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< rotor >

Steirischer Dachverband der Offenen Jugendarbeit

FREIZEICHEN

HerausgeberInnen: Margarethe Makovec & Anton Lederer, Florian Arlt
Redaktionsteam: Anton Lederer, Eva Meran, Ludovica Galeazzi, Adina Hasler
ProjektmitarbeiterInnen: Monika Feil, Sonja Folsche, Karin Schagerl
Korrekturlesung: Otmar Lichtenwörther, Eva Meran
Design: Atelier Christian Bretter
Freizeichen Logo: ŠKART
Fotos: fotodesign.at - marcus auer (fd), < rotor > (rr), wenn nicht anders angegeben stammen die Abbildungen von den KünstlerInnen
Texte: Wenn nicht anders angegeben stammen die Texte von
< rotor >
Druck: Medienfabrik Graz

Erste Auflage im Mai 2012

© 2012, KünstlerInnen, AutorInnen, < rotor > & Archiv der Jugendkulturen Verlag KG

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Vertrieb für den Buchhandel: Bugrim, www.bugrim.de
Auslieferung Schweiz: Kaktus, www.kaktus.net
E-Books, Privatkunden und Mailorder: www.jugendkulturen.de

ISBN 978-3-943774-08-5 (Druckausgabe)
ISBN 978-3-943774-09-2 (E-Book)
ISBN 978-3-943774-10-8 (PDF)

Diese Publikation dokumentiert und bespricht die zehnteilige Projektserie „FREIZEICHEN. Künstlerische Interventionen im Kontext jugendlicher Lebenswelten“, die von 2008 bis 2010 in den steirischen Orten Admont, Bad Aussee, Fürstenfeld, Gratwein, Judenburg, Knittelfeld, Köflach, Mureck, Mürzzuschlag und Stainz stattfand.

FREIZEICHEN ist eine Kooperation von:
< rotor > Verein für zeitgenössische Kunst
Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark
Steirischer Dachverband der Offenen Jugendarbeit

www.freizeichen.mur.at

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FREIZEICHEN wurde unterstützt durch:
Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark
Fachabteilung 6A - Gesellschaft und Generationen / Landesjugendreferat KulturKontakt Austria

Die einzelnen Projektmodule wurden ermöglicht durch die Zusammenarbeit mit: Jugendzentrum Gesäuse, Admont; Jugendzentrum Ausseerland, Bad Aussee; Jugendzentrum Coyoba, Fürstenfeld; ClickIn Jugendtreff, Gratwein; JuZJu- Jugendzentrum, Judenburg; zone4u - Jugendnetzwerk der Stadtgemeinde Knittelfeld; JUKO – Jugend- und Kommunikationszentrum, Köflach; Jugend- und Kulturzentrum HOUSE, Mureck; JugendKulturZentrum HOT, Mürzzuschlag; jung.kultur.haus FRIDA, Stainz

Weitere Unterstützung kam von: Marktgemeinde Admont, Stadtgemeinde Bad Aussee, Stadtgemeinde Fürstenfeld, Marktgemeinde Gratwein, Stadtgemeinde Judenburg, Stadtgemeinde Knittelfeld, Stadtgemeinde Köflach, Stadtgemeinde Mureck, Marktgemeinde Stainz, styrian ART, ÖBB Immobilien, Österreichische Post AG, Bundesimmobiliengesellschaft

VORWORT

Florian Arlt, Margarethe Makovec & Anton Lederer

TEXTBEITRÄGE

ÖFFENTLICHE BEZIEHUNGEN

Birgit Kulterer

(JUGEND)KULTUR IM ÖFFENTLICHEN RAUM ODER JUGEND(KULTUR) IM ÖFFENTLICHEN RAUM

Heinz Schoibl

PROMINENT – AUFMÜPFIG – UNERWÜNSCHT

Monika Litscher

ENGAGEMENT UND KREATIVITÄT

Klaus Farin

FARBBILDTEIL

KUNSTPROJEKTE

WENN WIR DA SIND

Sofie Thorsen
JugendKulturZentrum HOT, Mürzzuschlag

DAHEIM2

RAM
zone4u – Jugendnetzwerk der Stadtgemeinde Knittelfeld

JUZ FOR YOU

Moira Zoitl
Jugendzentrum Ausseerland, Bad Aussee

RISIKO, RISKIEREN

ŠKART
Jugendzentrum Coyoba, Fürstenfeld

NATURMUSEUM STAINZ – AUSSENSTELLE

Helmut Dick
jung.kultur.haus FRIDA, Stainz

KEINE STEREOTYPEN

Delaine & Demain Le Bas
ClickIn Jugendtreff, Gratwein

DA, WO VIELE HÖHLEN SIND

Nasan Tur
JUKO – Jugend- und Kommunikationszentrum, Köflach

BOLLWERK ADMONT

zweintopf
Jugendzentrum Gesäuse, Admont

COUNTDOWN

Sylvia Winkler & Stefan Köperl
Jugend- und Kulturzentrum HOUSE, Mureck

TRÄUME WERDEN MASSIV

Iris Andraschek
JuZJu – Jugendzentrum, Judenburg

DANK

Vorwort

Offene Jugendarbeit und Kunst im öffentlichen Raum – Künstlerische Interventionen im Kontext jugendlicher Lebenswelten

von Florian Arlt (Geschäftsführer des Steirischen Dachverbands der Offenen Jugendarbeit), Margarethe Makovec & Anton Lederer (Leitungsduo von < rotor >)

IM ZUGE DES PROJEKTS FREIZEICHEN wurde von 2008 bis 2010 mit 10 KünstlerInnen und 10 steirischen Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit sowie den örtlichen Jugendlichen intensiv an Kunstwerken im öffentlichen Raum gearbeitet. Das Projekt fand – verteilt über die gesamte Steiermark – in den Orten Admont, Bad Aussee, Fürstenfeld, Gratwein, Judenburg, Knittelfeld, Köflach, Mureck, Mürzzuschlag und Stainz statt und hat sichtbare Zeichen hinterlassen!

Offene Jugendarbeit begleitet Jugendliche beim Hineinwachsen in die Gesellschaft, zeigt Handlungsmöglichkeiten auf und schafft Zugänge zur gesellschaftlichen Teilhabe. Dabei bedient sie sich verschiedenster Methoden und Angebote. Die zentralen Grundhaltungen von Offener Jugendarbeit - Freiwilligkeit, Niederschwelligkeit und Lebensweltorientierung – versuchen Jugendlichen ein optimal begleitetes Experimentierfeld ihrer Lebensentwürfe und Beteiligungsmöglichkeiten zu bieten. Genau diese Grundhaltungen und insbesondere die Erfahrungen junger Leute mit ihren alltäglichen Situationen im öffentlichen Raum waren die Ausgangspunkte von FREIZEICHEN.

Jugendliche haben ihre eigenen Wahrnehmungen von ihren Städten und Ortschaften, sie haben ihre Lieblingsplätze, an denen sie sich gerne aufhalten und sie machen nahezu überall dieselben, leidvollen Erfahrungen der Ausgrenzung, wenn es um jugendliche Formen der Aneignung von öffentlichen Räumen geht.

Gemeinsam mit den Jugendlichen und der Offenen Jugendarbeit vor Ort erfolgte die Auswahl der österreichischen und internationalen KünstlerInnen. Kriterien bei der KünstlerInnenauswahl waren deren inhaltliche Zugänge, deren Erfahrungen in der Arbeit mit Jugendlichen sowie deren Positionen zur Kunst im öffentlichen Raum. Die KünstlerInnen griffen mit den Jugendlichen vor Ort relevante Themen auf, die in Bezug zu den Kernthemen der Offenen Jugendarbeit stehen – wie Beteiligung, Bildung, Mitsprache und gesellschaftspolitisches Engagement und gaben Einblicke in das zeitgenössische Kunstschaffen.

Die daraus entstandenen künstlerischen Interventionen regen zum Diskurs unter den Jugendlichen, GemeindebürgerInnen und politischen EntscheidungsträgerInnen über das oftmals problematisierte Thema Jugendliche im öffentlichen Raum an. Die Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Themen ist solcherart vorprogrammiert und wird über den Projektzeitraum hinaus von den MitarbeiterInnen der Offenen Jugendarbeit vor Ort weiter behandelt und begleitet!

Nach vielen Diskussionen, Workshops und Streifzügen durch den öffentlichen Raum entstanden 10 künstlerische Interventionen an den Projektstandorten. Eine Anforderung war es, Kunstwerke zu schaffen, die zumindest zwei Jahre lang ihre Wirkung vor Ort entfalten können und den Diskurs über den öffentlichen Raum in den Gemeinen aufrechterhalten. Wie es aussieht, werden einige der künstlerischen Interventionen auch noch länger zu Gast in den Orten sein dürfen.

Mit dem Entstehungsprozess und dem sichtbaren Ergebnis, dem Kunstwerk, identifizieren sich viele der Jugendlichen in ihren Kommunen und können mit Stolz verkünden: Seht her, bei der Entstehung dieses Kunstwerks war ich dabei. Es geht hier um meinen Lebensraum, und den will ich mitgestalten!

Das Projekt FREIZEICHEN hat gezeigt, das sich die in der Steiermark verankerte Jugendarbeit, die engagierte künstlerische Praxis und die Methode der Soziokulturarbeit hervorragend eignen, um spannende Aushandlungsprozesse im öffentlichen Raum kreativ, lustvoll und nachhaltig zu begleiten und zu moderieren. Öffentliche Räume als Aneignungs- und Gestaltungsräume zu sehen und diese den BürgerInnen aktiv zur Verfügung zu stellen und sie bei der Aneignung und Gestaltung zu begleiten, wird für ein lebendiges Miteinander der Generationen in den Kommunen immer bedeutender.

FREIZEICHEN war nur durch die enge Zusammenarbeit von zunächst drei Organisationen möglich: dem Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark, dem Steirischen Dachverband der Offenen Jugendarbeit und < rotor > Verein für zeitgenössische Kunst.

Ein entscheidender Faktor zum Gelingen der Projekte war die Mitwirkung der örtlichen Offenen Jugendarbeit, der engagierten Jugendlichen und der jeweiligen Gemeinden. An dieser Stelle sei dafür allen besonderer Dank ausgesprochen!

Öffentliche Beziehungen

Wenn ich die Welt „mit deinen Augen“ sehe und du die Welt „mit meinen Augen“ siehst, werden wir beide etwas erkennen, das wir alleine niemals hätten entdecken können.1

von Birgit Kulterer

AN EINEM ORT nach dem anderen, in Mürzzuschlag, Knittelfeld, Bad Aussee, Fürstenfeld, Stainz, Gratwein, Admont, Köflach, Judenburg und schließlich in Mureck, machen Jugendliche gemeinsam mit Künstlerinnen und Künstlern ihre Lebenswelten in Verbindung mit dem (jeweils spezifischen) öffentlichen Raum zum Thema und schreiben sich mit längerfristig temporären Interventionen in denselben ein.

Kunst im öffentlichen Raum taucht mitten im Alltag auf, sie kann und will sich nicht auf die Isolations- und Schutzschicht der Kunstinstitutionen verlassen. Einerseits ist das ein entscheidender Vorteil, wenn es darum geht, vor Ort Position zu beziehen und gesellschaftspolitisch relevante Fragestellungen in aller Öffentlichkeit zu thematisieren. Auf dem Weg zum Ziel, Öffentlichkeit herzustellen, scheinen jene Barrieren, die durch die Distinktions- und Exklusionsmechanismen der Kunst und ihrer Institutionen erzeugt, und in ihrer Wirkung mit dem Begriff Schwellenangst verbunden werden, außer Kraft gesetzt. Andererseits stellt sich außerhalb des vielzitierten White Cube nicht die Frage, ob vielleicht ein Dialog mit der Kunst entstehen kann. Die Frage, ob eine künstlerische Arbeit über das notwendige Kommunikationspotenzial verfügt, um die PassantInnen, die zu DialogpartnerInnen werden sollen, unvermittelt zu erreichen, wird zum grundlegenden Faktor einer Existenz, die mit dem Anspruch verknüpft ist, der demokratische Gegenpol zur elitären Museumskunst zu sein.2 „Was hat das alles mit mir zu tun?“ wird zur Entscheidungsfrage.

Partizipation ist eine vielfach eingesetzte Strategie, die RezipientInnen im öffentlichen Raum zu erreichen und zu aktivieren, indem man sie direkt und programmatisch in den Entstehungsprozess von Projekten involviert. Man sucht sich PartnerInnen für Kommunikation und Kooperation und findet, im Idealfall, auch MultiplikatorInnen für die Interaktion mit einer breiteren Öffentlichkeit.

Denn wer im öffentlichen Raum (undercover) gegen die Alltagswahrnehmung antritt, hat es nicht leicht. Diverse Alltagsprioritäten beeinträchtigen die Wahrnehmungsfähigkeit der potenziellen RezipientInnen, seien sie noch so banal wie der Wunsch, möglichst schnell von A nach B zu gelangen, wobei der simultane Aufenthalt in virtuellen Räumen via Smartphone oder iPod, nicht nur bei jüngeren Generationen, längst Teil der Realität und als solcher dazu geeignet ist, die Anwesenheit im öffentlichen Raum mehr oder weniger auf die physische Präsenz zu beschränken.

Noch wichtiger ist: Befindet man sich außerhalb der Räume, die allein der Kunst und ihrer Rezeption gewidmet sind, bringen viele ihre Interessen ins Spiel und zielen auf die Aufmerksamkeit der PassantInnen ab: Die Werbung ist im Verbund mit Wirtschaft und Politik beim Einsatz ihrer visuellen und akustischen Geschütze, in vielen sich überlagernden Schichten in Stellung gebracht, nicht zimperlich, die kommerziellen ÖffentlichkeitsarbeiterInnen verstehen ihr Handwerk. Es ist unübersehbar, dass der öffentliche Raum, als Spiegelbild der Machtverhältnisse, das er immer schon war, von einem Ort der Meinungsbildung, der Meinungsäußerung und der Erörterung gesellschaftlicher Probleme, längst zu einem mehr und mehr privatisierten Raum geworden ist, „zu einem umkämpften und exklusiven Ort der Verdrängung […], der auf die Funktionen Transport, Konsum und Repräsentation reduziert wurde“3. In der neoliberalen Stadt gilt: „Gefragt ist nicht mehr der an der Öffentlichkeit partizipierende Bürger, sondern der konsumierende Kunde.“4 Wer nicht in dieses Bild passt – Kinder, Jugendliche, Obdachlose, … – hat hier keinen Platz, wird als Störfaktor klassifiziert. Auch wenn es scheinen könnte, dass sich dieser Strukturwandel in ländlichen Gebieten noch schaumgebremst vollzieht, sprechen die Einkaufszentren an den Ausfallstraßen jeder größeren Bezirksstadt und der Leerstand in den Ortszentren eine deutliche Sprache.

Einen umso größeren Stellenwert hat heute eine Kunst, die in diesem öffentlichen Raum als dissonante Stimme auftritt. Ihr Kapital ist der Spannungsbogen zwischen dem Fremden, Ungewohnten inmitten der als gewohnt erlebten Wirklichkeit und dem individuellen Anknüpfungspunkt, der den Funken auf die potenziellen RezipientInnen überspringen lassen kann. Gelingt auf diese Weise der erste Schritt der Kontaktaufnahme, sind durch die Verschiebungen und Brüche an der Differenzschwelle zur Alltagsrealität andere Perspektiven möglich, und ein Raum für die Hinterfragung bislang unreflektierter ästhetischer und gesellschaftlicher Standards ist hergestellt. Die Gefahr, dass der Abstand zu groß ist – und die Sprache der Kunst zwar als Fremdsprache identifiziert, aber nicht übersetzt werden kann – bleibt dennoch latent vorhanden. Eine „Kunst für alle“ wird es auch im öffentlichen Raum nicht geben können, weil sie sich nicht mit oberflächlichen Dekorationsaufgaben zufrieden gibt und keine leicht konsumierbaren, einfachen Antworten anbietet, sondern (oft unbequeme) Fragen stellt. Nimmt die Kunst ihre Aufgabe als notwendige Gegenstimme ernst, bleibt sie auch – oder besser: gerade – im öffentlichen Raum eine Herausforderung.

Wenn man also davon ausgeht, dass sich Kunst im öffentlichen Raum heute (wieder) zu einer der wichtigsten Begegnungsebenen und damit zu einem der bedeutendsten Kommunikationsinstrumente im gesellschaftlichen Bereich entwickelt hat5, kann man sich mit der Behauptung von Patricia C. Philips einverstanden erklären: „Public Art ermutigt die Entwicklung aktiver, engagierter und partizipatorischer Bürger, ein Prozess, der generell nur durch den Aktivismus eines Künstlers und die Provokation der Kunst entstehen kann.“6

Grundlegend für die von Philips angesprochene (Anfang der 1990er Jahre) „neue“ Form der Kunst im öffentlichen Raum, New Genre Public Art (NGPA) oder Kunst im öffentlichen Interesse, ist die Unteilbarkeit von Kunst und Rezeption. Adressiert wird dabei nicht die zufällige Passantin/der zufällige Passant, sondern eine definierte Teilöffentlichkeit, bevorzugt eine gesellschaftlich marginalisierte Gruppe. Überzeugungsarbeit über Sinn und Zweck des Vorhabens ist integraler Teil der künstlerischen Arbeit („Vermittlungskunst“), Partizipation die Methode. Wenn eine der Schlüsselfiguren der NGPA, Susanne Lacy, schreibt: „Diese Arbeiten aktivieren den Betrachter – schaffen einen Beteiligten, sogar einen Mitarbeiter“7, so meint sie nicht nur Partizipation als Strategie der Publikumserschließung, sondern vor allem auch die Konstruktion eines intersubjektiven Raums, in dem soziale Themen verhandelt und veröffentlicht werden können. Dieses Konzept einer Kunst des Öffentlichen spiegelt, so formuliert es Miwon Kwon, „ […] den liberal-demokratischen Antrieb wider, der immer schon hinter dem Programm ‚Kunst im öffentlichen Raum’ gestanden hat. Es versucht, ‚die Leute draußen’, die nicht zur Kunstszene gehören, als Subjekte, als ProduzentInnen und Beteiligte einzubinden. Indem man Kunst sozusagen als pädagogisches Mittel einsetzt, hofft man, einer breiteren Öffentlichkeit den Zugang zu ihr zu erleichtern – schließlich sei der Zugang zur Kunst ein demokratisches Grundrecht.“8 Die Frage nach dem Kunsstatus tritt dabei hinter die Wirkung im realen sozialen Raum zurück, der verbindliche Dialog mit der Öffentlichkeit bis hin zur Lösung konkreter Probleme hat Priorität.

Zum Diskursparadigma wird das Projekt Culture in Action, das Mary Jane Jacob 1992/93 in Chicago kuratiert.9 Der vorgegebene Werkbegriff: sozialbewusst, kollaborativ, prozessorientiert, in der angestrebten Wirkung (gesellschafts)politisch bewusstseinsbildend, identitätsstiftend und emanzipatorisch. Park Fiction in Hamburg (1995), ein weiteres oft genanntes Beispiel, steht für das direkte Eingreifen in Prozesse der Stadtentwicklung über Kunst und/als BürgerInnenbeteiligung. 2003 wurde mit der Realisierung der Ideen begonnen.10 Seit 1993 wandelt das österreichische Kollektiv WochenKlausur Kunst- in Sozialbudgets um und nimmt von der Basis des institutionellen Kunstbetriebs aus zielgerichtete soziale Interventionen vor.11 Wolfgang Zinggl setzt dieses Programm der Kunst- als Gesellschaftsarbeit auch in seiner Funktion als Bundeskurator (1997 bis 2000) konsequent um und fördert gezielt (nur) Projekte, die soziale Probleme nicht nur auf einer symbolischen Ebene darstellen, sondern konkrete Lösungen erarbeiten.

Diese Kunst im öffentlichen Interesse stößt nicht nur auf Zustimmung, die KritikerInnen bringen Argumente vor, die nicht unerwähnt bleiben sollen, tragen sie doch auch heute noch dazu bei, die Komplexität der Anforderungen und die Notwendigkeit kontinuierlicher und kritischer Reflexion bewusst zu machen, wenn man sich als ProduzentIn von Kunst (im öffentlichen Raum) über partizipatorische Prozesse in Lebenswelten einschaltet.

Wie beteiligt wer wen woran? Wie gestalten sich die Machtverhältnisse, wie die Rollenverteilung zwischen KünstlerInnen und Beteiligten (Akteure mit Handlungsspielraum und Entscheidungskompetenz oder stichwortgebende Statisten)? Was haben die Menschen davon, die man involviert? Wie kann man verhindern, dass „die anderen“ als „das Andere“ zum Objekt werden – und man selbst zu demjenigen, der (besser) weiß, was gut für sie ist?