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Widmung

Für alle Kinder

Wir sind Helden

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Letzten Montag habe ich das Böse besiegt. Natürlich waren wir wieder zu dritt. Wer mich kennt, hat sich das bestimmt gleich gedacht. Allen anderen kann ich sagen: Ich war – zum Glück! – nicht allein. Meine Freunde Sandro, die Prinzessin und ich erlebten gemeinsam den wildesten und gefährlichsten Sommer unseres Lebens. Obwohl wir das natürlich nicht ahnen konnten, als die Sommerferien begannen.

Am Tag vor den Ferien saß ich im Matheunterricht. Vorne an der Tafel stand Herr Riemann. Herr Riemann kennt nur die Mathematik. Ich bin mir sicher, er liebt sie sogar. Leider gelang es ihm nicht, diese Liebe mit uns zu teilen. Mir war schrecklich langweilig und ich schaute aus dem Fenster. Herr Riemann räusperte sich. Darum sah ich kurz zur Tafel, damit Herr Riemann mit dem Räuspern aufhören konnte. Eigentlich hatte ich Oma nach dem siebten Elternbrief hoch und heilig versprochen, dass ich von nun an im Unterricht besser aufpassen würde. Trotzdem hüpften meine Gedanken überallhin. Nur nicht an die Tafel, wo mein Mathelehrer Brüche erweiterte. Obwohl es am nächsten Morgen Zeugnisse gab und danach die Ferien anfingen!

Oma hätte mich jetzt bestimmt ermahnt: »Auch Weltretter müssen rechnen können.« Aber das wird Oma nie sagen. Denn sie weiß gar nicht, dass Sandro, die Prinzessin und ich tatsächlich einmal die Welt gerettet haben. Niemand weiß das.

Hätten wir es nicht getan, würden jetzt alle Kinder in einem Bunker unter der Stadt hocken, während ihre Eltern sich in einem Vergnügungspark tummeln würden. Damit das nicht geschah, mussten wir in die Kanalisation hinabsteigen und den gruseligen Maja-Gott Kaudata und sein Ratten- und Lurchgefolge besiegen. Manchmal träume ich noch davon, wie ich zwischen riesige Molche und Olme rutsche und ein ekliges Schleimbad nehme.

Es macht nur halb so viel Spaß, ein Weltretter zu sein, wenn man es niemandem erzählen darf. Sandro hatte extra ein neues Schild an seine Schilderkette gehängt, damit er es hochhalten konnte, falls er doch noch mal stotterte. »Wir sind Helden« stand darauf. Aber Sandro stottert gar nicht mehr. Die Kette baumelte nur noch als Glücksbringer um seinen Hals.

Zum Trost wollten wir eine Heldenparty machen. Das war die Idee der Prinzessin gewesen. Wir wollten uns so richtig feiern: mit Chips und Cola, Gummiwürmern, wilder Musik und einer Discokugel. Die haben wir in meinem Zimmer aufgehängt. Zuerst haben wir ein bisschen zu der wilden Musik getanzt und Sandro hat das »Wir sind Helden«-Schild hochgehalten, bis ihm der Arm lahm wurde. Wir haben alle Gummiwürmer aufgegessen und dann ist uns furchtbar schlecht gewesen. Die Discokugel hat sich verhakt und sich nicht mehr gedreht. Irgendwann ist Oma in mein Zimmer gekommen und hat gesagt, wir sollten mal ein bisschen leiser sein. So richtig heldenhaft haben wir uns auch auf unserer Weltretterparty nicht gefühlt. Was für eine Pleite.

Ich musste ein bisschen kichern und Herr Riemann räusperte sich wieder. Er wollte wohl keine fröhliche Ferienstimmung aufkommen lassen. Vielleicht hatte er keine Lust auf die Ferien. Vielleicht war er ja schrecklich einsam ohne seine Schüler.

Mir war eigentlich auch nicht zum Lachen zumute. Ich war nämlich am Morgen mit einem komischen Gefühl aufgewacht und hatte deswegen auch sofort meinen Rechner hochgefahren. Mein E-Mail-Postfach war leer. So wie die letzten beiden Tage auch.

»Mama hat mir heute schon wieder nicht geschrieben«, rief ich auf dem Weg ins Bad.

»Das ist ja merkwürdig«, grummelte Oma. »Was sie sich wohl dabei denkt? Immerhin wollt ihr Kinder doch übermorgen zu ihr fliegen und Surinam ist ja nicht gerade um die Ecke.«

Da hatte sie allerdings recht. Surinam liegt in Südamerika. Sandro, die Prinzessin und ich würden die ersten beiden Ferienwochen bei meiner Mutter im Forschercamp mitten im Regenwald verbringen. Sie ist Archäologin und reist meist wegen irgendwelcher Ausgrabungen um die Welt. Wir würden den Archäologen helfen, den verschollenen Goldschmuck eines sagenumwobenen Surinenhäuptlings zu suchen. Natürlich wusste ich, dass wir den dann nicht behalten durften. Ich freute mich trotzdem wie verrückt darauf. Papa freute sich mit mir. Aber Oma freute sich nicht. Und weil Oma bei uns wohnt und sich um Papa und mich kümmert, wenn Mama unterwegs ist, ist es nicht egal, was Oma denkt. Ganz im Gegenteil.

Als ich meine Zähne putzte, prüfte ich, ob ich in der Nacht ein Stückchen gewachsen war. War ich natürlich nicht. Auch heute würde ich also der Kleinste in der Klasse sein. Klar weiß ich, dass man nicht über Nacht fünfzehn Zentimeter wachsen kann. Trotzdem. Es gibt ja auch Leute, die spielen Lotto. Obwohl die Gewinnchancen für sechs Richtige nur bei 0,000000715 Prozent liegen. Das bedeutet, dass von 140 Millionen Menschen nur ein einziger den Jackpot knackt.

Da klingelte das Telefon und ich rannte ins Wohnzimmer. Auf der digitalen Anzeige sah ich Mamas Handynummer. Endlich! Doch ich hörte nur ein Rauschen und Knacksen. Die Verbindung war total gestört. Falls meine Mutter irgendetwas am anderen Ende sagte, konnte ich es nicht verstehen. Trotzdem rief ich ins Telefon, dass ich mich total freute, sie bald zu sehen. Vielleicht konnte sie mich ja hören.

Vom Anruf am Morgen hatte ich Sandro und der Prinzessin noch gar nichts erzählt. Das musste ich sofort nachholen. Ich hatte irgendwann einmal zufällig herausgefunden, dass es in der Schule einen WLAN-Internetanschluss gab, in den ich mich einklinken konnte. Heimlich zog ich meinen iPod hervor und schickte den beiden eine Nachricht:

Meine Mutter hat angerufen. Alle Infos nachher im Park.

Dummerweise erwischte mich Herr Riemann.

»Du kennst die Regeln an unserer Schule, Kurt. Dieses technische Spielzeug kann deine Mutter in einer Woche im Sekretariat wieder abholen«, sagte er und hielt das technische Spielzeug von sich weggestreckt, als sei es irgendetwas Lebendiges. Die ganze Klasse brach in Gelächter aus.

»Nächste Woche sind doch Sommerferien!«, rief jemand.

»Außerdem ist meine Mutter in Surinam«, sagte ich.

Herr Riemann sah nicht so aus, als wüsste er, wo Surinam liegt oder dass am nächsten Tag die Sommerferien anfingen. Er kratzte sich am Kopf. Das war ein bisschen eklig, weil es dabei weiß aus seinen Haaren rieselte. Die neuen Schuppen legten sich zu den alten auf seine Schulter. Herr Riemann kratzt sich oft am Kopf. Er sollte lieber keine dunklen T-Shirts anziehen.

»Nun gut«, brummelte er.

Dann gab er mir den iPod zurück und wandte sich wieder der Tafel zu.

Seit einem Jahr gehen Sandro, die Prinzessin und ich auf verschiedene Schulen. Am Anfang fand ich das echt schade. Aber Sandro mochte das Gymi in unserem Viertel nicht und die Prinzessin wollte lieber eine Gesamtschule besuchen. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Weil meine Schule am nächsten liegt, war ich der Erste an unserem geheimen Treffpunkt auf dem Dach im Park. Das Dach gehört zu einem Container, in dem die Leute vom Spielplatz Sportgeräte aufbewahren. Ein großer Baum verbirgt es vor den Blicken der anderen Parkbesucher. Und die Leute vom Spielplatz taten so, als würden sie uns nicht sehen, wenn sie uns sahen.

Sandro kam als Zweiter.

»Hoi«, grüßte er. Das ist Holländisch.

Sandros Haare waren noch immer länger als bei den meisten anderen Jungs. Jedenfalls viel länger als meine. Das bedeutete aber nicht viel, denn Papa rasiert uns beiden jeden Samstag die Köpfe. Darum habe ich höchstens mal Stoppeln und das auch nur freitags. Ich trage immer eine Mütze. Oma macht es richtig Spaß, modische Mützen für mich zu stricken. Inzwischen besitze ich eine ganze Sammlung davon. Leider kauft sie mir keine modischen Jeans und Shirts dazu. Stattdessen besorgt sie Bundfaltenhosen und Hemden beim Herrenausstatter meines Vaters. Weil das so praktisch ist. Ich habe aber das Gefühl, dass einige in der Schule meine Hemden und Hosen gar nicht so schlecht finden. Letztens habe ich sogar gesehen, dass ein Junge aus dem Jahrgang über uns genau so eine Hose trug wie ich. Entweder kauft seine Oma seine Klamotten auch beim Herrenausstatter oder er kopiert meinen Style. Ein Mädchen aus meiner Klasse hatte mir das mal auf einem Zettel geschrieben:

Kurt, du hast Style.

Seitdem ärgert es mich auch nicht mehr, wenn die Kleinen aus der Grundschule sich über meine dicke Brille lustig machen.

Nach Sandro kam die Prinzessin auf das Dach geklettert.

»Dag allemaal«, sagte sie. Auch das ist Holländisch.

Dann gab sie jedem von uns einen Kuss auf die Wange. Darauf brauchten wir uns aber nichts einzubilden. So machten das alle an ihrer Schule, hatte sie uns erklärt.

Die Prinzessin hatte sich im letzten Jahr ganz schön verändert. Ihre langen Locken waren noch immer flammenrot und ihre Augen strahlten wie Sterne. Aber sie nannte sich jetzt Tilda und sie trug keine Prinzessinnenkleider mit rosafarbenen Bändern mehr. »Dazu bin ich jetzt zu alt«, hatte sie gesagt und ihre Kleider zum Secondhand-Laden gebracht.

Irgendwie fand ich das schade, und es fällt mir immer noch schwer, Tilda nicht mehr Prinzessin zu nennen. Zumindest in meinen Gedanken.

»Fuchsgesichtiger Mäusepopo!«, fluchte die Prinzessin. »Zum Glück hat sich deine Mutter endlich gemeldet. Ich dachte schon, dass unsere Reise ins Wasser fällt.«

Sie setzte sich neben mich und begann kleine Zweige der Länge nach zu sortieren. Die Prinzessin muss die Welt um sich herum ordnen. Chaos und Durcheinander machen sie ganz kribbelig.

»Warum hat sie eigentlich zwei Tage lang deine Mails nicht beantwortet?«, fragte Sandro.

»Keine Ahnung«, sagte ich. »Vielleicht wollte sie mir das am Telefon erklären. Aber die Verbindung war gestört. Es hat nur gerauscht und geknackt.«

Die Prinzessin kicherte. »Vielleicht hat sie in einer ausgestorbenen Indianersprache gesprochen.«

»Klar, oder ein Affe hat ihr das Handy geklaut und mich mal schnell angerufen.«

Sandro lachte nicht mit uns. »Wenn man tief im Regenwald weitab von jeder Zivilisation ist, gibt es solche Störungen öfter mal. Das hat sicher nichts weiter zu bedeuten.«

»Nein, sicher nicht«, sagte ich.

Es war gar nicht so einfach gewesen, Sandros Mutter zu überreden, ihn nach Südamerika fliegen zu lassen. Wir alle hatten tagelang um Erlaubnis betteln müssen. Doch Sandros Mutter hatte am längsten gebraucht, bis sie Ja sagte.

»Stellt euch vor, wir hätten jetzt doch nicht fliegen dürfen«, sagte Sandro. »Dann wären alle Vorbereitungen umsonst gewesen.«

»Zum Beispiel die supergefährlichen Spritzen«, bemerkte die Prinzessin.

Als Erstes hatten wir uns nämlich gegen Gelbfieber impfen lassen müssen. Ich hasse Spritzen! Sandro aber noch viel mehr. Die Prinzessin hatte gesagt, wir sollten uns nicht so anstellen. Sandro war dann bei der Impfung einfach in Ohnmacht gefallen. So hatte er wenigstens nicht dabei sein müssen.

»Dafür hätten wir uns auch ohne Schutzhelm in den Dschungel gewagt«, meinte Sandro.

»Na, auf alle Fälle«, sagte ich grinsend.

Die Prinzessin war schuld daran, dass jetzt jeder von uns einen Tropenhelm mit Moskitonetz besaß. Als wir mit Oma in das Dschungelausrüstungsgeschäft gegangen waren, hatte ich ja erst gedacht, die albernen Helme wären nur Schaufensterdekoration. Leider stimmte das nicht, und die Prinzessin überzeugte Oma davon, dass wir genau diese Helme brauchen würden. Die schlangenbisssicheren Gummistiefel und die ultraleichten Regenanzüge, die Oma dazu gekauft hatte, fand ich aber sehr nützlich. Wir hatten nämlich schon verschiedene Bücher über den südamerikanischen Regenwald gelesen. Ich wusste, welche Tiere dort auf uns warteten. Außerdem lernten wir seit einem Monat Holländisch. Das ist die Landessprache in Surinam.

»Vielleicht sollten wir trotzdem mal im Internet nachschauen, wo wir mit dem Flugzeug landen und wie wir zum Camp kommen«, sagte die Prinzessin.

»Meine Mutter hat doch versprochen, dass sie uns abholt«, erwiderte ich. Das komische Gefühl in meinem Bauch war plötzlich wieder da.

»Klar. Es fühlt sich aber besser an, wenn man sich auch alleine ganz gut auskennt«, sagte die Prinzessin. »Kann ja nicht schaden, oder?«

»Gib den Dingen einen Namen, dann machen sie dir keine Angst«, meinte Sandro.

Ich wollte gerade fragen, welchen Dingen wir denn einen Namen geben sollten. Da sah ich, dass Sandro seine Haare vor den Augen hängen ließ und hin- und herwippte. Das ist seine Denkerhaltung. Dann sagt er Sätze, über die man zweimal nachdenken muss.

»Kurt, vielleicht kannst du ja noch was über die Ausgrabungen in Surinam herausfinden«, schlug die Prinzessin vor.

»Kann ich machen. Aber eigentlich wissen wir doch, dass sie nach diesem Goldschmuck suchen«, sagte ich.

»Aber nach so was sucht man ja nicht alle Tage, oder?«, meinte die Prinzessin.

»Vielleicht sind die Ausgrabungen gefährlich«, sagte Sandro.

»Quatsch, wenn sie gefährlich wären, hätte uns meine Mutter niemals eingeladen.«

»Sicher ist sicher«, sagte die Prinzessin.

Überraschende Erkenntnisse

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Abends hörte ich Papa im Badezimmer laut singen:

»In den Teichen schwimmen Leichen

mit aufgeschlitzten Bäuchen.

In den Bäuchen stecken Messer

von dem bösen Menschenfresser.«

Wenn mein Vater in der Wanne liegt, singt er blutrünstige Lieder. Ich frage mich echt, woher er die alle kennt. Weil ich die Lieder inzwischen so oft gehört habe, muss ich sie in Gedanken immer mitsingen. Egal, ob ich das will oder nicht. Oma stand in der Küche an ihrem großen Bügelbrett. Sie bügelte meine Hemden und pfiff zu Papas Lied.

»Auf der Straße nach Havanna

liegt der Po von Tante Anna.

Und der Häuptling hat gebeten,

darauf nicht herumzutreten.«

»Peter, du sollst doch nicht immer solche schrecklichen Lieder singen«, rief Oma dann.

»Na, wer hat die mir denn alle beigebracht?«, antwortete er.

»Na, na, na«, machte sie.

Ich musste grinsen. Oma ist etwas ganz Besonderes. Sie macht auch Hapkido, so wie ich. Jeden Samstagmorgen üben wir zusammen im Park auf der großen Wiese am Ententeich neue Tritte und Handtechniken. Zum Glück sind samstagmorgens nicht so viele Leute im Park. Oma schreit dabei nämlich ziemlich laut.

»Wenn man ordentlich schreit, gehen die Übungen wie von alleine«, erklärte sie.

Immer mal wieder ließ ich sie unsere kleinen Kämpfchen gewinnen.

»Siehste!«, sagte Oma dann voller Stolz.

»Toll, Oma«, sagte ich.

Ich trainiere Hapkido, seit ich fünf bin, und habe inzwischen den roten Gürtel. Oma hätte eigentlich gar keine Chance gegen mich.

Ich war froh, dass Papa und Oma beschäftigt waren. So konnte ich mir noch einmal in Ruhe die Mails von Mama durchlesen. Ich stolperte über den Namen eines Ortes: Piepklein. Hier war Alphonsus’ Kolonialwarenladen, in dem das Archäologenteam einkaufte. Das hatte meine Mutter in ihren Mails geschrieben. Der Ort konnte also nicht weit vom Camp entfernt sein.

Fast eine Stunde lang suchte ich im Internet nach irgendeiner Straße vom Flughafen nach Piepklein. Ich konnte aber keine finden. In Surinam schien es sowieso nicht viele Straßen zu geben, zumindest keine, die in irgendwelche Karten eingetragen waren. Im Netz gab es viele tolle Bilder von der Küste mit Sandstränden und Palmen. Vom Landesinneren sah ich dagegen kaum etwas. Dort schien nicht viel los zu sein.

Dann versuchte ich noch ein paar Informationen zu den Ausgrabungen zu finden. Wir wussten wirklich nicht so viel darüber. Zum Beispiel hatte ich keine Ahnung, wer der Auftraggeber war. Seltsam. Normalerweise ist meine Mutter für Museen oder Universitäten unterwegs. Und normalerweise erzählt sie mir das auch immer. Plötzlich wollte ich unbedingt wissen, für wen ihr Team den Goldschmuck suchte. Darum tat ich etwas Verbotenes. Ich öffnete Mamas Postfach. Irgendwann hatte ich mal zufällig ihr Passwort aufgeschnappt. Eigentlich wollte ich das nie benutzen. Doch ich hatte das Gefühl, dass hier irgendwas nicht stimmte. Ich sah, dass Mama seit zwei Tagen keine Post mehr gelesen hatte. Entweder hatte sie wirklich gerade keine Internetverbindung im Dschungel oder mein blödes Gefühl hatte einen Grund. Na, ich hoffte, nicht. Ansonsten entdeckte ich nichts Ungewöhnliches. Vielleicht im Spam-Ordner? Dort fand ich tatsächlich etwas Interessantes. Zwischen unerwünschter Werbung, Post von fiesen Kredithaien und halb ausgezogenen Mädchen – also echt! – war ein sehr mysteriöser Brief.

Dear Konstanze,

thank you for informing me about your assumption. Your discoveries don’t match my informations. I’m sure you are falsely alarmed. I hope the problems will work out. Please keep me informed about any upcoming situation.

Sincerely, Adrianus Van Basten

Ich wollte keinen Übersetzungsfehler machen. Darum kopierte ich die Sätze in einen Übersetzer im Internet. Heraus kam dies:

Liebe Konstanze,

ich danke Ihnen für mich zu informieren über Ihre Annahme. Ihre Entdeckungen nicht übereinstimmen meine Informationen. Ich bin sicher, Sie werden fälschlicherweise alarmiert. Ich hoffe, die Probleme erarbeiten. Bitte informieren Sie mich über jede bevorstehende Situation.

Mit freundlichen Grüßen

Adrianus Van Basten

›Aha, so war das also!‹, dachte ich. Obwohl: Wie war das denn eigentlich? Wenn ich die Übersetzung richtig verstand, hatte meine Mutter irgendeinen Verdacht, den dieser Van Basten aber nicht bestätigen konnte. Das war wahrscheinlich der Auftraggeber. Aber warum schrieb sie ihm? Sie war gar nicht der Teamleiter, sondern ihr Kollege Tim Borger.

Ein seltsamer Name: Adrianus Van Basten. Irgendwie kam mir der bekannt vor. Ich wollte ihn gerade googeln, da kam Papa in mein Zimmer. Wahrscheinlich fiel ihm kein blutrünstiges Lied mehr ein oder das Badewannenwasser war kalt geworden. Schnell schloss ich die Seite mit Mamas Postfach.

»Na, hast du deine Siebensachen schon gepackt?«, fragte Papa.

»Klar.«

Ich deutete über die Schulter in die Zimmerecke, wo mein Rucksack und der große Koffer standen. Vor lauter Aufregung hatte ich die schon vor einer Woche gepackt. Zusammen mit Oma. Ich habe Oma dann aber noch dreimal dabei erwischt, wie sie den Koffer wieder aus- und umpackte.

»Ach, Kurtchen. Nun gehst auch du in die große, weite Welt«, murmelte Oma immer, wenn sie mich sah. Und bestimmt auch so manches Mal, wenn ich gar nicht da war. Schon seit vier Wochen! Sie war aufgeregter als ich.

Papa schnappte sich ein Lustiges Taschenbuch und legte sich auf mein Bett. Wollte er es sich in meinem Zimmer gemütlich machen?

»Bleibst du jetzt etwa hier?«, fragte ich.

»Wenn du nichts dagegen hast. Immerhin werde ich zwei Wochen lang nicht in den Genuss deiner Gegenwart kommen«, sagte Papa grinsend. »Was machst du da überhaupt?«

»Ach, ich gucke nur mal nach meinen E-Mails«, antwortete ich und öffnete schnell mein Postfach. Da war tatsächlich Post aus Surinam.

»Tim Borger hat mir geschrieben«, sagte ich.

»Warum denn der Typ und nicht Konstanze?«, wunderte sich Papa.

Er konnte Tim nicht leiden. Ich mochte ihn auch nicht. Manchmal sehe ich jemanden und kann denjenigen sofort nicht ausstehen. So einer war der Chef meiner Mutter. Ich hatte ihn mal auf ihrem Geburtstag kennengelernt. Tim ist ein Angeber mit kleinen Augen, die irgendwie gierig gucken.

»Was schreibt er denn?«

Ich las die Mail laut vor. Tim schrieb, dass er uns vom Flughafen abholen würde, weil Mama für einige Tage unterwegs sei.

»Warum macht Konstanze denn solche Sperenzien? Als würden die Kinder alle Tage zu ihr um die halbe Welt fliegen«, schimpfte Oma.

Sie war auch in mein Zimmer gekommen und hatte die letzten Sätze mitgehört. In den Händen drehte sie eine neue selbst gestrickte Mütze.

»Die wollte ich noch in den Koffer tun«, murmelte sie.

»Sind da nicht schon drei neue Mützen drin?«, fragte Papa.

»Du, Oma, in Surinam ist es wirklich warm. Da brauche ich keine Mütze«, sagte ich.

»Außerdem passt die doch gar nicht unter den schicken Tropenhelm«, meinte Papa.

Oma wusste gar nicht mehr so richtig, was sie nun tun sollte. Sie tat mir ein bisschen leid. »Oma, vielleicht fehlt ja noch was anderes im Koffer. Vielleicht kannst du ihn noch mal ins Wohnzimmer mitnehmen und nachschauen.«

Ich glaubte, Papa hinter dem Comic leise kichern zu hören. Oma nahm den Koffer trotzdem mit, um ihn noch mal umzupacken.

Mein Vater vertiefte sich in den Comic und so konnte ich endlich nach Adrianus Van Basten suchen. Als ich den Namen in die Suchmaschine eintippte, erschien ganz oben ein seltsamer Eintrag. Darin stand, dass Herr Van Basten ein Mönch im 18. Jahrhundert gewesen war. Na, der hatte Mama sicher keine E-Mail geschrieben. Doch dann fand ich mehrere Texte über ihn. Demnach lebte Adrianus Van Basten in der Nähe von Amsterdam. Er war Archäologieprofessor und leitete ein kleines Museum über die Kolonialzeiten Hollands. Er schien das Ausgrabungsteam, mit dem meine Mutter im Dschungel war, selbst zu finanzieren. Wie konnte er sich das bloß leisten?

Da fand ich einen alten Zeitungsartikel. Darin stand, dass Van Basten mit dem Verkauf antiker Schmuckstücke ein Vermögen gemacht hatte. Das war interessant! Denn Mamas Team ließ er ja auch nach Schmuck graben. Normalerweise dürfen Archäologen ihre Funde aber nicht behalten. Seltsam war auch, dass es im Internet kein Foto von Van Basten gab. Er ließ sich wohl nicht gerne fotografieren. Vielleicht war er ja furchtbar hässlich.

Todmüde wankte ich schließlich zu meinem Bett.

»Papa, ich muss jetzt schlafen.«

»Oh, gleich. Nur noch diese Geschichte hier«, brummte er.

»Aber es ist superspät«, beharrte ich.

»Na, gut.« Seufzend stand Papa auf und gab mir einen Gutenachtkuss. »Schlaf gut, mein Lieber!«

»Danke, du auch«, sagte ich.

Dann konnte ich aber doch nicht einschlafen. Ich musste an den Namen Adrianus Van Basten denken. Ich hatte ihn schon einmal gehört. Aber wo? Plötzlich hatte ich eine Erinnerung.

Es war am Abend vor Mamas Abreise. Da sind wir alle immer ein bisschen schlecht gelaunt. Papa und ich vermissen Mama ganz fürchterlich, wenn sie so lange unterwegs ist. Bei Oma weiß ich das manchmal nicht so genau. Und Mama hat ein schlechtes Gewissen und vermisst uns natürlich auch. Jedenfalls gerieten meine Eltern nach dem Abendbrot in einen Streit. Oma und ich flüchteten ins Wohnzimmer. Wir schalteten den Fernseher an und stellten ihn ganz laut. Trotzdem konnten wir sie streiten hören. Oma häkelte an einem Deckchen. Als der Film fertig war, stritten die beiden immer noch. Oma und ich blieben einfach sitzen und sahen weiter fern. Das Häkeldeckchen war inzwischen eine Häkeldecke geworden.

»Na, Kurtchen, wollen wir nicht mal ins Bett gehen?«, fragte Oma irgendwann und gähnte.

Wir schalteten den Fernseher aus und lauschten, ob die Luft wieder rein war. Da hörte ich Papa sagen: »Ich halte das für einen Fehler, Konstanze. Niemand weiß, woher er die Schmuckstücke hatte, mit denen er reich wurde. Du wirst sehen, Adrianus Van Basten bringt euch noch in Teufels Küche!«

Mir gefiel das Ganze nicht. Der Auftraggeber und der Leiter der Ausgrabung waren beide irgendwie verdächtig. Konnte das ein Zufall sein?

Ich war todmüde und konnte meine Gedanken kaum noch sortieren. Da hörte ich im Halbschlaf ein merkwürdiges Geräusch. Ich wusste sofort, dass es aus dem Keller kam. Obwohl wir in der fünften Etage wohnen und man dort oben eigentlich keine Geräusche aus dem Keller hören kann. Leise schlich ich durch die Wohnung. Papa und Oma schliefen schon. Das Licht im Flur ging nicht an. Also ließ ich die Wohnungstür offen stehen und lief die Treppen im Dunkeln hinab. Dann öffnete ich die schwere Kellertür. Ein Lichtschein kam vom Ende des Ganges. Langsam lief ich darauf zu. Mir war noch nie aufgefallen, wie lang dieser Gang eigentlich ist.

Plötzlich stand ich in einer großen Felsenkammer. In der Mitte brannte ein Feuer. Die Reflexionen der Flammen zuckten über die rauen Steinwände wie huschende Geister. In einer dunklen Nische stand eine Frau in einem langen Kleid. Da packte mich jemand am Arm. Erschrocken schaute ich zur Seite. Neben mir stand eine gruselige Gestalt. Der Typ trug einen Mantel, der bis zum Boden reichte. Eine Kapuze verbarg sein Gesicht. Er stank so sehr, dass mir ganz schlecht wurde.

»Wer sind Sie und was wollen Sie von mir?«, schrie ich.

Meine Stimme verhallte in der Weite der Höhle. Die Gestalt antwortete nicht. Auch die Frau regte sich nicht. Doch plötzlich begann sie zu singen. Der Kapuzentyp riss mich an sich und umarmte mich wie ein Tangotänzer seine Partnerin. Wollte er etwa mit mir tanzen?

»Entschuldigen Sie bitte«, rief ich. »Ich tanze nicht so gern. Außerdem kann ich auch gar keinen Tango.«

Doch der Typ hielt mich fest umklammert. Da sah ich, dass aus seinen Ärmelaufschlägen die Hände eines Skelettes ragten. Ach, du grüne Neune! Langsam bewegte sich der ekelhafte Kapuzentyp zum Gesang der Frau und zog mich in einen gruseligen Tanz hinein. Dann wandte er mir den Kopf zu. Ein kalter Todeshauch wehte mir ins Gesicht.

»Bitte helfen Sie mir!«, rief ich der singenden Frau zu.

Sie trat aus der Nische in den Schein des Feuers und ich erkannte sie.

»Mama!«, schrie ich, während der ekelhafte Typ in ein grauenvolles Gelächter ausbrach. Es hörte sich an, als würden viele Menschen in Todesangst schreien.

»Am besten fällst du einfach in Ohnmacht, dann bist du wenigstens nicht dabei«, sagte da plötzlich Sandros Stimme.

Und das tat ich dann auch.

Grunzende Kröten

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»Pelziger Käsescheibenschimmel! Mir kommt es vor, als würde dieser Tag ewig dauern«, stöhnte die Prinzessin, als wir uns am nächsten Tag auf dem Dach trafen. Sie sortierte herumliegende Steinchen der Größe nach.

Die Prinzessin hatte recht: Die Zeit vor unserer Abreise zog sich so lang wie ein weicher Kaugummi, der zwischen Fußweg und Schuhsohle klebt. Noch sechzehn Stunden!

»Ich kann dir versprechen, auch dieser Tag wird irgendwann ein Abend«, meinte Sandro. Er lief unruhig hin und her.

»Wurmstichiger Lattenlutz! Kannst du mal bitte mit dem Herumlaufen aufhören? Das macht mich ganz nervös«, sagte die Prinzessin.

»Das macht der wurmstichige Lattenlutz doch mit Vergnügen«, sagte Sandro und verbeugte sich vor ihr.

»Pffft!«, schnaubte sie.

Sandro setzte sich, und ich erzählte den beiden, was ich letzte Nacht herausgefunden hatte.

»Eigentlich war außer einer atmosphärischen Verbindungsstörung gar nichts gewesen«, sagte Sandro. »Und nun haben wir es plötzlich mit zwei zwielichtigen Gestalten zu tun.«

»Davon lassen wir uns jetzt aber nicht verrückt machen«, bestimmte die Prinzessin.

Mit einer schnellen Handbewegung wischte sie alle sortierten Steinchen wieder durcheinander. Erstaunt starrten Sandro und ich die Prinzessin an. Wir hatten noch nie gesehen, dass sie etwas in Unordnung brachte.

»Auf keinen Fall«, murmelte Sandro.

»Das kann ganz schnell gehen mit dem Verrücktwerden«, murmelte ich.

»Ist es bei dir schon losgegangen?«, fragte Sandro. »Du siehst auch heute echt nicht so gut aus.«

»Kein Wunder. Ich habe aus Versehen im Keller geschlafen«, sagte ich.

»Auf dem kalten Betonboden im gruseligen Keller?«, fragte die Prinzessin. »Warum hast du denn das gemacht?«

»Keine Ahnung.« Ich zuckte mit den Schultern. Vielleicht war ich schlafgewandelt.

»Vielleicht bist du im Schlaf gewandelt«, meinte Sandro. »Ist mir auch schon passiert. Das ist nicht schlimm. Solange man dabei nicht auf ein Dach klettert.«

Oder mit einem Skelett tanzt. Ich schüttelte mich. Den anderen erzählte ich nichts von meinem Traum. Irgendwie war der mir peinlich.

Wir holten unsere Vokabelkärtchen heraus. Reihum fragten wir uns gegenseitig ab, während im Park viele Kinder in Ferienlaune herumhopsten. Es war abgemacht, dass jeder von uns gleich viele Lernwörter bestimmen sollte und dass die anderen keines davon ablehnen durften. So hatten die Prinzessin, Sandro und ich in den letzten vier Wochen täglich zehn Vokabelkärtchen geschrieben. Darum kannten wir nun 820 holländische Wörter. Sandro hatte gelesen, dass man sich mit 800 Wörtern in einer Fremdsprache ganz gut verständigen konnte.

»Pelzig?«

»Harig.«

»Kröten?«

»Padden.«

»Grunzen?«

»Knorren.«

»Erkennen?«

»Beseffen.«

»Die Suche?«

»De zoektocht.«

»Grün?«

»Groen.«

»Das Schokoladentörtchen?«

»Het chokoladetaartje.«

Ich hatte keine Ahnung, ob wir diese Wörter tatsächlich brauchen würden.

Plötzlich war es dann doch Abend geworden.

»Tot zo!«, sagte Sandro.

»Goede nacht!«, wünschte uns die Prinzessin.

»Tot morgen!«, sagte ich.

Zu Hause hatte Oma zum Abschied mein Lieblingsessen gekocht: Hühnerfrikassee mit Extraklößchen. Aber mein Vater musste alles ganz alleine aufessen. Oma bekam nämlich vor lauter Aufregung nichts hinunter und ich hatte keinen Hunger.

»Das ist das Reisefieber«, sagte Papa lachend, während er sich den Teller vollhäufte.

Trotz der Aufregung schlief ich später sofort ein. Obwohl es schon mitten in der Nacht losgehen würde. Wir mussten um drei Uhr am Flughafen sein.

Dort wurde es dann ziemlich dramatisch. Die Koffer hatten wir schon aufgegeben. Wir wollten uns eigentlich nur noch voneinander verabschieden. Da passierte es: Sandro, die Prinzessin und ich, Oma und Papa, Sandros Mutter und die Eltern der Prinzessin – wir lagen uns plötzlich alle weinend in den Armen. Erst umarmten die Eltern ihre Kinder, dann umarmten wir Kinder die anderen Eltern und schließlich die Eltern sich gegenseitig. Irgendwann drückte Papa die schluchzende Oma an sich. Der Vater der Prinzessin hielt links seine eigene Frau und rechts die schniefende Mutter von Sandro im Arm.

»Als würden wir uns nie mehr wiedersehen«, flüsterte Sandro.

Die anderen Leute in der Abflughalle guckten schon ganz komisch. Zum Glück kam eine blonde Frau in einer Stewardessenuniform auf uns zu.

»Ich glaube, wir haben eine Verabredung«, sagte sie mit einem lustigen holländischen Akzent.

»Na, mit mir nicht«, wollte ich schon sagen. Doch Papa wischte seine Tränen fort und schüttelte ihr die Hand. Die Frau lächelte meinen Vater ganz gerührt an. Sie hatte wohl noch nicht viele Männer gesehen, denen Tränen im Bart glitzerten.

»Kinder, darf ich euch Fräulein Van Berg vorstellen«, sagte Papa. »Sie wird euch nach Paramaribo begleiten und dort am Flughafen Konstanze übergeben. Ach, nein, Moment!« Damit wandte er sich an Fräulein Van Berg. »Das müssen wir noch besprechen. Denn in Paramaribo wird ein Herr Tim Borger die Kinder abholen.«

Fräulein Van Berg schrieb sich das auf und dann wurde es ziemlich hektisch. Papa schob uns in Richtung Sicherheitskontrolle. Wir winkten noch einmal und die Prinzessin warf Küsse durch die Luft. Dann mussten wir unsere Reisepässe vorzeigen. Das war ein bisschen peinlich, weil ich nicht bis an den Schalter reichte. Der Zollbeamte musste extra aufstehen und sich vorbeugen, um mein Gesicht zu studieren. Er verglich es mit dem Bild in meinem Pass. Er war dabei so genau, dass ich mir wie ein Schwerverbrecher vorkam. Ich grinste unschuldig. Der Zollbeamte musste lachen.

»Na, kleiner Mann, du hast wohl finstere Absichten bei so einem falschen Lächeln«, sagte er.

Die Prinzessin kicherte. Also echt!

Unsere Rucksäcke wurden durchleuchtet. Währenddessen mussten wir unsere Schuhe ausziehen und durch einen Metalldetektor laufen. Ich hatte ja den Verdacht, dass sich vor einiger Zeit ein Zwei-Euro-Stück im Futter meiner Hosentasche verfangen hatte. Vielleicht würden die es jetzt wiederfinden. Es piepte aber nur bei der Prinzessin. Wegen ihrer Haarspangen. Am Ende der Durchleuchtungsanlage legte ein Uniformierter seine Hand auf unsere Gepäckstücke.

»Auspacken!«, bellte er.

»Hemdsärmliger Läusejongleur! Sie sind aber unhöflich«, schimpfte die Prinzessin.

Da kam das blonde Fräulein Van Berg angerannt.

»Ist hier alles in Ordnung?«, fragte sie mit ihrem Akzent.

Der Typ in der Uniform wurde rot und zog sich die Hose hoch, obwohl die schon ganz weit oben saß.

»Taschenmesser«, sagte er.

Er zuckte wie zur Entschuldigung mit den Schultern. Vielleicht kannte er ja auch nur 800 Wörter und musste sparsam damit umgehen. Wir hatten allerdings wirklich unsere Taschenmesser in unseren Rucksäcken verstaut.

»Keine gefährlichen Dinge im Handgepäck«, erklärte der Sicherheitsmann überraschend redselig.

Die Messer waren ohne Zweifel gefährlich. Aber die Cremedose, die die Prinzessin eingepackt hatte, seltsamerweise auch. Die ganze Zeit standen wir in Socken daneben und fragten uns, ob wir unsere Schuhe wieder anziehen durften. Fräulein Van Berg rannte mit den Taschenmessern und der blauen Dose zu einem Kollegen. Der würde die Sachen für uns aufbewahren. Ausnahmsweise. Sonst hätten wir unsere Taschenmesser in die große Mülltonne neben dem Sicherheitsmann werfen müssen. Wir setzten uns so lange auf eine Bank. Zum Glück waren wir drei Stunden vor dem Abflug am Flughafen gewesen. Wenigstens durften wir uns die Schuhe wieder anziehen.