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Pierre Stutz
Vertrauenstüren öffnen

topos taschenbücher, Band 1035

Eine Produktion des Matthias Grünewald Verlags

Regula Horcher gewidmet,
in herzlicher Dankbarkeit

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Verlagsgemeinschaft topos plus
Butzon & Bercker, Kevelaer
Don Bosco, München
Echter, Würzburg
Lahn-Verlag, Kevelaer
Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern
Paulusverlag, Freiburg (Schweiz)
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
Tyrolia, Innsbruck

Eine Initiative der
Verlagsgruppe engagement

www.topos-taschenbuecher.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978–3-8367–1035–0
Ebook (PDF): 978–3-8367–5033–2
ePub: 978–3-8367–6033–1

2016 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer
Das © und die inhaltliche Verantwortung liegen beim
Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern
Umschlagabbildung: © iStock.com/TVAllen_CDI
Einband- und Reihengestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
Herstellung: Friedrich Pustet, Regensburg

Inhalt

Zur Einstimmung

Achtsamkeit fördern

Engagement leben

Leichtigkeit und Freude genießen

Am Schweren reifen

Entspannung wagen

Angst und Sorge verwandeln

Dankbarkeit vertiefen

Zur Einstimmung

„Wenn ich nur mehr vertrauen könnte …“, heißt ein Gedanke, den ich oft höre im Begleiten von Menschen auf ihrem spirituellen Weg. Er ist auch mir vertraut, weil mir das Selbstvertrauen nicht in die Wiege gelegt worden ist. Ich habe sehr lange gebraucht, um dem Leben zu trauen. Es war für mich eine Befreiung, als ich mit 40 Jahren entdeckt habe, dass Selbstvertrauen und Gottvertrauen eng miteinander verwoben sind. Sie verwirklichen sich im Vertrauen in das Gute im Menschen und im Einsatz für die Menschenrechte. Nicht ein für alle Mal, sondern jeden Tag neu. Seinem ureigenen Weg zu trauen und ihn Schritt für Schritt zu gehen, um sich nicht verbiegen zu lassen, ist mir zu meinem Lebensthema geworden. Ich umschreibe es mit dem Glück der Unvollkommenheit. Achtsam wahrnehmen, was jetzt schon da ist, um nicht fixiert zu bleiben auf all das, was noch mehr entfaltet werden möchte und kann, lässt mich immer wieder neue Vertrauenstüren entdecken und öffnen in meinem Unterwegssein. Diese Perspektive beginnt mit der Achtsamkeit und sie verstärkt sich im vertrauensvollen Annehmen, ein Leben lang unvollkommen bleiben zu dürfen, kraftvoll und verletzlich.

Was für eine Wohltat, als ich kürzlich in einem Zeitungsinterview las, dass Jon Kabbat-Zinn (* 1944), der bekannte Förderer einer Achtsamkeitspraxis in Medizin und Gesellschaft, gestressten Menschen empfiehlt, beim Duschen wirklich nur zu duschen, um mit Vertrauen sich den Herausforderungen des Tages stellen zu können. Völlig banal?! Genau diese Vertrauenstür habe ich vor drei Jahren geöffnet, als mir auf einmal auffiel, dass ich während des Duschens schon die kommenden Tage und Wochen programmiere!! Seither versuche ich, beim Duschen gegenwärtig zu sein, damit diese unscheinbare Gewohnheit zur Meditation wird. Ich versuche, achtsam präsent zu sein, das Fließen des Wassers zu genießen, mich zu entspannen, mir diese Wohltat zu gönnen und zu danken für das Geschenk des Lebens. Was ich nun so locker beschreiben kann, ist im konkreten Alltag viel schwieriger, weil meine jahrelange Konditionierung in meinem Verhalten gespeichert ist und es wieder Tage gibt, in denen ich beim Duschen unbewusst Sorgen hochrechne, die oft gar nicht eintreffen. Vertrauen zu wagen im Leben, hat viel mit dieser alltäglichen Erkenntnis zu tun. Ich übe – ohne Leistungsdruck –, achtsam und entspannt zu duschen und ich bewerte und verurteile mich nicht, wenn ich mich ertappe, wieder in meinen alten Mustern stecken geblieben zu sein. Natürlich freue ich mich auch, wenn mir beim Duschen geniale Ideen zufallen … Befreiend war das Interview mit Jon Kabbat-Zinn, weil die Journalistin ihn am Schluss fragte, ob ihm als großer Meister der Achtsamkeit diese Präsenz beim Duschen auch gelinge. Er antwortete authentisch: „Immer mehr!“

Diese entschiedene und entlastende Grundhaltung zieht sich wie ein Vertrauensfaden durch die vielen kleinen Texte dieses Taschenbuches, die mehrheitlich in den Jahren 2005–2010 in der spirituellen Fotozeitschrift „ferment“ erschienen sind. Sie möchten ermutigen, das große Wort „V-e-r-t-r-a-u-e-n“ im Alltag buchstabieren zu dürfen. Als Chance, erahnen zu können, dass sich durch eine achtsame Verwurzelung im Urgrund der Liebe Selbstwerdung und Solidarität entfalten können. Als Einladung, wohlwollend mit den eigenen Widersprüchlichkeiten und der eigenen Zerbrechlichkeit umgehen zu können. So sind Mitgefühl und Lebensfreude, Dankbarkeit und Verunsicherung, Vertrauen und Zweifeln keine Gegensätze mehr, sondern vielfältige Zugänge zu einem vertrauensvollen Unterwegssein.

Lausanne, 17. Januar 2016

Pierre Stutz

Achtsamkeit fördern

Achtsame Menschen

Achtsamkeit ist eine spirituelle Grundhaltung.

Es ist keine Methode, um perfekt zu werden.

Achtsame Frauen und Männer nehmen immer wieder wahr, was jetzt ist, ohne es immer schon bewerten zu müssen.

Aufmerksame Menschen suchen in all ihren Lebensvollzügen eine göttliche Spur.

Achtsame Menschen begegnen sich selbst und anderen mit Wohlwollen.

Achtsam meine Kraft, meine Verletzlichkeit, meine Dankbarkeit, meine Empörung wahrnehmen, in der Erinnerung, dass all meine Gefühle immer nur ein Teil von mir sind, ist kein Sonntagsspaziergang. Es heißt, ein Leben lang anzunehmen, dass eine gesunde Spiritualität nie zu haben ist, sondern immer im Werden.

Achtsame Menschen staunen jeden Tag neu, wie viel Wunderbares uns mitten im Alltag entgegenkommen kann.

Achtsam
mitten im Leben stehen
aufmerksam
zwischen Erde und Himmel

Achtsam
ankommen im Augen-Blick
aufmerksam
Kraft aus der Mitte schöpfen

Achtsam
zu mir stehen
gerade stehen für mein Leben
meinen Standpunkt einbringen

Achtsam
mich auf den Weg machen
gemeinsam Schritt für Schritt
Frieden in Gerechtigkeit fördern

Sich aufrichten

Langsam erkennen
was meine Lebendigkeit behindert
mich unterbrechen lassen
im gewohnten Alltagstrott

Mich nicht leben lassen
durch blockierende Ansprüche
das Leben in Fülle wählen
das in meinem Innersten auf mich wartet

Langsam erahnen
was meine Lebensqualität fördert
mich aufhalten lassen
zum Aufstand für die Liebe

Mich aufrichten lassen
durch jene befreienden Lebensworte
die zutiefst berühren:
Steh auf und lebe!

Inspiriert nach Lukas 7,14:
„Ich sage dir, junger Mann: Steh auf!“

Zum Leben erweckt

„Das Leben ist das, was passiert, während wir mit anderem beschäftigt sind“, schreibt John Lennon. Ich liebe diesen Gedanken. Er eröffnet mir einen weiten Raum, um zu mir selbst zu erwachen. Mitten in meinen Beschäftigungen und Sorgen werde ich auferweckt zur Lebendigkeit: Ganz unscheinbar, in einem Nebensatz; ganz überraschend durch eine Geste, die viel bei mir auslöst; ganz kraftvoll durch ein Gedicht, eine Filmszene, die mich im Innersten anrührt.

Ich bin zutiefst dankbar für all die kurzen, dichten Momente, in denen ich in großer Klarheit erfahre, was mich unmittelbar angeht, was ansteht und angegangen werden möchte.