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Herbert Dutzler

Dienstschluss

Eine Kriminalgeschichte

Dienstschluss

Es würde das letzte Mal sein, das hatte er sich fest vorgenommen, das allerletzte. So oder so, egal, wie die Sache diesmal ausgehen würde. Er konnte so nicht mehr weitermachen. Ein halbes Jahr hatte er jetzt durchgehalten, ein ganzes halbes Jahr, sechs Monate. Das war ihm zuvor noch nie gelungen, oft hatte er es schon nach wenigen Monaten, oft Wochen, wieder tun müssen. Das konnte ja keiner verstehen, es war wie Durst. Heftiger, unstillbarer, erstickender Durst. Der einem die Sinne raubte, den Schlaf, alles. Zu einem Durstigen sagte doch auch niemand, du musst dich eben beherrschen, du musst das unterdrücken, so geht das nicht. Man muss sich eben unter Kontrolle haben, das wäre ja noch schöner. Sagte man das einem Durstigen? Natürlich nicht. Dem gab man zu trinken. Verdurstende nahm man sogar in den Arm, flößte ihnen zärtlich Tropfen um Tropfen ein, legte sie in einen Rettungswagen, in ein Krankenhausbett.

Um ihn hatte sich nie jemand so gekümmert. Er hatte alles gelesen, was über ihn geschrieben wurde. Ein Monster sei er, kaltblütig, grausam und gewissenlos. Die hatten ja keine Ahnung. Kaltblütig, was für ein Unsinn. Bis zum Zerreißen gespannt war er jedes Mal gewesen, bis es endlich vollbracht gewesen war.

Seit mehr als einer Stunde saß er nun schon im Wagen, fuhr hierhin, dorthin. Die Uniformhose hatte er bereits an, die Jacke lag auf dem Rücksitz. Niemand hatte Angst vor einem Sanitäter, dachte an etwas Böses. Das rote Kreuz auf dem Rücken war sozusagen wie ein Ritterschlag. Hier hatte man es mit jemandem zu tun, der einem half. Auf den man sich verlassen konnte. Dem man vertrauen konnte. Niemals war in der Zeitung etwas von einem verdächtigen Sanitäter in der Nähe des Tatorts gestanden. Sanitäter waren dort ja ein selbstverständliches Bild, niemandem fielen sie auf. Eine in jeder Beziehung hervorragende Tarnung.

Außerdem konnte man seine Tätigkeit ja auch durchaus als hilfreich, segenbringend einstufen. Niemand musste sich mehr mit der Mühsal des Alltags herumschlagen, wenn er eingegriffen hatte. Keine Sorgen um den Arbeitsplatz, keine ums Geld, kein Liebeskummer. Dafür sorgte er.

Manche hielten ihn sogar fälschlicherweise für einen Notarzt. Wenn er dann korrigierte, er sei nur ein einfacher Sanitäter, hatte er schon doppelt gewonnen. Er konnte ja wohl kein Hochstapler sein, wenn er einen ihm angebotenen Titel ablehnte. Man fasste Vertrauen. Vertrauen, das war ohnehin das Wichtigste bei seiner Tätigkeit. Ohne das Vertrauen seiner Partnerinnen wäre es ihm niemals möglich gewesen, seinen Durst zu stillen.