Vorwort

Wie gesund leben wir Mitteleuropäer des 21. Jahrhunderts eigentlich? Keine ganz einfache Frage, oder? Einerseits haben wir die meisten Infektionskrankheiten im Griff, können Krankheiten besser behandeln, wissen mehr über Hygiene und Vorbeugung und sterben nicht mehr an Hunger und Kälte. Andererseits sind wir Umweltgiften, Stress, Lärm und ungesunder Ernährung ausgesetzt.

Und auch, was unsere Gelenke angeht, kann man geteilter Meinung sein: Natürlich werden viele schwere körperliche Arbeiten, die die Leute früher buchstäblich kaputt gemacht haben, mittlerweile von Maschinen übernommen; so erreichen immer mehr Menschen ihren Ruhestand in einem erstaunlichen Fitnesszustand. Andererseits belastet die überwiegend sitzende Arbeits- und Lebensweise der meisten Zeitgenossen ohne jeden Zweifel unseren Bewegungsapparat.

Denn der menschliche Körper ist für die Bewegung geschaffen. Und weil die oft fehlt, ist die Arthrose, also der Gelenkverschleiß, leider die Volkskrankheit Nummer eins.

Das ist ein wirklicher Jammer, weil unsere erstaunliche und vielfältige Beweglichkeit eigentlich ein Geschenk der Natur ist – das wir aber nur mit gesunden Gelenken genießen können.

Wie kostbar die Gabe ist, sich schmerzfrei zu bewegen, begreifen wir in der Regel erst, wenn es in den Gelenken zwickt und schmerzt, weil uns Arthrose oder Rheuma (Arthritis) zu schaffen machen. Aber was genau schmerzt da eigentlich, und warum? Wie ist ein Gelenk aufgebaut, und wie funktioniert das Zusammenspiel von Knochen und Knorpeln, Muskeln und Sehnen, Bändern und Nerven, das unsere Gelenke zu wahren Wunderwerken der Evolution macht? Was nehmen unsere Gelenke übel? Womit können wir ihnen Gutes tun? Und wie kann die Medizin helfen, wenn ein angeknackstes Pflänzchen der Stützung bedarf? Das Wort »Orthopädie« stammt von griechisch orthos pais »gerades Kind«. Der Wuchs einer verkrümmten Wirbelsäule soll, wie ein Bäumchen durch einen Pfahl, gelenkt und begradigt werden.

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Dieses Buch nimmt Sie mit auf eine Reise durch den menschlichen Körper. Wir dringen gemeinsam zu seinen über 100 Gelenken vor und lernen die Stärken und Schwächen der Wundersub­stanz namens Knorpel kennen, die die Knochenenden an ihren Treffpunkten davor schützt, sich zu nahe zu kommen. Ihre größte Schwäche wird Ihnen wie ein Mantra immer wieder begegnen: Knorpel heilen nicht. Sie wachsen nicht nach. Sind sie einmal weg, kommen sie nicht mehr wieder.

Das andere Mantra dieses Buchs ist eine ziemlich schlechte Nachricht für Couch Potatoes, aber eine gute für alle Freunde sanfter Sportarten wie Radfahren und Schwimmen: Unsere Gelenke und Muskeln bleiben nur gesund, wenn wir uns ausreichend bewegen. Wobei die Zauberformel heißt: Bewegen, ohne zu belasten.

Aber die meisten erwischt die Arthrose irgendwann doch – in der Schulter, im Knie, in der Hüfte oder auch in einem der kleineren Gelenke. Dann müssen wir Orthopäden ran. Deshalb handelt dieses Buch auch von den mittlerweile vielfältigen Therapiemöglichkeiten, mit denen wir die Lebensqualität von Gelenkpatienten wiederherstellen oder zumindest verbessern können.

Die Anregung zu diesem Buch stammt von meinem Verleger Markus Karsten. Ihm danke ich ebenso wie Claudia Stursberg und Oliver Domzalski für ihre sachkundige Unterstützung.

1 Plauderei mit den Muskeln

»Guten Morgen, Streckmuskel des rechten Oberschenkels!«

»Guten Morgen. Guck mal, was ich kann!«

»Fa-bel-haft! Ich bin beeindruckt.«

»Darf ich das noch zwanzig Mal machen?«

»Was, zwanzig Mal?! Also meinetwegen zehn Mal. Mehr geht nicht.«

»Ok, erledigt. Jetzt wollen dir meine kleinen Geschwister auch noch was zeigen.«

»Ach ja? Ich wollte jetzt eigentlich frühstücken.«

»Erstmal zeigen!«

»Ja ... wie viele Geschwister hast du denn?«

»Am Bein? So dreißig ungefähr. Zehn am Oberschenkel, elf am Unterschenkel, vierundzwanzig am Fuß ... ach, es sind doch fünfundvierzig insgesamt.«

»Was, so viele? Na, dann zeigt mal, aber die Füße jetzt nicht, die kommen nach dem Frühstück dran.« (Hebt das Bein hoch, beugt und streckt es, in Bauch-, Seiten und Rückenlage etc.)

»Na, was sagst du?«

»Super! Danke, dass ihr so viel für mich arbeitet!«

»Du hast uns in letzter Zeit auch geholfen, die Arbeit fällt uns jetzt viel leichter. Und übrigens – wir haben in der Zeit noch einen Nebenjob erledigt. Hast du’s gemerkt?«

»Äh, ich weiß nicht?«

»Wir haben jeden Tag eine Gießkanne voll Synovia bei deinen Gelenken vorbeigebracht.«

»Voll – was?«

»Synovia. Das ist Dünger und Gießwasser für deine Knorpelkissen.«

»Oh, danke! Wo hattet ihr die denn her, diese Synovia?«

»Die hatte sich in die Ritzen verkrochen, wir mussten sie da rauspumpen. War ganz schön Arbeit. Wir haben das immer gemacht, während du Walken warst. Deine neuen Stöcke sind supergut!«

»Also, ich weiß gar nicht, wie ich euch danken soll!«

»Einfach in Bewegung bleiben! Wolltest du dir nicht ein neues Fahrrad kaufen? Kann auch eins mit Elektromotor sein, für die steilen Anstiege, die sind ja für deine Knie nicht mehr so gut.«

»Tolle Idee.«

Manchmal läuft der Dialog aber eher so:

»Hallo! Hallo! Wo seid ihr denn?«

»Piep.«

»Das war zu leise, ich verstehe nichts.«

»Wir sind ganz klein und dünn geworden. Fast sind wir verschwunden ...«

»Ich muss jetzt aber zum Bus rennen! Ich muss den Bus kriegen, sonst komme ich zu spät zur Arbeit!«

»Rennen? Da lachen ja die Hühner! Das können wir nicht mehr. Sei froh, dass wir dich heute Morgen noch zum Aufstehen gekriegt haben!«

»Meine Güte, das ging aber schnell. Ich habe doch nur nochmal sämtliche Staffeln von How I met your mother angeguckt.«

»Das hat sechs Wochen gedauert. Sechs Wochen, in denen du abends nach der Arbeit nur einen einzigen kleinen Muskel bewegt hast. Den für die Fernbedienung.«

»Vergiss nicht den für die Mikrowelle.«

»Meist war es der App-Daumen, um Pizza zu bestellen.«

»Jaaa, ich weiß ja ...«

2 Bewegung, Bewegung!

Hm. Dieses Buch handelt doch von Gelenken – ob gesund oder geplagt durch Arthrose und Arthritis. Wieso fängt es dann mit einem Muskeldialog an? Nun ja, das Buch hat auch ein heimliches Thema, und das ist Bewegung. Und zwar in vierfacher Hinsicht.

Beginnen wir – Punkt 1 – mit einer ganz einfachen Frage: Was ist eigentlich das Besondere an einem Gelenk? Ganz allgemein gesprochen, verbindet ein Gelenk zwei feste Elemente – und sorgt zugleich dafür, dass sie sich gegeneinander bewegen können. Ein Beispiel aus dem Alltag ist die Türangel, die dafür sorgt, dass die Tür ihre Position zur Wand, mit der sie verbunden ist, verändern kann. Dahingegen ist die Astgabel kein Gelenk – sie verbindet zwar zwei Äste, aber deren Position zueinander ist immer gleich.

Punkt 2: Gelenke sorgen für Beweglichkeit. Die Grenze zwischen Pflanze und Tier wird häufig genau dadurch definiert: dass Tiere sich eigenständig an einen anderen Ort begeben können, also beweglich sind – und das trotz ihres steifen Skeletts. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für uns Menschen.

Überlegen Sie einmal, was Sie den ganzen Tag so tun: Rennen, gehen, sitzen, sich hinlegen, sich bücken, Dinge heben, tragen, balancieren und werfen, sich hinknien, putzen und wieder aufstehen. Aber auch kauen, gähnen, lächeln, die Zähne putzen, die Haare kämmen und sich kratzen. Und auch Sex haben, Mails schreiben und den Müll rausbringen. Nichts davon funktioniert ohne Gelenke. (Und wenn Sie jetzt das Buch oder den E-Reader sinken lassen, um darüber nachzudenken, welche Tätigkeiten Sie auch ohne Gelenke ausführen können, brauchen Sie erneut diverse davon. Zwar nicht für das Nachdenken – aber für das Sinkenlassen des Buchs.)

Punkt 3: Die Natur hat es so eingerichtet, dass wir die Gesundheit unserer Gelenke und damit unsere Mobilität nur erhalten können, wenn wir uns regelmäßig und ausreichend bewegen. Und das ist wichtig. Denn nur gesunde Gelenke machen unsere erstaunliche und vielfältige Beweglichkeit zu einer schmerzfreien Angelegenheit.

Kinder wissen das ganz intuitiv – sie toben sich aus, ununterbrochen und mit beneidenswerter Energie. Frühere Generationen haben den Fehler gemacht, diesen Bewegungsdrang einzuschränken. Er galt als Laster, das es durch strenge Erziehung zu besiegen galt. Das Ideal hieß einst: kerzengerades Stillsitzen, als ob man einen Stock verschluckt hätte.

Und kaum hatten die Eltern und die Schulen begriffen, dass das Unsinn ist, wurde die Bewegungsfreude der Kinder erneut torpediert, diesmal durch Verführungen: Überfürsorgliche Eltern ersparen ihren Kindern jeden Schritt. Und elektronische Medien fesseln die Kinder viel zu lange an Bett, Sessel oder Sofa.

Als Arzt kann ich nur sagen: Kinder stundenlang stillsitzen zu lassen ist geradezu verantwortungslos. Warum? Leichter als im Kindesalter lernt man nie mehr. Und das gilt nicht nur für den Schulstoff, sondern auch für Bewegungen. Deswegen braucht der kindliche Organismus viele Stunden am Tag maximale Freiheit zum Austoben. In dieser Zeit wird die Basis für einen gesunden Bewegungsapparat gelegt – für das ganze spätere Leben.

Und der 4. Aspekt der Bewegung: Sie hilft uns, Übergewicht zu vermeiden und so unsere Knochen und Gelenke nicht übermäßig zu belasten.

Bevor ich nun aber weiter die Articulatio metacarpophalangealis II und Articulationes interphalangeales, also die Fingergelenke meines Zeigefingers strapaziere, gucken Sie mit mir in so ein Gelenk hinein und verstehen, wie es aufgebaut ist. Und lernen Sie den körpereigenen Airbag kennen, der die regelmäßigen Treffen der Knochen in einem gesunden Gelenk zu schmerzlosen Veranstaltungen macht.

3 Die Gelenke

Welche Teile unseres Skeletts nennen wir eigentlich Gelenke und wie viele haben wir davon?

Im engeren Sinne sind es etwa 122:

Im Griechischen heißt das Gelenk arthros – unschwer zu erkennen also, woher die Wörter Arthrose und Arthritis stammen. Arthros – das hört sich ehrwürdig an. Ein bisschen wie Atlas, der Riese, der auf seinen Schultern die ganze Erde trug. Mit den beiden R und dem T klingt arthros ein wenig knarrend. Wenn wir zur Welt kommen, knarrt es aber überhaupt noch nicht, wie die unglaubliche Beweglichkeit von Kindern beweist.

Schauen wir uns also das gesunde Gelenk, mit dem wir zur Welt kommen, einmal genauer an.

Was soll das Ganze? Und wie sieht die Konstruktion aus?

Sie erinnern sich, die herausragenden Eigenschaften eines Gelenks sind:

  1. Es verbindet zwei Knochen.
  2. Es ist beweglich.
  3. Die Bewegung soll schmerzfrei sein.

Unsere Knochen und Gelenke sowie die dazugehörigen Weichteile sorgen dafür, dass wir uns zielgerichtet bewegen können, ohne dabei unsere Form zu verlieren.

Für die mobile, also Beweglichkeit ermöglichende Verbindung der Knochen untereinander sorgen die Bänder, für die Verbindung zu den Muskeln die Sehnen. Und die Muskeln liefern die Kraft, die die Bewegung erst in Gang setzt.

Auf die Gelenke wirken dabei teilweise enorme Kräfte (siehe Kasten nächste Seite). Sie brauchen also Halt. Um die Gelenkteile herum schmiegt sich deshalb die Gelenkkapsel. Ohne sie würde alles auseinanderfallen. Die Kapsel sitzt manchmal straff, zum Beispiel beim Hüftgelenk, und manchmal lose – etwa bei den Schultern, und auch bei den Fingergelenken, deren etwas faltige »Bewegungsreserve« wir sogar sehen können.

Wie hoch ist der Druck in einem Gelenk?

Im Daumensattelgelenk: Beim Öffnen einer Flasche bis zu 1 Tonne.

In den Kniegelenken: Beim Gehen (auf flachem Terrain oder treppauf) das Dreifache des Körpergewichts.

Beim Treppab-Gehen das Dreieinhalbfache des Körpergewichts.

Beim Joggen bis zum Sechsfachen des Körpergewichts.

Schematische Darstellung eines gesunden Gelenks

Dass ein Gelenk weit mehr »stemmen« muss, als der Körper wiegt, hat mit der hocheffizienten Hebelwirkung zu tun, deren sich die Gelenke bedienen. Aber wie halten die Knochen und Gelenke eine solch ungeheure Belastung aus, und zwar tausendfach und über Jahrzehnte? Knochen sind zwar hart, aber alles hat seine Grenzen. (Außerdem sind sie nicht immer gleich hart, sondern manchmal ziemlich mürbe, wie etwas weiter unten erläutert wird.) Einer der Tricks: Die Knochen werden an den Enden etwas breiter. So wird die Last auf eine größere Fläche verteilt und dadurch für jeden einzelnen Punkt gemindert.

Aber wieso tut uns das nicht bei jeder Bewegung schrecklich weh? Auf den Beinen lastet schließlich fast das gesamte Körpergewicht. Bei jedem Schritt senkt sich der Oberschenkelknochen unter diesem Gewicht herab und trifft auf das obere Ende des Schienbeins.

Sie können sich ausmalen, was passiert, wenn diese sensiblen Kollegen sich treffen, also direkt aneinanderstoßen. Können Sie nicht? Und Sie wollen es jetzt sofort wissen? Dann lesen Sie direkt im Kapitel über Arthrose weiter.

Wenn wir geboren werden, ist jedenfalls dafür gesorgt, dass sich Knochenenden nicht berühren. Zu diesem Zweck sind alle Knochenenden mit einem phantastischen Material überzogen. Ein Hauptziel dieses Buchs ist es, Sie mit dieser Wundersub­stanz richtig bekanntzumachen. Sie sollen sie lieben und es zu einem Ihrer Lebensziele machen, hingebungsvoll für sie zu sorgen. Leider klingt ihr Name nicht annähernd so lieblich und wohltuend, wie ihre Wirkung ist: Das Zeug heißt Knorpel. (Siehe die dunkle Schicht in der Abbildung 2 links.)

Die Knorpelschicht lässt also die Knochenenden unmerklich, lautlos, geschmeidig und sanft aneinander vorbeigleiten. Tag für Tag, bei jeder einzelnen Bewegung, die Sie machen.

Was hat das Gelenk mit der Lenkung zu tun?

Das Wort Gelenk bezeichnete ursprünglich nur den weichen, biegsamen Teil des Körpers zwischen Rippen und Becken. (Der »Gelenk-Omnibus« mit seinem flexiblen Teil in der Mitte ist das perfekte Bild dafür.) Die Bedeutung ging dann allmählich auf alle beweglichen, also »biegsamen« Teile des Körpers über. Und das Verb »lenken« bedeutete ursprünglich »umbiegen«.

Was gehört alles dazu?

Harter Knochen

Sie müssen hier nicht lernen, wie Knochen genau aufgebaut sind. Eine Sache aber lohnt sich zu merken: Die Härte der Knochen, die unser verlässliches Skelett bilden, uns tragen und aufrecht halten, kommt durch einen bestimmten Anteil an Kalk zustande. (Wie, Sie wollten nie verkalkt sein? Richtig, in Adern und im Gehirn möchte keiner die harten weißen Krümel haben. Aber in den Knochen ist der Mineralstoff willkommen.) Zwei Dinge entscheiden darüber, ob Ihre Knochen genug Kalk enthalten, also »mineralisiert« sind und damit stabil und bruchresistent. Erstens nehmen Sie Kalk durch die Nahrung auf, die entsprechend calciumhaltig sein sollte. Und zweitens: Wieviel von dem Kalk, der zur Verfügung steht, wirklich in die Knochen eingelagert wird, hängt davon ab, wieviel Sie sich bewegen. Je mehr Sie sich bewegen, desto fester sind Ihre Knochen. Morsche Knochen, die bei jeder Gelegenheit brechen, sind eine Krankheit; das Endstadium des Knochenabbaus nennt man Osteoporose.

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Wichtige Bestandteile eines Gelenks am Beispiel des Knies. Nicht gezeigt sind die Kapsel (weil sie den Blick auf den Rest stören würde) sowie die Muskeln.

Knorpelschicht

Die Knorpelschicht ist, wie Sie vielleicht schon an meiner Liebeserklärung weiter oben gemerkt haben, so wichtig (und gleichzeitig so unbekannt), dass ich ein großes Extrakapitel für sie reserviert habe: Kapitel 4.

Bänder

Bänder sind sozusagen Bremsen und Sicherheitsgurte in einem: Sie sorgen dafür, dass ein Gelenk nicht zu beweglich ist, sondern nur genau so viel wie nötig. Dadurch verhindern sie das Überdehnen von Muskeln und Sehnen. Als sogenannte passive Struktur verbinden sie immer zwei Knochen miteinander, an denen sie angewachsen sind. Bänder bestehen aus festem, faserartigem Bindegewebe und sind kaum elastisch. Leider erfahren wir von ihrer Existenz meist nur, wenn eines von ihnen gezerrt oder gerissen ist.

In einem Gelenk (na gut, in zweien) spielen Bänder eine besonders wichtige Rolle, nämlich im Knie. Man nennt es deshalb auch ein bändergeführtes Gelenk.

Kapsel

Damit ein Gelenk in sich funktioniert, ist es komplett umgeben von einer Kapsel. Sie stabilisiert es, schließt es dicht nach außen ab und badet es permanent in einer Flüssigkeit, der »Gelenkschmiere« oder Synovia.

In der Technik hat man das Prinzip des Flüssighaltens nachgebaut, unter anderem beim Auto: Um die »Gelenke« der Radachsen herum ist eine Gelenkmuffe aus Gummi, in der sich zur Schmierung das Fett befindet. Nur so sind die Motorteile beweglich und bleiben es.

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Schematische Darstellung eines gesunden Gelenks mit Kapsel und Gelenkflüssigkeit

Kapsel und Bänder haben also eine verwandte Aufgabe: Stabilisierung. In jedem Gelenk stehen sie in einem anderen Verhältnis zueinander. Oft ist die Kapsel verstärkt durch Bandstrukturen. Diese liegen manchmal in der Kapsel (Kreuzbänder im Knie), manchmal auch außerhalb (Außenbänder am Kniegelenk).

Wie die Bänder besteht auch die Kapsel aus festem Bindegewebe. Dieses in allen Organen massenhaft vorhandene körpereigene Material heißt Kollagen. Kollagenfasern haben dieselben Eigenschaften, die wir uns von Führungspersönlichkeiten wünschen: Sie besitzen Zähigkeit, sind untereinander vernetzt wie eine Gitterstruktur und dadurch stabil, reagieren aber bei aller Festigkeit auch elastisch und flexibel auf Veränderungen.

Innen ist die Gelenkkapsel zusätzlich von einer extrem nützlichen Schleimhaut überzogen. Diese Gelenkinnenhaut ist stark durchblutet, von vielen Nerven durchzogen und sehr potent, also mit außergewöhnlichen Fähigkeiten gesegnet. Und da sie ihre Zeit nicht mit Sex vertut (obwohl sie sich ständig erneuert), kommt diese Potenz ausschließlich anderen Zwecken zugute: Die Gelenkinnenhaut produziert die Gelenkflüssigkeit (Synovia) und ist zudem in der Lage, im Falle einer Störung die Verteidigung zu organisieren. Dabei – und das hat weiterhin nichts mit Sex zu tun – kommt es zu einem Erguss. Wir kennen das alle: Wenn Schleimhäute gereizt werden, produzieren sie Wasser. Haben wir ein Sandkorn im Auge, fängt es an zu tränen. Haben wir etwas Scharfes im Mund, produzieren wir Speichel – manchmal in erstaunlichen Mengen.

Und dasselbe passiert auch im Körperinneren: Sobald ein Fremdkörper oder feindliche Wesen (zum Beispiel Viren oder Bakterien) auftauchen, reagiert der Körper mit einer Entzündung. Diese ist also strenggenommen nicht das Problem, sondern der körpereigene Versuch der Lösung. Die vier typischen Anzeichen einer Entzündung sind: rubor (Rötung), dolor (Schmerz), calor (Erwärmung) und tumor (Schwellung) – wobei die Schwellung durch das Heranführen von Flüssigkeit in Form von Blut, Blutplasma oder Wasser erzeugt wird. Mit der Flüssigkeit werden die Antikörper herbeitransportiert, die den Eindringling bekämpfen. So ist das auch im Gelenk: Reißt zum Beispiel im Knie ein Meniskus und zieht an der Gelenkkapsel, mit der er fest verwachsen ist, dann fängt die Kapsel an zu »tränen«: Sie produziert Wasser – und das Knie wird dick.

Und wenn infolge einer Verletzung Knorpelstückchen im Knie resorbiert, also »verdaut« werden müssen, führt dieser Reizzustand ebenfalls zur Freisetzung von Flüssigkeit. Wieder haben wir ein dickes Knie.

Die Kapsel ist also ein wichtiger Ort der Immunabwehr, mit der Gelenkinnenhaut als Hauptakteurin. Ausgerechnet diesem dünnhäutigen Sensibelchen verdanken wir das Überleben unserer Gelenke. Was wir sehen – und spüren –, ist aber erst einmal nur das dicke und schmerzende Gelenk. Warum es so reagiert, wissen wir noch nicht.

Sehnen

Wie erwähnt, verbindet eine Sehne jeweils einen Knochen mit einem Muskel, während das Band sich zwischen zwei Knochen spannt. Die Aufgabe der Sehnen ist es, die Kraft der Muskeln in Bewegungen der Knochen zu übertragen. Die Sehne selbst ist nur in geringem Maße dehnbar, aber zum Ausgleich hat sie auf der einen Seite den – stets hochelastischen – Muskel.

Wie die Bänder bestehen auch die Sehnen aus biegsamem, festem Bindegewebe; es enthält allerdings weniger Blutgefäße und Nerven, weshalb die Sehnen nicht besonders regenera­tionsfähig sind.

Sowohl Bänder als auch Sehnen sind bis zu einem gewissen Grad zugfest. Wird dieser überschritten, passiert das, was wir als Bänderriss und – seltener – Sehnenriss kennen. Und für beide gilt, dass ihre Verletzungsanfälligkeit umso geringer ist, je besser die Muskeln trainiert sind. Bei sportlichen Menschen können die Sehnen und Bänder starken Zug aushalten – selbst wenn er plötzlich kommt. Wonach also sehnen sich die Sehnen? Gute Nachricht für Freunde der Bewegung: Baut man die Muskeln durch Training auf, werden die Sehnen dicker und fester.

Muskeln

Muskeln verbinden – über ein oder mehrere Gelenke hinweg – zwei Knochen miteinander. Die Muskulatur ist der aktive Stabilisator der Gelenke; ist sie zu schwach, entsteht zwangsläufig eine Fehlbelastung. Und diese Fehlbelastung führt zu einer vorzeitigen Arthrose.

Erinnern Sie sich an den Anfang des Buchs, an die morgendliche Plauderei mit den Muskeln? Mehrfach kam jetzt schon zur Sprache, wie abhängig wir vom Fitnesszustand unserer Muskeln sind. Ja, sogar die Stärke, Härte und Festigkeit der Knochen hängen damit zusammen. Ohne Muskeln hätten wir keine Möglichkeit, etwas zu bewegen, zu erreichen, zu verändern.

Und wovon hängen die Muskeln ab? Ganz einfach: von uns selbst. Genauer: von unserem Willen. Denn wir haben immer die Möglichkeit, unseren eigenen Körper zu verändern. Ihn zu gestalten, zu modellieren, oder, wie die Bodybuilder das so ulkig nennen: zu »definieren«. Dafür müssen wir unsere Muskeln möglichst oft fordern und beschäftigen. Wir müssen sie nach Ruhephasen wieder aufbauen und stärken. Profisportler kennen die Quälerei nach verletzungsbedingten Phasen der erzwungenen Inaktivität – der Großteil der Reha besteht aus dem Wiederaufbau der Muskeln.

Muskeln werden nur stärker, wenn sie arbeiten. Es ist also ganz falsch, die Muskeln zu schonen im Glauben, man spare dadurch Kraft, die man dann im Notfall zur Verfügung hat. Mit den Muskeln ist es vielmehr wie mit einem geparkten Auto, bei dem das Licht brennt. Je länger es ungenutzt herumsteht, desto mehr leert sich die Batterie. Und irgendwann kann man es nicht mehr starten und bewegen.

Welche Arten von Gelenken gibt es?

Jedes Gelenk ist verschieden beweglich – in eine, zwei oder drei Richtungen.

Am beweglichsten ist das Kugelgelenk:

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Kugelgelenk (vereinfachte Darstellung)

Ein Beispiel hierfür ist unser Hüftgelenk. Wir können das Bein nach vorne / hinten sowie nach außen / innen bewegen und zusätzlich im Gelenk drehen.

Etwas weniger beweglich ist ein Sattelgelenk:

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Sattelgelenk (vereinfachte Darstellung)

Ein Beispiel hierfür ist das Daumensattelgelenk. Es erlaubt Dreh- und Beugebewegungen.

Nur in eine Richtung hingegen – ähnlich wie eine Tür – lässt sich das Scharniergelenk bewegen:

Ein typisches Beispiel ist das Ellenbogengelenk.

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Ganz unterschiedlich ist auch die Art, in der die großen Gelenke geführt und gehalten werden: Während das Knie seine Stabilität ausschließlich durch Bänder erhält, sind es bei der Schulter Muskeln, die den Halt geben. Das Hüftgelenk hingegen setzt vor allem auf eine knöcherne Führung.

Die zwei großen Gelenke Hüfte und Schulter sind beide Kugelgelenke. Entsprechend ihren verschiedenen Aufgaben sind sie aber unterschiedlich konstruiert. Die Hüftgelenke tragen den gesamten Rumpf. Das andere große Kugelgelenk, die Schulter dagegen, muss viel weniger Last tragen; zugleich soll es den Armen maximale Bewegungsfreiheit geben. Diesen Spielraum schaffen Muskeln besser als Knochen. Der Oberarmkopf, also das obere Ende des Arms, ist relativ groß und findet nur eine kleine, flache Pfanne vor. Er kann sich darin viel freier bewegen. Eine Gefahr dabei ist das Auskugeln (Luxation), das bei der Schulter häufig vorkommt, beim Hüftgelenk fast nie. Denn der Hüftkopf ist relativ klein und verschwindet fast in der großen Pfanne.

Hüfte

Schulter

Große Pfanne

Kleine Pfanne

Kleiner Kopf

Großer Kopf

Knochengeführt

Muskelgeführt

Strammstehen oder wie?

Die Gelenke funktionieren nur dann einwandfrei – und das möglichst ein ganzes Menschenleben lang –, wenn sie die ideale Form und Stellung haben. Dieses Ideal stellt die orthopädische Medizin anhand der »neutralen Nullstellung« fest: Der Mensch steht gerade vor mir, die Füße zusammen, die Hände hängen herunter, die Daumen zeigen nach vorne. Wenn alles gerade ist, deutet das auf gesunde Gelenke hin.

Natürlich muss nicht alles wie mit dem Lineal gezogen sein – und es geht auch nicht um geometrische Exaktheit um ihrer selbst willen. Erst recht nicht um fragwürdige Schönheitsideale, die sowieso alle paar Jahrzehnte wechseln.

Aber jede Abweichung von der geraden Haltung und Gelenkstellung bedeutet, dass das betreffende Gelenk schief abgenutzt wird, und das macht krank. Die Abweichungen vom Idealzustand misst der Orthopäde übrigens in Gradzahlen.

In den Kapiteln über Hüfte und Knie tauchen solche Zahlenwerte auf. Denn Abweichungen vom Normalen, landläufig O-Beine bzw. X-Beine genannt, kommen dort relativ häufig vor, und sie haben besonders starke Auswirkungen, weil die Beine mit allen dazugehörenden Gelenken stärker belastet sind als das übrige Skelett.

Gelenke mögen Bewegung – und was noch?

Ernährung

Die Ernährung unserer Gelenke geschieht in zwei Phasen. Die erste: Wir essen gesund, mit vielen Mineralstoffen, die zur Verfügung stehen müssen, während die Knochenmasse sich ständig neu bildet:

Mineralstoff

Wird gebraucht für:

Diese Lebensmittel enthalten ihn:

Calcium

Knochen, Zähne, Reparatur winziger Risse in den Knochen, Nerven, Blutdruck, Linderung allergischer Reaktionen. Bei Calciummangel bedient sich der Körper aus der Knochenmasse und schwächt diese dadurch.

Milchprodukte, calciumreiches Mineralwasser, Brokkoli, Fenchel, Kohl, Spinat, Datteln, Nüsse, Hülsenfrüchte, Sardinen, Schwarze Johannisbeeren

Magnesium

Nerven, Muskeln, Energieversorgung der Zellen, Knochenfestigkeit, Stimmung, Konzentration

Vollkornprodukte, Mangold, Spinat, Senfkörner, Datteln, magnesiumreiches Mineralwasser

Kalium

Nerven, Muskeln, Wasserversorgung der Zellen, Blutdrucksenkung

Vollkornprodukte, Spinat, Kartoffeln, Pilze, Feldsalat, weiße Bohnen, Grünkohl, Brokkoli, Erbsen, Linsen, Fisch, Muscheln, Milch, Bananen, frisch gepresste Obst- und Gemüsesäfte, Eier, Avocado, Datteln, Aprikosen

Natrium

Ausgeglichenen Wasserhaushalt, Nerven, Muskelzellen. Zuviel Natrium fördert Bluthochdruck.

Tendenziell sollten wir Wohlstandsbürger natriumreiche Kost (also Salz, Fertiggerichte) eher reduzieren.

Eisen

Energiegewinnung in der Zelle, Zellatmung, Sauerstoffspeicherung, Transport des Sauerstoffs im Blut zu den Zellen

Grünes Blattgemüse, Nüsse, Getreide und Fleisch. Bei gleichzeitiger Aufnahme von Vitamin C ist die Eisenaufnahme besser.

Die zweite Phase: Wir sorgen dafür, dass all die guten Dinge auch in den Gelenken ankommen. Im Falle der durchbluteten Teile des Gelenks sorgt dafür netterweise der Blutkreislauf – selbst wenn wir auf der faulen Haut liegen. Wie die Knorpel ernährt werden, erfahren Sie im folgenden Kapitel 4.

Leichter werden

Zum Beurteilen des Körpergewichts wird international in der Regel der sogenannte Body Mass Index (BMI) verwendet, also das Gewicht in Kilogramm geteilt durch das Quadrat der Körpergröße in Metern. Beispiel: Nehmen wir an, eine Frau wiegt 73 kg und ist 1,68 groß. Ihr BMI ist:

73

= 25,86

1,68 x 1,68

Was bedeutet diese Zahl?

BMI Normwert

18,5 bis 24,9

Übergewicht

25,0 bis 29,9

Adipositas (Fettsucht) Grad 1

30,0 bis 34,9

Adipositas Grad 2

35,0 bis 39,9

Adipositas Grad 3

> 40

Die Frau hat mit einem BMI von knapp 26 also ein leichtes Übergewicht.

Sie haben keins? Dann brauchen Sie hier nicht weiterzulesen. Nur noch eins: Herzlichen Glückwunsch Ihnen und Ihren Gelenken! Ach so, und noch was: Bravo! Oder auch: Schwein gehabt. Denn die Veranlagung spielt schon auch eine Rolle.

Wir anderen (sagt hier nicht der Arzt, sondern die Co-Autorin) machen uns klar, dass jedes Gramm mehr auf die Gelenke drückt und irgendwann doppelt wehtun wird.

Was unser überschüssiges Fett (übrigens nur das innen um die Organe herum im Bauch) ganz still und heimlich außerdem noch Böses anstellt, hat die Wissenschaft erst vor wenigen Jahren herausgefunden. Es steht im Kapitel 11 im Abschnitt über Arthrose. Dort finden Sie auch Zahlen dazu, wie stark Übergewicht Ihr Risiko erhöht, Gelenkschäden zu erleiden.