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Titelseite

 

Für die Großmütter dieser Welt.
Was wären wir ohne euch?

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Prolog –
Ich bin ein Held. Oder etwa nicht?

»Gleich habe ich dich, du dummes Vieh!« Der Mann streckt seine Riesenpranke nach Odette aus. Die drückt sich verängstigt in die Ecke, so weit sie nur kann. Aber es ist zwecklos: Gleich wird der Kerl sie am Nacken packen. Glaubt er jedenfalls. Denn er hat natürlich nicht mit mir gerechnet: Winston Churchill, Kater ohne Furcht und Tadel! Ich schätze kurz die Entfernung ab, dann springe ich. Furchtlos und unerschrocken! Den Bruchteil einer Sekunde später lande ich auf den Schultern des Verbrechers. Er stinkt nach Zigarettenqualm und – wie ein Tannenbaum! Also tatsächlich wie das Ding, das Werner an Weihnachten immer in die Wohnung schleppt. Erstaunlich! Für weitere Gedanken über Weihnachtsbäume bleibt mir allerdings keine Zeit, denn nun fängt der Typ an, sich kräftig zu schütteln, um mich loszuwerden. Entschlossen fahre ich mit meinen Krallen über seine Wange.

»Aaaah! Was ist das?« Sofort zieht er seinen Arm von Odette zurück und versucht stattdessen, nach mir zu schlagen. Aber er erwischt mich nicht, ich bin einfach zu geschickt. Odette, die schönste weiße Katze von allen, springt aus ihrer Ecke hervor.

»Lauf, Odette, lauf weg!«, rufe ich ihr zu. »Ich werde ihn so lange ablenken!«

»Nein, Winston, ohne dich werde ich nicht gehen!«

»Doch, es ist besser so! Lauf!«, rufe ich noch einmal, aber mein kleines Katzenherz macht einen freudigen Sprung, weil Odette bei mir bleiben will. Bevor mich der Kerl abschütteln kann, verpasse ich ihm noch einen Tatzenhieb. Er heult auf und schlägt wieder nach mir.

»Oh, Winston«, haucht Odette, »du bist so …

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… dick geworden! Mach mal Platz!«

DICK geworden? Odette!!! Was soll das? Ich reiße die Augen auf und starre Odette fassungslos an. Wie kann sie mich nur so beleidigen? Ich bin doch ihr Held und Retter!

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Gestatten:
Winston Kater, Mädchenberater.
Keinesfalls Stubentiger!

Es ist gar nicht Odette, die mich aufs Übelste beleidigt hat. Es ist mein menschlicher Mitbewohner, Professor Werner Hagedorn, der sich offensichtlich hinsetzen will. Und zwar auf das Sofa, auf dem ich gerade liege und davon träume, wie ich Odette vor einem bösen Verbrecher rette. Mist! Es war so ein toller Traum und ich hätte wirklich gern gewusst, was Odette gerade zu mir sagen wollte. Im wirklichen Leben haben wir uns nämlich noch nicht so furchtbar häufig miteinander unterhalten. Schließlich wohne ich hier oben im zweiten Stock der Hochallee 106a und Odette stromert meist im Hinterhof unseres Hauses herum. Aber anstatt zu erfahren, was Odette mir ins Ohr gehaucht hätte, werde ich von Werner unsanft zur Seite geschoben. Dann lässt er sich neben mich auf das Sofa plumpsen. Frechheit! Beleidigt hüpfe ich auf den Boden. Wenn Werner denkt, dass ich mich jetzt von ihm kraulen lasse, hat er sich getäuscht. Für Streicheleinheiten bin ich überhaupt nicht auf ihn angewiesen, pah! Jedenfalls nicht mehr, denn seit Kurzem wohnen Werner und ich nicht mehr allein in unserer großen Altbauwohnung in Hamburgs vornehmem Stadtteil Harvestehude. Wir haben nämlich zwei sehr nette Mitbewohnerinnen bekommen – Anna und Kira. Erst hat Anna nur tagsüber als Haushälterin bei uns gearbeitet, aber seit sie vor ihrem Exfreund geflüchtet ist, lebt sie mit ihrer Tochter Kira bei uns.

Kira und ich haben schon ein unglaubliches Abenteuer zusammen erlebt, und obwohl ich immer dachte, dass ich Kinder nicht ausstehen kann, sind wir mittlerweile die besten Freunde. Ein Grund mehr, den doofen Werner auf dem Sofa sitzen zu lassen und jetzt nach Kira zu suchen!

Ich laufe bis zum Ende des langen Wohnungsflures. Dort befindet sich unser ehemaliges Gästezimmer, das jetzt von Kira bewohnt wird. Die Tür ist nur angelehnt. Mit meiner Nase stupse ich sie einen Spaltbreit auf und husche ins Zimmer. Kira sitzt an dem kleinen Schreibtisch unter dem Fenster. Wahrscheinlich erledigt sie gerade ihre Schularbeiten. Mit zwei Sätzen springe ich erst vom Boden auf das Bett, dann von dort auf den Schreibtisch. Tatsächlich: Kira schreibt gerade irgendetwas in ein Schulheft.

»Hallo, Winston!«, ruft sie fröhlich und krault mich hinter den Ohren. Maunz, das ist doch mal eine angemessene Begrüßung! Ich mogle mich von der Tischplatte auf Kiras Schoß und beginne zu schnurren. Wenn ich schon meinen schönen Traum nicht weiterträumen durfte, habe ich mir jetzt wenigstens ganz ausgiebige Streicheleinheiten verdient. Ich schnurre lauter.

»Ja, mein Süßer! Das gefällt dir, stimmt’s?« Kira lächelt. »Übrigens haben sich Pauli und Tom nach dir erkundigt. Wollten wissen, wie es dir geht.«

Pauli, die eigentlich Paula heißt, und Tom sind Klassenkameraden von Kira und zugleich ihre besten Freunde. Gemeinsam besuchen sie die 7c des Wilhelminen-Gymnasiums. Die beiden sind wirklich schwer in Ordnung – davon konnte ich mich schon höchstpersönlich überzeugen. Wie mir das als Kater gelungen ist? Ganz einfach: Indem ich mit Kira den Körper getauscht und selbst als zwölfjähriges Mädchen die Schulbank gedrückt habe. UNMÖGLICH? Nein. So war es wirklich! Und dann haben wir sogar noch einem Verbrecher das Handwerk gelegt und Annas Mutter vor Riesenärger mit der Polizei bewahrt, bevor wir wieder zurückgetauscht haben. Heilige Ölsardine, das war vielleicht eine aufregende Geschichte!

Aber der Reihe nach: Vor einigen Wochen sind Kira und ich auf einer Baustelle in ein Gewitter geraten und vom Blitz getroffen worden. Und zwar genau in dem Moment, in dem wir uns beide gewünscht hatten, jemand anderes zu sein. Tja, der Wunsch wurde uns erfüllt, denn als wir nach dem Blitzschlag wieder zu uns kamen, war nichts mehr wie vorher: Ich, Winston, steckte in Kiras Mädchenkörper. Sie, Kira, war auf einmal der schwarze Britisch-Kurzhaar-Kater Winston. Und wir beide konnten auf einmal die Gedanken des anderen lesen! Obwohl Letzteres ziemlich praktisch war, hat uns dieser Tausch überhaupt nicht gepasst. Mir schon deshalb nicht, weil ich auf einmal jeden Morgen als Kira zur Schule gehen musste – das fand ich anfangs ganz schrecklich! Die fiese Leonie und ihre ätzende Mädchenclique haben versucht, mich fertigzumachen. Vielleicht hätten sie das sogar geschafft, wenn es Tom und Pauli nicht gegeben hätte. Aber so konnte mir nichts passieren. Ein bisschen stolz bin ich schon darauf, dass ich die beiden für Kira als Freunde gewinnen konnte – die wussten schließlich anfangs nicht, dass ich eigentlich ein Kater bin, und von selbst wäre Kira wohl nicht auf die Idee gekommen, sich mit ihnen anzufreunden. Also wurde ich gewissermaßen zum Mädchenberater.

Trotz dieser spannenden Erfahrung wollte ich nicht bis in alle Ewigkeit in Kiras Körper stecken bleiben. Im Grunde meines Herzens bin ich eben ein Vier- und kein Zweibeiner. Aber wie sollten wir den Tausch bloß rückgängig machen? Als es schon ganz aussichtslos schien, kam Tom die rettende Idee, für die wir nicht einmal einen Blitz brauchten … Ich mache es kurz: Die Geschichte bekam ihr Happy End – Kira war wieder ein Mädchen, ich wieder ein Kater. Unsere Gedanken können wir seitdem leider auch nicht mehr lesen. Jedenfalls nicht mehr wörtlich. Richtig gut verstehen tun wir uns aber trotzdem noch. Und deswegen weiß Kira, dass ich mich auch riesig freuen würde, Tom und Pauli einmal wiederzusehen!

»Ich habe mir überlegt, dass ich dich zu unserem nächsten Treffen einfach mitnehme. Das findet zufälligerweise heute Nachmittag in der Eisdiele statt. Und bevor wir dort aufkreuzen, könnten wir eigentlich noch einen Schlenker über den Hinterhof machen und deine Kollegen besuchen. Oder eine bestimmte Kollegin.« Kira grinst. Natürlich weiß sie, wie toll ich Odette finde. Schließlich haben wir uns oft genug darüber unterhalten, als wir noch unsere Gedanken lesen konnten. Odette ist die schönste Katze, die ich kenne. Sie hat schneeweißes, seidig schimmerndes Fell und tiefschwarze Augen, in denen ich regelrecht ertrinken könnte. Und obwohl sie als wilde Hofkatze lebt, ist sie eine echte Dame. Leider hat sie mich lange Zeit für einen aufgeblasenen, arroganten und verweichlichten Stubentiger gehalten. Was natürlich kompletter Blödsinn ist! Ich bin gebildet, nicht eingebildet – ein Riesenunterschied! Deswegen hat Kira mir Tipps gegeben, wie ich bei Odette punkten könnte. Und die waren nicht mal schlecht. So sind Odette und ich nun immerhin lose befreundet, und wenn wir uns zufällig im Hof begegnen, plaudern wir nett über Belanglosigkeiten wie das Wetter oder die letzte Mahlzeit. Für einen Helden – so wie in meinem Traum – hält mich Odette aber mit Sicherheit nicht. Noch nicht. Denn ich bin wild entschlossen, das zu ändern!

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Ob man Träume teilen kann?
Und wieso kann man sich seine Mitschüler nicht aussuchen?

Eine Stunde später ist Kira mit ihren Hausaufgaben fertig und wir machen uns auf den Weg zur Eisdiele. Natürlich nicht ohne den versprochenen Schlenker über den Hinterhof. Kira hat als Gastgeschenk einen Napf mit Geflügelleber dabei – das ist nicht nur eine meiner Lieblingsspeisen, sondern auch Odette frisst es gern. Vor allem, wenn Anna sie so wie heute ganz frisch gekocht hat.

»Miez, miez, miez!«, ruft Kira meine Hofkollegen und steuert den Unterstand für die Mülltonnen an. Hier ist gewissermaßen der Katzentreffpunkt. Das flache Dach des Unterstands ist nämlich so ziemlich der einzige Ort im gesamten Hinterhof, auf den fast den ganzen Tag die Sonne scheint. Schön warm ist es da und meist ganz windstill. Der perfekte Platz also, um ein bisschen abzuhängen.

Heute allerdings ist der Platz verlassen. Weder Odette liegt dort noch ihre Freunde Karamell und Spike. Ersteres ist natürlich schade, Letzteres bedaure ich hingegen überhaupt nicht. Zwar streite ich mich nicht mehr mit ihnen, wie noch vor ein paar Wochen, als ich das erste Mal mit Kira den Hof besucht habe. Beste Kumpels sind wir aber immer noch nicht. Werden wir bestimmt auch nie werden, denn dafür sind wir einfach zu unterschiedlich: Während ich, Winston Churchill, ein wahnsinnig edler Rassekater bin und aus einer berühmten Britsch-Kurzhaar-Zucht stamme, ein sehr gepflegtes tiefschwarzes Fell und beste Manieren habe, sind Spike und Karamell genau genommen zwei gewöhnliche Stromer. Spike ist ziemlich fett und getigert, Karamell hat braunes, völlig struppiges und ungepflegtes Fell. Und beide sind ungehobelte Gesellen. Es ist ein wahres Wunder, dass eine Dame wie Odette sich in ihrer Gesellschaft so wohlzufühlen scheint. Natürlich spricht es enorm für ihren Charakter, dass sie sich trotz ihrer zweifellos noblen Herkunft nicht zu fein für die beiden ist. Odette ist also nicht nur nobel, sondern auch großherzig. Mit anderen Worten: Sie ist einfach toll. Nur eben leider gerade nicht da.

»Miez, miez, miez!«, ruft Kira noch einmal, dann stellt sie den vollen Fressnapf auf den Unterstand und schaut sich suchend im Hof um. »Na, wo sind denn deine Freunde?«

Ich springe vom Boden auf den Unterstand und recke den Hals. Dann schaue ich Kira an. Die deutet meinen Blick sofort richtig.

»Enttäuscht, oder? Du hättest Odette gern mal wieder gesehen, nicht wahr?« Ich maunze laut, Kira lächelt. »Komm, wir warten noch einen Moment. Wenn sie erst mal das leckere Fressen riecht, kommt sie bestimmt. Wir haben noch ein bisschen Zeit, bis wir in der Eisdiele sein müssen.« Sie schwingt sich neben mich auf den Unterstand und krault mich hinter den Ohren. Miau, herrlich! Ich strecke mich ganz lang und lege den Kopf in den Nacken.

Nach einer Weile scheppert etwas im hinteren Teil des Hofs. Odette! Ich rieche sie sofort! Schnell springe ich auf und versuche, mich möglichst vorteilhaft zu präsentieren. Also mache ich mich ganz groß und strecke meine Brust vor. Jetzt müsste ich ziemlich elegant aussehen. Hoffe ich jedenfalls!

»Hallo, Winston«, begrüßt mich Odette freundlich. »Fühlst du dich nicht wohl?«

»Äh, hallo, Odette! Doch, wieso?«

»Dann ist ja gut. Du hockst da so verkrampft, ich dachte, du hättest vielleicht Schmerzen.«

Grmpf. Ich sehe verkrampft aus? Dabei habe ich mir doch solche Mühe gegeben! Enttäuscht lockere ich meine Haltung und schüttle mich kurz.

»Im Gegenteil. Mir geht’s blendend. Ich freue mich, dich zu sehen.«

»Ja, ich finde es auch schön, dass wir uns treffen. Und so ein Zufall! Stell dir vor: Ich habe letzte Nacht von dir geträumt.«

Echt? Gibt’s ja gar nicht! Sie hat auch von mir geträumt?

»Äh, wirklich? Was denn?«, will ich von Odette wissen.

»Hm, ich erinnere mich nicht mehr so genau – aber ich glaube, du hast mich gerettet. Vor einem Ungeheuer. Oder einem bösen Menschen. Ich war jedenfalls irgendwie in Gefahr und du hast mir geholfen. Lustig, nicht?«

Lustig ist nicht das richtige Wort. Ich finde es tatsächlich unglaublich!

»Stell dir vor, Odette, das habe ich auch …« Aber noch bevor ich ihr genauer erklären kann, dass ich denselben Traum hatte, schiebt mich Kira zur Seite und nimmt Odette auf den Arm.

»Guck mal, Odette. Wir haben dir ein bisschen Futter mitgebracht. Meine Mutter hat heute frisch gekocht. Und natürlich wieder viel zu viel!« Menno, Kira – wir haben hier gerade Wichtigeres zu besprechen als die Verpflegung. Aber schon ist der Moment vorbei und Odette bedankt sich artig bei Kira, indem sie sanft schnurrt. Dann wendet sie sich wieder mir zu.

»Wo waren wir?«

»Bei deinem Traum!«

»Ach ja – aber ich habe ihn eigentlich schon wieder vergessen. War auch nicht so wichtig.« Mist! »Dass ihr mir etwas zu fressen mitgebracht habt, ist allerdings sehr nett! Leider habe ich gar nicht so viel Appetit. Ich habe vorhin eine ziemlich fette Maus gefangen.«

Was? Igitt! Mäusejagd. Die kenne ich als Wohnungskater natürlich nur vom Hörensagen und ich kann nicht glauben, dass das wirklich Spaß macht. Außerdem: Wie kommt auf eine selbst gefangene Maus eigentlich die Petersilie, die eine Mahlzeit erst perfekt macht? Eben! Da lasse ich mich lieber weiter von Anna bekochen. Aber natürlich will ich Odette ihr Essen nicht schlechtmachen, deshalb bin ich lieber still.

»Ich sage mal Spike und Karamell Bescheid, die haben bestimmt noch Hunger.«

Och nö! Nicht die beiden! Bevor ich etwas erwidern kann, ist Odette schon von dem Unterstand gesprungen und im hinteren Teil des Hofes verschwunden. Maunz! Heute klappt auch nichts! Und ich habe wirklich keine Lust, jetzt auf Karamell und Spike zu warten. Ich hüpfe also ebenfalls auf den Boden und mache mich auf den Weg zum Hofausgang. Kira läuft mir hinterher.

»Hey, Winston! Wo willst du so schnell hin? Odette hat doch noch gar nichts gefressen. Die kommt bestimmt bald wieder. Nun warte doch mal einen Moment!«

Kira klingt enttäuscht. Verständlich, schließlich wollte sie mir mit der Fressnapfaktion einen Gefallen tun. Ich wünschte, ich könnte ihr erklären, warum ich jetzt wegwill. Als wir noch vertauschte Körper hatten, war das auch kein Problem, wir konnten uns ja in Gedanken unterhalten. Nun geht das nicht mehr. Schade, aber nicht zu ändern. Ein Mädchen will ich trotzdem nicht mehr sein, denn das war mir echt zu anstrengend. Zu viel Zickenalarm für einen Kater wie mich!

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»Na endlich, da seid ihr ja!« Tom und Pauli haben offenbar schon auf uns gewartet. Sie sitzen auf den Korbstühlen der Terrasse von Eismarie. Das ist die erklärte Lieblingseisdiele aller Wilhelminen – so nennen sich die Schülerinnen und Schüler des Wilhelminen-Gymnasiums. Pauli steht auf, kommt uns entgegen und bückt sich dann, um mich auf den Arm zu nehmen.

»Mensch, Winston, alter Kater! Dich habe ich aber lange nicht mehr geknuddelt. Ich habe dich schon richtig vermisst.«

Schnurr, schnurr, SCHNURR! Das geht mir umgekehrt genauso. Was allerdings erstaunlich ist. Hätte man mir vor ein paar Monaten erklärt, dass ich mich mal freiwillig von einem Kind auf den Arm nehmen lassen würde – ja, dass ich mich sogar darauf freuen würde –, ich hätte mich schlappgelacht. Bevor ich Kira und ihre Freunde kennenlernte, mochte ich Kinder nämlich überhaupt nicht. Sie waren mir meistens zu laut und zu wild. Mittlerweile muss ich aber zugeben, dass mein Leben ohne Kinder ganz schön langweilig war. So … RUHIG!

»So, ihr beiden Schmusekatzen«, mischt sich Tom ein, guckt dabei vorwurfsvoll über den Rand seiner großen braunen Hornbrille und kräuselt seine Nase mit den vielen Sommersprossen, »genug gekuschelt! Ich brauche jetzt ganz dringend ein Spaghettieis mit extra viel Raspelschokolade. Lasst uns endlich bestellen. Der heutige Schultag hat mich echt völlig geschrottet!«

»Wieso? Was war denn so schlimm bei dir?«, erkundigt sich Kira mitfühlend. »Ich fand’s eigentlich ganz in Ordnung.«

»Tja, wenn ich ’ne Zwei statt ’ner Vier in Mathe zurückbekommen hätte, würde ich mich auch nicht beschweren. Aber vor allem«, Tom seufzt schwer, »killt mich die neue Klassen-Buddy-Idee von Herrn Prätorius. Aber so was von!«

Herr Prätorius ist der Biologielehrer der 7c und gleichzeitig ihr Klassenlehrer. Ein sehr netter Mensch – und ein großer Katzenliebhaber, natürlich! Insofern wundert es mich, dass er eine Idee gehabt haben soll, die Tom so schrecklich findet. Auch wenn ich mir unter einem Klassen-Buddy rein gar nichts vorstellen kann, bin ich mir sicher, dass es eine gute Sache ist. Mit dieser Meinung stehe ich offensichtlich nicht allein da.

»Was hast du denn gegen die Idee? Ich fand sie ganz gut«, wundert sich Pauli und fährt sich mit den Händen durch ihre Haare, die ziemlich wild in alle Richtungen abstehen und pechschwarz sind. Pauli sagt von sich selbst immer, sie sei ein Punker, was offenbar bedeutet, dass sie die Haare so tragen muss. Und zerrissene Jeans und T-Shirts noch dazu, gekrönt von dick schwarz umrandeten Augen. »Wenn klar ist, wer sich um deine Arbeitsblätter und Hausaufgaben kümmern soll, falls du mal krank bist, kannst du wenigstens sicher sein, dass es auch wirklich einer macht. Das war doch sonst eher Glückssache und hat auch öfter mal überhaupt nicht geklappt.«

»Stimmt«, gibt ihr Tom recht. »Dagegen habe ich auch nichts. Aber dass die Buddys ausgelost worden sind, das finde ich einfach doof. Ich meine, wir hätten uns doch selbst um die Verteilung der Partner kümmern können. Dann hätte jeder einen Buddy bekommen, der halbwegs nett ist.«

Kira und Pauli zucken fast gleichzeitig mit den Schultern.

»Ist doch nicht so schlimm«, sagt Kira dann. »So oft kommt das schließlich auch nicht vor. Man kann ruhig mal Arbeitsblätter für jemanden mitnehmen, den man nicht so toll findet.«

»Ach ja?« Tom schaut sehr skeptisch. »Wen hast du denn zugelost bekommen?«

Kira zögert einen Moment, dann rückt sie mit der Sprache raus. »Äh, ich habe Pauli gezogen.«

Tom reißt die Augen auf. »Ernsthaft?«

»Ja, echt ein Riesenzufall.«

»Wie bitte? Wir haben achtundzwanzig Schüler in der Klasse, es waren also vierzehn Namen in der Lostrommel, die die übrigen vierzehn ziehen mussten – und du erwischst ausgerechnet Paulis Zettel? Das glaube ich nicht! Du hast bestimmt geschummelt.«

Kira sagt nichts, Pauli fängt an zu kichern.

»Na ja, ein bisschen nachgeholfen haben wir schon. Kira hatte erst Emilia, aber den Zettel hat sie schnell wieder in die Schachtel geworfen.«

Verstehe ich vollkommen. Emilia ist zusammen mit ihrer Freundin, der fiesen Leonie, das mit Abstand schrecklichste Mädchen in der 7c. Unfreundlich, arrogant – und auch nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte. Alles in allem also eine sehr unerfreuliche Mischung. Der würde ich auch nicht gern die Hausaufgaben vorbeibringen, wenn sie krank ist.

»Tja, beim zweiten Mal Ziehen hatte ich dann mehr Glück«, bestätigt Kira. »Da hatte ich Pauli. Gut, oder?«

Tom seufzt noch einmal sehr tief.

»Wen hast du denn erwischt?«, will Pauli von ihm wissen. Tom holt tief Luft und bläst seine Backen auf, bevor er antwortet.

»Emilia. Ich habe Emilia gezogen.«

Maunz! Als Kater bin ich natürlich kein Experte in Sachen Losverfahren – aber ich denke, die beiden Mädchen sollten Tom schleunigst ein sehr, SEHR großes Spaghettieis ausgeben!

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Musik liegt in der Luft.
Und Männer sind auch Menschen.

»Danke, Herr Professor! Wirklich vielen Dank!«

Nanu, was ist denn hier los? Kira, Pauli und ich kommen gerade in dem Moment in die Wohnung, in dem Anna Werner mit Schwung um den Hals fällt. Das ist sonst eigentlich nicht ihre Art. Also, ich meine, normalerweise halten Werner und Anna immer ein bisschen Abstand. Nicht so, dass man denken könnte, dass sie sich nicht mögen. Im Gegenteil – ich glaube, die beiden verstehen sich sogar richtig gut. Aber so wie ich meinen alten Werner kenne, wird der schüchtern, wenn er jemanden sehr mag. Und ich glaube, er mag Anna sehr. Seitdem Anna und Kira bei uns wohnen, benimmt er sich jedenfalls anders als all die Jahre davor. Zum Beispiel achtet er mehr auf sein Äußeres. Gepflegt war Werner natürlich immer, aber neuerdings verbringt er verdächtig mehr Zeit vor dem Spiegel. Dann wuschelt er sich seine braunen Locken mit den grauen Strähnen mal in die eine, mal in die andere Richtung. Das ist allerdings völlig sinnlos, denn bei Werners Frisur macht es gar keinen Unterschied, ob die Locken nach links oder rechts springen: Sie sieht immer ziemlich verwegen aus. Seit Kurzem scheint sich Werner überdies auch genau zu überlegen, was er anzieht. Und wenn ihm dann nicht gefällt, was er im Spiegel sieht, zieht er sich sogar noch mal um. Das ist völlig neu! Als Olga, Annas Schwester, noch unsere Haushälterin war, hat er das jedenfalls nie gemacht. Ich werde das genauer beobachten!

Jetzt will ich allerdings erst einmal wissen, warum Anna mein Herrchen denn nun so begeistert umarmt hat. Anna strahlt immer noch über das ganze Gesicht und Werner steht ein bisschen verlegen da. Ich trabe näher an die beiden heran und spitze die Öhrchen.

»Gern geschehen, Anna. Es wäre doch viel zu schade, wenn dieser schöne Flügel zu einem reinen Möbelstück verkäme. Also, wenn Sie ab und zu darauf spielen würden, würde ich mich sehr darüber freuen.«

Ach so. Es geht um dieses komische Klavierdings, das neuerdings unser Wohnzimmer blockiert. Der Flügel. Komischer Name für ein Klavier, oder? Wenn ich es richtig verstanden habe, ist Werners Mutter Erika von einem großen Haus in eine kleine Wohnung gezogen und konnte das Ungetüm nicht mitnehmen. Da Werner von seinen Geschwistern mit Abstand die größte Wohnung hat, haben wir das Riesenteil geerbt. Offenbar ist es wertvoll und sollte daher nicht, wie die anderen Möbel, auf den Sperrmüll. Tja. Und so verstellt es jetzt unser schönes Wohnzimmer. Und das, obwohl es ganz offenbar ein Instrument ist und Werner völlig unmusikalisch.

Kira räuspert sich. »Hallo, Mama, hallo, Herr Hagedorn! Ich habe Pauli mitgebracht – ich hoffe, das ist in Ordnung! Die letzte Stunde ist ausgefallen, Pauli hat ihren Schlüssel vergessen und ihre Mutter ist noch nicht zu Hause.«

»Kein Problem«, brummt Werner und Anna nickt zustimmend.

»Ich habe sowieso mal wieder zu viel gekocht«, sagt sie und lacht. »Da können wir jede Unterstützung beim Essen gebrauchen.«

»Super, danke!«

Wir pilgern weiter in Richtung Kiras Zimmer. Als Kira und Anna bei uns eingezogen sind, haben sie sich zunächst das Gästezimmer geteilt. Aber als dann klar wurde, dass die beiden bleiben würden, hat Werner sein großes Arbeitszimmer geräumt und seinen Schreibtisch in das kleine Zimmer neben der Küche gestellt. Das war bis dahin eine Rumpelkammer mit Fenster, aber nun, aufgeräumt und frisch gestrichen, sieht es gar nicht mal so schlecht aus. Kira wohnt im alten Gästezimmer und Anna im ehemaligen Arbeitszimmer und Werner hat es jetzt deutlich kürzer zum Kühlschrank, wenn er für das Nachdenken über irgendein wahnsinnig kompliziertes physikalisches Problem dringend einen Joghurt oder ein Wurstbrötchen braucht. Nur für mich hat sich nichts geändert: Mein Körbchen steht immer noch in dem langen Flur, schräg gegenüber der Wohnungstür.

Erstaunlicherweise hat Werner sein Zimmer nicht einmal schweren Herzens aufgegeben. Im Gegenteil: »Die Bude hier war für einen sowieso viel zu groß. Jetzt passt es!«, stellte er zufrieden fest, nachdem alle Möbel umgeräumt waren. Wer hätte gedacht, dass Werner auf seine alten Tage noch mal eine Familie bekommen würde!

In Kiras Zimmer angekommen, lassen sich die Mädchen auf das Bett fallen. Ich warte einen kurzen Augenblick, dann hüpfe ich hinterher und lege mich daneben.

»Sag mal, sind deine Mutter und Professor Hagedorn jetzt irgendwie zusammen?«, erkundigt sich Pauli bei Kira.

»Nee! Wie kommst du denn auf die Idee?«, wundert die sich.

»Na ja, das sah ja eben sehr kuschelig aus. Eben nach zwei Leuten, die sich echt mögen.«

»Klar mögen die sich. Aber zusammen sind sie deswegen nicht. Mama mag den Professor als Mensch. Nicht als Mann.«

Heilige Ölsardine! Das ist wieder so ein typischer Menschensprech! Mann oder Mensch – wo ist denn da der Unterschied? Männer sind doch auch Menschen, oder etwa nicht? Auch Pauli scheint diese Unterscheidung seltsam zu finden. Jedenfalls legt sie die Stirn in Falten und sagt »Aha«.

Kira seufzt. »Also, Pauli, es ist so: Nach der Pleite mit ihrem Exfreund Vadim hat meine Mutter von Männern die Nase voll. Ich glaube, sie ist echt froh, wieder Single zu sein.«

Man kann Werner und Vadim zwar überhaupt nicht miteinander vergleichen, weil Ersterer ein sehr netter, fürsorglicher Professor und Letzterer ein unsympathischer, gefährlicher Verbrecher ist – aber mal abgesehen davon finde ich diese Nachricht gar nicht schlecht. Schließlich ist uns Annas Schwester Olga abhandengekommen, weil sie sich in einen gewissen Dieter verliebt hat und mit ihm an einen fernen Ort namens Köln gezogen ist. Nur deswegen hat Werner Anna als Haushälterin eingestellt. Wenn sich nun aber auch Anna wieder in einen Mann verlieben würde und wir deswegen auf einmal ohne sie dastünden, wäre das schlecht. Zum einen, weil es keine weiteren Schwestern von Anna und Olga gibt. Zum anderen, weil dann auch Kira wegziehen würde, und das wäre wirklich schlimm. Schließlich sind wir mittlerweile beste Freunde. Also ist es gut, dass Anna von Männern nichts mehr wissen will. Etwas anderes wäre es nur, wenn sie sich in Werner verlieben würde. Dann müsste sie nicht wegziehen. Aber wenn Kira mit ihrer Männerthese recht hat, dann bleibt hier auch so alles beim Alten. Sehr schön. Ich für meinen Teil bin nämlich kein Freund von großen Veränderungen.

Pauli kichert. »Also alle Männer sind Schweine?«

Hä? Schweine? Mit vier Beinen und einem Rüssel? Wie kommt sie denn darauf? Dass Menschen Ziegen sein können, weiß ich ja mittlerweile, aber Männer Schweine? Das ist doch bestimmt nicht nett gemeint! Wieso müssen eigentlich immer wir Tiere dafür herhalten, wenn es um die unangenehmen Eigenschaften von Menschen geht? Das ist wirklich eine Frechheit!

Kira schüttelt den Kopf. »Nee, so auch wieder nicht. Wie gesagt, Werner als Mensch mag sie ja gern. Gegen Männer generell hat meine Mutter nichts. Nur gegen Männer als Männer.«

Ach, was ist das wieder für eine komplizierte Menschenlogik. So ein Unsinn! Männer sind auch Menschen, miau!

»Also meine Mutter wäre liebend gern nicht mehr Single«, erzählt Pauli. »Das sagt sie zwar nicht so offen, aber ich weiß, dass es so ist. Jedes Mal wenn ein halbwegs gut aussehender Typ auftaucht, gibt sie sich mit ihren Klamotten richtig Mühe und schminkt sich auch und so. Außerdem hat sie sich bei so einer Kontaktbörse im Internet angemeldet, wo man andere Singles kennenlernen kann.« Pauli kichert. »Das ist aber streng geheim. Sie hat es nicht mal mir erzählt, aber ich habe es gesehen, weil sie ihren Rechner neulich angelassen hat.«

Kontaktbörse im Internet? Was das wohl ist? Ich dachte bisher immer, das Internet sei ein Ort in dem kleinen Fernseher, der sich Computer nennt. Kira hat es mir mal gezeigt, als sie an Annas Schreibtisch ihre Hausaufgaben gemacht hat. Da hat sie im Internet nach irgendwelchen Lösungen für Mathe gesucht. Das Internet schien mir eine Art Lexikon zu sein. Also kein Ort, an den man wirklich gehen kann. Wie soll man da jemanden kennenlernen?

»Echt?« Jetzt kichert auch Kira. »Deine Mutter ist auf der Suche nach einem Typen?«

Pauli nickt. »Ja, ich glaube, sie will sich endlich mal wieder richtig verlieben.«

Interessant! Das menschliche Konzept von Liebe ist mir nach wie vor schleierhaft. Wenn man mit jemandem zusammen sein will, ist es offenbar wichtig, verliebt zu sein. Sonst könnten ja auch Werner und Anna einfach zusammen sein. Wir wohnen alle in einer Wohnung, verstehen tun wir uns auch – wieso reicht das nicht? Und wieso kann man im Computer jemanden kennenlernen, in den man sich verliebt? Ohne dass man ihn überhaupt schon mal gesehen hat? Verstehe ich nicht. Ehrlich: Ich bin sehr froh, dass mein Werner mit diesem ganzen Liebeszeugs nichts am Hut hat. Liebe scheint etwas sehr Kompliziertes zu sein, das wir hier absolut nicht brauchen. Wir leben einfach weiter friedlich zusammen in der Hochallee – miau!

»Vor allem, seit mein Vater wieder geheiratet hat, ist das Thema für meine Mutter wichtig«, erzählt Pauli weiter. »Das hat sie richtig geärgert und wahrscheinlich beneidet sie ihn deswegen.«

»Hm.« Mehr sagt Kira dazu nicht.

Pauli betrachtet sie nachdenklich. »Was ist eigentlich mit deinem Vater? Lebt der auch in Hamburg?«

Kira richtet sich vom Bett auf und zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich glaube aber nicht. Mama spricht nie über ihn. Er hat uns verlassen, als ich noch ganz klein war. Ich kann mich kaum an ihn erinnern.«

»Vermisst du ihn?«, fragt Pauli neugierig nach.

Kira schüttelt den Kopf. »Nee. Ich sag ja: Ich weiß kaum noch etwas von ihm. Ein bisschen so, wie wenn man morgens versucht, sich an einen Traum zu erinnern. Man weiß, dass da etwas war, aber man weiß nicht mehr genau, was.«

»Na ja, ist ja auch nicht so wichtig. Manchmal denke ich, es wäre sowieso einfacher, wenn man von vornherein nur ein Elternteil hätte. Einer allein kann sich schließlich nicht mit sich streiten. Es wäre also immer friedlich. Ein echter Vorteil!«

»Ja.« Mehr sagt Kira dazu nicht und ich habe das Gefühl, dass sie einfach nicht mehr über das Thema reden will. Woran das wohl liegt? Sonst ist sie doch nicht so schweigsam. Ich bin nun richtig neugierig geworden und versuche mir vorzustellen, wie Kiras Vater wohl aussehen könnte. Kira sieht eigentlich ihrer Mutter ziemlich ähnlich: Sie ist schmal und blond, mit blauen Augen. Die hatte sie lustigerweise auch behalten, als sie in meinem Körper steckte, ich wiederum hatte als Mädchen immer noch meine grünen Winston-Augen. Wir mussten höllisch aufpassen, damit Anna das nicht merkte. Sie hätte sonst gleich gewusst, dass etwas mit uns nicht stimmt. Ich bin deshalb häufiger mit einer Sonnenbrille am Frühstückstisch aufgekreuzt. Aber das nur am Rande … also, was könnte Kira von ihrem Vater haben? Vielleicht die Art, wie sie manchmal den Kopf schief legt? Das macht Anna nie. Oder die leichten Wellen in Kiras langen Haaren? Schließlich sind die von Anna ganz glatt.

»Nun lass uns mal mit den Hausaufgaben anfangen«, wechselt Kira schließlich das Thema. »In Englisch müssen wir uns richtig reinhängen, da schreiben wir nächste Woche eine Arbeit.«

Pauli nickt. »Ja, du hast recht. Meine letzte Arbeit war nicht so glanzvoll. Fast so schlecht wie die von Emilia und die hat nun wirklich überhaupt keinen Plan.« Sie kichert. »Das wird noch lustig für Tom, wenn er jetzt für ihre Hausaufgaben zuständig ist.«

»Na ja, ich hab schon irgendwie ein schlechtes Gewissen«, räumt Kira ein. »So richtig korrekt ist die Verlosung ja nicht abgelaufen. Ich hoffe, Tom ist nicht allzu sauer auf uns.«

Pauli zuckt mit den Schultern. »Er wird’s überleben.«

»Trotzdem – ich habe mich heute schon ein bisschen schlecht gefühlt, als wir es ihm gebeichtet haben.«

»Na gut, als Buße können wir ihn begleiten, wenn er seinen ersten Einsatz hat. Ich hoffe, es wird nicht so bald sein.«

Kira lacht. »Nee, bestimmt nicht. Emilia ist doch eigentlich nie krank – du weißt schon: Unkraut vergeht nicht.«

Die nächste Stunde verbringen die Mädchen damit, sich gegenseitig Englischvokabeln abzufragen. Laaaangweilig! Das einzig Spannende daran ist, dass ich einen Teil der Vokabeln kenne, weil ich seit meiner Zeit in Kiras Körper auch ein bisschen Englisch kann. Als Mensch konnte ich nämlich auf einmal solchen Schulkram wie Lesen, Schreiben und Rechnen und – jetzt kommt’s: Diese Fähigkeiten habe ich auch nach dem Rücktausch nicht verloren. Somit dürfte ich die einzige Katze auf der Welt sein, die lesen kann. Leider weiß keiner diese Sensation zu würdigen, denn meine Mitkatzen interessieren sich nicht dafür und den Menschen kann ich es schließlich nicht erzählen. Nicht einmal Kira, denn mit dem Gedankenlesen ist es ja vorbei. Maunz! Es ist grausam, ein verkanntes Genie zu sein!

Ich schleiche mich davon und lege mich auf die Fensterbank. Hier kann ich die letzten Sonnenstrahlen des warmen Sommernachmittags genießen. Das Fenster ist gekippt, von draußen strömt warme Luft herein. Herrlich! Wer will schon ein Mensch sein, wenn er ein Kater sein kann?

Kurz bevor mir endgültig die Augen zufallen, holt mich ein lautes Scheppern wieder in die raue Wirklichkeit zurück. Nanu? Was ist denn da los? Kaum hat das Scheppern aufgehört, beginnt ein unglaublich wehleidiges Maunzen und Fauchen. Das klingt ja grauenhaft! Ängstlich werfe ich einen Blick durch das Fenster in den Hof. Ich kann nichts erkennen, aber das jämmerliche Fauchen und Miauen wird immer lauter. Grundgütiges Katzenklo! Da muss etwas Furchtbares passiert sein! Hoffentlich ist Odette nicht in Schwierigkeiten!