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Titelseite

 

 

 

 

 

 

Für Elmar und Gitta

Prolog

Dies sind (von rechts nach links) Hedwig Kümmelsaft, Hugo MUG und Tom Tomsky. Man sieht es den dreien vielleicht nicht an, aber sie sind eins der besten Gespensterjäger-Teams der Welt. Hedwig Kümmelsaft blickt auf mehr als fünfzig Jahre Berufserfahrung auf diesem Gebiet zurück. Tom Tomsky, ihr menschlicher Assistent, steht kurz vor dem ZGD (Zweites Gespensterjäger-Diplom). Und Hugo MUG – nun, seine Hilfe ist natürlich von unschätzbarem Wert, da er als MUG (Mittelmäßig Unheimliches Gespenst) über weitreichende Insiderkenntnisse verfügt.

Aber genug der Vorrede. Auf den folgenden Seiten wird ein Abenteuer geschildert, das selbst diese drei unerschrockenen Gespensterjäger nur mit dem Mut der Verzweiflung bestehen konnten, denn Kümmelsaft & Co. haben es diesmal mit einem der scheußlichsten Vertreter der Gespensterwelt zu tun …

Der Hilferuf

Eines Nachmittags im Februar schob sich folgende Nachricht aus dem Faxgerät von Hedwig Kümmelsaft, der berühmten Gespensterjägerin:

Hochverehrte Frau Kümmelsaft!

Mein Name ist Theodor Wurm und weder ich noch meine Frau sind sonderlich schreckhafte Menschen. Doch was uns in den letzten Tagen passiert ist, hat unsere Nerven und unsere Gesundheit ziemlich zerrüttet. Vor einer Woche habe ich mit meiner Frau die Verwaltung von Burg Dusterberg, einem Besitztum der von Dusterbergs zu Krötenstein, übernommen.

Bei unserer Anreise kamen uns Gerüchte zu Ohren, dass auf der Burg seit Jahren ein Geist sein Unwesen treibt. Unser Arbeitgeber hatte uns nichts dergleichen mitgeteilt, sodass wir dem Gerede zunächst keine Beachtung schenkten. Schließlich sind wir Menschen des 21. Jahrhunderts.

Doch häufen sich in dieser Burg so rätselhafte und unheimliche Geschehnisse, dass wir langsam an unserem Verstand zweifeln. Von der BFBSB (Behörde Für die Bekämpfung von Schloss- und Burggespenstern) wurde uns Kümmelsaft & Co. als eins der erfolgreichsten Gespensterjäger-Teams empfohlen. Bitte helfen Sie uns! Wir sind verzweifelt!

Hochachtungsvoll (und zutiefst verstört)

Ihre

Theodor und Amalie Wurm

Viele Informationen waren das nicht, aber die drei Gespensterjäger von Kümmelsaft & Co. waren das von ihren verängstigten Klienten gewohnt. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, die Wurms telefonisch zu erreichen, machten die drei sich kurzerhand auf den Weg. Im Kofferraum ihre Gespensterjäger-Grundausstattung, ein paar spezielle Dinge zur Bekämpfung historischer Gespenster sowie Toms nagelneuen Computer, mit dem sich die umfangreichen Datenbanken der FOG (FOrschungsstelle für Gespensterbekämpfung) anzapfen ließen.

Es war ein grauer, kalter Wintertag und der Regen prasselte nur so auf den Asphalt, als Hedwig Kümmelsaft mit ihrem alten Kombi in den kleinen Ort Dusterstein fuhr.

„Also, ich seh keine Burg“, sagte Tom Tomsky und quetschte seine Nase gegen die beschlagenen Autoscheiben. „Nur eine Kirche, zwei Banken und ’ne Pommesbude. Auch kein Schild ,Hier geht’s zur Burg‘ oder so was.“

„Nun gut“, sagte Hedwig Kümmelsaft und fuhr an den Bordstein. „Dann fragen wir eben. Hugo, versteck dich.“

„Jojoooh“, säuselte Hugo und verschwand unterm Rücksitz.

„Entschuldigung.“ Hedwig Kümmelsaft kurbelte die Scheibe herunter und lächelte einem Mann zu, der gerade mit seinem klitschnassen Dackel vorbeihastete. „Wir suchen die Burg des Barons von Dusterstein.“

Der Mann trat vor Schreck fast auf seinen Dackel. Er schluckte, sah sich um, beugte sich zu Hedwig Kümmelsaft herunter und flüsterte: „Was wollen Sie denn da?“

„Oh, ich habe beruflich dort zu tun“, sagte Hedwig Kümmelsaft.

„Du liebe Güte, sind Sie lebensmüde?“, zischte der Mann. „Drehen Sie um und fahren Sie nach Hause, solange Sie noch Ihren Verstand beisammenhaben.“

„Vielen Dank für Ihren guten Rat“, sagte Hedwig Kümmelsaft, „aber um meinen Verstand machen Sie sich mal keine Sorgen. Ich möchte nur den Weg wissen. Also, können Sie mir da helfen?“

Der Mann zuckte mit den Schultern und zeigte die Straße hinunter.

„Die erste rechts, die zweite links und danach immer nur geradeaus bis …“

Er starrte mit offenem Mund an Hedwig Kümmelsaft vorbei.

„Geradeaus bis?“, fragte Hedwig Kümmelsaft. „Bis wo?“

„Da!“, hauchte der Mann und zeigte auf die weißen Finger, die Frau Kümmelsafts Hut ganz sanft in die Höhe hoben. Sein Dackel legte den Kopf zurück und heulte.

„Das? Ach, das ist gar nichts!“ Hedwig Kümmelsaft schlug Hugo ärgerlich auf die eisigen Schwabbelfinger. „Geradeaus bis wo?“

Aber der Mann bekam keinen Ton heraus. Mit offenem Mund stand er da, während sein Hund ihm die Leine um die Beine wickelte.

„Büs wohooooooo?“, säuselte Hugo und blies dem armen Kerl seinen Moderatem ins Gesicht. „Loooooos, sog schoooon, odör soll üch düch oin büsschön kützöln, jooooh?“

„Ge…ge…geradeau…au…aus bi…bi…bis zur Bushaltestelle, da…dann den Feldweg rein“, stieß der Dackelbesitzer hervor.

„Danke“, sagte Hedwig Kümmelsaft. Dann kurbelte sie hastig die Scheibe wieder hoch und gab Gas.

Der arme Mann stand immer noch im Regen und starrte ihnen fassungslos nach.

„Hööhöööööh!“, johlte Hugo und winkte ihm durchs Rückfenster zu. „Höhööööh, guckt oich döööhn on.“

„Ja, bist du denn vollkommen übergeschnappt?“, fuhr Tom ihn an. „Kannst du dir deine dummen Gespensterwitze nicht mal verkneifen?“

„Nebel“, sagte Hedwig Kümmelsaft. Mit quietschenden Reifen bog sie um die nächste Ecke. „Dieses MUG hat nichts als Nebel im Hirn. Erste rechts, zweite links. Tom, siehst du irgendwo diese Bushaltestelle?“

„Undonkbor“, schimpfte Hugo. „Ühr soid würklüch undonkbor.“

„Ach, sei still, du nervst“, sagte Tom. „Ich hoffe nur, du benimmst dich auf der Burg nicht auch dauernd daneben. Da!“ Er wischte mit dem Ärmel über die beschlagene Windschutzscheibe. „Da vorn ist die Bushaltestelle – und hier ist der Feldweg. Bei dem umgekippten Wegweiser.“

Holpernd fuhr Hedwig Kümmelsaft den morastigen Weg entlang. Hugo schwabbelte auf dem Rücksitz herum wie ein schimmelgrüner Wackelpudding.

„Mür würd ühüböl!“, stöhnte er. „Mür würd soooo üüüüböl!“

„Geschieht dir ganz recht“, sagte Tom. Und dann sagte er: „Donnerwetter!“

Vor ihnen lag Burg Dusterstein.

Groß und grau hockte sie da, umgeben von schwarzen Wassergräben, in denen sich efeuberankte Mauern spiegelten.

„Donnerwetter!“, sagte Tom nochmal.

Schlingernd brachte Frau Kümmelsaft ihr Auto vor der Zugbrücke zum Stehen.

Von den ekligen Steinfratzen, die überm Burgtor ihre Zähne bleckten, tropfte der Regen.

„Göföllt mür“, säuselte Hugo. „Doch, würklüch, söhöhör nött.“

„Nett ist nicht gerade das Wort, das mir dazu einfallen würde“, sagte Tom. Er fischte seinen Rucksack vom Rücksitz, zog sich die Kapuze über den Kopf und öffnete die Autotür. Regen peitschte ihm ins Gesicht und der Wind zerrte an seiner Jacke. Tom legte den Kopf in den Nacken und sah hinauf zu den Burgtürmen. Wie Lanzen bohrten sich ihre eisern bewehrten Spitzen in den Himmel.

„Sehr eindrucksvoll, nicht wahr?“ Frau Kümmelsaft holte die Taschen mit der Ausrüstung aus dem Kofferraum und drückte Tom seinen Computer in die Hand. „Kommt, das übrige Gepäck holen wir später.“

Mit entschlossenen Schritten ging sie auf die Zugbrücke zu. Tom sah sich suchend nach Hugo um, aber der war nirgends zu sehen.

„Hey, Hugo“, er klopfte auf seinen Rucksack, „komm sofort da raus. Schleim woanders rum, ja?“

„Gömoinhoit“, säuselte Hugo und schwabbelte ans Tageslicht. „Ös üst zu höll, vül zu höll!“, jammerte er. „Und düsör schoißlüchö Wünd.“

Tom schüttelte nur den Kopf und folgte Hedwig Kümmelsaft über die Brücke. Die runden, abgetretenen Bohlen waren glitschig vom Regen.

Tom trat an das Geländer und blickte hinunter in das schwarze Wasser des Burggrabens.

„Üch rüüüüchö Goistör!“, flüsterte Hugo. „Wossörgoistör, Schlommgoistör, uuuururaltö Goistör. Buuuhuuuuu.“

Kichernd verschwand er im dunklen Torbogen in der Burgmauer.

Tom riss sich vom Anblick des dunklen Wassers los und stolperte hastig hinter Hugo her, vorbei an den Steinfratzen und den Luken, durch die man früher ungebetenen Besuchern heißes Pech auf den Kopf gegossen hatte. Als er den Burghof überquerte, hatte er plötzlich das Gefühl, dass ihn uralte Augen beobachteten. Böse Augen, voller Hass und Gemeinheit. Aber als er sich umsah, war niemand zu sehen.

Frau Kümmelsaft stand mit Hugo schon auf der breiten Treppe, die zur Haupttür der Burg hinaufführte. Klitschnass und frierend kam Tom bei ihnen an. Neben der Tür stand auf einem großen Schild: Burg Dusterstein, Besichtigung werktags von 10-12, sonntags von 10-16 Uhr, Führungen nur nach Anmeldung.

„Hugo“, sagte Hedwig Kümmelsaft, „solltest du dich wieder so danebenbenehmen wie vorhin, dann werde ich dich höchstpersönlich mit rohen Eiern bewerfen. Ist das klar?“

„Pfüi Toiföl“, stöhnte Hugo und sackte in sich zusammen. „Koinö kloinön Schörzö?“