den Großen misstraue, so bin ich doch überzeugt, dass sie sich nichts sehnlicher wünschen, als Mythor nach Logghard zu bekommen.«

»Und doch glaubst du selbst nicht daran, dass wir am Ziel sind«, erwiderte Hrobon. »Ich weiß auch warum. Weil du im Innersten selbst daran zweifelst, ob Mythor und der Sohn des Kometen in einem Atemzug genannt werden dürfen. Anders wird es auch nicht den Großen ergangen sein, darum haben sie uns an diesen Ort der Verdammnis geschickt. Es war die Strafe für Mythors Anmaßung, sich als Sohn des Kometen zu bezeichnen.«

»Halt den Mund, Heymal!«, herrschte Luxon ihn an. Er wandte sich an Mythor und meinte: »Du solltest diesem Unruhestifter endlich den Mund stopfen.«

Mythor winkte ab. Er glaubte, Hrobon durchschaut zu haben. Der Glaube des Vogelreiters an Shallad Hadamur war arg erschüttert worden, als er von dessen Schandtaten erfuhr. Hrobon konnte nun nicht mehr glauben, dass Hadamur die Fleischwerdung des Lichtboten war. Das musste ein arger Schlag für ihn gewesen sein. Es wäre nur normal gewesen, hätte er seine Anschuldigung gegen ihn, Mythor, ein Frevler zu sein, weil er sich als Sohn des Kometen bezeichnete, zurückgenommen. Aber er war zu stolz, seinen Fehler einzusehen. Und darum hielt er seine Feindschaft aufrecht, obwohl sie ihrer Basis beraubt worden war.

Mythor schreckte hoch, als er eine Bewegung zwischen den Trümmern sah. Diesmal konnte er ganz deutlich sehen, wie eine krumme, in Lumpen gehüllte Gestalt von einem Mauervorsprung auf einen anderen sprang und hinter einer morschen Palisade verschwand. War das überhaupt ein Mensch gewesen?

»Nicht!«, sagte Mythor schnell, als er sah, wie Sadagar eines seiner Wurfmesser zückte. »Es ist nicht gesagt, dass man uns feindlich gesinnt ist. Vielleicht wollen uns die Fremden erst einmal beobachten, bevor sie sich uns zu erkennen geben.«

»Ich glaube eher, sie wollen uns umzingeln«, sagte Luxon. »Wir sollten diesen Ort schleunigst verlassen. Sagt dir der Helm der Gerechten denn gar nichts?«

Mythor gab nicht sofort Antwort, sondern spannte seinen Geist an, um den Einflüsterungen des Helmes nachzugehen. Seit Luxon ihm die Ausrüstung in den Ruinen von Erham übergeben hatte, trug er sie ständig.

Der Helm der Gerechten bedeckte seinen Kopf, in der Linken hielt er den Sonnenschild, den er dem Koloss von Tillorn entrissen hatte. Mondköcher und Sternenbogen, die ihm Luxon im Baum des Lebens sozusagen vor der Nase weggeschnappt hatte, trug er griffbereit auf dem Rücken, und das Gläserne Schwert Alton lag gut in seiner Hand. Dazu kam das Orakelleder aus Theran, auf dem die sieben Stützpunkte des Lichtboten eingezeichnet waren, das er um den Oberschenkel des rechten Beines gebunden hatte, und das Amulett mit dem Abbild von Logghard, das er an einem Lederband um den Hals trug.

Welche abenteuerliche Geschichte konnten diese Ausrüstungsgegenstände erzählen! Mythor hätte nicht im Traum daran gedacht, dass Luxon sie ihm freiwillig zurückgeben würde.

Gewiss, Luxon hatte dies erst getan, als er erkennen musste, dass die Waffen des Lichtboten in seiner Hand ihre Kraft verloren. Dennoch war es ihm hoch anzurechnen, dass er sich ihrer nicht einfach entledigte, sondern dass er sie Mythor mit der Erklärung zurückbrachte, dass er der rechtmäßige Besitzer sei.

Dies lag noch keinen Tag zurück, und doch fühlte sich Mythor mit der Ausrüstung bereits wie verwachsen. Ihm war, als hätte er die Waffen schon immer getragen. Das Gläserne Schwert hatte seine ursprüngliche Leuchtkraft zurückbekommen und war in seiner Hand zu einer unübertrefflichen Klinge geworden. Der Helm der Gerechten raunte und flüsterte in seinem Geist, und es klang für Mythor wie seine Lebensmelodie. Aber bisher hatte ihm der Helm noch nichts gesagt. Jetzt allerdings, als er seinem geistigen Rauschen seine volle Aufmerksamkeit schenkte, da war ihm, als weise er ihn in eine bestimmte Richtung ...

Mythor deutete mit dem Gläsernen Schwert nach links.

»Von dort kommen Reizsignale, die wie eine unverständliche, aber doch bedeutungsvolle Botschaft klingen«, sagte er. »Wir werden uns in diese Richtung schlagen.«

»Achtung!«, rief da Hrobon und zückte sein Krummschwert. »Wir werden angegriffen.«

Plötzlich erklang ein vielstimmiges Geheul von überall aus den Ruinen. Jene krummen, verwahrlosten Gestalten, die nur bedingt menschenähnlich waren und von denen sie einen ungewissen Eindruck bekommen hatten, tauchten ringsum auf und stürmten von allen Seiten heran.

Sie waren unbewaffnet. Aber ihre krallenbewehrten Klauen und die Fangzähne in den aufgerissenen Mäulern ihrer tierhaften Gesichter waren furchteinflößend genug. Und sie waren flink und sprunggewaltig. Sie kamen mit großen Sätzen rasch näher. Schreiend und gestikulierend, mit vor Hass und Mordlust verzerrten Fratzen.

»Stellt euch Rücken an Rücken – und folgt mir!«, konnte Mythor seinen Gefährten noch zurufen, dann waren die ersten Angreifer heran.

Mythor fand nicht mehr die Zeit, den Gegnern den Sonnenschild wie einen Spiegel entgegenzuhalten, denn dafür waren sie bereits zu nahe. Und im Nahkampf konnte er sich allein auf die Kraft Altons verlassen.

 

*

 

Sadagar stand mit dem Rücken zu Hrobon, Luxon hatte sich zu Mythor gesellt, der in voller Ausrüstung an der Spitze stand. Der Steinmann schleuderte drei Messer, die allesamt ihr Ziel fanden. Aber die nachfolgenden Kreaturen kümmerten sich wenig um ihre gefallenen Artgenossen. Sie sprangen behände über die Getroffenen hinweg und stürzten sich auf den Steinmann.

»Verfluchte Bande!«, schrie Sadagar zornig und wehrte die Klauen, die nach ihm griffen, mit den Messern ab. Er hatte in jeder Hand eines und überkreuzte die Arme. Jedes Mal wenn ein Gegner zu ihm vorstieß, bewegte er die Klingen scherenförmig.

Eine der Kreaturen sprang mit einem zornigen Schmerzensschrei zurück, als Sadagars Messer eine kreuzförmige Wunde an ihrem Körper hinterließen. Dabei wurden zwei weitere Angreifer niedergerissen, als sie Sadagar anspringen wollten.

Dadurch bekam der Steinmann etwas Luft und konnte die beiden Messer der nächsten Welle von Angreifern entgegenschleudern. Er konnte sich danach gerade erneut bewaffnen, bevor ein stinkender, haariger Körper auf ihm landete.

Knöcherne Hände drückten seine Waffenarme zu Boden, ein geiferndes Maul erschien über ihm. Die Kreatur stieß mit gefletschten Fangzähnen nach ihm.

Da sauste eine Klinge heran und schleuderte den Angreifer von Sadagar.

»Habt ihr noch nicht genug?«, schrie Hrobon und ließ eine der Kreaturen in seine Klinge springen. Er zog sie sofort wieder zurück und schwang sie vor einer Gruppe von Angreifern, die vor dem wirbelnden Metall zurückwich.

»Du hast mir das Leben gerettet«, stellte Sadagar verblüfft fest, während er sich gleichzeitig mit Scherenbewegungen seiner Messer die Gegner vom Leibe hielt.

»Ich verzichte auf deinen Dank«, erwiderte Hrobon keuchend. »Du stehst nicht in meiner Schuld.«

»Kämpft lieber, anstatt zu schwätzen!«, rief Luxon, der den Kontakt zu Mythor verloren hatte und mit dem Rücken an einer Mauer stand.

Die Angreifer hatten ihn abgedrängt und versucht, ihn von hinten anzufallen. Er hatte sich gerade noch durch einen Sprung zur Seite retten können. Nun wurde er von sechs krummen Gestalten bedrängt.

Luxon spürte, dass er der Übermacht nicht lange würde standhalten können. Er hatte diese Kreaturen unterschätzt.

Nach den ersten ungestümen Angriffen, die ihnen nichts eingebracht hatten, formierten sie sich nun. Sie umlauerten ihn und warteten darauf, dass er sich eine Blöße gab.

Solange er kräftig genug war, sie mit dem Schwert in Schach zu halten, war er sicher. Jedes Mal wenn einer seiner Gegner zum Angriff ansetzte, machte er einen Ausfall und stieß mit dem Schwert zu. Zwei der Kreaturen konnte er auf diese Weise niederstrecken. Die anderen vier waren daraufhin zurückhaltender. Aber gerade als er glaubte, sich etwas Luft gemacht zu haben und einen Vorstoß wagen zu können, hörte er über sich einen heiseren Laut.

Unwillkürlich blickte er hoch und sah über sich auf der Mauer eine Gestalt kauern. Sie setzte gerade zum Sprung an, als sie plötzlich wie von einem unsichtbaren Schlag erschüttert wurde. Aus ihrer Brust ragte ein Pfeil – ein Pfeil aus dem Mondköcher.

Luxon konnte noch erkennen, dass Mythor in voller Ausrüstung einen erhöhten Standort erklettert hatte. Er ließ gerade einen weiteren Pfeil von der Sehne des Sternenbogens schnellen. Eine der Kreaturen, die Luxon bedrängten, wurde davon gefällt, aber da waren die drei anderen über ihm.

Mythor sah es und vertauschte den Bogen wieder mit dem Gläsernen Schwert. So zielsicher er mit dem Sternenbogen auch war, so wagte er nicht, in das Knäuel von miteinander ringenden Körpern zu schießen.

Mit Alton in der Hand sprang er von der Erhöhung und bahnte sich einen Weg durch die Reihen der Gegner, die schreiend auseinanderstoben. Aber das Klagen und Singen Altons übertönte ihr Schreien. Mythor schlug einen Angreifer mit dem Sonnenschild einfach zur Seite. Es gab einen dumpfen Laut. Plötzlich klammerte sich einer der Verwundeten an seinem Bein fest. Mythor spürte einen stechenden Schmerz, als sich Krallen in das Fleisch seiner Waden bohrten. Er schrie auf, trat mit dem anderen Bein nach dem auf dem Boden Liegenden und befreite sich.

Plötzlich hatte er keinen Gegner mehr.

»Sie fliehen!«, hörte er Sadagar triumphierend rufen. »Denen haben wir es aber gegeben.«

Mythor blickte zu der Stelle, an der Luxon soeben noch mit seinen Gegnern gerungen hatte. Aber an dem Platz lagen nur noch die Körper der gefallenen Kreaturen.

»Luxon!«, schrie Mythor und blickte sich um.

Aus den Ruinen kam ein heiserer Schrei, der jedoch sofort wieder verstummte.

Mythor lief in die Richtung, aus der er Luxons abgewürgten Ruf vernommen hatte. Als er durch einen halb eingestürzten Torbogen kam, sah er unweit vor sich zwei der krummen Gestalten, die eine dritte trugen. Es war Luxon, der verzweifelt versuchte, sich aus der Umklammerung zu befreien.

Mit einem wütenden Schrei nahm Mythor die Verfolgung auf. Als die beiden Kreaturen ihn kommen sahen, ließen sie Luxon einfach fallen und wollten das Weite suchen.

»Lass sie nicht fliehen, Mythor«, rief Luxon, kaum dass er frei war. »Das ist der Anführer. Er beherrscht Gorgan.«

Da waren die beiden Fliehenden jedoch bereits zwischen den Trümmern verschwunden. Mythor erreichte Luxon, befestigte Alton an seinem Gürtel und stützte den Kameraden.

»Es geht schon«, sagte Luxon. »Ich habe nur ein paar Kratzer abbekommen. Aber ich will lieber nicht daran denken, welches Schicksal mir in Gefangenschaft dieser Kreaturen geblüht hätte.«

Sadagar rief nach ihnen, und Mythor meldete sich. Er machte sich mit Luxon auf den Rückweg. Dabei fragte Mythor:

»Was hat der Anführer zu dir gesagt?«

»Er nannte sich Gfeer oder so ähnlich und bezeichnete sich als Oberhaupt der Mabaser und als Herrscher dieses Dunklen Bezirks«, antwortete Luxon. »Lässt das nicht die Vermutung zu, dass wir uns hier tief in der Düsterzone befinden?«

»Auch Logghard liegt an der Düsterzone«, sagte Mythor dazu.

Als sie zu Sadagar und Hrobon zurückkehrten, war der Steinmann gerade damit fertig, seine Wurfmesser einzusammeln. Hrobon hatte sein Schwert gesäubert und steckte es in die Scheide zurück. Er begegnete Mythors Blick und wandte sich abrupt ab.

»Wahrscheinlich werden die Mabaser keinen zweiten Angriff mehr wagen«, sagte Mythor. »Aber wer weiß, welche Überraschung dieser sogenannte Dunkle Bezirk noch für uns bereit hält. Wir müssen auf der Hut sein, wenn wir den Marsch in die Richtung fortsetzen, die uns der Helm der Gerechten weist.«

»Kann man aus deinen Andeutungen schließen, dass du weißt, wo wir uns hier befinden?«, erkundigte sich Sadagar.

»Ich muss Flüsterhand glauben, dass er uns nach Logghard geschickt hat«, sagte Mythor. »Immerhin wissen wir, dass er nicht aus alleiniger Kraft uns alle befördert haben kann. Also muss es auch hier Große geben. Außerdem weist mich der Helm der Gerechten in eine bestimmte Richtung. Logghard muss zumindest ganz nahe sein.«

»Die Sache gefällt mir trotzdem nicht«, sagte Sadagar. »Warum zeigen sich die Großen nicht, die uns hergeholt haben?«

»Ich muss dem Steinmann zustimmen«, sagte Luxon. »Ich würde mich an deiner Stelle nicht zu sehr auf die Großen verlassen. Irgendetwas stimmt hier nicht.«

Mythor nickte zögernd. Er war nicht ganz Sadagars und Luxons Meinung, wenn auch er kein Freund der Stummen Großen war. Er verabscheute ihre Rituale und die Art der Selbstverstümmelung, die sie betrieben, indem sie sich die Münder zunähten. Aber er wusste auch, dass sein Schicksal eng mit diesem Geheimbund verknüpft war und dass die Großen allein das Rätsel seiner Herkunft kannten. Da er die Großen wegen ihrer eigenartigen Methoden verurteilte, konnte er nicht recht glücklich darüber werden, dass sie ihn unterstützten. Einige Male hatte er sich bereits gegen ihre Hilfeleistungen gewehrt und sich gegen ihren Willen gestellt.

Manchmal dachte Mythor sogar, dass ihm die Großen als Feinde lieber wären, denn als Freunde. Doch das war vermutlich ungerecht.

Wie auch immer, trotz aller Bedenken gegen diesen mächtigen Geheimbund hatte Mythor keinen Grund, an Flüsterhands Versprechen zu zweifeln, dass er sie nach Logghard befördern würde.

Denn der Große aus Erham hatte glaubhaft versichert, dass alle in der Ewigen Stadt der Ankunft des Sohnes des Kometen harrten.

Seltsam nur, dass ausgerechnet blutrünstige Mabaser zu seinem Empfang bereitgestanden hatten.

»Schade, dass uns Gfeer entwischt ist«, meinte Mythor wie zu sich. »Der Anführer der Mabaser hätte uns sicher einige Fragen beantworten können.«

»Ich habe eine Idee, wie wir doch noch an ihn herankommen könnten«, sagte Luxon. »Als Köder für eine Falle wäre ein Teil deiner Ausrüstung vorzüglich geeignet. Denn ich gehe davon aus, dass die Mabaser es einzig auf die Waffen des Lichtboten abgesehen hatten. In diesem Falle wird Gfeer zugreifen, wenn sie ihm angeboten werden.«

»Vielleicht wäre die Sache einen Versuch wert«, meinte Mythor überlegend.

 

*

 

»Wo sind wir?«

»Wie lange sind wir unterwegs?«

»Ist es Tag – oder haben wir Nacht?«

»In welcher Richtung geht die Sonne auf? Wo ist sie?«

Solche und ähnliche Fragen beschäftigten die Krieger jenes Heeres, das durch die ewige Dämmernis zog.

»Ich esse nichts, habe aber dennoch keinen Hunger. Ich marschiere, ich weiß es, denn wenn ich an mir hinunterblicke, dann sehe ich, dass ich einen Fuß vor den anderen setze. Ich kann sprechen und ich denke ... Wieso fühle ich mich trotzdem wie tot?«

»Denke besser nicht. Denke nicht daran, dass es eine Sonne und einen Mond und Sterne gibt, und eine Welt, die von Himmel, Horizont und Boden begrenzt wird. Zieh weiter, Kamerad, vielleicht kommen wir einmal an ein Ende.«

»Wie viele sind wir? Vier Hundertschaften? Oder mehr?«

»Mehr.«

»Zehn ...?«

»Mehr. Tausende – es ist schrecklich. Unvorstellbar. Aber zieh weiter, Kamerad.«

»Wieso nennst du mich so?«

»Weil wir das gleiche Schicksal haben. Wie heißt du?«

»Clewyn.«

»Ich bin Loennis von Broudan.«

»Hast du Freunde hier?«

»Viele ...«

Der Reiter mit dem Federbuschhelm zügelte sein Pferd und ließ die Kolonne der Krieger an sich vorbeiziehen. Er sah viele bekannte Gesichter und hörte viele klingende Namen. Er lauschte den Gesprächen, ohne ihren Inhalten auf den Grund zu gehen. Alle Krieger drückten mit den verschiedensten Worten dasselbe aus: Ihre Hoffnungslosigkeit, die Sinnlosigkeit ihres Marsches ohne Ziel – sie fühlten sich als wandelnde Tote, waren abgestumpft, niedergeschlagen.

Loennis von Broudan hörte bei einigen hundert zu zählen auf. Die Kolonne wurde immer ungeordneter.

»Da bist du ja, Kamerad«, sagte der Caer, der sich ihm als Clewyn vorgestellt hatte, und der nun in dem Haufen marschierte, den Loennis von Broudan an sich vorbeiziehen ließ. »Ich habe nicht bemerkt, dass du vorausgeritten bist. Warst du an der Spitze des Heerzugs?«

»Ich bin nicht vorausgeritten«, sagte der ugalienische Heerführer. »Ich bin zurückgeblieben und habe mich nicht vom Fleck gerührt.«

2.

 

Irgendwie erinnerten Mythor die Gegebenheiten an die Piratenstadt Thormain an der Küste Yortomens. Dort hatte es eine »Stadt unter der Stadt« gegeben, doch besagten die Legenden, dass diese einst von den Angehörigen eines Riesengeschlechts gebaut worden waren.

Die Gebäude dieser Unterwelt, durch die er mit seinen Gefährten wanderte, waren jedoch einst für die Bedürfnisse normal gewachsener Menschen gebaut worden. Das erkannte man an den Maßen von Fenstern und Türen, die noch erhalten waren. Doch auch hier hatte man, wie in Thormain, den Eindruck, dass auf den Ruinen alter Gemäuer neue Häuser gebaut worden waren, und als auch diese einstürzten, waren auf ihren Trümmern wieder Gebäude errichtet worden.

Auf diese Weise entstand eine Unterwelt aus Ruinen, zwischen denen es verwinkelte Gänge und oftmals gewaltige Hohlräume gab. Wahrscheinlich hatten die hier unten lebenden Kreaturen diese Irrgänge ausgebaut und diesen Lebensraum nach ihren Bedürfnissen eingerichtet. Aber was befand sich oben?

Sie kamen in ein hohes Gewölbe. Der Boden war mit Mauertrümmern bedeckt, aus den Schuttbergen ragten hohe, schlanke Türme aus Stein, die die gewölbte Decke stützten, die sich zwanzig Mannslängen über ihnen spannte.

Mythor erkannte, dass diese Decke jedoch nicht geschlossen war, sondern aus sieben Bögen bestand, die sich wie Brücken über den Abgrund schwangen.

Vor ihnen endete der Weg an einer geschlossenen Mauer aus Steinquadern. Mythor blieb vor der Mauer stehen und sagte:

»Der Helm der Gerechten weist mir den Weg geradeaus.«

»Der Sohn des Kometen müsste doch auch durch festen Stein gehen können«, meinte Hrobon spöttisch.

»Seht!«, rief Sadagar und deutete nach oben. »Dort sind Krieger! Offenbar halten sie auf den Brücken Wache!« Er formte die Hände wieder zu einem Trichter und rief hinauf: »He, ihr da oben! Wir sind Menschen der Lichtwelt. Holt uns hinauf!«

Die Antwort fiel ganz anders aus, als der Steinmann es sich wünschte. Mythor sah auf den Brücken eine Reihe hektischer und unmissverständlich drohender Bewegungen. Krieger holten mit Speeren aus, andere spannten Pfeile, und wieder andere hoben Steine und andere Wurfgeschosse, um sie in die Tiefe zu schleudern.

»Deckung!«, warnte Mythor und hob gleichzeitig den Sonnenschild zum Schutz. Luxon und Hrobon konnten unter einem überhängenden Mauerwerk in Deckung gehen, Sadagar fand unter Mythors Sonnenschild Unterschlupf.

Gleich darauf regnete es Pfeile und Felsbrocken, eine Armlänge von Mythor entfernt bohrte sich eine Lanze in den Boden. Aber im selben Moment merkte er, wie der Sonnenschild erbebte, und er wusste, was das zu bedeuten hatte. Der magische Schild wirkte wie ein Spiegel für die Gefühle der Gegner und schleuderte deren Hass und Angriffswut gegen sie selbst zurück. Von oben erklang ein Schreien, das von der Verwirrung und Angst der Krieger zeugte, als ihnen eine Welle von Hass und Wut entgegenschlug.

Mythor begab sich mit Sadagar aus der Schussbahn. Luxon und Hrobon schlossen sich ihnen an, und gemeinsam suchten sie ein nahes Gewölbe auf, wo sie vor weiteren Angriffen von oben sicher waren.

»Dort oben sind Krieger des Shallad«, erklärte Luxon. »Ich habe sie an ihrer Ausrüstung erkannt. Offenbar halten sie uns für Kreaturen der Unterwelt. Über uns beginnt eine ganz andere Welt, aber wie es scheint, verwehrt man uns den Zutritt.«

»Warum gibt sich Mythor nicht einfach als Sohn des Kometen zu erkennen?«, meinte Hrobon spöttisch.

»Wir haben nun keine andere Wahl, als deinen Plan durchzuführen, Luxon«, meinte Mythor. »Wir werden hier unser Lager aufschlagen und unsere Köder auslegen.«

 

*

 

Gfeer näherte sich vorsichtig dem Rand des Dunklen Bezirks. Die vier Eindringlinge lagerten nahe den Hohen Brücken und gaben sich recht unbekümmert. Sie fühlten sich mit ihren Waffen offenbar sehr sicher. Aber das konnte ihm nur recht sein.

Da ihm der offene Angriff mit der ganzen Meute nichts eingebracht hatte, wollte es Gfeer auf eigene Faust versuchen. Nicht, dass er es allein gegen die vier Eindringlinge aufnehmen wollte. Er dachte nicht daran! Ihm ging es vor allem darum, sie zu entwaffnen. Wenn ihm das gelungen war – und er sich vor allem des Schwertes, des Bogens, des Schildes und des Helmes bemächtigt hatte –, dann konnte sich die Meute auf die Eindringlinge stürzen und sie in Stücke reißen.

Gfeer hatte keine Ahnung, wie die vier in seinen Dunklen Bezirk eingedrungen waren, doch war ihm ihr Kommen angekündigt worden. So leichte Opfer, wie er geglaubt hatte, waren sie leider nicht. Wie auch immer, er hatte einen Plan.

Er umschlich den Lagerplatz der Eindringlinge eine ganze Weile, bis er die Lage ausgekundschaftet hatte und wusste, wie er vorzugehen hatte.

Die Eindringlinge hatten sich in ein leicht zu verteidigendes Gewölbe zurückgezogen. Aber ihr Anführer war leichtsinnig. Er hatte seinen Schild und den Helm mitsamt dem Bogen und dem Köcher in einem Winkel des Gewölbes abgelegt. Nur das Schwert behielt er.

Gfeer rieb sich die Klauen.

Es war ein leichtes für ihn, sich mit den Krallen einen Weg durch den lockeren Boden zu graben. Er hatte Übung darin.

Gfeer begann vorsichtig diesseits der Mauer zu graben und hatte trotzdem schon bald eine beachtliche Höhle freigelegt. Auf diese Weise kam er unter der Mauer hindurch und arbeitete sich auf der anderen Seite hoch. Genau über ihm waren nun die begehrten Waffen. Er brauchte nur noch einige Trümmer abzuheben, dann würden sie ihm geradewegs in die Klauen fallen.

Er lauschte noch ein letztes Mal auf verdächtige Geräusche, aber nichts war zu hören. Und so setzte er sein Werk vorsichtig fort. Plötzlich gab der Boden über ihm nach – und es kam so, wie er es erwartet hatte. Helm, Schild, Köcher und Bogen fielen auf ihn herab.

Gleichzeitig tauchte in dem Loch auch ein Gesicht auf, das ihn hämisch angrinste. Es gehörte dem blonden Krieger, der beinahe sein Gefangener geworden wäre. Er sagte:

»Haben wir dich endlich, Bürschchen ...«

Gfeer robbte erschrocken zurück. Er ließ die Waffen Waffen sein und dachte nur noch an Flucht. Als er auf der anderen Seite rückwärts aus dem Tunnel kletterte, bohrte sich ihm etwas Spitzes, Hartes in den Rücken.

»Rühr dich nicht, sonst spießt du dich selbst auf«, sagte der Anführer der Eindringlinge. Mit erhobener Stimme rief er: »Alles klar, Luxon. Gfeer ist in unserer Gewalt.«

Mythor trieb den Mabaser mit vorgehaltenem Schwert um die Mauer herum und hinein in das Gewölbe, wo ihn die anderen erwarteten. Gfeer schrie vor Wut auf, doch das beeindruckte niemanden.

»Wir könnten dich auf der Stelle töten«, sagte Mythor, nachdem er Gfeer gezwungen hatte, sich auf den Boden zu setzen. »Aber daran liegt uns nichts. Wir haben einige Fragen an dich, und wenn du sie zufriedenstellend beantwortest, dann lassen wir dich laufen.«

»Gut, aber ich will deine Ausrüstung dazu«, sagte Gfeer.

»Das könnte dir so passen!«, rief Mythor lachend. »Du kannst froh sein, wenn wir dir das Leben schenken.«

»Ihr seid Eindringlinge«, erwiderte Gfeer. »Dieser Dunkle Bezirk ist mein Reich. Wir haben ihn nach unserer Heimat Mambasa genannt.«

»Wo liegt deine Heimat?«, fragte Mythor.

Gfeer deutete in eine unbestimmte Richtung und sagte:

»Weit, weit von hier. In einem Land, wo die ewige Nacht herrscht.«

»Er kann nur die Schattenzone meinen«, warf Sadagar ein. Er wandte sich an den Mabaser und fragte: »Wie kamt ihr hierher?«

»Wir dienen mächtigen Herren, die ihr noch fürchten lernen werdet«, antwortete Gfeer. »Sie setzten uns als Siedler in diesem Dunklen Bezirk aus, auf dass wir ihn verteidigen und dafür sorgen, dass sich auch hier die ewige Nacht ausbreitet. Ihr werdet die Macht unserer Herren noch zu spüren bekommen.«

»Ist dies Logghard, die Ewige Stadt?«, erkundigte sich Mythor.

»Ihr seid in Logghard – und auch wiederum nicht«, antwortete Gfeer. »Hier herrsche ich. Mein Wort ist Gesetz. Ich verlange, dass du mich freilässt und mir deine Ausrüstung übergibst.«

»Warum bist du darauf so erpicht?«, erkundigte sich Mythor. »Ich bezweifle, dass du damit umzugehen verstehst.«

»Darauf kommt es nicht an«, erwiderte Gfeer. »Diese Waffen sind Symbole der Macht. Ich will sie haben.«

Mythor wollte seine nächste Frage stellen, aber da kam ihm Luxon zuvor.

»Brauchst du die Waffen für dich selbst?«, fragte er. »Oder willst du sie für jemand anderen beschaffen?«

»Das geht euch nichts an«, antwortete Gfeer. Plötzlich richtete er sich auf. Seine Haare sträubten sich leicht, und seinen Körper durchlief ein Zittern. Er legte den Kopf schief, als lausche er. Dabei sagte er mit bebender Stimme: »Hört ihr? Sie kommen. Sie gehen wieder auf Jagd und werden ...«

Gfeer sprang mit einem Aufschrei auf die Beine und wollte davonstürzen. Mythor stellte sich ihm jedoch mit Alton entgegen.

»Hiergeblieben!«, rief er. »Zuerst sagst du uns, in wessen Auftrag du mir die Ausrüstung stehlen solltest!«

Gfeer zuckte zusammen, als die Spitze des Gläsernen Schwertes seine Brust ritzte. Sein Gesicht verzerrte sich, und er fletschte sein Raubtiergebiss. Er schien Angst zu haben.

»Ihr werdet mich nicht ...«, schrie er auf einmal. Und dann ergriff er mit beiden Klauen Alton an der Klinge, um es Mythor aus der Hand zu reißen. Aber er ließ das Schwert sofort wieder los, als hätte er sich daran verbrannt, und stürzte mit einem gellenden Schmerzensschrei zum Ausgang des Gewölbes.

Mythor hätte ihn mit einem Schlag des Gläsernen Schwertes niederstrecken können, aber es war nicht seine Art, einem Gegner in den Rücken zu fallen. Und so ließ er Gfeer fliehen.

Aber der Mabaser kam nicht weit. Kaum hatte er einen Schritt aus dem Gewölbe getan, da wurde sein krummer Körper erschüttert, als sei er gegen eine unsichtbare Wand gerannt. Er drehte sich im Stand um seine eigene Achse und sackte dabei in sich zusammen. Als er eine halbe Drehung gemacht hatte, sah Mythor, dass aus seinem Körper die Schäfte von einem halben Dutzend Pfeilen ragten.

Hinter dem Mabaser tauchte eine Gruppe von Kriegern auf. In vorderster Linie standen die Bogenschützen, die bereits neue Pfeile eingespannt hatten.

»Ergebt euch!«, erklang eine herrische Männerstimme. »Im Namen des Erleuchteten und Größten aller Großen – streckt die Waffen. Ihr seid umzingelt.«

Mythor atmete auf. Er lächelte seinen Gefährten zu.

»Da haben wir ja Glück gehabt«, sagte er, »dass die Getreuen der Großen uns gefunden haben.«

»Findest du?«, meinte Sadagar zweifelnd. »Freundlich gesinnt scheinen sie uns nicht gerade zu sein.«

»Ergebt euch!«, kam von draußen wieder die Aufforderung. »Werft eure Waffen heraus und folgt mit erhobenen Händen. Wenn ihr diesem Befehl nicht Folge leistet, werden wir euer Versteck stürmen!«

»Ich werde dieses Missverständnis aufklären«, sagte Mythor zu seinen Gefährten.

Er nahm seine Waffen auf und begab sich in voller Ausrüstung zum Ausgang. Als er unter dem Torbogen auftauchte, richteten die Bogenschützen sofort ihre Pfeile auf ihn. Vor dem toten Mabaser blieb Mythor stehen, hob den Sonnenschild, dass alle ihn sehen konnten und hielt Alton mit gestrecktem Arm hoch.

»Seht, ich trage die Waffen des Lichtboten«, sagte er dann mit erhobener Stimme zu dem Kreis der etwa zwanzig Krieger, die ihre drohende Haltung beibehielten. »Ich bin Mythor, der Sohn des Kometen. Ich komme vom Drachensee. Der Stumme Große Flüsterhand hat mich mittels des Hohen Rufes aus den Ruinen von Erham hierher geschickt. Er sagte, dass die Großen von Logghard mich erwarten würden.«

Die Krieger senkten ihre Waffen nicht. Hinter den Bogenschützen tauchte einer auf, der mit Schild und Krummschwert gerüstet war. Sowohl auf seinem Brustpanzer wie auch auf dem Schild prangte das Symbol der roten Sonne, das Wappen des Shalladad.

»Spar dir deine Worte!«, rief der Krieger, der offenbar der Anführer war. »Streckt eure Waffen und ergebt euch!«

»Lass dich nicht darauf ein, Mythor«, raunte Sadagar aus dem Hintergrund. Und Luxon fügte hinzu: »Gib die Ausrüstung des Lichtboten nicht aus der Hand. Sie ist dein stärkster Trumpf!«

»Daran habe ich ohnehin keinen Augenblick lang gedacht«, sagte Mythor ebenso leise zurück. Lauter fuhr er fort: »Ich kann dieser Aufforderung nicht nachkommen. Wer bist du eigentlich, dass du so mit mir, dem Sohn des Kometen, sprichst!«

»Ich heiße Jemon und handle im Auftrag des Erleuchteten, des Größten Großen«, antwortete der Krieger.

»Wenn das wahr ist, dann müsstest du über mein Kommen unterrichtet sein«, sagte Mythor. »In diesem Fall erwarte ich von dir, mit dem nötigen Respekt behandelt zu werden. Andernfalls muss ich dich als Feind der Großen und der Lichtwelt betrachten.«

»Ich weiß nur, dass ein Mann erwartet wird, der die Waffen des Lichtboten mitbringt«, erklärte Jemon. »Wenn du derjenige bist, dann übergib mir deine Ausrüstung und lasse dich in den Tempel der Großen bringen, um dich ihrem Wahrspruch zu stellen.«

»Die Waffen des Lichtboten sind mein rechtmäßiger Besitz«, erklärte Mythor fest. »Ich werde mich nicht von ihnen trennen.«

»Dann willst du den Kampf?«, fragte Jemon herausfordernd.

»Ich will zu den Großen gebracht werden, aber in voller Ausrüstung«, erklärte Mythor fest. »Legst du mir allerdings Schwierigkeiten in den Weg, Jemon, dann will ich es auf einen Vergleich ankommen lassen – zwischen deinen Waffen und denen des Lichtboten.«

Jemon schwieg eine ganze Weile. Schließlich sagte er.

»Gut, ich werde dich, so wie du bist, zu den Großen bringen«, sagte er. »Aber ich muss auf einer starken Bewachung bestehen.«

»Ich betrachte deine Krieger als die dem Sohn des Kometen zustehende Eskorte«, erwiderte Mythor.

Sadagar klopfte ihm von hinten auf die Schulter, und Luxon meinte anerkennend:

»So ist es richtig. Als Sohn des Kometen musst du lernen, dich auch ohne den Gebrauch von Waffen durchzusetzen. Aber Jemons Verhalten gefällt mir trotzdem nicht. Ich möchte bloß wissen, was für ein Spiel die Großen treiben.«

»Mythor ist eben allseits unbeliebt«, meinte Hrobon verächtlich, während er den anderen aus dem Gewölbe folgte. Die Bogenschützen hatten auf ein Zeichen Jemons die Pfeile zurück in die Köcher gesteckt. Auch die anderen Krieger verstauten ihre Waffen, blieben jedoch wachsam.

Sie kamen zu dem freien Platz, über den sich die Brücken spannten. Dort standen Körbe, die an Seilen hingen. In diesen waren die Krieger nach unten gelangt. Nun bestiegen sie sie wieder zu zweit und zu dritt, wobei Mythor und seine Freunde voneinander getrennt wurden.

Mythor teilte einen Korb mit Jemon. Kaum hatten sie ihn bestiegen, zupfte der Krieger an einer Schnur, und der Korb glitt gleich darauf ruckweise nach oben. Jemon wich Mythors Blick aus. Sein Gesicht war ausdruckslos.

»Ich habe eine Frage an dich, Jemon, die du mir ruhigen Gewissens beantworten kannst«, sagte Mythor. »Sind wir hier in Logghard?«

»Wir gelangen nun erst zur Oberwelt und somit in die Ewige Stadt«, antwortete Jemon. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Wir sind zwar im Herzen von Logghard, aber der Dunkle Bezirk, aus dem wir kommen, ist eine Bastion der Mächte aus der Schattenzone. Es gibt mehrere solcher Dunklen Zonen in der Ewigen Stadt, die von Kreaturen wie den Mabasern besetzt sind. Sie machen uns sehr zu schaffen, aber wir können sie wenigstens im Zaum halten.« Er machte wieder eine Pause, blickte Mythor kurz an und sagte: »Wir können diese Gefahrenherde eindämmen und ihre Ausbreitung verhindern. Doch wird die Existenz Logghards von anderer Seite bedroht.«

Sie erreichten mit dem Korb eine Plattform und gelangten von dort auf eine der Brücken. Nacheinander folgten auch die Körbe mit Luxon, Steinmann Sadagar und Hrobon.

Jemon verschwand für kurze Zeit. Mythor sah ihn hinter der Barrikade am Ende der Brücke verschwinden. Als er wieder zu ihnen zurückkam, erklärte er:

»Ich soll euch sofort in den Tempel der Großen bringen.«

 

*

 

»Wir reiten im Kreise. Wir kommen nie irgendwohin!«

Der Krieger schrie es immer wieder. Dann weinte und lachte er und begann schließlich zu toben. Drei Mann waren nötig, um ihn zu beruhigen.

»Versteht ihr denn nicht«, sagte er unter Tränen. »Wir bewegen uns immer in einem Kreis.«

»Ja, gewiss, in einem Dämonenkreis. Wie könnte es auch anders sein!«

»Aber wozu ziehen wir dann weiter?«

»Vielleicht können wir irgendwann aus dem Dämonenkreis ausbrechen. Irgendwo muss es ein Tor geben.«

»Land!«

Zum wievielten Mal war dieser Ruf schon erklungen?

Die Reiter trieben ihre Pferde an. Das Fußvolk begann zu laufen. Da vorne war ein gebirgiger Landstreifen, eine verheißungsvolle Oase in dem grauen, konturenlosen Einerlei dieses Nichts.

Das Hufgetrappel hallte laut. Von irgendwo erklangen entsetzte Schreie. Sie kamen von dieser Insel des Lebens, die sich wie ein Traum aus Licht und Farben aus der verwaschenen, grauen Einöde erhob. Und dort waren Menschen, die den Reitern entsetzt entgegenstarrten.

»Sie hören uns – aber sie fliehen uns!«

»Können sie uns nicht sehen? Erkennen sie uns nicht als ihresgleichen?«

»Wir sind Freunde! Wir tun euch nichts!«

Die Menschen auf der Insel duckten sich unter der herandonnernden Reiterschar. Die Krieger ritten durch die Insel des Lebens hindurch, zügelten ihre Pferde und kehrten zurück. Aber der Traum hatte sich verflüchtigt. Kein Licht, keine Farben. Nichts.

Das Tor zu ihrer Welt, das zum Greifen nahe schien, hatte sich wieder geschlossen.

3.

 

»Samed! Was ist mit dir?«

Die zartgliedrige Frau mit dem langen hellen Haar beugte sich besorgt über den Jungen, der sich wie unter Krämpfen krümmte. Er hatte schwarzes, krauses Haar und einen dunklen Teint. Aber jetzt zeigte sein Gesicht eine ungesunde Blässe, die Haut wirkte aschfahl.

»Was ist nur, Samed? Sag etwas.«

Der Junge würgte, dann fragte er:

»Muss ich sterben, Kalathee?«

Kalathee krampfte es das Herz zusammen.

»Er ist yarlkrank«, sagte eine Männerstimme neben ihr. Kalathee blickte erschrocken hoch und sah in das zerfurchte Gesicht eines greisen Mannes. Die blutleeren Lippen verzogen sich zu einem beruhigenden Lächeln. »Es ist nichts Ernsthaftes. Das kommt von dem steten unruhigen Schaukeln, aber irgendwann gewöhnt man sich daran. Der Junge wird die Übelkeit bald überwunden haben. Er ist ein kräftiges Bürschchen. Ich heiße übrigens Arlomb.«

»Das klingt ugalienisch«, stellte Kalathee fest.

Der Alte nickte.

»Ich stamme aus Ugalos und bin schon lange vor der Schlacht von Dhuannin zu Fuß zum Orakel von Theran gepilgert«, erzählte er. »Aber die Flüchtlinge überholten mich an der Oase von Theran. Ich wollte das Orakel befragen, wem ich meine Ersparnisse hinterlassen sollte, da ich doch keine Familie mehr besaß. Das Orakel verwies mich nach Sarphand, wo ich meinen Frieden finden sollte. Aber dort erwischten mich die Wilden Fänger.«

Kalathee hörte kaum zu. Sie hatte Samed in die Arme genommen und wiegte ihn. Er schlief nun. Sie schreckte erst hoch, als Arlomb sagte:

»Ihr habt nicht den ganzen Weg mit uns mitgemacht. Ihr seid erst vor einigen Tagen zu uns gestoßen. Ich habe es beobachtet.«

»Es hat dich nicht zu kümmern«, erwiderte Kalathee, nahm Samed auf und bahnte sich einen Weg durch die Menge.

Es waren fast durchweg Männer auf diesem Yarl, insgesamt an die hundert Menschen. In ihren Gesichtern stand die Hoffnungslosigkeit geschrieben. Und diese Menschen sollten in Logghard für die Lichtwelt kämpfen? Legionäre für die Ewige Stadt! Manche von ihnen waren noch halbe Kinder, andere Greise wie Arlomb, die nicht mehr die Kraft hatten, einen Bogen zu spannen oder ein Schwert zu schwingen.

Auf dem Yarl befanden sich neben dem Yarl-Führer, einem mageren, dunkelhäutigen Mann mit Ohren, die wie Geschwüre wucherten, auch noch drei Krieger zur Bewachung der Legionäre. Sie versuchten auch, durch regen Zuspruch ihre Stimmung zu heben.

»Ihr seid Auserwählte, jawohl. Einst, wenn wir in Logghard siegen, wird man euch als Helden besingen.«

Viele Legionäre hatten sich in ihr Schicksal gefügt, aber ob sie tapfere Kämpfer abgeben würden, musste sich erst erweisen.

Kalathee blickte sich nach dem alten Ugaliener um, der sie angesprochen hatte. Ihre Blicke kreuzten sich, und Kalathee blickte schuldbewusst weg. Sie hatte ein wenig Angst, dass jemand sie und Samed an die Vogelreiter des Shallad Hadamur verraten könnte, die immer noch Jagd auf Luxon machten. Aber bisher war ihr Yarl noch nicht angehalten worden, obwohl sie bereits drei Straßensperren passiert hatten.

Kalathee hätte viel darum gegeben, bei ihrem Geliebten sein zu können. Jetzt hätte er ihres Zuspruchs und ihrer Liebe mehr bedurft als je. Abgesehen davon, dass er von Hadamurs Vogelreitern gejagt wurde, weil der Shallad befürchtete, dass Luxon ihm den Thron streitig machen würde, hatte er eine weitere bittere Enttäuschung erlebt, als er erkennen musste, dass die Waffen des Lichtboten in seinen Händen ihre Kraft verloren.

Ich glaube trotzdem an dich, Luxon, dachte Kalathee. Sie hätte es ihm gerne gesagt und ihm Mut gemacht, damit er den einmal beschrittenen Weg weitergehe.

Aber Luxon hatte gemeint, dass es für sie und Samed zu gefährlich sei, bei ihm zu bleiben, und sie musste sich fügen. Als sie ihn zum Abschied fragte, was er nun zu tun gedenke, hatte er gesagt, dass er noch keine Entscheidung getroffen habe.

Sie hätte bei Luxon bleiben sollen! Aber sie hatte sich gefügt und sich von Fafhads Leuten zur Straße der Elemente bringen lassen, die nach Logghard führte. Hier wurde sie an die Krieger übergeben, die den Yarl-Transport mit Legionären bewachten. Man gab sie als Entflohene aus, und die Krieger nahmen sie auf, ohne sie zu bestrafen. Das lag schon vier Tage zurück, und es hieß, dass Logghard bald in Sicht kommen würde.

Samed schlief noch immer ...

»Halt! Im Namen von Shallad Hadamur!«

Kalathee hielt den Atem an, als der Yarl-Führer das Tier zügelte. In die Legionäre, die bisher stumpf vor sich hingedöst hatten, kam Bewegung. Sie unterhielten sich darüber, aus welchem Grund die Vogelreiter wohl den Yarl-Zug anhielten.

Kalathee hatte einen Platz an den Palisaden, unter einem Wehrgang. Sobore, der Kommandant des Yarl-Zuges, stieg über die kurze Leiter zum Wehrgang hoch und unterhielt sich mit den Vogelreitern, die Kalathee durch die Ritzen zwischen den Palisaden sehen konnte. Sie schätzte sie auf etwa fünfzig.

Sobore unterhielt sich mit dem Anführer der Vogelreiter zuerst über allgemeine Dinge und erfuhr, dass sich die Lage in Logghard zuspitzte.

»Hast du auf deinem Weg in den Süden verdächtige Herumtreiber beobachtet?«, erkundigte sich der Vogelreiter auf einmal.

»Abgesehen von jenen, die sich an den Straßensperren herumtrieben, nein«, antwortete Sobore.

»Werde nicht frech!«, wies ihn der Vogelreiter zurecht. »Hast du vielleicht Flüchtlinge in deinem Zug aufgenommen?«

»Nein«, antwortete Sobore. »Ich habe die Legionäre, wie sie da sind, am See Nehred von einer Lichtfähre übernommen. Und es sind weniger geworden, weil mir einige weggestorben sind.«

»Das geht mich nichts an«, sagte der Vogelreiter. »Also gut, zieh von dannen. Das Licht mit dir!«

Sobore erwiderte den Gruß nicht, sondern rief einen Befehl. Der Yarl setzte sich wieder in Bewegung. Als Sobore von dem niedrigen Wehrgang stieg, verkündete er:

»Es ist meine Aufgabe, Kämpfer nach Logghard zu bringen. Alles andere kümmert mich nicht.«

Er sah Kalathee dabei nicht an, aber sie wusste, dass er eigentlich sie ansprach.

 

*

 

»Logghard kommt in Sicht!«

Alles stürzte zu den Palisaden, um einen Blick auf die Ewige Stadt zu erhaschen. Der Name der Stadt hatte eine magische Wirkung auf die Legionäre. Kaum einer unter ihnen, der nicht mit seinem Schicksal gehadert hatte und den Tag verfluchte, da er in Sarphand den Wilden Fängern ins Netz gegangen war. Und in den Tagen und Wochen auf den Lichtfähren und auf den Rücken der Yarls mochten sie ihr Klagelied tausendmal und öfters wiederholt haben.

Doch nun, das verhasste Ziel vor Augen, waren sie auf einmal wie verwandelt. Logghard, das war auf einmal nicht nur das Straflager für sie – Logghard war auch die stärkste Bastion der Lichtwelt. Dessen wurden sie sich nun bewusst.

Sie drängten sich an den Palisaden, reckten ihre Hälse und sahen sich die Augen aus.

»Wo ist die Ewige Stadt? Wo?«

»Da vorne!«

Aber zuerst war nichts als eine in den Himmel ragende dunkle Wand zu sehen, in der es wallte und brodelte. Die Düsterzone! Bedrohlich und unheilvoll erhob sie sich als dunkler Streifen entlang des südlichen Horizonts. Sie schien zum Greifen nahe.

So mancher fröstelte bei diesem Anblick, suchte unwillkürlich Halt und war froh, wenn er den Druck einer wärmenden Hand spürte.

Das der Düsterzone vorgelagerte Land war unfruchtbar und trostlos. Nur gelegentlich zeigte sich eine grüne Insel zwischen den Kratern, die Himmelssteine geschlagen hatten, und den Tümpeln aus Schwärze.

Und da – der dunkle Brodem der Düsterzone lichtete sich etwas und gab ein schwaches Leuchten frei.

»Die Lichtsäule, das Wahrzeichen von Logghard«, erklärte Sobore mit Ehrfurcht in der Stimme. »Der Lichtbote hat sie einst entzündet, als er das Böse in die Schattenzone zurückdrängte, und seit damals leuchtet sie. Solange sie nicht erlischt, wird die Lichtwelt Bestand haben ... Könnt ihr die Mauern von Logghard nun sehen?«

Samed hatte sich wieder erholt und Kalathee gebeten, mit ihm eine Palisade zu besteigen. Nun drängte sie sich zusammen mit den anderen auf dem Wehrgang. Jemand machte ihr Platz, es war Arlomb. Er hob Samed hoch, so dass er auf der Palisade zu sitzen kam.

Die Düsternis wich nun noch weiter zurück und gab die Stadt frei. Zuerst sah Kalathee nur Teile einer hoch aufragenden Mauer, in der viele Lücken klafften, die nur notdürftig verbarrikadiert schienen. Dann wich der Nebel weiter zurück und gab größere Teile der Stadt frei.

Die Yarls schienen zu wittern, dass sie ihrem Ziel schon ganz nahe waren, und der Stallgeruch trieb sie zu größerer Eile an. Logghard wurde rasch größer.