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Über den Autor:

Schon in der Schule war Tobias Schrader als Geschichtenerzähler bekannt, besonders wenn es um die Begründung für nicht gemachte Hausaufgaben ging. Allerdings hatten die Lehrer für seine Erzählungen oft wenig Verständnis. Nach der Schulzeit studierte er Rechts- & Sozialwissenschaften und promovierte in Göttingen. Seine Freude an Detektivgeschichten brachte ihn zum Schreiben - nicht nur für junge Leser. Heute lebt er in Laatzen bei Hannover.

Cover und Personen: image1

Text Layout: Danielle Lewis

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Aufräumarbeiten

»Der könnte langsam mal kommen«, maulte Jonas und guckte auf die Uhr. Er wartete mit Kröte bereits elf Minuten nach Unterrichtsende vor der Schule. Sie hatten sich längst von den anderen verabschiedet.

»Immer nur die Mailbox dran.«

»Er hätte wenigstens anrufen können«, sagte Kröte. »Oder macht der jetzt einen auf Maike?«

Sie lachten, denn Maike, die gemeinsam mit Xiaoli, Lukas, Würmchen und Hund Gustav zu den Göttinger Sieben gehörte, kam grundsätzlich zu spät.

»Der hat gestern bestimmt zu lange gefeiert«, sagte Kröte. »Nie wieder die olle Frau Krüger zu haben, ist ja auch mindestens eine Feier wert.«

»Ach die. Lass mich bloß mit der in Frieden«, sagte Kröte und guckte traurig. »Wenn ich in der Klassenarbeit heute Morgen wieder ’ne Fünf habe, bleibe ich sitzen. Schade, dass Lord Helmchen zur Kur ist. Bei dem wäre noch ’ne Vier drin gewesen.«

»Lukas hat ihr mal unter dem Namen des Direktors eine Liebesemail geschrieben und sie hat angebissen…«

»Da war doch mal was mit dem Radio?«, fragte Kröte.

»Über diesen komischen Heimatsender hat er ihr im Radio Liebesgrüße vom Direktor ausrichten lassen. Das war in der Schule das Gespräch der Woche. Die Sendung wurde als podcast 1000 Mal herunter geladen.«

Kröte grinste.

»Unter seinem schlechten Verhältnis zu ihr leide ich noch immer«, jammerte Jonas. »Die gibt mir nur so schlechte Noten, weil ich sie an ihn erinnere.«

»Das ist aber auch eine alte Schrulle«, sagte Kröte. »Fabian hat doch mal ‚der größte Lüger ist die Krüger’ mit einem wasserfesten Stift auf den Tisch geschrieben… Weißt du noch, was da los war?«

»Polizei, Feuerwehr, GSG 9!«, sagte Jonas schmunzelnd.

»So ungefähr. Erst hat sie uns zehn Minuten einen Vortrag über die deutsche Sprache gehalten und meinte, es heiße Lügner. Das Wort Lüger gäbe es nicht.«

Jonas nickte. »Humorlos, die Alte.«

»Dann wollte sie von uns eine Schriftprobe und hat gedroht, uns wegen Beleidigung und Sachbeschädigung anzuzeigen.«

»Ich erinnere mich«, sagte Jonas. »Die spinnt total. Vielleicht hättest du doch die Nachhilfe von Angelika annehmen sollen, anstatt mit uns die Fälle im Supermarkt und in Steinhude aufzuklären.«

»Dafür sind wir nun mal Detektive. Aber sitzenbleiben will ich trotzdem nicht.«

Jonas sah Kröte mitleidig an. Dann blickte er erneut auf die Uhr und wechselte schnell das Thema. »Der kommt nicht mehr. Der hat uns vergessen oder knutscht lieber mit Miss Göttingen herum.«

»Also müssen wir den Bus nehmen«, sagte Kröte. Er biss in ein Brötchen. Er hatte schon wieder Hunger, denn seit der zweiten Pause waren bereits zwei Schulstunden vergangen. Kröte und Jonas gingen zur Haltestelle, stiegen in den Bus.

Zwanzig Minuten später standen sie vor einem Hochhaus im Stadtteil Grone. Da Lukas unbedingt nach dem Abitur zu Hause ausziehen wollte, hatten ihm seine Eltern dort ein kleines Appartement gemietet. Es war besonders günstig, weil es ein Jahr lang leer gestanden hatte, nachdem der Vormieter Hals über Kopf ausgezogen war. Jonas klingelte zum vierten Mal.

»Der muss aber hier sein«, sagte er. »Sein Auto steht doch vor der Tür.« »Bestimmt holt er sich was zu essen«, vermutete Kröte, dem das Brötchen nicht gereicht hatte. Ihm knurrte schon wieder der Magen.

»Gut, dass ich einen Schlüssel habe«, sagte Jonas. Er kramte in seiner Tasche und zog einen messingfarbenen Schlüssel hervor. Im sechsten Stock stiegen sie aus dem Fahrstuhl und liefen einen langen dunklen Gang entlang zur Wohnung.

»Der Mieter hat ein völliges Chaos hinterlassen«, sagte Jonas und kramte den Schlüssel hervor. »Stellenweise ist die Tapete heruntergerissen, einzelne Dielen des Fußbodens liegen lose herum«.

»Wenn die den Mieter kriegen … aber der ist bestimmt über alle Berge.« »Der Mieter soll angeblich ein Knasti sein. Der saß im Gefängnis, war für zwei Tage draußen und ist jetzt untergetaucht«, erklärte Jonas.

»Das ist schon dreist, seine Miete nicht zu bezahlen und einfach abzuhauen.«

»Deshalb hat Lukas die Wohnung auch so günstig bekommen. Der Vermieter dachte, der Kerl bezahlt, wenn er aus dem Knast raus ist.«

»Das war wohl nichts.«

Jonas nickte. »Deshalb renovieren wir selbst. Meine Mutter hat den Flur schon von einer ganzen Menge halbvoller Flaschen, Kaugummiresten und verschimmelten Lebensmitteln befreit. Die ist ausgerastet, als sie die Wohnung sah.«

»Sah wohl noch schlimmer aus als bei dir, was?«, lästerte Kröte.

Jonas verzog angewidert den Mund. »Ich bin zwar nicht immer ordentlich aber sauber. Der Vormieter hier war echt ein Ferkel!«

»Sieht aus, als ob hier jemand am Türschloss herumgefummelt hat«, sagte Kröte.

»Die Zargen sind ebenfalls kaputt«, sagte Jonas und deutete auf eine Stelle an der Tür. »Egal, der Schlüssel passt. Lass uns erst mal rein gehen.«

Drinnen stellten sie fest, dass die Leiter umgestoßen war, die Farbeimer noch verschlossen und auch die Pinsel noch unbenutzt waren.

»Der hat sich aus dem Staub gemacht«, sagte Jonas.

»Bestimmt hat ihn irgendein Mädchen angerufen, da denkt er an nichts anderes mehr«, sagte Kröte.

»Zuzutrauen wäre es ihm«, sagte Jonas. »Ruf ihn doch noch mal an.«

»Ich habe mein Handy nicht dabei.«

»Dann probiere ich es noch mal«, sagte Jonas. »Mist, nur die Mailbox. Bei meiner Mutter meldet sich auch niemand.«

Während Jonas das Handy wegsteckte, sah sich Kröte der Wohnung um. »Der Flur muss tapeziert werden. Der Boden im Schlafzimmer ist sogar rausgerissen worden.«

»Der Vormieter hat sich hier unmöglich aufgeführt«, schimpfte Jonas. »Mir fallen jeden Tag neue Beschädigungen und Zerstörungen in der Wohnung auf, die der Typ hinterlassen hat. Guck doch mal in das Arbeitszimmer. Da haben wir noch nicht aufgeräumt.«

Neugierig öffnete Kröte die Tür.

»Oh«, pfiff Kröte überrascht durch die Zähne.

»Das habe selbst ich noch nicht geschafft«, gab Jonas zu.

»Stimmt. Das ist ein echtes Kunstwerk!«, stellte Kröte fest. »Der Typ ist voll krass drauf.«

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»Mietnomaden nennt man diese Typen.«

»Warum?«, fragte Kröte.

»Weil sie eine Wohnung mieten und dann wie Nomaden in der Wüste von einem Ort zum anderen ziehen. Die Miete bezahlen sie natürlich nicht. Wenn der Vermieter sie zur Zahlung auffordert, verwüsten sie die Wohnung und hauen heimlich ab.«

»Chaot ist wohl treffender«, meinte Kröte.

»Das ist noch zu milde ausgedrückt. Wir müssen noch seine alten Möbel heraustragen, morgen wird der Sperrmüll abgeholt«, sagte Jonas.

»Dann lass uns die Sachen gleich herausstellen, so haben wir mehr Platz für die Fußbodenleisten und die Farbeimer, die im Flur stehen«, schlug Kröte vor. »Was soll raus?«, fragte er.

»Das kaputte Sofa aus dem Arbeitszimmer, das alte Waschbecken und ein Stuhl. Den Rest tragen wir, wenn Lukas wieder da ist.«

»Lass uns die kleine Couch zuerst nehmen«, sagte Kröte und ging in die Hocke. »Puh, ganz schön schwer.«

Als alles draußen war, faltete Jonas einen Hut aus Zeitungspapier, setzte ihn auf und rührte die weiße Wandfarbe mit einem Schuss Leitungswasser an.

»Bevor Lukas nicht kommt, fangen wir mit dem Streichen nicht an. Ich habe so was noch nie gemacht.«

»Ich brauche erst mal eine Cola«, sagte Kröte schon leicht verschwitzt, der Jonas beim Vorbereiten beobachtet hatte.

»Die Kiste steht auf dem Balkon«, sagte Jonas. »Bring mir bitte ’ne Flasche mit.«

»Das kaputte Ding will noch jemand haben«, sagte Kröte, als er vom Balkon wiederkam und Jonas die Flasche übergab.

»Welches Ding?«

»Das kaputte Sofa. Draußen stehen zwei Männer, die sich das alte Teil ansehen.«

»Kaum zu glauben, selbst die Brockensammlung, bei der alte Möbel an Bedürftige günstig verkauft werden, hätte das Ding zurückgegeben«, sagte Jonas und rollte schon einmal den Pinsel langsam an der Wand ab. »Ob die Farbe für die ganze Wand reicht?«

»Keine Ahnung. Ich hol sicherheitshalber mal den Pott Farbe vom Balkon«, meinte Kröte und blickte von dort erneut auf die Straße. »Die haben das Sofa aufgeschlitzt.«

»Manche Menschen sind einfach doof, weshalb tun die so was?«, fragte Jonas.

»Aus reiner Zerstörungswut oder sie haben Geld darin vermutet«, sagte Kröte. »Viele ältere Leute verstecken ihr Bargeld in den Möbeln, damit es bei einem Einbruch nicht gefunden wird.«

»Eigenartig«, murmelte Jonas und pinselte weiter.

»Wieso hilfst du eigentlich Lukas?«, wollte Kröte wissen. »Der hat doch nach dem Abi jetzt genug Zeit.«

»Weil ich sein Zimmer kriege, wenn wir fertig sind.« Jonas grinste.

»Das wäre nicht schlecht«, stellte Kröte fest. Er sah auf die Uhr. »Bevor wir mit der Arbeit loslegen, kaufe ich mir beim Bäcker ein Brötchen. Soll ich dir was mitbringen?«

»Nein danke, ich habe keinen Hunger«, sagte Jonas. »Langsam mache ich mir Sorgen. Wo Lukas bloß bleibt?«

»Der kommt sicher gleich«, sagte Kröte. »Ich hol schnell was zu essen.«

»Ich schraube solange schon mal die Fußleisten ab und lege das Zeitungspapier aus, dann können wir sofort anfangen, wenn ihr da seid.«

»Okay«, sagte Kröte. »Bis gleich.«

Während Kröte das Haus verließ und sich überlegte, ob er zum Brötchen lieber ein Stück Erdbeerkuchen oder einen Amerikaner nehmen sollte, begann Jonas zu schrauben.

»Puh, ist das staubig!«

Hinter den ersten beiden Latten hatten sich dicke graue Flusen gesammelt. Als er die dritte Leiste losmachte, war er überrascht, dass er kaum Staub dahinter fand. Er schrieb mit einem Bleistift die Nummer drei auf das Brett, um nach dem Streichen zu wissen, in welcher Reihenfolge die Latten wieder zu befestigen waren. Als er das Brett zu den anderen legen wollte, fühlte er in der Innenseite eine Unebenheit. Er drehte das Holz herum. Sein Blick fiel auf einen Schlüssel und einen Briefumschlag, die dort mit Klebestreifen befestigt waren.

Es klingelte. Ohne durch den Türspion zu gucken, drückte Jonas den Summer.

Ein überraschender Anruf

»Ich habe dir ein Stück Kuchen mitgebracht«, sagte Kröte, der noch an seinem Amerikaner kaute. Er spekulierte darauf, dass er auch das für Jonas mitgebrachte Stück essen könnte, weil er wusste, dass dieser sich als Sportler nicht so viel aus süßen Sachen machte.

»Hat sich Lukas gemeldet?«, fragte er schmatzend und biss noch einmal herzhaft in das Stück mit Zuckerguss.

»Nein, dafür habe ich etwas Interessantes hinter den Holzlatten gefunden.«

Jonas zeigte auf den Schlüssel und den Briefumschlag.

»Der Schlüssel könnte von einem Schließfach sein«.

»Mach das Couvert mal auf«, sagte Kröte.

Als Jonas den Umschlag aufgerissen hatte, entdeckten sie einen Zettel auf dem sich eine Reihe von Zahlen befand.

»42, 22, 12«, las Jonas vor.

»Da steht doch noch was.«

»Die Tinte ist ziemlich vergibt.« Jonas hielt den Zettel gegen das Licht.

»Annastraße.«

Jonas gab Kröte den Zettel.

»Das könnte eine Schatzkarte sein«, sagte Kröte.

»Es sind nur Zahlen und das Wort Annastraße zu sehen.« Jonas rieb sich verwundert die Augen. »Ich kann mir keinen Reim auf die Sache machen.«

»Ich mir auch nicht«, stimmte Kröte nachdenklich zu.

»Wo Lukas bloß bleibt!«

»Warum rufst du nicht noch mal bei deiner Mutter an.«

»96-Alte Liebe«, tönte es in dem Moment von Jonas’ Handy, der sich den Fußballsong aus dem Internet als Klingelton herunter geladen hatte. Er sah auf das Display. »Na endlich. Es ist Lukas.«

»Der soll sich beeilen«, sagte Kröte kauend. »Geh schon ran.«

»Wo steckst du denn die ganze Zeit?«, fragte Jonas.

»Man hat mich entführt … « Lukas’ Stimme klang zittrig. »Die Männer sagen, keine Polizei, sonst werde ich gefoltert. Ihr sollt die Wohnung nach einem Schlüssel und einer Karte durchsuchen. Wenn ihr beides gefunden habt, meldet ihr euch bei mir. Ein Bote holt die Sachen ab.« Die Verbindung brach ab. Jonas wurde ganz blass im Gesicht.

»Was ist denn los mit dir?«, fragte Kröte.

»Lukas ist gekidnappt worden. Die Männer, die ihn entführt haben, wollen vermutlich den Schlüssel und die Karte, die wir eben gefunden haben.«

»Sch…«, murmelte Kröte. Ihm schoss vor Schreck das Blut ins Gesicht, so dass seine Wangen wie ein Leuchtturm glühten. »Wir dürfen ihnen die Sachen nicht geben.«

»Dann werden sie Lukas aber nicht freilassen«, wandte Jonas ein.

»Gut, dass du ihm nicht gesagt hast, dass wir die Sachen schon gefunden haben. Uns bleibt noch Zeit, um zu überlegen, was zu tun ist.« Kröte war vor Aufregung der Appetit vergangen.

»Lass uns die Sachen noch einmal angucken.«

Während Kröte die Karte erneut betrachtete, sah sich Jonas den Schlüssel an. »Ich habe doch noch einen alten Schlüssel, den ich aus Köln mitgebracht habe«, sagte Kröte. »Vielleicht könnten wir den…«

»Wir dürfen das Leben von Lukas nicht gefährden«, sagte Jonas aufgebracht.

»Was soll denn schon passieren? Das soll nicht gefühllos klingen, aber die werden Lukas schon nichts tun. Wir geben ihnen die präparierten Gegenstände, die wir für sie vorbereiten und versuchen, das Geheimnis um die Karte und den Schlüssel zu lüften.«

»Ich weiß nicht.« Jonas kratzte sich am Kinn. »Das ist zu gefährlich.«

»Seit wann heißt du Würmchen?«, fragte Kröte und spielte damit auf die Ängstlichkeit ihres Freundes an. »Überleg doch mal. Wir geben ihnen die falschen Sachen und sie lassen Lukas frei. Dann gehen wir zur Polizei und die verhaften die Gangster.«

»Das ist zu gefährlich – wenn was schief geht! Denk mal an Lukas«, sagte Jonas energisch und schüttelte den Kopf.

Kröte holte einen Schreibblock hervor und schrieb die Informationen auf, die sie hatten.

»Ich mache dir folgenden Vorschlag: Der Schlüssel gehört zu einem Schließfach, das sich vielleicht in einer Bank oder in einem Bahnhof befindet. Ich fahre in die Stadt und überprüfe die Schlösser, und du wartest hier auf mich. Wenn ich bis heute Abend das passende Schloss nicht gefunden habe, rufst du Lukas an und sagst ihm, dass wir den Schlüssel und den Zettel gefunden haben.«

»Ich will, dass mein Bruder sofort freikommt.« Jonas war verzweifelt.

»Die lassen den doch nicht frei, solange es draußen hell ist«, wandte Kröte ein.

»Meinst du?«, fragte Jonas zweifelnd.

»Bestimmt nicht.«

»Die haben den doch sicher auch bei Tageslicht entführt.«

»Wenn sie ihn jetzt freilassen, könnte er später das Versteck finden, an dem er festgehalten wird. Das wäre viel zu gefährlich. Der kriegt heute Nacht ’ne Augenbinde und wird irgendwo anders freigelassen.«

»Na gut«, sagte Jonas nach einiger Überlegung. »Mir ist aber bei der Vorstellung nicht wohl, dass du mit dem Schlüssel die Wohnung verlässt.«

»Entspann dich mal.«

»Aber denk daran, keine Polizei!«

»Natürlich nicht! Ich beeile mich«, sagte Kröte. Bevor Jonas es sich anders überlegen konnte, hatte er bereits den Zettel und den Schlüssel in seine Hosentasche gesteckt.

»Pass auf, dass dich niemand verfolgt.«

»Mache ich«, versprach Kröte.

»Dass du auch ausgerechnet heute dein Handy nicht dabei hast! Typisch.«

»Muss halt ohne gehen.«

Ein erster Kontakt

»Und jetzt ist er allein in der Innenstadt?«, fragte Xiaoli besorgt.

»Möglicherweise haben die Gangster auf ihn gewartet, ihn verfolgt oder sogar ebenfalls entführt.«

»Ich weiß es nicht«, sagte Jonas. »Kann alles sein. Er ist schon zwei Stunden weg.«

»Hast du schon Maike und Würmchen angerufen?«

»Würmchen ist bei seinem Opa am Steinhuder Meer und Maike hat das Hockeyturnier in Duderstadt.«

Xiaoli pustete in den Hörer. »Soll ich mit ihrem Vater sprechen?«

»Keine Polizei hat Lukas gesagt.«

»Aber die könnten doch…«

»Lieber nicht.«

»Also müssen wir warten.«

»Ich fragte mich, weshalb ich mich von Kröte so überrumpeln lassen habe. Lukas ist in Gefahr und Kröte muss wieder einmal auf eigene Faust Ermittlungen anstellen«, ärgerte sich Jonas.

»Du kennst ihn doch.«

»Vielleicht sollte ich doch bei der Polizei anrufen.«

»Und dann?«

»Weiß ich auch nicht.« Jonas machte eine Pause, als er plötzlich zusammenzuckte.

»Es klingelt.«

Ängstlich schlich er zur Tür und spähte vorsichtig durch den Türspion. Er sah niemanden vor der Wohnungstür. Der Klingelnde stand wohl unten vor der Haustür oder versteckte sich. Mit dem Handy in der Hand öffnete Jonas zaghaft die Tür. Er sah weiterhin niemanden. Dann schlich er die Treppen hinunter zum Hauseingang. Durch die Glastür sah er Kröte vor der Tür stehen, der ungeduldig von einem Bein auf das andere trat.

»Es ist Kröte. Ich rufe dich gleich wieder an«, sagte Jonas erleichtert zu Xiaoli und drückte die Türklinke herunter.

»Was hast du herausbekommen?«, fragte Jonas, als sie wieder in der Wohnung waren und Kröte die Tür geschlossen hatte.

»Eigentlich gar nichts.«

»Und uneigentlich?«, fragte Jonas.

»Der Schlüssel gehört zu einem Schließfach, das weder im Göttinger Bahnhof noch in der Universitätsbibliothek liegt.«

»Vielleicht in einer dieser anderen Bibliotheken.«

»Kann sein«, sagte Kröte. Er legte den Schlüssel auf die Fensterbank. Dann kramte er in seiner Hosentasche und holte einen Zettel heraus, den er neben dem Schlüssel platzierte.

»Also, ruf Lukas an und sag ihm, dass wir die Sachen gefunden haben. Ich will auch nicht, dass er die Nacht in den Hände dieser Gangster verbringt.«

»Gut, dass du so vernünftig bist«, sagte Jonas erleichtert. Er drückte mit zittrigen Händen die Tasten seines Mobiltelefons.

»Habt ihr die Sachen?«, fragte Lukas.

»Wir haben einen Schlüssel und einen Zettel auf dem Zahlen stehen, mehr haben wir nicht gefunden.«

Lukas wiederholte laut, was Jonas ihm gesagt hatte.

»Gut. Ihr steckt beide Sachen in einen Umschlag und klemmt diesen an den hinteren Scheibenwischer an meinem Auto«, sagte Lukas. Offensichtlich las er seine Aufforderung von einem Zettel ab, denn seine Stimme war ruhig und gleichmäßig.

»Keine Polizei, sonst werde ich gefoltert.« Die Verbindung wurde unterbrochen.

Jonas legte sein Telefon weg. Dann knickte er aus den herumliegenden alten Zeitungen einen Umschlag, nahm Schlüssel und Zettel vom Fensterbrett und steckte alles in das Couvert.

»Soll lieber nur einer von uns gehen?«

»Meinst du, wir werden auch entführt?«

»Weiß nicht.«

Kröte öffnete vorsichtig die Wohnungstür.

»Ich komme mit.«

Sie gingen zu Lukas Auto, hefteten den Umschlag an den hinteren Scheibenwischer und schlichen zurück in die Wohnung.

»Lass uns das Auto vom Fenster aus beobachten«, schlug Jonas vor.

»Ich gehe auf den Balkon.«

»Sei vorsichtig.«

»Klar. Bin doch kein Anfänger.«

Kröte öffnete die Balkontür und kroch auf allen Vieren nach draußen. Er stützte sich auf seinen Armen auf und schob sich langsam nach oben. Durch einen schmalen Spalt konnte er den gelben Golf sehen.

»Siehst du was?«, fragte Jonas.