Die G7 –

das sind Kröte, Jonas, Würmchen, Xiaoli, Lukas, Maike und ihr Hund Sir Gustav Lancelot, die dem Verbrechen den Kampf angesagt haben.

Der Name „Göttinger Sieben“ geht auf sieben Göttinger Professoren zurück, die im 19. Jahrhundert Mut und Zivilcourage gegenüber dem König von Hannover zeigten so wie heute die G7 gegenüber den Gangstern.

Die Göttinger Sieben - ihr Name ist Programm.

Ach ja, was man noch wissen sollte…

Die Geschichte spielt natürlich in Göttingen. Die Stadt liegt in der Mitte Deutschlands; genauer in Südniedersachsen an der Grenze zu Hessen und Thüringen.

Sie hat ca. 125 000 Einwohner, gehört zu den schönsten Städten Deutschlands… und hat natürlich die besten Detektive der Welt.

Inhaltsverzeichnis

Ein frostiger Wintertag

Die Sonne schien durch einen milchig weißen Himmel, als ihn die Kugel direkt zwischen die Augen traf. Er taumelte kurz, dann fiel er wie ein nasser Sack auf den Boden. Sein kurzer Atem stieg unscharf als weißer Nebel auf. Benommen fasste er sich an die schmerzende Stelle im Gesicht. An seinem Handschuh klebte Blut. Sein Blut.

Würmchen schaute kurz auf seine verbeulte Brille, da traf ihn schon ein zweiter Schneeball an der Schulter. Sekunden später waren die Mungojerries zur Stelle und seiften Würmchen nach allen Regeln der Kunst ein.

Die Mungojerries waren vier Jungen aus Würmchens Klasse, die bei ihren Mitschülern immer ordentlich für Ärger sorgten.

»Jetzt können dir deine Freunde auch nicht helfen, Streber!«, rief Fabian, riss Würmchen die Mütze vom Kopf, drückte sein Gesicht in den Schnee und rollte es hin und her.

»Wir warten auch noch auf den Bratapfel, den du uns damals versprochen hast«, rief Chili, der Würmchen an den Beinen zog, während Stolle ihm Schnee in den Kragen schaufelte. Würmchen spürte den kalten, nur langsam schmelzenden Schnee überall: In der Nase, in den Ohren, auf dem Rücken, in der Hose und den Schuhen.

»Wie weit willst du denn Lord Helmchen noch in den Arsch kriechen?«, fragte Fabian gehässig. Er spielte damit auf Würmchens freiwillige Übernahme von Aufgaben und Referaten über die bald beginnenden Weihnachtsferien an. Lord Helmchen war der Spitzname ihres Klassenlehrers Herrn Helmer.

»Solange, bis ich dich da finde«, antwortete Würmchen mutig und wurde nur Sekunden später erneut in den Schnee gepresst.

»Hülfffe!«, schrie er laut, doch er verstummte, als Stolle ihm einen Schneeball in den Mund stopfte.

»Hab dich nicht so«, sagte Chili. »Wir müssen dir erst noch die rote Farbe aus den Haaren waschen.«

Die vier Mungojerries hatten einige Monate zuvor Würmchens Haare rot angesprüht. Weil sich die Farbe nicht auswaschen ließ, musste er sich die Haare danach schwarz färben. Natürlich waren sie seitdem längst nachgewachsen.

Würmchen hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden, als er eine tiefe durchdringende Stimme hörte: »Hey, lasst den Jungen in Ruhe.«

Obwohl auch seine Nase mit Schnee verstopft war, nebelte ihn kurz darauf eine Knoblauch- und Alkoholfahne ein. Die Mungojerries ließen für einen kurzen Augenblick von ihm ab. Sehen konnte Würmchen jedoch immer noch nichts. Er wünschte sich, dass endlich mal jemand Scheibenwischer für Brillengläser erfand.

»Das ist nur der Besoffski«, sagte Fabian verächtlich und wandte sich wieder Würmchen zu, der durch die nassen Schlieren seiner zerbeulten Brille nur langsam wieder etwas sah. Etwas Braunes bewegte sich vor ihm hin und her. Würmchen nahm die Brille ab und erkannte die Umrisse des Stadtstreichers Stefan Pautzki, der in der Göttinger Bevölkerung nur als Penner Pautzki bekannt war. Sein Gesicht war vom Alkohol und von der Kälte gerötet. Kleine Narben zeugten von einem nicht immer ganz einfachen und friedlichen Leben auf der Straße. Sie waren eingerahmt von kürzeren und längeren ungepflegten Bartstoppeln, denn sein Gesicht hatte wohl schon lange keinen Rasierer mehr gesehen. Er trug wie fast immer eine alte abgewetzte braune Lederjacke. Nur dass sie im Sommer offen war und er sie im Winter bei eisiger Kälte bis zum Kragen hin zuknöpfte. Langsam öffnete er die Jacke Knopf für Knopf und griff sich in die Innentasche. Er schien etwas zu suchen. Dabei kniff er ein Auge zu und sah die Gruppe aggressiv an.

»Ich mach euch alle fertig«, rief er und nahm schnell einen Schluck aus einer Flasche, die er sogleich in die Innentasche zurücksteckte.

»Ach, den pusten wir einfach mit einem Schneeball um«, sagte Chili und ballerte drei Bälle in Pautzkis Richtung.

»Der ist doch schon wieder stramm und breit wie eine Haubitze«, meinte der hoch gewachsene Stolle zustimmend und ging langsam auf Pautzki zu. Dabei zupfte er kurz seine Mütze gerade und spreizte seine Finger kampfbereit in den schwarzen Handschuhen.

»Wenn ihr den Jungen nicht in Ruhe lasst, mache ich euch Feuer unterm Hintern. Ich zünde euch auch mal die Hütte an.« Er stellte die Flasche auf den Boden, zog ein Feuerzeug aus der Tasche und rieb den Feuerstein, bis eine zwanzig Zentimeter hohe Flamme hervorschoss. »Willst du uns drohen?«, fragte Fabian, der nun dazu kam.

Während einige hundert Meter weiter dicke Rauschschwaden in den Himmel zogen, rußige Luft den Knoblauchgeruch überdeckte und die Mungojerries Pautzki gebannt anstarrten, stand Würmchen schnell auf und nahm die Beine in die Hand.

Zur gleichen Zeit waren ein paar Häuserblöcke entfernt zwei weitere Mitglieder der Göttinger Sieben dabei, sich auf den Weg in die lausig kalte Innenstadt zum Weihnachtsmarkt zu machen. Mit innen gefütterten Stiefeln und in eine dicke Jacke eingemummelt betrat Kröte Jonas’ Reich im ersten Stock, um ihn abzuholen. In seinen Handschuhen trug Kröte ein kleines Heft und zwei eingeschweißte kleine Tütchen, die er sogleich aufriss. Er zog sechs Bilder aus jedem Tütchen und legte zwei zufrieden neben sein Heft auf Jonas‘ Schreibtisch. Dann sah er sich um.

»Sieht ja schlimm aus«, meinte Kröte und warf einen Blick über die vielen Sachen, die in Jonas’ Zimmer verteilt lagen.

»Kannst ja aufräumen, wenn’s dich stört«, sagte Jonas und sah suchend umher. Schnell warf er einen Blick auf die Uhr. »Ich weiß, wir müssen jetzt los. Ich bin gleich so weit.« Er griff nach seiner Jacke. »Wo sind bloß meine Handschuhe?«

»Vermutlich dort, wo du sie hingelegt hast«, antwortete Kröte neugierig über den Tisch gebeugt.

»Wie witzig«, erwiderte Jonas und suchte verzweifelt unter seinem Bett. Seine alten Stiefel rückte er beiseite, dann flogen Aufkleber, Fußballmagazine und Comics durch die Luft, schließlich kamen alte Briefe, ein paar Gummistiefel, ein Buch über Ufos und ein lädierter Fußball zum Vorschein.

»Guck doch mal in der Tasche nach«, sagte Kröte immer noch über den Schreibtisch gebeugt. Er war dabei, seine beiden Bilder einzukleben. Dann legte er den letzten Papierschnipsel zu den anderen auf den großen Haufen. »Jetzt fehlen mir nur noch acht Bilder.« Vor ihm auf dem Tisch lag das Sammelalbum mit Abziehbildern, das die schönsten Motive der Stadt Göttingen zeigte. Auf dem Boden in Jonas’ Zimmer waren weitere Papierhüllen verstreut, in denen die Bilder verschweißt gewesen waren. Der Sammler, der als Erster alle Abziehbilder im Album hatte, gewann eine Kreuzfahrt und 10.000 Euro.

»Mir fehlen noch zwölf. Aber ich bin sicher, die kriege ich auch noch«, entgegnete Jonas sowohl bewundernd als auch etwas eifersüchtig auf Kröte und lugte unter seinem Bett hervor. Dann wühlte er hastig in einer Schublade herum, in der sich aber nur Socken, Fußballstutzen und Schweißbänder befanden. »Ohne Handschuhe gehe ich nicht raus.«

»Es sind minus acht Grad«, stimmte Kröte ihm zu und betrachtete erneut voller Stolz sein Album. »Aber stell dich nicht so an. Der arme Lukas arbeitet bei der Kälte den ganzen Nachmittag auf dem Weihnachtsmarkt.«

Jonas nickte.

Kröte blätterte in seinem Heft. »Vielleicht bringt er dir welche mit.«

»Handschuhe?«

»Nee. Bilder. Der Glühweinfritze, bei dem er arbeitet, druckt die Dinger doch.« Kröte blickte Jonas kurz an: »Hab mein halbes Taschengeld für die Aufkleber ausgegeben.«

»Dann gibst du dein Geld zumindest nicht für Süßigkeiten aus.«

»Für ’ne Thüringer Bratwurst und ’nen Punsch reicht mein Geld noch. Und wenn ich die letzten acht Bilder habe, ist das mit 10.000 Euro auf dem Konto sowieso kein Problem mehr.«

»Die 10.000 Euro angele ich mir. Und die Kreuzfahrt verkaufe ich an meine Oma. So jetzt müssen wir aber los. Die anderen warten bestimmt schon«, drängte Jonas und griff im Flur nach den flauschigen Handschuhen seiner Mutter. »Besser als zu erfrieren.«

Sie trafen eine Viertelstunde zu spät am vereinbarten Treffpunkt, dem Gänselieselbrunnen am Alten Göttinger Rathaus, ein. Durch den Schnee und die darunter liegende Eisdecke hatte sich der Weg in eine spiegelglatte Rutschbahn verwandelt. Gemeinsam mit ihren Freunden wollten sie zum Weihnachtsmarkt, auf dem Jonas’ Bruder Lukas an dem besagten Getränkestand arbeitete. Dort standen viele Göttinger dicht gedrängt an den geschmückten Holzbuden und wärmten sich an heißen Glühweinbechern. Motive der Stadt zierten die meisten Gläser und Becher. Der Geruch von Zimt und Nelken lag in der Luft.

Würmchen erwartete sie völlig durchnässt und vor Kälte zitternd. Dazu nieste er schon das sechste Mal. Mit einem Auge hielt er nach den Mungojerries Ausschau, weil er eine erneute Begegnung unter allen Umständen vermeiden wollte. Xiaoli war direkt aus dem warmen Übungskeller von ihrer Schlagzeugstunde gekommen, als Jonas und Kröte eintrafen. Während sie gemeinsam auf Maike und ihren Hund Gustav warteten, ließen sie ihre Blicke über den Markt schweifen. Neben süßen Leckereien wie Schmalzkuchen oder Zuckerwatte gab es viele Stände mit Kunstgewerbe. Hier wurden Körnerkissen, Porzellanmalereien, Handpuppen, Kerzen und Ledergürtel angeboten. Jonas kaufte für Maike ein paar gebrannte Mandeln, mit denen er sie überraschen wollte, denn er war sich nicht sicher, ob sie ein Herz aus Lebkuchen mit einem tollen Spruch als zu kitschig empfinden würde. Konzentriert hielt er nach ihr Ausschau. Dabei fiel ihm eine Frau mit einer Frisur wie eine Mischung aus Ananas und Papagei ins Auge, die sich ihren Weg durch die Menschenmenge bahnte. Ein dicker, breitschultriger Mann mit einer Mähne wie ein aufgeplatztes Sofakissen schob sich ihr von der anderen Seite entgegen. Die Frau schien gerade vom Friseur zu kommen, während der Mann einen Besuch dort dringend nötig gehabt hätte. Um sich die Zeit zu vertreiben, lästerte Jonas ein bisschen mit seinen Freunden über das Aussehen dieser beiden Weihnachtsmarktbesucher.

Als Maike mit Gustav auf dem Arm mit zwanzig Minuten Verspätung schließlich auftauchte, waren die Freunde komplett. Nachdem alle Gustav zur Begrüßung kurz gestreichelt hatten, setzte ihn Maike ohne ein Wort der Entschuldigung auf den Boden. An dieser Stelle waren Schnee und Eis von den Besuchern weggetrampelt. Zuvor hatte der arme Gustav einige unliebsame Erfahrungen mit dem eiskalten und für ihn viel zu glatten Boden gehabt.

Dann machten sie sich gleich auf den Weg zu Lukas.

»Schön, dass du auch schon da bist«, sagte Jonas kurz und nahm Kröte die ursprünglich für Maike gekaufte, aber mittlerweile nahezu leere Tüte mit Mandeln aus der Hand. Kröte hatte ordentlich zugegriffen und sich so das Warten versüßt.

»Ich habe mich eben beeilt«, meinte Maike grinsend und sah die anderen an. Mit ihrem Grübchen auf der linken Wange zeigte sie keine Spur von schuldhafter Einsicht. »Mensch Würmchen, du frierst ja. Hast du dich mit dem Fahrrad im Schnee lang gemacht?«, fragte sie besorgt und blickte mitleidig auf Würmchens bläuliche Lippen, seine verletzte Nase und die verbeulte Brille. »Es ist viel zu glatt fürs Fahrrad. Lasst uns erst mal was Warmes trinken.«

Würmchen nickte kurz und nieste erneut zweimal. Er bibberte weiter vor Kälte. Jonas reichte Maike die Tüte mit der letzten gebrannten Mandel. Suchend sah Maike hinein.

»Ihr seid ganz schön gefräßig oder wart ihr schon früher hier?« Bevor die anderen etwas erwidern konnten, hörten sie laute Stimmen, die von einem Stand in der Nähe herüberschallten. Als sie sich zum Glühweinstand begaben, an dem Lukas arbeitete, hörten sie, dass dort bereits eine lautstarke Auseinandersetzung im Gange war.

»Der hat zu viel getrunken«, ereiferte sich ein bärtiger Mann im dunkelblauen Mantel.

»Das Zeug ist gepanscht, du betrügst!«, hörten sie Pautzki brüllen. An seiner lallenden Stimme konnte man erkennen, dass er heute am Alkohol nicht bloß genippt hatte. Er war dem Angriff der Mungojerries wohl noch mal entgangen. Oder hatte er sie gar fertig gemacht? »Geh nach Hause, du Penner«, sagte ein Mann hinter dem Tresen. Er war ein halben Kopf kleiner als Pautzki und trug eine rote Schürze um den Bauch. Auf seiner Schürze stand in weißer Schrift >Angermeier<. Der Mann legte seine Würstchenzange neben den Grill und verließ seinen Platz. Schnell klappte er an einer Stelle die Theke hoch und ging zu Pautzki. Dann griff er nach dessen Mantel und schob den Stadtstreicher vor sich her, so dass dieser rückwärtsgehen musste.

»Erst lädst du mich ein und dann schmeißt du mich raus?«, lallte Pautzki.

»Ich und dich einladen? Das wüsste ich aber!« Der Mann drückte den kräftigen Stadtstreicher weg, dabei fasste er ihm in den Mantel und schüttelte ihn.

»Herr Angermeier, lassen Sie doch den armen Kerl in Ruhe«, sagte eine Dame im Pelz. »Der ist doch nur betrunken.«

»Der vertreibt mir die Kundschaft«, sagte Herr Angermeier kurz angebunden. Er war zwar ungefähr einen Kopf größer als die Freunde, hatte im Gegensatz zu ihnen aber kaum noch Haare. Einzig und allein auf einem weißen Haarkranz tummelten sich noch ein paar verstreute, die wohl aufs Ausfallen warteten. Schweiß rann an seinen Wangen herunter. Er trug die dicke rote Schürze über dem Mantel und dazu Handschuhe, die an den Fingerkuppen ohne Stoff waren. Dicke Stiefel sorgten dafür, dass er an den Füßen nicht fror. Da er kleiner als Pautzki war, grenzte es an ein Wunder, dass er diesen überhaupt wegschieben konnte.

»Soll ich Ihnen helfen?«, hörten sie Lukas fragen. Jetzt erkannten sie auch ihn. Er stand hinter dem Tresen und hatte gerade einem Kunden eine Bratwurst gegeben. Lukas guckte kurz hoch und wartete auf die Worte seines Chefs, um dann schon wieder Glühwein und Eierpunsch auszuschenken.

»Nee, lass«, sagte Herr Angermeier. »Mach dir an dem Kerl die Hände nicht schmutzig.«

Missmutig schüttelte Pautzki den Kopf und torkelte langsam weg. Dann drehte er sich noch mal um: »Du bist doch nicht ganz dicht. Dir müsste man mal die Bude anzünden, damit du wieder klar wirst.«

Während einige Weihnachtsmarktbesucher lachend tuschelten und meinten, dass das der Richtige sage, blickte ihm der Besitzer des Glühweinstandes böse nach. Er wollte gerade dazu ansetzen, auf die Beschimpfungen Pautzkis zu antworten, doch die ältere Dame im Pelz hielt ihn zurück. »Das haben Sie doch gar nicht nötig, Herr Angermeier. Lassen Sie ihn doch. Er geht doch schon zurück. Der ist total betrunken und weiß nicht, was er sagt.«

Wenige Augenblicke später entspannte sich die Lage wieder. Die eng beieinander stehenden Weihnachtsmarktbesucher unterhielten sich angeregt und wärmten sich an ihren heißen Getränken. Gemurmel war nun auch wieder von anderen Ständen zu hören. Vom Rathausplatz erklangen weihnachtliche Lieder. Ein paar Schüler sammelten Spenden für Not leidende Kinder in Korea und klapperten dabei lautstark mit ihren Dosen.

Die Freunde bestellten Eierpunsch und heißen Kakao. Die warmen Getränke taten bei der Kälte gut. Dennoch fühlte sich Würmchen nicht mehr danach, mit den anderen über die bevorstehende Mathearbeit zu reden. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass ihm die Lust auf den Weihnachtsmarkt durch die Mungojerries abhanden gekommen war. Er berichtete kurz von seinem kühlen Erlebnis und der Rettung durch Pautzki.

»Da hast du echt Glück gehabt, dass der vorbeigetorkelt ist«, sagte Jonas. »Der hat sie vermutlich mit seiner Alk- und Knoblauchfahne eingenebelt.«

»Irgendwie tut mir Pautzki leid«, sagte Maike und nippte an ihrem heißen Kakao. Sie hatte Gustavs Leine an einer Schlaufe ihrer Hose befestigt und wärmte sich mit beiden Händen am braunen Keramikbecher. »Der hat niemandem was getan und trotzdem wird er immer verjagt. Selbst wenn er sich aus der Mülltonne des Supermarktes bedient. Außerdem hat ihm irgendjemand seine Kartons angezündet, auf denen er nachts liegt.«

»Und das bei dieser Kälte«, bibberte Würmchen und suchte nach einem weiteren Getränk auf der Karte, das er ohne Angst vor den Auswirkungen seiner Laktose- und Fruktoseintoleranz trinken konnte. Wenn er vergaß, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, wie das Einnehmen von besonderen Tabletten, bekam er oft Bauchschmerzen. Zum Essen hatte er im Gegensatz zu den anderen, die sich Würstchen und Fleischspieße bestellten, auch keine Lust mehr.

Auch Gustav bekam von den leckeren Fleischstückchen etwas ab. Freudig wedelte er mit dem Schwanz, wenn ihm einer nach dem anderen kleine abgekühlte Stücke vor die Schnauze hielt.

»Was schlägst du vor?«, fragte Jonas und sah Maike grinsend an.

»Soll er mit dir ein Bett teilen?«

»Quatsch!«, erwiderte Maike und zeigte Jonas einen Vogel. »Aber man müsste ihm helfen vom Alkohol wegzukommen.«

»Na, das probier mal«, sagte Kröte. »Der braucht doch schon drei Tage, bis der nüchtern ist.«

»Außerdem kriegt er an seinem Heimatkiosk am Platz der Göttinger Sieben immer was«, erzählte Xiaoli. »Und das sogar, obwohl er eigentlich eine Entziehungskur machen soll. Im Restaurant meiner Eltern war er auch schon. Die haben ihm auch schon mal was zu essen gegeben, aber natürlich nichts Alkoholisches.«

»Da sieht man, wie gut wir es haben.« Maike dachte mitleidig an den Obdachlosen. »Wir haben immer ein Dach über dem Kopf, ein warmes Bett und genug zu essen.«

»Als ich mir zuerst Sticker vom Kiosk geholt habe, hat ihn der Angermeier gefragt, ob er nicht was trinken wolle«, ergänzte Jonas. »Waaas?«, fragte Xiaoli ungläubig.

Jonas nickte. »Na Pautzki, dir schmeckt doch sonst auch der Alkohol. Willst du nicht mal einen kleinen Schluck probieren? Ich lad dich ein, weil bald Weihnachten ist.«

»Wie fies«, sagte Maike. »Vermutlich hat er auch noch gedacht, er tut dem Pautzki bei der Kälte was Gutes.«

»Komisch ist bloß, dass er jetzt so tut, als ob er Pautzki nicht kennt«, brummte Kröte nachdenklich.

»Naja«, warf Maike ein, »genau genommen hat Angermeier aber nur gesagt, dass er ihn nicht eingeladen habe, nicht, dass er ihn nicht kennt.«

»Trotzdem hätte er ihm hier was spendieren können«, bemerkte Kröte immer noch in Gedanken versunken.

»Würdest du das machen?«, fragte Jonas. »So wie der stinkt, hauen doch alle Kunden ab. Außerdem will der Angermeier auch noch die Sticker verkaufen.«

»Apropos Sticker«, fiel Kröte ein. »Ich brauche noch acht Stück. Hat jemand Gänseliesel, Bismarckturm oder…« Schnell zog er die Handschuhe aus und kramte in seiner Hosentasche. »Ich habe mir die fehlenden Nummern aufgeschrieben. 12, 19, 21, 45, 48, 67, 76 und 103 fehlen mir noch. Hat die jemand von euch doppelt?«

»Ich habe meine Sticker zu Hause«, sagte Xiaoli. »Allein das Schrödersche Haus, die Nummer 16, habe ich bestimmt fünf Mal.«

»Ich auch.« Maike nickte. »Mir fehlen noch 19 Stück.«

Die meisten Schüler in Göttingen sammelten, obwohl es viele Eltern verboten hatten. Denn etliche Schüler gaben plötzlich viel Geld für dieses Hobby aus. Sparkassen, Kioske und Buchläden verkauften die Sammelbilder. Für 50 Cent gab es 6 Bilder. Würmchen hatte zwar sofort ausgerechnet, wie viel ihn der Spaß kosten würde, aber das konnte ihn nicht davon abbringen, auch heimlich sein Taschengeld für das Sammeln auszugeben.

»Gestern habe ich das Groner Tor bekommen. Mir fehlen noch sieben«, verkündete Würmchen stolz.

»Streber«, lachte Kröte, »aber die Kreuzfahrt und die 10.000 Euro gewinne ich sowieso.« Dabei war Kröte und seinen Freunden natürlich klar, dass der Gewinn geteilt werden würde, deshalb waren sie ja schließlich Freunde. Im Gegensatz zu dem bekannten Sprichwort hörte ihre Freundschaft bei Geld nicht auf.