Inhaltsverzeichnis

Fußnoten

Zitat aus Carlo Schmids »Erinnerungen« mit freundlicher Genehmigung des S. Hirzel Verlags (Stuttgart: 2008)

Foto: © Philipp Niermann

Der Rhein und seine Hauptnebenarme

Wo fängt das Rheinland an und wo hört es auf?

Schon ein flüchtiger Blick auf die Karte, die den Rhein und seine Hauptnebenarme darstellt, zeigt, wie unwahrscheinlich groß das Einzugsgebiet dieses mächtigen Stroms ist.

Wenn Sie jetzt noch zu den Hauptnebenarmen all die Nebenflüsschen sähen, die die Hauptnebenarme in den vielen Ländern speisen, durch die der Rhein fließt, von Österreich angefangen über die Schweiz, Frankreich, Luxemburg, Belgien, die Niederlande, Polen und Tschechien, hätten Sie immer noch nicht das wirkliche Einzugsgebiet unseres Vater Rhein vor Augen.

Dazu müssten Sie noch unbedingt Folgendes miteinbeziehen:

erstens die Tatsache, dass der Gotthardtunnel ursprünglich ein römischer Aquädukt war, besser: Äquadukt, wie der Rheinländer gerne sagt, der für den Wasserausgleich cisalpin-transalpin sorgte – entstanden als Teil der Hannibal’schen Strategie, »Italien fluten«, die aber am Widerstand der Schweizer scheiterte, die den Vierwaldstätter See nicht freigaben;

zweitens, dass die gewaltigen Wasserstraßen, die den Rhein mit allen europäischen Strömen verbinden – ich sage nur Canal du Rhône au Rhin, Hamm-Datteln-Kanal, Main-Donau-Kanal, Wolga-Don-Ostsee-Kanal, vom Hong-Gou-Kanal und dem Kaiserkanal ganz zu schweigen –, zu einer gewaltigen eurasischen Vernetzung unseres Stroms geführt haben;

drittens, dass das Grundwasser unter dem eurasischen Kontinent über den atlantischen Rücken und den Marianengraben alle Kontinente außer Australien mit dem Rhein verbindet.

So gesehen – und so muss man es sehen – ist unser Rhein ein Strom, der die ganze Welt umspannt. So gesehen fängt das Rheinland nirgends an, hört aber auch nirgends auf.

So einfach und so schön ist das!

Der Rheinländer – woher er kommt

Einige längst schon fällige Richtigstellungen

Die Schlacht im Lohmarer Wäldchen

Eine nötige Korrektur der leider immer falsch geschilderten -Ereignisse um die Varusschlacht im Jahre 9 nach Christus

Es gibt ein Ereignis, das die europäische Geschichte nachhaltigst beeinflusst, nein, geprägt hat, ein Ereignis, das seit 2000 Jahren die Welt bewegt, ein Ereignis, das wie kaum ein anderes die Welt umgewühlt hat. Höchstens der Einzug der Karnevalsgesellschaft »Die Hunnen von 395« unter ihrem Präsidenten Attila und ihrer Lieblichkeit Kriemhilde in Köln-Longerich hat ähnlich umwälzende Wirkung gehabt. Was ich meine, ist die Schlacht im Teutoburger Wald – wobei schon das eine historische Unkorrektheit ist –, genauer, die Varusschlacht.

Die Bedeutung der Varusschlacht – wo immer sie auch stattgefunden haben mag, aber dazu kommen wir noch –, also ihre Bedeutung für die Welt, ist klar und kann als bekannt vorausgesetzt werden. Hätten die Römer diese Schlacht gewonnen, wer weiß, ob so wundervolle Städte wie Bielefeld, Gütersloh oder Velbert jemals entstanden wären, Perlen nordrhein-westfälischen Städtebaus, zu Gebäuden und Plätzen geronnenes Lebensgefühl! Und wäre der Römer im Linksrheinischen geblieben, wo er sowieso schon bei seinem Erscheinen von der rheinischen Mentalität überwältigt wurde, hätte das wohl alles erst gar nicht stattfinden können.

Ganz abgesehen davon führt von der Varusschlacht und dem Triumph Hermann des Cheruskers eine klare Linie durch die Jahrtausende bis zum 18.Januar 1871, dem Tag der Proklamation des Preußenkönigs Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser im Spiegelsaal von Versailles, dem prunkvollen Gegenstück zum Bernsteinzimmer – dummerweise gab es das da noch nicht und hätte es das wundervolle Bernsteinzimmer schon gegeben, hätten die Preußen dennoch den protzigeren Spiegelsaal vorgezogen, dessen bin ich mir ganz sicher! Wilhelm I. setzte sich ja gerne an die Spitze der germanischen Bewegung und ließ sich, wenn er auch persönlich nicht so tat, als wäre er die Wiedergeburt Hermann des Cheruskers, als princeps germanorum feiern.

Seine Proklamation zum Kaiser führte übrigens dazu, dass die Uraufführung von Verdis Oper »Aida« um ein Jahr verschoben werden musste, weil es nicht gelang, die in Paris geschneiderten Kostüme durch den preußischen Belagerungsring zu schmuggeln, aber das ist eine andere Geschichte.

Der 18.Januar 1871 war übrigens ein Mittwoch, woran man die Hilflosigkeit der Preußen bei der Gestaltung eines festlichen Ereignisses sieht: Mittwoch! Das ist doch kein Tag zum Kaiserkrönen, oder? Wäre den Rheinländern niemals passiert, die hätten das natürlich auf einen Tag um den 5.Januar gelegt, termingleich mit der Prinzenproklamation. Selbst die Westfalen hätten ein sinnigeres Datum gefunden – vielleicht das Fest der hl. Sieglinde, der Patronin der Witwen und der Erfinderin der gleichnamigen Kartoffel. Und die Lipper hätten das Ereignis auf den 27.Juni verlegt – den Siebenschläfertag. Und hätten daraus einen geruhsamen Festakt gemacht – ist ja auch billiger!

Die Bedeutung der Schlacht für die Weltgeschichte ist also klar, die Bedeutung für Nordrhein-Westfalen allerdings noch lange nicht – wobei doch die Schlacht im Teutoburger Wald oder in dessen Nähe im Jahre 9 nach Christus gleichzeitig, und darauf kann das Rheinland ganz besonders stolz sein, die Geburtsstunde von NRW ist. Darauf hat allerdings noch keiner der Historiker verwiesen.

Damit ist Nordrhein-Westfalen nicht nur das älteste Bundesland unseres Staates, es ist auch das älteste Staatengebilde Europas. Kein anderes Land weist eine 2000 Jahre alte Kontinuität auf – vielleicht Liechtenstein, aber das war damals in der Römerzeit noch kein Fürstentum, sondern nur ein Schließfach, in dem Statthalter wie Publius Quinctilius Varus die ein oder andere Briefmarke aufbewahren ließen. Mehr soll der Zumwinkel, der ehemalige Büggel von der Poss, da ja auch nicht liegen haben.

Wie kommt es nun, werden Sie sich fragen, dass die Varusschlacht gleichzeitig die Geburtsstunde von NRW ist – und nicht etwa die von Niedersachsen, wie unsere Nachbarn gerne behaupten! Tz! Osnabrück! Bramsche-Kalkriese! Ja, glauben Sie, dass auch nur ein Legionär das hätte schreiben können: Bramsche-Kalkriese? Also bitte! Geschweige denn den Weg dahin gefunden hätte? Da kann ich doch nur lachen!

Also, das mit der Geburtstunde von NRW hängt mit Hermann dem Cherusker zusammen. Das Hermännchen kam als kleiner Junge mit seinem Brüderchen Flavus nach Rom. Der Papa, der Cheruskerfürst Segimer, von Freunden Siggi genannt, hatte ihn zur Erziehung nach Rom geschickt, quasi als trojanisches Pferd.

Hermännchen wurde römischer Staatsbürger und zum Schein römischer Offizier, seine IM-Identität beim Kaiser Augustus lautete Arminius. Er hatte sich nun nach oben gedient, alles mit dem Ziel vor Augen, den Moment abzuwarten, wo er die Römer mit ihren eigenen Waffen schlagen würde.

Wir haben hier einen Plan vor uns, der in seiner Nachhaltigkeit absolut überzeugend ist: Römertreue vortäuschen, um im entscheidenden Augenblick zuschlagen zu können. Das war offensichtlich damals schon ein hervorstechender Wesenszug der nördlichen Ostwestfalen, was die Cherusker ja waren!

Der Plan war folgender: Hermann sollte als Cherus-kerfürst und scheinbarer römischer Offizier heimlich die Völker in NRW hinter sich bringen, die Chatten, die Brukterer, die Chauken und die Marser, also die Lipper, die Ostwestfalen, die Sauerländer und die Rheinländer, inklusive der Bergischen – was ihm auch gelang, und zwar vollkommen.

Und, da war kein Niedersachse dazwischen, zumindest wird nix davon berichtet und gefunden hat man bei den Ausgrabungen auch keinen. Also: Osnabrück! Phh! Dat wüsst ich abber!

Es hat auch alles geklappt. Im Frühherbst des Jahres 9 war Hermann, oder Arminius, mit seinem Chef, dem Publius Quinctilius Varus, im Weserbergland und sollte jetzt zurück ins Winterlager. Was die beiden im Weserbergland gesucht haben, ist bis heute rätselhaft, vielleicht waren die zur Kur dort, wegen Winseln an der Lues, wer weiß.

Varus übrigens war so ein typischer Besatzungsdrecksack. Schon als er in Syrien Statthalter war, hat man ihm nachgesagt: »Arm betrat er ein reiches Land, reich verließ er ein armes Land.« Hier kann man herauslesen, dass auch er ein Konto in Lichtenstein gehabt haben muss! Also durchaus ein moderner Managertyp, der Varus. Da waren die Römer überhaupt groß drin, wie man an Berlusconi ja auch sehen kann.

Varus soll übrigens über die Westfalen, wie der römische Historiker Velleius berichtet, Folgendes gesagt haben:

»Die Leute dort sind bei aller Wildheit äußerst verschlagen, ein Volk von geborenen Lügnern!«

Eine Frechheit sondergleichen – andererseits: eine brillant-präzise Analyse, oder?! Man sieht, dass Varus stärker dem Rheinland zuneigte, als bisher bekannt war. Umso tragischer ist es, dass er ausgerechnet im Rheinland sein Ende finden sollte.

Nun war Varus also Römerchef in Germanien – wegen seiner Aussaugpolitik war er nicht sonderlich beliebt, normal – und zog mit seinen ca. 25000 Mann Richtung Winterlager. Da hoffte Hermann auf seine Stunde. Die Marschroute war klar: Vom Weserbergland ging es erst mal nach Höxter und von da über Altenbeken, Paderborn, römisch Fons Padrae, und Salzkotten, römisch Casa Salsa, nach Erwitte. Das weiß man deshalb, weil man dort eine altrömische Anrichte fand.

Genauer gesagt, war das so: Jeder höhere römische Offizier hatte das Recht auf eine Umgebung in seinem Zelt, die ihn ein bisschen an zu Hause erinnerte, das war das Sofa mit Beistelltischchen, auf dem die Bilder der Frau und der Kinder zu stehen hatten, ein Windfang vor dem Zelteingang, eine Truhe und eine Anrichte, die von den Legionären etwas spöttisch-vornehm – handelte es sich bei den Offizieren ja durchweg um Mitglieder der feineren Kreise – »Anröchte« genannt wurde. Und davon erhielt der Ort bei Erwitte seinen Namen: Erwitte-Anröchte!

Ob man jetzt über Warstein, römisch Lapis Veritatis, weiterzog oder über Soest, römisch Ita Est, ist nicht ganz sicher. Sicher ist, dass Varus über Werl, Iserlohn, römisch Praemium Ferreum, und Leverkusen, römisch Suavis Cognatus, zog und dort über den Rhein wollte. Ziel war Aachen, römisch Aquae Grani oder Aquisgranum, wo sich die Legionäre in den warmen Thermalbädern von Burtscheid und in den Armen leckerer Eifeler Mädchen in der Antoniusstraße erholen sollten. Hinter Leverku-sen jedoch verirrte sich der wackere Feldherr. Die rheinischen Freunde hatten falsche Markierungen angebracht, dergestalt, dass Varus und seine Legionen über Flittard und Rösrath, römisch Consilium Rosae, an die Agger geführt wurden, direkt ins Dickicht hinter Lohmar, römisch Flamma Maritima, ins berühmte Lohmarer Wäldchen. Und zwar genau dorthin, wo die A3, von Köln kommend, die große Linkskurve macht und man rechts unter der Autobahn die feststehenden Wohnwagen an der Agger stehen sieht.

Das muss übrigens herrlich sein: Du steigst halb erfroren aus dem Wohnwagen in den morgendlichen Nebel, hinter dir die Agger, vor/​über dir die Autobahn, näher an der Natur geht nicht! Dort schlugen Arminius, oder Hermann, wie er sich jetzt wieder nannte, und seine 6000 Widerstandskämpfer zu: Sie bildeten die Vorhut innerhalb des römischen Heeres, weil sie ortskundig waren, lockten die römischen Kollegen in sumpfiges Gelände, verschwanden im Gebüsch und griffen die römische Nachhut an.

Genauso wie im Asterix, wo die Vorhut meldet, dass die Nachhut angegriffen wird, worauf der verwirrte Offizier den Befehl gibt:

»Wenn die Nachhut sich vorgesehen hätte, dann wäre die Vorhut jetzt nicht die Nachhut. Zurück zur Nachhut und Vorhut marsch!«

Damit aber nicht genug der List: Hermann und seine Leute griffen in römischen Uniformen an! Und das war der Hit. Man sieht förmlich die verwirrten Römer mit offenem Munde im Sumpf herumstehen:

»Ja, Moment! Steck mal das Schwert weg, du bist doch Römer, wie …«

Weiter kam der Arme nicht, da lag er schon niedergemetzelt im Sumpf. Grandios. Sie haben die Römer quasi von der Autobahn oben aus fertiggemacht! Genial!

Obwohl mittlerweile klar ist, dass die Varusschlacht nur hier stattgefunden haben kann, wird immer noch die Frage diskutiert, wo denn die Varusschlacht stattgefunden hat. Weil alle Römer getötet wurden, gibt es keine Zeitzeugen, die einem weiterhelfen könnten, und deshalb schlägt hier die Stunde der Archäologen.

Im Laufe der Geschichte haben es 700 Orte zum Ruf gebracht, Ort der Varusschlacht zu sein. Das geht von Augsburg bis zur Nordsee, streut quasi über das ganze Einzugsgebiet vom Rhein, nur, wirklich überzeugende Beweise haben die Archäologen bis heute nicht bieten können, was man sogar beim größten Favoriten, Kalkriese, sehen kann: Statt toller Exponate, die uns überzeugen könnten, sehen wir Dinge wie Erdbeermarmelade aus ganzen Erdbeeren, genannt »Thusneldas Beste«, und Mettwürstchen mit dem Namen »Harter Hermann«! Also wenn das nicht für sich spricht, oder?!

Wir würden hier in NRW doch niemals die Varusschlacht feiern, wenn die in Niedersachsen stattgefunden hätte. Das Ganze hängt damit zusammen, dass der Fürstbischof Ferdinand von Paderborn erst im Jahre 1672 dem Wald den Namen Teutoburger Wald gegeben hat und den Namen dem Tacitus entnommen hat. Das aber heißt: Teutoburger Wald kann vorher überall gewesen sein und ich weiß auch, wo er wirklich war! Die Nieder-sachsen wollen das natürlich nicht zugeben, geht es doch auch um Milliarden von Euros, die die Touristen nach Kalkriese bringen sollen.

Und das haben die Niedersachsen auch alles von langer Hand vorbereitet, zum Beispiel in der zweiten Strophe ihres Niedersachsenliedes, wo es heißt:

»Wo fiel’n die römischen Schergen?

Wo versank die welsche Brut?

In Niedersachsens Bergen,

an Niedersachsens Wut.

Wer warf den römischen Adler

nieder in den Sand?

Wer hielt die Freiheit hoch

im deutschen Vaterland?

Das war’n die Niedersachsen,

sturmfest und erdverwachsen,

Heil Herzog Widukinds Stamm!«

Da lob ich mir doch meinen Heinrich Heine, der zum Hermannsdenkmal in Detmold, für das er übrigens auch gespendet hatte, schrieb:

»Das ist der Teutoburger Wald,

den Tacitus beschrieben,

das ist der klassische Morast,

wo Varus stecken geblieben.

Hier schlug ihn der Cheruskerfürst,

der Hermann, der edle Recke;

Die deutsche Nationalität,

die siegte in diesem Drecke …«

Na gut, heute weiß man es besser, sei’s drum, Heines Zeilen sind dennoch wunderbar!

Und weil die jetzt bei Osnabrück und an der Porta Westfalica – nur, grab irgendwo in unserem Land, es fallen aus jedem Loch paar Römerhelme raus, normal! – wieder mal was gefunden haben, römische Rüstungen, Helme etc. pp., denken die natürlich, aha!, das muss von der Varusschlacht sein. Also war die doch hier – eine Unverschämtheit, nein, eine grenzenlose Dummheit. Wenn die Archäologen genau geguckt hätten, hätten sie innen an den Rüstungen gesehen: »Karnevalskostümverleih Schmitz, Köln, Deutzer Freiheit Nr. 7« und wir hätten die ganze Verwirrung nicht.

Und bei Detmold kann die Schlacht auch nicht gewesen sein, so weit nach Osten ist der Varus gar nicht gekommen, auch wenn die jetzt das Hermannsdenkmal haben.

Übrigens gibt es zum Hermannsdenkmal noch eine interessante Anekdote, die die große Verbundenheit der Westfalen zum großartigen Gründer unseres Landes NRW, Hermann dem Cherusker, beleuchtet. Das Ganze hat mit Johannes Kuhlo zu tun, dem Posaunen-General – ein Leben zwischen Kanzel und Tröt, würde der Rheinländer sagen, weniger despektierlich: ein Leben zwischen Jericho und Hermannsdenkmal.

Johannes Kuhlo ist der Mann, der dem musikalischen Westfalen den etwas zweifelhaften Ruf der Posaunisten-Schmiede gab. Er traute sich noch mit 72 Jahren, das war 1894, zu schreiben:

»Der Zwischenraum zwischen dem ersten Posaunenchor der alten Zeit und dem ersten der Neuzeit ist groß. Die beiden Gründungszeiten fallen fast 3000 Jahre auseinander. Um das Jahr 1000 v.Chr. gründete König David zu Jerusalem den ersten Posaunenchor von 120 Pries-tern (…). Spätestens mit der Zerstörung Jerusalems im Jahre 7o n.Chr. nahm diese Herrlichkeit ein Ende (…). Erst 1842 sollte die Posaunensache wieder aufleben, und zwar in unserer engeren Heimat.«

Die Posaune war für ihn Weckruf und Mittel, »das Reich Gottes auf Erden zu verbreiten«. Inspiriert dazu hatte ihn der Schlachtendonner: Nach der musikalischen Siegesfeier der Schlacht von Sedan 1870 gründete er mit 15 Jahren seinen ersten Posaunenchor. Tausende, Zehntausende von Westfalen fingen an zu hupen, was das Zeug hielt. Hier traf sich einfach alles, was dem Westfalen des letzten Jahrhunderts gefiel: Bodenständigkeit, Frömmelei, ein ungeheures Wir-Gefühl, Lautstärke und Einförmigkeit.

Kuhlos Apotheose war dann 1897 der Empfang des Deutschen Kaisers: Etwa 15000 Posaunen und mehr als 10000 Sänger spielten und hupten beim Empfang des Kaisers am Hermannsdenkmal herum. Ein Wunder, dass das Denkmal überhaupt noch steht.

Googeln Sie einmal das Stichwort »Varusschlacht«. Da sehen Sie, wie viele Städte sich darum streiten, dass die Varusschlacht bei ihnen stattgefunden habe. Besonders interessant ist in dem Zusammenhang Halberstadt. Da gibt es einen selbst ernannten Historiker und Ober-Lateiner, der nachweist, dass natürlich Halberstadt die Stätte der Schlacht war. Ein Siegel krönt seine Website, auf dem steht: Limes Romana – das ist ja schon mal der Hammer, oder?! Gut, dass wir wissen, wo der Limes entlangläuft: durch Halberstadt! Dann weist der vermeintliche Historiker – sein Name ist Rainer Friebe, so jemanden muss man beim Namen nennen, zumal er sich ja freiwillig an die Öffentlichkeit wagt – nach, dass man 2000 Jahre lang das Latein vom Tacitus falsch gelesen habe. Bei Tacitus steht, die Schlacht habe »haud procul teutoburgiensi saltu …« stattgefunden, also nicht weit weg vom Teutoburger Wald. Nein! Ruft uns da Rainer Friebe entgegen, falsch entziffert. Das heiße doch nicht »teutoburgiensi saltu«, sondern das müsse man anders lesen: »te uto burgi ensi saltu« – und das hieße »gesichert von Türmen, geschützt vom Schwert« und deshalb habe die Schlacht in Halberstadt stattgefunden.

Jeder Donald-Duck-Fan erinnert sich an den Werbespruch beim Apfel-Preisausschreiben in Entenhausen:

»Wer keine weiche Birne hat,

kauft harte Äpfel aus Halberstadt!«

Das Friebe’sche Latein ist genauso Latein wie der schöne Satz, den sich Kölner Lateinschüler erzählen:

»Dates memra derus.« – »Dat es mem Rad erus!«

Wie dem auch sei, alle Forschungen und Funde zeigen also:

a) mit Teutoburger Wald kann nur das berühmte Lohmarer Wäldchen gemeint sein;

b) die Schlacht fand auf dem Campingplatz an der Agger beim Lohmarer Wäldchen statt, dort sieht es heute noch so aus, als hätten die sich da noch gestern in der Wolle gehabt;

c) für Skeptiker, die mir nicht glauben wollen, dass das Lohmarer Wäldchen der Teutoburger Wald von damals gewesen sein muss, sage ich: Das spielt keine Rolle, denn selbst wenn der saltus teutoburgiensis damals schon da gewesen sein sollte, wo man ihn heute vermutet, soooo weit weg davon ist das Lohmarer Wäldchen nun auch wieder nicht, also in jedem Fall: »haud procul«;

d) das Lohmarer Wäldchen ist obendrein im Umkreis von mindestens 370 Kilometer der einzige Ort, an dem keine römischen Funde zu verzeichnen sind, was wohl der entscheidende Beweis ist, denn Arminius wollte die Römer ein für alle Mal schlagen und das Gedächtnis an sie ausradieren. Deshalb warf er kurzerhand die 25000 Mann in die Agger, von dort wurden die Leichen in die Sieg, von der Sieg in den Rhein gespült und der entsorgte sie dann hinter Rotterdam in der Nordsee. Dort müssen die Archäologen gucken, wenn sie mehr über die Varusschlacht wissen möchten! So sieht das aus!

Übrigens, gedankt haben es dem Hermann seine Cherusker oder Ostwestfalen nicht: Zehn Jahre nach der Varusschlacht haben sie ihn meuchlings ermordet. Seine Gattin Thusnelda ist von den Römern gefangen genommen und mit ihrem Söhnchen Thumelicus in Rom zur Triumphzug-Ausstattung benutzt worden. Ihr Name ist zum Schimpfwort verkommen und lebt heute im Unwort »Tussi« weiter. Es so weit kommen gelassen zu haben ist für die Ostwestfalen kein Ruhmesblatt und dass die Niedersachsen bei allem Varus-Getue dazu keinen Kommentar abgeben wollen, ebenfalls.

Düsseldorf – wie das alles so kam

Oder: Erst der Minuspol macht den Pluspol zum Magneten

Düsseldorf und Köln hatten immer schon eine enge Beziehung zueinander – wenn auch selten eine positive. Der Physiker aber weiß, für die Stärke der Bindung ist deren Valenz unwichtig!

So ging es los: Am 23.Mai 1159 saß Papst Hadrian IV. in Rom über einer Urkunde, in der es um »düsseldorp« ging. Nun hatte sicher weder Papst Hadrian noch sonst jemand in Rom auch nur die leiseste Ahnung, wo das denn ist, dieses düsseldorp, und dass das an einem Fluss liegt, der aus dem Bergischen kommt, und dass das alles in Niederlothringen ist. Keiner also wusste, vodafone diese Urkunde handelte, aber eines war sicher: Da ist ein Ort, der eine Kirche hat. Und die Päpste waren immer schon hellhörig, wenn es darum ging, was so eine Kirche an wen abzuführen hatte. In dieser Urkunde wurde festgelegt, dass die Kirche in düsseldorp jährlich fünf Schilling in Duisburger Währung, was immer das gewesen sein mag, vielleicht waren das damals schon Briketts, zu zahlen hat, und zwar, alle Düsseldorfer bitte festhalten!, an das Stift St. Ursula in Köln. Das heißt: Die Kirche in Düsseldorf war im Besitz des Stiftes St. Ursula in Köln! Das war ja schon mal schön, nicht wahr.

Die Düsseldorfer, die damals noch keine Düsseldorfer, sondern einfach nur Bauern an der Düssel waren, zahlten also brav an die Kölner, denn Revolution war nicht ihre Sache, damals genauso wenig wie heute. Das heißt, eine Ausnahme gibt es da schon. Einmal wurden sie zu Revolutionären, das war, als 1848 der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. nach Düsseldorf kam. Es war das Jahr, in dem man nach Pressefreiheit rief und überhaupt unerhörte Gedanken im Kopf wälzte. Nun ritt der Preußenkönig mit Adjutanten, Gefolge, Sohn und allen Düsseldorfer Königstreuen über die Kastanienallee zum Schloss Jägerhof, wo man übernachten wollte. Volk stand herum, man fing an, Spottlieder zu singen, und plötzlich flog ein veritabler Pferdeapfel über die Köpfe hinweg und landete auf dem Revers seiner Majestät. Ein Schock ohnegleichen.

Man weiß bis heute nicht, wer den Apfel geworfen hat und ob es überhaupt ein Düsseldorfer war, weil, ich meine, Pferdeäpfel überhaupt anzufassen ist nicht gerade typisch für die Düsseldorfer. Vielleicht war es auch ein Kölner, der dem angrenzenden Dorf ein bisschen Ärger einhandeln wollte, wer weiß. Jedenfalls gab’s eine Riesenaufregung und 1851 fuhr eine Delegation der Stadt nach Berlin zum Preußenkönig und sagte ihm, man habe als Entschuldigung eine neue Straße Friedrichstraße genannt und die Kastanienallee in Königsallee umbe-nannt. Der König war’s zufrieden und den Düsseldorfern wieder wohlgesinnt. So weit die Düsseldorfer als Revolutionäre.

Die eigentliche Beziehung von Kölnern und Düsseldorfern hatte ganz hoffnungsvoll angefangen. Bei der Schlacht bei Worringen nämlich, 5.Juni 1288, das war ein Samstag. Da haben die Bauern von der Düssel Schulter an Schulter mit den Kölschen gegen den Siegfried, Erzbischof von Köln, gekämpft. Die Düsseldorfer wurden zwar von ihrem Chef, dem Grafen von Berg, der 1180 das Dorf an der Düssel gekauft hatte, dazu gezwungen, aber ejal: Sie kämpften mit den Kölschen. Aus Kölner Sicht stellt sich das natürlich anders dar. Die wussten, am Samstag geht es in die Schlacht gegen den Erzbischof, da ist man ganz froh, wenn man für die erste Reihe ein paar Düsseldorfer hat!

Warum das übrigens ein Samstag war? Na, ich bitte Sie – am Sonntag kann man keine Schlacht gegen den Erzbischof schlagen, weil, da hat man in der Kirche bei der Messe zu sein, die der Erzbischof zu lesen hat. Und an einem anderen Wochentag geht es nicht, weil die Kölschen da arbeiten müssen, also bleibt für so wat nur der Samstag. Aber das nur mal zwischendurch!

Nun war das allerdings so bei der Schlacht: Der Erzbischof hatte eine richtige Profitruppe, bestens ausgebildete und ausgestattete Soldaten, mit Hellebarden, Kettenhemden, Helmen, Schwertern, Morgensternen, Lanzen, Spritzpistolen, wat weiß ich, was alles noch. Die Gegenseite, also die Kölschen und die Buure vom Dorf an der Düssel und aus dem Bergischen, die hatten nix, es sei denn, sie hatten privat schon mal so wat wie eine Waffe. Das heißt, die haben sich am Samstag früh da getroffen, wo man sich immer zum Rosenmontagszug trifft: die Präsidenten im Hotel Excelsior Ernst, das Fußvolk am Konrad-Adenauer-Ufer oder öm de Eck eröm. Und dazu haben sie, weil es ja in eine Schlacht ging, an Waffen mitgebracht, was ihnen grad unter die Finger kam: Kuchengabeln, Zapfhähne und sicher auch dat ein oder andere Metz.

Dass damit kein großer Staat zu machen war, war klar, zumal auch die Bauern von der Düssel und aus dem Bergischen nicht viel mehr aufzuweisen hatten: den ein oder anderen Dreschflegel, sicher, vielleicht ein paar Ambosse, die Bergischen waren ja seit der Nibelungenzeit herausragende Schmiede, paar Hämmer, paar Sicheln, das wird es schon gewesen sein. Die Bauern von der Düssel fielen durch etwas gewähltere Kleidung auf. Sie hatten damals schon Stil und handelten nach der Devise, die sie immer noch leitet:

»Egal wat de mähs, et Outfit muss stemme!«

So marschierten sie gehobenen Herzens los, Neusser Straße rauf, dann an der Pferderennbahn in Weidenpesch vorbei, Longerich am Lager der Hunnen rechts rüber, die sich dem Zug natürlich anschlossen und dabei das Lied »Jo do sin’mer dobei« anstimmten, am Fühlinger See vorbei, wo die Bläck Fööss und De Höhner schon für das Konzert abends nach der Schlacht am Aufbauen waren und die ersten Soundchecks liefen, was einen zusätzlichen Motivationsschub gab, Richtung Langel. Der Erzbischof und seine Leute kamen vom Kloster Brauweiler rüber, wo sie beim Abt von Knechtsteden noch die Messe besucht und die Kommunion empfangen hatten, dafür hatte man damals noch Zeit.

Und so traf man sich am späteren Vormittag auf dem Fühlinger Feld. Nach dem Austausch erster Höflichkeiten (»Wie es et dann?«, »Wat maht Ehr dann hee?«, »Seht bloß zo, dat Ehr noh Hus kutt!« etc. pp.) ging es dann los. Und es sah erst mal für die Kölschen, die Bergischen und die Bauern von der Düssel ganz übel aus – die Profis waren ihnen haushoch überlegen, hatte der Erzbischof sie doch, wie gesagt, für teures, den Kölnern abgepresstes Geld bis an die Zähne mit neuesten Waffen ausgestattet.

Dann wurde es Mittag und man machte erst mal ein Päuschen. Diese Pause nutzte der Dominikanermönch Walter Dodde, um »seinen« Bergischen und den Bauern von der Düssel den Marsch zu blasen, aber hallo! Er faltete seine Mannschaft so was von zusammen, dass die gegen drei Uhr nachmittags noch mal von der Flanke her gegen den Erzbischof stürmten, und zwar mit einem einzigen klaren Ziel: Siegfried von Westerburg direkt und persönlich vom Zossen zu holen, ohne nach links und nach rechts zu gucken. Das gelang ihnen auch, sie holten ihn runter und brachten ihn schon mal direkt auf heimischen Boden, nämlich ins Rechtsrheinische nach Monheim. Das hat der Trupp vom Erzbischof natürlich gesehen und gab auf. So nach dem berühmten Öcher Motto:

»Ich, nit feig, wor fott!«

Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass die Bauern von der Düssel und die Bergischen der Schlacht bei Worringen die entscheidende Wendung zugunsten der Kölner gegeben hatten. Ein paar Wochen später dann hat das Dorf dafür die Stadtrechte bekommen und ab da waren sie Düsseldorfer.

Den Erzbischof haben sie dann auf Schloss Burg festgehalten. Schlimmer noch, sie haben ihm seine Einnahmen vorenthalten, er kam dadurch finanziell arg in die Bredouille (was allerdings kein Rheinländer sagt, er sagt aus sprechökonomischen Gründen »Bedrouille«, was ca. 47 kcal spart; versuchen Sie es selbst und Sie werden sehen, dass »Bedrouille« wesentlich flüssiger dem Gehege der Zähne entweicht, wie Homer immer sagte, als »Bredouille« …!). Der Erzbischof hat übrigens sein Geld nicht in Köln, sondern in Bonn, das damals Verona hieß, prägen lassen.

Dass die Düsseldorfer entscheidend den Kölnern geholfen haben, ist weitgehend in Vergessenheit geraten, schade. Nun weiß man ja, dass Düsseldorf sich in den darauffolgenden Jahrhunderten unter der Herrschaft der Grafen von Berg nicht wirklich zu großer Bedeutung hat entwickeln können.

Und jetzt kommt das Verhältnis Köln–Düsseldorf wieder ins Spiel: Wäre 1831 das Kölner Stapelrecht nicht gefallen, wer weiß, ob Düsseldorf jemals über das Niveau von Solingen-Ohligs hinausgewachsen wäre. Als 1831 das Kölner Stapelrecht abgeschafft wurde, das seit dem Mittelalter dafür gesorgt hatte, dass die Kölner günstig an Ware kamen, die sie dann nicht mehr ganz so günstig weiterverkauften – Sie sehen, wie effektiv die Kölner Sozietät damals schon gearbeitet hat! –, schnallten die Düsseldorfer endlich, dass die Lage am Rhein amfürsich günstig, in der Kombination mit dem Bergischen, sprich Elberfeld und Hinterland, aber einmalig ist, und machten sich auf die Socken.

Als Allererstes musste eine Eisenbahn nach Elberfeld und Barmen gebaut werden. Als die Schienen fertig waren und die beiden Lokomotiven »Rhein« und »Wupper« abfahrbereit unter Dampf standen, passierte etwas, das nur im Rheinland passieren kann: Es war keiner da, der sie bedienen konnte. Der Streckeningenieur Friedrich Wiebe begab sich daraufhin sofort nach Lüttich, wo die beiden Lokomotiven gebaut worden waren, sattelte in einem Crashkurs auf Lokomotivführer um und so konnten 1838 die Loks endlich losfahren. Fein.

Ab da ging es mit Düsseldorf wirtschaftlich gesehen so was von aufwärts, dass einem der Atem stockte – und dem umliegenden Rheinland auch. Das ist bestimmt einer der Gründe dafür, dass alle ganz gerne schon mal über die Düsseldorfer lästern, etwa in der Art:

Es pocht bei Petrus an die Himmelspforte. Es pocht ungeduldig und heftig. Leicht genervt öffnet der hl. Petrus den Schieber »Bitte hier sprechen« und fragt:

»Was ist?«

»Ich will ’erein!«, ist die ungeduldige Antwort.

»Das wollen sie alle. Woher kommst du?«

»Ich komme aus Düsseldorf!«

»Oh, dann liegt der Fall ein bisschen speziell. Aus Düsseldorf?«

»Ja, aus Düsseldorf! Und ich habe 47 Jahre Kirchensteuer gezahlt! Also, Tür auf, ich komme!«

»Nee, Moment mal, 47 Jahre Kirchensteuer bezahlt – da muss ich grad mal den Chef fragen, bin gleich wieder da!«

Schieber zu und Pause. Nach ein paar Minuten kommt der hl. Petrus zurück, macht den Schieber auf und sagt:

»Hier hast du’s zurück!«

Zur Herrschaft der Grafen von Berg ist noch was zu -erzählen, das die besondere Düsseldorfer Mentalität -erklärt: Die bergischen Grafen haben also Hof gehalten, jahrhundertelang, vom Feinsten natürlich – Düsseldorf eben! Da mussten sich auch die normalen Düssel-dorfer immer fein machen, wenn sie auf die Straße gingen, könnte ja mal der Graf vorbeischauen. Daher kommt das spezielle Verhältnis der Düsseldorfer zur Kleidung. So, dass man heute sagt: »Der Düsseldorfer kauft für das Geld, das er nicht hat, Klamotten, die er nicht braucht, um Leuten zu imponieren, die er noch nicht mal kennt!«

Und feiern konnten sie auch immer schon vom Feins-ten. Selbst die Düsseldorfer können da ein Vorbild sein, hier, Jan Wellem, der hat in zweiter Ehe et Anna Mariechen von Medici geheiratet, und die hat Düsseldorf sofort umjeflügt, aber hallo! Klar, die war aus Florenz na-türlich wat anderes jewöhnt wie »Füchsje« und »Uerige« (Wie jeder weiß, sind das zusammen mit dem Brauhaus »Schumacher« DIE Düsseldorfer Traditionswirtschaften, und damit das auch mal gesagt ist, ein Besuch in Düsseldorf, ohne dort gewesen zu sein, war keiner! Und schön ist es da obendrein, so schön, dass ein Kölner Brauhaus seine Köbesse zum jährlichen Betriebsfest immer nach Düsseldorf schickt! So, das hat richtig gut getan, das einmal öffentlich sagen zu dürfen!) Man weiß von einer Opernaufführung 1696, wo die Düsseldorfer so richtig ins Volle jekegelt haben: Es geht in der Oper um die Göttin der Jagd, et Diana – vermutlich mit einer Sängerin aus Neuss besetzt, denn im Schützenverein sind die Neusser absolute Weltspitze!

Kleiner Einschub: Domols war die Rivalität zwischen diesen beiden Städten noch nicht so groß als wies hück. Bei der Umbenennung der Düsseldorfer Südbrücke nach Neuss in Joseph-Kardinal-Frings-Brücke kürzlich hat ein Vertreter der Stadt Düsseldorf fallen lassen:

»Der Neandertaler war gar kein Urmensch, sondern ein in Düsseldorfer Gefangenschaft verhungerter Neusser«,

was von Neussern mit dem wundervollen Satz gekontert wurde:

»Die Neusser sind aber bereits betend in der Fronleichnamsprozession marschiert, da haben die Düsseldorfer noch die Missionare gefressen!«

Das nur zum heutigen Verhältnis der beiden Städte zueinander. Also Anna Maria de Medici und die Oper in Düsseldorf: Um die Jagdoper aufzuführen, haben die Düsseldorfer eine schwimmende Bühne in den Rhein gebaut, vom Feinsten sage ich Ihnen. Da ist die Bühne der Festspiele auf dem Bodensee in Bregenz ein Souffleurkas-ten jejen. Also, auf der Bühne sind die Gäste, die Göttin Diana ruft zur Jagd, da treiben die Jäger Hirsche in den Rhein, die sie in dem Waldstück am Ufer »geparkt« hatten. Den ersten Hirsch darf die Fürstin erlegen, den Rest erledigt die Gesellschaft. Dann geht die Oper weiter – Publikum und Akteure sind weiterhin alle auf der Bühne –, als sich plötzlich aus dem Boden der Bühne ein Tisch erhebt, auf dem für 400 Gäste eingedeckt ist. Damit’s ein lebendiges Bild gibt, springen jetzt noch ein paar Hundert Hasen und Kaninchen vom Tisch runter und schwimmen ans sichere Ufer, nach Neuss natürlich. Dann setzt sich die illustre Gesellschaft an den Tisch und spachtelt, wat dat Zeuch hält. Dann noch ein Feuerwerk und dann nohm Bett!

Ich meine, das muss man den Düsseldorfern schon lassen – hat was! Für so wat hat der Düsseldorfer bis heute Sinn, hier, Kö-Fest, ich glaub 1995.

Ich bin mit meiner Band eingeladen, ein Stündchen Musik zu machen. Die Musiker sind alles einfache Menschen aus Frankfurt, sie haben Hunger. Wir begeben uns also auf die Suche nach einem Stand für Currywurst und Fritten rud-wieß. Wir denken, kein Thema, hier ist ja ein Fressstand neben dem anderen. Wat soll ich Ihnen sagen, mir die Kö erop und erav un wat wor: Hummer bis zum Abwinken, Rievköchelche mit Kaviar und Schmand, Kaisergranaten und Garnelenspieße, alles – nur kein Currywoosch! Ungelogen. Ich meine, ich fand dat wunderbar, 3-Sterne-Büdchen sin mir allemol lieber als Wööschje mit Gammelfleisch, jetzt mal so gesehen, aber dennoch … oder?!

Und da möchte ich doch einmal sagen, dass es schön wäre, wenn die kleinen Keppeleien zwischen Kölnern und Düsseldorfern auf der spielerischen Ebene blieben und dass man in Wirklichkeit mehr zusammenarbeitete, als es tatsächlich geschieht, denn: Düsseldorf gehört unverzichtbar zum wundervollen Rheinland dabei, für das wir noch viel mehr tun müssen, wollen wir gegen die zentralistischen Tendenzen in demm Berlin do hinge bestehen!

Wie der Rheinländer feiern kann

Am Beispiel des Kurfürsten Clemens August von Bayern, rheinischer Wittelsbacher und Erzbischof von Köln

Eine der grundlegenden rheinischen Eigenschaften ist, dass der Rheinländer feiern kann wie kein anderer. Da ist der Rest der Welt fertig mit der Welt! Wie weit das -gehen kann, möchte ich Ihnen an einem historischen Beispiel schildern, am Beispiel von Clemens August von Bayern, Erzbischof von Köln und in Bonn residierender Kurfürst.

Der hat nämlich am 5.Februar 1761, das war der Donnerstag nach dem Aschermittwoch, auf Schloss Ehrenbreitstein auf einer Ü-30-Party sein Leben gelassen, er hat sich totjetanzt. Das wäre bei seinem Nachfolger, dem Kardinal Meisner, natürlich unvorstellbar, schon aus tänzerischen Gründen.

Und so kam es dazu: Im Januar 1761 beschloss der Kurfürst:

»Ich muss die buckelige Verwandtschaft in Bayern ens besöke, also, mir fahre am 5.Februar, dreck noh der Karnevalssession!«

Die Reiseroute führte von Bonn nach Schloss Philippsburg im rechtsrheinischen Ehrenbreitstein – direkt unter der Festung Ehrenbreitstein gelegen, von den Franzosen aber 1801 zerstört – und von da weiter über den Rheingau und die Weinstraße nach Bayern: eine glatte 3-Sterne-Tour, und zwar jeden Abend! Nun sind bei dieser letzten Fahrt Chronisten mitgefahren, die Express – in Köln sagt man nämlich nicht »der« Express, sondern »die« Express – war quasi dabei, deshalb wissen wir genau, was da alles passiert ist.

Um 8 Uhr morgens, es war das typische Bonner Feb-ruarwetter – nit am Rähne, nit am Plästere, nor esu e bessje am Fisele, brrr! esu richtig iggelig … –, fuhr man mit elf Kutschen in Bonn von der Residenz, dem heutigen Universitätshauptgebäude, los. Ach so, warum der Erzbischof von Köln nicht in Köln residierte? Das hängt mit der Schlacht bei Worringen zusammen, seit der die Kölner ihren Erzbischöfen verboten, in Köln zu übernachten, was dazu führte, dass die schönen Schlösser in Brühl, in Miel, in Bonn oder sonst wo stehen, aber eben nicht in Köln. Deshalb also wohnte Clemens August in Bonn. Nun sind die elf Kutschen also losgefahren Richtung Ehrenbreitstein. Der interessierte Bonner fragt sich natürlich: Wo sind die langgefahren? Das kann ich Ihnen sagen, Konrad-Adenauer-Allee runter und dann die B9 immer wigger bis nach Koblenz, normal. Alles ging erst mal glatt, man kam gut an Bad Godesberg vorbei, bis dann Folgendes passierte:

Kaum hatte man die Stadtgrenze von Remagen passiert, wurde dem Clemens August schlecht. Aber nicht so, wie man das von sich kennt. Pänz hinten in der Wagen ’erein und dann geht schon nach der zweiten Kurve dat Konzert los: »Ich muss mal Pipi!«, »Ich muss Aa!«, »Si ’mer bald da-haa?«, »Mir is schle-hecht!«, »Ich muss brechen!« – Fenster auf, Fritten ’eraus und Fenster wieder zu. Nein. Es wurde ihm richtig schlecht, die Forschung spricht von einem Schlaganfall. Er also in der Kutsche am Zappele und noh Luff am Jappe, alle halten an, man denkt schon an Umkehren, da berappelt sich seine Exzellenz wieder und winkt, dass man weiterfahren solle.

Wahrscheinlich war das so wie in der berühmten rheinischen Geschichte »Ein Rheinländer ist krank«. Und nun wissen wir, wenn ein Rheinländer krank ist, dann ist er nicht nur mal eben ein bisschen krank, nein, dann liegt er auf den Tod danieder. Es geht quasi nur noch um die Frage: Lohnt sich noch ein Antibiotikum oder lo ’mer dreck dä Pastur mit der letzten Ölung kumme. Eine Woche später hat er sich vom Schnuppen wieder erholt, er geht ins Städtchen. Dort begegnet er einem Bekannten. Der freut sich, dem Genesenen zu begegnen, und sagt:

»Och, wie ich seh, jeht et dir wieder jot!«

»Nä«, sagt der, »jot jeht et mir nit, ävver besser!«

»Dat es ävver jot, dat et dir besser jeht.«

»Nä, besser wör et, wenn et mer jot jing!«

Man setzt also die Reise fort, gegen drei Uhr nachmittags ist man in Koblenz, setzt über und gegen vier Uhr rauscht man in Ehrenbreitstein ein. Die Baronin von Walderdorff, Schlossherrin daselbst und Schwester des Kurfürsten Johann Philipp von Walderdorff, Erzbischof von Trier, dem »dat Dingen« gehört, öffnet gleich das Türchen zu Clemens Augusts Equipage.

»Nä, wat es dat schön, dat de do bes, Clemens August, un wat sühs de jot us, hür ens  …«

Clemens August allerdings hing völlig verwelkt in der Ecke seiner Kutsche. Ich meine, um halb zehn morgens in Remagen einen Schlaganfall, danach den ganzen Tag nix gegessen, nix getrunken und jetzt auch noch im Rechtsrheinischen – das ist ein bisschen viel auf einmal, oder?! Jedenfalls, er lässt sich von der Walderdorff’schen aus der Kutsche helfen und fragt:

»Sach hür ens, wo es dann dinge Broder?«

»Och«, sagt die Baronin, »minge Broder lööt sich entschuldije. Er is auf einer Weinprobe in Trier aufjehalten worden.«

»Weinprobe? Trier?«, fragt Clemens August. »Zementens, die Einladung han ich och at jekräje, nur, dat wor doch schon im November!«

»Ja eben«, meint lakonisch die Baronin und lässt schon mal die Koffer auf die Zimmer bringen.

Um fünf Uhr nachmittags gibt es zur klassischen Tea-time – nur, das wusste damals noch keiner – einen kleinen Imbiss bestehend aus Westerwälder Wildschweinleberpastete, Westerwälder Rehleberpastete, Westerwälder Hirschleberpastete, alles aus eigener Jagd natürlich. Alle stärkten sich außer unserem Clemens August, der aß nichts. Verständlich, weil, et jing im schon besser, ävver jot wor et im noch nit.

Da nun passierte Folgendes:

Die Walderdorff’sche setzt sich an seinen Tisch und sagt:

»Dat es ävver schön, dat de hück jekumme bes, weil, hück ha ’mer hee em Schloss öm sechs Uhr en Ü-30-Party …«

Man nannte das damals zwar anders, aber ich versichere Ihnen, es war eine Ü-30-Party!

»… un do däts uns en jroße Freud maache, wenn do do als unse Ihregass deilnemme däts!«

Jetzt sagen Sie einer rheinischen Seele, dass sie in einer halben Stunde als Ehrengast auf einer Fete, Party, einem Fest oder einer Beerdigung als Ehrengast teilnehmen soll: Sie wird nicht imstande sein, die Einladung abzulehnen, und zwar aus chromosomonalen Gründen – da hat der Rheinländer kein Gen für.

Natürlich hat Clemens August die einzige Antwort gegeben, die einem Rheinländer möglich ist, selbst wenn er wittelsbachische Anteile im Blut hat:

»Jo do si’ mer dobei, dat es prima!«

Und wie er dabei war! Er hat allein mit der Walder-dorff’schen neun Touren getanzt, NEUN Touren. Eine Tour ist ein Gesellschaftstanz im Barock, also das, was heute eine Single ist. Und was ist das? Tokio Hotel, drei Minuten und einmal neue Wimperntusche, das war’s doch schon. Im Barock konnte sich so ein Menuett schon mal 2o Minuten ziehen! Und wenn dann vielleicht vorher Damenwahl war und man jetzt so ein Schrapnell an der Backe kleben hat, dass einem Hören und Sehen vergeht, dann ziehen sich die 2o Minuten, aber hallo! Außerdem, Barock! Das heißt, keine Mundhygiene, keine Zahnpasta, nix! Ich sage Ihnen, die haben aus dem Hals …! Gut, die Männer auch, aber da ist es normal!

Und unser Clemens August hatte nicht nur die Baronin an der Backe gehabt, nein, er hat auch allen ehrenbreitsteinischen Hofdamen die Ehre gegeben, er soll sogar noch die Kaltmamsell durch die Salatschüsseln geschoben haben, kurz – es war eine Lust, ihm zuzuschauen. Nun ging es auf halb elf zu und die Musik rief den letzten Tanz aus – die Musiker waren alle aus dem linksrheinischen Lützel und die letzte Fähre ging um 23 Uhr!  –, eine Bourrée, das war so was wie die Salsa vom Barock.