Eine überraschende Entdeckung

Erste Spuren

Das war wohl nichts

Wanzen, Spritzen, Spionage

Heimliche Recherche

Planungen

Ein Erpresserschreiben taucht auf

Videoanalyse

Hilfe vom Experten

Ein Konzept wird erstellt

Diskussionen bei Kröte

Beschattung

Eine merkwürdige Begegnung

Ein Kauz und ein ärgerliches Missverständnis

Psychologische Betrachtungen

Ein überraschendes Ende

Eine überraschende Entdeckung

>Endlich Osterferien! Ein paar Tage lang mal kein Mathe und keinen Sport, sondern morgens lange faul im Bett liegen, nur Krimis lesen, im Internet surfen und fernsehen!< Kröte freute sich auf die kommende unterrichtsfreie Zeit. Er wollte später zur Polizei ins Kriminaldezernat gehen und bereitete sich statt mit Vokabeln oder mathematischen Formeln lieber mit dem Gucken von Krimis auf sein Ziel vor.

Wenn er nicht las, aß er am liebsten Erdbeertorte, aber auch sonst alles, was mit Erdbeergeschmack zu tun hatte und süß war. Häufig hatte er für Süßigkeiten sein letztes Taschengeld in Viktors’ Space Café am Gänseliesel in der Göttinger Innenstadt ausgegeben.

Nun stellte Kröte fest, dass er sich die Ausgaben nicht mehr lange leisten konnte. Das galt sowohl aus finanziellen Gründen als auch wegen seines beträchtlichen, kontinuierlich gewachsenen, Bauchumfangs. Deswegen sich aber mehr zu bewegen oder gar Sport zu treiben, wie es ihm seine Freunde der Göttinger Sieben vorschlugen, kam für ihn nicht in Frage.

Kröte steuerte einen Supermarkt an, um sich für längere Zeit ein letztes Mal mit ein paar Leckereien den Tag zu versüßen. Es fiel ihm schwer, sich unter den vielen bunten Plastiktüten mit Gummibärchen, Schokolade und Keksen zu entscheiden.

Schließlich griff er nach einer Flasche Erdbeermilch, zögerte kurz und ging dann schnell zum Kassenbereich des Supermarktes. Am liebsten hätte er die Plastikflasche schon vor dem Bezahlen geöffnet, um den leckeren Geschmack auf der Zunge zu spüren. Sollte er vielleicht doch noch ein paar Schokoladenkekse kaufen? Sein Geld reichte noch gerade so. Kröte stellte sich in die Warteschlange. Da sich kaum Kunden im Geschäft aufhielten, musste er nicht lange warten, um an Kasse 3 sein Getränk bezahlen zu können. Er warf dem Kassierer einen flüchtigen Blick zu. Aus der Richtung des rothaarigen, Mitte vierzigjährigen Kassierers, stieg ihm leichter Zigarettengeruch in die Nase. Die Muskeln, die sich unter dem Kittel abzeichneten, ließen darauf schließen, dass der Mann oft schwere Waren hob. Auf seiner Stirn zeichneten sich kleine Schweißperlen ab. Offensichtlich war er auch ziemlich müde, denn er gähnte und hielt sich die Hand vor den Mund, wobei sein Ärmel etwas hoch rutschte. Für einen kurzen Moment blickte Kröte auf das Maul einer giftgrünen Schlange, die auf seiner rechten Handfläche tätowiert war. Sekunden später war sie wieder unter dem Ärmel verschwunden.

Unbeeindruckt legte Kröte das abgezählte Geld auf die Ablage, nahm die Plastikflasche und wollte den Verschluss des Getränkes im Herausgehen aufdrehen. Er erwartete das Knacken des Deckels beim Öffnen, doch das Geräusch blieb aus. Der Deckel ließ sich ohne den gewohnten Widerstand aufdrehen. Als er zum Trinken ansetzen wollte, erschrak er. Die Milch hatte keinen rötlichen, sondern einen blauen Schimmer und stank entsetzlich. An der Oberfläche der Milch hatte sich eine blaue Flüssigkeit abgesetzt.

»Pfui Teufel. Was ist das denn?«, rief er. Er betrachtete die Flasche genauer. Auf dem Etikett lachte ihn neben der Liste der Inhaltsstoffe eine lustige Comicfigur an. Der Appetit auf die Milch war ihm schlagartig vergangen. Er ging zur Kasse zurück.

»Gucken Sie sich bitte mal diese Milch an«, sagte Kröte zum Kassierer. »Igitt. Was ist denn da drin?«, fragte der Mann mit dem roten Kopf.

»Das weiß ich doch nicht«, sagte Kröte. »Und riechen Sie mal dran! Stinken tut sie auch!«

»Oh…äh… Das tut mir leid. Du bekommst natürlich eine neue Flasche.« Kröte gab dem Kassierer die Flasche.

»Einen Augenblick«, sagte der Kassierer und drückte auf eine Klingel, die unter seiner Kasse angebracht war. »Der Filialleiter kommt gleich.« Kröte sah, wie ein anderer Mann schnellen Schrittes zur Kasse 3 eilte. Sofort fielen Kröte die abstehenden Ohren des Mannes auf. Auch wenn dessen schwarzes Haar stellenweise ergraut war, wirkte er durch sein fast faltenfreies Gesicht jünger als der Kassierer. Er trug ebenfalls einen weißen Kittel, auf dem Kröte einen mit blauem Faden aufgenähten Namen lesen konnte: ‚J. Ewald. Filialleiter.’ »Hier.« Der Kassierer wandte sich dem Filialleiter zu. Er zeigte auf die Öffnung der Plastikflasche.

»Haben die schon wieder zugeschlagen?«, zischte Herr Ewald leise. Es gelang ihm nicht zu flüstern.

»Sieht so aus«, murmelte der rothaarige Kassierer und nickte. »Diesmal müssen wir es der Polizei melden; dieser Junge hätte sie beinahe getrunken.«

Der Filialleiter verzog das Gesicht und überlegte. »Ich hole dir eine neue Milch«, sagte er wieder in normaler Lautstärke zu Kröte und ging in Gedanken versunken in den Einkaufsbereich zurück.

»Tut mir leid. Das kann nur passieren, wenn die Kühlkette unterbrochen ist und die Milch nicht ständig unter 5 Grad Celsius gehalten wird«, erklärte der Kassierer. Während Kröte auf die Rückkehr des Filialleiters wartete, zog der Mann den Einkauf der anderen Kunden über den Scanner.

Kröte betrachtete das rote Gesicht des Kassierers, dem erneut ein paar Schweißperlen über die Stirn liefen. >Weshalb schwitzt der bloß so?<, fragte sich Kröte. Offensichtlich war es dem Kassierer sehr peinlich, dass die Erdbeermilch nicht in Ordnung war.

Kröte schautesichgelangweiltum. Erhatte immer noch Durst, auch wenn ihm die Vorfreude auf seine Erdbeermilch vergangen war. Hätte er doch lieber eine Cola und die Gummibärchen mit Erdbeergeschmack genommen!

Hinter dem Kassierer klebte ein Plakat mit der Aufschrift:

Dringend Aushilfen für Regalpflege und Lagerarbeiten gesucht.

Kröte sah den zurückkehrenden Filialleiter, der versuchte, betont lässig den Gang entlang zu schlendern.

»Tut mir leid! So etwas darf nicht passieren«, sagte er nervös und übergab Kröte zwei Flaschen Milch. »Für die Unannehmlichkeit bekommst du zur Entschädigung eine zweite Flasche.«

Kröte öffnete die erste Plastikflasche und guckte auf die Flüssigkeit.

»Ich hole dir ein Glas, wenn du sie hier trinken möchtest«, sagte der Filialleiter und verschwand durch eine blaue Tür, hinter der sich nur das Verkaufspersonal aufhalten durfte.

»Hier.« Er reichte Kröte ein Glas. Beim Eingießen betrachteten sie die Farbe.

»Einwandfrei.«

»Lass sie dir schmecken«, sagte der Filialleiter.

Sekunden später war auch die zweite Flasche Milch geöffnet und ihr Inhalt in Krötes Verdauungstrakt gelandet. Kröte lehnte sich mit dem Rücken an das Bord vor dem Fenster, das für das Einpacken der Produkte gedacht war und überlegte: >Irgendetwas stimmt hier nicht, aber was?< Seine Augen wanderten zwischen den Gängen im Geschäft hin und her, als er sah, dass ein weiterer Mitarbeiter zur Kasse 3 ging und sich dem Kassierer zuwandte.

»Schon wieder?«, hörte Kröte ihn leise fragen.

Der Kassierer nickte.

»Ist das nicht ziemlich leichtsinnig? Wer weiß, was das für ein blaues Zeug ist. Es könnte giftig sein.«

Der Kassierer sah sich kurz um und führte seinen Zeigefinger vor die Lippen, um seinen Kollegen zum Schweigen zu bringen. »Bisher ist nichts passiert. Wir müssen noch besser Acht geben.«

Kröte bedankte sich und verließ den Supermarkt. Auf dem Rückweg überlegte er, was es mit der blauen Flüssigkeit auf sich haben konnte. Dann zückte er sein Handy.

»Wir müssen uns heute Nachmittag unbedingt treffen.«

»Was ist passiert?«, fragte Würmchen. »Wo brennt’s denn?«

Kröte erzählte kurz, was ihm im Supermarkt widerfahren war.

»Dir passiert aber auch immer irgendetwas Komisches«, sagte Würmchen.

Seine Stimme klang vorwurfsvoll, aber auch besorgt. Ihm steckte noch der Schock in den Knochen, den er in der Woche vor Ferienbeginn erlebt hatte. Der sonst so schüchterne Würmchen hatte Lara, einem Mädchen aus der Parallelklasse, einen Brief geschrieben, in dem er ihr vorschlug, mit ihm ins Kino zu gehen. Lara hatte ein Schuljahr wiederholt, während Würmchen eins übersprungen hatte. Doch die zwei Jahre Altersunterschied störten Würmchen nicht. Er hatte extra im Internet den Satz >Ich mag Dich< in 117 Sprachen übersetzt und an seinen Brief geheftet. Diesen hatte er dann vier Tage lang in seiner Schultasche mit sich herumgetragen, weil er auf einen günstigen, das heißt unbeobachteten Moment zur Übergabe wartete.

An dem betreffenden Tag in der zweiten großen Pause hatten ihn jedoch die Mungojerries bei der heimlichen Suche nach den gemachten Hausaufgaben in Würmchens Schultasche gefunden. Die Mungojerries bestanden aus Fabian, Chili, Smoky und Stolle. Man konnte das Gefühl haben, dass sich die vier nur deshalb so gut verstanden, weil sie gern andere in Schwierigkeiten brachten. Anstatt die Hausaufgaben in der Pause abzuschreiben, kopierten sie den sehr persönlichen Brief und hefteten ihn an die Wände in der Schule. Auch die Tür des Lehrerzimmers blieb nicht verschont. Würmchen war blamiert bis auf die Knochen.

Lara hatte ihn danach zwar nicht fies ausgelacht, aber im Kreis ihrer Freundinnen doch verschämt gekichert und Würmchen danach keines Blickes mehr gewürdigt. Das war schlimmer als ein Korb. Dass auch seine Kunstlehrerin Frau Krüger den Brief ziemlich niedlich gefunden und den Inhalt vor der Klasse kurz zum Thema gemacht hatte, machte die Sache nicht besser. Würmchen sehnte das erste Mal die Ferien herbei. Er wäre eigentlich ganz froh gewesen, wenn jetzt nichts Außergewöhnliches mehr passiert wäre.

Kröte ignorierte Würmchens Bemerkung. »In zehn Minuten bei mir. Ich rufe Jonas und Lukas an. Kannst du Maike und Xiaoli Bescheid sagen?« »Klar. Mache ich«, sagte Würmchen.

»Vielleicht will sich jemand rächen und unterbricht die Kühlkette, damit die Lebensmittel verderben und der Supermarkt finanziell in den Ruin getrieben oder sein Ruf geschädigt wird«, mutmaßte Maike eine Viertelstunde später.

»Das wäre ein großer Imageschaden«, sagte Jonas und setzte sich auf Krötes Bett. Er schob sein grünes Freundschaftsband, das er von Maike geschenkt bekommen hatte, zum Handgelenk hin, so dass es für die anderen gut sichtbar war.

»Glaubt ihr wirklich, dass die Kühlkette unterbrochen war?«, fragte Würmchen.

»Das hat der Filialleiter zumindest erzählt«, sagte Maike.

»Ungewöhnlich ist, dass nur eine Milch schlecht geworden ist und nicht die ganze Palette«, wandte Jonas ein.

»Du hast doch eine Erdbeermilch bekommen?«, fragte Würmchen.

Kröte nickte. »Vielleicht hat er sie von einer anderen Palette genommen. Ich konnte nicht sehen, von wo er sie geholt hat.«

»Vielleicht war der Deckel der Flasche auch nicht ganz geschlossen und es kam Sauerstoff an die Milch. Dann verdirbt sie auch, wenn die Kühlkette eingehalten wird«, erklärte Würmchen und schob seine Brille wieder auf der Nase zurecht.

»Hast du schon einmal eine blaue Flüssigkeit gesehen, wenn Milch ranzig wird?«, mischte sich Lukas ein.

»Nee. Die wird dann eher fest«, sagte Maike.

»Nach ranziger Milch roch sie auch nicht«, sagte Kröte. »Es war ein ekelig beißender Geruch, so wie der von dem Zeug aus dem Chemieunterricht.«

»Welches Zeug?«

»Das, was so nach faulen Eiern stinkt.«

»Du meinst Schwefel«, sagte Würmchen.

»Genau das.«

»Klasse. Morgen kauf ich auch so eine Milch und wir bauen Stinkbomben«, schlug Jonas vor.

»Sehrwitzig«, sagteMaikekopfschüttelnd, währendihrPferdeschwanz wippend Würmchens Wange streifte.

»Verdorben war die Milch demnach nicht«, kam Lukas auf den Punkt.

»Außerdem besteht bei verdorbener Milch keine Gefahr, dass sie dann giftig wird«, sagte Würmchen.

»Wie meinst du das?«, fragte Maike.

»Verdorbene Milch stinkt und schmeckt schlecht, ist aber nicht giftig«, erklärte Würmchen.

»Das hört sich eher nach Erpressung an«, überlegte Xiaoli und streichelte Gustav, den Siebten im Bunde. Der Hund döste zufrieden auf ihrem Schoß und blinzelte nicht einmal, während er sich die Streicheleinheiten gefallen ließ. Nach dem ausgiebigen Spaziergang von seinem Zuhause bei Maike bis zu Krötes Zimmer im Ostviertel hatte er alle vier Pfoten von sich gestreckt und sah zufrieden aus.

Kröte presste kurz die Lippen aufeinander und nickte: »Wir müssen unbedingt herausfinden, was da los ist.«

»Da musst du deine Zeit im Bett und im Internet wohl in den Ferien einschränken«, zog Jonas Kröte auf und legte ihm freundschaftlich den Arm um die Schulter.

»Nicht nur Kröte«, sagte Maike. »Wir müssen in den Laden und mit den Verkäufern sprechen.«

»Die werden uns kaum was sagen«, hielt Lukas dagegen.

»Dann müssen wir die Filiale überwachen«, schlug Xiaoli vor.

»Wie denn?«, fragte Jonas. »Gucken, ob jemand mit blauer Flüssigkeit den Laden betritt?«

»Wir können jedenfalls nicht abwechselnd dort einkaufen und darauf vertrauen, dass uns der oder die Erpresser dort zufällig über den Weg laufen. Wir wissen ja noch nicht einmal, ob der Supermarkt überhaupt erpresst wird!«, sagte Lukas.

»Ich hab’s!«, sagte Kröte. »Ich werde mich dort morgen als Aushilfe bewerben.«

»Das ist doch nichts für jemanden, der jede körperliche Arbeit scheut«, stichelte Jonas grinsend.

»Ich mache es nicht um Waren auszupacken, sondern um ein Auge auf die Vorgänge im Geschäft zu werfen. Nebenbei nehme ich durch die viele Bewegung ab und verdiene noch Geld damit.«

»Das du sofort in Kekse und Schokolade investierst. Das Geld bleibt gleich im Supermarkt und mit dem Abnehmen wird es auch nichts«, sagte Xiaoli gespielt tadelnd. Nun kraulte sie Gustav am Hals, der bei den Worten Kekse und Schokolade interessiert die Ohren spitzte. Beides mochte er gern, auch wenn zuviel Schokolade nicht gut für seine Gesundheit war.

»Vielleicht bezahlen die dich gleich in gefrorenen Erdbeertorten und Pralinenpackungen«, lachte Maike.

»Das wollen wir doch einmal sehen.« Kröte fühlte sich in seiner Ehre verletzt. »Traut ihr mir so einen Ferienjob nicht zu?«

Jonas grinste breit: »Der beste Kunde wirst du selbst sein.«

»Wenn ich den ganzen Tag das süße Zeug sehe, wird es mir vermutlich überdrüssig«, sagte Kröte.

»Quatsch«, sagte Xiaoli. »Du wirst nach einer Woche aussehen wie ein Elefant!« Sie lachten. Dann wurde Lukas wieder ernst: »Vergiss deinen Ausweis nicht, wenn du dich beim Filialleiter vorstellst.«

»Wieso?«, fragte Kröte.

»Jugendschutzgesetz. Deine Eltern müssen der Arbeit zustimmen.«

»Mein Vater ist eh nicht da und meine Mutter kriege ich schon herum. Und ich bin froh, wenn ich nicht zu dieser Nachhilfetante muss, mit der mir meine Mutter immer droht.«

»Hat sie denn deinen blauen Brief schon gesehen?«, fragte Xiaoli.

»Nee, der liegt noch ungeöffnet unter meinem Bett.«

»Wie verkaufst du ihr das mit dem Arbeiten im Supermarkt?«, fragte Jonas.

»Vielleicht, dass uns die Lehrer gesagt haben, dass wir in den Osterferien arbeiten sollen, um uns an das Berufsleben zu gewöhnen.«

»Na!« Maike verdrehte ungläubig die Augen.»In unserem Alter?«

»Und wenn sie bei den Lehrern nachfragt?«, gab Würmchen zu bedenken.

»Macht sie nicht. Außerdem will ich mir endlich ein zweites Nachtsichtgerät kaufen und mich beim Geocachingkurs anmelden, da kann ich jeden Cent gebrauchen.«

»Geocaching?«, fragte Würmchen, der sonst immer alles wusste.

»Das ist so ’ne Art Schnitzeljagd mit GPS«, erklärte Lukas.

»Ich bin jedenfalls auf deinen Bericht gespannt«, sagte Maike. »Seid ihr in den Ferien hier oder fährt jemand weg?«

»Ich helfe im Restaurant meiner Eltern, aber nicht jeden Tag«, sagte Xiaoli. Sie übernahm regelmäßig das Eindecken und Abräumen der Tische und verteilte auch manchmal Werbezettel in Briefkästen.

»Und ich fahre am letzten Wochenende zu meinem Opa ans Steinhuder Meer«, ergänzte Würmchen.

»Dann grüß ihn mal von uns«, sagte Kröte. »Ich freue mich schon darauf, ihn in den Pfingstferien kennen zulernen. Das wird bestimmt super da. Wir könnten zelten und baden.« Die anderen nickten und auch Gustav bellte einmal kurz zustimmend.

»Wir werden dich jedenfalls in dieser Woche im Supermarkt regelmäßig besuchen und überprüfen, ob du arbeitest oder dich lieber Gummibärchen naschend im Regal versteckst, um die Leute im Laden zu beobachten.«

Erste Spuren

»Das richtige Alter hast du. Ich sehe keine Bedenken gegen ein Engagement während der Ferien«, sagte Herr Ewald und gab Kröte seinen Schülerausweis zurück. »Deine Eltern müssen aber einverstanden sein.« »Sind sie!«, sagte Kröte und zog einen Zettel aus der Tasche. »Hier ist die Einwilligung meiner Mutter.«

Herr Ewald warf einen Blick auf das Papier. »Du musst hier aber ganz schön ran. Das Auspacken der Ware ist sehr anstrengend.«

»Ich mache das schon. Neben dem Geldverdienen will ich auch etwas abnehmen.« Kröte deutete auf seinen Bauch.

»Na, der wird sicherlich bis zum Ende der nächsten Woche kleiner geworden sein«, sagte Herr Ewald schmunzelnd. »Unser Supermarkt ist 800m2 groß, das ist fast so groß wie ein Handballfeld oder zwei Basketballfelder, da verlierst du ein paar Kilo.«

»Das hoffe ich!«, sagte Kröte.

»Komm mit. Ich zeige dir die Räume des Personals.«

Herr Ewald schloss die blaue Tür auf und sie betraten einen Raum mit weiß gekachelten Wänden. An der rechten Wand standen blaue Spinde mit Namensschildern über den Türschlössern. Kröte musterte die Schilder und zählte vier Namen: Jürgens, Ewald, Chakraborty und Sürümut.

»Du bekommst auch einen«, sagte der Filialleiter. » Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Herr Ewald.«

»Sapowski, Erwin Sapowski«, sagte Kröte und schüttelte ihm die Hand.

»Ich weiß, stand in deinem Schülerausweis.« Kröte nahm einen leichten Schweißgeruch war. »Die Spinde schließen wir nicht ab, schließlich sind wir Kollegen und haben alle Vertrauen zueinander.«

»Alles klar.« Kröte nickte.

Sie betraten einen weiteren Raum, in dem sich eine Küche mit Spüle, Kaffeemaschine und Herdplatten befand.

»Hier ist der Kühlschrank, dort kommen nur Lebensmittel rein, die mit einem Bon versehen sind. Sonst kann man nicht feststellen, was gekauft und was geklaut wurde.«

»Ich dachte, Sie vertrauen einander«, sagte Kröte verwundert.

»Selbstverständlich tun wir das. Aber ein kleiner Schokoriegel verschwindet schnell mal in der Hosentasche«, sagte Herr Ewald und musterte Kröte streng. »Dann war es das mit dem Job.«

»Klar.«

»Hier ist dein T-Shirt, das du während der Arbeit tragen wirst.«

Kröte zog sein Hemd aus und streifte das T-Shirt über seinen Oberkörper. Es lag ganz eng an und spannte am Bauch.

»Klasse siehst du aus. Wie eine Bratwurst«, lachte der Filialleiter. »Ich sehe einmal nach, ob ich das T-Shirt eine Nummer größer habe.«

Kröte folgte dem Mann in einen anderen Raum. Dort hing ein großer Bildschirm an der Wand. Auf ihm sah Kröte den Verkaufsraum aus den sechs verschiedenen Blickwinkeln der eingebauten Kameras. Herr Ewald gab Kröte einen dünnen weißen Kittel. Als Kröte ihn überstreifte, nickte ihm der Filialleiter anerkennend zu.

»Ich hoffe, dass dein Bauch durch den Verzehr unserer Lebensmittel so rund geworden ist«, lachte er und tätschelte Kröte die Schulter. »Ist nur ein Spaß.« Dann gingen sie in die Küche zurück.

Kröte fand die Späße auf seine Kosten gar nicht witzig, aber er wollte schließlich dem merkwürdigen Geheimnis auf die Spur kommen, so dass er sich entschloss, lieber nichts dazu zu sagen.

»Am besten…« Er wurde durch einen Mitarbeiter unterbrochen, der die Küche betrat.

»Herr Sürümut, darf ich Ihnen unsere neue Aushilfskraft Erwin Sapowski vorstellen? - Erwin, das ist Herr Sürümut«, sagte Herr Ewald und zeigte zunächst auf Kröte und dann auf einen muskulösen dunkelhaarigen Mann, der vor ihm stand. Kröte schüttelte die kräftige Hand des circa 45 Jahre alten Mitarbeiters, dessen kurzes Haar an manchen Stellen schon sehr licht war und der dunkle Ringe um seine braunen Augen hatte. Kröte fiel sofort der dicke graue Schnauzbart ins Auge, der gut und gern zehn Zentimeter lang war:

»Tag«, kam es aus dem bärtigen Mund. Mit 1,70m war Herr Sürümut einen halben Kopf größer als Kröte. »Haben Sie ihm…?« Er blickte Herrn Ewald fragend an. Dieser verzog ein wenig das Gesicht und schüttelte den Kopf.

»Vielleicht kann er auch ein Auge auf… laut Vertrag ist er zum Stillschweigen verpflichtet.«

Herr Ewald schüttelte wieder den Kopf. »Apropos Vertrag. Ich hole ihn«, sagte er und verließ den Raum, um das Schriftstück zu holen.

»Gibt es etwas, das ich wissen sollte?«, fragte Kröte

»Ja, äh, nee«, sagte Herr Sürümut schnell und verschwand ebenso plötzlich wie er aufgetaucht war, um sich an die Arbeit zu machen.