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Martin Barkawitz

Blutmühle

Dark Fantasy





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

1

„Gevatter Tod hat auch hier reiche Ernte gehalten“, bemerkte Leberecht Meissner seufzend. Christian Faller nickte düster. Die beiden Handwerksgesellen waren auf ihrer Wanderschaft in ein Wäldchen geraten.

Anno Domini 1650 war der große Krieg zwar schon seit zwei Jahren vorbei. Doch die Spuren des infernalischen Abschlachtens konnte man selbst in abgelegenen Winkeln des Landes erblicken. So auch in diesem Gehölz. Ein faulig-süßlicher Leichengestank schien zwischen den Baumstämmen zu wabern. Jedenfalls kam es den beiden Männern so vor, obwohl die Toten schon längst verwest sein mussten und nicht mehr hätten stinken dürfen.

Und an den Ästen der größten Buche weit und breit hingen zahlreiche Skelette. Stricke um die Hälse der Knochenmänner zeugten davon, dass die bedauernswerten Kerle hier einst aufgeknüpft worden waren. Und dann hatten die Raben ein wahres Festmahl gehabt. Die Gebeine der Gehenkten waren bis auf wenige Fleischfetzen vollständig abgenagt. Offenbar waren ihre Knochen mit Hämmern oder Flintenkolben zerschmettert worden, bevor ein gnädiger Tod sie von ihren Leiden erlöst hatte.

„‘Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden‘“, zitierte Leberecht mit galligem Unterton. Sein Freund wusste, dass dieser Ausspruch aus den Psalmen stammte. Der schmächtige Handwerksgeselle war früher ein Klosterschüler gewesen und warf öfter mit mehr oder weniger passenden Zitaten aus der Heiligen Schrift um sich. Christian war im Vergleich zu Leberecht deutlich bodenständiger. Außerdem war dieser Leichenbaum nicht der erste, den sie auf ihrer Wanderschaft entdeckt hatten. Und sie würden gewiss noch weitere Tote erblicken, während sie durch das verheerte Land streiften.

Seit einem Jahr waren sie nun schon auf der Walz, hatten in mancher zerstörten Stadt gearbeitet. Doch manche Orte waren so vom Krieg zermalmt worden, dass sie dort keinen lebenden Zunftmeister mehr vorgefunden hatten. Momentan marschierten sie von Münster aus nach Südwesten, das letzte Zehrgeld aus Coesfeld war längst verbraucht.

„Wenigstens unsere gefiederten Freunde haben sich die Bäuche vollschlagen können“, bemerkte Christian, deutete mit einer Kinnbewegung auf die Krähen und schob die Hände in seine leeren Hosentaschen. „Obwohl es während des Krieges auch gestandene Männer gegeben haben soll, die sich an den Leichen ihrer Kameraden gütlich getan haben.“

„Das ist eine unverzeihliche Sünde und eine beispiellose Barbarei“, wütete Leberecht. Christian war nicht so tief religiös und fanatisch wie sein Weggefährte. Als Landsknecht hatte er mit ansehen müssen, wie Männer vor Hunger buchstäblich den Verstand verloren und sogar in Feldsteine gebissen hatten. Er selbst konnte sich auch nicht vorstellen, jemals Menschenfleisch zu sich zu nehmen. Aber er wusste, wie weit die Verzweiflung einen Mann treiben konnte.

Auch die beiden Wandergesellen waren seit drei Tagen ohne feste Nahrung geblieben. Doch von dem wahnwitzigen Hungerrausch, den Christian während der Feldzüge erlebt hatte, waren sie noch meilenweit entfernt. Leberecht warf seinem hochgewachsenen Gefährten einen missgünstigen Blick zu.

„Man könnte fast meinen, dass du eine fette Wurst oder einen großen Brocken Käse vor mir verbirgst, Freund“, bemerkte der schmalbrüstige Geselle. Christian war nicht beleidigt, sondern lachte nur unbeschwert.

„Du meinst, weil ich groß und stark bin wie eine Eiche, während du eher einer Zitterpappel ähnelst? Ich würde dich gerne mästen, Leberecht – aber ich habe auch nichts zu beißen!“

Christian löste sein Bündel vom Wanderstab und knotete es auf, so dass der Kamerad einen Blick auf seine wenigen irdischen Besitztümer werfen konnte. Löchriges Hemd und Feuerstein, Messer und Schnupftuch, leerer Tabaksbeutel und zerbrochene Tonpfeife, stinkende Wollsocken und ein Amulett gegen den Bösen Blick – mit nichts davon konnte man einen leeren Magen füllen. Und am Leib hatte Christian gewiss auch keine Lebensmittel verborgen. Seine geflickte Hose saß eng, gleiches galt für das fadenscheinige Hemd und das zerschlissene Lederwams. Nein, er hatte zweifellos keine Geheimvorräte bei sich.

Dennoch wirkte der hochgewachsene und kräftige Christian weitaus handfester als Leberecht, dessen Statur eher an einen krummen rostigen Haken als an einen erwachsenen Mann erinnerte. Christian klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.

„Ich habe mich eben in den letzten zwei Kriegsjahren bei den Kaiserlichen verdingt, wie du weißt. Wir konnten uns in so manchem Dorf an den Vorräten der Bauern gütlich tun. Von diesen Völlereien zehre ich noch heute.“

Er klopfte mit der flachen Hand auf seinen leeren Bauch, worauf dieser protestierend knurrte. Leberecht nickte düster.

„Und dann habt ihr die Vorratsspeicher niedergebrannt und die Pflüge zerschmettert, um Pikenspitzen und Stoßdegen daraus zu schmieden. Kein Wunder, dass heutzutage das ganze Land darbt.“

Christian konnte seinem Kumpan nicht widersprechen. Doch als Landsknecht hatte er immerhin überlebt, was man von vielen anderen Kriegsmännern nicht behaupten konnte. Nach dem Friedensschluss von Münster und Osnabrück war er davongejagt worden, wie so viele seiner Kameraden. Aber immerhin hatte er einen ehrbaren Beruf gelernt, während die meisten Söldner nur das Kampfeshandwerk kannten. Allerdings füllten ihm seine Fachkenntnisse auch nicht den Magen.

Die Wanderschaft war für Christian und Leberecht eine Flucht nach vorn gewesen, denn in ihrer Heimat hatte es für sie nichts zu tun gegeben. Sie hofften auf bessere Zeiten, wenn sie nach drei Jahren und einem Tag nach Bremen zurückkehren durften.

Die beiden Freunde schleppten sich mit langsamen Schritten unter einem bleifarbigen Himmel in Richtung Westen. Sie hatten gehört, dass es in der Reichsstadt Köln Arbeit für Zimmerleute gäbe. Aber weder Christian noch Leberecht waren jemals zuvor im Rheinischen gewesen. Sie hatten nur eine sehr ungefähre Vorstellung davon, wie weit sie noch von der großen Stadt entfernt waren. Vielleicht mussten sie noch zehn Tagesreisen zurücklegen, bis sie Köln erreichten. Es hätten aber auch genauso gut bedeutend mehr oder auch weniger Wandertage sein können.

Christian warf seinem Weggefährten einen unauffälligen Seitenblick zu. Es gefiel ihm gar nicht, dass Leberecht immer schwächer und taumeliger wurde. Gewiss, sein Freund war zäh und versuchte, sich keine Blöße zu geben. Aber Christian hatte auf den Gewaltmärschen als Landsknecht mehr als einen Kameraden an den Strapazen krepieren sehen. Und Leberecht war nicht mehr weit davon entfernt, seinen letzten Lebensfunken auszuhauchen.

Der ehemalige Söldner musste kein Feldscher sein, um das beurteilen zu können.

„Wie wäre es mit einer Pause?“, schlug er vor. Doch Leberecht schüttelte starrsinnig seinen mageren Schädel, über dem sich die Haut so stramm spannte wie ein Kalbsfell auf einer Regimentstrommel.

„Das könnte dir wohl so passen, Christian! Du hast bei den Soldaten wohl nicht nur das Töten gelernt, sondern auch die frevelhafte Trägheit. Wie steht es schon in der Heiligen Schrift: ‚Gehe hin zur Ameise, du Fauler. Siehe ihre Weise an und lerne‘.“

Christian lachte.

„Ich könnte notfalls sogar eine Ameise verspeisen, Gevatter. Aber ich würde nur die Hälfte davon nehmen und sie mit dir teilen.“

Er zog sein Messer, um seine Behauptung zu untermauern. Leberecht grinste nun ebenfalls schief, obwohl Humor nicht gerade seine Stärke war. Er legte seine Hand, die eher an eine Totenklaue erinnerte, auf Christians muskulösen Unterarm.

„Das weiß ich, mein Freund. Und obwohl du ein Sünder bist, fühle ich für dich wie für einen Bruder. Wenn du nur tüchtig Buße tust und deine Fehltritte bereust, wirst du eines Tages ins himmlische Königreich einziehen. Jedenfalls dann, wenn es der Willen des Herrn ist. Und der ist für uns niedrige Menschenwürmer bekanntlich unergründlich.“

Christian nickte gleichmütig. Wenn Leberecht anfing, vom Paradies zu sprechen, war das einerseits ein gutes Zeichen. Die christliche Verheißung für ein ewiges Leben gehörte nämlich zu seinen Lieblingsthemen. Doch andererseits befand sich der dürre Geselle inzwischen in so schlechter Verfassung, dass er bereits kurz vor der Schwelle des Todes stand. Christian musste gar keine Pause mehr vorschlagen. Wenn sie in diesem Tempo weitermarschierten, würde Leberecht innerhalb kürzester Zeit sowieso zusammenbrechen. Möglicherweise für immer.

Wie konnte Christian das verhindern? Sollte er seinen Freund bewusstlos schlagen, um ihn zum Innehalten zu zwingen? Bei einem kräftigeren Mann hätte er diese Möglichkeit erwogen. Doch er konnte sich nicht vorstellen, seine Faust gegen dieses dürre Klappergestell zu erheben. Während Christian nach einer Lösung suchte, fantasierte Leberecht lauthals vom Elysium.

„Wenn sich die gequälten Seelen aus einem Meer aus Eiter, Blut und flüssigem Feuer erheben, dann werden erhabene Engelsgestalten sie bis ans Tor zur Glückseligkeit führen. Und es tut sich ein strahlend heller Eingang auf, der in eine Sphäre führt, die von unsagbarem Glück geprägt ist. Christian, wir werden Sphärenklänge hören, die köstlicher sind als das mächtigste Brausen einer Kirchenorgel. Und da wir unsere verfaulenden Leiber hinter uns gelassen haben, werden auch unsere Mägen uns nicht mehr martern können mit Schmerzen wie von tausend rostigen Nägeln …“

Christian biss die Zähne zusammen. Es tat ihm weh, seinen hilflosen Freund so reden zu hören. Er war sicher, dass Leberecht kurz davor war, den Verstand zu verlieren. Womöglich hatten ihn bereits alle guten Geister verlassen. Dann bestand wirklich die Gefahr, dass Leberecht sich nachts an Christian heranmachen würde, um ihm die Kehle durchzuschneiden und sein warmes Blut zu trinken …

Christian schüttelte sich. Derartige Szenen hatte er in den letzten Kriegstagen miterleben müssen, als jeder gegen jeden kämpfte und es schon längst nicht mehr darum ging, welche Seite in diesem mörderischen Abschlachten sich nun im Recht befand. Der junge Handwerker überlegte, ob er seinen Freund bei Nacht besser fesseln sollte – vorausgesetzt, Leberecht würde nicht ohnehin vor der Abenddämmerung an Hunger und Erschöpfung sterben.

Doch als Christian sich mit solchen düsteren Überlegungen quälte, stieg ihm plötzlich ein beißender Rauchgeruch in die Nase. Er packte Leberecht am Arm – und zwar so fest, dass dieser aufschrie und seinen brahmabasierenden Sermon abbrach.

„Aua! Bist du vom Satan besessen, Gevatter?“

„Nein, Leberecht. Aber – riechst du nichts?“

Der Schmächtige legte den Kopf in den Nacken und hielt seine Hakennase in den Wind, wobei er Christian an einen Geier erinnerte.

„Das ist Qualm, von einem Ofen oder einem Lagerfeuer. – Sollten sich hier noch versprengte Landsknechte herumtreiben? Eine teuflische Soldateska, auf der sündigen Suche nach willigen Frauen und wohlfeilen Reichtümern?“

„Jedenfalls macht man Feuer, wenn man etwas braten oder kochen will“, stellte Christian nüchtern fest. Er legte seine Hand auf seinen Messergriff. „Und diese Menschen werden gewiss so gottgefällig sein und mit uns teilen.“

Leberecht verstand die Bewegung seines Freundes ganz richtig. Und ihm war natürlich bewusst, dass auch Christian vor nicht allzu langer Zeit selbst den bunten Rock des Kriegsmannes getragen hatte. Brutale Gewalt war sein tägliches Brot gewesen.

„Du sollst nicht stehlen, das steht schon in der Heiligen Schrift“, sagte Leberecht. Doch er musste so heftig schlucken, dass er beinahe an seiner eigenen Spucke erstickte und einen heftigen Hustenanfall bekam. Christian klopfte ihm lachend auf den Rücken.

„Nun wird alles gut, mein Freund. Wir werden uns den Bauch vollschlagen können, das spüre ich ganz deutlich.“

Und es schien wirklich so zu sein, dass der hochgewachsene Handwerksgeselle Recht behalten sollte. Die beiden Gefährten stapften tiefer in den undurchdringlich erscheinenden Wald hinein, wobei sie einfach nur dem Rauchgeruch folgten. Eine Zeitlang schien es, als ob sie von ihren Sinnen genarrt worden wären. Die Bäume ragten himmelhoch auf, zwischen ihren Kronen waren nur kleine Stücke des Himmels zu sehen. Das Gehölz sah nicht so aus, als ob sich dort jemals Menschen aufhalten würden. In anderen Wäldern verbargen sich Flüchtlinge, die vom Krieg aus ihren Häusern vertrieben worden waren. Sie lebten wie Tiere in Höhlen und retteten sich mit Wildgemüse und Pilzen vor dem Hungertod. Solchen bedauernswerten Kreaturen waren die beiden Wandergesellen auf ihrer Walz schon öfter begegnet, und sie hatten voller Mitgefühl ihr letztes Stück Brot mit ihnen geteilt. In solchen Momenten waren sich Christian und Leberecht beinahe wohlhabend vorgekommen, weil sie immerhin noch Stiefel an den Füßen und wenige Habseligkeiten in ihren Tüchern hatten.

Es sah wirklich nicht so aus, als ob in dem Wald auch nur eine Menschenseele leben würde. Doch dann erhob sich am Rand eines schwärzlich-öligen Baches auf einer kleinen Lichtung eine Wassermühle. Das Gebäude erinnerte mit seinen Mauern aus kaum behauenen Felsstücken und seinem grauen Schindeldach eher an einen Wehrturm als an eine Handwerksstätte, in der Mehl gemahlen wird. Die schmalen Fenster wirkten auf Christian wie Schießscharten. Er erwartete jeden Moment, dass eine Hakenbüchse aus einer der Öffnungen geschoben und auf die beiden Wanderer gerichtet wurde.

Aber das geschah nicht. Stattdessen öffnete sich langsam die große Haupt-Tür. Und ein betörend anmutiges weibliches Wesen trat den Männern freundlich lächelnd entgegen. Christian blinzelte. Er kniff sich heimlich selbst, weil er nun zu träumen glaubte. Bescherte der Hunger ihm schon Trugbilder, wie er es bei so manchem seiner Kameraden erlebt hatte?

Die Frau war so schön wie eine Madonnen-Skulptur, die Christian einst bei der Eroberung einer thüringischen Stadt gesehen hatte. Der Anblick der Statue war ihm im Gedächtnis geblieben, obwohl andere Landsknechte wenig später die Kirche mit allen Menschen und Kunstwerken darin angezündet hatten. Auch die Schreie der bei lebendigem Leib Verbrennenden hatte Christian immer noch im Ohr. Doch der Liebreiz seines weiblichen Gegenübers ließ den jungen Mann die hinter ihm liegenden Kriegsschrecken und auch seinen momentanen bohrenden Hunger glatt vergessen. Dieses Weibsbild war wunderhübsch anzuschauen und von betörender Sinnlichkeit.

„Guten Tag, ich heiße Euch herzlich willkommen, meine Herren“, sagte die Frau mit glockenheller Stimme. Unter ihrer züchtigen Haube lugten einige vorwitzige dunkle Locken hervor, und Christian konnte sich an ihren pechschwarzen Augen nicht sattsehen. Ihr wohlgeformter Körper unter dem schlichten Leinenkleid übte eine massive Anziehungskraft auf ihn aus. Die Lust, die durch den Hunger gedämpft worden war, meldete sich zu Wort. Er riss seine Kappe vom Kopf und machte eine Verbeugung, die jeder spanischen Hofschranze alle Ehre gemacht hätte.

Auch Leberecht grüßte die Frau, wenn auch weitaus verhaltener. Aber Christian wusste, dass sein Freund in jedem Weibsbild eine verworfene Sünderin zu erkennen behauptete. Alle Frauen waren für den Dürrling Evastöchter, und die Gefährtin Adams aus der Heiligen Schrift galt ihm als äußerst gefährliche Versucherin und Komplizin des Gottseibeiuns. Der ehemalige Landsknecht hatte eine andere Meinung und hielt Leberecht einfach nur für schüchtern. Christian hatte ihn sogar im Verdacht, noch eine männliche Jungfer zu sein. Vermutlich fürchtete sich Leberecht vor Frauen, weil er noch niemals die Freuden des Beischlafs hatte erleben dürfen.

„Herren sind wir nicht, nur zwei arme Wandergesellen“, stellte Leberecht mit spröde klingender Stimme klar. „Ich bin Leberecht Meissner, mein Gefährte heißt Christian Faller. Und wenn Ihr ein trockenes Plätzchen für die Nacht und einen Löffel Suppe für uns hättet, wäre das ein gottgefälliges Werk von Euch.“

„Ihr seid mir willkommen, denn es ist doch recht einsam hier draußen“, lautete die Antwort. „Ich bin die Müllerwitwe, mein Name lautet Franziska Bartel. – Kommt doch hinein, das Essen ist schon bald fertig.“

Nach dieser Aufforderung ließen sich Christian und Leberecht nicht lange bitten. Sie traten durch die niedrige Pforte. Der hochgewachsene Christian musste sich bücken, um ins Innere der Mühle zu gelangen. Dort herrschte ein unablässiges Knarren und Schnarren, denn die Mühlsteine waren in Betrieb und zermalmten die Getreidekörner. Die beiden Gesellen gewöhnten sich allerdings schnell an das Geräusch, denn ihre Aufmerksamkeit galt nun dem Essen.

Franziska hatte sie sofort in die Küche geführt, in der große geräucherte Schinken und Würste von der Decke hingen. Leberechts Magen knurrte so laut, dass dadurch sogar das Mahlgeräusch übertönt wurde. Die Müllerwitwe machte sich am Herd zu schaffen, während ihre Gäste bereits auf den Holzbänken am großen Küchentisch Platz nehmen durften.

Christian nutzte die Gelegenheit, um unauffällig die runde Kehrseite Franziskas zu mustern, die sich unter dem schlichten Leinenkleid abzeichnete. Der ehemalige Landsknecht war fast genauso hungrig wie sein Freund, doch bei Christian kam noch eine andere Art der Fleischeslust hinzu. Ihm gefiel Franziska nämlich ausgesprochen gut. Sie war genau die Art von Weibsbild, das dem jungen Mann den Kopf verdrehen konnte.

Aus ihren Augen sprühte die Lebendigkeit, und jede ihrer Bewegungen wirkte wie ein Teil von Salomes Schleiertanz, von dem Christian einst durch einen Feldprediger gehört hatte. Obwohl Franziska vollständig und züchtig bekleidet war, fühlte sich der Handwerksgeselle durch ihre Gegenwart so angeregt wie durch eine halbnackte Lager-Marketenderin während seiner Soldatenzeit. Sein Liebesspeer hatte sich schon lange aufgerichtet, denn während der langen Wanderschaft war Christian zwangsläufig so keusch geblieben wie der Heilige Vater höchstpersönlich.

Auch Leberecht war nicht entgangen, wie sehr sein Freund von der schönen Witwe angetan war. Der halb verhungerte arme Tropf überlegte fieberhaft, wie er Christian vom Pfad der Sünde abbringen konnte. Doch Leberechts Gehirn litt ganz massiv unter den Versuchungen durch die Nahrung. Der Sinnspruch vom willigen Geist und vom schwachen Fleisch erhielt für ihn in diesem Moment eine ganz besondere Dringlichkeit. Nein, auch Leberecht konnte sich den Bedürfnissen seines ausgemergelten Leibes nicht entziehen, auch wenn er es noch so gern getan hätte. Wieder einmal wurde ihm bewusst, dass er seinen Körper am liebsten losgeworden wäre, um direkt ins himmlische Reich Gottes einzuziehen.

Doch momentan ließ der Essensduft seinen Magen so laut knurren, dass er das Geläut jeder Kirchenglocke übertönt hätte.

Franziska schmeckte nämlich nun die Suppe mit etwas Salz ab und füllte für jeden ihrer Gäste eine Schüssel mit der dampfenden köstlichen Flüssigkeit. Keiner der beiden Handwerksgesellen konnte sich erinnern, wann er zum letzten Mal eine so köstliche Bohnensuppe gesehen hatte.

„Ich wünsche einen gesegneten Appetit, Ihr Herren.“

Mit diesen Worten nahm Franziska ebenfalls am großen Tisch Platz. Christian nickte ihr zu und griff zum Löffel, aber Leberecht fiel ihm in den Arm.

„Hast du nicht etwas vergessen?“

Christian wusste zunächst nicht, was sein Gefährte meinte. Er konnte es kaum abwarten, seinen Löffel in die heiße Suppe zu tauchen. Doch gleich darauf fiel es ihm ein. Schließlich wusste er ja inzwischen zur Genüge, was für ein gläubiger Mensch sein Freund war.

„Das Tischgebet“, rief Leberecht anklagend, dann wandte er sich an die Witwe. „Ich bin sicher, dass Ihr es uns vorsprechen wollt, Frau Bartel.“

Zum ersten Mal seit der Begrüßung verdüsterte sich die Miene der Müllerin. Es schien ihr gar nicht zu behagen, mit ihren Gästen beten zu müssen. Es entstand ein Moment des unangenehmen Schweigens, während die Bohnensuppe dampfend auf dem Tisch stand. Doch dann senkte die schöne Frau ihren Blick, faltete ihre Hände und murmelte leise ein Vaterunser. Sie stockte mehrfach; vermutlich stand sie nicht in so einer intensiven Zwiesprache mit Gott wie Leberecht es tat. Endlich hatte sie die kurze Anrufungsformel hinter sich gebracht.

„Gesegnete Mahlzeit“, sagte Christian laut und nickte seiner schönen Gastgeberin dankbar zu. Leberecht schwieg, denn der Widerwillen seiner Gastgeberin gegenüber dem Gebet war ihm nicht entgangen. Sein ohnehin schon vorhandenes Misstrauen wurde dadurch noch stärker befeuert. Doch er hielt sich mit seinen Bemerkungen einstweilen zurück.

Die beiden Handwerksgesellen aßen mit dem heiligen Ernst von Männern, die nicht wissen, wann sie die nächste warme Mahlzeit erhalten werden. Franziska Bartel schien den kurzen Moment der Irritation schon wieder vergessen zu haben.

„Und Ihr lebt wirklich ganz allein hier, Frau Müllerin?“

Leberecht zeigte mit seinem dürren Finger auf ein Paar schmutzige Stulpenstiefel, die in der Ecke neben dem Ofen standen. Sie waren so groß, dass die zierlichen Füße der Witwe zweimal hinein gepasst hätten.

Christian hatte während des Krieges viele seltsame Galgenvögel gesehen. Insbesondere die Gewalthaufen der Landsknechte zogen den gemeinsten Bodensatz aller Volksstämme geradezu magisch an. Aber dieser Schwefelbursche, der nun aufgetaucht war, gehörte zweifellos zu den unheimlichsten Erscheinungen. Christian ertappte sich dabei, dass er nach seinem Messer tastete. Der Kerl machte nämlich den Eindruck, als ob man bei ihm jederzeit mit einem heimtückischen Angriff rechnen musste. Der ehemalige Landsknecht hatte solches Pack auf dem Schlachtfeld erlebt. Diese Höllenhunde machten sich einen Spaß daraus, verwundete Feinde noch möglichst lange zu quälen, bevor sie endlich durch einen gnädigen Tod erlöst wurden.

„Was willst du, Eusebius?“

Die schöne Frau verdrehte genervt die Augen.

Doch bevor Eusebius antworten konnte, stand die Witwe auf. Sie warf Christian einen entschuldigenden Blick zu und verschwand mit ihrem Knecht in der Mahlstube.

Der magere Zimmermann wartete, bis die Müllerin außer Hörweite war.

Der größere und stärkere Handwerksgeselle goss sich aus dem Krug Bier nach, nachdem er seinen Humpen geleert und seine Suppe aufgegessen hatte.

Leberechts Blick hatte nun etwas Unstetes. Er kam Christian schon wieder fast so irrsinnig vor wie wenige Stunden zuvor, als er vom himmlischen Königreich gefaselt hatte.

„Nein, keineswegs. Zugegeben, mit dem Anblick dieses Mühlknechts könnte man kleine Kinder erschrecken. Aber er ist gewiss auch nur ein armer Tropf, dem der Krieg übel mitgespielt hat. Wenn die Müllerin uns Obdach für die Nacht gewährt, dann will ich gerne bleiben.“

Bevor Christian etwas erwidern konnte, war Franziska zurückgekehrt. Sie ging dicht an dem am Tisch sitzenden Handwerksgesellen vorbei und berührte dabei wie zufällig mit ihrer Hüfte seine Schulter. Christian wurde es plötzlich sehr warm, obwohl er zuvor während der Wanderung genauso stark gefroren hatte wie sein Gefährte. Doch die Berührung eines weichen Frauenkörpers wirkte auf ihn berauschender als eine ganze Kanne Schnaps. Er konnte sich kaum noch daran erinnern, wann er das letzte Mal eine kichernde und willige Marketenderin in seinen Armen gehalten hatte. Es war viel zu lange her, wenn es nach seinen Bedürfnissen ging.

„Sagtet Ihr nicht, dass es hier recht einsam wäre?“, hakte Leberecht nach. „Und doch habt Ihr gleich mehrere Gehilfen, die Euch zur Hand gehen. Das kommt mir seltsam vor.“

„Seit mein Ehegatte von mir genommen wurde, bin ich wirklich auf mich allein gestellt. Das hatte ich mit meinen Worten gemeint, Herr Leberecht. Gewiss, für die einfachen Arbeiten habe ich meine Helfer. Doch ein gutes Gespräch kann ich mit diesen tumben Toren nicht führen, und das Herz einer Frau ist für Eusebius und seinesgleichen ein Buch mit sieben Siegeln.“

Leberecht schob die leergegessene Schüssel von sich weg. Seine Miene war undurchdringlich.

„Ihr könnt gern in meinem Stall übernachten“, bot die Müllerin an. „Ich halte ein paar Ziegen, die sich über Gesellschaft durchaus freuen werden. Und die Strohmiete wird Euch nach Eurer anstrengenden Wanderung so weich vorkommen wie das Himmelbett des Heiligen Vaters in Rom.“

„Dieses Angebot nehmen wir gerne an, nicht wahr, Christian? Kommst du mit mir?“

„Zeig‘ dem Fremden den Ziegenstall, damit er sich dort ein Nachtlager bereiten kann“, befahl sie, auf den schmächtigen Gesellen deutend. Eusebius machte eine zustimmende Bewegung und forderte Leberecht mit Gesten auf, ihm zu folgen.