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ellermann im Dressler Verlag · Hamburg

© Dressler Verlag GmbH, Hamburg 2013

 

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Originalausgabe:

ellermann im Dressler Verlag GmbH · Hamburg

© Dressler Verlag GmbH, Hamburg 2013

 

Cover und farbige Illustrationen von Heike Vogel

E-Book-Umsetzung: 2013

 

ISBN 978-3-86273-202-9

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Fußnoten

1

»Eskimos« bezeichnet die arktischen Völker im nördlichen Polargebiet. Viele »Eskimos« lehnen diese Bezeichnung als abwertend ab. Da die heute stattdessen oft verwendete Bezeichnung »Inuit« nicht alle Eskimovölker einschließt und viele Völker diesen Begriff deshalb nicht akzeptieren, haben wir uns in dieser Geschichte für das Wort »Eskimo« entschieden und verwenden es als umgangssprachliche Sammelbezeichnung, die keine Herabsetzung der betroffenen Gruppe intendiert. Eine von allen Eskimogruppen akzeptierte Bezeichnung konnte bisher nicht gefunden werden.

 

 

Wir danken Bärbel Oftring, Ralf Schubert und Joachim Tamm für die fachliche Beratung.

Warum brauchen Haie keinen Zahnarzt?

»Mensch, guck mal. Der Hai da kommt direkt auf den Taucher zu!« Aufgeregt steht Jana mit den anderen Kindern der Seepferdchenklasse und ihrer Lehrerin Frau Berger vor einer riesigen, dicken Glaswand und starrt in die leuchtend blaue Unterwasserlandschaft. Die Seepferdchenklasse macht heute einen Ausflug ins Meereszentrum, und nun gucken alle bei der Haifütterung zu. Zuerst sind einfach nur tote Fische ins Wasser geworfen worden. Die haben die Haie dann nach und nach verschlungen. Aber jetzt ist ein richtiger Taucher bei den Haien! Und der hat eine Eisenstange dabei, an deren Ende ein großes Stück Fisch aufgespießt ist.

Erst haben die Haie ihn nur umkreist. Aber dann ist ein großer Leopardenhai direkt auf ihn zugeschwommen. Einen Moment lang haben alle Angst, dass der Hai den Taucher vielleicht leckerer findet als den Fisch. Aber im allerletzten Moment ändert der Hai seine Richtung und steuert auf das Ende der Eisenstange zu. Er reißt das Maul auf, schlägt seine riesigen, spitzen Zähne in den Fisch und schüttelt ruckartig den Kopf hin und her. Dann hat er den Fisch von der Stange gerissen und gleitet ebenso wie die anderen Haie wieder in die Tiefe des Beckens zurück.

Einen Augenblick lang starren alle noch durch die Scheibe. Doch es passiert nichts mehr. Die Fütterung ist zu Ende.

Während die meisten weitergehen und sich aufgeregt über den Taucher und den Hai unterhalten, starrt Jana immer noch ins Becken. Dort holt der Taucher gerade einen Schwamm hervor, den er sich hinter einen Pressluftflaschengurt geklemmt hat. Doch Jana achtet gar nicht auf den Taucher, sondern guckt wie gebannt auf den sandigen Beckengrund. Dort, ganz dicht an der Scheibe, liegt etwas Seltsames. Zwei komisch aussehende, spitz gezackte Steinchen. Nein, keine Steinchen, denkt Jana. Das sind …

»Mensch, Jana, was ist denn?«, ruft plötzlich Janas Freundin Amelie und zupft sie am Ärmel. »Die anderen sind längst weitergegangen.«

»D…da liegen zwei Haizähne«, keucht Jana und zeigt aufgeregt auf den Beckengrund vor sich. »Die hat der Hai bestimmt eben beim Fressen verloren. Mensch, was ist, wenn der nun krank ist?«

»Was? Haizähne?«, fragt Amelie, die das nicht so recht glauben will. Aber dann guckt sie genauer hin. »Mensch, tatsächlich. Das sind Zähne. Das müssen wir unbedingt den Leuten hier sagen. Vielleicht ist der Hai krank!«

Verzweifelt blicken sie sich um. Aber niemand ist zu sehen. Niemand, außer dem Taucher, der nun im Becken Algen mit dem Schwamm von der Scheibe wischt. Da hat Jana eine Idee.

»Der Taucher!«, ruft Jana. »Wir sagen dem Taucher Bescheid!«

»Dem Taucher?«, fragt Amelie verblüfft. »Wie …?«

Aber ehe sie ihre Frage ausgesprochen hat, ist Jana auch schon zum Taucher geflitzt. Wie ein Flummiball beginnt sie, vor der Scheibe auf und ab zu hüpfen und wild mit den Armen über dem Kopf zu wedeln. »Hai krank! Hai krank!«, ruft sie dabei und zeigt mit dem Finger auf die Stelle, wo die Haizähne liegen. Jana ist sogar kurz davor, gegen die Scheibe zu klopfen. Aber gerade noch rechtzeitig fällt ihr ein, dass Frau Berger vorhin noch einmal extra davor gewarnt hat. Denn das Klopfen ist unter Wasser so laut zu hören, dass es schädlich für die Tiere ist.

Amelie ist erst völlig baff. Aber dann macht sie es Jana nach. Zu zweit hüpfen, zeigen und rufen sie, was das Zeug hält.

Und es klappt tatsächlich! Der Taucher wird aufmerksam. Zuerst schüttelt er nur den Kopf und droht ihnen mit dem Zeigefinger. Aber als die beiden nicht aufgeben, scheint er zu merken, dass etwas nicht stimmt. Schließlich sieht er dahin, wo Jana und Amelie hinzeigen, und schwimmt endlich zu den Zähnen.

»Hai krank! Hai krank!«, rufen die zwei nun noch lauter und zeigen auf die Zähne.

Der Taucher nickt, nimmt die Zähne auf und macht mit Daumen und Zeigefinger ein Zeichen, das wie ein O aussieht.

»Weißt du, was das heißen soll?«, fragt Jana.

»Hm, vielleicht so etwas wie okay?«, überlegt Amelie.

»Könnte sein«, meint Jana. »Guck mal. Der macht noch ein paar Zeichen.«

Der Taucher zeigt erst mit dem Daumen auf sich, dann zur Seite und hält schließlich drei Finger hoch. Das macht er ein paarmal, bevor er davonschwimmt.

Jana und Amelie gucken in die Richtung, in die der Taucher gezeigt hat. Dort in der Wand neben dem Haifischbecken sehen sie eine Tür.

»Ob er da gleich rauskommt?«, fragt Amelie.

»Kann schon sein«, sagt Jana. »Aber was meint er mit den drei Fingern?«

»Bestimmt, dass er in drei Minuten da ist«, vermutet Amelie.

So ist es. Wenig später kommt ein Mann aus der Tür. Er trägt Sweatshirt, Jogginghose, Badeschlappen, und er hat noch ganz nasse Haare.

»Sind Sie der Taucher?«, fragt Jana.

Der Mann nickt und will etwas sagen, doch Jana lässt ihn gar nicht erst zu Wort kommen.

»Der Hai ist krank!«, ruft sie.

»Genau, dem sind eben zwei Zähne rausgefallen«, fügt Amelie hinzu.

»Sie müssen einen Zahnarzt holen«, sagt Jana.

»Ach, deswegen seid ihr so aufgeregt gewesen!« Der Mann lächelt. »Aber keine Bange, der Hai ist kerngesund. Und dass er ein paar Zähne verliert, ist gar nicht schlimm. Er kriegt nämlich neue.«

»Dann waren das nur Milchzähne?«, fragt Jana erleichtert.

»Nein, keine Milchzähne«, antwortet der Taucher. »Haie verlieren häufig mal einen Zahn. Aber deswegen müssen sie nicht zum Zahnarzt. Denn ihnen wachsen dauernd neue Zähne nach. Sie haben nämlich ein Revolvergebiss.«

»Ein Revolvergebiss?«, fragen Amelie und Jana fast gleichzeitig. Darunter können sie sich nun gar nichts vorstellen.

»Ja, komischer Name, nicht? Aber ich kann euch das mal zeigen.« Er führt die beiden ein paar Meter weiter zu einer großen Schautafel. »Hier seht ihr, wie das funktioniert. Fällt einem Hai ein Zahn aus, wird der nächste aus der Reihe dahinter automatisch nach vorne geschoben. Sozusagen wie bei einem Förderband. Dieses Förderband funktioniert ein ganzes Haileben lang. Bis zu zehntausend Zähne verbraucht ein Hai in seinem Leben.«

»Zehntausend Zähne!« Das kann Jana gar nicht fassen, und auch Amelie guckt den Taucher nur mit großen Augen an.

»Genau«, sagt der Mann. Dann greift er in seine Tasche und holt die beiden Haizähne heraus. »Und zwei davon schenken der Hai und ich euch jetzt. Weil ihr so nett wart und euch um ihn gekümmert habt.«

Jana und Amelie wissen erst gar nicht, was sie sagen sollen, als der Mann ihnen die Zähne gibt. Doch dann bedanken sie sich und verabschieden sich schnell. Denn auf einmal können sie es gar nicht mehr erwarten, wieder bei den anderen zu sein: um ihnen die Zähne zu zeigen … und zu erzählen, warum Haie keinen Zahnarzt brauchen.

Kann man im Handstand essen und trinken?

Theo geht in die zweite Klasse. Und heute ist der letzte Schultag vor den großen Ferien. Alle freuen sich auf die Sommerferien. Nur Theo nicht. Er ist nämlich erst vor Kurzem umgezogen. Und weil er noch keine Freunde gefunden hat, werden seine Ferien bestimmt superlangweilig.

Und dann noch dieser altmodische Vorname! Wer heißt denn heute Theo? Na gut, sein Opa heißt so. Aber der ist ja auch schon alt. Sonst kennt Theo niemanden. Jungs in seinem Alter heißen Leon, Lukas, Ben, Finn oder auch Mino. Kein Wunder, dass alle aus der Klasse über seinen Namen lachen. Mino ist besonders gemein. Bei jeder Gelegenheit macht er sich über Theos Namen lustig und nennt ihn Theodor, Theodorix oder, wenn es ganz schlimm kommt, Theodorus. Natürlich lachen dann immer alle, und Theo würde am liebsten im Erdboden versinken.

Irgendwie muss er seinen Klassenkameraden beweisen, was in ihm steckt. Doch bisher hatte er dazu noch keine Gelegenheit.

Am letzten Schultag sind auch die Lehrer besonders gut gelaunt, und es findet kein richtiger Unterricht statt. Die Schüler können Fragen stellen. Dummerweise fällt Theo keine gescheite Frage ein. Doch plötzlich sieht Frau Wagner, die Klassenlehrerin, Theo an und fragt: »Und wie ist es mit dir? Hast du auch eine Frage?«

Alle sehen gespannt auf Theo. Alles Mögliche schießt ihm durch den Kopf. Nur keine Frage. Und so stammelt er bloß ein Wort: »Handstand.« Theo weiß auch nicht, warum er gerade Handstand gesagt hat. Vielleicht, weil er den richtig gut kann.

»Und weiter?«, fragt Frau Wagner. »Das ist ja noch keine Frage.«

Theo sieht sich um. Was soll er denn jetzt sagen? Da fällt sein Blick auf die Milchflaschen für das gemeinsame Frühstück und all die anderen leckeren Sachen, und Theo fragt schnell: »Kann man im Handstand essen und trinken?«

Sofort geht ein Gemurmel durch die Klasse, und Mino aus der ersten Reihe ruft: »Nie im Leben!«

Frau Wagner stellt sich vor die Klasse und sagt: »Das ist eine sehr interessante Frage. Das können wir gleich einmal ausprobieren!«

Sie sieht sich in der Klasse um. »Wer kann denn einen Handstand machen?«

Da ist Theos Chance gekommen! Sofort zeigt er auf. Und da er der Einzige ist, fällt Frau Wagner die Auswahl nicht schwer. Theo geht nach vorne. Alle sehen gespannt zu. Und obwohl er einen Handstand auch im Schlaf machen könnte, ist ihm nun doch ein wenig mulmig zumute. Bevor der Versuch startet, will Frau Wagner aber noch wissen: »Wer von euch meint, dass es klappt?« Ein paar Hände gehen zögerlich nach oben.

»Und wer meint, dass es nicht klappt?«

Mino meldet sich als Erster. Während er mit erhobenem Arm zu Theo sieht, sagt er spöttisch: »Na, Theodor. Dann zeig mal, was du kannst!« Dann sieht er sich belustigt in der Klasse um. Und es dauert nicht lange, da sind fast alle Arme oben.

»Hm«, macht Frau Wagner. »Dann wollen wir mal sehen!«

Sie nimmt eine Milchflasche aus dem Kasten und steckt einen Strohhalm hinein. Dann nimmt sie noch einen Streifen Paprika aus einer Schüssel und sagt mit Blick auf Theo: »Es kann losgehen. Bist du bereit?«

Theo ist furchtbar aufgeregt, doch er versucht, sich nichts anmerken zu lassen, und nickt. Und bevor Frau Wagner bis drei zählen kann, steht Theo schon im Handstand. Schnell stellt sie die Milchflasche mit dem Strohhalm neben Theo auf den Boden. Dann folgt die Paprika, mit einer Serviette darunter.

In der Klasse ist es mucksmäuschenstill, und Frau Wagner sagt: »Du kannst anfangen, womit du möchtest.«

Theo sieht sich um. Die ganze Klasse steht kopf. Das sieht ganz schön komisch aus! Vor allen Dingen Mino!

Dem werde ich es zeigen, denkt Theo, und plötzlich ist er kein bisschen mehr aufgeregt. Er verlagert sein Gewicht auf die linke Hand und greift mit der rechten nach der Milchflasche.

Alle sehen wie hypnotisiert zu.

Theo führt den Strohhalm zum Mund und zieht daran. Der Milchspiegel in der Flasche sinkt deutlich nach unten. Theo schluckt – und die Milch ist weg!

»Trinken ist doch einfach!«, sagt Mino abwertend. »Aber die Paprika, die schafft er nicht!«

Das will Theo nicht auf sich sitzen lassen. Sofort greift er nach der Paprika und beißt hinein. Und während die anderen vor Spannung den Atem anhalten, kaut er genüsslich. Dann ist es so weit: Theo schluckt, schluckt noch mal – und die Paprika ist weg! Als Beweis öffnet Theo seinen Mund.

»Toll! Einfach toll!«, ruft Frau Wagner und fängt vor Begeisterung an zu klatschen. Als Theo wieder auf die Füße kommt, klatscht die ganze Klasse mit. Nur Mino nicht. Der macht ein mürrisches Gesicht und sagt: »Wie soll das denn funktionieren? Das ist bestimmt ein Trick!«

»Das ist kein Trick«, sagt Frau Wagner. »Das liegt daran, dass Speisen und Getränke nicht durch die bloße Schwerkraft in den Magen kommen, sondern durch aktive Muskelarbeit der Speiseröhre.«

Frau Wagner geht zur Tafel und zeichnet den Oberkörper eines Menschen an. In den Körper zeichnet sie nun dick eine Verbindung zwischen Mund und Magen und erklärt: »Die Speiseröhre ist ein Muskelschlauch, der den Mund- und Rachenraum mit dem Magen verbindet. Hat man nun einen Bissen hinuntergeschluckt, wird er wellenförmig von den Muskeln weitertransportiert.«

»Und wie soll das funktionieren?«, fragt Mino.

»Indem sich die Muskeln hinter dem Bissen zusammenziehen und ihn so voranschieben. Genauso, als wenn du aus einer fast leeren Tube Zahnpasta noch etwas herausdrücken willst. Dabei drückst du auch mit deinen Fingern hinter die Zahnpasta und drückst sie so nach vorne«, antwortet Frau Wagner und sieht Theo an. »Aber wir haben einen Fachmann unter uns. Fragen wir ihn doch einfach, wie das Schlucken im Handstand war.«

»Ganz schön anstrengend«, sagt Theo. »Aber es ging. Ich verstehe nur nicht, warum die Milch nicht wieder in meinen Mund zurückgelaufen ist.«