Die Pestburg

 

 

 

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Band 33

 

Die Pestburg

 

von Ernst Vlcek, Neal Davenport, Uwe Voehl und Oliver Fröhlich

 

 

© Zaubermond Verlag 2013

© "Dorian Hunter – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Titelbild: Mark Freier

eBook-Erstellung: story2go | Die eBook-Manufaktur

 

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Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

 

Was bisher geschah:

 

Die Gefahr, die von dem Kinddämon Baphomet ausging, ist gebannt. Mit dem Tod des Kinddämons, in dessen Körper der Geist des dämonischen Schiedsrichters Skarabäus Toth steckte, hat seine einstige Schülerin Rebecca ihre Stellung innerhalb der Schwarzen Familie gefestigt und ist ihrem Ziel, den Erzdämon Luguri zum Kampf um den Thron herauszufordern, wieder ein Stück näher gekommen.

In Wien baut Rebecca ihre Macht aus, basierend auf der Unterstützung der Vampire, die nach mehr Einfluss in der Schwarzen Familie streben. Rebeccas Absicht, auch die Hexe Coco Zamis vor ihren Karren zu spannen, misslingt jedoch. Es gelingt Coco, ihren Sohn Martin endgültig aus dem Bann der Vampirin zu befreien. Rebecca jedoch sinnt auf Rache. Sie weiß, dass der Tag, an dem sie die Macht über die Schwarze Familie an sich reißen wird, nicht mehr fern ist.

Zuvor jedoch wird Dorian Hunter abermals von Erinnerungen übermannt. Diesmal sind es die Geschehnisse aus seinem sechsten Leben, die die Ereignisse der Gegenwart auf unselige Weise beeinflussen und ihre Schatten auf den Zweikampf zwischen Rebecca und Luguri werfen ...

 

 

 

 

Erstes Buch: Die rote Hexe

 

 

Die rote Hexe

 

von Neal Davenport und Uwe Voehl

 

1. Kapitel

 

Der Dämon glotzte Ira Marginter aus schmalen Augen an. In seinem weit aufgerissenen Maul prangten zwei Reihen spitzer, blutverschmierter Zähne. Eine Mähne aus Flammen rahmte den gigantischen Schädel ein, nur durchbrochen von zwei geschwungenen Widderhörnern. Dazwischen hing der aufgespießte, zerfetzte Leichnam eines nackten Mannes. Feuerspitzen züngelten über den Leib des Toten, sodass Ira fast glaubte, den Gestank verbrannter Haut und Haare riechen zu können.

Die Restauratorin aus Köln hatte im Castillo Basajaun schon etliche schauderhafte Fresken gesehen und ihnen zu neuer zweifelhafter Brillanz verholfen, aber das Wandgemälde, dem sie seit ein paar Tagen ihre Aufmerksamkeit widmete, gehörte zu den scheußlichsten. Kein Wunder, dass der ... nun ja ... Künstler es in einem schmalen Seitengang versteckt hatte. Andererseits, wenn man die Geschichte des alten Gemäuers betrachtete, hätte es besser in die Haupthalle gepasst.

Ira blinzelte. Ihre Augen brannten vor Müdigkeit. Die Armbanduhr verriet ihr, dass Mitternacht gerade vorüber war. Seit fast zwanzig Stunden auf den Beinen! Und den größten Teil der Zeit mit Blick auf die Malerei, auf Blut, Feuer und Dämonenspeichel. Ihre Schultern fühlten sich steinhart an, der Nacken war eine einzige Verspannung. Sie brauchte dringend ein heißes Bad und ein paar große Mützen Schlaf.

Oder reichte ein Kaffee aus? Schön stark und so schwarz, dass sie damit die dunklen Stellen des Freskos ausbessern könnte.

Sie schüttelte den Kopf. Auch wenn sie mit diesem grässlichen Stück so schnell wie möglich fertig werden wollte, würde sie ihrer Aufgabe nicht gerecht, wenn sie vor Müdigkeit kaum noch zu stehen imstande war.

Sie legte den Pinsel zur Seite, betrachtete die aus den Dämonennüstern steigenden Rauchwolken, an denen sie gearbeitet hatte, und nickte zufrieden. Noch ein Tag Arbeit, allerhöchstens zwei, dann war das Gemäl...

Ira stockte.

Was zum Teufel war denn das?

Im linken Auge des Monstrums schimmerte ein roter Fleck, der dort nicht hingehörte. Ein Farbspritzer? Das wäre ein unverzeihlicher Fehler gewesen, der ihr noch nie unterlaufen war. Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, sah erneut hin – und der Klecks war verschwunden.

Zu müde. Du bist ganz eindeutig zu müde.

Sie gähnte so heftig, dass Tränen ihr den Blick verschleierten und über die Wangen liefen. Durch den Feuchtigkeitsfilm sah sie ein rötliches Schimmern. Erneut auf Höhe des linken Dämonenauges.

Das ist unmög...

Sie wollte die Tränen wegwischen, aber noch bevor sie mit der Hand ihr Gesicht berührte, explodierte der rote Fleck. Fetzen von Purpur, Scharlachrot, Blutrot, Karminrot, Zinnoberrot legten sich auf sie, hüllten sie ein und trugen sie davon.

Als sich ihr Blick klarte, starrte sie wieder auf die Dämonenfratze. Nur dass es sich diesmal nicht mehr um ein Gemälde handelte. Ohne einen Körper zu besitzen, schwebte die Visage einen Meter über dem Boden, groß wie ein Mittelklassewagen. Und sie kam auf Ira zu. Langsam nur, aber unaufhaltsam.

Ira roch den Qualm aus den Nüstern, den Gestank nach der verbrannten Haut des Opfers zwischen den Widderhörnern, die Ausdünstung nach Verwesung und Verfall. Die Hitze des Flammenkranzes schlug ihr ins Gesicht, raubte ihr den Atem.

Sie wollte sich herumwerfen und weglaufen, doch sie war zu keiner Bewegung fähig. Sie blickte an sich hinab und erkannte mit Entsetzen den Grund: Ihre Beine steckten bis über die Knie im steinernen, rissigen Boden. Lavafäden krochen aus den Spalten, umschlängelten Iras Oberschenkel, arbeiteten sich in die Höhe.

Nun erst nahm sie bewusst wahr, in welche Höllenlandschaft es sie verschlagen hatte. Vor ihr erstreckte sich eine grenzenlos erscheinende Ebene. Stalaktiten hingen aus dem grauen Nichts des Himmels. Von ihnen tropfte Blut, das zischend verdampfte, sobald es den Boden berührte. Felsformationen, nein: Skulpturen, die an schmerzverkrümmte Menschenleiber erinnerten, bevölkerten das Land, so weit das Auge reichte. Die Arme erhoben, die Finger zu Krallen gekrümmt, die Münder zu ewig währenden Schreien geöffnet. Sie alle steckten bis zu den Knien im Boden.

O nein!

»Ira!«, dröhnte eine Stimme über die Ebene.

»Jetzt gehörst du mir«, donnerte ihr die Dämonenfratze entgegen.

»Nein!«, schrie sie. »Was willst du von mir?«

»Dich!«

»Lass mich in Frieden!«

Der Dämon lachte. Knapp über Armlänge von Ira entfernt verharrte die Fratze. Die Hitze und der Gestank wurden immer unerträglicher. Die Lavafäden, die ihre Beine hochkrochen, spürte sie hingegen nicht.

»Nun bist du mein«, grollte es zwischen den Hauern der Bestie hervor.

»Ira!«, ertönte da wieder die erste Stimme.

Armdicke Stränge einer mehrfach gespaltenen Zunge quollen aus dem Maul des Monstrums und zuckten auf Ira zu. Sie drehte den Oberkörper zur Seite, versuchte auszuweichen, doch es war vergebens. Die Zungenenden packten sie an den Schultern und schüttelten sie durch.

»Mein! Mein! Auf ewig mein!«

»Ira!«

»Du gehörst mir bis ans Ende der Zeit.«

»Ira!«

Das Rütteln wurde immer stärker.

»Ira, wach auf!«

Sie schlug die Augen auf. Vor ihr stand Abi Flindt, die Hände auf ihren Schultern, und schüttelte sie.

»Na endlich«, sagte er. »Ich dachte schon, du willst die Nacht auf diesem Stuhl verbringen.«

Stuhl?

Ira blinzelte und sah sich um. Tatsächlich, sie saß auf dem Klappstuhl, den sie vor der Arbeit an dem Dämonenfratzenfresko für kurze Pausen an die gegenüberliegende Wand gestellt hatte.

Das Fresko!

Ihr Blick zuckte zu dem Gemälde, das sie bis in den Traum verfolgt hatte. Kein rötlicher Fleck im Auge der Bestie. Keine Zungenspitzen, die sie bedrohten. Alles ganz normal.

»Was ist denn los?«, fragte der Däne.

»Ich ... ich bin wohl schon etwas zu lange auf den Beinen. Ich muss eingeschlafen sein. Und dann habe ich von diesem Scheusal geträumt.«

Aber stimmte das wirklich? Es hatte sich so echt angefühlt, so bedrohlich und beängstigend.

Natürlich war es ein Traum!, schalt sie sich selbst. Was sollte es sonst gewesen sein? Das Castillo ist gegen Dämonenangriffe gesichert.

Abi warf einen Blick über die Schulter. »Ist aber auch ein entzückendes Geschöpf. Kein Wunder, dass es deine Gedanken beschäftigt, wenn du es den ganzen Tag vor Augen hast. Und jetzt sieh zu, dass du ins Bett kommst.«

Sie lächelte. »Du hast recht.«

Ira stemmte sich hoch, dabei fiel ihr Blick auf Abi Flindts Schuhe. »Was sind denn das für Treter?«

»Ich muss doch sehr bitten!«, gab er sich empört. Doch in der nächsten Sekunde grinste er und hob einen Fuß. »Stiefel mit Silberbeschlägen. Ich habe beschlossen, meine Ausrüstung ein bisschen aufzustocken. So kann ich auch im Nahkampf gegen einen Dämon bestehen und einem Werwolf so richtig in den Arsch treten. Gefallen sie dir?«

»Sie sind sehr – gewöhnungsbedürftig. Aber zweckmäßig.«

»Und ich dachte, gerade eine Frau könnte sich für neue Schuhe begeistern.«

»Chauvi.« Sie lächelte ihm noch einmal zu, dann wandte sie sich ab und ging in ihr Zimmer. Sie beschloss, das Bad auf den nächsten Tag zu verschieben. Ohne sich umzuziehen, ließ sie sich ins Bett fallen.

Eine Minute später schlief sie tief und fest.

So tief, dass sie nichts von den weiteren Besuchern dieser Nacht mitbekam.

 

Abi sah der ausnehmend hübschen Kölnerin mit der Traumfigur nach. Er musste sich eingestehen, dass sie ihm sehr, sehr gut gefiel. Und dass er sie wirklich gerne mochte.

Aufgepasst, Abraham Flindt!, ermahnte er sich. Verlieb dich bloß nicht in sie.

Nein, natürlich nicht. Das würde er ihr nicht antun. Die Vergangenheit hatte gezeigt, dass es einer Frau nicht gut bekam, wenn er ihr zu große Gefühle entgegenbrachte. Inzwischen hatte er zwar die Ursache für diesen ominösen Fluch herausgefunden, von dem er geglaubt hatte, dass er auf ihm laste. Er wusste, dass eine zukünftige Lebensgefährtin davon nicht mehr betroffen wäre, dennoch wagte er es noch nicht, sich auf dieses Risiko einzulassen. Dazu saß die Erfahrung früherer Tage zu tief.

Abi drehte sich zu dem Fresko um, das Ira nach dem Aufwachen so angstvoll betrachtet hatte. Er streckte die Hand danach aus, verspürte den Drang darüberzustreichen, zuckte aber zurück. Schließlich wollte er Iras Arbeit nicht ruinieren.

Er seufzte. Was trieb er hier eigentlich? Er sollte auch zu Bett gehen, anstatt hier mitten in der Nacht in Teilen seiner neuen Ausrüstung durch das Kastell zu schleichen.

Aber er konnte nicht anders. Er wurde das Gefühl nicht los, dass etwas in der Luft lag. Zu ruhig, zu friedlich war es in den letzten Tagen gewesen. Zumindest wenn man von Dorian Hunters Gereiztheit absah, mit der er in der vergangenen Woche seiner Umwelt gegenübergetreten war. Der Dämonenkiller schob es auf wiederkehrende Albträume, die ihm den Nachtschlaf verdarben und ihn tagsüber unausgeglichen machten. Dabei sollte Dorian lieber froh sein, dass sein Sohn Martin dank Cocos Einsatz endlich nicht mehr unter dem Einfluss der Vampirin Rebecca stand.

Abi trat einen Schritt zurück, um den Dämonenkopf in seiner gesamten Scheußlichkeit bewundern zu können. Hatte Iras Albtraum mit denen des Dämonenkillers zu tun? Nein, gewiss nicht. Beruhigen konnte das den Dänen aber auch nicht.

Etwas würde geschehen, dessen war er sich sicher. Aber was?

Er beschloss, weiterhin die Augen offen zu halten. Denn Dorian, so sehr er ihn bewunderte, erschien ihm in der letzten Zeit zu abgelenkt, um sich dieser Aufgabe ausreichend widmen zu können.

»Wer ins Castillo Basajaun will, muss erst an mir vorbei.« Er grinste, als ihm ein alberner Begriff einfiel. »An mir, Abraham Flindt, dem Vollstrecker.«

 

Coco Zamis schreckte hoch. Geräuschlos setzte sie sich auf und versuchte, die Dunkelheit zu durchdringen. Es war ruhig im Schlafzimmer. Nur Dorians gleichmäßiges Atmen war zu hören.

Sie knipste das Nachttischlämpchen an und blickte auf den Wecker. Es war genau ein Uhr.

Seit einer Woche wachte sie regelmäßig um diese Zeit auf. Und ein paar Minuten später begann dann stets Dorian zu stöhnen und sich wie verrückt im Bett hin und her zu wälzen. Es war klar, dass ihn Albträume verfolgten. Doch sobald sie ihn geweckt hatte, konnte er sich nicht mehr daran erinnern, wovon er geträumt hatte. Coco blickte ihren Gefährten besorgt an. Irgendetwas hatten diese Albträume zu bedeuten – und sicherlich nichts Gutes. Ihre Ahnungen hatten sie selten getäuscht. Coco hatte einige Beschwörungen vorgenommen, um in Erfahrung zu bringen, ob ihnen Gefahr drohte. Doch ihre Bemühungen waren erfolglos geblieben. Sie hatte nichts erfahren.

Dorians Aussehen hat sich in den Jahren, seit wir uns kennen, nicht verändert, dachte Coco und lächelte leicht. So wie damals, als sie ihn in Wien kennengelernt hatte, trug er jetzt wieder den gewaltigen Schnauzbart. Sein Gesicht war gebräunt und das schwarze Haar ziemlich lang. Von der Gesichtstätowierung war nichts mehr zu sehen.

Ihr Lächeln erstarb, als sie an die Gefahren dachte, die sie in den vergangenen Wochen zu bestehen gehabt hatten. Die Situation innerhalb der Schwarzen Familie war verworren. Luguri schien durch den magielosen Zustand, der vor ein paar Wochen in New York geherrscht hatte, noch immer geschwächt zu sein. Anders war es nicht zu erklären, dass er sich nicht Rebecca vorgenommen hatte, die eifrig bemüht war, alle Vampire der Welt um sich zu scharen.

Aber das soll nicht meine Sorge sein, dachte Coco. Sie war glücklich, dass sich ihr Sohn bei ihr im Castillo Basajaun befand. Martin hatte sich zu ihrer größten Überraschung unglaublich schnell an seine neue Umgebung gewöhnt und alle Bewohner lieb gewonnen. Auch die Schrecken der letzten Monate hatten nicht die erwarteten Spuren in seinem Seelenleben hinterlassen. Seit fast drei Wochen befanden sie sich nun in der alten Burg in Andorra. Sie und Dorian hatten die ruhigen Tage genossen. Kein Angriff der Dämonen war erfolgt. Es war ruhig – fast zu ruhig, wie auch Abi Flindt nicht müde wurde, ständig zu wiederholen.

Dorian Hunter stöhnte. Seine rechte Hand stieß die dünne Decke zur Seite. Er ballte die rechte Hand zur Faust und keuchte. Seine Brust hob sich rascher.

Coco beugte sich über ihn. Seine Augäpfel bewegten sich heftig unter den geschlossenen Lidern. Er öffnete den Mund und stöhnte lauter. Dann warf er sich wild im Bett hin und her.

»Dorian«, sagte Coco laut.

Die Bewegungen des Dämonenkillers wurden langsamer.

»Dorian!«

Der Dämonenkiller stieß ein Seufzen aus, gähnte geräuschvoll und öffnete die Augen. Verschlafen blinzelte er Coco an.

»Libussa«, sagte Dorian und unterdrückte ein Gähnen.

»Libussa?«, fragte Coco verwundert. »Du hast wieder einen Albtraum gehabt. Kannst du dich erinnern?«

Dorian nickte langsam. Er schloss die Augen und strich sich mit der Zunge über die trockenen Lippen.

»Ich kann mich undeutlich erinnern«, sagte er stockend.

»Erzähle«, bat sie.

»Eine Schlacht«, flüsterte Dorian. »Überall das Krachen von Kanonenschüssen. Das Schreien von Verwundeten. Eine Burg. An einem Baum hingen Gehenkte. Und überall Wölfe. Fledermäuse. Dazwischen war immer ein Mädchengesicht zu sehen. Sie hatte rotes Haar, das wie Feuer glühte. Rotes Haar.«

»Kennst du das Mädchen?«

»Es war Libussa«, antwortete Dorian.

»Wer ist Libussa?«

Der Dämonenkiller setzte sich auf und griff nach den Zigaretten. Er steckte zwei an und reichte eine Coco.

»Ich kann mich nicht erinnern«, sagte Dorian verärgert. Er legte die Stirn in Falten und dachte angestrengt nach.

»Ist es nicht seltsam, dass du plötzlich von Libussa träumst?«, erkundigte sich Coco.

»Allerdings. Ich bin sicher, dass es eine Warnung sein soll. Ich habe die Szene, die ich eben geträumt habe, vor ein paar Monaten schon einmal gesehen. Es war im Tempel des Hermes Trismegistos. Damals hatte ich aber das Gesicht des Mädchens nur einen Sekundenbruchteil gesehen und es nicht erkannt. Ich hätte schwören können, dass das Mädchen blondes Haar gehabt hatte.«

»Versuche dich zu erinnern, Dorian. Es könnte wichtig sein. Wann hast du in deinem sechsten Leben gelebt?«

»Als Schwarzer Samurai starb ich 1610. Ich muss also im gleichen Augenblick geboren worden sein. Besser gesagt, meine Seele schlüpfte in den Körper eines in dieser Sekunde zur Welt kommenden Kindes. Aber so sehr ich mich auch bemühe, mir fällt nicht ein, wer ich damals gewesen bin.«

»Du hast aber einmal erwähnt, dass du dich an die Szene irgendwie erinnert hast.«

»Stimmt. Es muss während des Dreißigjährigen Krieges gewesen sein. Ich befand mich damals in Deutschland. Libussa muss eine Rolle in meinem damaligen Leben gespielt haben. Aber welche?«

»Das würde ich zu gerne von dir wissen, Dorian. Ich kann dir nicht helfen.«

Wütend sprang Dorian aus dem Bett und drückte die Zigarette aus. Missmutig ging er im Zimmer auf und ab.

»Der Dreißigjährige Krieg begann 1618«, sagte Dorian. »Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits acht Jahre alt.«

»Vielleicht hilft es deiner Erinnerung nach, wenn wir uns über diese Zeit unterhalten?«

»Schaden kann es nicht«, brummte Dorian.

»Begonnen hatte alles mit dem Prager Fenstersturz«, sagte Coco. »Wenn ich mich recht erinnere, muss das im Mai 1618 gewesen sein.«

»Es war der 23. Mai. Die böhmischen Protestanten waren in den Hradschin eingedrungen und warfen die beiden von Ferdinand eingesetzten Statthalter und ihren Sekretär aus einem Fenster des Ratssaals. Die drei landeten zwar auf einem Misthaufen und blieben am Leben, aber dieser Sturz war nur der auslösende Faktor für den Dreißigjährigen Krieg. Die Ursachen dafür lagen viel tiefer.«

»Ich weiß es«, sagte Coco. »Es war eine Frage von Religion. Auf der einen Seite war es der katholische Glaube und auf der anderen Seite die protestantische Religion.«

»Genau genommen waren es sogar drei Parteien«, erklärte Dorian. »Die Reformation hatte zwei Führer gehabt. Luther und Calvin. Und die Lehren dieser beiden ergänzten sich nicht, das Gegenteil war der Fall. Und dazu kamen noch andere Dinge. Die Menschen waren völlig verunsichert. Es gab auch viele Anhänger, die an die Macht des Übersinnlichen und Unerklärlichen glaubten. Tausende fanden Zuflucht im Okkultismus und gaben sich der Schwarzen Magie hin. Die Bewohner Deutschlands glaubten an Hexen, und viele beteten den Teufel an.«

»Ich habe gelesen, dass der Fürst von Anhalt in seinem Tagebuch von Geistererscheinungen geschrieben hat. Der Kurfürst von Brandenburg glaubte an die ›Weiße Frau‹, die angeblich vor Todesfällen warnen sollte. Und der Herzog von Bayern hat sogar seine Frau exorzieren lassen, um den Fluch der Unfruchtbarkeit von ihr zu nehmen.«

Dorian nickte zustimmend. »Ich könnte da noch ganz andere Dinge nennen. Aber kommen wir zum Wesentlichen. 1618 waren die Habsburger die stärkste Dynastie. In ihren Händen vereinigte sich alle Macht. Die Habsburger herrschten über Österreich, Tirol, die Steiermark, Krain, Kärnten, Ungarn, Mähren, Schlesien, die Lausitz und Böhmen, Teile von Burgund, die Niederlande, das Herzogtum Mailand und das Königreich Neapel. Sie waren die Könige von Portugal und Spanien und herrschten in Amerika.«

»Das war ein gewaltiges Reich«, stimmte Coco zu.

»Die Habsburger traten unnachgiebig für die katholische Kirche ein. Sie verfochten diese Überzeugung so verbissen, dass es zwangsläufig zu einer Konfrontation kommen musste. Und es kam dazu. Bedauerlicherweise, wie ich heute sagen muss. Der Dreißigjährige Krieg war für Deutschland fürchterlich.«

»Hätte dieser schreckliche Krieg nicht vermieden werden können?«, erkundigte sich Coco.

»Das ist eine interessante Frage, mit der ich mich schon früher auseinandergesetzt habe. Tja, möglicherweise wäre alles anders gekommen, wenn nicht Ferdinand als Kaiser gewählt worden wäre. Und diese Wahl war eine komplizierte Angelegenheit.«

»Erkläre es mir bitte.«

Dorian unterbrach seine Wanderung im Zimmer und blieb vor Coco stehen.

»Es gab sieben Kurfürsten in Deutschland«, erzählte der Dämonenkiller weiter. »Sie waren die eigentlichen Herren des Reiches, denn nur mit ihrem Einverständnis konnte der Reichstag zusammentreten und der Kaiser gewählt werden. Den Vorsitz im Fürstenkollegium hatte der Kurfürst von Mainz, der zusammen mit den Kurfürsten von Trier und Köln die bedeutendsten waren. Diese drei vertraten die katholische Kirche. Macht hatten sie aber nur wenig. Die vier anderen waren die Kurfürsten der Pfalz, Brandenburgs, Sachsens und der König von Böhmen. Und mit dem König von Böhmen hatte es so seine eigene Bewandtnis. Er war tatsächlich ja kein Reichsfürst, sondern ein unabhängiger Monarch. Er durfte nur bei der Kaiserwahl mitstimmen, konnte aber sonst nie in die inneren Angelegenheiten des Reiches eingreifen.«

»Die Habsburger stellten doch schon seit fast einem Jahrhundert den König von Böhmen, nicht wahr?«

»Stimmt. Und am 17. Juni 1617 wählten die Böhmen Ferdinand von Steiermark zu ihrem König. Das passte dem protestantischen Kurfürsten Friedrich von der Pfalz überhaupt nicht, der selbst gerne König von Böhmen geworden wäre. Die Stimmung unter der Bevölkerung Böhmens war gegen die Habsburger. Ferdinand traf alle möglichen harten Maßnahmen gegen die Protestanten. Es kam zum Aufstand – zum Prager Fenstersturz. Nun sah Friedrich seine Chance. Am 26.8.1619 wählten die böhmischen Rebellen ihn zu ihrem König.«

»Aber da war doch bereits Kaiser Matthias gestorben!«

»Das ist richtig. Und es ist auch irgendwie kurios, dass am 28. August die sieben in Frankfurt versammelten Kurfürsten oder ihre Stellvertreter einstimmig Ferdinand zum neuen Kaiser wählten. Nun war Friedrichs Position als König von Böhmen unhaltbar geworden. Kaiser Ferdinand verbündete sich mit dem mächtigen und reichen Maximilian, Herzog von Bayern. Auch Johann Georg, der Kurfürst von Sachsen, schlug sich auf die Seite des Kaisers. Im Sommer kam es zur entscheidenden Schlacht. Maximilian kam mit einem 25.000 Mann starken Söldnerheer der Katholischen Liga nach Böhmen. Am 8. November schlug Maximilians Heer die Truppen Friedrichs in der Schlacht am Weißen Berg, in der Nähe von Prag. Maximilian eroberte Prag, und Friedrich floh nach Holland. Ferdinand bekam die böhmische Krone zurück.«

Der Dämonenkiller setzte sich und steckte sich eine neue Zigarette an. Das Gespräch über den Dreißigjährigen Krieg hatte ihn nicht weitergebracht. Er konnte sich nicht an sein sechstes Leben erinnern.

Er war die Reinkarnation des Barons Nicolas de Conde, der sich um 1484 um den Preis der Unsterblichkeit dem Fürsten der Finsternis verschrieben hatte. Seit fast fünfhundert Jahren wanderte nun seine Seele von einem Körper in den anderen – und immer hatte er gegen die Schwarze Familie gekämpft. Doch es hatte immer einige Zeit gedauert, bis er sich an seine früheren Leben hatte erinnern können. Es war, als würde eine Sperre vor seinen Erinnerungen liegen. Er konnte nicht beliebig die Erinnerung an seine früheren Leben wecken. Deutlich konnte er sich seiner Leben als Juan Garcia de Tabera, Georg Rudolf Speyer, Michele da Mosto und Tomotada entsinnen. Doch wer war er in seinem sechsten Leben gewesen?

»Ich kann mich nicht erinnern«, sagte der Dämonenkiller missmutig, als er die Zigarette ausgeraucht hatte. Plötzlich horchte er auf und runzelte die Stirn. »Ich glaube, wir haben Besuch bekommen.«

Es war genau ein Uhr dreißig.

»Um diese Zeit?«, wunderte sich Coco. »Wir wären verständigt worden. Niemand kann unbemerkt ins Castillo Basajaun eindringen.«

»Einer kann es«, sagte Hunter und sprang aus dem Bett. »Olivaro!«

»Olivaro«, flüsterte Coco verblüfft.

 

Olivaro stand in der Bibliothek und studierte aufmerksam die Buchrücken. In der linken Hand hielt er einen dünnen Reclam-Band.

»Sei herzlich willkommen«, sagte Dorian.

Langsam wandte sich Olivaro ihnen zu. Auf den ersten Blick hätte man ihn für einen erfolgreichen Manager halten können, doch dieser Eindruck trog, denn Olivaro war kein Mensch. Er war ein Januskopf, der im Jahr 777 von seiner Heimatwelt Malkuth zur Erde geschickt worden war.

Aufmerksam musterte der ehemalige Herr der Schwarzen Familie Coco, deutete eine leichte Verbeugung an, dann nickte er Dorian zu.

»Entschuldigt bitte mein überraschendes Auftauchen«, sagte Olivaro mit wohlklingender Stimme.

»Steckst du in Schwierigkeiten, Olivaro?«, erkundigte sich Coco.

Er lächelte leicht. »Nein, doch Dorian hat ein Problem. Seit ein paar Nächten verfolgen ihn Albträume.«

»Woher weißt du das?«, fragte Dorian überrascht.

»Ich habe dir mein zweites Gesicht geschenkt«, meinte Olivaro.

»Dafür kann ich dir nicht genug danken, Olivaro, doch es erklärt nicht, weshalb …«

»Lass es gut sein, Dorian. Zwischen uns besteht eine seltsame Verbindung, die ich nicht erklären kann. Ich bin gekommen, da ich dir helfen will.«

»Setzen wir uns«, sagte Dorian erstaunt. »Darf ich dir etwas anbieten?«

»Eine Tasse Kaffee wäre nicht übel.«

»Schon verstanden«, sagte Coco. Sie betrat einen kleinen Nebenraum und ließ die Tür offen.

Olivaro nahm in einem Sessel Platz, lehnte sich zurück und verbarg das gelbe Büchlein zwischen seinen Händen, dann starrte er Dorian durchdringend an.

»Du versuchst vergeblich, dich an dein sechstes Leben zu erinnern, Dorian.«

»Stimmt, doch ich habe ein wenig Angst davor. Fast immer wurde zwischen der Vergangenheit und Gegenwart eine Verbindung hergestellt, die nichts Gutes brachte.«

Der Januskopf warf Coco einen Blick zu, den der Dämonenkiller nicht deuten konnte. Fast wirkte er ... bedauernd? »Diesmal besteht diese Gefahr nicht«, behauptete er dann jedoch. »Du musst den Schleier zu deiner Erinnerung lüften, Dorian, sonst wirst du verrückt.«

»Das befürchte ich auch«, sagte Dorian schwach. »Als Schwarzer Samurai starb ich 1610. Wer war ich in meinem sechsten Leben? Heute träumte ich ein paar Szenen, die aus dem Dreißigjährigen Krieg stammen könnten.«

Olivaros Körper straffte sich. »Tatsächlich? Und was?«

»Von einer Frau.«

Wieder ging der Blick des Januskopfs durch die Tür zu Coco, als fürchte er, Dorians Gefährtin könne eifersüchtig auf seine Begleiterinnen aus früheren Leben sein. »Kanntest du sie?«

»Sie hieß Libussa.«

»Oh! Das ist sehr gut.«

»Warum?«

»Weil das zeigt, dass die Erinnerung langsam an die Oberfläche kommt.«

»Was weißt du über den Dreißigjährigen Krieg?«

»Ein wahrhaft düsteres Kapitel in der Geschichte der Menschheit«, stellte Olivaro fest. »Dagegen ist das angeblich so finstere Mittelalter eigentlich direkt gemütlich zu nennen.«

»Du musst es beurteilen können.«

»Ich kann es. An der Entwicklung bist du nicht ganz unschuldig, denk an dein Leben als Nicholas de Conde.«

»Lieber nicht. Welche Rolle haben du und die Schwarze Familie im Dreißigjährigen Krieg gespielt? Haben die Dämonen wieder in mein Leben eingegriffen? Dein Erscheinen als Heinrich Cornelius Mudt und als Kokuo in meinen früheren Leben lassen nur Böses ahnen.«

Olivaro lachte sarkastisch. Aber es klang verunsichert.

Coco kam zurück und schenkte den Kaffee ein, dann ließ sie sich neben Dorian nieder.

»Für die Schwarze Familie war der Krieg höchst vergnüglich«, schaltete sich Coco in die Unterhaltung ein. »Den Hexenwahn nützten die Dämonen weidlich aus. Und die Ghoule erlebten ihre Hochblüte.«

»Es waren goldene Zeiten für die schleimigen Leichenfresser«, stimmte Olivaro zu. »Vielleicht sollte ich einmal die Menschheitsgeschichte von meiner Warte aus niederschreiben.«

»Das wäre allerdings interessant, mein Lieber«, sagte Coco wütend. »Wie viele Menschen hast du ins Unglück gerissen, Olivaro? Du hast sie beeinflusst, bist unter diversen Masken aufgetreten und hast ein stinkendes Süppchen gekocht!«

»Wir wollen nicht alte Wunden aufreißen«, warf Dorian beruhigend ein.

»Warum nicht?«, fragte Olivaro belustigt. »Coco spricht die Wahrheit. In der Vergangenheit waren wir erbitterte Feinde, mein Freund. In den Augen der Menschheit war ich ein Schurke, eine Bestie, die den Tod verdient hatte. Doch nach den Gesetzen der Schwarzen Familie war ich ein würdiger Dämon, dessen Bosheit und Schlechtigkeit man rühmte.«

»Was war deine Aufgabe beim Prager Fenstersturz, Olivaro?«, fragte Coco, die sich immer noch nicht beruhigt hatte.

»Damit hatte ich nur indirekt zu tun«, antwortete der Januskopf ausweichend.

»Ha!«, brummte Coco verächtlich. »Ich weiß, dass sich unter den böhmischen Adeligen einige Dämonen versteckten, die in den Hradschin eindrangen und die von Ferdinand eingesetzten Statthalter samt ihrem Sekretär aus einem Fenster warfen.«

»Die drei hatten ja Glück im Unglück, denn sie landeten auf einem Misthaufen und blieben am Leben. Ich war übrigens nicht dabei, Coco.«

»Welche Seite hast du unterstützt, Olivaro? Die Protestanten oder die Katholiken?«

Olivaro schien sich über Cocos Ärger zu amüsieren. »Ich wechselte häufig die Seiten«, schürte er das Feuer. »Jahre später gehörte ich einer ganz anderen ... Gruppierung an.«

»Tatsächlich?«, hakte Dorian nach. »Erzähl uns mehr darüber.«

»Nein!« Olivaros Antwort klang harsch. »Nicht jetzt. Vielleicht auch nie. Ich hätte gar nicht davon anfangen sollen.«

»Selbst schuld«, sagte Coco. »Aber wir können davon ausgehen, dass du dir von dieser Gruppierung einen Vorteil versprochen hast.«

»Selbstverständlich.«

»Das habe ich mir gedacht«, höhnte Coco. »Das entspricht ganz deiner Natur.«

Olivaro ignorierte diese Bemerkung. »Zurück zu deiner Frage nach den Protestanten und Katholiken. Du hast noch eine Gruppe vergessen. Es gab viele Anhänger, die an die Macht des Übersinnlichen und Unerklärlichen glaubten. Tausende fanden Zuflucht im Okkultismus und gaben sich der Schwarzen Magie hin. Die Bewohner Deutschlands glaubten an Hexen, und viele beteten den Teufel an.«

»Dahinter steckte die Schwarze Familie«, sagte die noch immer zornige Coco.

»Nicht ausschließlich. Ein wenig allerdings wurde diese Bewegung schon von ihr gesteuert.«

Die ehemalige Hexe der Schwarzen Familie schwieg. Sie wusste, dass Olivaro recht hatte. Nicht alles konnte man auf die Dämonen schieben.

»Genug der Diskussion«, sagte Dorian.

»Mit Coco habe ich schon immer gerne gestritten«, meinte Olivaro lächelnd. »Doch das verschieben wir auf später. Wir wollen deine Erinnerungen wecken, entspanne dich, Dorian.«

Gehorsam machte es sich der Dämonenkiller bequem.

»Dieses Büchlein hast du sicher irgendwann einmal gelesen, oder?«, fragte Olivaro und hielt die Reclam-Broschüre hoch.

Dorian nickte. »Natürlich.«

Es war der berühmte Roman »Lebensbeschreibung der Erzbetrügerin und Landstörzerin Courasche« von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen.

Olivaro schlug das Buch auf, blätterte darin und suchte eine bestimmte Stelle. »Das XI. Kapitel«, sagte er leise. »Nachdem Courage anfähet, sich fromm zu halten, wird sie wieder unversehens zu einer Wittib.« Langsam las er weiter, nach ein paar Sätzen hob er den Kopf und blickte Dorian an. »Weckt das eine Erinnerung in dir?«

»Nein«, sagte Dorian kopfschüttelnd.

»Lies du weiter vor, Coco. Du blickst mir jetzt in die Augen, Dorian.«

Cocos Stimme war einschmeichelnd und wurde zu einem Singsang. Olivaros Augen flackerten, und ein gelber Schein ging von seinem Hinterkopf aus.

Der Dämonenkiller versank in einen tranceähnlichen Zustand.

»Mich selbst aber mundierte ich wieder wie vor diesem mit Pferd, Gewehr, Sattel und Zeug, und also staffiert kamen wir bei den Häusern Gleichen zu der Tillyschen Armee, allwo ...«

»Gleichen«, flüsterte Dorian.

»Zwei Burgen südöstlich von Göttingen«, sagte Olivaro. »Erinnere dich, Dorian. Wie war dein Name? Erinnere dich!«

Der Dämonenkiller schloss die Augen.

»Gleichen«, sagte er tonlos. »Es waren drei Burgen. Sie lagen zwischen Arnstadt und Gotha. Die drei Hochburgen hießen Wachsenburg, Mühlberg und Gleichen. Ich war dort. Undeutlich kann ich mich erinnern. Es war fürchterlich heiß. Ich saß auf einem Zigeunerwagen …«

»Konzentriere dich, Dorian«, sagte Olivaro drängend.

Wie war sein Name damals gewesen? Dorian öffnete die Augen einen Spalt. Die Luft schien vor seinen Augen zu flimmern, die Wiesen waren verbrannt, der Himmel war tiefblau und wolkenlos. Nur das Knarren der Räder und das Schnauben der durstigen Pferde waren zu hören. Ein paar Schwalben flogen über den Wagen hinweg.

Irgendjemand berührte seinen Arm.

»Gabor«, sagte eine sanfte Stimme.

»Gabor!«, rief Dorian überrascht aus. »So nannte mich Janko!«

Der Bann war gebrochen.

Er konnte sich wieder erinnern …

 

 

2. Kapitel

 

August, 1626

»Gabor!«

Die Stimme klang überraschend laut. Ich hob den Kopf und blickte Janko an, der neben mir auf der Plattform des alten Zigeunerwagens saß.

»Du hast schon wieder geträumt, Gabor«, stellte Janko fest.

»Ich habe geschlafen«, sagte ich unwillig und rieb meine Augen.

Böse blickte ich Janko an, der etwa in meinem Alter war. Genau wusste das niemand – und es interessierte auch keinen Menschen. Er war vor etwa vier Jahren zu uns gestoßen. Bethela hatte ihn in einer Scheune eines gebrandschatzten Gutshofes gefunden. Seit dieser Zeit waren wir ständig zusammen gewesen. Wir waren Freunde, ja wir verhielten uns fast wie Brüder.

»Glaubst du, dass wir auf die Kaiserlichen stoßen werden?«, fragte Janko.

Ich brummte unwillig. »Deshalb hast du mich geweckt?«

»Mir ist langweilig. Ich will mich unterhalten.«

»Ich habe keine Lust dazu«, meinte ich.

Der Wagen mit dem fassförmigen Aufbau wurde ordentlich durchgerüttelt. Ludomils lautes Schreien war zu hören, der die ausgemergelten Pferde antrieb.

»Die Lage sieht nicht allzu rosig für die Protestanten aus«, sagte Janko und blickte mich an.

Sein hübsches Gesicht war von der Sonne dunkelbraun gebrannt. Bekleidet war er, so wie ich, mit einer oftmals geflickten Hose, zerschlissenen Stiefeln, einem farblosen Hemd und einer Jacke aus grobem Stoff. Um den Hals trug er ein rotes Tuch, und sein Haar steckte unter eine Kappe, die er trotz der Hitze niemals abnahm.

»Zum Teufel mit den Protestanten und den Katholiken«, brummte ich. Mir persönlich war es vollkommen egal, wer als Sieger aus den laufenden Scharmützeln hervorgehen würde.

»Christian von Braunschweig ist tot«, sprach Janko weiter. »Angeblich sollen seine inneren Organe von einem Riesenwurm zerfressen worden sein. Dabei war er erst achtundzwanzig Jahre alt.«

»Ist nicht schade um ihn«, stellte ich fest.

Vor drei Jahren hatten wir uns den Tillyschen Truppen angeschlossen. Am 6. August 1623 war es zum Kampf zwischen Christian und Tilly gekommen. Das war in der Nähe des Dörfchens Stadtlohn geschehen. Es war eine fürchterliche Schlacht gewesen, die ich aus der Ferne verfolgt hatte. Mehr als sechstausend Mann von Christians Truppe fielen in dieser Schlacht, und über viertausend wurden gefangen genommen. Tilly hatte sechzehn Kanonen und alle Munition erbeutet. Christian war die Flucht gelungen. Mit zweitausend Mann hatte er die holländische Grenze überquert.

»Überraschenderweise hat sich Mansfeld wieder gefangen. Das hätte ich nach der verheerenden Schlacht an der Dessauer Brücke nicht mehr für möglich gehalten.«

»Mansfeld soll der Teufel holen«, sagte ich aus tiefstem Herzen. »Du warst damals noch nicht bei uns.«

Es war vor sechs Jahren. Nicht umsonst wurde damals der Spruch geprägt: Gott helfe denen, wo Mansfeld hinkommt.

»Er kämpft zwar für die Protestanten, aber ihre Sache interessiert ihn herzlich wenig. 1620 waren wir im Elsass. Wir flohen vor ihm nach Straßburg. Seine Truppen verwüsteten das Land. Sie brannten alles nieder. In den katholischen Kirchen brachen sie Christusfiguren von den Kreuzen, die sie dann auf den Bäumen aufhängten. Niemand wagte, Straßburg zu verlassen.«

»Tilly ist auch nicht besser«, stellte Janko amüsiert fest. »Der ›geharnischte Mönch‹ hat mal Jesuit werden sollen. Und wir haben vergangenen Winter erlebt, wie sich seine Leute in Hildesheim aufgeführt haben. Um nichts besser als Mansfelds Truppe. Niemand war vor ihnen sicher. Sie steckten unzählige Dörfer in Brand, raubten das Vieh und ermordeten die Bauern. Sie verwüsteten die Kirchen. Erinnere dich nur an den Pfarrer, dem sie die Hände und Füße abhackten, als er sich ihnen entgegenstellte. Sie gingen sogar auf ihre eigenen Glaubensgefährten los. Sie benahmen sich im Kloster von Amelungsborn unmenschlich. Dort zerschlugen sie die Orgel, zerfetzten die Messgewänder und raubten die Kelche. Dann schändeten sie die Gräber der Nonnen.«

»Ich denke nicht daran, Tilly in Schutz zu nehmen«, sagte ich heftig. »Ich kann ihn genauso wenig wie Mansfeld leiden. Auch Christian von Dänemark und Wallenstein sind mir zuwider. Dieser ganze Krieg ist sinnlos. Beide Seiten behaupten von sich, Christen zu sein, doch sie benehmen sich wie unzivilisierte Wilde.«

»Sieh mal einer an«, freute sich Janko. »Endlich hast du dich meiner Meinung angeschlossen. Uns geht der Krieg nichts an. Wir sind neutral. Wir versuchen nur zu überleben. Und wir wollen es uns mit keiner Seite verderben. Es ist …«

Er brach ab, als der Wagen hielt.

Rasch sprang ich ab, riss die Tür auf und machte einen Satz ins Freie. Der Wagen stand in einem kleinen Tal. So weit man blicken konnte, erstreckten sich endlose Fichtenwälder. Irgendwo sang ein Rotkehlchen. Rasch blickte ich mich um. Kein Mensch war zu sehen. Als ich um den Wagen herum ging, kam mir Bethela entgegen, bei der ich mich nun schon seit über acht Jahren befand. Sie war eine hochgewachsene, kräftige Zigeunerin, deren Alter nur schwer zu bestimmen war. Sie war bestimmt über vierzig, wirkte aber trotz ihres Alters immer noch ungeheuer anziehend auf Männer. Ihr Haar war pechschwarz, das runde Gesicht überaus anziehend. Wunderschön waren ihre großen schwarzen Augen. Sie war mit einem einfachen Gewand bekleidet, das aber die Fülle ihres Busens unterstrich.

»Weshalb halten wir, Bethela?«, fragte ich.

Breit grinsend zeigte sie mit dem rechten Daumen auf ihren Magen. »Ich habe Hunger«, sagte sie mit tiefer Stimme. »Geh Holz suchen, Gabor.«

Ich gehorchte augenblicklich. Rasch ging ich an den Pferden vorbei, die Ludomil eben ausschirrte. Ich winkte ihm flüchtig zu, und er grinste mich an. Ludomil war nicht gerade ein hübscher Anblick. Sein pockennarbiges Gesicht war fast schwarz. Er war Bethela hündisch ergeben. So wie Bethela sprach er nicht über seine Vergangenheit. Ich wusste nur, dass er aus Mähren stammte. Mal gab er sich als Bethelas Mann aus, dann behauptete er wieder ihr Onkel zu sein oder auch ihr Bruder, und sogar als ihren Vater hatte er sich ein paarmal bezeichnet. Er war ein wunderlicher Kauz, der einen Tag Bethela verfluchte und sie am nächsten Tag wieder lobte. Einmal hatte er erwähnt, dass die ›Zigeunerin‹, wie er Bethela meist nannte, ihm das Leben gerettet hatte. Aber mehr war aus ihm nicht herauszubringen gewesen.

Langsam betrat ich den Wald. Ich fand ein paar Pilze und genügend Holz, um ein großes Feuer zu entfachen.

Das Holz gab ich Ludomil, der sofort ein Feuer entfachte.

Ich lehnte mich an den fassförmigen Wagen, der auf beiden Seiten den Namen der Zigeunerin trug. Darunter standen einige Bezeichnungen wie »Die Wunderheilerin« und »Die Wahrsagerin«. Sie verkaufte ziemlich viel von ihrer selbst gebrauten Medizin, die sogar gelegentlich half. Und abergläubischen Leutchen las sie aus den Händen und schlug ihnen die Karten auf. Früher war dieses Geschäft recht einträglich gewesen, doch jetzt hatten die Leute kein Geld.

Janko hatte Wasser geholt, und Bethela war dabei, das einfache Mahl zu bereiten. Geld hatten wir nur wenig, aber auch wenn wir reich gewesen wären, hätte das unsere Situation nicht gebessert. Das Land war verwüstet, die Bauernhöfe niedergebrannt. Wir stahlen, wo es nur etwas zu stehlen gab. Aber viel war es nicht.

Ich konnte mich kaum mehr daran erinnern, wie Fleisch schmeckte. Seit Tagen hatten wir nur von Buchweizenpfannkuchen, Kartoffeln und Brot gelebt. Die Pilze, die ich gefunden hatte, waren eine willkommene Abwechslung. Ich würgte den Pfannkuchen hinunter und aß ein paar im Feuer gebratene Kartoffeln. Die Pilze, die in einer köstlichen Soße schwammen, waren viel zu wenig gewesen. Ich beschloss, nach dem Essen nochmals in den Wald zu gehen und nach weiteren Pilzen zu suchen. Wir waren kaum mit dem Essen fertig, als Ludomil aufsprang.

»Blickt nach rechts«, sagte er. »Wir bekommen Besuch.«

Ich sprang auf. Ludomil hatte wahre Adleraugen. Es dauerte ein paar Sekunden, bis auch ich die Reiter sah.

»Es sind Kaiserliche«, stellte Ludomil fest, der die Augen zu schmalen Schlitzen geschlossen hatte.

»Bist du sicher?«, fragte Bethela.

»Ganz sicher«, brummte Ludomil. »Ich kann deutlich die roten Schärpen sehen.«

»Das hat nicht viel zu bedeuten«, meinte Janko. »Es können Protestanten sein, die sich die Schärpen und Feldzeichen beschafft haben.«

Jetzt waren die Reiter deutlicher zu sehen. Nun erblickte ich auch die roten Schärpen. Es waren zehn Reiter, die rasch näherkamen. Sie hatten uns entdeckt und ritten auf uns zu.

»Der Anführer der Reiter ist Leutnant Sommerfeld«, stellte Ludomil fest.

Ich beneidete ihn um seine scharfen Augen. Und tatsächlich, er hatte sich nicht getäuscht. Es war Sommerfeld, den wir vor ein paar Monaten getroffen hatten. Er hatte sich sehr für Bethela interessiert, und sie hatte ihm öfters ihre Gunst geschenkt.

Der Leutnant riss den rechten Arm hoch und parierte seinen mächtigen Grauschimmel, der in Trab fiel und gemächlich auf uns zutrottete. Sommerfeld war eine eindrucksvolle Erscheinung. Ein wahrer Riese. Er sprang vom Pferd und hob Bethela hoch, warf sie in die Luft und fing sie auf. Er lachte dröhnend, umarmte sie und drückte ihr einen geräuschvollen Kuss auf die Lippen. Bethela kreischte begeistert wie ein kleines Mädchen.

»Das ist ein gutes Omen, dass ich dich treffe, Bethela«, freute sich der Leutnant. »Du wirst uns Glück bringen.«

Die Soldaten waren langsam nähergekommen. Sie blieben auf den Pferden sitzen und starrten Bethela lüstern an. Sie waren verwegen aussehende Kerle mit brutalen Gesichtern.

»Wohin geht es?«, fragte Bethela.

»Gegen den Dänenkönig«, sagte der Leutnant. »Christian hat sein Hauptquartier in Braunschweig verlassen. Er ist auf dem Weg nach Thüringen. Aber wir werden uns ihm entgegenstellen. Und der Sieg wird unser sein.«

»Ist Wallenstein bei euch?«, fragte Bethela.

Sommerfeld schüttelte den Kopf. »Wallenstein verfolgt Mansfeld. Wir reiten zu Wallenstein, um Verstärkung zu holen. Ich habe keine Zeit zu verlieren.«

Er küsste nochmals Bethela, dann schwang er sich auf sein Pferd.

»Wo sind Tillys Truppen?«, rief sie ihm nach.

»Sie lagern in der Nähe der Burg Gleichen. Ihr könnt sie nicht verfehlen. Bis bald, Bethela.«

Er winkte ihr nochmals zu, schrie seinen Männer einige Befehle zu und trieb sein Pferd an.

»Willst du dich wirklich Tillys Truppen anschließen, Bethela?«, fragte ich.

Die Zigeunerin blickte mich flüchtig an. »Ich bin mir nicht sicher, ob das besonders klug ist.«

»Bei Tilly sind wir wenigstens sicher«, schaltete sich Janko ein.

Bethela zögerte noch immer. »Ich werde die Karten befragen«, sagte sie schließlich und stieg in den Wagen. Janko folgte ihr.

Mich interessierte der ganze Hokuspokus, den Bethela veranstaltete, recht wenig, doch Janko interessierte sich sehr für die Geheimnisse der Magie – wie er es nannte. Für mich waren es nur faule Tricks. Ich wusch das Geschirr und die Kessel in einem nahe gelegenen Bach, während Ludomil die Pferde einspannte.

Als ich zurückkam, saß Ludomil bereits auf dem Kutschbock.

»Wie hat sich Bethela entschieden?«, fragte ich.

»Wir fahren zu den Kaiserlichen!«

Ich zuckte die Schultern, trug das Geschirr in den Wagen und kletterte zu Ludomil auf den Wagen.

»Los, ihr verdammten Stinktiere!«, brüllte er und schnalzte mit der Peitsche.

Die zwei alten Pferde setzten sich langsam in Bewegung. Ludomils aufmunternde Schreie beeindruckten die Rösser überhaupt nicht. Sie waren daran gewöhnt und kannten Ludomils Gutmütigkeit, der sie höchst selten schlug.

Ich schlüpfte aus meiner Jacke und dem Hemd und lehnte mich zurück. »Kennst du den Weg zur Burg Gleichen?«

Ludomil nickte. »Ich war vor vielen Jahren einmal dort. Vermutlich sind wir in zwei Stunden dort.«

»Weshalb hat sich Bethela entschlossen, doch zu Tilly zu fahren?«

»Die Karten waren nicht günstig. Aber nach Bethelas Meinung ist es besser, wenn wir bei den Kaiserlichen bleiben.«

»Ich verstehe nicht, dass sie an diesen faulen Zauber selbst glaubt.«

»Das ist kein fauler Zauber«, sagte Ludomil ernst.

»Glaubst du vielleicht auch an die Wirkung der Karten?«

»Die Karten haben keine Wirkung. Sie zeigen aber dem Eingeweihten Gefahren an, die vor ihm liegen. Er ist dadurch gewarnt und kann sich darauf einstellen.«

»Demnach ist die Aussage der Karten nicht unveränderlich?«

»Du sagst es, Gabor.«

»Ha, dann hat man aber nie einen Beweis dafür, dass die Karten die Wahrheit zeigen.«

»Das stimmt nicht. Manche Dinge sind unabwendbar. Zeigen die Karten Krankheit und Tod an, dann trifft dies auch immer ein.«

»Das glaube ich eben nicht.«

Ludomil presste verärgert die Lippen zusammen. Er packte die Zügel fester und schrie wieder auf die Pferde ein. Ein deutliches Zeichen, dass er keinen Wert auf eine Unterhaltung legte.

Die Hälfte meines Lebens war ich nun schon mit der Zigeunerin und Ludomil zusammen, aber noch immer wusste ich nicht viel über die beiden. Einige Leute behaupteten, dass Bethela eine Hexe sei. Als ich ihr davon erzählt hatte, war sie in lautes Lachen ausgebrochen. Das war irgendwann im vergangenen Winter gewesen. Und jetzt fuhren wir zu Tillys Truppen. Hätte ich etwas zu bestimmen gehabt, dann hätten wir uns den Soldaten nicht angeschlossen.

Da Ludomil auf meine Fragen weiterhin beharrlich schwieg, dachte ich über Bethela nach. Vor zwei Jahren waren wir in Bamberg und Würzburg gewesen. Damals hatten auch ein paar Leute die Zigeunerin verdächtigt, eine Hexe zu sein. Hexenverfolgungen waren in dieser Gegend an der Tagesordnung. So wie viele andere einflussreiche Leute war auch Johann Georg II., der Bischof von Bamberg, darauf gekommen, wie leicht man zu Geld kommen konnte. Ein paar harmlose Frauen und Männer wurden der Hexerei und Zauberei beschuldigt und natürlich verurteilt. Nach ihrem Tod strich Johann Georg ihr Vermögen ein. Aber auch die Unbefangensten waren bald stutzig geworden, als immer mehr vermögende Leute der Hexerei angeklagt wurden. Einen der Beschuldigten hatte Bethela recht gut gekannt. Es war der Bürgermeister Junius gewesen, ein allseits beliebter und geachteter Mann, dessen Frau vor einem halben Jahr als Hexe verbrannt worden war. Er war von einem alten Weib beschuldigt worden, am Kauleberg an einem Hexensabbat teilgenommen zu haben. Dort habe er dem Leibhaftigen zum Zeichen seines Gehorsams das Hinterteil geküsst. Junius war über diese Anschuldigung höchst erstaunt gewesen, da er die Alte nie zuvor gesehen hatte. Doch als ihn der Henker zu foltern begann, gestand er alles, was er hören wollte. Er beschuldigte auch einige andere Bürger, darunter seinen Schwager, an der Satansmesse teilgenommen zu haben. Der Bürgermeister behauptete auch, dass Bethela eine Hexe sei, die ihn zum Sabbat mitgenommen habe. Eine Behauptung, die völlig erlogen war, da wir zum damaligen Zeitpunkt in Koblenz gewesen waren. Wir hatten rechtzeitig eine Warnung erhalten, und es war uns die Flucht gelungen. Seither mieden wir Bamberg und Umgebung. Oft schon hatte ich selbst daran geglaubt, dass Bethela eine Hexe war. Sie verhielt sich oft äußerst seltsam und traf sich nachts mit unheimlichen Gestalten.

Erst vor ein paar Tagen war ich mitten in der Nacht aufgewacht. Ich hatte gesehen, dass sich Bethela zu einer nahe gelegenen Ruine begab. Lautlos war ich ihr gefolgt. Sie hatte sich mit drei dunkel gekleideten Gestalten getroffen, die sich mit ihr vergnügt hatten. Danach hatten sie noch lange miteinander geflüstert. Unauffällig hatte ich zu unserem Lager zurückschleichen wollen, war aber von einem der Schrecklichen überrascht worden, der mich hatte töten wollen. Nur das Eingreifen Bethelas hatte das Schlimmste verhindert. Sie hatte mit mir geschimpft und mir befohlen, dass ich ihr niemals mehr nachspionieren dürfe. Auf meine Frage, wer die drei Unheimlichen gewesen waren, hatte sie geschwiegen und nur beiläufig gesagt, dass ich mich um meine Angelegenheiten kümmern sollte. Sie war eine ungewöhnliche Frau. Immer wieder hatten wir in höchster Gefahr geschwebt, doch immer hatte sie einen Ausweg gewusst.

Ich schreckte hoch, als mir Ludomil einen Stoß in die Rippen versetzte.

»In ein paar Minuten erreichen wir die Burg«, sagte er.

Er fuhr an ein paar verbrannten Bauernhäusern vorbei und traf auf einen Weg, der schon lange nicht mehr befahren worden war. Wir ließen ein kleines Wäldchen hinter uns, und dann sah ich die Burg und Tillys Lager. Die Burg war ein wenig beeindruckender Bau. Rundherum waren die großen Zelte aufgestellt. Hunderte von Wagen waren zu sehen.