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Margit Schönberger

Eine Blattlaus kommt selten allein

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Margit Schönberger

Margit Schönberger wuchs inmitten von Blumenwiesen auf dem österreichischen Land auf. Sie ist Journalistin und Autorin mehrerer erfolgreicher Bücher (u.a. Mein Chef ist ein Arschloch, Ihrer auch?; Don’t worry be fifty; Wozu Männer?). Zusammen mit ihrem Mann und zwei Katzen lebt sie in München und widmet einen Großteil ihrer Freizeit ihrem Garten.

Über dieses Buch

Margit Schönberger wuchs auf dem Lande auf – und lernte von Kindesbeinen an, wie sämtliche Feld-, Wald- und Wiesenblumen hießen. Doch später in der Großstadt ging ihr dieses Wissen verloren. Erst als sie sich in ihrer Lebensmitte entschloss, ihren wildwuchernden Reihenhausgarten zu zähmen, wurde sie zu einer leidenschaftlichen Hobby-Gärtnerin – und musste dabei feststellen, dass das Gärtnern nicht nur große Erfüllung bereitet, sondern auch seine Tücken hat … »Eine Blattlaus kommt selten allein« ist der humorvolle, mitunter selbstironische Erfahrungsbericht einer wild entschlossenen Freizeit-Gärtnerin, die sich weder von Mehltau noch Giersch in die Knie zwingen lässt.

Impressum

Das Gedicht »Stehend an meinem Schreibpult« von Bertolt Brecht auf S. 225f. entnahmen wir: Bertolt Brecht, Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 15: Gedichte 5. © Bertolt-Brecht-Erben / Suhrkamp Verlag 1993

 

 

eBook-Ausgabe 2012

Knaur eBook

© 2012 Knaur Verlag

Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt

Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Illustrationen: Gisela Rüger

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: © FinePic®, München

ISBN 978-3-426-41368-5

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Mit einem Baumfrevel fing alles an

Als mein Leben eines Tages im Chaos zu versinken drohte, fiel mein Blick nach langer Zeit wieder einmal in den Garten. Er war im Lauf der Jahre nicht größer geworden. Im Gegenteil. Eine grün beblätterte Schuhschachtel, die dabei war, nach innen zuzuwachsen. Was den Vorteil hatte, dass mir niemand von außen in die privaten Karten schauen konnte. Vorhänge zuziehen war damals wie heute von Ende März bis Ende Oktober abends unnötig: Das Chlorophyll der blickdichten Buchenhecke und einiges andere Blätterwerk deckte über mein nervöses Herumtigern, meine hastigen Abendmahlzeiten vor dem Fernseher und mein wütendes Hadern mit dem Schicksal gnädig den Mantel der Natur. Die ließ sich von inhäusigen Dramen nicht beeindrucken und war munter dabei, vor sich hin zu wuchern. Ein von Menschenhand unberührtes Paradies, das sich selbst geschaffen hatte, sich und den Katzen der Nachbarschaft zum Wohle. Nur gelegentlich gestört von meiner Freundin und Nachbarin zur Linken, die darum bat, wenigstens ab und zu ihren Rasenmäher auch auf meiner Graswildnis spazieren führen zu dürfen. Sie war eine Anhängerin von englischem Rasen und schnitt dessen Ränder mit mathematischer Präzision mit der Nagelschere – die Zunge vor Konzentration zwischen die Lippen geklemmt. Der Anblick meiner Wiese, mit Löwenzahn, Breit- und Spitzwegerich und sogar Ansätzen von Sauerampfer durchsetzt, verursachte ihr Magengrimmen. Vor allem die Löwenzahnschirmchen, die der Wind von mir zu ihr hinüberblasen würde, versetzten sie in Panik.

Und wie gesagt, eines strahlenden Tages im Mai fiel mein trüber Blick auf meinen verwunschenen Garten – und ich war geschockt. Die Wiese war zwar gemäht, aber jetzt zeigte sich auch, dass die abgeworfenen Nadeln der großen Lärche den Graswuchs in einem mächtigen Halbkreis erstickten. Das sah aus, als hätte der Garten eine Halbglatze. Dieser braune Fleck im Bodengrün war wohl die Rache des Baumes, den ich vor Jahren in seinem Säuglingsalter von einer Tiroler Almwiese entführt hatte. Dabei war ich von meinem damaligen Mann gewarnt worden: »Die Lärche gehört uns nicht. Sie gehört auch rein botanisch nicht nach München und schon gar nicht in einen Reihenhausgarten. Außerdem wird sie – falls sie den Gewaltakt des Ausgrabens übersteht – viel zu schnell viel zu hoch wachsen. Das verstößt sicher gegen die Gartenregeln der Siedlung. Lass es sein!« Nun ist das aber so: Wenn ich das Wort »Regel« in Verbindung mit »Verstoß« nur höre, werden alle meine Widerstandskräfte ganz automatisch mobilisiert. Ich grub also umso eifriger und umso tiefer – und setzte meinen Kopf durch. Es wäre mir nie eingefallen, geschützte Pflanzen wie Enzian, Almrausch oder Kohlröschen zu pflücken oder gar auszugraben. Sie wuchsen zuhauf um die Alm herum. Da gehörten sie hin und waren inzwischen überall so selten geworden, dass sie zu Recht unter Naturschutz standen und stehen. Aber eine Lärche – eine von Dutzenden, die um die Hütte herumstanden? Ihre lindgrünen, jungen Nadelbüschel fassten sich außerdem so weich und angenehm an – sie war mir ungeheuer sympathisch. Ich wollte sie in München um mich haben.

Und nun waren etwa fünfzehn Jahre vergangen, vom Mann an meiner Seite hatte ich mich verabschiedet, und das Lärchenkind war ein baumstarker Kerl geworden. Ragte hoch über die Dächer der kleinen Reihenhäuser hinaus. Besucher, die zu mir wollten und sich auf den verschlungenen Siedlungswegen mit der komplizierten Hausnummerierung verirrt hatten, konnten sich problemlos an meiner Lärche orientieren. Dass diese botanische Fahnenstange den Boden meines halben Gartens erstickte, war mir noch nie aufgefallen. Entsprechende Bemerkungen meiner freiwilligen Rasenmäherin hatte ich wohl aus Desinteresse überhört. Nun aber, Chaos im Herzen und auf der Suche nach einer Aufgabe, die meine Seele beruhigen würde, bekam ich den bösen Blick und fand, mein Garten müsste heller werden. Denn das ehemalige Lärchenkind verlor nicht nur turnusmäßig seine Nadelhaare zuhauf, sondern warf auch einen großen Schatten.

»Bei dem schlechten Licht wird nie eine Blume in deinem Garten wachsen!«, tat die Fußballrasen-Verehrerin ein Übriges, um mich aktiv werden zu lassen. Und so beschloss ich kalten Herzens, dem Treiben der Lärche ein Ende zu bereiten.

Sie scheint das dräuende Schicksal irgendwie geahnt zu haben, denn sie trug so viele kleine Lärchenzäpfchen wie nie zuvor. Es schien also zu stimmen, was meine Großmutter mir einmal erzählte: Sterbende Bäume würden »kindeln«, nämlich mit letzter Kraft unendlich viele Samen erzeugen, um so der Art das Überleben sichern. Die PSI-Literatur wusste Ähnliches zu berichten, wie ich mich erinnerte. Die Natur scheint demnach ein geheimnisvolles Kommunikationssystem zu besitzen. Wie sonst wäre die Beobachtung von kanadischen Förstern zu erklären, dass diese verstärkte Samenproduktion der Bäume bis in Nebentäler hinein funktionierte, wenn irgendwo große Baumfällaktionen über lange Zeiträume gestartet wurden. Dass diese »stille Post« meiner Lärche bis zu ihren Verwandten nach Tirol funktionieren würde, wagte ich zwar zu bezweifeln. Aber weiß man’s?

Rätselhaftes hin oder her, die Frage war jetzt: Wie wird man einen Riesenbaum mit beträchtlichem Stammumfang, der sich in einem Reihenhausgarten festgesetzt hat – wenn auch nicht freiwillig –, wieder los? Einfach umsägen geht nicht – dafür kann man wegen »Baumfrevel« (es gibt einen entsprechenden StGB-Paragraphen) angezeigt werden. Wussten meine Nachbarn zu berichten. Ganz abgesehen davon, dass das Unterfangen ob der enormen Größe des Tiroler Zwangseingewanderten nicht ungefährlich war. Da man angeblich klüger ist, wenn man vom Rathaus kommt, haben meine fürsorglichen Nachbarn dort für mich Rat gesucht. Das Ergebnis rückte eines Tages in Form einer mehrköpfigen »Kommission« an, die den Tiroler Riesen aus der Nähe und auch von etwas weiter weg begutachtete. Sie trugen ihre Erkenntnisse in Klemmbretter ein und zogen wieder von dannen. Eine Nachfrage am nächsten Tag ergab, so wurde mir berichtet, dass mein nadelnder, lichtfressender Gartenbewohner keine Fürsprecher gefunden hatte. Damit war sein Schicksal besiegelt.

Wenige Tage später fielen drei Männer mit ausfahrbaren Leitern, Kettensäge, Spitzhacken und anderem martialisch aussehendem Gerät in meinen Schuhkarton ein. Als sie nach Stunden wieder gingen – auf dem Anhänger jede Menge handlich zersägtes Kaminholz –, war mein ehemaliger Freund, der Baum, tot. Gelegentlich hört man heute noch auf nostalgisch ausgerichteten Radiosendern Alexandras Lied »Mein Freund, der Baum, ist tot«, dann denke ich an die Lärche, der ich so übel mitgespielt habe. Auch wenn Sie es mir vielleicht nicht glauben: Noch heute habe ich deshalb ein schlechtes Gewissen. Immerhin ist sie auf diese Weise der Anonymität auf einer Almwiese und dem Vergessen entrissen. Das können sicher nur wenige Lärchen von sich sagen.

Der kräftige Wurzelstock hinterließ ein riesiges Loch, und die neuen Lichtverhältnisse im Garten verwirrten mich. Alles vor meinem Wohnzimmerfenster sah plötzlich neu und fremd aus. Lichtbeschienen und der Neuordnung harrend. Das stachelte meinen Tatendurst zusätzlich an: Ich wollte ab sofort eine fürsorgliche und erfolgreiche Gärtnerin werden. Eine, über deren Zaun bewundernde und neidvolle Blicke auf prachtvoll blühende Sträucher und Blumen geworfen würden.

Der Schatz unterm Glockenstrauch

Noch immer hatte ich jede Menge Ärger am Hals, denn die Trennung von meinem Partner hatte auch eine Menge berufliches Chaos verursacht. Während ich bis zur Lärchenaffäre verbissen in die Abendstunden hinein im Büro gewerkelte hatte, zog es mich plötzlich schon am helllichten Nachmittag nach Hause. Zu meinem Garten. Der zwar noch keiner war, aber einer werden sollte. Wie gesagt: Ein wahres Prachtstück schwebte mir vor. Eines, das jeder Prämierung würdig wäre. Mein Garten sollte alles um ihn herum in den Schatten stellen. Auch oder gerade ohne Lärche.

Noch war davon nichts zu sehen. Selbst mit viel Phantasie nicht. Da gab es zwischen den Beton-Trennwänden zu den Nachbarhäusern eine gepflasterte Terrasse, auf der eine verrostete Biergartenbank stand, die der Vormieter zurückgelassen hatte. Zwischen den Platten wuchsen vereinzelte Grasbüschel. Das waren wohl die, die unter den Lärchennadeln keine Chance gehabt hatten und deshalb vom Wind Richtung Haus verweht worden waren. Von der Terrasse bis zur Buchenhecke am Ende des Gartens und vom linken Maschendrahtzaun bis zum rechten dehnte sich eine langweilige Grünfläche. Eine, die meine Nachbarin sich weigerte, als Rasen zu bezeichnen. Zwei Ausnahmen gab es jedoch: Vor der Buchenhecke, gleich neben der Gartentür, kümmerte ein kleiner Fliederbusch vor sich hin, der bisher zu wenig Licht bekommen und zudem eine schwere Verletzung davongetragen hatte: Er war ein Geschenk zum Einzug von wohlmeinenden Freunden, wurde allerdings bei einem Federballspiel so getreten, dass seine Astgabel kurz über dem Boden gesplittert war. Noch hatte der kleine Fliedernachwuchs sich nicht entschieden, ob er diese Attacke überstehen und doch weiterwachsen wollte.

Die zweite Bodenerhebung – weitaus beeindruckender als der kleine, kümmernde Fliederzwerg – gehörte einem völlig verholzten Strauch rechts vor der Terrasse, dicht am Maschendrahtzaun. Er streckte fünf dürre Astfinger wie um Hilfe flehend gen Himmel. Was für eine Sorte Busch da am Dahinsiechen war, ließ sich nicht feststellen, weil er nur eine jämmerliche Handvoll ängstlich zusammengerollter Blätter ausgetrieben hatte – zu unterentwickelt, um anhand ihrer Form eine Artenbestimmung vornehmen zu können. Die pflanzenkundigen Freunde von links nebenan rätselten eine Weile mit mir darüber, bis die Nachbarn von rechts – die unser Gemurmel auf ihrer Terrasse wohl mitverfolgt hatten – dazustießen und meinten, dass der arme Kerl wohl früher mal eine rosablühende Weigelie, »auch Glockenstrauch genannt«, gewesen war. Soweit sie sich noch an blühende Zeiten erinnern konnten, fügten sie mit einem strafenden Blick auf mich Gartenbanausin hinzu. Die Sache war klar, ich musste wohl noch einmal ein Pflanzenleben auslöschen, bevor ich neues schuf. Diesmal aber wenigstens unter den »humanbotanischen« Vorzeichen von Sterbehilfe, beschwichtigte ich meine aufkeimenden Bedenken.

Aber das konnte noch warten, denn wenn ich Farbe in diese grüne Ödnis bringen wollte, musste ich zuerst einmal Beete anlegen. Für Ornamente à la Versailles oder Salzburger Mirabellgarten war kein Platz vorhanden. Ich würde mich mit randständiger Pracht zufriedengeben müssen. Es hieß doch so schön: »Platz ist in der kleinsten Hütte«, das musste auch für Gärten gelten. Also machte ich mich daran, an den Grenzzäunen entlang die Erde umzugraben. Ich informierte meine Nachbarfreunde über meine Blütenträume (was große Freude auslöste) und bat um Hilfe:

»Könnt ihr mir bitte eine Schaufel leihen?« Das Gartenhäuschen der Profigartler war – wie ich wusste – voller Geräte, wie ich sie wohl brauchen würde.

»Wozu brauchst du denn eine Schaufel?« Meine Bitte stieß offenbar auf Verblüffung.

»Na, um an den Zäunen entlang umzugraben. Ich will doch Beete anlegen!« Worauf mir das Gewünschte mit einem süffisanten Lächeln in die Hand gedrückt wurde:

»Du brauchst das hier. Das ist ein Spaten. Eine Schaufel benutzt man, um Pferdeäpfel aufzusammeln.« Ich lief vor Verlegenheit rot an. Die Enkelin von Bauern – worauf ich bis heute stolz bin –, die sich auch noch für relativ »wortgewaltig« hielt, hatte den Unterschied zwischen Spaten und Schaufel vergessen. Was für eine Schande. Ich war beschämt, hatte aber, was ich brauchte.

Schnell bemerkte ich, dass ich mit meinen dünnsohligen Schühchen auf den Spaten nicht den richtigen Druck beim Einstechen ausüben konnte. Also Schuhwechsel und wieder was gelernt. Jetzt erlebte ich allerdings die ganz große Überraschung: Die Grasnarbe leistete dem Spaten vehementen Widerstand. Ich hörte zwar, wie Wurzeln leise krachend abrissen, dennoch kam ich erst nach Minuten zu meinem ersten Spatenstich-Erfolg. Das konnte ja heiter werden.

»Da wirst du die Spitzhacke brauchen!«, tönte es über den Zaun, und schon wurde mir das schwere Ungetüm gereicht. Abgesehen davon, dass sich meine schwungvollen Bemühungen einige Male im Maschendraht verfingen, kam ich meinem Ziel, Erde zum Vorschein zu bringen, bald näher. An der Stelle, wo bis vor kurzem die Lärche gewurzelt hatte, kam ich sogar im Eiltempo vorwärts. Schon nach kurzer Zeit war ich – der körperlichen Arbeit seit geraumer Zeit völlig entwöhnt – schweißüberströmt. Mein Kopf glich einem roten, chinesischen Lampion, wie mir auch noch Jahre später immer wieder höchst amüsiert erzählt wurde. Da mir bewusst war, dass ich unter Beobachtung stand, wollte ich mir keine Blöße geben und biss die Zähne zusammen: Einstechen, den Spaten in die Erde hebeln und hochdrücken, die Grasnarbe packen und die Erde abschütteln und so fort. Dabei offenbarte sich mir die nächste Unbill: Es gab unter der ersten Erdschicht mehr Steine, als einem Gärtner lieb sein konnte. Damit war wohl ein weiterer Arbeitsgang vorprogrammiert. Ich sah mich schon zentnerweise Schotter klauben.

Nach Stunden näherte ich mich den Terrassenfliesen und war so den Kontrollblicken endlich entzogen. Ich hatte den anderen bis dahin wohl ein vollwertiges Fernseh-Ersatzprogramm geboten. Zitternd vor Anstrengung, legte ich mit heraushängender Zunge die längst überfällige Pause ein. Mein Blut kochte und sang ein merkwürdiges Lied in meinen Ohren. Erste Zweifel regten sich, ob das Ganze wohl dafür stand? Dabei hatte ich erst eine Zaunseite geschafft und die noch nicht ganz, weil mir da ja noch die verholzte Weigelie im Weg stand. Ich beschloss, für diesen Tag Schluss und am nächsten Tag mit frischem Mut weiterzumachen.

Mit Blasen an den Händen und Muskelkater vom Feinsten, trat ich am nächsten Nachmittag wieder an, meinem Gartentraum ein Stück näher zu kommen. Ich wollte als Erstes das Unangenehmste erledigen und dem greisen Glockenstrauch den Gnadenstoß geben. Das war allerdings leichter gesagt als getan. Die fünf jammervollen Äste – man konnte sie auch als kleine Stämme bezeichnen – konnte ich ohne große Probleme mit Hilfe einer kleinen Säge entfernen. Aber der Wurzelstock schien bis zum Mittelpunkt der Erde zu reichen. Der Spaten versagte völlig, Gott sei Dank lag da ja noch die Spitzhacke herum. Ich kam mir vor wie ein chinesischer Arbeitssklave beim Bau der großen Mauer. Die Erdhügel um mich herum wurden immer höher, und ehe ich mich’s versah, stand ich bis zur Hüfte in einem Riesenloch und kämpfte mit den Wurzeln dieses vermaledeiten Strauchs, der einmal eine Zierde gewesen sein soll. Das Ganze erinnerte mich an meinen Zahnarzt, der mir vor Wochen einen Weisheitszahn gezogen hatte und sich dabei ähnlich gebärdet hatte wie ich jetzt in meinem Buddelloch. Von oben her tauchten ab und an Gesichter auf – ich war schon wieder zum spätnachmittäglichen Unterhaltungsprogramm geworden – und nahmen mir damit die Möglichkeit, einfach alles hinzuschmeißen und aufzugeben. Das ließ mein Stolz nicht zu. Plötzlich stieß ich auf etwas Hartes, Metallisches.

»Ein Schatz! Ich habe einen Schatz gefunden!«, entfuhr es mir. Wohl etwas zu laut, denn plötzlich war ich von Menschen umringt, die neugierig zu mir in mein Loch herunteräugten.

»Hoffentlich! Aber ich tippe eher auf ein Abflussrohr! Lass mich das mal lieber machen, bevor wir ein größeres Problem bekommen!«, nahm mir mein nachbarlicher Freund zur linken Zaunseite die Spitzhacke aus der Hand. Er setzte mit viel männlichem Fingerspitzengefühl nur noch den Spaten ein, entfernte die letzten Reste der Weigelienwurzeln auf dem Weg Richtung Australien zu den Gegenfüßlern und zog die »Schatztruhe« lachend an Land. Unsere Gesichter wurden allerdings lang, und speziell meine Enttäuschung war groß: Es handelte sich um einen völlig verbeulten, betonverkrusteten Blecheimer, den die Bauarbeiter vor Jahrzehnten wohl auf dem Baugelände entsorgt hatten. Also kein Rohrbruch in Sicht, aber auch kein unerwarteter Reichtum. Wer hätte wohl auch in den Sechzigerjahren, als unsere Siedlung vor den Toren Münchens gebaut worden war, einen Schatz vergraben sollen? Die meisten Hausbesitzer hatten damals ihr schmales Erspartes zusammengekratzt, um sich die Häuschen überhaupt leisten zu können. Und wenn doch, wer wäre wohl so blöd, einen Schatz beim Auszug nicht auszubuddeln und mitzunehmen? Ich bedankte mich artig für die Hilfe und beschloss, meine Wut über diese unspektakuläre Wendung gegen mich zu richten, da ich sie nicht anders kanalisieren konnte. Autoaggression ist ein probates Mittel, um nicht auf Unschuldige loszugehen. Beschluss: Das frei gewordene Glockenstrauchgebiet würde zu einem Großbeet auf halbe Terrassenbreite erweitert werden. Mein Rücken, meine Knie und meine Armmuskeln schrien auf vor Entsetzen.

Die Invasion der schwarzgrauen Armee

Das Tempo, das ich im Garten vorgab, entsprach in keiner Weise dem, das ich auf meinem täglichen Weg ins Büro an den Tag legte. Es lag im dritten Stock, ohne Lift, und mein Muskelkater sang mir auf den Treppen Arien. Im zweiten Stock praktizierte eine Orthopädin, und es passierte mir mehr als einmal in diesen Tagen, dass mir ihre Patienten, die besser zu Fuß waren als ich, Hilfe anboten, weil sie mich für eine Leidensgefährtin hielten, die nach einer Hüftgelenksoperation zu früh entlassen worden war. In dieser Zeit habe ich gelernt, dass es verschiedene Sorten von Schmerzen gibt: Muskelkater ist eine Art »angenehmer« Schmerz. Das konnte ich nur niemandem klarmachen. Klingt ja auch irgendwie seltsam.

Endlich oben in meinem Stockwerk angekommen, riss ich erst einmal die Fenster auf, dehnte mich unter Ächzen, so gut es ging, winkte den Feuilletonkollegen von der »Abendzeitung« zu, die ihr Büro gegenüber auf der anderen Straßenseite hatten, und widmete mich – schon wieder meinem Garten. Ich füllte jeden Tag mehrere Coupons aus, die ich in Zeitschriften fand, ausschnitt und auf Postkarten klebte, um Gartenkataloge zu bestellen. Tag für Tag trafen mehr davon ein, und der Briefträger stöhnte immer lauter, weil er sie nicht mehr in dem im Parterre gelegenen Postkasten unterbringen konnte und damit in den dritten Stock keuchen musste.

»Sie satteln wohl um auf Gärtnerin aus Liebe?«, fragte er mich eines Tages schnaufend. »Passen Sie bloß auf, so was artet schnell in Arbeit aus und macht Schwielen an den Händen. Ich weiß, wovon ich rede. Meine Frau musste unbedingt einen Schrebergarten haben. Was da alles anfällt, dagegen sind die Ausflüge zu Ihnen in den dritten Stock Spaziergänge.«

Ich klärte ihn über meine kleine Reihenhaus-Schuhschachtel auf und ließ mir zusichern, dass ich ihn im Fall des Falles jederzeit um Rat fragen könne. Das sollte schneller der Fall sein, als mir lieb war.

Jeden Nachmittag schleppte ich meine Katalogbeute frohgemut ins Parkhaus und düste mit dem Auto den langen Schatten des Spätnachmittags in meinem Garten entgegen – zu den letzten Umgrabearbeiten und zum Steineernten. Ganz Körbe voll hatte ich inzwischen aus dem Boden geholt. Genug für das Kellerfundament eines stattlichen Einfamilienhauses, wie mir schien. Nur wohin damit? Die Mülltonne war eindeutig nicht der richtige Ort. Also packte ich ein-, zweimal die Woche einen Korb voll meiner steinernen Bodenernte ins Auto und fuhr sie an die Isar. Das kam mir selbst so verrückt vor, dass ich das bis heute noch keinem Menschen erzählt habe … Aber was es bedeutet, »Eulen nach Athen« zu tragen, das wusste ich ab da.

Die Vertiefung in die prachtvollen Pflanzenkataloge war Abend für Abend die Belohnung für des Tages Müh und Plag. Ich schwelgte in vierfarbigen Tulpen-, Gladiolen- und Pfingstrosen-Meeren und kreuzte schon mal alles an, was davon ich in meinem Garten unbedingt blühen sehen wollte. Die Rosenfrage ging ich noch nicht an, denn das sollte die Krönung meiner Mühen sein – die entsprechenden Seiten überschlug ich – mit Absicht – noch. So wie ich mir die Dessertwahl im Restaurant auch bis zum Schluss aufhebe.

Irgendwie hatte ich angesichts dieser Bilder in den Katalogen die Dimension meines Gartens längst aus den Augen verloren. Es ging mir am Ende deshalb wie Woody Allen, der sich einmal darüber wunderte, dass sich das All angeblich ständig ausdehnte, aber die Parkplätze in New York trotzdem nicht mehr wurden.

In der Realität vor meinem Wohnzimmerfenster sah es inzwischen so aus: Die Beete an den zwei Zäunen entlang waren angelegt (und entsteint), das Großbeet auf Terrassenbreite hatte Gestalt angenommen. Nun widmete ich mich den Betonplatten vor den Terrassen-Trennwänden. Die mussten in Dreierreihen entfernt werden, denn da wollte ich ein Kletterrosenparadies anlegen. Auf einer Seite vielleicht aber doch lieber Efeu oder wilden Wein? Dann würde die graue Betonwand verdeckt, die mir schon seit geraumer Zeit ein Dorn in meinen schönheits- und farborientierten Augen war. Das Lösen und die Schlepperei der schweren Steinplatten ähnelte kräfteverbrauchsmäßig dem Wasenstechen und war mit entsprechendem Fluchen belegt. Die Platten stapelte ich kunstvoll vor dem Großbeet und hatte schon wieder einen Geistesblitz: Daraus ließ sich vielleicht ein winziger Steingarten machen? Aber erst einmal mussten die freien Terrassenflächen zu Beeten gemacht werden. Der Boden unter den Platten widersetze sich der Auflockerung noch vehementer, als ich es ohnedies schon gewohnt war. Die Erdschicht war noch dünner, und ich stieß schon nach wenigen Zentimetern wieder auf Schotter. Frustriert beschloss ich, ein paar Tage Pause zu machen und mich auf der Couch in die papierenen Pflanzenverlockungen der Versandgärtner zu vertiefen. So konnten auch meine Blasen an den Händen endlich mal wieder abheilen.

Irgendwann – ich glaube, ich war blätternd gerade bei Astern und Chrysanthemen angelangt – hatte ich das Gefühl, nicht mehr allein im Wohnzimmer zu sein. Mücken? Nein, die wären zu hören gewesen. Schließlich entdeckte mein schweifender Blick einen schwarzen, schnurgeraden Faden, der sich von der Terrassentür in Richtung Küche erstreckte. Dieser Faden bewegte sich. Bei näherer Begutachtung war klar – es handelte sich um Ameisen! Eigentlich bin ich nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen, aber so viel Leben in der Bude musste ich wirklich nicht haben. Ich habe zwar nichts gegen Ameisen, solange sie nicht das Leben mit mir teilen wollen –, aber in meinem Wohnzimmer hört die Toleranz auf. Ich reagierte daher panisch, schnappte mir den Staubsauger, entfernte die Bodenbürste und saugte den ganzen Ameisenzug in die Röhre. Mein Saugweg führte mich zur Quelle der Völkerwanderung: Ich musste beim Entfernen der Terrassenplatten ein Ameisennest aufgestöbert haben. Dass die fleißigen Tierchen einen ausgeprägten Geruchssinn haben, las ich später in einem Lexikon nach, und da wurde mir klar, dass meine Honigtöpfchen und Marmeladengläser in der Küche ein unwiderstehliches Signal ausgesendet haben mussten. Und es fielen mir sämtliche Ameisenbegegnungen meines bisherigen Lebens ein.